$IE w COMPLICIRTE2UHE i 2ICHARD7AGNERUNDDER3CHLAF "IOGRAPHIEn-USIKËSTHETIKn&ESTSPIELDRAMATURGIE vorgelegt von JOHANNA DOMBOIS Von der Fakultät I – Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin zur Erlangung des akademischen Grades Dr. phil. genehmigte Dissertation Promotionsausschuß Vorsitzende: Prof. Dr. Bénédicte Savoy Erster Berichter: Prof. em. Dr. Dr. h.c. Peter Wapnewski Zweiter Berichter: Prof. em. Dr. Norbert Miller Dritter Berichter: Prof. Dr. Thomas Cramer Tag der mündlichen Prüfung: 13. Juli 2006 Berlin 2007 D 83 Johanna Dombois Die »complicirte Ruhe« Richard Wagner und der Schlaf: Biographie – Musikästhetik – Festspieldramaturgie <Abstract> Das Personal der Wagnerschen Musikdramen setzt sich nicht nur aus "Tagknechten", sondern einer unüblich großen Anzahl von "Nacht-Geweihten" zusammen. Was zunächst episodisch scheint, ist ein fundamental produktiver Widerspruch: Dutzende von Schläfern und Schlafsüchtigen, Träumern und Visionären, Somnambulen und Halluzinanten sorgen dafür, daß eine nach vorne stürzende Handlung erst arretiert, dann umgeleitet und schließlich auf einer verborgenen Ebene fortgeschrieben wird. Die vorliegende Arbeit legt die Voraussetzungen frei, kraft derer diese szenische Anlage realisiert wurde. Der Schlaf wird als Affekt in Wagners Biographie, als Metapher in seiner Kunst- und Musikästhetik und als Allegorie in der Festspieldramaturgie untersucht. <Kap. I> zeigt, daß Wagners Faible für kostbare, fließend-weiche Schlafröcke und dämmernde Interieurs nicht einem fetischisierten Luxusanspruch unterlag, sondern eine Aura der Stimulation erzeugte, die gleichbedeutend war mit einer autosuggestiven Bedingung des Komponierens. Für Wagner, dessen physiologische Statur ständig durch insomnische und neurasthenische Schübe erschüttert wurde, wird der Stoffbegriff in zweifacher Hinsicht bedeutsam, zum einen als rein materiale, zum anderen als ästhetische Textur. Diesem Themenkomplex beigeordnet ist die erste chronologische Kartierung aller notierten Wagnerschen Träume. Dabei geht es explizit nicht um Traumdeutung, sondern systematisch um das Verfahren des Träumens, welches als konstitutiver Teil eines Werkes erscheint, das immer wieder als traumhaft bezeichnet worden ist. <Kap. II> belegt, daß sich die lebenspraktische Spannung zwischen Wachen, Schlafen und Träumen in Wagners Kunst- und Musiktheorie übersetzt hat. Die Bilder einer Gesellschaft, deren ermüdende soziale und politische Machinationen nur mehr auf eine "Erweckung" hoffen ließen, begegnen der Vorstellung, daß der prototypische Künstler zu einem Träumenden werden solle, der ruhen muß, um für alle zu erwachen. Der Schlaf kann demnach als Ressource utopistischen Bildertreibens, der Traum im romantisch-naturphilosophischen Sinn als ein der Musik äquivalentes Phänomen dechiffriert werden. Ob Wagners Werk hypnotisch sei, stellt des weiteren eine wichtige Teileinheit der Rezeptionsgeschichte dar. Es wird diskutiert, mit welchem Recht Schlaf und Tod, Homöopathikum und Narkotikum, Rekonvaleszenz und Dekadenz immer wieder gegeneinander hochgerechnet werden. <Kap. III> behandelt die Traumfabrik Bayreuth als Apotheose des Schlafmotivs. Künstliche Verdunklungen und nächtliche Illuminationen, Dämmerungssehen im Zuschauerraum, der Halbschlaf des Publikums, aus dem "Wahrträume" freigesetzt werden sollten – Wagner hat das Inszenieren inszeniert und die dramaturgische Spannung ins Parkett delegiert. Der Zuschauer soll zum Künstler, der Konsument zum Ko-Produzenten werden. Detailliert wird deshalb das Bild des Auges besprochen, das sich verschließen muß, um jene musischen Bilder projizieren zu können, die das Musikdrama erst auf den Plan rufen. Die Protagonisten der Wagnerschen Werke erscheinen als energetische Manifestationen der Träume. Schlaf, das vergessene Motiv, wird zum Katalysator der Kunst. »Der Stab?« – »Die Hoffnung.« »Die Wanderbürde?« – »Das Fleisch.« (Nach: Georg Philipp Harsdörffer, Frauenzimmer Gesprächspiele) Paul Turß zur Erinnerung Inhalt Die »complicirte Ruhe«: Einblick ............................................................................... 9 Idee und Gegenstand 9 – Motivation und Forschungssituation 16 – Vorgehen und Ziel 19 I. »Kunststoffe (Schlafröcke)« Der Schlaf als Motiv in Wagners Biographie ......................................................25 I.1 Oberstoffe ......................................................................................................25 Zur Stoffwahl: Leben oder Werk, Leben und Werk, Leben als Werk 25 – Der Gewandmeister 30 – Contre la mode 35 – Wagner halbseiden? 40 – Stoff und Stofflichkeit 42 – Innenausbau [1]: Wagners Wohnungen 46 – Innenausbau [2]: Wagners Schlafzimmer 51 – Der »Kompositeur der Schlafröcke« 54 I.2 Unterstoffe .....................................................................................................56 Insomnie und Neurasthenie als Krankheitsbild 56 – Das pathogene Werk 59 – Similia similibus curentur 63 – Neue Schläfrigkeit 71 – Der Schlaf als Konstruktionsprinzip 73 – Teilergebnis 75 I.3 Innenstoffe .....................................................................................................79 Träume 79 – Wider die Analyse 82 – Am Rande des Schlafs: Zu einem Register der Träume Richard Wagners 86 – Ansichten von der Nachtseite 91 – Reprise: Der Traum als Konstruktionsprinzip 93 – Stretta: Das »zweite Leben« 95 – Coda: Traumstoffe/ Schnittmuster 99 II. Zu schlafen wissen Der Schlaf als Motiv in Wagners Kunst- und Musikästhetik ...........................103 II.1 Verwandelte Wiederkehr [1]: Innere Biographie – Äußere Biographie – Kunst/ Kunsttheorie.....................................................................................105 Wagner, der Träumende 105 – Wagner, der Wachende 107 – Wagner träumt und wacht 113 II.2 Verwandelte Wiederkehr [2]: Wesen, Entwicklung und Wirkung des Künstlers ......................................................................................................115 Der Künstler und das Unbewußte 115 – Der Künstler, ein Träumender 117 – Beethoven-Schrift und Traumbegriff 121 – Begriff des 'tiefen Traums' 124 – Begriff des 'allegorischen Traums' 125 – Gesichtssinn 127 – Hörsinn 129 – Begriff des 'Erwachens' 133 – Der Künstler träumt und wacht 135 – Nur der Wachende schläft, nur der Träumende erwacht 138 – Teilergebnis 141 II.3 Natur der Musik ..........................................................................................144 Erstes unter Ranggleichen 146 – Traumdeutung [1]: Verhältnis Musik/ bildende Künste 147 – Traumdeutung [2]: Verhältnis Musik/ Dichtung 148 – Die Traumsprache 149 – Musik/ Mythos 153 – Musik/ Utopie 156 – Künste des Übergangs 157 – Musik als Heilkunst [1] 160 – Schlaf versus Hypnose 164 – Warum nicht Hypnose? 171 – Musik als Heilkunst [2] 174 – Schlafmotiv und Schlafforschung 177 – Teilergebnis 184 III. Unter dem Hügel die Senke Der Schlaf als Motiv in Wagners Festspieldramaturgie ....................................191 III.1 Nebelkammern ............................................................................................192 »Ein Traum von Festspielen« 192 – Das Flußbett des Hügels 194 – Den Steinen das Schwere nehmend 197 – Schlaftempel und Tempelschlaf 201 – Lichtschleuse: Das Szenario der Saalbeleuchtung 204 – Die Farben der Nacht 206 – Physik als Metaphysik? Anmerkungen zur Technifizierung der Nacht 210 – Die Nacht als Schlafenszeit: Vom Wegschauen 213 III.2 Der Tau des Schlafes ....................................................................................222 »Ideale Fernsicht«: Das Traumbild der Bühne 222 – Das Auge, das sich wechselnd öffnet und schließt: Der Wagner-Vorhang 227 Rückblick: Zusammenfassung (Abstract) .................................................................231 Register der Träume Richard Wagners (zu Kap. I.3) .............................................235 Abbildungen ..............................................................................................................253 Abbildungsverzeichnis ...............................................................................................303 Literaturverzeichnis ...................................................................................................309 Danksagungen ...........................................................................................................335 Lebenslauf ..................................................................................................................339 Die »complicirte Ruhe«: Einblick ... an die Lebens- und Feuerluft der Studierstube gewöhnt, die noch die einzige Schlafkammer (Dormitorium) unserer Leidenschaften [ist]... (Jean Paul)1 <Idee und Gegenstand> Ein Ausflug nach Bayreuth, August 1876. Paul Lindau, dem wir einige sorgfältige Festspiel-Notizen verdanken – er selbst nannte sie Nüchterne Briefe – berichtet folgendes: Leider gehöre ich zu den unverbesserlichen Leuten, die die Morgenröthe lieber als den Schluß des vorangegangenen Tages, denn als den Beginn eines neuen betrachten; und um nicht früh aufstehen zu müssen, legte ich mich gar nicht erst zu Bett. Um halb 5 Uhr Morgens verläßt der Courierzug Dresden. Ich hoffte bis Hof fünf bis sechs Stunden schlafen zu können, um dann mit neuen Kräften ausgerüstet, den Anstrengungen, die unser hier harren, entgegenzugehen. Der Plan war gut, aber die Ausführung ließ zu wünschen übrig. Wer doch den Locomotiven das verwünschte Pfeifen abgewöhnen könnte! Vier oder fünf Mal wurde ich aus dem Schlaf gepfiffen, bis ich mich endlich daran gewöhnte. Die Station Glauchau passirte ich schon im festen Schlaf, und schlafend kam ich in Zwickau an. Hier wurde ich durch einen Herrn, der sehr geräuschvoll in's Coupee trat [...] aufgeweckt. [...] »Gehen Sie auch nach Bayreuth?« [...] »Sehen Sie, Sie widersprechen nicht«, schloß der Mann seine Rede. Er hatte im Eifer des einseitigen Gesprächs gar nicht bemerkt, daß ich geschlafen hatte. Um 1 Uhr traf ich, ohne weiteren Schaden erlitten zu haben, in Bayreuth ein [...]. Eine halbe Stunde vor Beginn der [General-] Probe [der Götterdämmerung] war ich an Ort und Stelle.2 Setzen wir voraus, daß dies wirklich ein nüchterner Bericht ist, so herrscht in ihm doch zweifellos ein Stimmungsvibrato der eigenen Art. Lindau pilgerte zu einem der glamourösesten und umstrittendsten, zumindest unalltäglichsten Theaterspektakel der Epoche, aber seine Zeit nutzte er weder für ein letztes Studium des Klavierauszugs noch für die obligatorische Textbucharbeit, er verfertigte keine Durchhalteparolen und präparierte sich nicht mit Stoßgebeten. Immerhin ein gewisser Alban Berg soll ein paar Jahre später die Partitur des Parsifal mit ins Bett genommen und eine nächtliche Feier für sie inszeniert haben. Doch bei Lindau nichts dergleichen. Er scheint lediglich über Quisquilien zu schreiben, von denen es im Grunde gar nichts zu erzählen gibt. Das einzige, was man seinen ersten Eindrücken entnehmen kann, ist, wie kompliziert es manchmal sei zu schlafen. Gehen wir deshalb in die nächsthöhere Instanz. Vom Zuschauer zur Aufführung. Schauen wir auf das Werk, das diese vermeintlich unterkomplexe Amplitudenphase ausgelöst hat. In der Oper würde nun eine Kunstpause folgen. Denn was bislang weder die 1 [Jean Paul, 1960], S. 588 2 [Lindau, 1877], S. 3ff. 9 Wagner-Forschung im speziellen noch die Theater- oder Medienwissenschaften im allgemeinen bemerkt haben, ist ein spielbestimmendes Motiv: Das Wagnersche Werk ist durchädert von Schlafsequenzen in einer Weise, die diejenigen sofort zu Dunkelmännern deklarieren müßte, die in Ansicht des Materialstandes nur mehr von einem retardierenden Moment sprechen wollten. Paul Lindau hat den richtigen Sensus besessen, der Schlaf und mit ihm die zahllosen (und bis dato eben auch ungezählten) Schläfer und Schlafsüchtigen, Träumer und Visionäre, Somnambulen und Halluzinanten, die quer durch alle Werke Wagners vagabundieren und dort rätselhaft auf- und wieder abtauchen, verursachen eine theatrale Stauung, hinter der sich ausbündige Sprungkraft, nie Indolenz oder gar Blutarmut verbirgt. Ohne Beispiele läßt sich kaum sagen, was gesagt werden soll. Da wäre zunächst die Grammatik der Weckrufe. "Erwacht, ihr Schläfer nah und fern"3 singen die LateranChöre im Rienzi, "He, Seeleut'! Seeleut'! Wacht doch auf!"4 die Mädchen im Fliegenden Holländer, "Erwache! Erwache!