Danke, es geht mir gut

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Danke, es geht mir gut
Peter Lorenz
Gespräch
Peter Lorenz, ach das ist ja der aus Innsbruck. Wirklich fassbar ist der gebürtige Italiener jedoch nicht. Wie
genau sehen seine Häuser aus? Keine Ahnung. Anpassungsfähig und weltzufrieden hat er die Spielregeln der
Menschheit längst akzeptiert, reist durch ferne Länder und sammelt Stoff für gute Geschichten. Über Novophobie, über die Angst vor der Generic City und über Kontaminierung im Hirn des Architekten. Gespräch mit
einer stillen und feinen Randgestalt.
Wojciech Czaja im Gespräch mit Peter Lorenz
Sie haben für dieses Interview eine Bedingung gestellt: Sie
wollten etwas zum Lachen haben, da der Beruf oft sowieso
schon traurig genug ist. Wie geht es Ihnen?
Das war, als Sie mich angerufen haben – jetzt geht es mir
wieder ganz gut. Wenn es mir schlecht geht, dann gebe ich ja
auch kein Interview, sondern ziehe mich eher zurück. In dieser
Situation bin ich dann nicht wahnsinnig mitteilungsbedürftig.
Was sind denn die traurigen Aspekte Ihres Berufs?
Vielleicht sind es nicht so sehr traurige als vielmehr schwierige Aspekte. Schwierigkeiten sind ja selbst gewählte Lebenseinstellungen. Wie viele andere Architekten bin auch ich ein Leben
lang damit beschäftigt, die Lebensumstände der Menschen zu
verbessern und ihnen die Wichtigkeit von qualitativer Architektur nahezubringen. Das ist eine enorm anspruchsvolle Aufgabe,
die mit der einen oder anderen Enttäuschung einher geht. Immer wieder passiert es, dass ein Projekt von den Leuten – egal,
ob es gut oder schlecht ist – einfach nicht angenommen wird.
Und dann wundern wir Architekten uns: Warum wollen das die
anderen nicht? Und so ist es oft besser, in einigen Punkten demütig zu werden. In anderen Berufen ist das durchaus üblich.
Ich glaube, in dieser Hinsicht werden Architekten erst im hohen
Alter richtig erwachsen.
Wann sind Sie demütig geworden?
Das ist ein schleichender Prozess. Nur in Krisenzeiten geht
das schneller vor sich. Trotzdem: Der Drang, zu entwerfen und
zu bauen, der bleibt immer. Aber wissen Sie, was für den Architekten das Schönste ist, das alles andere aufwiegt und vergessen lässt?
Bitte!
Das ist der Zeitpunkt, wenn ein Bauwerk fertig wird, wenn
es von den Bauherren, von den Kritikern und später dann von
der Bevölkerung angenommen wird, wenn es Teil ihrer Identität
wird. Anfängliche Akzeptanzschwierigkeiten gibt es oft, denn
das Neue ist der trägen Gesellschaft nie sehr angenehm. Aber
bald beginnt diese Novophobie zu weichen, und dann sind alle
zufrieden.
Nur in Italien hat sich diese Situation nicht eingestellt. Sie
haben ein Wohnhaus in Triest gebaut und waren plötzlich
der Buhmann auf Rai Uno. Was genau ist passiert?
In Italien und besonders in Triest sind Veränderung, moderne Architektur und modernes Stadtleben Themen, die kaum jemanden interessieren. Der deutsche Kulturanthropologe Manfred Faßler meint, dass es in jeder erfolgreichen Gesellschaft
in einem ausgewogenen Verhältnis Konservatoren, Innovatoren
und Bedeutungsgeber gibt und immer gegeben hat. Das Problem ist, dass in Italien die Innovatoren allmählich aussterben.
