Befreit von der Macht des Todes

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Glaubenssachen
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Ostermontag, 17. April 2017, 08.40 Uhr
Befreit von der Macht des Todes
Ostern für Aufgeklärte
Von Christian Modehn
Redaktion: Florian Breitmeier
Norddeutscher Rundfunk
Religion und Gesellschaft
Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 22
30169 Hannover
Tel.: 0511/988-2395
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Sprecher:
Ostern – ein Fest des Lebens und der Zuversicht, ein Lichtblick in politisch eher
finsteren Zeiten. Immerhin: Die Natur zeigt sich wieder in überraschender Vielfalt.
Ostern weitet den Horizont, lädt ein, weiterzudenken und aufzubrechen, sagt auch die
Dichterin Marie Luise Kaschnitz:
Zitator:
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserm lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut
Manchmal stehen wir auf.
Sprecherin:
Ostern wird gefeiert, weil Christen aller Konfessionen überzeugt sind: Jesus von
Nazareth hat den Tod überwunden. Er ist auferstanden. Er lebt. Eine ungeheuerliche
Aussage, die wohl bedacht sein will. Für ein begründetes Verstehen ist es notwendig,
auf die ersten Christen zu schauen. Sie waren noch unmittelbar mit Jesus verbunden.
Nach seinem qualvollen Tod am Kreuz zogen sich Jesu Freunde voller Angst, wie
gelähmt, zurück. Das Unfassbare war eingetreten, Jesus, dieser außergewöhnliche
Mensch, der vorbildlich Liebende und Gerechte, wurde vernichtet und ausgelöscht.
Sprecher:
Einige Frauen überwinden die Verzweiflung, machen sich auf und gehen zum Grab
Jesu. Davon sprechen die vier Evangelisten. Jeder Autor setzt dabei unterschiedliche
Akzente. Aber die Erzähler schreiben Texte voller Bilder und Metaphern: Es sind Engel,
die zu den Menschen sprechen. Den Leichnam Jesu können seine Jünger gar nicht
wahrnehmen, denn das Grab ist leer, so schreiben die Evangelisten. Später tritt Jesus
als der Auferstandene inmitten seiner Getreuen auf, in einer überirdischen Gestalt.
Sprecherin:
Es wäre übereilt, diese poetischen Texte als Ausdruck von Frömmelei oder gar
Phantasterei beiseite zu legen. Der damaligen Mentalität entsprechend, haben die vier
Evangelisten die inneren Erfahrungen und Erkenntnisse der Gemeinde in anschauliche
Bilder und Symbole übersetzt. So formen sie seelische Prozesse in anschauliche,
äußere Ereignisse um. Wer Ostern heute verstehen will, muss also diese bunten, heute
vielfach irritierenden Bilder in allgemein verständliche, nachvollziehbare Sätze
übertragen.
Sprecher:
Die Gemeindemitglieder, die an die Auferstehung Jesu glauben, haben einen guten
Grund für ihre Überzeugung. Schon im gemeinsamen Leben mit dem Mann aus
Nazareth zeigte sich: Dieser Jesus war in seinem Denken und Tun ständig mit Gott,
dem Ewigen, verbunden. Ihm schenkte Jesus alles Vertrauen. Ihn nannte er den
gütigen, den liebenden himmlischen Vater aller Menschen. Diese Einheit von
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Göttlichem und Menschlichen hat Jesus aus dem Reich des Todes befreit. Den ersten
Christen wird in einer Art Erleuchtung die Einsicht zuteil: Dieser Jesus ist auch nach
seinem Tod unter ihnen lebendig, wenn sie sich versammeln, seine Worte bedenken
und in seinem Sinne das Brot miteinander teilen.
Sprecherin:
Ist diese Einsicht so befremdlich? Auch heute sprechen die Hinterbliebenen manchmal
von Momenten, in denen der kürzlich verstorbene Geliebte oder die verstorbene
Ehefrau noch einmal als gegenwärtig erahnt werden. Manch ein Trauernder berichtet
sogar, wie er sich auf vertraute Weise mit den kürzlich Verstorbenen noch austauscht.
Ein solches Verhalten ist alles andere als überspannt oder gar verrückt. Die Seele hat
eine Kraft, den unendlichen Schmerz zu überwinden und neuen Sinn im Sterben und
Tod wahrzunehmen. Der religionskritische Philosoph Kurt Flasch unterstützt diese
Erkenntnis. So betont er in seinem Buch „Warum ich kein Christ bin“:
Zitator:
Dass an der Entstehung der christlichen Bewegung, also nach dem Tode Jesu,
intensive seelische Erfahrungen beteiligt waren, ist historisch plausibel.