/ Erwache meinem Jammer!"5 Marke im Tristan, "Wach auf, es nahet gen den Tag"6 das Nürnberger Volk in den Meistersingern, "Wotan! Gemahl! erwache!"7 Fricka im Rheingold; Wotan selbst im Siegfried: "Fafner! Fafner!/ Erwache, Wurm!"8 und wenig später "Wache! Wache!/ Wala, erwache!"9, kurz zuvor Siegfried: "Nothung! Nothung!/ Neu und verjüngt!/ Zum Leben weckt' ich dich wieder"10, danach Gunther in der Götterdämmerung zu Brünnhilde: "Erwache, Frau!/ Hier ist dein Gatte"11, schließlich Hagen: "Hoiho! hoiho!/ Wacht auf! wacht auf!/ Lichte! Lichte!"12, dann noch einmal Siegfried, der in Erinnerung an das "Erwache! erwache!/ heiliges Weib!"13 sich selbst paraphrasiert mit dem Vers: "Brünnhilde –/ heilige Braut –/ wach auf! öffne Dein Auge!"14 – all dies also Weckrufe, die ein Signum dafür sind, daß es – "He! Ho!"15 – auf Schritt und Tritt in Wagners Werken "Schlafhüter mitsammen"16 gibt. Erste Ergänzung: Diese Schlafhüter haben natürlich auch alle Schlafstätten, Amfortas etwa ein "Siechbett"17, Tristan und Isolde je ein "Ruhebett"18, dasselbe besitzt Lucretia in der Pantomime des Rienzi19, der Lohengrin bringt ein "reichgeschmückte[s] Brautbett"20, 3 Rienzi, 1, 4. [Wagner, o. J. c], S. 23 4 Der fliegende Holländer, 3, 1. [Wagner, 1953], S. 37 5 Tristan und Isolde, 3, 3. [Wagner, 1984b], S. 72 6 Die Meistersinger von Nürnberg, 3, 5. [Wagner, 1984a], S. 95 7 Rheingold, 2. [Wagner, 1999c], S. 26 8 Siegfried, 2, 1. [Wagner, 1998b], S. 60 9 Siegfried, 3, 1. Ebd., S. 93 10 Siegfried, 1, 3. Ebd., S. 53 11 Götterdämmerung, 2, 4. [Wagner, 1997a], S. 64 12 Götterdämmerung, 3, 3. Ebd., S. 101 13 Siegfried, 3, 3. [Wagner, 1998b], S. 111 14 Götterdämmerung, 3, 2. [Wagner, 1997a], S. 99 15 Parsifal, 1, 1. [Wagner, 1950], S. 11 16 Ebd. 17 Ebd. 18 Tristan und Isolde, 3, 1. [Wagner, 1984b], S. 54, resp. Tristan und Isolde, 1, 1. Ebd., S. 5 19 Rienzi, 2, 3. [Wagner, o. J. c], S. 34 20 Lohengrin, 3, 1. [Wagner, 1952], S. 45 10 der Tannhäuser das Venus-"Lager"21, der Ring des Nibelungen des "Schlummernden Bett"22 auf dem Grunde des Rheins sowie Siegmunds "Lager"23 auf der "Decke von Bärenfell"24 und den "niedrigen Mooshügel"25 auf dem Brünnhildenstein. Zweite Ergänzung: Außer den Meistersingern, die, wie Peter Wapnewski es einmal ausgedrückt hat, dem Tristan wie 'der Tag auf die Nacht folgen', beginnen sämtliche Hauptwerke Wagners mit einer Schlafsequenz; ab ovo und in medias res – der Schlaf wird zu einer jener "Portalfigur[en]"26, die einen weichen Anfang ermöglichen: Der bacchantische Tanz im Tannhäuser hinterläßt "Gruppen [von] Schlafenden"27, Tannhäuser selbst "führt die Hand über die Augen, als ob er ein Traumbild festzuhalten suche".28 "Schlaft ruhig, Kapitän!"29, sagt jener wachhabende Steuermann, der im Holländer selbst "mit der Müdigkeit [kämpft] und [...] endlich ein[schläft]". 30 Lohengrin: "Träumt sie? Ist sie entrückt?"31, das gehört zu Elsas Fabel und hier eigentlich schon zur zweiten Szene des ersten Aufzugs; diese einzige (und auch nur halbe) Ausnahme jedoch bestätigt die Regel, insofern Elsas Erklärung "ich sank in süßen Schlaf"32 vor die erste Szene zurückweist, um dann, in wiederum umgekehrter Richtung, an diese anzustoßen. Tristan: Isolde schläft, "das Gesicht in die Kissen gedrückt".33 Parsifal: Gurnemanz liegt "schlafend unter einem Baume"34, Kundry bekennt: "Ich bin müde".35 Und last but not least des "Goldes Schlaf"36 im Ring des Nibelungen, der nicht nur einen Anfang, sondern sogar den Allanfang inkarniert. Dritte Ergänzung: Noch mehr ließe sich sagen. Zum Beispiel, daß allein im Ring 13 von insgesamt 22 handlungstragenden Figuren oder Figurengruppen dem Einzugsbereich des Schlafs überantwortet sind und sich so, affekt- oder metapherngebunden, dem Kontinuum der Handlung entziehen – es geht nicht nur um Wotan, sondern auch um Nothung, nicht nur um Fafner, sondern auch um das Gold, nicht nur um Brünnhilde, sondern auch um Grane. Die numerische Gewißheit verursacht geradezu eine Schreckstarre. Denn das inkubierende Völkchen der Schläfer stört den dramaturgischen Gleichgewichtssinn mit einer solchen Latenz, daß für Wagners Musikdramen von einem Normalfall kaum mehr ausgegangen werden kann. "Die Schlafenden sind Tätige und Mitwirkende beim 21 Tannhäuser, 1, 1. [Wagner, 1949], S. 14 22 Rheingold, 1. [Wagner, 1999c], S. 8 23 Walküre, 1, 1. [Wagner, 1997b], S. 10 24 Ebd., S. 8 25 Walküre, 3, 3. Ebd., S. 107 26 [Klotz, 1965], S. 36 27 Tannhäuser, 1, 1. [Wagner, 1949], S. 15 28 Tannhäuser, 1, 2. Ebd., S. 18 29 Der fliegende Holländer, 1, 1. [Wagner, 1953], S. 14 30 Ebd., S. 15 31 Lohengrin, 1, 2. [Wagner, 1952], S. 15 32 Ebd. 33 Tristan und Isolde, 1, 1. [Wagner, 1984b], S. 5 34 Parsifal, 1, 1. [Wagner, 1950], S. 12 35 Ebd., S. 13 36 Rheingold, 1. [Wagner, 1999c], S. 8 11 Geschehen der Welt."37 'Sleep, gentle tyrant', ist der Schlaf mit Recht genannt worden. Er ist klimatisch und erzeugt Druck. Er bremst. Er subordiniert. 'Pickwickian Syndrome', Oblomowerei, Menetekel des schlafenden Barbarossa in der Höhle, Deutschmicheltum – es scheint, als habe Wagner den Rauchzeichen des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein neues hinzugefügt. "Ich habe Parsifal bis zur Ohnmacht gebracht", sagte er zu Cosima, "da bin ich froh, wenn ich die Leute so untergebracht habe."38 Doch was dann? Nachdem er 'die Leute so untergebracht hatte', was geschieht eigentlich mit ihnen? Man kann die Position eines neuen Heilands, der bewußtlos ist, hin und her deuten. Man kann das reaktionär oder revolutionär, rabulistisch oder reflektiert finden. Aber macht dies alles überhaupt in der Praxis einen Sinn? Einmal muß man es klar sagen: Schlafende sind nicht nur choreographisch ungefügig. Schlafende sind schlicht und ergreifend bühnenuntauglich. Für die Zuschauer kaum von Toten zu unterscheiden, stellen sie szenisch nichts als Hindernisse dar. Sie halten die Bühne besetzt und füllen sie doch nicht aus. Sie sind Teil der Handlung, können ihr aber nichts beisteuern. Sie sind der Gefrierpunkt jeder Bewegungsregie und der Hohlraum in jedem Beleuchtungskonzept. Ein Schlafender scheint dem Musikdrama die besten Antriebsenergien zu entziehen. Fafnergleich magnetisiert er diese, ohne selbst im Stande zu sein, sie wieder freizugeben. Kurz, ist das nicht von negativ adstringierender Wirkung? Nein, natürlich nicht. Sogar das Gegenteil ist der Fall. Wiewohl damit nichts von dem aufgehoben wird, was eben gesagt wurde. Wagner hatte zweierlei begriffen. Zum einen, daß eine vollkommen sichtbare Welt keine Überraschungen mehr bietet. Zum anderen, daß die Nacht nicht notwendig ein verneinendes Prinzip sein muß. Sein theatraler Instinkt, der nichts isoliert lassen konnte, suchte neues Handlungspotential und fand es auf den Rückseiten. Schauspieltechnisch wird das Musikdrama von daher durch den Schlaf zunächst arretiert, dann aber nicht eingepflockt, sondern musikalisch auf eine Metaebene umgeleitet, wo es flottiert, sich weiter aufbaut und die Handlung auf einem anderen Niveau vorantreibt. Das heißt, daß die Momente der Rück- und der Vorausschau, die beide im Schlaf möglich sind, der augenblicklichen Gegenwart eingelagert werden. Seitenkammern entstehen. Szenische Patchworks. Die Achse des nach vorne stürzenden Zeitpfeils wird punktuell ausgestülpt, Blasen schlagen auf, diese härten aus, daraus wieder bilden sich Höhlenformationen, die weiter nach innen wachsen wie Gesteinsdrusen – kleine Preziosen jenseits der Mittelstraße. Das Motiv des Schlafs bei Wagner steht zeichenhaft für die Brechungen der Zeit.39 Dramaturgisch ist es ein Korrelat der musikalischen Unterschneidungen. Eine Super-Cinema-Phantasie gleichzeitiger, doch nicht in eine Richtung fließender Handlungskanäle. 'Nicht-lineare-Dramaturgie' wäre der Terminus technicus für diese Art Matrizes heute. Was Richard Klein für den Ring des Nibelungen im ganzen beschrieben hat, kann auch für den Schlaf im einzelnen gelten: Dieser lebt von "Theater37 [Heraklit, 1989], S. 25 38 Tagebucheintrag (im folgenden verzeichnet als TB) vom 15. 1. 1879. [Wagner, 1977], S. 291 39 Hier wie im folgenden gilt: Erwähne ich das 'Motiv des Schlafs' bzw. das 'Schlafmotiv', so bezieht sich das grundsätzlich auf dramaturgische Ereignisse, nicht auf das musikalische Leitmotiv, das den Schlaf als Klangsymbol repräsentiert wie etwa im 3. Aufzug der Walküre. Abweichungen von der Regel werden kenntlich gemacht. 12 präsenz und Verweisungsentzug, von Augenblickssucht und Abstraktionsexzeß, von überwältigender Gegenwart und komplizierter reflexiver Archäologie."40 Ernst Bloch hat dies dazu veranlaßt, das Schlafmotiv bei Wagner eine "Kostbarkeit"41 zu nennen, und er hat es in die Reihe jener Gebilde höherer Ordnung aufgenommen, die er als 'Paradoxa' bezeichnete.42 Von einer "Zauberformel"43 sprach Adorno. In anderen Worten: Der Schlaf ist die qualifizierte Leere. Wagner selbst nannte das Phänomen die "complicirte Ruhe". 44 Soweit die Fakten. Die vorliegende Arbeit setzt nun im eigentlichen erst ein. 45 Ist die quantitative und qualitative Textur der Schlafsequenzen im Wagnerschen Werk bislang weder territorialisiert noch analysiert worden, die Bedingungen, unter denen sich diese entfalten, wurden noch nicht einmal erkannt. Zwar mag das eine mit dem anderen etwas zu tun haben. Wer den Mond verschmäht, wird am Fernrohr vorbeigehen. Doch ein Geheimnis ist es vorderhand nicht, daß sich die Physiognomie des theatralen Werks auch aus biographischen, musikästhetischen und kunstprogrammatischen Gebärden ableitet. Nike Wagner sagte: "Bühnengestalten kann und muß man aber von zwei Seiten anschauen – von der subjektiven, wie sie innerhalb der Handlung sind, aber auch von der objektiven, als Akteure Wagnerscher Intentionen und Tendenzen, als Verkörperungen und Extrapolationen gewisser geistiger und seelischer Prozesse des Komponisten."46 Für ein Thema, das per se die Rückansichten zeigt – Schlaf verstanden als Gegenbild – schien es um so dringlicher, sich der Voraussetzungen zu versichern, unter denen die gewohnte Perspektive aufgegeben werden soll. Es geht also, wenn man so will, um die Rückseite der Rückseiten. Die Kernfrage war, wieviel Schlaf im Schlafmotiv enthalten ist. Daß es sehr bald notwendig wurde, die geplante Ring-Analyse und mit ihr die bereits vorhandenen Manuskripte zum Bauernopfer zu machen, um den Vorschaltungen gerecht zu werden, mag für sich sprechen. Aus den ersten Überlegungen hatte sich ergeben, daß Wagners 'unendliche Melodie' in bezug auf die chthonische Dramaturgie des Schlafmotivs nicht nur horizontal, sondern auch vertikal angelegt ist. Dieser Bewegung galt es zu folgen. Wurzelblick. Was zu sehen war, sollte sich in dem wiederfinden lassen, was man heuer in den Händen hält: Unzählige Kavernen, angefüllt mit unverbrauchtem Material, das so interessant und vielgestaltig war, daß sich die vorliegende Arbeit auch als Materialsammlung versteht. Des weiteren gehörte ein gewisser sportlicher Ehrgeiz dazu, die Flut zu bändigen. Das Wagnersche Lebensgefühl des 'Ja, aber', das sich gerade bei der Behandlung grenzwertiger Bewußtseinszustände zu multiplizieren scheint (vgl. Abb. 1), machte es um so erforderlicher, daß man selbst der Welt nicht abhanden kam. Haltung galt es zu bewahren in Ansicht der Tatsache, daß dem 40 [Klein, 2001c], S. 104 41 [Bloch, 1959], S. 1254 42 Siehe: [Bloch, 1965], S. 301, resp. S. 322 43 [Adorno, 1971], S. 60 44 Brief Richard Wagners vom 23. 8. 