10.12.2016: Internationaler Tag der Menschenrechte Christentum, Islam und die sexuellen Menschenrechte Rede von Michael Kraus, Stellvertretender Vorsitzender des Bund für Geistesfreiheit K.d.ö.R. (bfg) Regensburg und Mitglied der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) Regensburg Wir feiern heute als humanistische und säkular-freidenkerische Vereinigung den Internationalen Tag der Menschenrechte. Dazu gedenken wir der Veröffentlichung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen im Jahr 1948. Zusammen mit dem UNZivilpakt und dem UN-Sozialpakt von 1966 bildet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte den sogenannten „Internationalen Menschenrechtskodex“. Wir wollen heute als Bund für Geistesfreiheit Regensburg den Schwerpunkt des Gedenkens – anlässlich des Besuchs einer irakisch-kurdischen Flüchtlingsgruppe beim bfg Regensburg – auf das Thema „Christentum, Islam und die sexuellen Menschenrechte“ richten. Zur Zeit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte waren die sexuellen Grundrechte der Menschen noch kein aktuelles Thema. Dennoch findet sich bereits in der damaligen Erklärung ein indirekter Hinweis darauf. In Artikel 2 „Verbot der Diskriminierung“ heißt es nämlich: „Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Des weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.“ Aus dem Hinweis auf das Diskriminierungsverbot bei Unterschieden des Geschlechts, der „sonstigen Überzeugung“ sowie des „sonstigen Stands“ kann man indirekt ableiten, dass auch niemand aufgrund seiner sexuellen Präferenzen diskriminiert werden dürfe. An diesem Beispiel kann man jedoch auch gut sehen, dass die Menschenrechte kein einmal entwickeltes und damit abgeschlossenes Konzept darstellen, sondern dass sie stetig fortentwickelt werden müssen. Dies gilt gerade für das Thema „Sexualität und Menschenrechte“. Heute, 68 Jahre nach der Veröffentlichung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, sind wir in der gesellschaftlichen Entwicklung um einiges weiter. Bei meiner Suche nach Informationen für meine heutige Rede bin ich deshalb im Weltnetz auf die „Erklärung der sexuellen Menschenrechte“ aufmerksam geworden, verabschiedet von der Generalversammlung der Weltvereinigung für sexuelle Gesundheit – World Assocation for Sexual Health (WAS) – am 26. August 1999 in Hongkong (siehe http://www.sexologie.org/sexualrechte.htm). Die Erklärung, die ich nun kurz vorstellen möchte, formulierte in elf Artikeln die sexuellen Grundrechte aller Menschen aus: „Erklärung der sexuellen Menschenrechte Sexualität ist integraler Bestandteil der Persönlichkeit jedes menschlichen Wesens. Ihre volle Entfaltung verlangt die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse wie Sehnsucht nach Kontakt, nach Intimität, nach Ausdruck von Gefühlen, nach Lust, Zärtlichkeit und Liebe. Sexualität konstruiert sich aus dem Zusammenwirken von individuellen und gesellschaftlichen Strukturen. Eine voll entwickelte, erfüllte Sexualität ist die Grundlage für individuelles, zwischenmenschliches und gesellschaftliches Wohlbefinden. Sexuelle Rechte sind universale Menschenrechte auf der Grundlage von Freiheit, Würde und Gleichheit aller Menschen. So wie der Anspruch auf Erhalt und Wiederherstellung der Gesundheit 1 ein menschliches Grundrecht ist, so gilt dies auch für die sexuelle Gesundheit. Damit Menschen und Gesellschaften eine gesunde Sexualität entwickeln können, müssen die folgenden SexualRechte weltweit anerkannt und mit allen Mitteln gefördert und verteidigt werden. Sexuelle Gesundheit gedeiht nur in einer Umgebung, die diese sexuellen Grundrechte wahrnimmt, respektiert und ausübt. 1. Recht auf sexuelle Freiheit Sexuelle Freiheit als sexuelle Selbstbestimmung umfasst die Freiheit eines jeden Individuums, alle seine sexuellen Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Dies schließt jedoch zu jeder Zeit und in jedweden Lebenssituationen alle Formen sexuellen Zwangs, sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch aus. 2. Recht auf sexuelle Autonomie, sexuelle Integrität und körperliche Unversehrtheit Dieses Recht beinhaltet die Fähigkeit zu selbständigen Entscheidungen über das eigene Sexualleben im Rahmen der eigenen persönlichen und sozialen Ethik. Es umfasst auch das Recht auf Verfügung über und Lust am eigenen Körper, frei von jeder Art von Folter, Verstümmelung und Gewalt. 