Vorlesungsskript für den Vorkurs Mathematik für Elektrotechniker und Informationstechniker Nach einer Vorlesung von Prof. Dr. Josef F. Dorfmeister an der Technischen Universität München Verfasst von Conrad Donau, überarbeitet und erweitert von Thorsten Knott Stand: 1. Oktober 2012 Inhaltsverzeichnis 1 Vektorgeometrie 1.1 Operationen mit Vektoren . . . . . . . . 1.1.1 Addition von Vektoren . . . . . . 1.1.2 Skalieren von Vektoren . . . . . 1.1.3 Inneres Produkt (Skalarprodukt) 1.2 Orthogonalität . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Orthogonale Zerlegung . . . . . . . . . . 1.4 Winkel zwischen zwei Vektoren . . . . . 1.5 Zwei wichtige Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Geraden und Ebenen 2.1 Geraden in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Dynamische Form . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Allgemeine Form . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Äquivalenz der beiden Formen . . . . . . . 2.2 Geraden und Ebenen im Raum . . . . . . . . . . . 2.2.1 Dynamische Form von Gerade und Ebene . 2.2.2 Gleichungsform einer Ebene . . . . . . . . . 2.3 Verhältnisse von Geraden und Ebenen zueinander . 2.3.1 Parallelität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Schnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und chungen 3.1 Anwendung: Berechnung von Widerständen . . . . . . 3.2 Polynome und rationale Funktionen . . . . . . . . . . 3.3 Polynomdivision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Faktorisierung von Polynomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 4 4 5 6 8 9 10 13 . . . . . . . . . . 14 14 14 15 15 16 16 16 18 19 19 quadratische Glei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 22 25 27 28 4 Grundbegriffe der Mengenlehre 30 4.1 Was ist eine Menge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.2 Mengenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten 35 5.1 Motivation und Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 5.2 Definition der komplexen Zahlen nach Hamilton . . . . . . . . . . . . . . . 36 5.3 Der Körper der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2 Inhaltsverzeichnis 5.4 5.5 Komplexe Konjugation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 6 Abbildungen und Graphen 6.1 Was ist eine Abbildung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Komposition (Verkettung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Eigenschaften von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 44 46 46 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen 7.1 Rechenregeln für Ungleichungen . . . . . . . . 7.2 Lösen von Ungleichungen . . . . . . . . . . . 7.3 Halbebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Exkurs: Abschätzen von Fehlern . . . . . . . 7.5 Verifizieren von Ungleichungen . . . . . . . . 49 49 50 53 55 56 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Vektorgeometrie Vektoren sind Objekte mit einer vorgegebenen Länge und Richtung mit deren Hilfe man z.B. physikalische Kräfte wie die Geschwindigkeit oder Strömungsrichtungen im Raum anschaulich darstellen kann. Mithilfe eines Vektors kann man auch Parallelverschiebungen von Elementen charakterisieren. y −2 3 3 ( 12 ) 2 ( 31 ) 1 −3 −2 −1 1 2 3 x Abbildung 1.1: Drei Vektoren in der Ebene Ein Vektor wird durch seine Koordinaten bestimmt. Dabei besitzen Vektoren aus der 2-dimensionalen Ebene R2 zwei Koordinaten und Vektoren aus dem 3-dimensionale Raum R3 dementsprechend drei Koordinaten. Wir werden im Rahmen dieses Kurses nur mit diesen beiden anschaulichen Räumen arbeiten. Allerdings gelten alle Ergebnisse dieses Kapitels auch für Vektoren aus dem Rn , also dem n-dimensionalem Raum. Nachdem wir nun wissen wie Vektoren aussehen, definieren wir uns ein paar Operationen, um mit ihnen auch rechnen zu können. 1.1 Operationen mit Vektoren 1.1.1 Addition von Vektoren Definition 1.1. Die Addition von zwei Vektoren ~a = ( uv ) und ~b = ( pq ) ist definiert durch ! u + p ~a + ~b := v+q 4 1 Vektorgeometrie y 3 2 b~ 1 ~b ~a + ~a 1 2 3 x 4 Abbildung 1.2: Addition von zwei Vektoren: Die Vektoren ~a und ~b werden zu einem Parallelogramm ergänzt. Der Summenvektor ~a + ~b ist die Diagonale des Parallelogramms, die den Ausgangspunkt der beiden Vektoren mit der gegenüberliegenden Ecke verbindet. Beispiel 1.2. Addiere die Vektoren ~a = ( 12 ) und ~b = ! −3 1 + 4 2 ~a + ~b = ! = −3 4 −2 6 ! Führen Sie zur Übung die Addition graphisch auf einem Blatt Papier durch! 1.1.2 Skalieren von Vektoren y 3 s · ~a 2 ~a 1 1 2 3 4 x Abbildung 1.3: Skalieren eines Vektors: Bei positivem Skalar s behält der Vektor seine Richtung. 5 1 Vektorgeometrie Definition 1.3. Ein Vektor ~a = ( uv ) lässt sich mit einem Skalar s ∈ R multiplizieren: ! s · ~a := s·u s·v Beispiel 1.4. Gegeben sind ~a und ~b wie in (1.2). Berechne ~a − ~b ~a − ~b = ~a + (−1) · ~b ! = 1 −3 + (−1) · 2 4 = 1 3 + 2 −4 = 4 −2 ! ! ! ! 1.1.3 Inneres Produkt (Skalarprodukt) Definition 1.5 (Kanonisches inneres Produkt). Das innere Produkt zweier Vektoren ~a = ( uv ) und ~b = ( pq ) wird definiert durch D E * ~a, ~b = ! p u , q v !+ := u · p + v · q Obwohl sie ähnlich bezeichnet werden, sind das Skalieren von Vektoren und das Skalarprodukt zwei unterschiedliche Operationen, die man nicht verwechseln sollte. Im ersten Fall wird ein Vektor mit einem Skalar multipliziert und man erhält einen Vektor. Beim Skalarprodukt multipliziert man hingegen zwei Vektoren und erhält als Ergebnis einen Skalar. Das Skalarprodukt wird verwendet, um den Winkel zwischen zwei Vektoren zu bestimmen (dazu mehr später). Wir können es aber auch dazu benutzen, um die Länge eines Vektors zu bestimmen. Betrachten wir Abbildung 1.4 genauer, dann sehen wir dass der Vektor mit seinem xund y-Werten ein rechtwinkliges Dreieck bildet. Mit dem Satz des Pythagoras können wir somit die Länge des Vektors berechnen. Es gilt für einen Vektor ~a = ( uv ): (Länge von ~a)2 = u2 + v 2 Was erhalten wir, wenn wir das Skalarprodukt eines Vektors mit sich selbst betrachten? Definition 1.6 (Kanonische Norm). Sei ein Vektor ~a = ( uv ) gegeben, dann lautet die Norm von ~a q p ~a = h~a, ~ai = u2 + v 2 Die Norm von ~a entspricht der Länge des Vektors ~a. Man spricht auch vom Betrag des Vektors ~a. 6 1 Vektorgeometrie y ! 3 u v ~a = 2 v 1 u 1 2 3 x 4 Abbildung 1.4: In diesem rechtwinkligen Dreieck können wir den Satz von Pythagoras verwenden, um die Länge von ~a zu erhalten. Satz 1.7 (Eigenschaften des Skalarprodukts). Seien ~a, ~b und ~c Vektoren und s ∈ R gegeben. Das Skalarprodukt hat folgende Eigenschaften: 1. Linear D E D E s · ~a, ~b = s · ~a, ~b 2. Symmetrisch D E D E ~a, ~b = ~b, ~a 3. Distributiv D E D E D E ~a + ~c, ~b = ~a, ~b + ~c, ~b Beweis. Übung Beispiel 1.8. Gegeben sind ~a und ~b wieder wie in (1.2). Berechne das Skalarprodukt der beiden Vektoren. D * E ~a, ~b = ! 1 −3 , 2 4 !+ = 1 · (−3) + 2 · 4 =5 Beispiel 1.9. Berechne die Länge des Vektors ~b = −3 4 . v* ! !+ u −3 −3 ~ u t , b = 4 = = q √ (−3)2 + 42 25 =5 7 4 1 Vektorgeometrie 1.2 Orthogonalität y ( 12 ) 2 −2 1 1 −2 −1 x 1 Abbildung 1.5: Die Vektoren sind orthogonal. Wie bereits erwähnt, kann mit dem Skalarprodukt der Winkel zwischen zwei Vektoren bestimmt werden. Wir beschäftigen uns vorerst mit dem Fall, das die beiden Vektoren orthogonal (senkrecht) aufeinander stehen. Definition 1.10. Zwei Vektoren ~a und ~b heißen orthogonal oder senkrecht falls gilt D E ~a, ~b = 0 Notation. Sind ~a und ~b orthogonal, so schreibt man auch kürzer ~a ⊥ ~b. Beispiel 1.11. * ⇒ ( 12 ) und −3 4 ! −3 1 , 4 2 !+ = 5 6= 0 sind nicht orthogonal! Beispiel 1.12. * ⇒ ( 12 ) und −2 1 ! !+ 1 −2 , 2 1 =0 sind orthogonal! Bemerkung 1.13. 1. Manchmal ist es nützlich einen Vektor zu transponieren: p q T := p q ! So erhält man eine alternative Schreibweise zum Skalarprodukt: D E ~a, ~b = ~aT ~b 8 1 Vektorgeometrie 2. Im R2 lässt sich zu jedem Vektor ( pq ) ein orthogonaler Vektor als Übung). −q p finden (Beweis 3. Ein Vektor ~a heißt normiert, wenn ~a = 1 gilt. Jeder Vektor ~a 6= 0 kann durch ~a 1 · ~a = ~a ~a normiert werden. Die Richtung des Vektors bleibt dabei erhalten! 