Theodizee - Von Gott reden angesichts des Leidens in der Welt

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Theodizee - Von Gott reden angesichts des Leidens in der Welt
Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es
nicht:
dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft,
oder er kann es und will es nicht:
dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist,
oder er will es nicht und kann es nicht:
dann ist er schwach und missgünstig zugleich,
also nicht Gott,
oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie
Epikur (341-270 v. Chr)
Der Philosoph und Mathematiker Gottfried Wilhelm
Leibniz (1646-1716) versuchte, das Böse, den freien
Willen des Menschen und die Rechtfertigung der Schöpfung Gottes in Einklang zu bringen. Bei ihm gilt Gott als
vollkommen weise, mächtig und gut, der die beste aller
möglichen Welten geschaffen habe
Leibnitz prägte den Begriff "Theodizee"; er leitet sich
von der Kombination der griechischen Substantive
"theós" und "diké", Gott (theós) und Gerechtigkeit
(diké) ab. Wie aus diesem Wortursprung schon ersichtlich ist, geht es um die Frage der "Gerechtigkeit Gottes",
und zwar angesichts der Tatsache, dass es Übel in der
Welt gibt, wobei als Übel das ungerechtfertigte Leid
angesehen wird, das einem Menschen zustößt. Als gerechtfertigtes Leid wird im allgemeinen jenes Leid angesehen, das zum Erreichen eines ungleich größeren Gutes
unumgänglich nötig ist, wie etwa Schmerzen bei einer
Operation, die ein Leben rettet.
Konkret formuliert: Wie kann angesichts der in der Welt
existierenden negativen Realität aller Art - Hunger,
Krankheit, Krieg und Not, physisches und psychisches
Elend - davon ausgegangen werden, dass es den Gott
des christlichen Glaubens wirklich gibt?
Biblische Antworten
1. Gen 1-11 Schöpfung und Sündenfall
Das Schöpferhandeln Gottes ist gut und menschenfreundlich, das Leid kommt nicht von ihm. Leid ist eine
Folge der Schuld des Menschen. Strafe ist dabei die innere Konsequenz einer verfahrenen Situation. Der Sünder wird sich der Wahrheit in der Begegnung mit Gott
bewusst. Auch trotz der Sünde sorgt Gott für den Menschen (Kleider für Eva und Adam, Zeichen für Kain).
!
Gott sah, dass es gut
Versuchung des Baumes:
war; Gott, Mensch
Der Mensch will mehr:
und Tier sind eins sie ! sein wie Gott.
sprechen eine Sprache
Verlust des Paradieses
!
Versuchung der Eifersucht: Kain will
mehr (sein als Abel)
Verlust der Heimat
Versuchung der Macht:
Die Menschen wollen
! Verlust des Landes, der
mehr (sein als Gott)
Einheit, der Sprache
2. Exodus - Auszug aus der Knechtschaft
Gott befreit aus dem Elend mit starker Hand und von
ihm gewirkten Zeichen und Wundern (Dt 26,8).
Er bringt die Verelendeten selbst in Bewegung (spornt
an zum Aufbruch, ermutigt, unterstützt, schützt das Volk
vor Resignation)
3. Ijob (Hiob)
Eine Hiobsbotschaft: Plötzlicher Tod eines geliebten
Menschen, Unglück; Reaktion: Wut, Unverständnis.
Die Bibel schildert im Buch Ijob (Hiob) die Streitgespräche eines Mannes mit Gott, nachdem er plötzlich
von Leid heimgesucht wird.
