Sexuelle Aktivität und Kopfschmerz

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Kopfschmerzen
Sexuelle Aktivität und Kopfschmerz
Auslöser oder Entlastung?
A. Hambach1; S. Evers1,2; A. Frese1,3
1Klinik
und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster; 2Krankenhaus Lindenbrunn, Coppenbrügge;
für Manuelle Medizin, Münster
3Akademie
Schlüsselwörter
Keywords
Kopfschmerz, Migräne, sexuelle Aktivität,
Subarachnoidalblutung
Headache, migraine, sexual activity, subarachnoid haemorrhage
Zusammenfassung
Summary
Ein idiopathischer Kopfschmerz ausgelöst
durch sexuelle Aktivität ist seit vielen Jahren
bekannt und in die aktuelle Klassifikation der
International Headache Society aufgenommen. In dieser Übersicht werden die klinischen Erscheinungsbilder und die Therapiemöglichkeiten bei dieser Kopfschmerzform
vorgestellt. Daneben kann sexuelle Aktivität
in einzelnen Fällen eine Entlastung von Kopfschmerzen (insbesondere Migräne) darstellen. Der epidemiologische Hintergrund für
dieses Phänomen und mögliche Mechanismen werden ebenfalls vorgestellt und diskutiert.
An idiopathic headache disorder associated
with sexual activity is known for many years
and has been introduced in the current classification of the International Headache Society. In this review, the clinical picture and
the therapeutic options for this headache disorders are described. Further, sexual activity
can lead to headache relief (in particular migraine) in single patients. The epidemiological background for this phenomenon and
possible mechanisms are presented and discussed.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Dr. Stefan Evers
Krankenhaus Lindenbrunn
Lindenbrunn 1, 31863 Coppenbrügge
Tel. 05156/782-291; Fax -288
[email protected]
Sexual activity and headache – Trigger or relief
Nervenheilkunde 2013; 32: 118–122
eingegangen am: 19. Oktober 2012;
angenommen am: 19. Oktober 2012
Sexuelle Aktivität kann auf verschiedene
Weise Einfluss auf Kopfschmerzpatienten
haben. Bekannt ist, dass einige überhaupt
erst Kopfschmerzen erfahren, wenn sie sexuell aktiv sind. Eher unbekannt ist dagegen die Beobachtung, dass andere eine Veränderung in Form von Verbesserung oder
Symptomlinderung ihrer bestehenden
Kopfschmerzen durch sexuelle Aktivität
erfahren. Im Folgenden sollen diese beiden
gegensätzlichen Aspekte des Zusammenhangs zwischen sexueller Aktivität und
Kopfschmerzen systematisch referiert werden.
Kopfschmerz bei sexueller
Aktivität
Primärer Kopfschmerz
Geschlechtsverkehr kann ein Auslösefaktor
für primäre Kopfschmerzen sein. Dessen
war sich schon Hippokrates bewusst; er
stellte fest, dass jemand in der Lage sein
sollte, jene zu unterscheiden, die Kopfschmerzen bekommen durch gymnastische Übungen oder Rennen, Laufen, Jagen
oder durch „unvernünftigen“ Verrichtungen oder eben durch maßlosen Geschlechtsverkehr (nach 1).
Dieser primäre Kopfschmerz bei sexueller Aktivität ist durch Studien systematisch
untersucht worden (9, 11–13) und durch
Kriterien der International Headache Society (IHS) klar definiert (5). Er gehört zu
der Gruppe der idiopathischen Kopfschmerzerkrankungen, die die Kopfschmerzklassifikation der IHS in ihrem
vierten Kapitel unterscheidet. Diese Kopfschmerzgruppe gilt als selten, muss aber als
Gruppe eigenständiger Entitäten aufgefasst
werden. Epidemiologische Daten, die die
Hypothese einer geringen Prävalenz stützen, liegen jedoch nicht vor. Im Gegenteil
deuten jüngere Studien darauf hin, dass
diese Kopfschmerzgruppe häufiger ist als
angenommen.