1.3 Orthogonale Zerlegung y 4 3 2 ~a w ~ 1 ~ s·b 1 2 3 ~b 4 x Abbildung 1.6: Wir stellen den Vektor ~a durch eine Kombination von ~b und w ~ dar. Jetzt wird es Zeit unser Wissen anzuwenden! Wir möchten einen beliebigen Vektor ~a 6= 0 durch einen anderen Vektor ~b 6= 0 und mit einem zu ~b orthogonalen Vektor w ~ ~ darstellen. Eventuell wird es nötig sein b geeignet zu skalieren (s. Abbildung 1.6). Unsere Ausgangslage ist also, dass wir ~a durch eine Kombination von ~b und w ~ darstellen wollen. In Gleichungsform sieht das so aus: ~a = s~b + w, ~ s ∈ R, ~b⊥w ~ (1.1) Seien ~a und ~b gegeben. Wie muss man s und w ~ wählen, dass ~b und w ~ orthogonal sind? Es soll also D E ~b ⊥ w ~b, w ~ ⇔ ~ =0 (1.2) gelten. Betrachte (1.1) und löse nach dem Unbekannten w ~ auf ⇒w ~ = ~a − s~b 9 (1.3) 1 Vektorgeometrie Eingesetzt in (1.2): D E 0 = ~b, ~a − s~b D E D E = ~b, ~a − s · ~b, ~b (1.4) Wir lösen jetzt nach s auf: D E ~b, ~a ~a 6= ~0, ~b 6= ~0 ⇒ s = D E, ~b, ~b (1.5) Setzen wir s in (1.3) ein, erhalten wir eine Gleichung für w ~ D E ~b, ~a w ~ = ~a − D E ~b ~b, ~b Somit haben wir eine orthogonale Zerlegung von ~a längs ~b gefunden. 1.4 Winkel zwischen zwei Vektoren Möchte man den Winkel zwischen zwei Vektoren angeben, muss man davor präzisieren welchen. Vektoren schließen nämlich zwei Winkel ein. Wir interessieren uns immer für den Kleineren der beiden. ~b ~a φ1 φ2 Abbildung 1.7: Die Vektoren ~a und ~b schließen die Winkel φ1 und φ2 ein. Somit ist für den Winkel zwischen den beiden Vektoren ~a und ~b immer folgende Bedingung erfüllt: 0 ≤ ∠(~a, ~b) ≤ π. Bemerkung 1.14. Wie in der Mathematik üblich verwenden wir zur Winkelmessung im Rahmen dieses Skripts ausschließlich die Einheit Radiant („Bogenmaß“). Siehe dazu auch die Diskussion in ??. 10 1 Vektorgeometrie Satz 1.15. Für den Winkel zwischen zwei Vektoren ~a, ~b ∈ Rn mit ~a, ~b 6= 0 gilt D E ~a, ~b cos ∠(~a, ~b) = ~ ~a · b Beweis. Seien ~a, ~b ∈ Rn . Wir führen eine orthogonale Zerlegung von ~a längs ~b durch und erhalten ein rechtwinkliges Dreieck. Dabei müssen wir zwischen drei Fällen unterscheiden (siehe auch Abbildung 1.8): 1. s > 0: Die zwei Vektoren schließen einen spitzen Winkel ein (0 ≤ α < π2 ). 2. s = 0: Die zwei Vektoren stehen senkrecht aufeinander (α = π2 ). 3. s < 0: Die zwei Vektoren schließen einen stumpfen Winkel ein ( π2 < α ≤ π). ~a ~a ~a α α s~b ~b ~b s~b α̂ α ~b s~b Abbildung 1.8: Die drei möglichen Fälle, die bei einer orthogonalen Zerlegung auftreten können: s > 0, s = 0 und s < 0. Aus der Schule wissen wir, dass für rechtwinklige Dreiecke cos α = Ankathete des Winkels Hypotenuse gilt (wir werden auf trigonometrische Funktionen wie cos, sin oder tan in einem späteren Kapitel weiter eingehen). Nun müssen wir zwischen unseren drei Fällen unterscheiden: 1. Fall: s > 0 ~ sb cos α = = ~a D (1.5) rD E ~b, ~a = D E· ~b, ~b E s~b, s~b rD = |s| ~a ~a rD E D E ~b, ~b ~b, ~a rD E ~b, ~b s>0 = s D ~a E ~a, ~b = ~ = ~ ~a · b ~a · b ~a 11 E ~b, ~b = 1 Vektorgeometrie 2. Fall: s = 0 rD cos α = |s| rD E ~b, ~b s=0 = 0· ~a E ~b, ~b =0 ~a Das ist gleichbedeutend mit α = π2 . 3. Fall: s < 0 In diesem Fall liegt in unserem rechtwinkligen Dreieck nicht α sondern α̂. Allerdings gilt, dass α + α̂ = π bzw. α = π − α̂. Das nutzen wir aus: cos α = cos(π − α̂) = − cos α̂ = rD = −|s| = −(−s) rD = D E· ~b, ~b D E ~b, ~b E ~b, ~a E ~b, ~b s<0 ~a D (1.5) rD E ~b, ~b ~a D = E ~b, ~a = ~ = ~a · b ~a E ~a, ~b = ~ ~a · b Beispiel 1.16. Berechne den Winkel zwischen den Vektoren ~a = ( 12 ) und ~b = 5 5·5 1 = √ ≈ 0, 47 5 π ~ ⇒ ∠(~a, b) ≈ 3 cos ∠(~a, ~b) = √ Bemerkung 1.17. Gleichbedeutend mit ~a ⊥ ~b ist ⇔ Satz 1.14 ⇔ D E ~a, ~b = 0 cos ∠(~a, ~b) = 0 Schule ⇔ ∠(~a, ~b) = 12 π 2 −3 4 1 Vektorgeometrie 1.5 Zwei wichtige Ungleichungen Satz 1.18 (Cauchy-Schwarz’sche Ungleichung). Für alle Vektoren ~a, ~b ∈ Rn gilt D E ~a, ~b ≤ ~a · ~b Die Cauchy-Schwarz-Ungleichung ist ein sehr nützliches Werkzeug, um die Größe eines Skalarprodukts abschätzen zu können. Das erscheint auf den ersten Blick nicht sehr praktisch, spielt aber in vielen Beweisen eine große Rolle. Bei unserer Vorgehensweise folgt Satz 1.18 direkt aus Satz 1.15, denn |cos α| ≤ 1 für alle α. Man kann aber auch umgekehrt vorgehen und Satz 1.18 direkt beweisen und anschließend cos ∠(~a, ~b) durch die Formel aus Satz 1.15 definieren. Eine weitere wichtige Aussage ist, dass eine Dreiecksseite maximal nur so lang sein kann wie die Summe der beiden anderen Seiten. Satz 1.19 (Dreiecksungleichung). Für alle Vektoren ~a, ~b ∈ Rn gilt ~a + ~b ≤ ~a + ~b Beweis. 2 D E D E D E D E ~a + ~b = ~a + ~b, ~a + ~b = h~a, ~ai + ~a, ~b + ~b, ~a + ~b, ~b 2 1.18 2 2 ≤ ~a + ~a ~b + ~b ~a + ~b = ~a + ~b Daraus folgt die Behauptung (siehe dazu auch das Kapitel über Ungleichungen 7). Beispiel 1.20. ! ~a = 1 ~ ,b= 2 ! −3 4 ! 1 + ~a + ~b = 2 ! √ = 40 √ ≤ 5 + 5 = ~a + ~b 13 −3 4 2 Geraden und Ebenen Nun möchten wir mithilfe von Vektoren kompliziertere mathematische Gebilde wie Geraden und Ebenen darstellen. Zuerst betrachten wir den einfachen Fall einer Geraden in R2 . Wir werden später feststellen, dass beim Sprung in höhere Dimensionen (z.B. R3 ) sich viele Konzepte und Ideen wiederholen. 2.1 Geraden in der Ebene 2.1.1 Dynamische Form Rein intuitiv ist eine Gerade ein „Strich in eine Richtung“ und um diesen darzustellen, benötigen wir einen Richtungsvektor ~v 6= 0, der uns anzeigt in welcher Richtung die Gerade verläuft, und einen Aufpunkt x~0 . Dies nennt man die dynamische Form (oft auch „Punkt-Richtungs-Form“) einer Geraden. y 3 ~v x~0 2 1 −3 −2 −1 1 2 3 x Abbildung 2.1: Eine Gerade wird durch einen Aufpunkt x~0 und einen Richtungsvektor ~v bestimmt. Beispiel 2.1. ~x = ! ! | {z } | {z } 1 −1 +t · ,t∈R 2 1 x~0 ~v 14 2 Geraden und Ebenen 2.1.2 Allgemeine Form Man kann Geraden in der Ebene auch mit einer Gleichung darstellen. Ist die Gleichung für (x, y) ∈ R2 erfüllt, so liegt der Punkt (x, y) auf der Geraden. Definition 2.2. Die allgemeine Form einer Geraden in R2 lautet A·x+B·y =C wobei A 6= 0 oder B 6= 0 und C ∈ R. Bemerkung 2.3. Geraden gibt man in der Regel explizit nach einer Variablen aufgelöst an: B C A 6= 0 ⇒ x = − · y + A A A C B 6= 0 ⇒ y = − · x + (2.1) B B C B=0⇒x= A C A=0⇒y= B Die Gleichung (2.1) hat für B 6= 0 die Form g(x) = m · x + b wobei m = − A C ,b= B B Für A 6= 0 erhält man h(y) = k · y + c wobei k = − B C ,c= A A 2.1.3 Äquivalenz der beiden Formen Wir zeigen, dass es für jede Gerade in der dynamischen Form eine Darstellung in der allgemeinen Form gibt (und umgekehrt), d.h. dass die beiden Formen gleichbedeutend sind. Allgemeine Form → Dynamische Form Wir betrachten zunächst eine Gerade, die durch die Gleichung y = m · x + b gegeben ist und möchten sie in dynamischer Form darstellen. Dazu benötigen wir die Hilfsgleichung x = x und formen dann um: x=x ) y =m·x+b ⇔ x y ! ! = x m·x+b | {z } ~ x ! ! | {z } | {z } 1 0 = |{z} x · + m b t ~v x~0 Somit haben wir eine dynamische Form der Geraden gefunden. Hat man eine Gerade der Form x = k · y + c, benötigt man als Hilfsgleichung y = y und geht analog vor (Versuchen Sie das als Übung!). 15 2 Geraden und Ebenen Dynamische Form → Allgemeine Form Nun suchen wir zur gegebenen dynamischen Form einer Geraden ~x = x~0 + t · ~v eine Gleichungsform. Dazu benötigen wir einen Vektor ~n 6= 0 mit ~n ⊥ ~v . Man nennt ~n einen Normalenvektor zu ~v . Hat ~v die Form ~v = ( pq ) ist nach Bemerkung 1.13 der Vektor orthogonal zu ~v . Betrachte nun: ~n = −q p D h~n, ~xi = ~n, x~0 + t · ~v D E D E E = ~n, x~0 + h~n, t · ~v i = ~n, x~0 +t · h~n, ~v i | {z } | {z } =C =0 Andererseits gilt auch h~n, ~xi = −q · x + p · y und somit ergibt sich die allgemeine Form −q · x + p · y = C für die Gerade. Beachte: Da ~v 6= 0 gilt q 6= 0 oder p 6= 0. 