1856 an August Röckel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1894], S. 69 45 Und zwar im Unterschied zu den Schätzungen, die ich im November 1997 in meinem Promotionsantrag formuliert habe. Der damalige Arbeitsplan sah noch eine Dissertation vor, die sich allein mit dem Bereich beschäftigen wollte, den ich bis hierher versucht habe zu kartieren. 46 [Wagner, 1998a], S. 151 13 Schlaf gerade bei Wagner ein Wotan-Problem inhärent ist (vgl. Abb. 2): Bathos – der Übergang vom Hohen zum Tiefen, vom Erhabenen zum Lächerlichen, vom Glauben zum Aberglauben. Nur die aufrechte Gangart konnte verhindern, daß man sich rechts oder links vom Wege zu oft nach Kräutchen bückte, die substanzlos sind und darum wirkungslos blieben, wie etwa der übersteuerte Biographismus ("O Ruhe, du Gott!"47), der Populismus ("Parsifal-Besuch [...] Gebot Nr. 1: Kein Alkohol; der macht müde. Dafür aber am Vorabend früh zu Bett, um am nächsten Tag für die vielstündige Opern-Sitzung ausgeschlafen zu sein".48), die Mythenbildung ("Ich besuchte alle drei [Pariser Konzerte Wagners] und fühlte mich wie in einem seligen Traum befangen, als ich diese Klänge vernahm, die eine andere schönere Welt, voll idealer Gestalten, voll großer, reiner, menschlicher Empfindungen, voll erhebener Leidenschaft und tiefer, aus dem innersten Kern des Herzens hervorbrechender Andacht vor mir aufschlossen; eine Welt, wie sie in den heiligsten Träumen meiner Seele mir vorschwebte, aus der nur die Musik mir bisher schöne, aber schmerzliche Grüße gebracht hatte, wie aus einer unerreichbaren Heimat, die nie Gestalt gewinnen könne. Hier aber fühlte ich, daß sie Gestalt gewonnen hatte."49), die Zweideutigkeiten ("Wenige Minuten später wurde auch noch das Bett heruntergebracht, in welchem der Meister während dieser letzten Monate seines Lebens geruht hatte und das fortan die Lagerstätte seiner Witwe bleiben wird."50), die schlechten Witze, Zoten und Travestien ("Vegetarisches Wagner-Konservatorium. Vier Uhr früh: Die Schüler werden durch die Trompeten des Parsifal aus ihrem leichten Schlaf geweckt. [...] Von acht bis elf Uhr Lektüre der Partituren; danach werfen sich alle Schüler auf ihre Matratzen und werden durch die glänzendsten Stücke des Wagner-Repertoires sanft in den Schlaf gewiegt."51). Ein einziges Gegenbeispiel nur – der Teil fürs Ganze – um zu zeigen, wohin der Weg der vorliegenden Arbeit statt dessen führen soll und wie sich die verschiedensten biographischen, ästhetischen und dramaturgischen Ingredienzen auch vermischen können. Im Jahr 1839 hatte Wagner ein französisches Gesangsstück geschrieben. Es hieß Dors mon enfant und war, wie er selbst in seiner Autobiographie berichtete, die allererste Komposition, für die er je ein Honorar erhalten hatte.52 Zeitschnitt. 30 Jahre später. Silvester 1868/69. Wagner schreibt ein kleines 'Volkslied': 47 Brief Ludwigs II. vom 22. 1. 1866 an Cosima Wagner. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1996], S. 128 48 Zitiert in: [Geitel, 2004], S. 10. Vgl. auch [Siemons, 2005], S. 35 49 [Meysenbug, 1927], S. 127 50 [Perl, 1883], S. 143 51 Zitiert in [Hakel, 1963], S. 280ff. 52 Siehe: Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 209. Vgl. auch mit dem Abschnitt <Musik/ Mythos> in Kap. II.3, Anm. 387 14 Formal besteht keine Verbindung zwischen diesem und dem früheren Werk, obschon Wagner nur wenige Wochen zuvor in sein Tagebuch eingetragen hatte: "Nun erleb' ich denn auch das alte Pariser dors, mon enfant – Es rührt sehr!"53 Aber: Auch das neue Stück ist ein Schlaflied. Es trägt den Titel Schlaf, Kindchen, schlafe, und es sollte zu einer der Keimzellen jenes Werkes werden, das Wagner einmal als seine "liebste Komposition"54 bezeichnet hat. Die Rede ist vom Siegfried-Idyll. Das Wiegenlied fungiert in diesem als Schlußsatz der Exposition wie der Reprise. "Bei Tisch fällt R. das: Dors mon enfant ein, er lacht und sagt: »Nicht wahr, damals wußte ich [nicht], was es war, ein Kind zu haben, ungefähr so war es mit Tristan und seiner Isolde; nein, wenn die Sache da ist, fällt das Kunstwerk realistischer aus, wie: Schlafe Kindchen, schlafe im Idyll«". 55 Cosima ergänzt später die Zufälle, die keine sind, um einen weiteren: "Die Nacht habe er zuerst das Idyll gesungen bis zum Eintritt des Themas, vom Violoncell gespielt, dann sei er eingeschlafen; darauf wieder erwacht, habe er von der Stelle an, wo er eingeschlafen, wieder gesungen bis zum Schlusse."56 Die Bedeutungssegmente und Verquickungen, die hier zum Vorschein kommen, sind im buchstäblichen Sinn des Wortes unerhört. Und sie generieren, demonstrieren und repräsentieren eine Dichte, die beispielhaft sein mag für ein Œuvre, das auch sonst aus vielen Zuflüssen einen Strom machte. Wagner: "[E]inzig beim Idyll sei es ihm geglückt" über die Trivialität der Gelegenheitskomposition hinaus zu gelangen, denn "da [sei] alles zusammengefallen". 57 Folgende Fußnote führt der Biograph Glasenapp an, sie bezieht sich auf Wagners Geburtshaus: 53 Tagebucheintrag Richard Wagners im Braunen Buch (im folgenden verzeichnet als BB) vom 20. 9. [1867]. [Wagner, 1988b], S. 108. Das Faksimile des Notenbeispiels entstammt derselben Quelle: Ebd., S. 203 54 TB vom 10. 1. 1878. [Wagner, 1977], S. 35 55 TB vom 22. 3. 1873. [Wagner, 1976a], S. 659 56 TB vom 22. 2. 1878. [Wagner, 1977], S. 48 57 TB vom 30. 9. 1877. [Wagner, 1976a], S. 1069. Ein Hinweis zur Zitationstechnik: Wird ein Zitat wie hier durch einen Doppelpunkt eingeleitet, so habe ich die dafür erforderliche, von der Quelle jedoch manchesmal abweichende Majuskel des erstes Wortes durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Das mag für das Schriftbild nicht überall die ansprechendste Lösung sein. Aber nur so konnte den grammatikalischen Richtlinien der Zitierten und der Zitierenden gleichzeitig Rechnung getragen werden. 15 Nur ein einzelner Teil des altehrwürdigen Hauses im Brühl ist noch heute erhalten, aber nicht mehr in Leipzig, sondern in London. Es ist 'die alte, historisch echte Tür, welche aus (Friedrich) Wagners Wohnzimmer in den Alkoven (resp. die Schlafzimmer und das Geburtszimmer Richard Wagners) führte'. Sie wurde bei der Abtragung des Hauses durch einen Leipziger angekauft und, mit beigefügtem Authentizitätszeugnis, als ein Geschenk eigentümlicher Art, einem der hochherzigsten, in Wagners Sache tätigsten Londoner Freunde [...] zugesandt, der sie einem eigens dazu konstruierten Schrank zur Aufbewahrung seiner Wagnerianischen Heiligtümer in gleicher Funktion (als Tür nämlich!) einverleibte, und bei dessen Nachkommen diese seltsamste aller Reliquien für ferne Zeiten einer pietätvollen Hochhaltung gewiß sein darf. 58 All das läßt sich anekdotisch, es ließe sich aber auch parabolisch lesen. Vielleicht kann dieses Requisit zum Türchen für ein Thema werden, das selbst eine Pforte ist. <Motivation und Forschungssituation> Was ist der Schlaf also? Offenbar ein Durchgangsstadium. Doch was ist er noch? Das sagt sich nicht mehr so leicht. Derjenige zumindest, der schläft, kann es nicht sagen. Aber der, der nicht schläft, kann es schon gar nicht sagen; er mag an den Schläfer, aber kann nicht an den Schlaf heranreichen, berührt er jenen, so hat er diesen vertrieben, und in toto ist all das – natürlich – durch antithetische Reibung längst warm geworden – hochgradig motivierend. Wie jedes Enigma ist der Schlaf ein intellektueller Schlüsselreiz. 'Sanft' aber 'fest', 'süß' aber 'hart', 'golden' aber 'tief', 'balsamisch' aber 'ewig', allein seine Epitheta rufen Widerstand gegen solch basale Widersprüche hervor. In gewisser Weise fängt man an, den Rücken je weiter durchzudrücken, desto weicher die Knie werden. Wie das Wagnersche Werk, das produktiv macht, weil es unausgesetzt dazu zwingt, die eigene Position zu relativieren und im Flüssigen das Feste zu suchen, ist der Schlaf Zeichen von Verwandlungen, Agent optischer Täuschungen. Distanz und Nähe werden durch ihn zu variablen Größen auf einer Skala, deren Werte glissandieren. Wagner und Schlaf: Am Ende scheint es, als ob das Dialektische eine Volte schlägt. Die Fragen, die sich daraus ergeben, sind notwendig mehrgestaltig, und aus wissenschaftlicher Sicht kam und komme ich mir damit vor wie ein Bewohner des Schlaraffenlandes. Ein Motivationsschub aus anderer Richtung hat diesseitige Gründe und hängt mit der Forschungslage zusammen. Besser noch wäre zu sagen: mit der inexistenten Forschungslage. Sowohl in bezug auf die literarische und dramaturgische Motivik des Schlafs im allgemeinen als auch in bezug auf den Schlaf bei Wagner im speziellen steht dem schier unüberschaubaren Materialangebot die fast lückenlose Vernachlässigung desselben gegenüber. Was den ersten Punkt betrifft, so kursieren vereinzelte, in Quantität und Qualität starken Schwankungen unterworfene Studien etwa zum Schlaf auf der attischen und der Shakespeareschen Bühne, in der aristotelischen Philosophie und jüdischen Anthropologie, im Mittelalter und in der Medizin des 18. und 19. Jahrhunderts, ohne sehr viele Spuren hinterlassen zu haben. Nicht selten sind diesen Publikationen Überlegungen zur Phäno58 [Glasenapp, 1905a], S. 491 16 menologie und Mentalitätsgeschichte des Schlafs intarsiert. Allerdings läßt sich nirgends übersehen, daß all dies Verlegenheitsgebärden bleiben. Eine Sozial- und Kulturgeschichte des Sujets muß bislang ebenso schmerzlich vermißt werden wie eine systematische Aufarbeitung jener Prinzipien, die den Schlaf zu einem wichtigen und großen Topos in der Bühnenliteratur gemacht haben. 59 Eine Blütenlese, die belegt, wie es um das Forschungsfeld bestellt ist, liest sich wie folgt: "Soziale Wandlungen des Schlafens standen überaus selten im Mittelpunkt wissenschaftlicher Forschung". 60 "Allerdings ist die Geschichte des Schlafens ein Bereich, der bisher nur sehr wenig Gegenstand der Forschung war. Dies gilt sowohl für objektbezogene wie auch für mehr mentalitätsgeschichtlich ausgerichtete Ansätze."61 "Ein zusätzliches Problem bot die Art der angetroffenen Quellen. Es gab kaum Arbeiten, welche sich umfassend mit der Thematik 'Schlaf' auseinandersetzten."62 "Compared to the abundant literature dealing with different aspects of Aristotle's philosophy, modern material on the three treatises on sleep and dreams as the sole subject of research is rather scarce". 63 "In fact, a survey of entries for 'sleep' in biblical encyclopedias and the like suggests a certain deterioration of interest."64 "It is salutary to remember that even in our day there is still no one theory of sleep that commands the unanimous assent of psychologists or neurologists. In this region the experts are still in the realm of conjecture". 