In der aktuellen Auflage der IHS-Kriterien
sind zwei Subtypen von primären Kopfschmerzen in Verbindung mit sexueller
Aktivität anerkannt worden. Unterteilt
werden sie nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens. Der Kopfschmerz tritt entweder
vor oder mit dem Orgasmus auf und lässt
sich demnach in den Präorgasmuskopfschmerz (Kapitel 4.4.1 der Klassifikation
der IHS) und den Orgasmuskopfschmerz
(Kapitel 4.4.2 der Klassifikation der IHS)
unterteilen (▶Kasten). Früher wurde noch
ein dritter Untertyp von primären Kopfschmerzen bei sexueller Aktivität definiert
und in der ersten Auflage der IHS-Klassifikation aufgeführt (4); dieser haltungsabhängige Typ trat erst nach dem Geschlechtsverkehr und in aufrechter Position auf. In der 2. Klassifikation wird jedoch
angenommen, dass er die Folge eines
Duraeinrisses mit Liquorunterdruck ist
und demnach nicht mehr den primären,
sondern den symptomatischen Kopfschmerzen zuzuordnen ist (Diagnose
7.2.3).
Tritt der Kopfschmerz bei sexueller Aktivität zum ersten Mal auf, kann es für den
Betroffenen beängstigend sein. Im Grunde
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A. Hambach; S. Evers; A. Frese: Sexuelle Aktivität und Kopfschmerzen
handelt es sich aber um eine harmlose Erkrankung mit einer guten Prognose, die jedoch die Lebensqualität der Betroffenen
erheblich einschränken kann. Der Ausschluss einer Subarachnoidalblutung
(SAB), beispielsweise zurückzuführen auf
ein geplatztes Aneurysma, ist obligat (17,
18). Bei einem Verdacht auf eine Blutung
oder eine andere symptomatische Ursache
besteht eine zwingende Indikation zur zerebralen Bildgebung, um sekundäre Ursachen auszuschließen (10).
Die genaue Lebenszeitprävalenz der primären Kopfschmerzen bei sexueller Aktivität ist unbekannt, in der Literatur wird sie
mit 1% angegeben (2, 25). Es muss jedoch
davon ausgegangen werden, dass dieser
Kopfschmerztyp häufiger ist, als sein Bekanntheitsgrad annehmen lässt. Die aktuelle Prävalenz ist somit – in Folge der Verlegenheit der Patienten, über intime sexuelle
Details zu sprechen – vermutlich unterschätzt. Es besteht in 19 bis 47% eine Komorbidität mit Migräne, in 29 bis 40% mit
primärem Kopfschmerz bei körperlicher
Anstrengung und in 45% mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp (2, 14, 23, 28).
Die Geschlechterverteilung zeigt, dass
Männer bis zu vier Mal häufiger betroffen
sind als Frauen (14, 17). Das Alter bei Erstmanifestation besitzt zwei Maxima, mit einem ersten Gipfel zwischen 20 und 24 Jahren und einem zweiten zwischen 35 und 44
Jahren (14).
Klinisch zeigt sich beim Präorgasmuskopfschmerz ein dumpfer Schmerz in Kopf
und Nacken, der sich mit zunehmender Erregung verstärkt. Beim Orgasmuskopfschmerz zeigt sich ein anderes Bild; hier
tritt mit oder kurz vor dem Orgasmus
plötzlich ein starker, explosionsartiger
Kopfschmerz auf. Die Schmerzen sind
hauptsächlich bilateral und okzipital lokalisiert. Der Orgasmuskopfschmerz kommt
ca. fünf Mal häufiger vor als der Präorgasmuskopfschmerz (14). Es gibt genügend
Evidenz, dass der Kopfschmerz bei sexueller Aktivität unabhängig von anderen
Kopfschmerzen auftreten kann, es sich also
um eine eigenständige idiopathische Kopfschmerzentität handelt. Der Kopfschmerz
bei sexueller Aktivität ist unabhängig von
spezifischen sexuellen Praktiken und kann
auch bei der Masturbation auftreten (14).
Dieser Kopfschmerz ist unberechenbar in
seinem Auftreten und entwickelt sich bei
einigen Ereignissen, bei anderen jedoch
nicht, ohne irgendwelche deutliche Veränderung der sexuellen Techniken (17).