2.2 Geraden und Ebenen im Raum Definition 2.4. Man nennt zwei Vektoren ~a und ~b kollinear, falls ein t ∈ R\{0} existiert, so dass ~a = t · ~b. Notation. Zur Erinnerung: R \ {0} bedeutet alle Zahlen aus R bis auf 0. 2.2.1 Dynamische Form von Gerade und Ebene Sind zwei Vektoren kollinear, dann haben beide dieselbe (bzw. bei t < 0 die entgegengesetzte) Richtung. Geraden und Ebenen lassen sich im Raum mit der dynamischen Form einfach darstellen: Gerade ~x = x~0 + t · ~v ~v 6= 0 Ebene ~x = x~0 + t · ~a + s · ~b ~a, ~b 6= 0 und nicht kollinear, s, t ∈ R Die dynamische Form von Geraden und Ebenen ist auch im Rn gültig. 2.2.2 Gleichungsform einer Ebene Definition 2.5 (Kreuzprodukt). Seien zwei Vektoren ~a, ~b ∈ R3 . So ist für ~a = ~b = b1 b2 b3 das Kreuzprodukt definiert durch a2 · b3 − a3 · b2 ~a × ~b := a3 · b1 − a1 · b3 a1 · b2 − a2 · b1 16 a1 a2 a3 und 2 Geraden und Ebenen Satz 2.6. Seien zwei Vektoren ~a, ~b ∈ R3 gegeben. Dann gilt für ~n = ~a × ~b ~n ⊥ ~a und ~n ⊥ ~b Sind ~a und ~b nicht kollinear, so gilt ~n 6= 0. Mithilfe dieses Satzes können wir uns aus der dynamischen Form eine Gleichungsform (die sogenannte „Normalenform“) herleiten, indem wir eine Normale der Ebene bestimmen, d.h. einen zur Ebene senkrecht stehenden Vektor. Sei die Ebene in der dynamischen Form gegeben ~x = x~0 + t · ~a + s · ~b Dann gilt für ~n = ~a × ~b D E h~n, ~xi = ~n, x~0 + t · ~a + s · ~b D E D E = ~n, x~0 + t · h~n, ~ai +s · ~n, ~b | {z } =0 D = ~n, x~0 | {z } =0 E = n1 · x + n2 · y + n3 · z =c Die Gleichungsform für eine Ebene im Raum lautet n1 · x + n2 · y + n3 · z = c wobei zumindest n1 6= 0 oder n2 6= 0 oder n3 6= 0, da bei einer Ebene die Richtungsvektoren ~a und ~b nicht kollinear sind und somit ~n 6= 0 gilt. Allgemeine Form → Dynamische Form Dass für eine beliebige allgemeine Form u·x+v·y+w·z =c immer eine dynamische Form existiert, lässt sich mit folgender Überlegung zeigen (siehe Abbildung 2.2): Wir bestimmen drei Punkte x~0 , x~1 , x~2 die auf der Ebene liegen (d.h. die Gleichung muss für diese drei Punkte erfüllt sein). Wir berechnen mit ~a := x~1 − x~0 und ~b := x~2 − x~0 die Richtungsvektoren für die dynamische Form. Sind die Richtungsvektoren kollinear, müssen wir einen der Punkte verändern. Mit ~x = x~0 + t · ~a + s · ~b ist dann eine dynamische Form der ursprünglich in allgemeiner Form gegebenen Ebene. Sehen wir uns dazu ein Beispiel an: 17 2 Geraden und Ebenen x~0 ~a ~b x~2 x~1 0 Abbildung 2.2: Konstruktion der dynamischen Form Beispiel 2.7. Bestimme eine dynamische Form von 1·x+2·y+3·z =4 Zuerst benötigen wir drei Punkte auf der Ebene: x~0 : x~1 : x~2 : x = 0, y = 2, z = 0 4 x = 0, y = 0, z = 3 x = 4, y = 0, z = 0 Bestimme die Richtungsvektoren ~a, ~b 0 0 0 ~a = x~1 − x~0 = 0 − 2 = −2 4 4 0 3 3 4 0 4 ~b = x~2 − x~0 = −2 2 0 = − 0 0 0 Die Vektoren ~a und ~b sind nicht kollinear. Die dynamische Form lautet 0 0 4 ~x = 2 + t · −2 + s · −2 4 0 0 3 2.3 Verhältnisse von Geraden und Ebenen zueinander Geraden in der Ebene sind entweder parallel, identisch oder haben einen Schnittpunkt. Geraden im Raum können auch windschief sein, d.h. sie besitzen keinen Schnittpunkt, sind aber auch nicht parallel. Betrachten wir zwei verschiedenen Ebenen, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie sie zueinander stehen können: 18 2 Geraden und Ebenen 1. Sie sind identisch 2. Sie sind parallel 3. Sie schneiden sich in einer Geraden „Windschiefe Ebenen“ gibt es im Raum R3 nicht. 2.3.1 Parallelität Wenn wir Geraden oder Ebenen auf Parallelität untersuchen möchten, so kommt es uns einzig auf ihre Richtungsvektoren an, denn sind zwei Objekte parallel, dann bleiben sie auch dann parallel wenn eines davon verschoben wird. Identische Geraden sind folglich nur ein Spezialfall von parallelen Geraden. Hier sind die Richtungsvektoren gleich und zusätzlich befinden sich beide Aufpunkte auf beiden Geraden. Das motiviert die folgenden Definitionen: Definition 2.8 (Parallelität von Geraden). Zwei Geraden nennt man parallel, wenn deren Richtungsvektoren v1 und v2 kollinear sind. Definition 2.9 (Parallelität von Gerade und Ebene). Eine Gerade ist zu einer Ebene parallel, wenn sich der Richtungsvektor der Geraden aus den Richtungsvektoren der Ebene zusammensetzen lässt, d.h. ~v = t0 · ~a + s0 · ~b gilt. Definition 2.10 (Parallelität von Ebenen). Zwei Ebenen heißen parallel, wenn ihre Normalen kollinear sind. Bemerkung 2.11. Bei der Parallelität von Ebenen könnten wir auch die Richtungsvektoren betrachten und überprüfen, ob die Richtungsvektoren einer Ebene parallel zur anderen Ebene sind. 2.3.2 Schnitte Gerade - Gerade ~ = x~0 + t · ~v und g1 : X ~ = y~0 + s · w Sind zwei nicht parallele Geraden g0 : X ~ gegeben, so bestimmt man ihren Schnittpunkt durch x~0 + t · ~v = y~0 + s · w ~ für eine gewisse Wahl von t und s. Für nicht parallele Geraden gibt es entweder keine oder genau eine Lösung dieses Gleichungssystems, je nachdem ob die Geraden entweder keinen oder genau einen Schnittpunkt haben. 19 2 Geraden und Ebenen Beispiel 2.12. Bestimme den Schnittpunkt von 1 1 ~ = 2 + t · g0 : X 0 −1 3 −1 0 ~ = g1 : X 1 + s · 1 −1 1 Wir setzen die beiden Geraden gleich: −1 0 1 1 2 + t · 0 = 1 + s · 1 −1 1 −1 3 Das ergibt folgende Gleichungen: 1 + t = − s 2 = 1 + s 3 − t = 1 − s (1) (2) (3) Wir lösen das Gleichungssystem: Aus (2): Eingesetzt in (1): Test in (3): s = 1 t = −2 3 − (−2) = 1 − 1 Widerspruch! Also hat das Gleichungssystem keine Lösung und die beiden Geraden schneiden sich nicht. Da die Richungsvektoren auch nicht kollinear sind, müssen die Geraden windschief sein. Gerade - Ebene ~ = x~0 +t·~a +s·~b mit einer Geraden g0 : X ~ = y~0 +r· w Der Schnittpunkt einer Ebene E : X ~ wird ähnlich berechnet wie der Schnitt zweier Geraden: x~0 + t · ~a + s · ~b = y~0 + r · w ~ Ist die Gerade nicht parallel zu der Ebene, so haben beide immer genau einen Schnittpunkt. Ebene - Ebene Sind zwei nicht parallele Ebenen E1 und E2 im Raum gegeben, so haben diese eine Schnittgerade. Um die Schnittgerade zu bestimmen, benötigen wir einen Richtungsvektor und einen Aufpunkt. Da die Schnittgerade auf beiden Ebenen liegt, muss ihr 20 2 Geraden und Ebenen Richtungsvektor auch auf beiden Normalenvektoren der Ebenen senkrecht stehen. Eine Operation, die uns einen solchen Vektor bestimmt, haben wir bereits kennengelernt: Das Kreuzprodukt. Damit ist mit den Normalenvektoren n1 und n2 ~v := n~1 × n~2 ein Richtungsvektor der Schnittgerade gegeben. Den Aufpunkt müssen wir „erraten“. Wie das geht sehen wir im folgenden Beispiel: Beispiel 2.13. Bestimme die Schnittgerade von E1 : x − y 1 mit n~1 = −1 1 1 mit n~2 = 2 1 + z = 1 E2 : x + 2 · y + z = 3 Wir bestimmen den Richtungsvektor −3 ~v = n~1 × n~2 = 0 3 Den Aufpunkt berechnen wir, indem wir eine Koordinate festlegen, z.B. x = 0, und das daraus resultierende Gleichungssystem lösen: (1) −y + z = 1 (2) 2·y+z =3 2 · (1) + (2) ergibt −2y + 2y + 2z + z = 3 + 2 3z = 5 Also z = 35 . Das setzen wir in (1) ein, um y zu erhalten: −y + 5 =1 3 ⇒ y= 2 3 Damit ergibt sich die Schnittgerade: ~ = x~0 + s · ~v g: X −3 = 23 + s · 0 5 3 3 0 Bemerkung 2.14. Ähnlich wie bei den vorangehenden Aufgaben kann man die Schnittgerade auch durch Lösen eines Gleichungssystems erhalten ohne den Richtungsvektor mit dem Kreuzprodukt zu berechnen. 21 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und quadratische Gleichungen In den vorhergehenden Kapiteln haben wir bereits mit Brüchen gerechnet. Halten wir noch einmal kurz die Rechenregeln fest. Definition 3.1 (Rechenregeln für Brüche). Seien a, c ∈ R und b, d ∈ R\{0}. 1. Addition: a c ad + cb + = b d bd 2. Multiplikation: ac a c · = b d bd 3. Division: a b c d = ad bc Nachdem das Grundlegende geklärt ist, wollen wir uns nun mit ein paar Anwendungen beschäftigen. 