Sprecher:
Die Überzeugungen der ersten Christen sind der einzige Zugang, um die Auferstehung
Jesu zu verstehen. Der Oster-Glaube der Gemeinde ist datierbar, nicht aber die
Auferstehung Jesu selbst. Wie sollte auch ein Auferstandener, der die Begrenztheiten
des irdischen Daseins, den Tod, überwunden hat, noch dem fest stellenden Blick eines
Reporters oder Historikers zugänglich sein? Darum ist auch das letzte historisch
greifbare und datierbare Ereignis im Leben Jesu seine Kreuzigung und sein Tod. Davon
ist die wissenschaftliche Bibelforschung überzeugt, betont der Theologe Christoph
Türcke:
Zitator:
Es gibt keine neutralen Beobachter der Auferstehung Jesu. Es gibt keinen Historiker,
der das Auferstehungsgeschehen beobachtetet hat. Es gibt keine Art von
Zeitungsberichten zur Auferstehung.
Sprecherin:
Und dennoch ist die Gemeinde überzeugt: Etwas Neues ist geschehen; dieser Jesus
lebt auf andere Art. Dabei ist die Vielfalt der Erzählungen vom Ostergeschehen
durchaus von Vorteil: Sie zeigen nämlich die unterschiedlichen Formen der
Erinnerung, sie beweisen, dass es schon damals verschiedene Glaubenshaltungen und
Theologien gab. Einige Evangelisten nennen eine unterschiedliche Anzahl der Engel,
die am Grab die Auferstehung verkünden. Im Johannes Evangelium eilen nicht nur die
Jüngerinnen, sondern auch die führenden Apostel, Petrus und Johannes, zum Grab.
Der Philosoph Kurt Flasch betont dazu:
Zitator:
Dass Erzählungen mit der Zeit anwachsen und sich verändern, ist auch heute noch die
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Regel. Erzähler fügen zunehmend etwas hinzu, was nach ihrer Ansicht gesagt werden
muss, um die Botschaft gegen neue Zweifel zu sichern. So wuchsen die Erzählungen
eben auch im orientalischen Alltag.
Sprecher:
Bis hin zu einigen, bewusst übertriebenen Aussagen, verfasst in spiritueller
Begeisterung: Wenn sich etwa der Auferstandene trotz seiner gar nicht mehr irdischen
Leiblichkeit vom Apostel Thomas berühren lässt. Oder wenn der Auferstandene noch
Hunger hat und speist, wie der Evangelist Lukas berichtet. Der katholische Theologe
Giuseppe Barbaglio kommentiert diesen hier überdeutlichen poetischen
Enthusiasmus:
Zitator:
In diesen Beispielen haben sich die Evangelisten nicht um scharfsinnige Unterscheidungen bemüht. Sie wollen mit diesen Bildern wie in einer Art Streitschrift die
Auferstehung stark illustrieren und vor allem: Die Autoren glauben, sie so zu
verteidigen.
Sprecherin:
Die früheste schriftliche Notiz zum Auferstehungsglauben steht im Ersten Brief des
Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalonich. Der Text wurde im Jahr 51 verfasst,
also nur knapp zwanzig Jahre nach dem Tode Jesu Christi. In seinem Schreiben warnt
der Apostel seine Leser davor, sich allzu sehr der Trauer über die Verstorbenen
hinzugeben, er erklärt ganz knapp:
Zitator:
Wenn Jesus – und das ist unser Glaube - gestorben und auferstanden ist, dann wird
Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen.
Sprecher:
Man achte auch hier auf die Details: Die Auferstehung Jesu führt zur Herrlichkeit, sagt
Paulus, sie führt zu Gott. Den heute noch üblichen Begriff „ewiges Leben“ verwendet
Paulus nicht. Er denkt gar nicht an eine endlose Zukunft des Einzelnen. Auch eine
örtliche Platzierung der Herrlichkeit irgendwo im Jenseits unterbleibt. Die
Auferstehung führt zum Eintritt in eine ganz andere, eine göttliche Welt. Eine eher
bescheidene Aussage. Wie es in dieser neuen Welt aussieht, wird gar nicht gesagt. Die
ersten Christen wollten gerade bei dem Thema letztlich doch nüchtern bleiben; etwa
wenn der Engel zu den Jüngern sagt: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Das
klingt wie eine Provokation: Denn der Engel ist in der religiösen Poesie eine
Verkörperung der inneren Stimme des Gewissens. Und da wird deutlich: Für den
Auferstandenen hat das Grab keine Bedeutung mehr. Diesen Gedanken führt der
katholische Theologe Hans Kessler weiter aus:
Zitator:
Wenn vom leeren Grab gesprochen wird, so ist dies nur eine Veranschaulichung der
Auferstehung Jesu. Das leere Grab ist ein Bild, ein Symbol, das die Erzählung farbiger
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machen soll. Der Osterglaube wird nicht vom leeren Grab begründet. Der Gedanke des
leeren Grabes ist kein notwendiger Bestandteil des christlichen Auferstehungsglaubens. Eine im Grab aufgestellte Video-Kamera hätte den Auferstehungsvorgang
nicht aufgenommen. Wer als religiöser Mensch auf einem leeren Grab besteht,
leugnet, dass Jesus von Nazareth auch ganz Mensch war, also körperlich sterben
musste.