Sämtliche Theorien zur Pathophysiologie
des Kopfschmerzes durch sexuelle Aktivität
sind rein spekulativ. Sicherlich handelt es
sich nicht um eine Störung der Blutdruckregulation oder um intrakranielle Blutungen
und auch nicht um eine rein psychosomatische Erkrankung. Frühe Arbeiten postulierten pathophysiologische Zusammenhänge
zwischen dem Präorgasmuskopfschmerz
und dem Kopfschmerz vom Spannungstyp
sowie zwischen dem Orgasmuskopfschmerz
und der Migräne (17). In einer anderen Studie konnte eine Störung der zerebralen Autoregulation für den Orgasmuskopfschmerz
nachgewiesen werden (10). Der Nachweis
einer fehlenden kognitiven Habituation bei
Messung ereigniskorrelierter Potenziale
weist auf pathophysiologische Gemeinsamkeiten zwischen Orgasmuskopfschmerz und
Migräne hin (14). Kürzlich sind Vasospasmen der intrakraniellen Arterien bei dieser
Kopfschmerzform beobachtet worden (29,
31, 32).
Als nicht pharmakologische Maßnahme
ist eine passivere Rolle beim Geschlechtsverkehr ratsam, die bei ca. 50% der Patienten die Kopfschmerzen reduziert (14). Ein
Abbruch der sexuellen Aktivität bei Auftreten erster Symptome kann bei ca. 40% eine
weitere Zunahme der Kopfschmerzattacke
verhindern und ist insbesondere beim Präorgasmuskopfschmerz als Präventionsmaßnahme erfolgreich. Solange ein leichterer Nachschmerz besteht, erscheint das Ri-
siko einer erneuten Kopfschmerzattacke
bei erneuter sexueller Aktivität besonders
hoch, sodass für diesen Zeitraum sexuelle
Inaktivität anzuraten ist (14, 17).
Für Patienten mit länger anhaltenden
Kopfschmerzphasen mit wiederholten Attacken besteht die Indikation für eine medikamentöse Therapie: Diese ist für beide
Subtypen gleich. Das Therapieziel ist die
Vermeidung von Kopfschmerzattacken, da
sich unterschiedliche Schmerzmittel (Paracetamol, Ibuprofen, Acetylsalicylsäure, Diclofenac) in der Akutbehandlung bereits
aufgetretener Attacken in mehr als 90% als
unbefriedigend erwiesen haben (13). Bei
einigen Patienten waren Triptane hilfreich
in der Kupierung der akuten Kopfschmerzen nach dem Orgasmus (12). Bei geplanter sexueller Aktivität kann eine medikamentöse Kurzzeitprophylaxe mit Indometacin durchgeführt werden. Die empfohlene Dosis beträgt 50 bis 100 mg ca. eine
Stunde vor der sexuellen Aktivität. Die Ansprechrate liegt bei über 80% (13, 24). Einzelne Fallberichte beschreiben eine Wirksamkeit von Naratriptan oder von anderen
Triptane (12) als Kurzzeitprophylaktikum.
Für Diazepam und Ergotamin als Kurzzeitprophylaktikum stehen Fallberichten über
positive Therapieerfolge jeweils mehr publizierte negative Erfahrungen gegenüber,
sodass der Einsatz nicht empfohlen werden
kann. Ist eine Langzeitprophylaxe notwendig, ist Propranolol Mittel der ersten Wahl,
für das mehrere größere Fallserien eine
Wirksamkeit gezeigt haben (13). Die empfohlene Dosis beträgt 3 x 20 bis 80 mg pro
Tag, die Ansprechrate liegt bei über 80%.
Diagnostische Kriterien der IHS
4.4 Primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität
4.4.1 Präorgasmuskopfschmerz
•
•
•
A. Dumpfer Schmerz in Kopf und Nacken,
der mit dem Gefühl einer Muskelkontraktion im Nacken und der Kaumuskulatur
einhergeht und das Kriterium B erfüllt.