Der Inhalt des Buches
1,1-2,13: Rahmenerzählung (Prolog)
3,1-42,6: Dialogteil:
3,1-26: Klage des Ijob
4,1-27,23: Streitgespräche (= Dialoge) mit den
Freunden Elifas, Bildad, Zofar
28,1-28: Lied über die Weisheit
29,1-31,40: Klage des Ijob und Herausforderung Gottes
32,1-37,24: Selbstgespräch (= Monolog) des Elihu
38,1-42,6: Dialog Jahwe - Ijob
38,1-40,2: erste Jahwe-Rede
40,3-5: erste Antwort Ijobs
40,6-41,26: zweite Jahwe-Rede
42,1-6: zweite Antwort Ijobs
42,7-17: Rahmenerzählung (Epilog)
Ijob wendet sich direkt an Gott und bittet, ja verlangt
von ihm Antwort. Er erhält sie in den beiden Gottesreden (38-39 und 40-41). Diese Antwort ist anders als erwartet. Ijob hat kein Recht darauf, dass der Allmächtige
mit ihm redet. Gott ist frei und der Allmächtige wendet
sich in seiner Freiheit dem Ijob zu. Die Gottesreden fragen Ijob, ob er die Welt, die von Jahwe geschaffen ist,
ergründen könne. Ijob wird deutlich, dass Jahwe die
Welt erschaffen hat. Darum ist Jahwe und nicht der
Mensch der Herr der Schöpfung.
Kein Mensch kann die Schöpfungsordnung bis
ins Letzte erfassen. Das Leid aber gehört zur erschaffenen Welt. Wie sollte es der Mensch ganz ergründen können? Aber Ijob erhält eine Antwort auf die Frage: Warum hast du - Gott - dich von mir zurückgezogen? Diese
Antwort lautet: Jahwe ist unergründlich, er ist mächtig
und sorgend zugleich! Das Geheimnis Jahwes und sein
Wirken in der Schöpfung ist nicht auszuloten.
Ijob antwortet in 40,4f (er sieht seine Grenze
und wird nunmehr schweigen) und in 42,2-4 (Ijob anerkennt die alles übersteigende Macht Jahwes). Nach einer Begegnung mit Jahwe
(42,5) ist er mit den
Rätseln der Weltordnung und im Menschenleben versöhnt.
Wenn sich auch seine
Situation noch nicht
geändert hat, er selbst
ist verändert und kann
wieder befreit und erlöst aufatmen (42,6).
4. Jesus
a) Jesus sagt dem Leid den Kampf an (Lk 4,18f) Mt
9,35, Mt. 10,7f) Jesus setzt mit der Verkündigung der
Gottesherrschaft eine Bewegung gegen alles Leid in
Gang durch das Menschen geknechtet werden. Ihm folgen heißt sich auf diese Bewegung einlassen.
b) Jesus ermutigt zum Kampf gegen das Leid
Jesus hilft den Menschen, nicht so dass sie dabei passiv
bleiben, vielmehr motiviert, ermutigt und befähigt er
dazu, dem Leid entgegenzutreten.
Mk 2,11 Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh
Lk 7,14 Junger Mann ich sage dir, steh auf
Joh. 11,43 Lazarus komm heraus
Mt. 14,15-21 5 Brote und 2 Fische
c) Jesus selbst ist betroffen
Mk 7,34 Er stöhnte auf; Joh 11,33.38 Innerer Zorn
In der Begegnung mit Krankheit und Tod stößt Jesus auf
eine feindliche Macht, die ihn selbst leiden lässt und seinen Zorn herausfordert. Ebenso wird Jesus zornig erregt
durch die „Herzenshärte“ derer, die sich seiner befreienden Bewegung entgegenstellen, weil sie nicht an Gottes
Menschenfreundlichkeit glauben können.
d) Passion und Kreuz Jesu
In diesem Zusammenhang sind Leiden
und Kreuzigung Jesu zu sehen.
Die abendländische Erlösungstheologie
war immer wieder in Gefahr, das
Kreuz isoliert- als Wert in sich - zu betrachten, ohne Rückfrage danach, wofür Jesus gelitten hat und gestorben
ist. Von daher ist dann der Weg
nicht mehr weit, menschlichem
Leiden einen immanenten Sinn
zuzuschreiben und es zu rechtfertigen unter Berufung auf das
Kreuz Christi.