3.1 Anwendung: Berechnung von Widerständen R1 R2 Abbildung 3.1: Zwei Widerstände in einem Stromkreislauf. Für den Gesamtwiderstand R bei einer Parallelschaltung von zwei Widerständen gilt: 1 1 1 = + R R1 R2 22 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und quadratische Gleichungen Beispiel 3.2 (Ein einfaches Beispiel). Angenommen R1 = 25 und R2 = 50, dann gilt für den Gesamtwiderstand R: 1 1 1 6 1 = + = = 100 R 25 50 100 6 Also ist R = 100 6 ≈ 16, 7. Beispiel 3.3. In Serie geschaltete Widerstände summieren sich. Berechnen Sie den Gesamtwiderstand der Schaltung auf dem Bild. B 3 2 1 2 A 1. Gesamtwiderstand im linken Ast: Rlinks = 1 2. Gesamtwiderstand im rechten Ast: Rrechts = 2 + 3 2 = 7 2 Damit ergibt sich insgesamt: 9 1 1 1 = + 7 = R 1 7 2 ⇒ R= 7 9 Beispiel 3.4. Angenommen der Gesamtwiderstand darf höchstens 13 betragen. Wie kann man dann R1 und R2 wählen? R ≤ 13 ⇔ 1 1 ≤ 13 R Somit gilt: ⇒ ⇔ ⇔ ⇔ 1 1 1 + = R1 R2 R 1 1 1 + ≥ R1 R2 13 1 R2 + R1 ≥ R1 R2 13 1 R2 1 − R1 ≥ −R1 13 1 R2 R1 − 1 ≤ R1 13 23 | · R1 R2 | · (−1) 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und quadratische Gleichungen 1. Fall: 1 13 R1 − 1 > 0 ⇔ R1 > 13 ⇒ ⇔ 2. Fall: 1 13 R1 1 13 R1 1 13R1 R1 − 13 ⇔ R2 ≤ R1 1 13 R1 − − 1 < 0 ⇔ R1 < 13 ⇒ 3. Fall: R2 ≤ R2 ≥ R2 ≥ R1 1 13 R1 − 1 13R1 R1 − 13 − 1 = 0 ⇔ R1 = 13 ⇒ ⇔ 1 ≥0 R2 R2 > 0 Nun haben wir Schranken für R2 in Abhängigkeit von R1 . Da Widerstände nicht negativ sein können, gilt außerdem R1 > 0 und R2 > 0. In Abbildung 3.2 sind die möglichen Kombinationen der Widerstände veranschaulicht. R2 150 100 50 13 0 10 13 15 R1 −50 Abbildung 3.2: Der blaue Bereich zeigt einen Ausschnitt der möglichen Kombinationen von R1 und R2 an. Die Fläche geht nach rechts und oben weiter. 24 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und quadratische Gleichungen 3.2 Polynome und rationale Funktionen Definition 3.5 (Polynom). Seien die Koeffizienten p0 , p1 , . . . , pn ∈ R gegeben. Ein Polynom ist eine Funktion, die sich in der Form p(x) = p0 + p1 x + p2 x2 + · · · + pn xn . darstellen lässt. Ist pi = 0 für alle i ∈ N0 = N ∪ {0}, so nennt man p(x) das Nullpolynom. Die höchste vorkommende Potenz n bei der pn 6= 0 ist, nennt man den Grad des Polynoms. Damit hat jedes Polynom p(x) = p0 mit p0 6= 0 den Grad 0. Das Nullpolynom hat keinen Grad. 1. Polynom zweiten Grades: Beispiel 3.6. p(x) = 2 + 3x + 4x2 2. Polynom vierten Grades: p(x) = −1 + √ 2x + x4 − x3 Dieses Beispiel zeigt, dass die Reihenfolge der einzelnen Summanden keinen Einfluss auf den Grad des Polynoms hat. Definition 3.7 (Rechenregeln für Polynome). Es seien p(x) = p0 + p1 x + · · · + pn xm und q(x) = q0 + q1 x + · · · + qn xn zwei Polynome vom Grad m ∈ N0 bzw. n ∈ N0 . Weiter sei λ ∈ R. 1. Addition: p(x) + q(x) = p0 + p1 x + · · · + pm xm + q0 + q1 x + · · · + qn xn = = (p0 + q0 ) + (p1 + q1 )x + · · · + (pm + qm )xm + qm+1 xm+1 + · · · qn xn , falls m < n. Für den Fall m ≤ n entsprechend. 2. Skalierung: λp(x) = λp0 + λp1 x + · · · + λpm xm 3. Multiplikation p(x) · q(x) = (p0 + p1 x + · · · + pm xm ) (q0 + q1 x + · · · + qn xn ) = = p0 q0 + (p0 q1 + p1 q0 ) x + (p0 q2 + p1 q1 + p2 q0 ) x2 + · · · + (pm qn ) xm+n Die Summe zweier Polynome p, q vom Grad m ∈ N0 bzw. n ∈ N0 ergibt also ein Polynom vom Grad ≤ Maximum{m, n}. Das Produkt pq ist ein Polynom vom Grad m + n. Die Skalierung mit einer reellen Zahl λ 6= 0 kann auch als Produkt mit einem Polynom vom Grad 0 betrachtet werden. 25 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und quadratische Gleichungen Definition 3.8 (Rationale Funktion). Sind p und q 6= 0 zwei Polynome, so nennt man R(x) = p(x) q(x) eine rationale Funktion. Die Menge D(R) = {x : q(x) 6= 0} nennt man den („natürlichen“) Definitionsbereich von R. Beispiel 3.9. Besipiele für Definitonsbereiche von rationalen Funktionen sind 1. R1 (x) = x3 − 1 x2 + 1 ⇒ D(R) = R 2. R2 (x) = x3 − 1 x2 − 1 ⇒ D(R) = R \ {±1} 3. Im vorigen Beispiel kann man schreiben R2 (x) = (x − 1)(x2 + x + 1) x3 − 1 = x2 − 1 (x − 1)(x + 1) Betrachtet man also die rationale Funktion R̂2 (x) = x2 + x + 1 x+1 mit dem Definitionsbereich D(R̂2 ) = R \ {−1}, so sieht man sofort, dass für alle x ∈ D(R2 ) gilt R2 (x) = R̂2 (x). Aus diesem Grund nennt man die Funktion R̂2 (x) auch eine Fortsetzung von R2 (x). Für rationale Funktionen gelten dieselben Rechenregeln wie für Brüche: Definition 3.10 (Rechenregeln für rationale Funktionen). Seien p, q, u, v Polynome, wobei q, v 6= 0. 1. Addition: p(x) u(x) p(x)v(x) + u(x)q(x) + = q(x) v(x) q(x)v(x) 2. Multiplikation: p(x) u(x) p(x)u(x) · = q(x) v(x) q(x)v(x) 3. Division: p(x) q(x) u(x) v(x) = 26 p(x)v(x) q(x)u(x) 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und quadratische Gleichungen 3.3 Polynomdivision Eine wichtige Technik beim Umgang mit Polynomen ist die Polynomdivision. Ähnlich wie in der Schule bei der Division von Zahlen mit Rest werden hier statt zweier Zahlen zwei Polynome dividiert. Als Ergebnis entstehen wieder zwei Polynome – der Ganzteil und der Rest der Division. Nach und nach zieht man vom Dividenden passende Vielfache des Divisors ab. Dazu wird in jedem Schritt derjenige Summand des Restes eliminiert, bei dem x in der höchsten Potenz steht. Beispiel 3.11 (Polynomdivision). Sehen wir uns ein paar Beispiele an: 1. Wir möchten p(x) = x2 − 1 durch q(x) = x + 1 dividieren. Beobachtung: p ist ein Polynom zweiten Grades. Im ersten Schritt der Division multiplizieren wir q mit x, damit bei der Subtraktion p̂ = p(x)−xq(x) sich der Grad des Polynoms p̂ verringert (wir subtrahieren x2 −x2 ). Nun fahren wir mit p̂(x) q(x) fort. Diese Schritte wiederholen wir solange bis der Grad von q größer ist als der Grad des Restpolynoms. x2 −1 : x+1 =x−1 − x2 − x −x−1 x+1 0 2. x3 + 2x2 − 5x − 6 : x − 2 = x2 + 4x + 3 − x3 + 2x2 4x2 − 5x − 4x2 + 8x 3x − 6 − 3x + 6 0 3. 3x5 + 2x4 − x3 − 3x5 − 3x3 + x + 1 : x2 + 1 = 3x3 + 2x2 − 4x − 2 + 2x4 − 4x3 − 2x4 − 2x2 − 4x3 − 2x2 + x 4x3 + 4x − 2x2 + 5x + 1 2x2 +2 5x + 3 27 5x + 3 x2 + 1 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und quadratische Gleichungen 3.4 Faktorisierung von Polynomen Analog zur Primzahlenzerlegung lassen sich auch Polynome in einzelne Faktoren zerlegen. Wir nennen das die Faktorisierung eines Polynoms. Betrachten wir z.B. das Polynom x2 − 1, so lautet dessen Zerlegung (wegen Beispiel 3.11): x2 − 1 = (x + 1)(x − 1) An diesem Beispiel sieht man, dass man dank der Faktorisierung schnell auf die Nullstellen des Polynoms schließen kann (hier x1 = 1 und x2 = −1). Ist eine Nullstelle bekannt, so können wir durch Polynomdivision eine Teilfaktorisierung erhalten. Betrachten wir dazu das folgende Beispiel: Beispiel 3.12. Gegen sei das folgende Polynom: p(x) = x4 + 2x3 + 4x2 − 2x − 5 1. Finden Sie eine Nullstelle von p. Betrachte: p(1) = 1 + 2 + 4 − 2 − 5 = 0 Also ist x1 = 1 eine Nullstelle. 2. Polynomdivision: x4 + 2x3 + 4x2 − 2x − 5 : x − 1 = x3 + 3x2 + 7x + 5 − x4 + x3 3x3 + 4x2 − 3x3 + 3x2 7x2 − 2x − 7x2 + 7x 5x − 5 − 5x + 5 0 3. Wir können also schreiben: p(x) = x4 + 2x3 + 4x2 − 2x − 5 = (x − 1)(x3 + 3x2 + 7x + 5) Nun können wir mit dem neuen Restpolynom p̃(x) = x3 + 3x2 + 7x + 5 fortfahren: 1. Finden Sie eine Nullstelle von p̃. Betrachte: p̃(−1) = −1 + 3 − 7 + 5 = 0 Also ist x2 = −1 eine Nullstelle. 