Dafür aber haben die Konservatoren Hochkonjunktur. Und die
Bedeutungsgeber verlieren sich im Nebensächlichen. Triest ist
eine wunderschöne Stadt, aber sie hat – wie das in Wien vor
etwa 30 Jahren der Fall war – eine vollkommen in die große Vergangenheit orientierte Gesellschaft, die von der Erinnerung an
Peter Lorenz
1950 geboren in Innsbruck
seit 1980 Architekturbüro in Innsbruck
1983 Diplom in Venedig
seit 1991 Büro in Wien, tätig in Forschung und Lehre
Vorträge, Workshops und Gastprofessuren an verschiedenen
­Universitäten, u. a. Innsbruck, Graz, Triest, Neapel, Mumbai,
­Hongkong, Guangzhou und Nanjing
Projekte (Auswahl): 2008 Einkaufszentrum Lienz; 2008 Masterplan ÖBB Seestadt Bregenz; 2008 Sozialer Wohnbau, Nussbaumallee Süd, Wien; 2008 Wohnbau Unterbirkenberg, Telfs; 2007 Wohnanlage, Hall in Tirol; 2007 Berghütte Rifugio Fausto, Bergamo; 2007
Wohn- und Geschäftshaus Höttinger Au, Innsbruck; 2006 Projektentwicklung Wohnen im Mühltal, Innsbruck; 2005 Einkaufszentrum Q19, Wien; 2005 M-Preis Niederndorf; 2004 Wohnhaus Sottolfaro, Triest; 2004 Interspar Liezen; 2003 Wohnen an der Sonne,
Telfs; 2000 Sportcity Tivoli, Ljubljana; 1994 Hotel Das Triest, Wien
allem auch in Wien. Demgegenüber ist Innsbruck zwar eine
kleine Stadt, aber doch ein gutes Beispiel. Vor zwölf Jahren
habe ich mitbewirken können, dass man für den Bau des Rathauses einen geladenen Wettbewerb mit ausländischen Architekten auf die Beine stellte. Das war damals der Beginn einer
neuen Ära. In der Zwischenzeit ist Innsbruck innerhalb weniger
Jahre geradezu eine Architekturhochburg geworden. Wer hätte
sich das früher vorstellen können? Es gibt in Europa kaum eine
andere Stadt dieser Größe, die derart international agiert.
Was sagen Sie zur Hungerburgbahn?
Da bin ich ziemlich befangen, weil das Projekt auf meinem
Wettbewerbsbeitrag aufbaut – genau dieselbe Trasse. Außerdem
habe ich mit der skulpturalen Architektur einfach Probleme,
das gebe ich zu. Aber, insgesamt betrachtet, ist die Hungerburgbahn eine große Aufwertung für die Stadt. Man muss nur aufpassen, dass man es nicht übertreibt. Früher haben Architekten
von außen kaum Chancen gehabt, an Aufträge heranzukommen.
Heute ist es genau umgekehrt: Der provinzielle Umkehrschluss
lautet, dass die großen Architekten aus dem Ausland alles besser können.
glorreiche Zeiten lebt. Triest fühlt sich von Österreich verlassen,
von Italien an den Rand gedrängt und wurde viel zu lange als
Bollwerk gegen den Kommunismus verwendet. Und nun kommt
ein Österreicher daher und wagt es, ein Stück zeitgenössische
Architektur in die Landschaft zu stellen. Den Rest können Sie
sich ausmalen.
Jetzt wird’s spannend. Details!
Es gibt in Triest kaum ein Gebäude, das man als heutige,
zeitgenössische Architektur bezeichnen könnte. Kein Haus, keinen Zubau, keine Aufstockung, nichts. Das Hotel „Das Triest“,
das ich gebaut habe, wäre in Triest undenkbar! Moderne Architektur ist dort kein Thema. Darüber spricht man einfach nicht.
Und nun wird dort ein schwebendes, offenes Wohnhaus in den
Hang gesetzt. Blick aufs Meer, Sichtbeton, verzinkter Stahl. In
Österreich ist diese Art von Architektur in der Zwischenzeit ja
ganz normal, aber in Triest ist das eine Katastrophe! Die Folge
waren Bürgerinitiativen, öffentliche Auseinandersetzungen, ja sogar ein einstweiliger
Immer wieder passiert es, dass ein
Baustopp durch den Bürgermeister höchstProjekt – egal, ob gut oder schlecht
persönlich.
Warum passiert so etwas gerade in Italien?
– einfach nicht angenommen wird. dann
Italien war doch einst Inbegriff avantgarwundern wir Architekten uns, [...] Und
distischer Mode und innovativen Designs.
so ist es oft besser, in einigen Punkten
Ja, aber diese Zeiten sind vorbei. Für die
bekannten Unternehmen in Mailand und demütig zu werden. Ich glaube, in dieser
anderswo arbeiten heute viele ausländische
Hinsicht werden Architekten erst im
Designer. Die klingenden italienischen Desihohen Alter richtig erwachsen.
gnernamen, an die sich jeder noch erinnert,
sind hochbetagt, und es gibt kaum Nachfolger. Tatsache ist: In Italien dominiert nicht mehr das Moderne, Welches Urteil würden Sie Ihrer eigenen Architektur gesondern das Klassische. Irgendwann wird dieser Bär hoffent- ben?
lich wieder aus seinem Winterschlaf erwachen.
Urteilen ist das Privileg der anderen. Nur so viel: Es gibt
Empfinden Sie Triest immer noch als Ihre zweite Heimat?