Vergegenwärtigt man sich dagegen, „woran“ Jesus gestorben ist:
an seiner frohen Botschaft von
Gott, der allen gut ist, an seinem
aus einer tiefen Freude geborenen Gespür für menschliches
Leid und seiner Parteinahme für
die Erniedrigten und Beleidigten und
am Widerstand der „Hartherzigen“, die
eine solche Haltung als Gotteslästerung empfanden,
dann erscheint der Tod Jesu in anderem Licht: er ist die
letzte Konsequenz, Unterstreichung und Radikalisierung
des befreienden Evangeliums, „Leiden, das aus dem
Kampf gegen das Leiden erwächst“. Der Gott, der sich
in Jesus offenbart, ist nicht der leidferne, „apathische“
Gott der Griechen, sondern ein engagierter Gott, der in
„Zorn“ und „Schmerz“ mitbetroffen ist von Leid und
Herzenshärte seines Volkes.
e) Erst nachträglich -in der Ostererfahrung - geht den
Glaubenszeugen der Sinn der Passion auf.
Ohne den Glauben an die Auferweckung könnte man
das Leben Jesu heroisch und ergreifend finden, aber
nicht erlösend. Christlicher Glaube setzt auf den Gott,
der zuletzt seine Macht erweisen wird, „die Toten lebendig zu machen“ (vgl. Röm. 4,17; 2 Kor 1,9), der durch
das Leiden hindurch rettet. Die Osterbotschaft bedeutet
nicht das Vergessen des Leids, sondern seine Sinngebung: durch Kampf und Mit-Leiden wird das Leid überwunden.
Das Leid im Judentum
Ist das Leid gut für den Menschen? „Viele meinten und
meinen ja. Sie sehen Krankheit und Leid als gottgewollt,
als göttliches Geschenk an. So könnte das Leid ein Weg
sein, für unsere Sünden Buße zu tun, und dies noch hier
auf Erden ... Aber Leiden und Schmerz können noch
andere wohltuende Eigenschaften besitzen: Sie sühnen
die Sünden anderer aufgrund des stellvertretenden Sühneopfers ... im 4. Makkabäerbuch bittet der alte Eleasar,
sein Blut als Sühneopfer für sein Volk anzunehmen
(6,27ff.). Ähnlich betrachten die Rabbinen Isaaks Bereitschaft, sich opfern zu lassen. Dies ist auch der Grund,
weshalb dieses Kapitel (Gen 22) am zweiten Neujahrstag in den Synagogen verlesen wird, Isaaks „Opfer“
soll der Entsühnung ganz Israels dienlich sein.“
Leid kann auch als Prüfung aufgefasst werden, die Gott
gerade den Menschen auferlegt, die ihm treu sind, wie
Abraham oder Ijob (vgl. Spr 3,12). Beim Gebot der Gottesliebe (Dtn 6,5) legen die Rabbinen „mit deiner ganzen
Seele“ so aus: „selbst wenn er deine Seele von dir
nimmt“. Dementsprechend haben Juden und Jüdinnen
immer wieder in Verfolgungen ihr Leben als Märtyrer/
innen „zur Heilung des göttlichen Namens“ hingegeben.
Für die Rabbinen gibt es jedoch keinen Widerspruch zwischen dem Sühnecharakter des Leidens
und der Pflicht, dieses zu bekämpfen.
Das Leid, das dem einzelnen oder dem Volk auferlegt
wird, weist im letzten auf Gottes Unbegreiflichkeit.
Das hat gerade die Schoa bewusst gemacht. Wenn
der leidende Mensch trotzdem an Gott festhält,
dann wird er sich vielleicht zu einer Haltung
durchringen, wie sie der mittelalterliche Dichter
Salomo ibn Gabirol ausdrückt: „Wenn ich nicht
auf deine Gnade hoffe, wer, wenn nicht du, wird
Mitleid mit mir haben? Wenn du mich töten
willst, werde ich auf dich warten; wenn du mich
quälen willst, werde ich von dir zu dir fliehen. Ich
werde mich in deinen Schatten retten vor deinem
Zorn.“
Spuren im Sand
Ein Mann hatte eines Nachts einen Traum.
Er träumte, dass er mit Gott am Strand entlang spazieren ging. Am Himmel zogen Szenen aus seinem Leben vorbei, und für jede
Szene waren Spuren im Sand zu sehen.