3. Recht auf sexuelle Privatsphäre Dies umfasst das Recht auf individuelle Entscheidungen und Verhaltensweisen in unserem Intimleben, solange diese nicht die Sexual-Rechte anderer beeinträchtigen. 4. Recht auf sexuelle Gleichwertigkeit Dies verlangt Freiheit von allen Formen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Geschlechtsrolle, sexueller Orientierung, Alter, Rasse, sozialer Schicht, Religion oder körperlicher und seelischer Behinderung. 5. Recht auf sexuelle Lust Sexuelle Lust einschließlich Selbstbefriedigung ist eine Quelle von körperlichem, seelischem, geistigem und spirituellem Wohlbefinden. 6. Recht auf Ausdruck sexueller Empfindungen Sexuelle Äußerungen beinhalten mehr als erotische Lust oder sexuelle Handlungen. Menschen haben das Recht, ihre Sexualität durch Kommunikation, Berührungen, Gefühle und Liebe auszudrücken. 7. Recht auf freie Partnerwahl Dies bedeutet das Recht zu heiraten oder auch nicht, sich scheiden zu lassen und andere Formen verantwortungsbewusster sexueller Beziehungen einzugehen. 8. Recht auf freie und verantwortungsbewusste Fortpflanzungsentscheidungen Dies schließt das Recht auf die Entscheidung ein, Kinder zu haben oder nicht; ihre Anzahl und die Abstände zwischen den Geburten zu bestimmen; und das Recht auf ungehinderten Zugang zu Mitteln der Fruchtbarkeits-Kontrolle. 9. Recht auf wissenschaftlich fundierte Sexualaufklärung Dieses Recht beinhaltet, dass sexuelles Wissen in einem Prozess unbehinderter Forschung und wissenschaftlicher Ethik gewonnen und in angemessener Weise auf allen gesellschaftlichen Ebenen verbreitet wird. 10. Recht auf umfassende Sexualerziehung Dies ist ein lebenslanger Prozess von der Geburt durch alle Lebensphasen und unter Einbeziehung aller sozialen Institutionen. 11. Recht auf sexuelle Gesundheitsfürsorge Zur Verhütung und Behandlung von allen sexuellen Fragen, Problemen und Störungen sollte allen eine angemessene Gesundheitsfürsorge zur Verfügung stehen. Sexualrechte sind universale Grund- und Menschenrechte!“ 2 Diese Erklärung der sexuellen Menschenrechte halten wir als säkular-freidenkerische Humanistinnen und Humanisten für äußerst wichtig. Sie sollte in den „Internationalen Menschenrechtskodex“ aufgenommen werden. Mit zu den entschiedensten Gegnern einer solchen offiziellen weltweiten Anerkennung der sexuellen Menschenrechte zählen die drei monotheistischen, in den nomadisch besiedelten Wüsten des Nahen Ostens entstandenen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Sie prägen seit rund 2.000 Jahren das Leben der Menschen in weiten Teilen der Welt und erkennen die sexuellen Menschenrechte nicht an, wollen nicht einmal darüber sprechen. Die gemeinsame Grundannahme der drei abrahamitisch-monotheistischen Religionen ist, dass nur eheliche Sexualbeziehungen zwischen Mann und Frau zum Zweck des Zeugens von Nachkommen akzeptiert sind. Sexualität wird als etwas betrachtet, das man streng „einhegen“ und sozial kontrollieren muss. Lediglich Heterosexualität wird als legitime Form der Sexualität anerkannt. Andere Formen der Sexualität werden unterdrückt und bekämpft. Letztlich geht es den drei monotheistischen Kulten darum, groß und stark zu werden; sie wollen die Welt beherrschen, was sie oft genug in ihren „Heiligen Schriften“ betonen. Dafür müssen sich die Religionen ausbreiten, weshalb ihre Forderung an die eigenen Glaubensanhänger/innen lautet, sie sollten möglichst viele Kinder in die Welt setzen. Auch die patriarchalische Unterdrückung der Frau hängt eng mit diesem Konzept zusammen. Wenn Frauen nämlich selbst über ihren Körper entscheiden dürfen, haben sie weit weniger Kinder und fordern selbstbewusst ihre sexuellen Rechte ein. Dies ist aus Sicht der drei abrahamitisch-monotheistischen Religionen jedoch abzulehnen. Nun ist Sexualität, wovon wir als säkular-freidenkerische Humanistinnen und Humanisten überzeugt sind, jedoch ein menschliches Grundbedürfnis wie Essen, Trinken oder Schlafen. Wer demnach die Sexualität kontrolliert bzw. unterdrückt, der kontrolliert und unterdrückt auch die Menschen. Manche Wissenschaftler sagen: Je freier sich selbstbestimmte Sexualität in einer Gesellschaft entfalten kann, desto freier ist diese Gesellschaft. Dies gilt auch umgekehrt: Je mehr die Sexualität – etwa durch religiöse oder staatliche Einflüsse – eingeschränkt und unterdrückt wird, desto unfreier sind die davon betroffenen Menschen, desto unterdrückter ist diese Gesellschaft. Deshalb setzen wir uns als Bund für Geistesfreiheit Regensburg für die sexuellen Menschenrechte ein. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil einer humanistischen, freien, modernen Gesellschaft. Die Kirchen wurden durch die Aufklärung in der europäischen Neuzeit zurückgedrängt. Sie gerieten in die Defensive und mussten das Mittelalter hinter sich lassen, in dem sie fast willkürlich über die Menschen und Gesellschaft herrschen konnten. Heute haben sie zum Glück weite Teile ihrer einstigen Macht verloren. Zum Glück deshalb, weil Demokratie und Menschenrechte gegen den erbitterten Widerstand der christlichen Kirchen durchgesetzt wurden. Im Islam steht diese dringend erforderliche Reform und Aufklärung noch aus. Die Macht religiöser Führer ist in vielen islamisch geprägten Ländern heute stärker denn je. Entsprechend mittelalterlich und menschenrechtswidrig sind dort in der Regel die Zustände. Von einer Verwirklichung oder auch nur faktischen Anerkennung der Menschenrechte sind praktisch alle mehrheitlich islamischen Länder durch den Einfluss des radikalen Fundamentalismus meilenweit entfernt. Ein schlimmes Beispiel dafür ist die Kairoer Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1990. Darin haben die 57 Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) erklärt, dass sie die individuellen Menschenrechte nur im Rahmen der islamischem Scharia und des Vorrechts der Gemeinschaft der Gläubigen (islamische „Umma“) anerkennen. In der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) haben sich mehrheitlich islamische oder von islamischen Minderheiten geprägte Länder zusammengeschlossen. Die Kairoer Erklärung wird als islamisches 3 Gegenstück zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verstanden. Noch deutlicher ausgedrückt, hat die OIC damit ihre radikale Zurückweisung des gesamten Konzepts der individuellen Menschenrechte deutlich gemacht. Die Menschenrechte werden darin als westlicher „Kolonialismus“ abgelehnt, der zu wenig Rücksicht auf kulturelle Prägungen wie etwa den Islam nehme. Nach Auffassung der OIC stehen Scharia und Umma über allem. Damit geht der absolute Vorrang von Kollektivrechten der islamischen Gemeinschaft vor individuellen Rechten des einzelnen einher. Dies bedeutet in der gesellschaftlichen Praxis, dass Nichtmuslime und Frauen unterdrückt werden dürfen – in der Kairoer Erklärung fehlt jeder Hinweis auf echte Glaubensfreiheit – und dass mittelalterlich-brutale Körperstrafen gemäß der Scharia geboten sind. Letztlich läuft die Kairoer Erklärung darauf hinaus, dass Pflichten, soziale Kontrolle und Denunziation im Zentrum stehen anstelle von Rechten, Freiheiten und freier Entfaltung des einzelnen Menschen. Von sexuellen Menschenrechten kann man in diesem Zusammenhang nur träumen, diese sind in der Kairoer Erklärung nicht vorgesehen. Damals haben zwar lediglich 45 von 57 Außenministern der Organisation der Islamischen Konferenz diesen offenen Angriff auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen unterzeichnet. Doch auch damals noch säkular geprägte Länder wie die Türkei und die meisten arabischen Staaten haben sich inzwischen radikalisiert. Sie tragen das islamistische, eindeutig gegen die individuellen Menschenrechte gerichtete Konzept der Kairoer Erklärung inzwischen de facto mit. Als säkular-freidenkerische Humanistinnen und Humanisten lehnen wir die Kairoer Erklärung unmissverständlich ab. Wir unterstützen ähnlich gesinnte Menschen, die sich mit friedlichen und demokratischen Mitteln für die Aufklärung der islamischen Welt und die sexuellen Menschenrechte einsetzen, wozu untrennbar die Gleichberechtigung der Frau gehört. Dabei denken wir konkret an Personen wie Hamed Abdel-Samad, Mina Ahadi, Seyran Ateş, Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali, Bassam Tibi, Ahmad Mansour, Abdel-Hakim Ourghi, Mouhanad Khorchide oder Alice Schwarzer. Gerade angesichts des Flüchtlingsansturms aus Nahost und Afrika nach Europa seit dem Jahr 2015 ist es aus unserer Sicht wichtiger denn je, sich der eigenen gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen zu versichern. Für Deutschland wie Europa hat eine wichtige Antwort der Philosoph Michael Schmidt-Salomon von der Giordano-Bruno-Stiftung am 16. September 2015 gegeben, mit der Erklärung: „Säkularismus ist die Lösung – auch in der Flüchtlingsfrage!“ (siehe https://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/saekularismus-fluechtlingsdebatte) Dieser Erklärung schließen wir uns als Bund für Geistesfreiheit Regensburg am heutigen Internationalen Tag der Menschenrechte ausdrücklich an. 4