65 "Es muß angesichts der Vielzahl der zu Shakespeare-Dramen publizierten Monographien und Aufsätze überraschen, daß – ganz im Gegensatz zu den vielbeachteten Traumbildern – die Schlafbildlichkeit [...] in den Arbeiten der Shakespeare-Forschung bislang kaum eingehender untersucht worden ist."66 Das Stichwort fiel – der Traum. Im Abschnitt Vorgehen und Ziel werden wir gleich noch einmal darauf zurückkommen. An dieser Stelle nur soviel: Den Traum als Forschungsthema in eine Arbeit wie die vorliegende aufzunehmen, scheint so viel Sinn zu machen, wie ihn außen vor zu lassen. Keinen Traum gibt es ohne den Schlaf, den Schlaf aber sehr wohl ohne die Träume. Das heißt, daß es aus Sicht des Traumes immer um Zwangs-, aus Sicht des Schlafs lediglich um Wahlverwandtschaft geht. Merkwürdig, aber bezeichnend scheint, daß sich Sigmund Freud explizit nicht mit dem Phänomen des Schlafs 59 Folgende Titel scheinen mir lohnenswert, um zu einer Übersicht zu gelangen: [Buck, 1939], [Büchsen- schütz, 1868], [Chandler, 1955], [Coenen, 1972], [Dannenfeldt, 1986], [Dieterich, 1891], [<Duden>, 1963], [Gleichmann, 1980], [Grimm, 1899a], [Grimm, 1899b], [Grimm, 1899c], [Grimm, 1899d], [Heidrich, 1988], [Homann, 1992], [Kant, 1907/1917], [Kuhlen, 1983], [McAlpine, 1987], [Macnish, 1830], [<Neue Rundschau>, 2002], [Noll, 1994], [Oepke, 1938], [<Roche>, 1998], [Röhrich, 1994], [Schelenz, 1912], [Schöpf, 1987], [Thomson, 1955], [Wijsenbeek-Wijler, 1978], [Wittern, 1978], [Wittern, 1989], [Wittmer-Butsch, 1990], [Zedler, 1742]. Wertvolle Angaben zur antiken Hypnos-Figur verzeichnen vor allem: [Balz, 1969], [Jolles, 1914], [Lochin, 1990a], [Lochin, 1990b], [Sauer, 1886/1890], [Schrader, 1926], [Winnefeld, 1886], [Wöhrle, 1995]. Zwei Studien seien an dieser Stelle hervorgehoben: Sowohl [Radkau, 1998] wie auch [Rabinbach, 2001] beschäftigen sich mit dem 19. Jahrhundert und jener 'geistigen Ermüdung der Epoche', deren psychologische und physiologische Auswirkungen auch für das Wagnersche Werk nicht eben unrelevant sind. 60 [Gleichmann, 1980], S. 236 61 [Heidrich, 1988], S. 5 62 [Schöpf, 1987], S. 2 63 [Wijsenbeek-Wijler, 1978], S. 170 64 [McAlpine, 1987], S. 22 65 [Thomson, 1955], S. 421 66 [Noll, 1994], S. 16 17 beschäftigt und despektierlich von diesem nur als physiologischer Voraussetzung gesprochen hat. 67 Auch er sah die Inseln ohne das Meer. Insofern gilt hier die Faustregel, daß die Behandlung des Traums nirgends unterdrückt, aber auch nie herbeigezwungen werden soll. Überflüssig zu erwähnen, daß keine Facette der menschlichen Träume existiert, die nicht latent analysiert wird; die Traumforschung ist virulent, überbordend, wenn nicht sogar explosiv. Das greift die Auseinandersetzung mit kultur-, sitten- und theatergeschichtlichen Erscheinungsformen mit ein. Nur einen Fingerhut voll von all dem jedoch konnte und mußte für die vorliegende Arbeit zu Rate gezogen werden. Untenstehend die bibliographischen Verweise auf die Publikationen, die nicht zu weit vom eigenen Pfad ablenkten.68 Zurück zu Wagner und damit zur Engführung. Wie beklagenswert die Forschungssituation in bezug auf ihn und das Motiv des Schlafs in seinem Werk ist, läßt sich ablesen an der Tatsache, daß diese Forschungssituation überhaupt noch nicht beklagt worden ist. Man kann es kurz fassen: Daß man im Schlaf die Augen verschließt, scheint sich unmittelbar auf die Wagner-Forschung übertragen zu haben. Zwar ist das Wagnersche Werk oft genug als 'traumhaft' beschrieben, der Traum selbst ungezählte Male als Stilmittel besprochen worden, Wagners psychoanalytische Talente hat man geradezu beschworen. Dem Schlaf selbst jedoch wurde keine solche Würdigung zuteil. Er, der der Katalysator der Träume ist, wurde im Vergleich zu diesen wohl als unsensationell oder gar unrentabel empfunden. Die einzigen, mir bekannten Überlegungen zum Thema beschränken sich auf je eine Handvoll Seiten. 69 Prototypisch sind Bemerkungen wie die von Friedrich Kittler: "Ich finde es seltsam, daß die Wagner-Forschung nie registriert hat, daß eine Szene bei Wagner rekurrent immer wiederkehrt, die, soweit ich es sehe, nirgendwo anders in Opern oder Dramen der europäischen Tradition aufgetaucht war: Die Szene besteht im wesentlichen darin, daß ein Mensch am Boden liegt und kein akustisches Signal mehr von sich gibt."70 Abgesehen davon, daß die Schlafenden bei Wagner (egal ob Mensch oder Tier) gewiß Zeichen von sich geben, ich erinnere nur an Fafner und dessen auskomponiertes Gähnen, ist es standardgemäß, daß der Schlaf nicht bei seinem Namen genannt und lediglich als Steigleiter in eine These gebraucht wird, die sich von ihm wieder abwendet, kaum daß sie bezeichnet wurde. Selbst die Pacemaker der Wagner-Forschung: Adorno, Bloch, Dahlhaus, Mann, Mayer, Nietzsche, Wapnewski, ohne deren Fundamente die vorliegende Arbeit irrlichtern geblieben wäre, reißen das Thema nur hier und da an wie ein kleine, scharfe Saite, lassen deren Ton dann aber verhallen. Bloch und Adorno gehen dem Motiv nicht weiter nach, obschon sie es wie gesagt behutsam als Kostbarkeit dechiffriert haben. Die Wagner-Forschung scheint in bezug auf den Schlaf selbst eine 'schwankende Gestalt' 67 Vgl. mit dem Abschnitt <Träume> in Kap. I.3, im speziellen dort mit Anm. 391 68 [Bagliani/ Stabile, 1989], [Béguin, 1972], [Cox Miller, 1994], [Freud, 1942], [Grimm, 1935a], [Grimm, 1935b], [Hammerschmidt-Hummel, 1992], [Hey, 1908], [Hopfner, 1937], [Kant, 1905/1912a], [Kant, 1905/1912b], [Meier, 1975], [Price, 1986], [Probst/ Wetz, 1998] 69 [Morché, 1989/90] liefert eine nicht uninteressante, aber assoziative Auflistung jener Schlafszenen, die im Ring des Nibelungen auftauchen, [Loos, 1952], S. 274-292 eine Besprechung des Schlafs und der Nacht aus Sicht der romantischen Philosophie, die auf Wagner gespiegelt wird, [Heinz, 1998] den leider nicht sehr konkreten Versuch, musikästhetische und psychopathologische Deutungsmuster für Wagner geltend zu machen. 70 [Kittler, 2001], S. 567 18 zu sein – Ablenkungszwang auf der einen Seite, auf der anderen Faszination, die den spinnwebfeinen Schlaf des Schlafs nicht stören mag. Eine Notiz noch zu einer Spezerei der Wagner-Forschung und dem Diktum Egon Friedells, daß derjenige ein Wagnerianer sei, der Wagners Texte losgelöst von dessen Musik betrachte. 71 Auch die vorliegende Arbeit ist zunächst das Produkt philologischer Überlegungen und Überzeugungen, beschäftigt sich explizit nicht mit Wagners Notentexten und nicht mit der musikalischen Interpretationsgeschichte seiner Werke, obwohl der Schlaf laut Wagner der Musik sogar in besonderer Weise verbunden ist. Die Frage also lautet: Bin ich ein Wagnerianer? Übersetzung: Muß ich mich rechtfertigen? Das Problem, auf das sie sich bezieht, ist nicht neu, doch veraltet ist es auch nicht. Dazu kommt, daß das "Überhandnehmen der Germanistik als sekundär-literarisches Dienstleistungsgewerbe"72 ein ebensowenig abklingender Infekt zu sein scheint. Zur eigenen Rettung sei mehrerlei vorgebracht. Zum einen, daß Wagner natürlich nicht nur Musik in Noten, sondern auch Musik in Buchstaben geschrieben hat. Seine musikästhetischen Schriften sind ein Herzstück meiner Analysen, und sie zu interpretieren hinterläßt doch noch am ehesten den Eindruck, man habe sich mit Musik (und weniger, man habe sich mit Literatur) beschäftigt. Für die Passagen, in denen Libretto-Texte relevant wurden, soll daran erinnert sein, daß auch bei Wagner ein "Text der Musik nicht untergeordnet, sondern zugeordnet"73 war. Daraus leitet sich ab, daß die Arbeit mit und am Wort nicht notwendig an Wagner vorbeiführt. Höchstens so weit, wie er uns selbst an dem Teil seines Werkes 'vorbeiführen' wollte, das Musik ist. Seine Schriften waren beileibe nicht in Räuberlatein geschrieben. Sie waren für die Öffentlichkeit gedacht, und als ein Mitglied dieser Community darf sich wohl auch ein Wissenschaftler betrachten. Mit Wapnewskis Wendung von des "Philologen Recht auf Wagner"74 kann vielleicht noch einmal ein Freispruch erzielt werden. <Vorgehen und Ziel> Schlummern, dösen, dämmern, träumen und sinnen, ahnen und wähnen, hellsehen und orakeln, schlafwandeln und schlafwachen, narkotisiert und bewußtlos sein, einschläfern, wachen, überwachen und erwachen – der Schlaf hat viele Gesichter, und für die vorliegende Arbeit galt es, neben den, wie Wagner es nannte, "reale[n]" auch die "ideale[n]"75 Bedeutungen eines Phänomens freizulegen, das sich der Betrachtung per se entzieht. Ausgehend von der bereits ausgewiesenen Dichte der Schlafsequenzen wurde recht schnell klar, daß deren Figurenpersonal auf mehr Voraussetzungen angewiesen war als auf jene, die sich allein aus dem Plot der Werke erschlossen. Das meint, 'vor-erste' Arbeiten wurden notwendig. Zunächst betraf das die Bayreuther Aufführungs- und Festspieldramaturgie. Wagners Verständnis dessen, was 'Bühne' bedeuten müsse und könne, ging von einem 71 Siehe: [Friedell, 1932], S. 371 72 [Dahlhaus/ Miller, 1988], S. 13 73 [Vaget, 1982], S. 187 74 [Wapnewski, 1980], S. 23 75 Brief Richard Wagners vom 12. 1. 1870 an Anton Pusinelli. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1909], S. 507 19 erweiterten Theatralitätsbegriff aus – Bilder des Schlafs und des Traums ließen sich insofern leicht in der Konzeption der Bayreuther Festspiele wiederfinden. Diese zu untersuchen schien nur selbstverständlich. Doch das Neue zog mehr Neues nach sich. Wieder andere Fenster gingen plötzlich nach innen auf. Die Festspielidee ist eine Apotheose, Wagners kunstprogrammatische und – wie sich zeigen sollte – auch musikästhetische Schriften verhalten sich zu dieser geradewegs wie der Schlaf zum Traum. Eine bei immer genauerem Hinsehen immer bewegendere Materialfülle ließ es unmöglich erscheinen, sie nicht auch zu behandeln. Am Ende, welches dann der Anfang werden sollte, stand jener Teil des Wagnerschen Werks, den man sich geeinigt hat 'Biographie' zu nennen. Wagners Philosopheme sind untrennbar verbunden gerade mit jenen Bedingungen seiner Vita, in denen die Träume beziehungsreich wurden. Kurz, das Motiv des Schlafs ließ sich deklinieren und zeigt sich nunmehr in drei Spielarten: als Affekt in Wagners Biographie, als Metapher in der ästhetischen Theorie, als Allegorie in der Festspieldramaturgie. Die vorliegende Arbeit ist als Triptychon angelegt. Drei Kapitel, deren Binnenstruktur wiederum dreigeteilt ist mit Ausnahme des letzten Kapitels, das nur zwei Einrückungen besitzt – die offene Flanke hält den Blick auf die Bühne und somit jene Figuren frei, deren Schlaf zu untersuchen noch einmal eine eigene Analyse wert wäre, sobald die Präzedenzien geklärt sind. »Kunststoffe (Schlafröcke)«: Das erste Kapitel ist Wagners biographischem Szenarium gewidmet. Dabei geht es nicht um eine nachträgliche Ästhetisierung organischer Wechselfälle, sondern um jenes Kompositum physiologischer, psychologischer und dramaturgischer Befindlich- und Notwendigkeiten, das Wagners Biographie a priori inhärent war. Insomnische und neurasthenische Verhaltensmuster wurden, so meine These, aufgefangen durch Bilder des 'schönen' Schlafs. Wagners renitente Vorliebe für Schlafröcke und Diwandecken, für satinierte, weiche, fließende Stoffe und das Fluidum dämmernder Zimmer war nicht Zeichen eines übersteuerten Luxusanspruchs, sondern einer untersteuerten körperlichen Präsenzfähigkeit, die es zu sublimieren galt. Sechsfach gesteppte Eiderdaunenschlafröcke für die guten Vormittage mit Parsifal, das war keine Grille, sondern bitterernste Hilflosigkeit auf der einen Seite, psychosomatische Stimulation auf der anderen. Der 'Stoffbegriff' wird in doppelter Hinsicht relevant, der Topos des Schlafs zeigt, auf welchen Umwegen die Realien Eingang in Wagners Werk gefunden haben. Notabene: Es handelt sich hierbei nicht um Kausaldeterminismus, eher um einen Indizienbeweis, für den die philologische Herangehensweise um Interpretationsstrategien aus der Kostümkunde und den Bildwissenschaften ergänzt wird. Dem ersten Kapitel (und folglich dem Schlaf) eingelagert ist eine Auseinandersetzung mit Wagners Träumen. Dokumentiert durch zahllose Stenogramme unter anderem in den Tagebüchern Cosima Wagners, bieten auch sie Material für die 'stoffliche' Grundlage eines Werks, das, ihnen verwandt, tief hinab reicht und hoch hinaus zielt. Die Bühne und der Traum – beide verfügen als Darstellungsmittel über das Bild. Insofern scheint es naheliegend, den Fokus für einen Moment aufzuziehen und auch dem Traumleben Wagners Aufmerksamkeit zu schenken, wiewohl dies nicht das Hauptanliegen dieser Arbeit ist. Der Träumer setzt den Schläfer voraus – die Gewichte sollen proportional zu dieser Formel 20 verteilt bleiben. Doch ähnlich wie der Schlaf unterliegt der Traum bei Wagner dramaturgischen Mustern. Der Hang zur Verdichtung, zur Einkehr und zu schwebenden Verbindungen wird bei ihm in künstlerischer Hinsicht konstitutiv. An dieser Stelle soll darum das Verfahren und sollen nicht die Produkte des Träumens untersucht werden. Dies impliziert, daß die Traumanalyse ausgeschlossen bleibt. Zum einen, weil sie auf Wagner bezogen meines Erachtens nach eine 'seismic risk zone' darstellt. Zum anderen, weil einer seriösen, wissenschaftlichen Deutung der Wagnerschen Träume bislang jede Basis fehlt. Was bedeutet das? Es bedeutet, daß sich die Wagner-Forschung in der Vergangenheit zwar dutzendfach an der Interpretation des Traummaterials versucht hat, daß dieses Material jedoch nur ungeordnet und ausschnitthaft zur