Als er auf die Fußspuren im Sand zurückblickte, sah er, dass manchmal nur eine da
war. Er bemerkte weiter, dass dies zu Zeiten
größter Not und Traurigkeit in seinem Leben
so war. Deshalb fragte er den Herrn: „Herr,
ich habe bemerkt, dass zu den traurigsten
Zeiten meines Lebens nur eine Fußspur zu
sehen ist. Du hast aber versprochen, stets
bei mir zu sein. Ich verstehe nicht, warum
du mich da, wo ich dich am nötigsten
brauchte, allein gelassen hast.“
Da antwortete ihm der Herr: „Mein liebes,
teures Kind. Ich liebe dich und würde dich
niemals verlassen. In den Tagen, wo du am
meisten gelitten hast und mich am nötigsten
brauchtest, da, wo du nur die eine Fußspur
siehst, das war an den Tagen, wo ich dich
getragen habe.“
Das Leid im Islam
Das Wort Leid erscheint im Koran und
der Tradition selten; vielmehr spricht
der Koran von Unrecht (arab. Zulüm)
und Heimsuchung.
Gott ist der Gerechte, er fügt seinen Geschöpfen kein Unrecht und kein Leid zu,
ohne dass sie es selbst verursachen. „Mit
dem, was sie (die Ungläubigen) in diesem irdischen Leben ausgeben, ist es
wie mit einem eisigen Wind, der das
Saatfeld von Leuten traf die sich selbst
Unrecht getan hatten, und es vernichtete.
Und nicht Gott hat ihnen Leid zugefügt,
sondern sie fügen sich selbst Leid
zu.“ (Sure 3,117)
Leiden infolge von Krankheiten und
Tod bedeutet für den Muslim, dass Gott
ihn prüft: Der Prophet sagt: „Gott der
Erhabene sagt: Mein gläubiger Diener,
dem ich einen geliebten Menschen entriss, und er dies in Erwartung meines
Lohns geduldig ertrug, hat bei mir keinen anderen Lohn zu erwarten als das
Paradies.“ (Bukhari) „Wem Gott Gutes
will, den prüft er mit Krankheit.“ (Bukhari)
„Nichts trifft den Menschen an Schwäche, Krankheit, Sorge, Trauer, Schaden
oder Gram, nicht einmal die Dorne, die
ihn sticht, ohne dass Gott einen Teil seiner Sünden damit sühnt.“ (Bukhari)
Demzufolge darf ein Muslim Gott nicht
anklagen, sondern er sollte Gott bitten
für ihn das Beste geschehen zu lassen.
Klagen würde Misstrauen, NichtAkzeptieren bedeuten. Doch Got ist seinem Diener gegenüber barmherziger als
die Mutter ihrem Kind gegenüber.
„Wenn ihr die Wohltaten Gottes aufzählen wolltet, so könnt ihr sie nicht berechnen.“ (Sure 14,37)
Prüfungen können auch Anlass sein, um
zum Bitten zurückgeführt zu werden.
Wenn sie ihn dann bitten, erhört Er sie
gerne, und Er gibt dem Edelmut und der
Freizügigkeit ihr Recht, denn diese beiden erfordern Erhörung, wenn der Gläubige bittet. Manchmal gibt es trotz Erhörung Verzögerung bei der Erfüllung der
Bitten.
Gegen das Leid, das Menschen anderen
Menschen zufügen, soll der Muslim mit
aller Entschiedenheit kämpfen. Der Prophet sagte: „Hilf deinem Bruder, ob er
Unrecht begeht oder unter Unrecht leidet!“ Einer fragte: „O Gesandter Gottes,
diesem helfen wir, wenn er unter Unrecht leidet. Aber wie können wir ihm
helfen, wenn er selbst das Unrecht begeht?“ Der Prophet erwiderte: „Indem
du seine Hände mit der Tatkraft vom
Unrecht abhältst!“ (Bukhari)
Nigar Yardim
Die Erbschuld
Nicht alles Leid kann als vom einzelnen Menschen verursacht bezeichnet werden. Es gibt eine vorgegebene Situation des menschlichen Daseins von Anfang an. Jeder Mensch wird hineingeboren in eine von
der Sünde gezeichnete Welt. Bevor er selbst noch irgend etwas Unrechtes tun konnte, ist er geprägt von der “Erbsünde”.
“Erbsünde”? – Die Schwierigkeiten beginnen schon mit dem Wort
selbst. Unser deutsches Wort “Erbsünde” bringt das, was wirklich gemeint ist, nicht glücklich zum Ausdruck. Sünde verstehen wir normalerweise als persönliche Tat: das ist die Erbsünde eben gerade nicht.
