Merkur verschrumpelte wie ein alter Apfel

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NASA / Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory / Carnegie Institution of Washington
BLICK IN DIE FORSCHUNG: KURZBERICHTE
Dieses Bild von Merkur nahm Messenger mit
seiner Weitwinkelkamera WAC am 2. Oktober
2013 auf. Der Krater nahe der Bildmitte hat
einen Durchmesser von 120 Kilometern.
Merkur verschrumpelte wie ein alter Apfel
Auswertungen von Messdaten der US-Raumsonde Messenger belegen, dass Merkur
nach seiner Entstehung um bis zu 14 Kilometer geschrumpft ist. Dieses Ergebnis
schließt endlich die Lücke zwischen Beobachtungen und theoretischen Modellen.
eit rund 40 Jahren rätseln die Planeten-
S
de passierte in den Jahren 1974 und 1975
Planetenkruste aufgefasst. Ihre Analy-
forscher darüber, wie stark der Planet
den sonnennächsten Planeten dreimal in
se ergab eine Schrumpfung des Merkur-
Merkur seit seiner Entstehung vor rund
geringem Abstand. Auf den Bildern, die
durchmessers zwischen zwei und vier Ki-
4,5 Milliarden Jahren durch das Abkühlen
rund 45 Prozent der Oberfläche abdeck-
lometern.
seines Inneren geschrumpft ist. Die bis-
ten, wurden breite, von Furchen durchzo-
Dies stand jedoch im Widerspruch zu
herigen Arbeiten gehen auf die Bilder der
gene Höhenzüge sowie schluchtenartige
theo­re­ti­schen Modellen, welche die Tem-
US-Raumsonde Mariner 10 zurück, Teil
Formen mit steilen Kanten und flachen
peraturentwicklung simulierten und eine
eines Programms der NASA zur Erkun-
Flanken entdeckt. Sie wurden als geolo-
Verdichtung des Planeten nahelegten. Da-
dung der erdähnlichen Planeten. Die Son-
gische Merkmale für eine Stauchung der
mit war eine Schrumpfung des Durchmes-
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Oktober 2014
STERNE UND WELTRAUM
330° O
(
320° O
Verwerfungen lässt auf eine Stauchung
der Merkuroberfläche schließen. Der linke Teil der Grafik zeigt ein Landschaftspro-
(
Victoria Rupes
fil, bei dem die Höhenunterschiede farblich
gekenn­zeichnet sind. Rechts daneben ist
(
(
V
Ein rund 1700 Kilometer langes System von
die Struktur der Erhöhungen abgebildet.
(( ( (
(
50 ° N
(
Die kleinen Pfeile (farbige Dreiecke) weisen
in die im Höhenprofil abfallende Richtung,
( (
Krater sind durch weiße Kreise markiert.
(
(
(
Auf dem Merkur, mit einem Durch(
( (
messer von rund 4880 Kilometern der
kleinste Planet des Sonnensystems, spie-
(
besonderen geologischen Strukturen wi-
(
(
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(
der. Da im Allgemeinen mit einer signifi-
(
40° N
((
(
(
(
(
(
kanten Abkühlung eine Materialverdich-
(
(
(
(
Endeavour Rupes
((
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E
(
(
der Zeit in einer Volumenabnahme und
(
(
(
ten Planeten nieder. Selbst die Oberfläche
(
bleibt von diesem Prozess nicht verschont
(
und eignet sich daher dafür, Anzeichen
(
(
(
(
(
tung einhergeht, schlägt sie sich im Lauf
folglich in der Kon­trak­tion des gesam-
(
auf Vorgänge im Inneren aufzuspüren.
(
(
bekannt. Tatsächlich wurde noch bis ins
(
Diese Vorgehensweise ist schon lange
(
(
(
(
späte 19. Jahrhundert hinein ein ähnli-
(
(
(
((
tung wurde jedoch schließlich verwor-
(
(
(
(
prominenter geologischer Erscheinungen
auf der Erde herangezogen. Diese Deu-
Antoniadi
Dorsum
(
(
(
A
ches Kontraktionsszenario zur Erklärung
(
30° N
(
fen, weil sie daran scheiterte, eine überzeugende Begründung für die Häufung
charakteristischer Strukturen wie Ge-
(
(
birgszügen entlang der Ränder der Konti-
(
Paul K. Byrne, Carnegie Institution of Washington DC, und Lunar and Planetary Institute, Houston, Texas / SuW-Grafik
(
(
(
gelt sich seine Entwicklungsgeschichte in
nentalplatten zu geben.
-4,1 Höhe in Kilometer 1,6
Dies ist dem globalen Kon­trak­tions­
100 km
mo­dell zufolge nicht zu erwarten. Tat­
säch­lich sagt es faltenähnliche, tektonisch ent­standene Ober­flä­chen­merk­ma­le
sers von mehr als zehn Kilometern ver-
schen Entstehung tendieren die Tempera-
voraus, die eher willkürlich, aber ein­heit­
bunden. Nun zeigen neue Untersuchun-
turen im Inneren der Körper dazu, stetig
lich über der Planetenoberfläche verteilt
gen anhand der Messdaten und Aufnah-
abzunehmen, sofern keine wärmeerzeu-
sind. Sie zeugen somit von einer in alle
men der im Jahr 2004 gestarteten NASA-
genden Vorgänge jener Abkühlung we-
Richtung gleichmäßigen Stauchung. Dies
Raumsonde Messenger, die Merkur als
sentlich entgegenwirken.