Verfügung stand. Das ist, wie ich meine, mehr als ein Lapsus. Es ist ein Notfall. Ihn zu lindern, lege ich hiermit eine chronologische Systematisierung sämtlicher Träume Wagners in Form eines Registers vor. Zu schlafen wissen: Das zweite und umfangreichste Kapitel beschäftigt sich mit dem Motiv des Schlafs in den musikästhetischen und kunstprogrammatischen Schriften Wagners. Es eröffnet mit dem, was ich 'Verwandelte Wiederkehr' nenne: eine Wiederholung biographischer Aspekte unter neuen Vorzeichen. Baute sich die Spannung der inneren Biographie zwischen dem Wachen, dem Schlafen und dem Träumen auf, so wurden Wagner augenscheinlich auch von außen dieselben Attribute zugeschrieben. Überschneidungen, gar Deckungsgleichheit mit den Werkfiguren lassen sich erkennen. Wagner ist Siegfried, der das Deutsche Reich erweckt und Wotan, der 'das ewige Werk wie im Traum trug'. Der Künstler wird zum Träumenden stilisiert, der 'ruhen' soll, um für alle zu erwachen. Mehr noch, Wagner wird sinngemäß selbst zum Vorbild der eigenen Kunsttheorie. Halbschlaf und somnambule Zwischenzustände gelten als Resonanzboden künstlerischer Inspiration. Mit der Beethoven-Festschrift von 1870, die die über viele Werke und Jahre verteilten Äußerungen zu allen Bedeutungsschattierungen und Funktionen des Schlafs theoretisch zuspitzt, bestimmt Wagner den Traum zur Äquivalenzerscheinung der Musik. Eine Definition dies, die nicht zuletzt ihren Niederschlag in der Debatte darum findet, inwieweit Wagners Musik ein Modell hypnotischer Suggestion sei. Heilkunst oder Krankheit, Schlaf oder Tod, Musik als Homöopathikum oder Narkotikum: Der dritte Teil des zweiten Kapitels stellt eine Differenzierung der Positionen vor. Unter dem Hügel die Senke: Das letzte Kapitel bringt die Auseinandersetzung mit Wagners Festspieldramaturgie. Bayreuth erscheint als neuralgischer Ort, an dem die Theorie in die Praxis umschlägt, das Festspielhaus als 'Traumfabrik', durch dessen Machinationen sich der makrokosmische Wechsel zwischen Tag und Nacht in den Mikrokosmos übertragen ließ. Licht wird hier zur Beleuchtung, Dämmerung zur Abblenddramaturgie, das Parkett zur Traumbühne. Wagners Überlegungen zur Künstlerfigur kulminieren in der Vorstellung, daß das Musikdrama ein aus dem Halbschlaf des Zuschauers emaniertes Traumbild sei. In der medialen Nacht des Bayreuther Zuschauerraums verwandelt sich das Publikum vom Konsumenten zum pathischen Ko-Produzenten. Zentral scheint mir dabei das Bild des Auges zu sein, das sich schließen muß, um eine konzentrierte Form des Sehens zu erreichen, welche nach Wagners Aussagen wiederum gleichbedeutend ist mit der Eröffnung des akustischen Raumes. Der Sehstrahl des Einzelnen, der notwendig an der Außenwelt 21 abprallt, soll nach innen dringen, die dort zirkulierenden, musischen 'Wahrträume' abrufen und schließlich auf den Prospekt der Bühne umlenken. Man könnte sagen, daß das Musikdrama als Projektion des Publikums leibhaftig wird. Seine Protagonisten sind energetische Manifestationen der Träume – blutwarm aber substanzlos – frühe Bilder einer kinematographischen Phantasie. Der Bühnenvorhang, für den Wagner 1876 einen neuen Zugmechanismus erfunden hatte, erscheint als bewegliche Leinwand, welche die Traumbilder gleichermaßen freisetzt und empfängt – ein Auge, das sich wechselnd öffnet und schließt. Sprung. Vom Inhalt zur Form. Zum Vorgehen gehören auch Handlungsanleitungen, und im folgenden darum vier Hinweise in eigener Sache. Zunächst zum bekannten Quellenproblem: Nach wie vor liegen die Schriften Wagners nicht in einer kritischen Gesamtausgabe vor und die Unordnung, die hier herrscht, ist nicht nur beklagenswert, sondern im Tagesgeschäft aufreizend und zermürbend zugleich. Ein eigenes Buch wäre es wert, all die Sorgen zu schildern, die sich aus den Diskrepanzen zwischen Erst- und Volksausgaben, zeilen- aber nicht seitenidentischen Büchern, zwischen verschiedenen Auflagen, Ergänzungsbänden, Registern und Schreibweisenvarianten ergeben. Die vorliegende Arbeit bezieht sich von daher entschlossen auf die erste Auflage der Leipziger Ausgabe der Gesammelten Schriften und Dichtungen von Richard Wagner (GSD) von 1871/73ff., die in 10 Bänden vorliegt. Texte, die dort nicht verzeichnet sind, zitiere ich aus den Ergänzungsbänden 11 und 12 der 'Großen Ausgabe' der Sämtlichen Schriften und Dichtungen (SSD), o. J. [1911], sowie dem 16. von Paul Sternfeld und Paul von Wolzogen herausgegebenen Band der Volksausgabe der Sämtlichen Schriften und Dichtungen, o. J. [1916]. Wagners Autobiographie Mein Leben, seine Tagebuchblätter und Annalen (Braunes Buch) existieren in sorgfältigen Editionen von Martin Gregor-Dellin bzw. Joachim Bergfeld, und es schafft Erleichterung, wenigstens auf sie sicher zurückgreifen zu können. Was Wagners Briefwechsel betrifft, so ist die Situation ermutigend, wenngleich nicht befriedgend. Seit 1967 gibt die Bayreuther Richard-Wagner-Stiftung sukzessive in großen Einzelbänden heraus: Richard Wagner. Sämtliche Briefe. Der jüngste Band (Nr. 15) mit den Briefen des Jahres 1863 erschien 2005 – womit das Problem benannt wäre. Für alle weiteren Briefe, allzumal jene, deren Adressat Wagner war, muß auf die alten und teilweise schwer zugänglichen Einzelausgaben zurückgegriffen werden. Ein Literaturverzeichnis zu Wagner wird sich also noch lange nicht wie ein Gedicht lesen lassen, eher ist es ein postmoderner Roman – es wird reguliert von Irregularitäten. Nachtrag: In Ermangelung einer standardisierten Textausgabe der Schriften richten sich alle Szenenangaben zu Wagners Musikdramen nach den leicht erreichbaren, aktuellsten Reclam-Fassungen. Das scheint eine handliche und für den Leser faire Lösung zu sein. Ergeben sich Fragestellungen, bei denen die Differenzen zu anderen Ausgaben oder zum Wortlaut der Partituren und Klavierauszüge relevant werden, ziehe ich diese hinzu. Abweichungen sind einzeln vermerkt. Zur Zitationstechnik und zum Fußnotenapparat: Sowohl das eine wie das andere hat sich bereits von selbst vorgestellt, für Detailfragen verweise ich auf die Erläuterungen, die das Literatur- und Abbildungsverzeichnis einleiten. In der Regel erscheinen in den 22 Fußnoten jeweils der Verfasser, das Erscheinungsjahr und die Seitenzahl einer herbeizitierten Quelle. Allein für die Schriften Wagners und auch für die Friedrich Nietzsches sollen Kurztitel helfen, die betreffende Publikation leichter zuzuordnen. Briefe werden durch Datum, Adressant und Adressat dechiffrierbar gehalten. Die Zählung der Fußnoten reicht stets bis zu den Kapitelgrenzen und setzt danach je von neuem ein. Rechtschreibung: Kein Wort zuviel mehr über den von höheren Mächten verfügten Schwebezustand, in dem sich ein Autor gegenwärtig befindet, dem mehr als ein Haarbreit an der Sprache gelegen ist. Wenn das 'Neue' weniger radikal ist als das, was angelegentlich schon Richard Wagner probiert hat, dann kann es nicht falsch sein, bei dem zu bleiben, was jetzt als 'alt' gilt. Das Exemplar meines Dudens (19., neu bearb. u. erw. Aufl., 1986) scheint mir noch frisch zu sein, ein gutes Buch, dieses durch ein noch frischeres zu ersetzen insofern ganz überflüssig. Einzige Fürbitte: Kontinuität und womöglich Fehlerfreiheit innerhalb eines Systems – für meinen Fall also innerhalb desjenigen, das ich hiermit bezeichnet habe. Zur Gestaltung: Aus Gründen der Handhabbarkeit lege ich meine Arbeit bei fortlaufender Seitenzählung in zwei Bänden vor. Es dürfte sinnvoll sein, daß Haupttext und Appendix nebeneinander gehalten werden können. Der erste Band bringt somit alle Fließtexte, der zweite alle Anhänge, letzteres greift das Traumregister, welches inhaltlich Kap. I.3 zugehört, sowie sämtliche Abbildungen mit ein, auf die ich im Haupttext verweise. Die den Abbildungen beigeordneten Bildunterschriften mögen helfen, daß das, was gezeigt wird, auch unabhängig vom Fließtext verständlich bleibt, allzumal einige Film-Stills bislang unveröffentlichtes Material vorstellen. Zitate in den Bildunterschriften werden nur dann noch einmal mit einer Quellenangabe versehen, soweit sich diese nicht aus dem Kontext ergibt, zu dem die betreffende Abbildung gehört. Sprung zurück. Zum Ziel. Welchem? – Aufwachen! Kleinere Etappenziele sind nachgeordnet. Zum einen die Hoffnung, daß mit der vorliegenden eine lesbare Arbeit abgeliefert werden kann. Ihr Thema ist neu, von daher ist sie belegpflichtig, das Quellenmaterial ist überbordend, und das ist ein Glücksfall. Dasselbe Material jedoch zu disziplinieren und es trotz allem in seiner ursprünglichen Form kenntlich zu halten, ist ein Dressurakt der eigenen Art. Bereits das Einpflegen von Zitaten erinnert manchesmal an eine Raubtiernummer – man denke nur an Wendungen wie "Weltwillen", "mythische Raserei" oder "Liebesnot", die auch zu Wagner gehören. Wenn also das Implantieren fremder Texte die Geschmeidigkeit des eigenen schon nicht befördert, verhindert werden sollte diese nun auch nicht gerade. Schlaf bei Wagner, das scheint insgesamt für eine Welt diffiziler, feingesponnener, beziehungsreicher und komplizierter Zusammenhänge zu stehen, in der sich mehr als nur der Tristan-Akkord nicht nach den klischierten Gesetzmäßigkeiten auflösen läßt. Das Thema irisiert, es ist von daher per se in einem Gefahrenbereich angesiedelt und bietet sich in Folge dazu an, schnell herauf- oder herabgestuft, verharmlost oder mystifiziert zu werden. In der Dämmerung wird die Sehkraft schwächer. Insofern würde ich gern beweisen, daß das Sujet weder in der einen noch in der anderen Richtung episodisch ist. 23 Wenn die vorliegende Arbeit der Wagner-Forschung Fragen vorlegen könnte, die weitere Fragen erzeugen, ja, wenn der Schlaf hier als ein seriöses Forschungsfeld aufgespannt werden kann, so wäre eine Hoffnung nicht betrogen. Ist er selbst eine Schwelle genannt worden, so gälte es zu zeigen, daß über der Schwelle ein Raum existiert. ________ 24 I. »Kunststoffe (Schlafröcke)« Der Schlaf als Motiv in Wagners Biographie Mit seinen Nachtmützen und Schlafrockfetzen/ Stopft er die Lücken des Weltenbau's. (Heinrich Heine)1 I.1 Oberstoffe <Zur Stoffwahl: Leben oder Werk, Leben und Werk, Leben als Werk> Nähern wir uns also Richard Wagner, Mann und Werk. Wohlbemerkt Mann und Werk, denn wie viele vor uns müssen auch wir davon ausgehen, daß, wann und wo immer vom Wagnerschen Werk die Rede gewesen ist, ebenso der Mann von sich reden gemacht hat und daß ein Zugang zu Wagners Schöpfungen nach wie vor von deren Schöpfer lanciert wird. Gilt einem berechtigten Gemeinplatz zufolge das Werk Wagners nach innen hin als sphärisch, fließend, wandelbar, proteisch, promiskuös, so scheint es nach außen hin von der Person Wagner um so fester im Griff gehalten zu werden. Es ist symptomatisch, daß alle Wagnerschen Musikdramen von Wagner selbst, kaum daß sie die Komponierstube verlassen hatten, in szenischen Lesungen der Öffentlichkeit feilgeboten wurden und daß diese Lesungen kaum etwas anderes waren als Extempores eines Alleinunterhalters, symptomatisch, daß Wagners Werke in genau dem Moment, in dem sie aus dem Hoheitsgebiet ihres Schöpfers herauszufallen drohten, an ihn gebunden blieben. Wagner beherrschte jede einzelne seiner Werkfiguren bis ins nebensächliche Detail, und zwar in praxi. Wo es erforderlich war, konnte er eine Walküre ersetzen, er konnte sich emporschrauben bis hinauf zu Elsas 'fürchterlichem Schrei', und den akrobatischen Sprung Alberichs vom Felsenriff soll er noch als alter Mann gezeigt haben. Heinrich Porges nannte dies einmal eine "dämonische Gabe", ergänzte auch, daß Wagner tatsächlich "gleich einem Proteus wie mit einem Zauberschlage jeden beliebigen Charakter annehmen, in jede nur denkbare Situation sich versetzen"2 konnte. Ein "Gesammtschauspieler"3 sei er darum gewesen, eine Befähigung, die ihm laut Kniese den Scherznamen "Perpetuum probile"4 eingebracht hat. Doch hinter dem Spaß verbirgt sich Spekulation, hinter dem Spaßmacher der Spekulant. Denn konnte Wagner sein Werk nur unter allerhöchster