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nummer 2, juni 2015
Multikulturelle Gesellschaft
erfordert kultursensible Betreuung
P.P.
3001 Berne
Post CH AG
Religiöse Rituale, Überzeugungen und Bräuche sind in der
letzten Lebensphase oft von
grosser Bedeutung. Für Betreuende kranker und sterbender
Menschen ist es deshalb wichtig, den kulturellen Hintergrund
ihrer Patienten zu kennen und
zu respektieren.
In unserer multikulturellen Gesellschaft
sind Pflegende und Betreuende häufig mit
Menschen aus anderen Kulturkreisen und
damit mit unterschiedlichen Einstellungen, Werten und religiösen Praktiken
konfrontiert. Insbesondere der Umgang
mit Sterbenden verschiedener Glaubensrichtungen erfordert von den freiwilligen
Betreuenden im zapp ein hohes Mass
an Wissen, um Missverständnisse zu vermeiden, sowie die Bereitschaft zu Empathie und Toleranz, um Konflikten vorzubeugen.
Wenn ein Patient sich zu einer Konfession bekennt, gibt das allerdings noch
­keine Auskunft darüber, ob er gläubig und
praktizierend ist. Zentral ist deshalb, den
Patienten auf religiöse, kulturelle, spirituel­
le und persönliche Bedürfnisse anzusprechen. Gerade das Älterwerden oder das
plötzliche Eintreten einer Krankheit können dazu führen, dass die Religiosität
an Bedeutung gewinnt. Vielen religiösen
Patienten sind praktische Dinge wie Essgewohnheiten, Sterberiten wichtig.
zapp setzt auf ambulante kultursen­
sible Betreuung und versucht, den kulturellen Alltag der Patienten zu verstehen,
neutral zu bleiben und dadurch die Professionalität der Betreuung zu erhöhen. Das
heisst nicht, dass man alle Religionen im
Detail kennen muss, das Wissen um be-
treuungsrelevante Aspekte steht im Vordergrund.
Sterben und Tod – unterschiedliche
religiös geprägte Rituale
Christentum: Für Christen besteht eine
moralische Verpflichtung, Menschen in
Not und damit auch Sterbenden beizustehen. Christen aller Konfessionen glauben
an ein Leben nach dem Tod. Die Auffassungen sind jedoch sehr verschieden – von
der Ansicht, die Seele existiere in anderer
Form in einer nächsten Welt weiter bis zur
detaillieren Vorstellung von Himmel und
Hölle findet sich alles. Christen betrachten
den Tod als eine Zeit der Vorbereitung auf
das Leben nach dem Tode.
Unter Christen gibt es eine grosse
Bandbreite an Überzeugungen. Der beste
Weg, etwas über die Glaubensgrundsätze
zu erfahren, besteht darin, den Patienten
oder seine Angehörigen zu fragen. So lehnen zum Beispiel viele Christen (orthodoxe
und römisch-katholische) eine Einäscherung ab, in der protestantischen Tradition
ist eine Erdbestattung heute nicht mehr
allzu wichtig.
Judentum: Das Festhalten am Leben
bringt es mit sich, dass Juden oft Schwierigkeiten im Umgang mit Sterbenden haben. Obwohl das Judentum besonders gut
mit Trauernden umgehen kann, wird der
Sterbende oft vernachlässigt und erfährt
nur wenig Trost. In den letzten Jahren ist
sich die jüdische Gemeinschaft aber dieses
Mangels bewusst geworden und bemüht
sich verstärkt um Sterbende und ihre Familien.
Orthodoxe und auch nichtorthodoxe
Juden lassen Tote nie alleine. Diese Zeit ist
aber normalerweise nicht sehr lange, da
die jüdischen Gesetze eine schnellstmögliche Beerdigung vorsehen.
Islam: In der islamischen Kultur erlernen die Menschen den Umgang mit dem
Sterben schon in ihrer Kindheit. Der Tod
gilt als die letzte wichtige Erfahrung im irdischen Dasein. Er bedeutet letztendlich
die Erfüllung des Lebens, weshalb man
sich nicht gegen ihn auflehnen soll. Der
Tod ist jedoch nicht das Ende, die Existenz
geht in einer anderen Dimension weiter.
Für Moslems ist es eine moralische
Pflicht, Sterbende nicht alleine zu lassen.
Sehr bedeutsam ist der Aspekt der Vergebung; es soll Gelegenheit gegeben werden, Konflikte beizulegen.
Verstorbene muslimischen Glaubens
werden einer rituellen Waschung unterzogen, die nur von Muslimen des jeweils
gleichen Geschlechts oder vom Ehegatten
ausgeführt werden darf. Muslime werden
nie verbrannt, sondern erhalten eine Erdbestattung, die möglichst innerhalb von
24 Stunden nach Eintreten des Todes
stattfinden sollte.
Hinduismus: Im Hinduismus gilt die
Reinkarnationslehre. Jedes Leben ist nur
eine von vielen Daseinsformen, welche die
Seele im Laufe einer Entfaltung realisiert.
Die Qualität der nachfolgenden Existenz
hängt vom Karma ab. Hindus streben
während des ganzen Lebens danach, gute
Taten zu tun, um gutes Karma zu sammeln
und sich damit auf den Tod vorzubereiten.
Denn nur dadurch ist irgendwann der Austritt aus dem Kreislauf der Wiedergeburten
und damit das Einssein mit dem Göttlichen
und vollkommener Friede zu erreichen.