gilt insbesondere dann, wenn die äußere
erster künstlicher Satellit seit März 2011
Insbesondere
erzeugen
radioaktive
Kruste des Körpers nur aus einer einzel-
umkreist, dass der Durchmesser des Pla-
Kernzerfälle Wärme, aber auch Gezeiten-
nen zusammenhängenden Plat­te besteht,
neten zwischen 10 und 14 Kilometern ab-
wirkungen können den Wärmehaushalt
wie es bei Merkur der Fall ist. Somit ist
genommen hat (siehe Bild oben).
eines Planeten entscheidend beeinflus-
er ein spannendes Untersuchungsobjekt.
sen. Das erschwert die Modellrechnungen zur Temperaturentwicklung, da das
Der Bote Messenger
Ausmaß der Auswirkungen solcher Pro-
Nun konnte das Team um Paul K. Byrne
Obgleich die Entwicklung der Planeten
zesse schwierig abzuschätzen ist. Auch
von der Carnegie Institution of Washing-
im Sonnensystem noch nicht in allen De-
deshalb wird nach beobachtbaren Anzei-
ton die jahrelang vorherrschenden Un-
tails verstanden ist, herrscht in einem
chen gesucht, die Hinweise auf vergange-
stimmigkeiten zwischen den Beobach-
Punkt schon lange Einigkeit innerhalb
ne Abläufe auf der Oberfläche und inner-
tungen und der Theorie auflösen. Für ih-
der Forschergemeinde: Seit der stürmi-
halb von Planeten liefern können.
re Untersuchung verknüpften die Wis-
Oberfläche
als Spiegelbild der Geschichte
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Oktober 2014
21
senschaftler im visuellen Spektralbereich
strecken sie sich über 416 000 Kilome-
netenkerns. Erkenntnisse darüber sind
aufgenommene Bilder von ­Messenger
ter (siehe Grafik S. 21). Sie sind eindeuti-
nicht nur maßgeblich für unser Ver-
mit topografischen Daten, die mittels ei-
ge Belege für eine drastische Stauchung
ständnis der geologischen Entwicklung
nes mitgeführten lasergestützten Hö-
der Oberfläche seit die Planetenkruste er-
von Merkur, sondern der erdähnlichen
henmessers ermittelt wurden. Mit Hil-
starrte. Insgesamt muss der Durchmes-
Planeten und Exoplaneten insgesamt. Die
fe dieses Verfahrens kartierten sie rund
ser des Planeten um 10 bis 14 Kilometer
Messenger-Daten werden dafür auch in
95 Prozent der Oberfläche mit einer zu-
geschrumpft sein. Die absolute Genau-
Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
vor nicht erreichten Genauigkeit. Im An-
igkeit dieses Ergebnisses lässt sich nicht
schluss durchsuchten sie die so erstellten
exakt bestimmen, da die Unsicherheiten
ADRIAN KAMINSKI hat an der Landesstern-
Karten nach den oben genannten tekto-
der angewandten Methode nur schwer
warte Königstuhl in Heidelberg promoviert.
nischen Strukturmerkmalen, die auf ei-
abzuschätzen sind. Offenbar unterschätz-
Seine Interessensgebiete sind Exoplaneten
ne Kontraktion des Körpers zurückgehen
ten die vorangegangenen Untersuchun-
und die Entwicklung protoplanetarer Schei-
sollten.
gen anhand der Daten von Mariner 10
ben.
Die zahlreichen Funde wurden ihrer
das wahre Ausmaß der Mer­kur­kon­trak­
Form nach in Klassen unterteilt, gezählt
tion. Somit ist die aktuelle, annähernd
und ihre Längen bestimmt. Ihre größ-
komplette Kartierung des Planeten ein
te Aufmerksamkeit schenkte die Arbeits-
beträchtlicher Fortschritt.
gruppe Strukturen wie breiten Höhenzü-
Da sich die neuen Ergebnisse mit den
gen sowie prägnanten Steilhängen. Sie
Modellrechnungen zur Temperaturent-
treten zwar zahlenmäßig überproportio-
wicklung im Planeteninneren decken,
nal häufig in den früher vulkanisch akti-
lässt es sich heute als gesichert ansehen,
ven Regionen der nördlichen Hemisphä-
dass Merkur auf geologischen Zeitskalen
re auf, lassen sich aber auf der gesamten
temperaturbedingt schrumpfte. Um je-
Planetenoberfläche finden.
doch die in der Vergangenheit und Ge-
Drastische Stauchung
genwart wirkenden Abkühlungsmechanismen im Detail zu verstehen, müssen
Ihre abschließenden Schlussfolgerungen
noch einige offene Fragen beantwortet
ziehen die Beteiligten der Studie aus ins-
werden: Unter anderem nach den Vor-
gesamt 5934 dieser geologischen Forma-
kommen an radioaktiven Elementen und
tionen. Ihre Längen betragen zwischen
dem aktuellen Zustand des im Vergleich
9 und 900 Kilometer und zusammen er-
zur Erde enorm großen metallischen Pla-
Literaturhinweise
Byrne, P. K. et al.: Mercury’s Global
Contrac­tion Much Greater than Earlier
Estimates. In: Nature Geoscience 7,
S. 301 – 307, 2014
Dana, J. D.: On Some Results of the
Earth's Contraction from Cooling,
Including a Discussion of the Origin
of Mountains and the Nature of the
Earth's In­terior. In: American Journal of
Science 5, S. 423 – 443, 1873
Wilson, J. T.: Hypothesis of Earth's Behaviour. In: Nature 198, S. 925 – 929, 1963
Strom, R. G. et al.: Tectonism and Volcanism on Mercury. In: Journal of Geophysical Research 80, S. 2478 – 2507, 1975
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