Sprecher:
Von Jakob Cremer, ebenfalls ein katholischer Theologe, ist dieses Bekenntnis überliefert:
Zitator:
Ich würde selbstverständlich mein Leben für den Auferstandenen hingeben, nicht aber
für die Idee, dass Jesu Grab leer ist.
Sprecherin:
In der Bestattungspraxis der Christen werden die Verstorbenen in einen Sarg gelegt,
seit einigen Jahrzehnten gibt es auch die Urnen-Bestattungen. Wenn die christlichen
Hinterbliebenen die Leiche der Erde übergeben, ist doch die Überzeugung leitend:
Dieser Verstorbene wird als materieller Körper zwar im Sarg verwesen, aber der
bleibende Kern dieser Person wird auferstehen und auf ungeahnte Weise bei Gott sein.
Wenn es um die letzten Fragen geht, also um den Tod und das Überschreiten dieser
Grenze, standen Menschen immer schon vor der Alternative: Entweder sagen sie Ja
oder sie sagen Nein zu einer möglichen Überwindung des Todes. Von dieser Einsicht
war der Philosoph und Naturwissenschaftler Carl Friedrich von Weizsäcker überzeugt:
Zitator:
Wenn der dunkle Engel kommt, werden wir in unserem je eigenen Tod uns
entschieden haben müssen: Zwischen der Verzweiflung über die abgrundtiefe Nacht
des Nichts. Oder der Hoffnung auf ein unvorstellbares Licht.
Sprecher:
In einer religiösen Haltung kann man den Tod nicht als Abbruch des Lebens sehen und
dabei jegliches Gespür für etwas Anderes, einen Himmel oder ein Jenseits,
verdrängen. Heute setzen sich viele zu recht mit dem oft langwierigen und schmerzhaften Sterbeprozess auseinander. Aber es wird selten bedacht, dass der Tod nur eine
Grenze ist, die über sich selbst hinausweist.
Sprecherin:
Die ersten Christen schätzten eine Art Lebens-Philosophie, die den Tod überwunden
glaubte, und sie behaupteten dies voller Zärtlichkeit und Kraft. Man denke nur an die
Rolle der Frauen im Ostergeschehen. Sie sind ja die ersten, die von der Auferstehung
hören. Der Theologe und Psychologe Eugen Drewermann betont:
Zitator:
Frauen sind offenbar fähig und würdig, den Sieg des Lebens über den Tod zu sehen
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und sichtbar zu machen. Die Wirklichkeit des Ostermorgens kann man nur mit den
Augen des Herzens wahrnehmen. Frauen scheinen seit alters her die berufenen
Priesterinnen dieser Geheimnisse des Unsichtbaren zu sein.
Sprecherin:
Mit besonderer Aufmerksamkeit berichten die Evangelisten von Maria Magdalena:
Einst war sie seelisch krank, von bösen Geistern beherrscht, wie man damals sagte.
Und Jesus war es, der sie heilte, berichtet Eugen Drewermann:
Zitator:
Die Begegnung mit Jesus muss für Maria Magdalena wie eine zweite Geburt gewesen
sein. Endlich war es ihr wieder möglich, einen eigenen Geist, eine eigene Freiheit, ein
eigens Ich zu sein und zu haben. Sie hatte durch Jesus schon eine Auferstehung im
eigenen Leben erfahren.
Sprecher:
Ein solcher Mensch, der andere auf Dauer zu neuem Leben erwecken kann, der darf
selbst nicht sterben: In dieser Überzeugung eilt Maria Magdalena als erste zum Grab,
berichtet der Evangelist Markus und dort vernimmt sie die Botschaft von der
Auferstehung Jesu.
