Spectrum Die dekorierte Schuppenente

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Semperit F & E
Triester Bundesstraße 26
2632 Wimpassing, Österreich
Die dekorierte Schuppenente
SAMMLUNG
Das unternehmerische Selbstbild der High-Tech-Firma "Semperit Technische
Produkte" - von Najjar & Najjar umgesetzt in eine biomorphe Baufigur. Über
Möglichkeiten und Grenzen der Superzeichen-Architektur.
ARCHITEKTIN
Spectrum
Najjar & Najjar
BAUHERRIN
Semperit Technische Produkte m.b.H.
von Christian Kühn
Dem amerikanischen Architekten Robert Venturi verdankt die Architekturtheorie die
Unterscheidung von Gebäuden in "Enten" und "dekorierte Schuppen". Bei letzteren sind
bauliche Struktur und inhaltliche Aussage klar voneinander getrennt: Dem Schuppen ist ein
Zeichen aufgesetzt, das auf die Bestimmung des Gebäudes verweist, sei es ein
Zunftzeichen, ein klassischer Giebel oder eine monumentale Leuchtwand wie in Las
Vegas. "Enten" sind dagegen Gebäude, deren Form mit der Botschaft verschmolzen ist,
etwa ein Würstelstand in Form einer Wurst oder - Venturis begriffsprägendes Beispiel - ein
Geschäft für Lockenten in Form einer großen Ente. Venturi ging es nicht primär um diese
offensichtlichen Skurrilitäten, sondern darum, die moderne Architektur generell als eine
"Enten-Architektur" zu entlarven.
STATIK
Boll und Partner
ÖRTLICHE BAUAUFSICHT
Proche & Partner KEG
FUNKTION
Forschung
PLANUNGSBEGINN
1999
BAUENDE
2001
MITARBEIT PLANUNG
Tatsächlich war es das erklärte Ziel des Modernismus, Form und Funktion so miteinander
zu verschmelzen, daß die Form als Aussage über die Funktion jedes Gebäudes gelesen
werden kann. Ihre Rechtfertigung suchte diese Art von Funktionalismus nicht zuletzt in der
Natur: Louis Sullivan, jener amerikanische Architekt, von dem die Formel "Form follows
function" stammt, illustrierte seine Behauptung nicht etwa an Hand von Maschinen,
sondern an Hand von Naturphänomenen wie dem Aufbau eines Vogelflügels. Die Idee der
organischen Einheit von Form und Funktion ist zwar grundsätzlich inspirierend, führt in der
Architektur jedoch rasch zu dem Problem, daß die Funktionen von Gebäuden in der Regel
unklar definiert, von widersprüchlichen Interessen verschiedener Nutzergruppen abhängig
und über längere Zeiträume betrachtet so gut wie nie stabil sind. Die funktionalistische
Architektur ist daher dazu verurteilt, mit beachtlichem Aufwand eine nur scheinbare Einheit
von Form und Funktion aufzubauen, eine "Als-ob-", oder, in Venturis Worten, eine
"Enten-Architektur".
Die Postmoderne, zu deren Vätern Venturi zählt, bekannte sich zum "dekorierten
Schuppen" und damit zu einer erneuerten Auffassung von Architektur als Sprache: Die
"Ente" ist - semiotisch ausgedrückt - ein "ikonisches" Zeichen, bei dem der Signifikant (die
Form) bestimmte Merkmale mit dem Signifikat (dem Inhalt) gemeinsam haben muß. Der
"dekorierte Schuppen" ist dagegen als "symbolisches" Zeichen abhängig von erlernten
Bedeutungen und damit offen für jede Art von Sprachspiel, Bedeutungsverschiebung und
Subversion - ein Potential, von dem die Postmoderne so ausgiebig Gebrauch machte, daß
fast zwangsläufig eine Gegenbewegung einsetzen mußte, die im begrifflichen Umfeld von
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Melanie Danner, Wolfgang Ruesch,
Heinrich Büchel
WEITERE KONSULENTiNNEN
Haustechnik-Planung: Scholze,
Stuttgart
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Semperit F & E
Bionik, Blobs und Biomorphismus Projekte und in jüngster Zeit auch vermehrt Gebautes
hervorbringt. Nach den endlosen Sprachspielen von Postmoderne und Dekonstruktion
scheint der biomorphe Blob endlich wieder natürliche Sicherheit in der architektonischen
Formfindung zu versprechen.