28 3 Rechnen mit Polynomen und rationalen Ausdrücken und quadratische Gleichungen 2. Polynomdivision: x3 + 3x2 + 7x + 5 : x + 1 = x2 + 2x + 5 − x3 − x2 2x2 + 7x − 2x2 − 2x 5x + 5 − 5x − 5 0 3. Wir können also schreiben: p̃ = (x + 1)(x2 + 2x + 5) Jetzt können wir versuchen p̃˜(x) = x2 + 2x + 5 = 0 mit der aus der Schule bekannten „Mitternachtsformel“ zu zerlegen: x3/4 = p 1 −2 ± 22 − 4 · 5 2 Da die Diskriminante D = 22 − 4 · 5 < 0 ist, hat das Polynom keine weiteren reellen Nullstellen (wohl aber komplexe, dazu später mehr!) und wir haben die optimale Faktorisierung mit reellen Zahlen erreicht: p(x) = (x − 1)p̃ = (x − 1)(x + 1)(x2 + 2x + 5) Bemerkung 3.13 (Allgemeine Bemerkung zur Faktorisierung). Sei p(x) ein Polynom mit reellen Koeffizienten und sei der höchste Koeffizient = 1, dann existiert eine Darstellung von p der Form p(x) = (x − a1 ) · . . . · (x − an ) · (x2 + b1 x + c1 ) · (x2 + b2 x + c2 ) · . . . · (x2 + bk x + ck ) mit: b2j − 4cj < 0 aj , b j , c j ∈ R und dem Grad r + 2k. 29 4 Grundbegriffe der Mengenlehre 4.1 Was ist eine Menge? Definition 4.1 (Naive Definition einer Menge). Eine Menge ist die Zusammenfassung bestimmter wohl unterschiedener Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen.1 Für eine präzisere Definition ist eine Logikvorlesung zu empfehlen. Uns interessiert in diesem Rahmen die Anwendung: Wie können Mengen aussehen? Was für Operationen können wir mit Mengen ausführen? Beispiel 4.2. Einige einfache Beispiele für Mengen: • {x : x ist Student an der TU München} • {x : x ist eine griechische 1 Euro Münze} • {x : x ist eine türkische 1 Euro Münze} = ∅, d.h. diese Menge ist leer (es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine türkischen 1 Euro Münzen). • {x : x ∈ R, −2 ≤ x ≤ 17} Definition 4.3 (Inklusion von Mengen). Seien A, B Mengen. Wenn jeder Punkt von A auch ein Punkt von B ist, so schreibt man A ⊆ B (sprich: „A ist eine Teilmenge von B“). B A Abbildung 4.1: A ist Teilmenge von B (A ⊆ B) 1 Georg Cantor: Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre. In: Mathematische Annalen 46 (1895), S. 31. 30 4 Grundbegriffe der Mengenlehre Bemerkung 4.4. Häufig wird statt ⊆ einfach nur ⊂ geschrieben. Wenn man ausdrücken möchte, dass A eine Teilmenge von B aber verschieden von B ist, so schreibt man A ( B. Beispiel 4.5. {x : x ∈ R, −2 ≤ x ≤ 17} ⊆ R Zwei Mengen heißen gleich, wenn beide Mengen Teilmengen voneinander sind. Mathematisch schreibt man das so: Definition 4.6 (Mengengleichheit). A = B ⇔ (A ⊆ B und B ⊆ A) 4.2 Mengenoperationen Nachdem wir gesehen haben, wie Mengen aussehen können und in welchem Verhältnis sie stehen können, wollen wir im Folgenden einige Operationen betrachten. Seien A, B jeweils zwei beliebige Mengen. Definition 4.7 (Durchschnitt). A ∩ B := {x : x ∈ A und x ∈ B} A A∩B B Abbildung 4.2: Schnitt von zwei Mengen A und B. Beispiel 4.8. A = {x : x ist eine blonde Frau}, B = {x : x ist ein Mensch, der schwimmen kann} A ∩ B = {x : x ist eine blonde Frau, die schwimmen kann} Beispiel 4.9. A = R, B = {x ∈ C : |x| ≤ 1} A ∩ B = [−1; 1] Definition 4.10 (Vereinigung). A ∪ B := {x : x ∈ A oder x ∈ B} Mit Durchschnitt und Vereinigung von Mengen kann man „rechnen“. Eine wichtige Rechenregel in diesem Zusammenhang ist das Distributivgesetz für Mengen: A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C) Beispiel 4.11. A = {x : x fährt einen Polo}, B = {x : x trägt einen blauen Pullover}, C = {x : x hat schwarze Haare} 31 4 Grundbegriffe der Mengenlehre A A∪B B Abbildung 4.3: Vereinigung von zwei Mengen A und B. • A ∩ (B ∪ C) = {x : x fährt einen Polo} und {x trägt einen blauen Pullover oder hat schwarze Haare} • (A ∩ B) ∪ (A ∩ C) = {x : x fährt einen Polo und trägt einen blauen Pullover} oder {x : x fährt einen Polo und hat schwarze Haare} Laut Distributivgesetz sind die rechten Seiten gleich. Überlegen Sie sich selber, ob die beiden Aussagen übereinstimmen! Oft interessieren uns auch alle Elemente, die nicht in einer Menge A enthalten sind. Aus diesen Elementen können wir wiederrum eine Menge erstellen, das Komplement von A. Um das Komplement definieren zu können, müssen wir wissen, wie die „Gesamtheit“ aller Elemente aussieht, d.h. wir müssen alle Elemente über die wir reden wollen kennen. Wir nennen diese Gesamtheit Ω. Ω A CΩ A Abbildung 4.4: Komplement von A in Ω. Definition 4.12 (Komplement). Sei A ⊆ Ω, dann definiert CΩ A := {x ∈ Ω : x ∈ / A} das Komplement von A in Ω. Wenn uns die Punkte interessieren, die in einer Menge A, aber nicht in einer Menge B sind, müssen wir deren „Differenz“ bilden. Definition 4.13 (Differenzmenge). Seien A, B ⊆ Ω, dann gilt: A\B = {x ∈ A : x ∈ / B} = A ∩ CΩ B 32 4 Grundbegriffe der Mengenlehre A A\B B Abbildung 4.5: „A ohne B“. Bemerkung 4.14. Wenn Ω klar ist, können wir auch kürzer schreiben: CΩ A = AC Beispiel 4.15. Können Sie sich die folgenden Mengen vorstellen? 1. A = C, B = {0}, A \ B = C \ {0} 2. A = R2 , B = {x ∈ R2 : kxk ≤ 1} A\B = {x ∈ R2 : kxk > 1} Die letzte Mengenoperation, die wir uns anschauen wollen, ist das Produkt von Mengen. Definition 4.16 (Mengenprodukt). Seien A, B Mengen, dann heißt A × B := {(a, b) : a ∈ A, b ∈ B} das Produkt von A und B. Dabei bezeichnet (a, b) das in dieser Reihenfolge angeordnete Paar der Punkte a, b. Beim Produkt zweier Mengen betrachten wir alle möglichen angeordneten Paare von Punkten zweier Mengen und fassen diese in einer Menge zusammen. Beispiel 4.17. 1. A = alle Gänse, B = R A × B = {(a, b) : a ist eine Gans, b ∈ R} 2. A = {0, 1}, B = {x, q, z} A × B = {(0, x), (0, q), (0, z), (1, x), (1, q), (1, z)} 3. A = B = R A×B =R×R = {(a, b) : a ∈ R, b ∈ R} = R2 33 4 Grundbegriffe der Mengenlehre B 1 2 A −1 A×B −2 Abbildung 4.6: Der gepunktete Rand gehört nicht zu A × B. 4. A = [1, 2], B =] − 2, −1[ A × B = [1, 2] × ] − 2, −1[ = {(a, b) : 1 ≤ a ≤ 2, −2 < b < −1} Abbildung 4.6 veranschaulicht die Menge. 34 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten 5.1 Motivation und Definition Die Idee der komplexen Zahlen ist es, eine neue Zahl i einzuführen so, dass z 2 + 1 = 0 mit dieser neuen Zahl lösbar ist. Damit muss für i gelten: i · i = −1 ⇔ i2 = −1 Diese neue Zahl i ist natürlich keine reelle Zahl (ist also nicht in R enthalten), weil das Quadrat einer reellen Zahl nie negativ ist. Wir erweitern somit erst einmal unseren Vorrat an Zahlen künstlich. Man kann aber bei den Grundrechenarten mit i so rechnen, als wäre es eine (reelle) Zahl, die die Besonderheit i2 = −1 besitzt. Hier sind einige Beispiele: • 3i + 2i = 5i • 4i + (−6)i = 4i − 6i = −2i • 2i · 3i = 2 · 3 · i2 = 6 · (−1) = −6, denn i2 = −1. Wichtig ist auch, dass man mit i vertauschen (kommutieren) kann, z.B. • 0·i=i·0=0 • 1·i=i·1=i • (−1) · i = i · (−1) = −i Wir haben gesehen, dass i eine Lösung der Gleichung z 2 + 1 = 0 ist, denn so haben wir i vorhin definiert. Nun bezeichnen wir mit −i die zweite Lösung der quadratischen Gleichung (wie im Reellen wollen wir auch hier, dass es genau zwei Lösungen gibt). Für x > 0 sind xi und −xi die Lösungen von z 2 + x2 = 0, man nennt sie die x-fachen von i und −i. Somit ist xi = x · i das Produkt einer reellen Zahl mit i und man fordert 35 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten x · i = i · x (Vertauschbarkeit von i und x) um sich nicht überlegen zu müssen, wo man nun das i hinschreibt. 0 · i und 0 · (−i) sind als Lösungen von z 2 + 0 = 0 natürlich beide 0 und wir betrachten 0 - wie gewohnt - als reelle Zahl. Die Menge der Zahlen {x · i : x ∈ R} nennt man die Menge der (rein) imaginären Zahlen oder die Menge der Imaginärzahlen. Man rechnet mit ihnen wie mit reellen Zahlen, einzig i · i = i2 = −1 ist zu beachten. Mit dieser neuen Einheit ist es nun möglich Quadratwurzeln von negativen reellen Zahlen zu ziehen: √ √ √ −16 = 16 · −1 = ±4i 5.2 Definition der komplexen Zahlen nach Hamilton Die Mathematiker brauchten bis ins frühe 19. Jahrhundert, um die Idee von Zahlen z mit der Eigenschaft z 2 < 0 zu akzeptieren. Der Norweger Caspar Wessel (1745-1818) wird als der Erste betrachtet, der eine zufriedenstellende Definition der komplexen Zahlen gab. Um 1832 gab der Ire William Rowan Hamilton (1805-1865) die heute gebräuchlichste Definition1 : Definition 5.1. Betrachte R2 = R1 + Ri mit 1 = ( 10 ) und i = ( 01 ). Definiere auf dieser Menge eine Addition (u1 + vi) + (x1 + yi) = (u + x)1 + (v + y)i, die der üblichen Addition von Vektoren im R2 entspricht, und eine neuartige Multiplikation (u1 + vi) · (x1 + yi) = (ux − vy)1 + (uy + vx)i. Mit diesen beiden Operationen versehen hat die Menge R2 alle Eigenschaften, die einen „Körper“ beschreiben. Definition 5.2. Ein Körper ist eine Menge K, versehen mit einer Addition „+“ und einer Multiplikation „·“ von Elementen von K, die folgenden Eigenschaften genügen: 1. a + (b + c) = (a + b) + c für alle a, b, c ∈ K (Assoziativität der Addition). 