Zeiten, da geht gar nichts, und da verzweifle ich beim Arbeiten
Auch wenn Triest ein schönes Stück Erde ist: Ich versuche, regelrecht. Und dann gibt es natürlich wieder Tage, da finde ich
mich vom Begriff der Heimat zu distanzieren. Die geistige Hei- unsere Projekte sehr gut.
mat ist nämlich überall dort, wo es Wesensverwandte gibt, mit In einem Interview hatte der ehemalige Standard-Chefredenen ein Zelebrieren der Ähnlichkeiten und Unterschiedlich- dakteur Gerfried Sperl einmal gemeint, dass Ihre Architekkeiten stattfinden kann. Und das muss nicht zwangsweise im tur nicht sofort als „ein Lorenz“ erkennbar sei. Ist das so?
eigenen Geburtsort oder in der eigenen Familie sein. Durch das
Ich habe mich immer gegen die Entwicklung eines persönviele Reisen habe ich begriffen, dass diese Art von Heimat im lichen Stils gewehrt. Ich habe zwar einen bestimmten Stil bei
Grunde überall entstehen kann. Durch den Kontakt mit fremden der Kleidung oder beim Essen, und ich höre gerne eine spezielle
Kulturen wird auch die eigene Entwicklung beschleunigt. Die Musik. Aber in unserem Beruf geht es meines Erachtens nicht
meisten Menschen kommen von ihren langen Reisen geläutert um die Durchsetzung eines persönlichen, formalen Stils und
zurück. Ich kann mich an meine erste Fernostreise erinnern: auch nicht um ein wiedererkennbares Marketing-Tool. Nein,
Damals war ich 19 und bin nach Japan gereist. Seitdem lässt es geht vor allem um die Auseinandersetzung mit der Bauaufmich Asien nicht mehr los. In Asien lernen wir grundlegenden gabe und da wiederum um die seriöse Arbeit an einer gültigen
Respekt vor dem anderen, eine vorauseilende Wertschätzung Lösung, die ganz bestimmte Anforderungen erfüllt. Archiund den Wert des Gemeinsamen. Da können wir Europäer nur tekten haben der Gesellschaft gegenüber eine besonders hohe,
lernen.
ethische Verantwortung. Das ist faszinierend, und das müssen
Reisen Sie mit Architekturaugen durch die Welt?
sie akzeptieren.
Früher habe ich versucht, den Architekturblick bewusst aus- Da schwingt eine gehörige Kritik an all jenen mit, die sehr
zuschalten, aber es funktioniert einfach nicht. Ich kann meine wohl eine eigene Handschrift entwickelt haben.
Gedanken nicht stoppen, denn ich fühle und sehe als Architekt
Mit allem, was man überzeugend sagt und tut, macht man
immer und überall. Ja, ich möchte geradezu sagen: Der Anteil eine Aussage über die anderen.
an architektonischer Kontaminierung im Gehirn wird mit den Harte Ansage.
Jahren immer größer. Deshalb gibt es vieles, was ich nur mit
Ist es nicht so? Es gibt einige berühmte Kollegen, manche
anderen Kollegen teilen kann. In der Autobiografie von Álvaro davon sind mittlerweile sogar Weltstars, die machen überall
Siza habe ich einmal gelesen, dass er offenbar auch niemals ab- das Gleiche! Das ist doch langweilig und erinnert fatal an Masschalten kann. Sogar am Weg vom Flughafen in die Stadt kramt senmarkenware. Damit tragen sie zur Generic City bei. Das ist
er seinen Zeichenblock heraus und macht dann eine seiner schön und gut. Doch wenn an jedem Ort dieser Welt alle Archischönen Skizzen.
tekten ihre Projekte nur noch aus der eigenen Handschrift und
Was sagt Ihr Architekturblick, wenn Sie sich durch Inns- nicht mehr aus den Gegebenheiten des jeweiligen Ortes entwibruck bewegen?
ckeln, dann haben wir irgendwann einmal den perfekten ProEines vorweg: Wir leben in einem großartigen Land, in einer totypen der Generic City entwickelt. Bleibt am Ende nur noch
guten Zeit und in einer verhältnismäßig offenen Gesellschaft. der Gedankenschluss, dass eines fernen Tages alle Städte gleich
Österreich ist ein Land mit einer wachsenden Sensibilität für aussehen. Wollen wir das wirklich?
Architektur und für jegliche Art des Neuen. Das sieht man vor
Gespräch | 16. Jänner 2008
MAGAZIN
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wenn an jedem Ort dieser
Welt alle Architekten
ihre Projekte nur noch aus
der eigenen Handschrift
und nicht mehr aus den
Gegebenheiten des jeweiligen
Ortes entwickeln, dann haben
wir irgendwann einmal den
perfekten Prototypen der
Generic City entwickelt.
Foto: Larry R. Williams
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