Spannung erzeugen, so 1 [Heine, 1975], S. 271 2 [Porges, 1896], S. 5 3 Ebd. 4 [<Kniese>, 1931], S. 7 25 scheint ihm dieselbe Spannung zum Zeitpunkt der Werkpublikation längst unentbehrlich gewesen zu sein. Was einmal errungen war, ließ er nicht mehr so schnell aus der Hand. Zu denen, die Distanz pflegten, gehörte er nicht, Distanz war ihm in der Kunst verdächtig, und vielleicht empfand er auch, daß Energie nicht verfallen dürfe. Lieber folgte er dem energetischen Imperativ 'Verschwende keine Energie, verwerte sie'. Die Spannung, unter der das "blutig schwere Werk"5, wie er es nannte, entstand, wurde also keineswegs abgebaut. Sie wurde umgelenkt und blieb in einem elastischen Verhältnis zum Figurenpersonal der Werke erhalten. Daß er, Wagner, jede Partie und jedes Register selber singen, jeden Dialog selber vorsprechen, einen Lichtgott so glaubhaft doubeln konnte wie einen Schwarzalben, das belegt mehr, als daß er als nur eitel war: Er ging aufs Ganze, er verlieh seinen Werken die eigene Stimme, um vor allem deren Fortbestand zu sichern. Und so ist, nach wie vor, viel Wagner in Wagner – was tautologisch klingt, ist im Grunde nur folgerichtig. Schon Götz Friedrich hatte dies in seiner Berliner Ring-Inszenierung in eine eigenständige Fabel übersetzt, der Drahtzieher Loge erschien bei ihm in Maske und Kostüm Richard Wagners. Ähnliches deutete an anderer Stelle auch Christine Mielitz an, die den Wotan ihres Meininger Rings mit Wagnerschem Barett und Backenbart ausstattete (vgl. Abb. 3) und daneben den schlafenden Fafner einer Wagner-Büste nachbilden ließ (vgl. Abb. 4). Nicht allein im Kleide von Metaphern sozusagen, sondern unter Zuhilfenahme von Theaterblut leiblich (fast) wiederhergestellt, so blickt uns Wagner da aus seinen Figuren heraus, von der Bühne herab entgegen (vgl. Abb. 5). Daß sein Leben selbst eine Parabel auf sein Werk war – sieht man etwa auf die hemmungslose Parallelisierung des Werkes Siegfried mit den Ansprüchen und Symbolen, die an das Kind Siegfried Wagner herangetragen wurden, oder sieht man auf den sublimen Jux, daß Wagner im Familienkreis ab und an "im blauen Gewand des Wotan"6 zu erscheinen pflegte – daß 'Auftreten' und 'Auftritt' bei Richard Wagner Synonyme geworden sind, ist oft behauptet worden und scheint schon deshalb zu belegen, wie sehr sich das Erscheinungsbild Wagners mit dessen Werk vermengt hat. Die Konsequenzen allerdings liegen auf der Hand, auch für uns: Wer sich einem Thema verschreibt, das per se in das Private hinüberspielt, der wird das Biographische vor oder gemeinsam mit dem Werkspezifischen besprechen müssen. Eine Rechtfertigung ergibt sich aus der Themensetzung selbst. Schlaf und Schlafmotiv scheinen so dicht zusammenzugehören, daß es fast einer unerlaubten Auslassung gleichkäme, würde man das eine ohne das andere verhandeln wollen. Aber: Die poetologische Diskussion, inwieweit biographisches Material generell eine Hilfe sein kann für die Interpretation eines Kunstwerks, hat man damit natürlich nur durch glückliche Umstände von sich abgehalten. Gerade anhand Wagners ist viel und Fruchtbares aus Reihen derer vorgebracht worden, die ganz im Gegenteil glauben, daß die Biographie eines Künstlers ein Stolperstein auf dem Weg zu dessen Werk und daß das Biographische zur Werkanalyse heranzuziehen ein ungeheurer Regelverstoß 5 Brief Richard Wagners vom 15. 1. 1854 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 357 6 TB vom 4. 9. 1881. [Wagner, 1977], S. 791 26 sei. Lange genug existiert sie bereits, die These, daß der Künstler als Schöpferfigur naturgeleitet funktioniere. Gerade für Wagner scheint dies öfter in der Rezeptionsgeschichte eine Conditio sine qua non gewesen zu sein. Doch schaut man genau hin, so zeigen sich auch hier Probleme, neue Probleme. Nimmt man erst einmal hin, daß Kunst nur genialisch und nur ohne Einfluß von außen entstehen könne, so müßte man auch akzeptieren, daß schon der Prozeß der Werkfindung in sich durch Seitenblicke auf biographische Faktoren gestört würde. Dann aber dürfte sich die Herstellung von Kunst überhaupt nicht mehr um das Leben kümmern. Der Künstler wäre ein Mensch ohne Herkunft. Doch ist das noch eine These, mit der sich arbeiten läßt? Hätte Wagner besser nicht in Bayreuth wohnen dürfen, als er dort komponierte, klänge sein Werk dadurch integrer? Ist der Parsifal beschädigt durch die Tatsache, daß Wagners Frau eine Konvertitin war? Ist die Götterdämmerung weniger chromatisch, weil Wagners Siegfried zu Hause als verträglicher Junge galt? Wer dies ohne zu zögern bejaht, der überzieht nun auch wieder, was ausgerechnet für Wagner nicht überzogen werden dürfte – er stigmatisiert das biographische Material und macht es zu Altlasten, derer es sich für die Erzeugung einer fragwürdigen Form von 'Werkreinheit' zu entledigen gilt. Eine ebenso extreme Position. Extrem vor allem deshalb, weil man damit in die Nähe jener mormonischen Exegeten zu geraten droht, die, um die Bibel von all ihren fleischlichen Anspielungen befreien zu können, erst systematisch nach diesen zu suchen beginnen. Was ist denn überhaupt 'biographisch'? Was bedeutet 'Werkimmanenz'? Wem stünde es zu, hier zu sezieren? Es scheint eine kuriose Rechtsvorstellung zu sein, daß das eine vom anderen abtrennbar sei. Von Stund an wäre es nicht nur dem Künstler, sondern sogar dem Interpreten verboten, etwas aus dem Künstlerleben in das Kunstwerk hineinzulesen, was zugegeben eine nicht immer zweckdienliche, dafür aber um so lustvollere Beschäftigung ist. Aber man muß vorsichtig bleiben. Das Argument, daß ein Kunstwerk unabhängig sein müsse von seinem Erzeuger, ist überreif. Mit ihm etwas beweisen zu wollen, legt den Verdacht des Anachronismus nahe. Hingegen auch mit dem Wissen darum, was Wagner wann, wie und wo gesagt, getan oder gefühlt hat, kann man heute ein disziplinierter Forscher sein. Rund 120 Jahre sind seit Wagners Tod vergangen, 120 Jahre haben Routine im Umgang mit dem heißen Material erzeugt. Die Auffassung, daß die Sicht auf das Werk durch biographische Einschübe behindert würde, gilt nicht mehr uneingeschränkt. Vor allem die Wagner-Forschung hat einen Sicherheitsabstand dazu eingenommen. Widerlegt ist die Idee des Werkpurismus' damit freilich noch nicht. Deren Befürworter haben sogar nach neuen Argumentationsnischen gesucht, sie haben sie auch gefunden und behaupten nun, daß ein Künstler genau das mit ungeahnten Kräften in die Kunst umsetze, was ihm selber fehlt, was er ersehnt, was ihn hungrig macht. Kunst sei die Fertigkeit, das Verdrängte, das Verlorene und Erhoffte abzubilden. Das gelebte Leben kann demnach schon rein empirisch nichts mit jenen Kunstwerken zu tun haben, die es freisetzt. Außer, daß es "bloßer Stoff [war], der aufgezehrt wurde.7 Die biogra7 [Dahlhaus, 1988], S. 8 27 phische Substanz verhält sich zum Werk wie Holz zum Feuer. Das klingt dramatisch, dramentauglich, emphatisch, künstlerisch, zumindest mag es erregend sein für diejenigen, die schon in Nietzsches Paranoia einen Sinn sahen. Doch genaugenommen scheint sich auch hier mehr von den Sehnsüchten derer mitzuteilen, die urteilen, weniger von demjenigen, der beurteilt werden sollte. Denn blicken wir auf Wagner – so verwühlt war dieser nun auch wieder nicht. Es gibt genügend biographische Fakten, die er selbst ausgespart, die er seinem Werk und dessen Interpreten vorenthalten, die er vorsätzlich verschleiert hat – der ganze Komplex der Beziehung zu König Ludwig II. gehört dazu und auch das Liebesverhältnis zu Cosima. Der Briefverkehr zwischen den Eheleuten ist bezeichnenderweise bis auf wenige Dokumente vernichtet oder blieb unveröffentlicht; die Abseiten der Freundschaft zu Ludwig verbergen sich hinter der Materialfülle des Königsbriefwechsels. Wer also meint, die Kunst hätte Wagners Leben aufgezehrt, der hat nur zum Teil recht und am Ende zu viel weggeschnitten. Folgen wir darum eher den Tatsachen. Eine Tatsache ist es nämlich, daß man neben dem Leben und dem Werk auch noch eine dritte Größe für Wagner in Anschlag bringen muß, Tatsache, daß es undialektisch und ganz und gar nicht im Sinne Wagners wäre, nur binär zu argumentieren. Wagner war zwar extrem, und höchstwahrscheinlich ging es ihm um Polarisation. Doch daß er (darin) je eindeutig gewesen wäre, das trifft nun auch wieder nicht zu. Entscheidend dürfte für ihn erst das zutiefst künstlerische Moment der Selbstdarstellung sein. Entscheidend ist die Stelle, wo die Einflüsse sich mischen. Was heißt das? Es heißt, daß Wagner vor allem theatral war. Wer jetzt annimmt, dies beziehe sich nur aufs Theater und damit auf Wagners Werk, der mißt zu kurz. Dies tut es nicht. Gewiß besaß Wagner die Neigung, das Leben auch jenseits der Bühne zum Theater zu stilisieren. Die szenischen Lesungen, die er zum Besten gab, mögen denen signalisieren, die auf solche Signale hören, daß er die Grenzen gern nach außen verschob. Doch diese Art Vertriebslogistik impliziert nicht automatisch, daß er dort, wo er eine Grenze überdehnte, eine andere auch eingezogen hätte. Seine Übergriffe fanden wechselseitig statt. Das Gesetz der Theatralität hebt deshalb für ihn auf, was als Widerspruch zwischen seinem Leben und seinem Werk selbst widersinnig bleiben muß. Denn weder läßt sich Wagners Werk vollständig als Resultat seines Lebens noch sein Leben sich als Ursache seines Werkes beschreiben. Erst das Theatrale überführt das eine in das andere und macht es nach außen hin spruchreif. Man bedenke: Daß Wagner in jede nur mögliche Rolle hineinschlüpfen konnte, bedeutet auch, daß er aus jeder Rolle wieder hinausschlüpfen konnte! Vor allem darin war er proteisch, vor allem dadurch war er 'theatral'. Er spielte das Spiel mit der Erregung von Aufmerksamkeit durch Ablenkung. Je mehr Beweisstücke man darum in seine Waagschalen hineinzuwerfen versucht, desto uneindeutiger wird die Beweislage. Gut möglich, daß die Wahrheit für Wagners Fall in einem Unschärfebereich liegt (beckmesserisch ließe sich dazu wohl auch 'Grauzone' sagen). Vielleicht aber muß man gerade nicht scharf-, sondern unscharf stellen, um ihn ganz erfassen zu können. Vielleicht ist er auch in dieser Hinsicht ein Vorläufer der Impressionisten und Surrealisten. Vielleicht muß man ihn mit einem wechselweise offenen und geschlossenen Auge be- 28 trachten. Wagner unter dem Gesetz der Theatralität begutachten heißt im Grunde, nahe genug an sein Leben und Werk heranzukommen und doch gleichzeitig weit genug von beidem entfernt bleiben zu können, um nicht in den Verdacht unprofessioneller Liebestätigkeit zu geraten. Wer über Wagner spricht, der kann eigentlich nicht nicht sehen, daß dieser sein Leben weder überall bewußt ein-, noch daß er es unbewußt je ausgeschlossen hat. Selbst derjenige, der auf der alleinigen Analyse des Werks beharren wollte, könnte nicht bestreiten, daß Wagners kompositorische Energie sich so gut wie nie der Symphonik zum Beispiel, sondern immer wieder 'nur' der theatralen Musik geöffnet hat, und das, obschon Wagner mehrfach in seinen späten Jahren betont hatte, er wolle nun doch einmal in das andere Fach hinüberwechseln. Aber für die Kunst ohne Bühne blieb bezeichnenderweise keine Zeit. Oder vielmehr glaubte Wagner – seinen "symphonischen Ehrgeiz"8 kaschierend, wie Voss es nennt – mit dem Musikdrama den Beweis erbracht zu haben, daß die Symphonik in diesem gipfele, ja daß das Musikdrama der Symphonik erst die fehlende Artikulation verschafft habe. Dahinter verbirgt sich die Idee, daß nur die Mitteilungen zu etwas führen, die auch dramaturgisch vorbehandelt sind, eine Auffassung, die sich aus Wagners Leben ableitete, die sukzessive auf sein Werk übergriff, um am Ende wieder auf das Leben rückzuwirken. Überflüssig wäre es entscheiden zu wollen, welchem Teil hier die größere Bedeutung zukommt. Martin Gregor-Dellin, der eine der Standardbiographien Wagners geschrieben hat, verknappt dies auf die Faustformel: Wagner "war ein autobiographischer Mensch". 