2. a + b = b + a für alle a, b ∈ K (Kommutativität der Addition). 1 Für eine ausführlichere Darstellung der Historie der komplexen Zahlen siehe etwa www.math.uri.edu/ ~merino, 2006 36 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten 3. Es gibt ein Element eA ∈ K, so dass a + eA = a für alle a ∈ K (Existenz eines neutralen Elements der Addition). Man schreibt dann eA = 0. 4. Zu jedem Element a ∈ K gibt es ein Element −a ∈ K, so dass a + (−a) = 0 (Existenz inverser Elemente bezüglich der Addition) 5. a · (b · c) = (a · b) · c für alle a, b, c ∈ K (Assoziativität der Multiplikation). 6. a · b = b · a für alle a, b ∈ K.(Kommutativität der Multiplikation). 7. Es gibt ein Element eM ∈ K \ {0}, so dass a · eM = a (Existenz eines neutralen Elements der Multiplikation). Man schreibt dann eM = 1. 8. Zu jedem Element a ∈ K \ {0} gibt es ein Element a−1 ∈ K, so dass a · (a−1 ) = 1 (Existenz inverser Elemente bezüglich der Multiplikation). 9. a · (b + c) = a · b + a · c für alle a, b, c ∈ K (Distributivität). Diese Eigenschaften erlauben es mit der Addition und der Multiplikation von Elementen von K so zu rechnen, wie z.B. von den reellen Zahlen gewohnt. Satz 5.3. Die Menge R2 mit den oben definierten Operationen „+“ und „·“ ist ein Körper. Das Element 1 ist das neutrale Element bezüglich der Multiplikation und das Element i hat die Eigenschaft i2 = −1. Diesen Körper nennt man den Körper der komplexen Zahlen C und man schreibt abkürzend x1 + yi = x · 1 + yi = x + yi. Da wir xi als das Produkt der komplexen Zahlen x1 und i interpretieren, gilt auch xi = ix. Addition und Multiplikation komplexer Zahlen übertragen sich in dieser vereinfachten Schreibweise direkt aus Hamiltons Definition 5.1: (u + vi) + (x + yi) = (u + x) + (v + y)i, (u + vi) · (x + yi) = (ux − vy) + (uy + vx)i. (5.1) Dass C tatsächlich die Eigenschaften eines Körpers hat, wie Definition 5.2 sie fordert, rechnen wir im folgenden Abschnitt im Einzelnen nach. 5.3 Der Körper der komplexen Zahlen Komplexe Zahlen bestehen aus einem reellen und einem imaginaren Anteil und haben die Form u + vi (u, v ∈ R, i die imaginäre Einheit). Ist der imaginäre Anteil 0, so kann man die Zahl als „normale“ reelle Zahl auffassen. Wie bereits angemerkt, kann man mit komplexen Zahlen prinzipiell genauso rechnen wie mit reellen. Betrachten wir zunächst die Addition: 37 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten Lemma 5.4 (Rechenregeln für die Addition). Es seien t, w, z ∈ C und z = x + yi. Dann gilt: 1. t + (w + z) = (t + w) + z 2. w + z = z + w 3. z + 0 = z (für 0 = 0 + 0i ∈ C) 4. Für −z = −x − yi gilt z + (−z) = 0 Beweis. Alle diese Eigenschaften folgen aus den entsprechnenden Eigenschaften für die Vektoren t, w, z ∈ R2 , da die Addition aus Definition 5.1 mit der Addition von Vektoren im R2 übereinstimmt. Die Multiplikation ist etwas komplizierter. Wir beginnen mit dem Überprüfen der Assoziativität und Kommutativität und rechnen bei dieser Gelegenheit auch das Distributivitätsgesetz nach: Lemma 5.5 (Assoziativitäts-, Kommutativitäts- und Distributivitätsgesetz). Es seien t = r + si, w = u + vi und z = x + yi ∈ C. Dann gilt 1. t · (w · z) = (t · w) · z 2. w · z = z · w. 3. t(w + z) = tw + tz. Beweis. Wir müssen lediglich beide Seiten der Gleichungen anhand der Definitionen (5.1) berechnen und das jeweilige Ergebnis vergleichen. Zu 1: Wir berechnen zunächst die linke Seite: t · (w · z) = (r + si) · [(ux − vy) + (uy + vx)i] = [r(ux − vy) − s(uy + vx)] + [r(uy + vx) + s(ux − vy)] i = [rux − rvy − suy − svx] + [ruy + rvx + sux − svy] i Die rechte Seite ergibt: (t · w) · z = [(ru − sv) + (rv + su)i] · (x + yi) = [(ru − sv)x − (rv + su)y] + [(ru − sv)y + (rv + su)x] i = [rux − rvy − suy − svx] + [ruy + rvx + sux − svy] i Beide Seiten liefern das selbe Ergebnis, damit ist 1 bewiesen. Zu 2: Links steht: w · z = (ux − vy) + (uy + vz)i Rechts steht: z · w = (xu − yv) + (yu + zv)i = (ux − vy) + (uy + vz)i Beide Seiten stimmen überein. 38 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten Zu 3: Wieder zunächst die linke Seite: t(w + z) = (r + si) · [(u + x) + (v + y)i] = [ru + rx − sv − sy] + [rv + ry + su + sx] i Nun die rechte Seite: tw + tz = [(ru − sv) + (rv + su)i] + [(rx − sy) + (ry + sx)i] = [ru + rx − sv − sy] + [rv + ry + su + sx] i Beide Seiten sind gleich und 3 bewiesen. Bei der Multiplikation im Reellen ist die 1 ∈ R das neutrale Element. Auch im Falle der komplexen Zahlen ist 1 = 1 + 0i das neutrale Element: (x + yi) · 1 = (x + yi) · (1 + 0i) = (x · 1 − y · 0) + (x · 0 + y · 1)i = x + yi Im Reellen hat jede Zahl r ∈ R\{0} eine Inverse r−1 = 1r ∈ R, so dass rr−1 = 1. Gilt das auch für alle komplexen Zahlen z ∈ C\{0}? Ja, wie der folgende Satz zeigt: Satz 5.6 (Inverse Elemente bezüglich der Multiplikation). Zu jeder Zahl z = (x + yi) ∈ C\{0} existiert inverses Element z −1 ∈ C bezüglich der Multiplikation, d.h. es gilt z · (z −1 ) = 1 Es gilt die Formel z −1 = x 2 x + y2 + −y i 2 x + y2 Beweis. Wir rechnen nach, dass für oben genanntes z −1 tatsächlich z · z −1 = 1: zz −1 = (x + yi) = x 2 x + y2 + −y i 2 x + y2 ! x2 y2 + x2 + y 2 x2 + y 2 + | −xy yx i + x2 + y 2 x2 + y 2 {z =0 } =1 Definition 5.7 (Realteil und Imaginärteil). Sei z = x + yi eine komplexe Zahl, dann heißen Re(z) = x Realteil und Im(z) = y Imaginärteil von z. 39 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten Beispiel 5.8. Einige kurze Rechenbeispiele: 1. (1 + i)(2 − 3i) = (2 − 3i2 ) + (−3i + 2i) = 5 − i √ √ √ 2. ( 2 − i)(4 + 2i) = (4 2 + 2) + (2 2 − 4)i 3. 1+2i 3−4i = (1+2i)(3+4i) (3−4i)(3+4i) = (3−8)+(4+6)i 32 +42 = −5+10i 25 5.4 Komplexe Konjugation Definition 5.9 (komplexe Konjugation). Sei z = x + yi eine komplexe Zahl, dann nennt man z̄ = x − yi die (komplex) Konjugierte von z. Die Abbildung z → z̄ heißt (komplexe) Konjugation. Bemerkung 5.10. Die komplexe Konjugation ist praktisch, um bestimmte Rechenregeln kompakt aufzuschreiben. Beispielsweise gilt für z = x + yi: 1. z z̄ = x2 + y 2 ≥ 0 2. z z̄ = 0 ⇔ z = 0 Definition 5.11 (Komplexer Betrag). Sei z = x + yi eine komplexe Zahl. Der Betrag von z ist q √ |z| = z z̄ = x2 + y 2 Diese Definition ist konsistent mit dem Betrag für Vektoren im R2 , denn liest man z = ( xy ) ∈ R2 , so ist |z| = kzk. Satz 5.12 (Rechenregeln für komplexe Konjugation). Seien z ∈ C und w ∈ C\{0}. Dann gelten folgende Rechenregeln: 1. zw = z̄ w̄ 2. z w = z̄ w̄ 3. z̄ = z 4. z + w = z̄ + w̄ 5. |zw| = |z| |w| 6. |z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung) 1. 1̄ = 1 + 0i = 1 Beispiel 5.13. 2. ī = 0 + 1i = −i 3. z̄+8 z+i = z̄+8 z+i = z̄+8̄ z̄−i = z+8 z̄−i 40 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten 4. |z − 3i| = q (2 − 3i)(2 − 3i) = √ 22 + 3 2 = √ 13 Mit der Konjugation können wir eine kompakte Form für die Inverse angeben: Satz 5.14. Ist z ∈ C \ {0}, so gilt für die Inverse z −1 : z −1 = Beweis. z · z −1 = z · z̄ z z̄ = z z̄ z z̄ 1 z̄ = z z z̄ =1 Bemerkung 5.15. Sei z = x + yi. Dann gilt: z −1 = z̄ x − yi x y = 2 = 2 − 2 i 2 2 z z̄ x +y x +y x + y2 Satz 5.14 und Satz 5.6 liefern also zwei verschiedene Darstellungen der Inversen einer komplexen Zahl. 5.5 Quadratische Gleichungen Beispiel 5.16. Löse z 2 = 2 + 3i, d.h. finde eine Wurzel von 2 + 3i! Wir suchen also ein z = x + yi mit (x + yi)2 = 2 + 3i und x, y ∈ R. Zunächst berechnen wir z 2 = (x + yi)2 = x2 + 2xyi + (yi)2 = x2 − y 2 + 2xyi (5.2) Nun wollen wir z 2 = 2 + 3i lösen. Setzen wir (5.2) ein, erhalten wir ! x2 − y 2 + 2xyi = 2 + 3i Das lässt sich in zwei Gleichungen schreiben, wenn wir Real- und Imaginärteil trennen: x2 − y 2 = 2 (5.3) 2xy = 3 (5.4) Aus (5.4) folgt einerseits x 6= 0 und y 6= 0. Andererseits erhalten wir x= 3 2y (5.5) Setzt man dies in (5.4) ein, so ergibt sich 2 3 2 1 y2 2 2 − y2 = 2 ⇐⇒ (y ) + 2y 2 − 41 9 4 =0 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten Diese quadratische Gleichung hat die Lösungen q y 2 = −1 ± 9 4 1+ Da aber y 2 ≥ 0 sein muss, können wir nur die Lösung mit dem „+“ vor der Wurzel brauchen, erhalten also für y die Lösungen q√ 13 2 y± = ± −1 Setzen wir diese Lösungen nun wiederum in (5.5) ein, so erhalten wir die Ergebnisse q√ 13 2 q√ x+ = 3 2y+ = x− = 3 2y− =− +1 13 2 +1 Damit haben wir die beiden komplexen Wurzeln z+ = z− = q√ q√ 13 2 +1+i q√ 13 − 2 +1− 13 2 −1 q√ 13 2 i − 1 = −z+ von 2 + 3i bestimmt. Wir kontrollieren noch kurz, ob das Ergebnis richtig ist: 2 z± 2 q √ 13 2 = = √ 13 2 − +1 +1 − √ q √ 13 2 13 2 2 −1 − 1 + 2i q q √ + 2i 13 4 13 2 q √ +1 13 2 −1 −1 = 2 + 3i Auf analoge Weise lässt sich z 2 = a für jedes a ∈ C lösen. In Verallgemeinerung des obigen Beispiels z 2 − a = 0, kann man die allgemeine quadratische Gleichung az 2 + bz + c = 0 mit a, b, c ∈ C, a 6= 0 betrachten. Als Lösungen erhält man wiederum die „Mitternachtsformel“: p 1 x1,2 = −b ± b2 − 4ac . 