Gläubige Hindus leisten dem Sterbenden Beistand, indem sie an seinem Sterbebett sitzen und mit ihm bis zum Zeitpunkt
des Todes beten. Die Riten in Bezug auf
den Tod sind sehr unterschiedlich. In manchen Familien kann es beispielsweise als
respektlos gelten, wenn Nicht-Hindus den
Toten berühren. Angehörige des hinduis­
tischen Glaubens bevorzugen eine Feuerbestattung.
Buddhismus: Auch im Buddhismus
dominiert die Lehre der Wiedergeburt und
das Karma-Gesetz. Die Karmaenergie (die
Qualität der Gedanken und Handlungen)
ist das «Baumaterial» des neuen Körpers
und der neuen Existenz. Durch geistiges
Bemühen, ein moralisches Leben und die
Aufgabe aller irdischen Verhaftungen und
Begierden löst man sich schliesslich von
allen karmischen Verstrickungen, erreicht
den Zustand der Erleuchtung, beendet
den Kreislauf der Wiedergeburten und
geht ins Nirwana ein.
Das Sterben sollte positiv erlebt werden, d.h. mit möglichst klarem Bewusstsein und Verstand. Für die Pflege könnte
es unter Umständen bedeuten, dass die
Patienten dies mit möglichst geringer Medikation erleben möchten. In dieser Phase
ist Ruhe für die Meditation wichtig.
Nachdem ein Buddhist gestorben ist,
findet normalerweise eine Verbrennung
statt. Sie wird von einem Familienangehörigen oder einem Mitglied des buddhistischen Ordens durchgeführt.
Spiritualität und Atheismus: Spiritualität im spezifisch religiösen Sinne steht
meistens für die Vorstellung einer geis­
tigen Verbindung zum Jenseits oder zur
­Unendlichkeit. Folglich können auch Menschen ohne Religionszugehörigkeit an das
Geistige glauben und bestimmte Rituale
entwickeln, die jedoch – noch mehr als
bei Angehörigen der grossen Religionen –
personenabhängig sind.
Atheisten glauben nicht an die Existenz
Gottes, trotzdem finden sich verschiedene
Rituale und Mythen. Es gibt jedoch keine
gemeinsame Grundlage, da der Atheismus von vielen Seiten geprägt ist und sich
ständig verändert.
zapp hilft neutral und sensibel
Diese Ausführungen beleuchten die in der
Schweiz am häufigsten vertretenen Reli­
gionen und ihren Umgang mit Sterben
und Tod. Für zapp ist die Kommunikation mit dem Patienten zentral – es stört
niemanden, nach seinen Bräuchen und
Überzeugungen gefragt zu werden. Die
freiwilligen Betreuerinnen und Betreuer
des zapp sind durch das Schweizerische
Rote Kreuz Bern Mittelland in der SterbeTrauer-Thematik verschiedener Kulturen
geschult. Die Tag- und Nachteinsätze finden bei den Patientinnen und Patienten
zuhause, in Senioren- und Pflegeheimen
oder im Krankenhaus statt. Das Einfühlungsvermögen der zapp-Begleiterinnen
und -Begleiter bringt den Betroffenen und
ihren Angehörigen Trost sowie Hilfe und
Entlastung in einer Zeit, in der sie diese
Unterstützung am nötigsten haben.
Text: Barbara Belz,
Fachverantwortliche zapp
Weiterführende Literatur:
Julia Neuberger, Sterbende unterschied­
licher Glaubensrichtungen Pflegen,
Verlag Hans Huber, 2009
3 Fragen an Cristina Spagnolo,
Leiterin Migration
beim SRK Kanton Bern
Wie wichtig ist Neutralität in Konfessionsfragen
in Ihrem beruflichen Alltag?
Konfessionelle Neutralität ist in der Sozialarbeit ein wichtiger Grundsatz. Dies gilt
ganz speziell im Migrationskontext. Wir führen einen Sozialdienst für Flüchtlinge, da
begegnen wir Menschen mit unterschiedlichen Religionen und Einstellungen – ein
sensibles Umfeld. Umso wichtiger ist Neutralität. Im beruflichen Alltag und in der
Beratung ist die Konfession jedoch selten ein Thema, da geht es meist um persönliche Anliegen oder administrative Belange.
Gibt es Momente, in denen Sie Ihre
neutrale Haltung aufgeben?
Wie gesagt, eine neutrale Haltung ist bei uns
im Prinzip zwingend. Wir beziehen nur dann
Position, wenn es um die Verletzung der
Grundrechte oder um eine Straftat geht, die
im Namen der Religion geschehen ist. In der
Regel ist es jedoch nicht die Religion, auf
die problematisches Verhalten zurückzuführen ist, sondern vielmehr der kulturelle, sehr
traditionell geprägte Hintergrund der Menschen.
Glauben Sie, dass Menschen
mit Migrationshintergrund die Dienstleistungen von zapp in Anspruch
nehmen möchten?
Ja, davon bin ich überzeugt. Familien, die ihre
Angehörigen daheim pflegen wollen, sind dankbar für ein solches Angebot, egal,
welchen Hintergrund sie mitbringen. Gerade in der letzten Lebensphase werden
Traditionen wichtiger, dann ist besonders grosse Sensibilität gefragt.
Interview: Reto Schori, Leiter Entlastung und Beratung
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