9 Ernest Newman, dem wir die umfassendste aller Wagner-Biographien verdanken, sagt: "He was primarily a dramatist, one of whose most complex psychological creations was himself."10 Damit ist gemeint, daß Wagners Werkentwurf nie ohne Wagners Lebensentwurf ausgekommen wäre. Es meint umgekehrt aber auch, daß das Werk seinen Schöpfer nur deshalb tolerieren konnte, weil dessen Leben bereits werkgerecht war. Gewiß sollte man nirgends so weit gehen wie etwa Paul Bekker, der es in einem sicher entwaffnenden Versuch unternommen hat, das Leben Wagners allein als Resultat, als notwendigen Ausschuß des Werkes zu interpretieren. 11 Zweifelhaft scheint aber auch, daß "nichts [...] falscher [wäre], als in Wagners Musik das tönende Abbild der Biographie zu sehen."12 Wagner selbst gab einmal zu, daß er "förmlich immer die Stimmungen durch[mache], die er komponiere!"13, und daraus kann man ableiten, daß sein Genie schlichtweg darin bestanden haben muß, zu tun, was er war. Gehen wir deshalb von folgender Überlegung aus: Sofern jemand ein Gesamtkunstwerk erschafft, muß er wohl auch selbst irgendwie daran beteiligt sein. Das Gegenteil zu behaupten hieße am Gesamtkunstwerk zweifeln. Peter Wapnewski hat die schöne 8 [Voss, 1977], S. 43 9 [Gregor-Dellin, 1980], S. 594 10 [Newman, 1960c], S. 462 11 Siehe: [Bekker, 1924] 12 [Dahlhaus, 1988], S. 8 13 TB vom 26. 10. 1878. [Wagner, 1977], S. 210 29 Legende überliefert von jener Fledermaus im Schnürboden des Festspielhauses, die, von der Musik Wagners aufgestört, regelmäßig durch den Bayreuther Bühnenraum geflattert sein soll – wer sie damals sah, der munkelte, daß dies "des Meisters Geist"14 sein müsse. Tatsächlich ist also – nach wie vor – viel Wagner in Wagner. Ohne ihn scheinen seine Werke nicht auskommen zu wollen, und es sollte daher kein Grund zur Irritation sein, daß man auf dem Weg zu Wagner an eben diesem nicht vorbeikommt. Zumindest für die vorliegende Arbeit läßt sich daraus die Legitimation ableiten, daß das Motiv vom Schlaf nicht nur mit Wagners Werk, sondern auch mit Wagners Leben einiges zu tun haben darf. <Der Gewandmeister> Schon aus Wagners Rigaer Zeit ist zum Beispiel überliefert, daß man den jungen Kapellmeister, lange bevor dieser sich als " handfester Klavierspieler"15 erwies, als eine Person "im Schlafrock, die Pfeife im Munde, einen türkischen Fez auf dem Kopfe"16 wahrgenommen hatte. Der Impresario Angelo Neumann, der gut mit Wagner bekannt war, berichtet aus dessen späteren Jahren: Cosima Wagner [...] empfing mich mit den Worten: »Mein Mann schläft, ich bitte Sie, einstweilen mit meiner Gesellschaft vorlieb nehmen zu wollen, ich möchte ihn noch nicht wecken.« Nach ungefähr einer halben Stunde [...] erschien der Meister [...]. Er trug das bekannte Barett, einen kurzen, dunkeln, seidenen Hausrock und graue Beinkleider. 17 Auch ein gewisser Louis Schlösser, der Wagner 1860 in Paris besucht hatte, erinnert sich, daß dieser ihn "sogleich in den Salon hinaufbitten ließ, wo er mich im gemütli- 14 [Wapnewski, 1983], S. 140. Auch [Baumann, 1980], S. 196 erwähnt die Fledermaus, und zwar in ei- nem Kontext, in dem es um den berüchtigten Streit zwischen Wieland Wagner und Hans Knappertsbusch und um das Erscheinen jener Taube im Parsifal geht, ohne die Knappertsbusch partout nicht dirigieren wollte: "Gelegentlich erschien eine 'lebendige Taube' im Scheinwerferlicht: Eine der zahlreichen Fledermäuse, die im Festspielhaus ihren Platz auf dem Dachboden und in der Beleuchterloge im Zuschauerraum hatten. Wenn sie in Rheingold am Portalschleier auf- und niederflogen oder die Johannisnacht im zweiten Akt Meistersinger belebten, sahen die Techniker das Erscheinen von 'Richards Geist' während der Vorstellung als gutes Zeichen an." Wapnewski ergänzt an anderer Stelle: "Übrigens: Wo ich von einer Fledermaus rede, meine ich sie als Unam pro multis. Eine Fledermaus kommt selten allein..." (Auszug aus einem Brief vom 5. 12. 2005 an die Verf. J. D.) Notabene: Die Fledermäuse scheinen sich bis auf den heutigen Tag in Bayreuth erhalten zu haben. Wenigstens eine von ihnen geisterte zur Festspielsaison 2003 nicht nur durch Bühnen- und Zuschauerraum, sondern auch durch die Presse. Vgl. z. B. den Artikel Die Rache der Fledermaus von [Luehrs-Kaiser, 2003]. Nach wie vor ist allerdings nicht bekannt, ob ein innerer Zusammenhang zwischen der Bayreuther Fledermaus und jenem Getier besteht, das nach Aussagen Erich Kästners einmal während der Salzburger Festspiele anzutreffen war: "Hermann Bahr hat diese Kirche [den Salzburger Dom] den schönsten Dom Italiens auf deutschem Boden genannt. Heute abend hatte er recht. Als sich die Kapelle, der Chor, die Orgel und die Solosänger zu der gewaltig tönenden liturgischen Konfession [der C-Dur-Messe op. 86] Beethovens [sic] vereinigten, lösten sich, im Schlaf gestört, kleine Fledermäuse aus dem Kuppelgewölbe und flatterten lautlos in der klingenden Kirche hoch über unsern Köpfen hin und her." [Kästner, o. J.], S. 49 15 [Marcuse, 1973], S. 38 16 [Glasenapp, 1905a], S. 301 17 [Neumann, 1907], S. 58f. 30 chen Hauskleide, den roten Fez mit blauer Quaste auf dem Haupte, empfing". 18 1861 schreibt Eduard Devrient in sein Tagebuch: Wagner im Gasthofe besucht. Der arme Mann, der, wie er mir selbst sagt, in den letzten Jahren gar nichts erworben [...] hat [...], dieser arme Mann saß im grünen Sammetschlafrock, mit violettem Atlas gefüttert, und türkischen Hosen vom selben Stoffe und einem weiten braunen Sammetbarett, das ungeschickt aufgesetzt, seinem spitzen Advokatengesicht drollig stand. 19 Wilhelm Kienzl notiert: "In einem hohen Samtlehnstuhle saß der Meister selbst. Er trug seine Haustracht: einen schwarzsamtnen, weiten Rock, schwarzseidene Schuhe und Samtbarett".20 "[Ä]rgerlich" sei Wagner selbst gewesen, so schreibt Cosima einmal an ihre Tochter Daniela, als sich eine kleine Abendgesellschaft in Wahnfried zusammengefunden, er aber schon "seinen violetten Anzug (Schlafrock)" angehabt habe und sich nun nochmals hätte "umkleiden"21 müssen – für Wagner scheint das eine Ausnahme gewesen zu sein. Léon Leroy, 1859: "Ich sehe ihn noch vor mir, in einer Art Hausrock von violettem Sammet, auf der mächtigen Stirn ein Barett aus dem gleichen Stoffe".22 Lilli Lehmann: "Gelbdamastner Schlafrock, rote, oder rosa Kravatte, ein großer schwarzer Radmantel von Samt, mit rosa Atlas gefüttert (damit kam er auf die Proben) – so ging man nicht in Prag, ich starrte und staunte."23 Bei Paul Joukowskys überraschendem Eintreffen in Italien kam er, Wagner, "als ihm [...] meine Ankunft [...] bestätigt wurde, [...] sogleich, wie er ging und stand – zum Entsetzen der englischen Gäste – in seinem Atlasschlafrock durchs ganze Hotel gelaufen"24; "meine MorgenGarderobe ist jetzt mein Stolz!"25 In der Tat, all das ist bemerkenswert. Wagner wirkt überspannt. Zumindest ist nicht von der Hand zu weisen, daß er neben einem eigenen Geschmack auch einen ganz eigenen Sinn für Grenzen besessen haben muß. Denn was 'öffentlich' war und was 'privat', das scheint er in einer Weise aufeinander bezogen zu haben, die verhindern half, daß getrennt blieb, was als getrennt galt. Wer meinte, den Komponisten Wagner treffen zu können, dem präsentierte sich Wagner als Privatperson; wer privat zu Wagner kam, fand einen Menschen vor, der sich durch Kitsch, Pomp und Stilbrüche von seiner Umgebung abzusetzen, der sich demonstrativ in ihr zu inszenieren suchte. "An meinem Geburtstage breitete ich mir auf dem Bett all meine hier angeschafften Sachen aus, und konnte dem Drange nicht widerstehen, alles auf meinen Leib zu ziehen, und mich so der erstaunten Welt zu zeigen". 26 Grotesker18 Zitiert in: [Glasenapp, 1905b], S. 478 19 [Devrient, 1964b], S. 382 20 [Kienzl, 1904], S. 267 21 Brief Cosima Wagners vom 10. 1. 1881 an Daniela von Bülow. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1933], S. 110 22 Zitiert in: [Glasenapp, 1905b], S. 218 23 [Lehmann, 1913], S. 103 24 Zitiert in: [Glasenapp, 1911], S. 552 25 Brief Richard Wagners vom 16. 5. 1875 an Verena Stocker. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1909], S. 567 26 Brief Richard Wagners vom 25. 5. 1855 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 200 31 weise wurde der ersehnte Abstand vor zu viel Nähe hier offenbar gerade durch Nahansichten erzeugt. Aber es ging um Perspektivverschiebungen. Wagner unterwarf das Äußere dem Inneren und schlug buchstäblich das Innenfutter nach außen. Zwar glaubt Joachim Köhler, daß er sich allein "aus Gründen, die nur er kannte"27 die seidenen Schlafröcke und Schlafhauben habe schneidern lassen. Doch man stelle sich vor: Wagner im Schlafrock in der Hotellobby, Wagner im Schlafrock auf der Probe – die 'Gründe, die nur er kannte', stilisierte er immerhin zu öffentlichen Geheimnissen. Das ist ein Verdachtsmoment. Zu auffällig ist auch, daß Wagners Sehnsucht nach Bequemlichkeit sich bald mit Beharrlichkeit verband und die Beharrlichkeit wiederum mit einer heimlichen Begehrlichkeit. Kurz: Mögen Wagners modische Eskapaden manchem auch nicht sofort als Beweise für unser Thema hinreichen, das selbst jenseits des Beweisbaren liegt, so scheinen sie doch mehr wert zu sein als nur eine Anekdote. Man täte Wagner Unrecht, würde man nicht wenigstens probehalber in Betracht ziehen, daß das Physische bei ihm a posteriori mit dem Metaphysischen zusammenhängt. Wendelin Weißheimer berichtet, daß Wagner sich auf seine szenischen Lesungen stets viel weniger innerlich als äußerlich vorzubereiten pflegte, und zwar indem er mit spürbarem "Behagen [...] in einen seiner berühmten Sammetschlafröcke [schlüpfte] und [...] ein dazu passendes Barett über den Kopf [zog], worauf die Vorlesung begann."28 Nur kurios ist dies nicht. Selbst Wagner dürfte klar gewesen sein, daß ein öffentlicher Vortrag der falsche Moment ist um zu privatisieren, – daß er es dennoch tat, dahinter lassen sich Absichten vermuten. Glasenapp schildert folgende Szene: Ein junger russischer Enthusiast, der bei Wagner zu Gast war, setzte der Vorliebe für 'Andenken' [...] dadurch die Krone auf, daß er die Gutmütigkeit des Meisters und dessen jovialen Humor durch seine Bitte dazu herausforderte, seinen schwarzseidenen gesteppten Hausrock direkt auszuziehen, um ihm auf seinen Wunsch auch diesen nebst seiner Kappe zu schenken. 29 Gutmütig und jovial aber, das war Wagner in diesem speziellen Punkt gar nicht, ja daß der junge Mann am Ende nicht leer ausgegangen ist, belegt um so mehr, daß er es nicht war. Denn die Situation beweist zweierlei. Zum einen, daß Wagners Schlaf- und Hauskleidung schon bald zu einem wichtigen Erkennungs- und Identifikationsmerkmal geworden zu sein scheint – zu einer Art selbstauferlegter Verlarvung, durch die sich vermitteln ließ, was anders nur schwer vermittelt werden konnte. Selbst das Bayreuther Wagner-Museum stellt noch heute einen Schlafrock des Meisters aus, um dessen (vermeintlich) auratische Erscheinung dingfest machen zu können. Zum anderen zeigt sich, daß die Wirkung, die Wagner bei seinem zeitgenössischen Publikum erlangte, in der Tat exponentiell gestiegen sein muß im Verhältnis zu jenen Attitüden der Intimität, die er zu Markte trug. Was seine 'berühmten' Schlafröcke betrifft, so war er mitnichten 27 [Köhler, 2001], S. 583f. 28 [Weißheimer, 1898], S. 101 29 [Glasenapp, 1911], S. 99 32 gutmütig und jovial, eher präpotent und outriert. Aus seiner ersten Luzerner Zeit wissen wir, daß er sich während der Arbeit an seinen Kompositionen des öfteren im Nachthemd oder im Schlafrock auf den Balkon seiner Wohnung begab, obschon dort gewiß mit fremden Blicken zu rechnen war. Aus seinen Kommentaren dazu spricht nicht nur Ironie, sondern auch Eitelkeit: "[D]a muß ich denn immer gehörig begafft werden", sagt er, "und weiß noch nicht ganz, ob das meiner Berühmtheit, oder meinem schönen Schlafrock gilt". 