Sprecherin:
Der Apostel Paulus führt diese Einsicht in geradezu universale Dimensionen: Denn an
der Überwindung des Todes durch Jesus haben, so meint er, alle Menschen Anteil. Ein
ungewöhnlicher Gedanke, den Paulus in seinem Ersten Brief an die Korinther gleich
zweimal hintereinander nennt, damit ihn ja niemand vergisst:
Zitator:
Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist auch Christus nicht auferweckt
worden. Und noch einmal: Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht
auferweckt worden.
Sprecher:
Diese Überzeugung ist sozusagen der Mittelpunkt des Osterglaubens! Er kann noch
heute Menschen bewegen, betont der Theologe Giuseppe Barbaglio von der
Universität Mailand:
Zitator:
Was Jesus Christus widerfuhr, wird uns widerfahren. Seine Auferstehung ist das
Anheben unseres neuen Lebens und unserer Auferstehung.
Sprecherin:
Aber gibt es dafür Argumente? Mystiker und Theologen bieten Hinweise für die
universale Auferstehung aller Menschen. Sie meinen: Die Evolution von Welt und
Menschheit schließt ja nicht aus, dass wir eine göttliche Wirklichkeit als Schöpfer von
Welt und Menschheit annehmen. Welt und Mensch bleiben mit dem Göttlichen
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verbunden, und zwar in der Erfahrung des menschlichen Geistes und der Sprache der
Seele. Mitten im Leben reichen wir also über die enge Welt hinaus, etwa in der Kunst,
der Musik, der Liebe. Göttliches ist in Geist und Seele des Menschen lebendig. Der
berühmte mittelalterliche Mystiker Meister Eckart hatte erkannt: Gottes Anwesenheit
ist in der Seele wie ein unzerstörbarer Funken zu denken. Dadurch ist der Mensch dem
Strom der Zeit entnommen. Er hat das Ewige also in sich. Und wer als Mensch Ewiges
in sich birgt, braucht den Tod als absolutes Ende nicht zu fürchten. Meister Eckart sagt
es in der ihm eigenen Sprache:
Zitator:
Gott verlangt nichts mehr von dir, als dass du deine so begrenzte irdische Wirklichkeit
auch einmal „sein“ lässt, also aus deinem engen weltlichen Denken heraustrittst: Dann
geht Gott in dich ein. Und dann gibt es nur noch die Vereinigung von Gott und Mensch.
So kommst du als Mensch zu Gelassenheit und innerer Ruhe. Denn du hast das Ewige
in dir, über den Tod hinaus.
Sprecher:
Aber der christliche Auferstehungsglaube denkt noch weiter: Das Ewige, das Göttliche
kann mitten im Leben hier erfahren werden, sozusagen als winziger Vorgeschmack der
Auferstehung. Diese Erfahrung haben schon die ersten Christen gemacht, im Ersten
Johannesbrief des Neuen Testamentes heißt es:
Zitator:
Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinüber gegangen sind, weil wir die
Brüder und Schwestern lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod.
Sprecherin:
In der Liebe überwinden Menschen den Egoismus; sie wachsen über sich hinaus.
Manche leben dann schon wie Auferstandene! Sie haben sich von den Ängsten um ihr
eigenes kleines Leben befreit, sind im Einsatz für die Leidenden förmlich transparent
auf Gott hin geworden. Zu diesen „Auferstandenen“ gehört Erzbischof Oscar Romero
im zentralamerikanischen Staat El Salvador. Mitten im Bürgerkrieg seines Landes
kämpfte er gegen die Militärs zugunsten der verarmten indigenen Völker. Kurz vor
seiner Ermordung durch die Militärs im Jahre 1980 sagte Oscar Romero:
Zitator:
Ich bin schon oft mit dem Tod bedroht worden. Ich muss Ihnen sagen, dass ich mir als
Christ einen Tod niemals ohne Auferstehung vorstellen kann. Sollte ich umgebracht
werden, so werde ich im salvadorianischen Volk auferstehen. Ich sage Ihnen dies in
aller Bescheidenheit. Als Bischof bin ich aufgrund göttlichen Auftrags verpflichtet,
mein Leben hinzugeben für jene, die ich liebe. Sofern Gott das Opfer meines Lebens
annimmt, möge mein Tod zur Befreiung meines Volkes dienen und ein Zeugnis der
Hoffnung auf die Zukunft sein.
