10 2013 • Hessisches Ärzteblatt Parlando Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen? Mit dem Fahrrad von Hessen nach Italien Wer würde diese Frage verneinend beantworten wollen? Im Zeitalter der Mobilität kennt man mit Sicherheit viele Menschen aus Italien, isst mit Vorliebe italienisch, und war, nicht zuletzt, verschiedentlich in Italien. Der Vorschlag der besten aller Ehe­ frauen, nach Italien zu reisen, und dies per Fahrrad, war sofort zustimmungsfähig. Ja, er rief Begeisterung hervor. Als sie noch ergänzte: „Wir fahren durch ganz Italien durch, bis nach Sizilien“, verstummte ich vor Hochachtung – vor dieser Frau und vor dem Projekt. Zusätzlich argumentierte sie: „In Südtirol, in der Toskana, in Venedig, in Ligurien (Cinqueterre), waren wir, auch schon mal in Triest, aber Italien kennen?“ Wir haben vieles gesehen, manches erlebt, erfahren, Italienisch leidlich sprechen gelernt. Doch kennen, nein, wir kennen es nicht gut. Der Trip sollte auch nicht auf zwei oder drei Wochen begrenzt sein; wir sollten uns und die Reise, den „Konsum“ entschleunigen, uns also Zeit lassen. Bleiben, wo es uns besonders gefällt, baden gehen, ein Gleichgewicht finden zwischen dem aktiven Radfahren und dem entspannten Genießen, dem „ Nichtstun“ , oder, auf Italie­ nisch, dem „dolce far niente“. So ganz ohne Argument und Vorschlag wollte ich nicht dastehen, nicht die Karten völlig aus der Hand geben. Ich sagte: „Sehr gut, wie wäre es durch Sizilien zu radeln, dann per Schiff nach Sardinien, dann wieder per Schiff nach Korsika ? Nach dem Durchfahren – ich dachte an die Strecke der ersten drei Etappen der diesjährigen Tour de France – setzen wir über nach Genua und kehren Ende Oktober mit dem Zug nach Hause zurück.“ Für den Größenwahn war immer schon ich zuständig. Wir waren uns einig, so wenig wie möglich vorzuplanen, nur wenige Regeln sollten eingehalten werden. Wir wollten zu Hause losfahren, unterwegs Freunde in München besuchen, dann über Kärnten nach Norditalien, als erste italienische Stadt Triest besuchen und dort einige Tage verbringen. Am 12.8.2013 ging es los. Über den Spessart, zum Main, an der Tauber entlang, ins Altmühltal, über das Urdonautal an die Donau. Dann von Ingolstadt über Landshut nach Salzburg, Spittal, Villach nach – endlich in Italien – Tarvisio. Von dort dem Radweg Alpen – Adria folgend, über Udine nach Triest. Erste Eindrücke sind: Die Italie­ ner gehen respektvoller mit Radfahrern um. Wir wurden kaum angehupt, nicht bedrängt. Einmal hat eine fremde Person unsere geparkten Räder, es fing zu nieseln an, mit einem auseinander geschnittenen Plastikmüllsack schützend abgedeckt. Haben wir bisher nicht erlebt. Das italienische Essen ist öfter aus wenigen Komponenten zusammengesetzt, die Produkte frischer, weniger fett, Sahne fehlt. Außer am Meer kein Fisch. Der Italiener frühstückt kaum. Ein Espresso, un caffé, und eine Süßigkeit, oft ein Hörnchen, ein Stückchen Kuchen, reichen für den Vormit­ tag. Unsere Gewohnheiten bei der „prima collazione“, dem Frühstück, erscheinen den Einheimischen grausig. Das Mittagessen ist üppig, pranzo mit Namen. Das Abendessen, la cena, ist häufig spät, in aller Regel mehrgängig, enthält ein antipasto, ein primo, meist mit Nudeln, ein secondo, mit Fisch oder Fleisch, und ein dolce, danach un caffé. Nie trinkt man einen Cappuccino nach dem Abendessen. Jede Region ist stolz auf ihre regionalen Speisen und regionalen Weine. Zum Beispiel ist das „Frico“ ein Gericht nördlich von Udine, Kartoffeln mit einem Käse, namens Montasio überbacken. Es wird ein Käse unterschiedlicher Reife verwendet. Dazu gibt es Gemüse, z. B. Bohnen und Polenta. Der in Deutschland so beliebte Prosecco hat seinen Namen von einem Ort in der Nähe von Triest. Ursprünglich war es eine Rebensorte. Heute ist es ein regio­ nal geschützter Wein. Erste Zwischenbilanz der Tour: es funktioniert! Mit den Menschen kann man ins Gespräch kommen. Bei sparsamem Gepäck muss man häufiger Wäschewaschen. Bisher wurde nichts gestohlen, erstaun­ licherweise bisher keine Panne an den Rädern und Reifen. Es geht weiter, wenn die Gesundheit hält! Marken, Apulien, Kalabrien und Basilikata: Die nächsten Zwischenziele rufen, wir können es schon hören. Dr. med. Siegmund Drexler 785