2a √ Man beachte, dass wir jetzt aus dem vorangehenden Beispiel wissen, dass b2 − 4ac immer eine komplexe Lösung hat. Beispiel 5.17. Betrachten wir noch einmal das Polynom p(x) = x4 + 2x3 + 4x2 − 2x − 5 aus Beispiel 3.12. Die (reelle) Zerlegung, die wir erhalten hatten, lautete p(x) = (x − 1)(x + 1)(x2 + 2x + 5). 42 5 Komplexe Zahlen 1: Grundrechenarten Wir möchten nun die (komplexen) Lösungen der quadratischen Gleichung x2 +2x+5 = 0 bestimmen. p 1 −2 ± 22 − 4 · 2 · 5 2 √ 1 −2 ± −36 = 2 = −1 ± 3i x1,2 = Das quadratische Polynom lässt sich also wie folgt zerlegen: x2 + 2x + 5 = (x + 1 − 3i)(x + 1 + 3i) Das komplett faktorisierte Polynom lautet: p(x) = (x − 1)(x + 1)(x + 1 − 3i)(x + 1 + 3i) 43 6 Abbildungen und Graphen Dieses Kapitel gibt einen kurzen Überblick über Abbildungen und deren Eigenschaften. Es ist sehr empfehlenswert sich die Beispiele selber auf ein Blatt Papier aufzuzeichnen, um zu sehen, wie sich eine Funktion mit einer bestimmten Eigenschaft verhält. Suchen Sie nach eigenen Beispielen! Welche Funktionen sind Ihnen noch aus der Schule bekannt? Welche Eigenschaften haben diese? 6.1 Was ist eine Abbildung? Definition 6.1 (Abbildung). Eine Abbildung von einer Menge A in eine Menge B ist eine Zuordnung von Punkten der Menge A zu Punkten der Menge B. Dabei gibt es zu jedem Punkt a ∈ A genau ein zugeordnetes b ∈ B. Man schreibt f : A → B, a 7→ f (a) = b und nennt f eine Abbildung von A nach B. A heißt der Definitionsbereich und B der Bildbereich. Menge A Menge B Abbildung 6.1: Eine Abbildung von A nach B. Jedem Punkt aus A wird genau ein Punkt aus B zugeordnet. Definition 6.2 (Graph). Der Graph einer Abbildung f : A → B ist definiert durch Graph(f ) := {(a, f (a)) : a ∈ A} ⊂ A × B. 44 6 Abbildungen und Graphen Beispiel 6.3. f : R → R, x 7→ x2 , Graph(f ) = {(x, x2 ) : x ∈ R} Beispiel 6.4. f : R2 → R, f (x, y) = 1 , Graph(f ) x2 +y 2 +1 = { x, y, 1 x2 +y 2 +1 : x, y ∈ R} Beispiel 6.5. f : [−1, 2] → [−2, 10], x 7→ x3 , Graph(f ) = {(x, x3 ) : −1 ≤ x ≤ 2}. Man beachte Graph(f ) ⊂ [−1, 2] × [−2, 10] ⊂ R × R = R2 Diese Menge ist in Abbildung 6.2 dargestellt. f (x) 8 7 6 5 4 3 2 1 x = −1 1 x=2 x −1 Abbildung 6.2: Der Graph der Funktion f (x) = x3 . 45 6 Abbildungen und Graphen 6.2 Komposition (Verkettung) Die „Komposition von Abbildungen“ ist eine Hintereinanderschaltung mehrerer Abbildungen: f g A → B → C a 7→ f (a) 7→ g(f (a)) Zuerst wird f ausgeführt und danach h. Definition 6.6 (Komposition). Gegeben seien die zwei Abbildungen f : A → B und g : B → C. Die Komposition g ◦ f (sprich: „g nach f“) von f und g ist die Abbildung g ◦ f : A → C, a 7→ g(f (a)) Es ist nicht zwingend notwendig, dass der Wertebereich f (A) der ersten Funktion mit dem Definitionsbereich D(g) der zweiten Funktion übereinstimmt. Entscheidend ist lediglich, dass er darin enthalten ist: f (A) = {f (a) : a ∈ A} ⊂ D(g). In diesem, und nur in diesem Fall, macht der Ausdruck g(f (a)) Sinn für alle a ∈ A. Beispiel 6.7. 1. Gegeben seien die zwei Funktionen g : R → R, x 7→ sin x und √ f : R>0 = {x ∈ R : x > 0} → R, x 7→ x. Wir möchten die Komposition g ◦ f bilden: √ g ◦ f (x) = g(f (x)) = sin(f (x)) = sin x f g R>0 → R → R Ist es möglich die Komposition f ◦ g zu bilden? √ 2. f : R → R≥0 , x 7→ x2 , g : R≥0 → R≥0 , x 7→ x g ◦ f (x) = g(f (x)) = f q √ f (x) = x2 = |x| g R → R≥0 → R≥0 6.3 Eigenschaften von Abbildungen Wir schauen uns nun einige Eigenschaften von Abbildungen an, die auf den ersten Blick etwas unpraktisch erscheinen, aber sehr wichtig sein werden. Definition 6.8 (Injektivität). Wenn eine Abbildung f : A → B je zwei verschiedene Punkte von A auf je zwei verschiedene Punkte von B abbildet, so sagt man f sei injektiv. Formal ausgedrückt heißt das: a1 , a2 ∈ A, a1 6= a2 ⇒ f (a1 ) 6= f (a2 ) 46 (6.1) 6 Abbildungen und Graphen Aussage (6.1) lässt sich auch anders ausdrücken: a1 , a2 ∈ A, f (a1 ) = f (a2 ) ⇒ a1 = a2 Beispiel 6.9. Man kann, falls möglich, durch Skizzieren des Graphen meist schnell erkennen, ob eine Abbildung injektiv ist oder nicht (siehe Abbildung 6.3). 1. f : R → R, x 7→ x3 ist injektiv, da zu jedem Punkt des Wertebereichs genau ein Punkt des Definitionsbereichs gehört. 2. f : R → R, x 7→ x2 ist nicht injektiv: Zum Beispiel gibt es zwei verschiedene Punkte x1 = −2 und x2 = 2 im Definitionsbereich der Funktion, die unter f auf den selben Wert f (x1 ) = f (x2 ) = 4 abgebildet werden. 3. f : R≥0 → R, x 7→ x2 ist injektiv. x3 x2 5 5 5 x −5 x2 x −5 x −5 Abbildung 6.3: Die Graphen der Funktionen f : R → R, x 7→ x3 , f : R → R, x 7→ x2 und f : R → R≥0 , x 7→ x2 : Erkennen Sie, ob die Funktionen injektiv oder surjektiv sind? Definition 6.10 (Surjektivität). f : A → B heißt surjektiv, wenn jeder Punkt b ∈ B von (mindestens) einem Punkt a ∈ A unter f getroffen wird. Formell heißt das: Für jedes b ∈ B gibt es ein a ∈ A, so dass f (a) = b. 47 6 Abbildungen und Graphen Beispiel 6.11. 1. f : R → R, x 7→ x3 ist surjektiv, d.h. für alle b ∈ R existiert ein x ∈ R, so dass x3 = b. Dies werden Sie in Ihrer Mathematikvorlesung noch beweisen. 2. f : R → R, x 7→ x2 ist nicht surjektiv! Betrachte z.B. b = −1, dann gibt es kein x ∈ R, so dass x2 = −1 (denn x2 ≥ 0 für alle x ∈ R). 3. f : R → R≥0 , x 7→ x2 ist surjektiv! Definition 6.12 (Bijektivität). Eine Abbildung f : A → B heißt bijektiv, wenn sie injektiv und surjektiv ist. Ist eine Funktion f : A → B bijektiv, so ist sie auch umkehrbar, d.h. es existiert ein : B → A mit f −1 (f (x)) = x. f −1 Beispiel 6.13. Zwei Beispiele für bijektive Abbildungen: 1. f : R → R, x 7→ x3 2. f : R>0 → R>0 , x 7→ x2 Überzeugen Sie sich selbst! 48 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen Eine Ungleichung ist ein Größenvergleich zweier Zahlen x, y ∈ R. Man bezeichnet x < y („x kleiner y“) als strikte Ungleichung und x ≤ y („x kleiner oder gleich y“) als (nicht strikte) Ungleichung. In der Praxis werden Ungleichungen dazu verwendet andere Variablen und Terme nach oben oder unten abzuschätzen, um sich so ein Bild darüber machen zu können, wie sie sich verhalten. 7.1 Rechenregeln für Ungleichungen Beim Rechnen mit Ungleichungen kann man fast immer so vorgehen, wie beim Rechnen mit Gleichungen. Nur wenn man beide Seiten einer Ungleichung mit einer negativen Zahl multipliziert, muss man die Ungleichung umkehren. Zunächst halten wir diese und einige andere elementare Rechenregeln fest, die im Umgang mit Ungleichungen zu beachten sind: Satz 7.1 (Rechenregeln für Ungleichungen). Es seien a, b, c, d ∈ R. Dann gilt: 1. a < b ⇒ a + c < b + c 2. 0 < a und 0 < b ⇒ 0 < ab 3. a < b und 0 < c ⇒ ca < cb 4. a < b und c < 0 ⇒ ca > cb 5. a < b und c < d ⇒ a + c < b + d 6. 0 < a < b und 0 < c < d ⇒ ac < bd √ √ 7. 0 < a < b ⇒ a2 < b2 und a < b 8. 0 < a < b ⇒ 1 b < 1 a Beweis. 1 und 2 sind die definierenden Eigenschaften der Ungleichungsrelation, die sich nicht aus anderen Eigenschaften ableiten lassen. Alle anderen Rechenregeln folgen daraus: 1 2 1 Zu 3: a < b ⇒ 0 < b − a ⇒ 0 < c(b − a) = cb − ca ⇒ ca < cb 1 1, 2 1 Zu 4: c < 0 ⇒ 0 < −c ⇒ 0 < −c(b − a) = ca − cb ⇒ ca > cb Die restlichen Eigenschaften werden ähnlich bewiesen. Probieren Sie sich daran! 