Deshalb lehrt die Kirche, dass niemand wegen der Erbsünde allein verworfen wird.
Aber auch die Silbe “Erb-” verleitet zu falschen Vorstellungen. Es ist
keinesfalls eine Vererbung im biologischen Sinne, wie etwa eine Erbkrankheit. Es geht auch nicht um eine Sünde, die Adam einmal begangen hat, die uns allen noch angerechnet wird. Eher ist sie schon zu verstehen im Sinne einer belastenden Erbschaft. So kann es sein, dass Eltern, die selbst die Liebe ihrer Eltern entbehrt haben, ihre Kinder mit
ihrer “Zuwendung” erdrücken. So können sie – obwohl sie es gut meinen – an ihren Kindern “schuldig” werden. Die Schuld der Großeltern
wirkt sich auf kommende Generationen aus:
Der biblische Bericht Gen 2,8–3, 24.
Es ist die Geschichte vom Menschen (“Adam” heißt einfach “Mensch”
und ist nicht als Eigenname eines ganz bestimmten Menschen zu verstehen), der von Anfang an auf einen Irrweg geraten ist und Wille und
Plan Gottes durchkreuzt hat. Seitdem treten alle Menschen in eine
Welt ein, die vom Nein zu Gott gezeichnet ist. Das Versagen Adams,
des „Menschen”, ist nicht nur Vergangenheit, sondern aktuelle Gegenwart. Denn bis in unsere Zeit sprechen alle Menschen immer wieder
das Nein zu Gott.
Wir haben heute ein lebhaftes Gespür für die Schicksalsgemeinschaft
aller Menschen. Die Welt ist zusammengerückt. Wir wissen, dass ein
einziger Diktator in irgendeinem Winkel der Erde die halbe Welt in
einen furchtbaren Krieg hineinziehen kann. Aber auch schon ein einzelner Familienvater, der aus seiner Familie ausbricht, kann für Generationen unheilvolle Weichen stellen. Wir wissen, dass mit der Geburt
für jeden Menschen bereits Vorentscheidungen fallen, die sein ganzes
Leben prägen (Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk, einer bestimmten Gesellschaftsschicht, zu dieser oder jener Religion usw.).
Israel besaß dieses Gefühl der Schicksalsgemeinschaft sehr ausgeprägt
gerade bezüglich der Sündhaftigkeit aller Menschen.
Die entscheidenden Aussagen des Neuen Testamentes zur Erbsünde
stehen bei Paulus: 1 Kor 15,21 f. und vor allem Röm 5,12–21.
„Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und
durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu
allen Menschen, weil alle sündigten. Sünde war schon vor dem Gesetz
in der Welt, aber Sünde wird nicht angerechnet, wo es kein Gesetz
gibt; dennoch herrschte der Tod von Adam bis Mose auch über die,
welche nicht wie Adam durch Übertreten eines Gebots gesündigt hatten; Adam aber ist die Gestalt, die auf den Kommenden hinweist.
Doch anders als mit der Übertretung verhält es sich mit der Gnade;
sind durch die Übertretung des einen die vielen dem Tod anheim gefallen, so ist erst recht die Gnade Gottes und die Gabe, die durch die
Gnadentat des einen Menschen Jesus Christus bewirkt worden ist, den
vielen reichlich zuteil geworden. .....Wie es also durch die Übertretung
eines einzigen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so wird es
auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt. Wie durch den Ungehorsam
des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch
durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden. Das Gesetz aber ist hinzugekommen, damit die Übertretung
mächtiger werde; wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden.
In jedem Menschenleben
Früh oder spät stößt du mit deinem Kopf
gegen den hässlichen Querbalken, der
dein Leben zu einem Kreuz macht. Du
wirst krank. Du verunglückst. Ein geliebter
Mensch stirbt. Dein Berufsweg wird durchkreuzt. Du wirst betrogen, im Stich gelassen durch den eigenen Mann, die eigene
Frau. Man arbeitet gegen dich. Man macht
dich fertig. Du kannst nicht mehr.