Sprecher:
In Europa beschreiben viele Menschen ihren persönlichen Osterglauben auf andere
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Weise. Sie sprechen etwa von großer Geborgenheit, von der Erfahrung gründenden
Sinns, von einer unberührbaren, letzten Tiefe im Leben. Vorbildlich sind da die
Künstler, wenn sie ihren persönlichen Glauben darstellen. Vincent van Gogh schreibt in
einem Brief im Jahr 1888:
Zitator:
Christus allein bekräftigt unter allen Philosophen das ewige Leben als eine
fundamentale Gewissheit. Er bekräftigt die Nichtigkeit des Todes und deswegen auch
die Notwendigkeit und die Berechtigung heiterer Gelassenheit und Aufopferung. Er hat
in heiterer Ruhe gelebt, er war sozusagen auch der größte aller Künstler: Denn er hat
den Marmor, den Ton und die Farbe verschmäht und stattdessen in lebendigem
Fleisch, also mit Menschen, gewirkt.
Sprecher:
Den auferstandenen Christus wollte van Gogh nicht figürlich malen, aus Respekt vor
dieser heiligen gottmenschlichen Gestalt. Darum gestaltete er die Sonne als das
universell gültige Symbol des Auferstandenen.
Sprecherin:
Ernst Barlach hat sein persönliches Bekenntnis zur Auferstehung in der Gertrauden
Kapelle von Güstrow zum Ausdruck gebracht. Im Jahr 1926 hat er die Skulptur „Das
Wiedersehen“ geschaffen: Der Apostel Thomas begegnet dem Auferstanden. Thomas,
so berichten die Evangelisten, will erst dann glauben, wenn er die Wunden des
Gekreuzigten berührt hat. Barlach zeigt überraschend, wie sich dieser Thomas an dem
aufrecht stehenden Christus festhält; wie er sich, vor Angst noch verbogen und
verkrümmt, kaum auf den Beinen halten kann. Der Auferstandene stützt ihn! Dabei ist
er in sich gekehrt, eine Erscheinung von erstaunlicher Schlichtheit. Der Kunstkritiker
und Theologe Horst Schwebel sagt:
Zitator:
Die Augen des Christus gehen jedoch über den Gebeugten Thomas hinweg ins Leere.
Christi Gesicht drückt Mitgefühl und Teilnahme aus. Er wird dem Gebeugten zur
Stütze. Es ist Christus, der als Bruder dargestellt wird, der dem anderen hilfreich zur
Seite steht.
Sprecher:
Der Auferstandene als Freund, als Begleiter, als Stütze: So wird anschaulich, wenn man
den alten, aber immer noch aktuellen Begriff der Erlösung durch das Osterfest
verstehen will: Die Auferstehung eröffnet eine neue Lebenshaltung, vielleicht eine Art
ungewöhnlicher Lebensphilosophie, aber sie ist wichtiger denn je, meint die Theologin
Elisabeth Moltmann-Wendel:
Zitator:
Wenn wir aufmerksam werden auf die verwandelnden Kräfte, die schon hier unser
Leben verändern, die uns anders sehen, fühlen, hören, schmecken lassen, dann
können wir auch erwarten: Solche Kräfte werden nicht mit unserem biologischen
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Leben zu Ende sein. Wir können dem Schöpfersein Gottes zutrauen, dass es Energien
gibt, die über unseren eigenen Lebenshorizont hinausreichen.
***
Zum Autor:
Christian Modehn ist Journalist und Theologe in Berlin. Siehe auch www.religionsphilosophischer-salon.de
Literaturhinweise:
Stefan Alkier, Die Realität der Auferstehung. Tübingen 2009
Albert Boime, Vincent van Gogh, Die Sternennacht. Fischer Taschenbuch, 1989
Concilium, Internationale Zeitschrift für Theologie, Themenheft Auferstehung, Dezember 2006
Eugen Drewermann, Das Markus Evangelium, Zweiter Teil, Walter Verlag, 1988
Kurt Flasch, Warum ich kein Christ bin. C.H.Beck Verlag 2013
Hans Kessler, Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auferstehung Jesu Christi, 2011, Topos
Taschenbücher. 2011, 526 Seiten
Hildegund Keul, Auferstehung als Lebenskunst. Was das Christentum auszeichnet. Herder Verlag 2014
Elisabeth Moltmann-Wendel, Mit allen Sinnen glauben. Stimmen der Zeit 2005
Karl Rahner Lesebuch. Herder 2014. 475 Seiten
Horst Schwebel, Die Kunst und das Christentum, Geschichte eines Konflikts. Verlag C.H.Beck, München 2002
Dorothee Sölle, Es muss doch mehr als alles geben.1992, DTV
Christoph Türcke, Kassensturz. Zur Lage der Theologie, darin der Beitrag Tod, Fischer Taschenbuch 1992
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