B.Tritt während sexueller Aktivität auf
und verstärkt sich mit zunehmender
Erregung.
C. Nicht auf eine andere Erkrankung
zurückzuführen
4.4.2 Orgasmuskopfschmerz
•
•
•
A. Plötzlich auftretender starker (explosiver) Kopfschmerz, der das Kriterium B
erfüllt.
B. Kopfschmerz tritt während des
Orgasmus auf.
C.Nicht auf eine andere Erkrankung
zurückzuführen.
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A. Hambach; S. Evers; A. Frese: Sexuelle Aktivität und Kopfschmerzen
Therapieempfehlungen
Behandlung des primären Kopfschmerzes
bei sexueller Aktivität
•
Stufe 1
Patientenedukation
• Information über den harmlosen Charakter des Kopfschmerzes und die sehr gute
Prognose.
• Sexuell inaktiv bleiben während des
Kopfschmerzes und am Tag danach.
• Passive Rolle während der sexuellen Aktivität einnehmen.
Stufe 2
Akuttherapie
• Zumeist nicht notwendig.
Ebenfalls wirksam scheinen die Betablocker Metoprolol und Atenolol zu sein, jedoch sind die Erfahrungen mit diesen Substanzen geringer als mit Propranolol (13).
Jede prophylaktische Therapie sollte nach
ca. 6 bis 8 Wochen probatorisch unterbrochen werden, da spontane Remissionen der
Erkrankung die Regel sind. Nur bei unter
20% der Betroffenen kommt es zu symptomatischen Phasen, die wenige Tage bis
mehrere Jahre lang anhalten und im weiteren Verlauf rezidivieren können; unter 10%
zeigen einen chronischen Verlauf über viele Jahre (13, 28; ▶Kasten Therapieemfehlungen).
Symptomatischer Kopfschmerz
Sexuelle Aktivität ist der Auslöser für eine
SAB in 4 bis 11% der Fälle aller Blutungen,
insbesondere bei älteren Menschen mit arterieller Hypertonie (21–23, 26). Daher
muss in allen Fällen von Kopfschmerz bei
sexueller Aktivität bei der Erstmanifestation der Ausschluss einer SAB mittels CCT
erfolgen. Wenn der CCT-Befund unauffällig ist, ist es notwendig, dass sich eine Lumbalpunktion anschließt. Ist deren Ergebnis
ebenfalls unklar, wird alternativ eine Angiografie durchgeführt. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass in den publizierten Daten eine SAB nur für 3% aller Fälle
von Kopfschmerz bei sexueller Aktivität
Beliebiges Triptan in üblicher Dosierung
oder Indometacin 100 mg.
Kurzzeitprophylaxe
• Indometacin 50 bis 100 mg ca. 30 bis 60
Minuten vor geplanter sexueller Aktivität.
Stufe 3
Prophylaktische Behandlung:
• Propranolol 120 bis 240 mg pro Tag.
• Metoprolol (100 bis 200 mg pro Tag).
oder Diltiazem (180 mg pro Tag), wenn
Propranolol nicht wirkt, nicht vertragen
wird oder kontraindiziert ist.
verantwortlich gewesen ist (32), insgesamt
muss die Wahrscheinlichkeit sogar noch
niedriger angesetzt werden, da eine SAB
häufig noch weitere Symptome als nur den
Kopfschmerz umfasst.
Aber auch andere Erkrankungen können bei sexueller Aktivität auftreten und
sich primär als Kopfschmerz manifestieren.
Hier wären z. B. Formen der epiduralen
Blutung zu nennen (die allerdings in der
wissenschaftlichen Literatur in diesem Zusammenhang nur theoretisch und nicht
anhand von Fallserien beschrieben sind)
und Dissektionen der zervikalen Arterien
(3, 20, 30, 32).
Kopfschmerzbeeinflussung
Literatur
Beim primären Kopfschmerz durch sexuelle Aktivität ist der Geschlechtsverkehr der
Auslösefaktor. Vereinzelt wird in der Literatur beschrieben, dass sexuelle Aktivität
zur Erleichterung der bestehenden Kopfschmerzen beitragen kann oder zur kompletten Linderung (6–8, 15).