49 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen 7.2 Lösen von Ungleichungen Anhand mehrerer Beispiele wollen wir uns verschiedene Ungleichungen und Lösungsmethoden ansehen. Beispiel 7.2 (Graphische Lösungsmethode). Gegeben ist folgende Ungleichung: tan x < x f (x) = tan x, g(x) = x x − 3π 2 π 2 − π2 3π 2 Abbildung 7.1: Betrachte die Graphen von tan x und x. Diejenigen Bereiche der x-Achse, die die Ungleichung erfüllen, zählen zur Lösungsmenge (hier grün markiert). Beispiel 7.3 (Algebraische Lösungsmethode). Forme die gegebene Ungleichung so um, dass x isoliert auf einer Seite steht. 5x − 4 < 3x − 1 ⇔ 2x < 3 ⇔ x < 32 Beispiel 7.4 (Rationale Funktion als Ungleichung). Gegeben sei eine Ungleichung mit einer rationalen Funktion: 2 − 3x <1 4x − 7 Um diese Ungleichung zu lösen, müssen wir mit dem Nenner des Bruchs multiplizieren. Ist der Nenner negativ, so wechselt die Ungleichung ihre Richtung (a < b ⇔ −a > −b). Aus diesem Grund benötigen wir eine Fallunterscheidung: 50 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen 1. Fall: 4x − 7 > 0 (d.h. x > 74 ) ⇒ 2 − 3x < 4x − 7 ⇔ 9 < 7x 9 ⇔ 7 < x Da 9 7 < 7 4 gilt für die Lösungsmenge L1 = i 7 4, h +∞ . 2. Fall: 4x − 7 < 0 (d.h. x < 74 ) ⇒ 2 − 3x > 4x − 7 ⇔ 9 > 7x 9 ⇔ 7 > x i Also gilt L2 = −∞, 9 7 h . i h i h Damit ergibt sich insgesamt: L = L1 ∪ L2 = −∞, 79 ∪ 74 , +∞ . Man kann sich die Lösungsmenge auch graphisch wie in Abbildung 7.2 aufzeichnen. −1 x 0 9 7 7 4 Abbildung 7.2: Die Lösungsmenge ist grün markiert. Definition 7.5 (Betrag). Die Betragsfunktion lautet ( |x| := −x x ≤ 0 x x>0 Wichtige Eigenschaften der Betragsfunktion sind: Satz 7.6. Es seien a, b ∈ R. Dann gilt 1. a ≤ |a| 2. |ab| = |a||b| 3. |a + b| ≤ |a| + |b| (Dreiecksungleichung) 4. ||a| − |b|| ≤ |a + b| Beweis. Eigenschaften 1 und 2 und die Dreiecksungleichung 3 können durch einfache Fallunterscheidungen bewiesen werden. 4 folgt aus der Dreiecksungleichung: |a| = |a + b − b| ≤ |a + b| + |b| ⇒ |a| − |b| ≤ |a + b| und |b| = |a + b − a| ≤ |a + b| + |a| ⇒ |b| − |a| ≤ |a + b| Zusammen also ||a| − |b|| ≤ |a + b| 51 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen Beispiel 7.7 (Ungleichungen und Betragsfunktion). Nun betrachten wir eine Ungleichung mit einer Betragsfunktion (s. Abbildung 7.3) und wenden auch hier eine Fallunterscheidung an: |x − 3| ≤ 2 y 3 y = |x − 3| y=2 1 1 2 3 4 5 x Abbildung 7.3: Die Lösungsmenge ist grün markiert. 1. Fall: x − 3 > 0 (d.h. x > 3) ⇒ x−3≤2 ⇔ x≤5 ⇒ L1 = ]3, 5] 2. Fall: x − 3 ≤ 0 (d.h. x ≤ 3) ⇒ −(x − 3) ≤ 2 ⇔ −x + 3 ≤ 2 ⇔ 1≤x ⇒ L2 = [1, 3] Damit ergibt sich als Lösungsmenge L = [1, 5]. Ebenso gut kann man die gegebene Ungleichung |x − 3| ≤ 2 auch als |x − 3| ≤ 2 ⇐⇒ −2 ≤ x − 3 ≤ 2 lesen und die beiden Ungleichungen −2 ≤ x − 3 und x − 3 ≤ 2 separat lösen als x ≥ 1 und x ≤ 5. Die Lösungsmenge ist in diesem Fall die Menge aller der x, die beide Ungleichungen auf einmal erfüllen: 1 ≤ x ≤ 5. Beispiel 7.8. Schauen wir uns noch ein Beispiel an: |2x − 10| ≤ x 52 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen 1. Fall: 2x − 10 > 0 (d.h. x > 5) ⇒ 2x − 10 ≤ x ⇔ x ≤ 10 ⇒ L1 = ]5, 10] 2. Fall: 2x − 10 ≤ 0 (d.h. x ≤ 5) ⇒ −(2x − 10) ≤ x ⇔ 10 ≤ 3x 10 ≤x 3 ⇔ ⇒ L2 = h h 10 3 , i 5 i ⇒ L = 10 3 , 10 . Alternativ kann man wieder rechnen |2x − 10| ≤ x ⇐⇒ −x ≤ 2x − 10 ≤ x, die beiden Ungleichungen separat lösen als x ≥ 10 3 und x ≤ 10 und anschließend wieder kombinieren: 10 3 ≤ x ≤ 10 7.3 Halbebenen Ungleichungen können auch von mehreren Variablen abhängen. Bei zwei Variablen entstehen sogenannte Halbebenen. Beispiel 7.9 (Halbebenen). Gegeben sei die folgende Ungleichung x + 2y ≤ 7 (7.1) 1. Löse die Ungleichung (7.1) nach einer Variable auf: x + 2y ≤ 7 ⇔ 1 7 y ≤− x+ 2 2 2. Betrachte die Ungleichung als Gleichung: y = − 21 x + 72 . Es handelt sich um eine Gerade, die die Ebene „teilt“. Diejenigen Punkte, die unter der Gerade liegen (≤), gehören zur Halbebene (s. Abbildung 7.4). 53 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen y 8 6 4 2 −10−8 −6 −4 −2 −2 2 4 6 x y = − 12 x + −4 Abbildung 7.4: Die Halbebene y = − 12 x + 7 2 7 2 teilt R2 . Beispiel 7.10 (Schnitte von Halbebenen). Gegeben sind folgende Ungleichungen: 1 7 x + 2y ≤ 7 ⇒ y = − x + 2 2 2x + y ≤ 2 ⇒ y = −2x + 2 (7.2) y≤8 ⇒ y=8 1. Bestimme graphisch alle (x, y) ∈ R2 , die die Ungleichungen erfüllen. y y=8 8 6 4 2 −10 −8 −6 −4 −2 −2 2 4 6 x y = − 12 x + 7 2 −4 y = − 12 x + 7 2 Abbildung 7.5: Indem wir die Halbebenen miteinander schneiden, erhalten wir die Lösungsmenge L (dunkle Fläche). 2. Zum Überlegen: Für welche Punkte der Lösungsmenge L ist die Größe C = x + y maximal? In der linearen Optimierung liest man 2 als die „Maximierung der Größe C unter den Nebenbedingungen (7.2)“. 54 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen 7.4 Exkurs: Abschätzen von Fehlern Man messe eine physikalische Größe f (x) durch Ansetzen einer Sonde. Es werden folgende Annahmen getroffen: 1. Der Wert f (x) wird exakt ausgelesen. 2. Das Ansetzen der Sonde ist nicht genau, d.h. statt an der Stelle x0 setzt man bei x an. Wie groß kann unser Messfehler werden? Als Hilfsmittel verwenden wir den Mittelwertsatz (Taylor-Formel vom Grad 0), der in der Mathematikvorlesung besprochen werden wird: |f (x) − f (x0 )| = |f 0 (ξ)| · |x − x0 |, wobei ξ zwischen x und x0 liegt. Wir gehen davon aus, dass wir eine Ansetzgenauigkeit von erreichen, d.h. wir nehmen an |x − x0 | ≤ . Dann liegt x im Intervall [x0 − , x0 + ]. Das veranschaulicht Abbildung 7.6. x0 − x ξ x0 x0 + Abbildung 7.6: Ansetzbereich der Sonde Wenn wir ein Maximum M von |f 0 (ξ)| im Intervall [x0 − , x0 + ] bestimmen können, haben wir unser Ziel erreicht: Durch die folgende einfache Abschätzung haben wir dann eine Schranke für den Messfehler gefunden: |f (x) − f (x0 )| = |f 0 (ξ)| · |x − x0 | ≤ M · |x − x0 | ≤ M · Beispiel 7.11. Nehmen wir an, dass wir eine Schwingung in Form einer Sinuskurve messen. f (x) = sin x f 0 (x) = cos x Es gilt dann also nach unseren Überlegungen: |f (x) − f (x0 )| = |f 0 (ξ)| · |x − x0 | = | cos ξ| · |x − x0 | ≤ 1 · |x − x0 | ≤1· Unser Fehler wird also immer maximal so groß sein wie die Ansetzgenauigkeit . Weiß man etwa x = π2 und = π4 , so muss man das Maximum M von | cos ξ| im Intervall h i 0 − π4 , 3π 4 berechnen. 55 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen f (ξ) = cos ξ 3π 4 − π4 π 2 ξ Abbildung 7.7: Im markierten Intervall müsste man in Beispiel 7.11 cos ξ abschätzen. Wenn es zu mühsam ist, das exakte Maximum M von |f 0 (ξ)| zu berechnen, so wählt man eine Zahl M̂ mit M ≤ M̂ . Die daraus resultierende Abschätzung |f (x) − f (x0 )| ≤ M̂ ist für M̂ nahe bei M dann nur wenig schlechter als die Abschätzung durch M . 7.5 Verifizieren von Ungleichungen Möchte man zeigen, dass eine Ungleichung stimmt, ist ein gängiges Mittel sie durch Umformungen auf eine einfachere Form zu bringen. Das machen wir auch im folgenden Beispiel: √ Beispiel 7.12. Wir betrachten das geometrische Mittel ab und das arithmetische Mittel a+b 2 zweier Zahlen a, b ≥ 0 und behaupten es gilt: √ Beweis. √ √ Satz 7.1,7 ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ ⇔ ab ≤ a+b 2 a+b ab ≤ 2 2 2 a+b ≤ 2 ≤ 41 (a2 + 2ab + b2 ) ≤ a2 + 2ab + b2 ≤ a2 − 2ab + b2 ≤ (a − b)2 ab ab 4ab 0 0 Die letzte Zeile ist richtig und da wir nur äquivalente Umformungen gemacht haben (⇔), ist auch die erste Zeile und somit unsere Behauptung richtig! Beispiel 7.13. Wir setzen b, d > 0 und a b < c d voraus. Zeige, dass a+c c < b+d d gilt. 56 7 Rechnen mit Ungleichungen und Abschätzungen Beweis. a+c b+d < dc ⇔ d(a + c) ≤ c(b + d) ≤ cb + ⇔ da + dc cd a c ⇔ ≤ b d | · d(b + d) > 0 | : bd 6= 0 Nach unseren Voraussetzungen ist die letzte Zeile richtig, also auch die erste, und die behauptete Ungleichung somit gültig. 57