Dieser Querbalken kann alle Formen
und Ausmaße annehmen. Er nimmt
keine Rücksicht auf Titel und Position,
auf Namen und Ansehen, weder auf
die Dicke deiner Brieftasche noch auf
deine Beziehungen oder deinen Erfolg
bei den Menschen. Du bist glücklich,
alles läuft wunderbar. Und plötzlich...
dieser schreckliche Querbalken. Er
kann dir so zur Qual werden, dass du
zermürbt, zerschlagen - den Tod herbeisehnst.
Das Kreuz ist eine Realität in jedem Menschenleben. Aber immer weniger Menschen sind ihm gewachsen. Sie nehmen
es nicht mehr hin und ertragen nicht seine
Last. Viele gehen daran zugrunde. Nervenärzte und Psychiater bekommen immer mehr zu tun.
Du hast keine Wahl! Du trägst dein Kreuz,
oder es wird dich erdrücken. Aber du
kannst es nur tragen, wenn du Sinn und
Aufgabe des Kreuzes begreifen lernst.
Das Kreuz bringt dich zurück zu deiner
Wahrheit, zu deinem wahren Maß eines
armen ,schwachen, verwundbaren, kleinen Menschenkindes. Das Kreuz kann
dich aus den Dingen befreien, die dich zu
ersticken drohen. Es kann dich lösen aus
deiner Mittelmäßigkeit. Es ist wie eine Antenne, mit der du eine Nachricht von Gott empfangen kannst. Sie wird dich nicht von deinem
Leiden erlösen, aber von der Sinnlosigkeit, der
Unfruchtbarkeit des Leidens. Du kannst wieder Mensch werden, und dies kann dann geschehen:
Du siehst alles anders und viel besser
mit Augen, die geweint haben
Phil Bosmans
Der mitleidende Gott
Als wir eines Tages von der Arbeit zurückkamen, sahen wir auf dem Appellplatz drei
Galgen. Antreten. Ringsum die SS mit drohenden Maschinenpistolen, die übliche Zeremonie. Drei gefesselte Todeskandidaten,
darunter ein Kind mit feingeschnittenen
schönen Gesichtszügen, der Engel mit den
traurigen Augen, wie wir ihn nannten.
Die SS schien besorgter, beunruhigter als
gewöhnlich. Ein Kind vor Tausenden von
Zuschauern zu hängen, war keine Kleinigkeit. Der Lagerchef verlas das Urteil. Alle
Augen waren auf das Kind gerichtet. Es
war aschfahl, aber fast ruhig und biss sich
auf die Lippen. Der Schatten des Galgens
bedeckte es ganz.
Diesmal weigerte sich der Lagerkapo als
Henker zu dienen. Drei SS-Männer traten
an seine Stelle.
Die drei Verurteilten stiegen zusammen auf
ihre Stühle. Drei Hälse wurden zu gleicher
Zeit in die Schlinge eingeführt.
„Es lebe die Freiheit!“ riefen die beiden
Erwachsenen. Das Kind schwieg.
„Wo ist Gott, wo ist er?“ fragte jemand hinter mir.
Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um.
Absolutes Schweigen herrschte im ganzen Lager. Am
Horizont ging die Sonne unter.
„Mützen ab!“ brüllte der Lagerchef. Seine Stimme klang
heiser. Wir weinten. „Mütze auf!“
Dann begann der Vorbeimarsch. Die
beiden Erwachsenen lebten nicht
mehr. Aber der dritte Strick hing
nicht reglos, der leichte Knabe lebte
noch...
Mehr als eine halbe Stunde hing er so
und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf. Und wir mussten ihm ins
Gesicht sehen. Er lebte noch, als ich
an ihm vorüberschritt. Seine Zunge
war noch rot, seine Augen noch nicht
erloschen.
Hinter mir hörte ich denselben Mann
fragen: „Wo ist Gott?“
Und ich hörte eine Stimme in mir
antworten: Wo er ist? Dort - dort
hängt er, am Galgen...“
„Herr, gib mir Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht
ändern kann.
Gib mir Mut, Dinge zu ändern, die
ich ändern kann,
und gib mir die Weisheit, das eine
vom anderen zu unterscheiden.“
F. Chr. Ötinger
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