Dass sexuelle Aktivität manchmal eher
ein Entlastungsfaktor als ein Krankheitsauslöser für Migräne-Patienten ist, beschreiben Couch und Bearss in einer nicht
komplett veröffentlichten Studie (7). Sie
untersuchten in einer Kopfschmerzklinik
in Illinois/USA die Wirkung eines Orgasmus auf Migräne. In der retrospektiven
Studie gaben 57 von 83 Frauen an, schon
einmal Geschlechtsverkehr während des
Kopfschmerzes gehabt zu haben. Etwa die
Hälfte (47,4%) der Teilnehmerinnen berichtete von Linderung. Davon beschrieben 17,5% eine vollständige Befreiung von
den Kopfschmerzen. Die restlichen 29,9%
hatten eine Erleichterung in Form von geringerer Dauer oder Intensität. Lediglich 3
(5,3%) Patienten gaben eine Verschlechterung ihrer Kopfschmerzen an. Die übrigen
Teilnehmerinnen (49,1%) verspürten insgesamt keine Veränderung. Zuvor hatten
die Autoren schon eine ähnliche Untersuchung mit einer kleineren Stichprobe von
34 Personen durchgeführt (6). Diese ebenfalls inkomplett veröffentlichte Studie unterstützt ihre jüngeren Ergebnisse, da auch
21% der Patienten über eine gewisse Erleichterung nach dem Geschlechtsverkehr
berichteten.
In der Literatur zu diesem Thema finden sich hauptsächlich Beobachtungen von
weiblichen Migräne-Patienten, es wurden
aber auch Fälle von Männern berichtet, so
von einem 52 Jahre alten Mann mit einer
Diagnose von Migräne ohne Aura, dessen
Kopfschmerzen innerhalb weniger Minuten durch einen Orgasmus verschwanden
(8).
Des Weiteren findet vereinzelt in der Literatur Erwähnung, dass Patienten mit
Clusterkopfschmerz eine Linderung ihrer
Attacke erfahren können, wenn sie sexuell
aktiv sind. So wird von einem Mann (61
Jahre) mit Clusterkopfschmerzen berichtet,
dessen Schmerzen 90 bis 150 Minuten andauerten, sich jedoch zum Zeitpunkt des
Orgasmus augenblicklich verbesserten. Ein
weiterer Mann (47 Jahre), der an Clusterkopfschmerzen seit seiner Jugend litt, lernte über die Jahre, dass Geschlechtsverkehr
und Masturbation mit einer sofortigen Linderung des Kopfschmerzes zum Punkt des
Orgasmus verbunden waren (15). Am
Rande erwähnt eine andere Studie einen
Patienten, der männlich ist, an Clusterkopfschmerzen leidet und Linderung in
Geschlechtsverkehr findet (8).
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A. Hambach; S. Evers; A. Frese: Sexuelle Aktivität und Kopfschmerzen
Eigene Daten
In unserer Arbeitsgruppe wurde eine Studie durchgeführt, um den Einfluss sexueller Aktivität auf idiopathische Kopfschmerzen (Migräne, Clusterkopfschmerz) zu
prüfen. Die Aufgabe dieser Untersuchung
war es, zu ermitteln, wer eine Veränderung
erfährt und ob es mögliche Einflussfaktoren gibt, die dies begünstigen. Anhand eines per Post zugestellten Fragebogens (800
Patienten mit Migräne, 200 Patienten mit
Clusterkopfschmerz) wurden anonym Daten erhoben. Insgesamt haben 402 geantwortet, alle Antworten konnten ausgewertet werden. 133 Patienten berichteten davon, während einer Kopfschmerzattacke
wenigstens einmal sexuell aktiv gewesen zu
sein. Eine Dunkelziffer existiert wahrscheinlich aufgrund des Unbehagens, über
intime Details ihrer sexuellen Erfahrung zu
sprechen.