Das Forschungs- und Entwicklungsgebäude, das Karim Najjar und Rames Najjar für die
Firma Semperit Technische Produkte in Wimpassing, Niederösterreich, entworfen haben,
ist ein hervorragendes Beispiel für diesen Trend. Semperit Technische Produkte - nicht zu
verwechseln mit der inzwischen eingestellten Reifenproduktion - ist ein höchst
erfolgreiches High-Tech-Unternehmen, das sich mit dem Neubau der Forschungszentrale
ein neues, diesem Image entsprechendes Gesicht geben wollte.
Im Jahr 1999 wurde ein Gutachterverfahren ausgeschrieben, aus dem das Projekt von
Najjar & Najjar, eine röhrenförmige glänzende Struktur, die sich diagonal an die
Grundstücksgrenze vorschiebt, als Sieger hervorging. Die Hülle aus Aluminium schwingt
sich in einer Wellenbewegung zu einer beinahe monumentalen, schräg über zwei
Geschoße angeschnittenen Öffnung zur Bundesstraße hin auf, hinter der ein
Großraumbüro mit eingezogener Galerie liegt. Auf dem oberen Niveau - also innerhalb der
Aluminiumhülle - sind weitere Büros angeordnet. Im fast durchgehend verglasten
Erdgeschoß liegen Laborräume. Eine großzügige zentrale Halle mit Oberlicht verbindet die
Ebenen räumlich miteinander.
Das Gebäude ist eine geglückte Umsetzung eines unternehmerischen Selbstbilds: Die
Perfektion der Oberfläche suggeriert entsprechend hohe Standards der Produktion, die
geschwungene Linienführung verweist auf die Kernkompetenz des Unternehmens
Semperit, die Verformung von Kautschuk und Kunststoffen, die Raumschiffmetapher auf
die globale wirtschaftliche Ausrichtung. Es verwundert also nicht, daß der Vorstand sich im
Wettbewerb für dieses Projekt begeisterte. Daß er diese Begeisterung bis zuletzt
durchgehalten und dem jungen Architektenteam genug Vertrauen auch in der
Umsetzungs-phase entgegengebracht hat, ist dagegen besonders hervorzuheben.
Die Auszeichnung des Gebäudes mit dem diesjährigen "Aluminium Architektur Preis" ist
nicht zuletzt eine Anerkennung für die Konsequenz, mit der hier ein bestimmtes, im ersten
Entwurf vorgestelltes Bild zur Realisierung gebracht wurde.
Bis auf den Wegfall eines Semperit-Logos, das im ersten Entwurf die große Frontöffnung
wie einen Kühlergrill geteilt hätte, scheint das ausgeführte Projekt vom Entwurfsmodell
kaum abzuweichen.
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Daß Najjar & Najjar aber mehr wollten, als nur ein eingängiges Bild zu schaffen, zeigt ein
Blick auf ihre früheren Arbeiten wie etwa die kinematische Skulptur BUG, die sie 1998
beim "steirischen herbst" vorführten: eine beweglich gelagerte Metallrüstung mit Flügeln
aus Aluminium, in deren Innerem der Umriß einer menschlichen Figur zu erkennen war.
Im gesteigerten Pathos dieser Inszenierung manifestierte sich eine Vision von Architektur
als "Natur aus Stahl", die im Semperit-Gebäude genauso angelegt ist. Aber im großen
Maßstab stößt der Versuch, eine solche künstliche Natur zu schaffen, offensichtlich an
seine Grenzen. Organische Einheit zwischen Form und Funktion würde ein Gebäude
voraussetzen, das wirklich dynamisch ist und nicht nur so aussieht. Das Ziel der
biomorphen Architektur, authentischer zu sein als der "dekorierte Schuppen", verkehrt sich
so in sein Gegenteil: Ihre Produkte werden zu aufwendigen Superzeichen, die zwar als
solche höchst erfolgreich sein können, aber dabei ihre eigentliche Intention aufgeben
müssen.
Blob-Architektur wird so lange Als-ob-Architektur bleiben, bis neue Materialien und
Herstellungsverfahren existieren, die eine wirklich dynamische Architektur zulassen. Als
Versuch in diese Richtung hat das Semperit Forschungszentrum jedenfalls Anerkennung
verdient.
Spectrum, 15.06.2002
WEITERE TEXTE
Semperit F & E, Az W, 25.07.2002
Forschen im Silberhai, Aluminium-Fenster-Institut, 21.06.2005
Semperit Forschungszentrum, Andrea Nussbaum, oe1, 18.10.2002
Silberhai mit Bodenhaftung, Der Standard, 06.06.2003
Silberschlauch für Semperit, Ute Woltron, Der Standard, 29.06.2002
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