Einige der Befragten, die während ihrer
Kopfschmerzen noch nie sexuell aktiv gewesen sind, erklärten, dass sie in diesem
Zustand gar nicht in der Lage dazu wären;
Migränepatienten z. B. aufgrund von Übelkeit. Dass diese Art der Aktivität trotz der
Kopfschmerzen möglich ist, belegt jedoch
die sehr hohe Anzahl von 103 Patienten
mit Migräne und 30 Patienten mit Clusterkopfschmerz in unserer Untersuchung, die
davon berichtet haben, sexuell aktiv gewesen zu sein. Dies scheint aufgrund der Tatsache, dass Migräne durch körperliche
Routineaktivitäten, z. B. Gehen oder Treppensteigen, verstärkt wird und daher eher
zu deren Vermeidung führt, um keine unnötige Schmerzverstärkung herbei zurufen,
unerwartet.
Unsere Untersuchung zeigte, dass sexuelle Aktivität während der Migräneattacke
in der überwiegenden Zahl der Fälle die
Migräneschmerzen lindern oder den An-
fall beenden konnte. Besonders männliche
Migräne-Patienten verspürten nach der
Aktivität eine Erleichterung ihrer Beschwerden. Im Vergleich fanden 73,3% der
Männer Linderung ihrer Migräne in sexueller Aktivität, jedoch nur 58,0% der Frauen. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit
der Literatur. Die nur anekdotisch erwähnten Informationen über Männer, die Erleichterung ihrer Beschwerden in einem
Orgasmus fanden (8), scheinen somit keine
Einzelfälle zu sein. Die Art der sexuellen
Aktivität hatte in unserer Studie keinen
Einfluss auf die jeweilige Reaktion; dies gaben 79,6% der Migränepatienten und
60,0% der Clusterkopfschmerzpatienten
an. Die Linderung war jedoch an den Orgasmus gebunden.
Warum sexuelle Aktivität nun den einen hilft (ob nun teilweise oder komplett)
und den anderen nicht, kann nur spekuliert werden. Zu den Hypothesen gehören
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A. Hambach; S. Evers; A. Frese: Sexuelle Aktivität und Kopfschmerzen
die Ausschüttung von Endorphinen, die
körperliche Entspannung nach dem Orgasmus und extragenitale Reaktionen wie Beispiel Blutdruckveränderungen. Auch der
Zusammenhang zwischen den hormonellen Reaktionen während der sexuellen Aktivität und den kopfschmerzspezifischen
Hirnregionen (z. B. Hypothalamus, periaquäduktales Grau) wird diskutiert.
In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass in einer Studie festgestellt worden ist, dass das sexuelle Verlangen der Migräne-Patienten ein erhöhtes Niveau hat
(16). Den Grund für die gesteigerte Lust
der Migränepatienten sehen die Forscher
im Neurotransmitter Serotonin. So gilt ein
hoher Serotoninspiegel, der bei Migränepatienten normalerweise nicht vorliegt, als
lusthemmend, da Serotonin antagonistisch
auf Testosteron wirkt (27). Unsere Ergebnisse unterstützen in gewisser Weise diesen
Zusammenhang. Die Ausrede „Nicht heute
Nacht, Schatz, ich habe Kopfschmerzen“
bleibt demnach zwar eine gültige Option,
sich sexueller Aktivität zu entziehen, aber
die Migräne-Patienten werden wahrscheinlich die Letzen sein, die sie benutzen
(16). Und dies ist unserer Meinung nach
nicht nur so, weil sie ein höheres sexuelles
Verlangen haben, sondern auch, weil manche von ihnen Linderung ihrer Beschwerden dadurch erfahren und sie sich ansonsten womöglich einer effektiven, schnell
wirkenden, nicht medikamentösen Therapie entziehen würden.
Der Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und sexueller Aktivität ist natürlich nicht so eindeutig, dass man jedem
Kopfschmerz-Patienten zu „heilsamer sexueller Aktivität“ raten könnte. Da es keine
signifikanten Einflussfaktoren gibt, die einen Vorteil verschaffen, muss jeder Patient
für sich selbst herausfinden, ob sexuelle
Aktivität eine Möglichkeit für ihn ist. Damit er dies jedoch überhaupt in Betracht
zieht, sollte er dementsprechend informiert
sein.
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