30 Oder: "[Mein] Luzerner Publikum [hat] seinen Vorteil, [...] meinen neuen Schlafrock täglich bewundern zu können – mit wahrem Fanatismus aus[ge]beutet. Er muß doch sehr schön sein!"31 Nietzsche notierte sich: "Mit der Kunst des Luxus kritisirte er sich selbst und durchschaute sich."32 Das ist natürlich richtig, es ist auch weit genug gedacht. Wagners Expansionsdrang, das "neckende[...] Possenspiel"33, wie Nietzsche es nennt, hätte ohne Wagners Introvertiertheit gar keinen Bedeutungsspielraum erlangen können. Doch zuallernächst ging es darum zu manifestieren, daß der Luxus als sublimierte Form der Kunst überhaupt eine eigene Berechtigung habe. Und dazu waren starke Scheite nötig. Wagner wußte, daß er der Kunst zuliebe ein ungewöhnliches Vermarktungskonzept würde in Gang setzen müssen. Seine ersten Manifeste in dieser Richtung lassen sich finden, sobald man auf die Reihe von Wagner-Porträts blickt, die ihn vergleichsweise selten zu idealisieren scheinen. Eher das Gegenteil ist der Fall, möchte man meinen. Genau so, wie zum Beispiel jene Studie, die 1842 Ernst Benedikt Kietz von ihm angefertigt hatte, zeigen ihn viele Abbildungen 'nur' informell, im Schlafrock, mit weichem Schalkragen und lockerer Halsbinde (vgl. Abb. 6). Doch die Idealisierung hatte natürlich schon viel früher eingesetzt. Lange vor der ersten Porträtabnahme war das Bewußtsein ausgebildet worden, daß sich ein Sinnzusammenhang auch kultivieren läßt, wenn man methodisch unterkomplex bleibt. Indem Wagner die Sehgewohnheiten seiner Zeit desavouierte (und später auch die Hörgewohnheiten), erzeugte er den Eindruck, daß auch er einen wesentlichen Anteil an diesen haben müsse, ja daß auch er sogar ein Anrecht auf diese besitze. Präsentiert ihn das Bild von Kietz noch im Schlafrock, so posiert er dort schon mit napoleonischem Gestus, die eine Hand im Revers. Das mag nur einer Laune entsprungen zu sein, es mag die Darstellung als Ganzes in die Nähe einer Travestie rücken, ein Zufall jedoch ist es nicht. Zwar bekennt Wagner 1852, 10 Jahre später, daß er "dieses alberne Schlafrockportrait [...] gehörig auf dem Striche [habe]". 34 Wahrscheinlich war die Zeichnung auch nicht von vornherein für repräsentative Zwecke gedacht. Aber schon der Malerfreund Friedrich Pecht fand "das Porträt [...] Wagners (im geblümten Schlafrock) [sprechend ähnlich]"35 und nahm damit vorweg, daß es am 30 Brief Richard Wagners vom 24. 4. 1859 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b], S. 77 31 Brief Richard Wagners vom 9. 5. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 197 32 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988k], S. 242 33 Ebd. 34 Brief Richard Wagners vom 25. 3. 1852 an Theodor Uhlig. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1912], S. 177 35 Nach: [Glasenapp, 1905a], S. 346 33 Ende erfolgreich in Umlauf geriet. Solveig Weber, die die erste Kartierung aller vorhandenen Wagner-Bildnisse unternommen hat, bringt die Sache auch für uns auf den Punkt, wenn sie sagt: Das "offizielle Wagner-Porträt [...] kündigt sich [damit] an."36 Aus dem Jahr 1862 stammt das große Ölbild von Cäsar Willich, – wieder finden wir Wagner darauf in seiner üblichen Haustracht (vgl. Abb. 7). Erstaunlich ist es, wie wenig sich im Vergleich zu der Studie von Kietz geändert hat, selbst Wagners Backenbart ist nach 20 Jahren noch immer derselbe. Nur: Diesmal war das Bild von Anfang an für die Vermarktung gedacht – Wagners Urteil darüber fiel auch schon viel günstiger aus: Willich malt: er traf mich an einem kalten Julimorgen in meinem alten venezianischen Sammetschlafrock, und will nun, des Effektes willen, durchaus nicht aufgeben, mich in dieser Tracht zu malen. – Möge alles gut enden!37 Es ging also um den 'Effekt', es ging um das, was nach außen dringen sollte. Und obwohl Wagner in seinem Schlafrock damit nun eigentlich den glatten Widerspruch riskiert – zeigt er uns doch, wie er privat aussah – so vermochte er offenbar, den Effekt trotz allem zu zünden. Daß er sich genötigt sah, einem seiner Sänger in Bayreuth einmal den Vertrag aufzukündigen, weil dieser "nichts Hübscheres [fand] als R.s Haustracht in der Zeitung zu beschreiben"38, wirft nur in erster Instanz die Frage auf, warum er hier auf der einen Seite etwas verfolgte, was er auf der anderen selbst forcierte. In zweiter Instanz dürfte klar sein, daß er seine Effekte natürlich berechnet und daß er sie auf einen Ertrag hin angelegt hatte. Kontraproduktiv mußte ihm alles erscheinen, was den Anspruch hintertrieb, daß er mehr beabsichtigte, als bloße Spiegelfechtereien. Denn ihm ging es um Enthüllung, nicht um Verhüllung. Läßt sich noch aus den Bildern, die uns etwa von Beethoven überliefert sind, die sukzessive Idealisierung von außen ablesen, so spricht aus den Wagner-Porträts ohne jeden Zweifel eine Idealisierung von innen. Man könnte auch sagen: Die Person Beethovens wurde durch die rücksichtslose Enttarnung einiger weniger Charakteristika verschleiert. Wagner statt dessen wollte durch Verlarvung etwas von sich freilegen. Auch auf den 1867er Lichtbildern aus Tribschen sehen wir ihn deshalb im Hausrock – hier übrigens das erste Mal mit dem Wagner-Barett (vgl. Abb. 8); auch diese Abbildungen wurden erstaunlich schnell an die Öffentlichkeit gegeben, obwohl sie ursprünglich für den Privatgebrauch gedacht waren. Über ein Porträt aus den Jahren 1871/72 berichtet Wagner sogar: "Zu allererst kam aber an mein Bett noch – Lenbach [...,] machte sogleich nichts wie lauter Studien"39 und "[examinirte] meine schwarze Sammetjacke".40 Cosima meinte zwar, daß das aus dieser Sitzung hervorgegangene Bild sie insgesamt "ein wenig matt, schlaff [dünke]", sie ergänzt aber: "[I]ch weiß sehr gut 36 [Weber, 1993a], S. 98 37 Brief Richard Wagners vom 26. 7. 1862 an Otto Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 406 38 TB vom 1. 5. 1875. [Wagner, 1976a], S. 914 39 Brief Richard Wagners vom 10. 12. 1871 an Cosima Wagner. Zitiert in: [Geck, 1970], S. 38f. 40 Brief Richard Wagners vom 11. 12. 1871 an Cosima Wagner. Zitiert in: Ebd., S. 39 34 dass Wagner so aussehen kann, und meistens für die Welt vielleicht so aussieht". 41 Eine Studie von 1880 erläutert sie folgendermaßen: "R. sitzt ihm [Lenbach], sagt aber dabei, er sei müde und wolle am liebsten die Augen schließen."42 Für einen Augenblick droht Wagners produktiver Widerspruchsgeist suspendiert zu werden. Doch Martin Geck stellt den Zusammenhang sicher, wenn er sagt, daß Wagner sich (fast) immer "als Glanzfigur [habe] fotografieren lassen".43 Auf den zwei großen Foto-Serien von 1867 und 1871 finden wir ihn darum erneut in einem Ornat, das sich bei genauem Hinsehen als Alltagskleidung entpuppt. Einmal trägt er einen schwarzmattierten Schlafrock mit großem kassettengesteppten Kragen, das andere Mal eine schwarz-samtene Hausjacke mit weicher, seidener Blende an den Aufschlägen (vgl. Abb. 9-10) – deutlicher ist kaum darzustellen, daß es sich hier nicht um Improvisationen handelt, sondern um eine dramaturgisch höchst geschickt aufbereitete Befindlichkeit. Wagner verband die kleine Form mit der großen Geste. Nicht ohne Grund bemerkt er über ein Porträt aus der Lenbach-Serie, "daß der Künstler hier alles dem einen Blick aufopferte oder vielmehr alles übertrieb, Alter, Müdigkeit, um den einen Effekt der Entrücktheit hervorzubringen".44 Eine Befindlichkeit also, die letztlich mit Wagners Werk wie durch einen unterirdischen Gedankenschacht in Verbindung zu stehen scheint. Thomas Mann: "[W]er wollte verkennen, daß der Atlas auf irgendeine Weise auch in Wagners Werk enthalten ist?"45 Doch was äußerlich war an Wagner, das wird von der WagnerRezeption bis heute als äußerlich gebranntmarkt und ist noch immer von der akademischen Forschung ausgeschlossen. Man fühlt sich düpiert, ist verschnupft, man verdrängt, was Wagner von sich preisgab. Dabei gibt es in seinem Erscheinungsbild so viele Entsprechungen zu dem, was hier nur angerissen werden konnte, daß man sich fragen muß, warum nicht längst eine systematische sozialhistorische Deutung des Mannes (wie auch des Werkes) aus Reihen der Kostümkunde unternommen wurde. 46 Obwohl sogar das Grimmsche Wörterbuch – als Sittenwächter sozusagen über alle deutschen Entgleisungen – statuierte, daß der Schlafrock "keine gesellschaftstracht"47 sei, ist das Leben Wagners voll von Verstößen gegen die Kleiderordnung seiner Zeit. Oder sagen wir besser: voll von Neuinterpretationen. <Contre la mode> Aus verschiedenen Quellen ist überliefert, daß Wagner über die Jahre hinweg zunächst eine heftige Abneigung gegen den allgemeinen Kostümstil, speziell gegen die Herrenmode seines Jahrhunderts entwickelt hatte. Cosima berichtet, daß "R. [...] erneuert seinen Widerwillen gegen die jetzige Tracht kund[gibt]" und statt dessen "in neuer Samt41 Brief Cosima Wagners vom 7. 2. 1872 an Franz von Lenbach. Zitiert in: Ebd., S. 145 42 TB vom 3. 11. 1880. [Wagner, 1977], S. 617 43 [Geck, 1970], S. 36 44 TB vom 1. 6. 1878. [Wagner, 1977], S. 104f. 45 [Mann, 1974a], S. 413 46 Vgl. mit dem Abschnitt <Coda: Traumstoffe/ Schnittmuster> in Kap. I.3, im speziellen dort mit Anm. 470 47 [<Grimm>, 1899e], Sp. 307 35 Jacke und langem Gilet als »Louis XIV.«"48 oder ein anderes Mal in grünem Aufputz, "genannt Rembrandt" erscheint "und ganz wie Figaro darin aussah". 49 Ferdinand Praeger, der Wagner bereits um 1840 in einem "talarartigen Sammtrock und [einem] Barett, eine[r] [...] in unserer Zeit immerhin ungewöhnliche[n] Kopfbedeckung"50 anzutreffen gewohnt war, überliefert dessen Äußerung: "»Ja, ja, das ist der Geist des Jahrhunderts, alles nur Flittergold, falsch wie die Modekunst«"51 und fügt hinzu, daß Wagner "ganz besondere Ideen über Kleiderreform"52 besaß. Er sei "sehr verärgert [gewesen]", berichtet die Putzmacherin Bertha Goldwag, "in allen Salons, in denen er Schlummerkissen und Ähnliches kaufe, habe man kein Verständnis [gehabt] für das, was er eigentlich haben möchte". 53 Als Cosima sich einmal selbst einen Hut "erfunden" hatte, "da ich die jetzigen Extravaganzen nicht zu tragen vermag, gefällt [dies] R."54 Freilich scheint die Behauptung, das 19. Jahrhundert sei im Vergleich mit dem Wagnerschen Kleidungsstil 'flitternd' und 'extravagant' gewesen, aus heutiger Sicht seltsam verkantet. Doch bemerkenswert bleibt, daß Wagner sich sogar angewöhnt hatte, all jenen Kleidungsstücken Namen zuzuordnen, die die Norm auf die eine oder andere Art sprengten; er arbeitete analogisch, für den Inhalt beschäftigte er sich mit der Form. Neben der schon erwähnten Joppe, die er 'Rembrandt' nannte, sprach er von einem "»Liebe[n] Gott«-Gewand"55, eine Robe Cosimas heißt der "Schwan"56, eine andere "Parsifal"57 und wieder andere "Scheherazade"58, "Maradscha"59, "Mandarin"60, "Schwanen-Anzug"61, "Schmelzanzug"62 oder "Jardinière". 63 Cosima berichtet von einem "Rosalien-Kleid"64, mit dem Wagner sicher weniger seine eigene Schwester 'Rosalie', als viel eher den gleichlautenden Terminus technicus aus der Musik assoziiert hatte, der einen kleinen und sich öfter wiederholenden Tonsatz bezeichnet. Eine "wunderschöne, ganz unerhörte" Chaiselonguedecke wollte er allerdings doch nach 48 TB vom 12. 10. 1879. [Wagner, 1977], S. 424. 'Erneuert' heißt vermutlich 'erneut', entspricht aber dem originalen Wortlaut Cosimas. 49 TB vom 17. 10. 1882. [Wagner, 1977], S. 1026 50 [Praeger, 1892], S. 132 51 Zitiert in: Ebd., S. 264 52 Ebd., S. 265 53 Zitiert in: [Kusche, 1967], S. 28 54 TB vom 8. 11. 1873. [Wagner, 1976a], S. 748f. 55 TB vom 25. 12. 1882. [Wagner, 1977], S. 1080 56 TB vom 12. 3. 1879. Ebd., S. 315 57 TB vom 2. 12. 1880. Ebd., S. 630 58 TB vom 1. 6. 1879. Ebd., S. 358 59 TB vom 25. 12. 1878. Ebd., S. 274. Vgl. auch TB vom 20. 3. 1880. Ebd., S. 507 60 TB vom 13. 7. 1878. Ebd., S. 137. (Im Original hervorgehoben.) 61 TB vom 25. 12. 1878. Ebd., S. 274 62 Ebd. 63 Ebd. 64 Brief Cosima Wagners vom 7. 6. 1882 an Daniela von Bülow. [<Wagner, Cosima – Briefe>, 1933], S. 277 36 Madame Gautier-Mendès "Judith"65 nennen. All das sind Zuschreibungen, die bei genauem Hinsehen auf etwas Utopisches verweisen, auf etwas Fernes, Märchenhaftes oder Transzendentales, auf das Prinzip des 'ganz Anderen' – es geht um Musik, um Kunst oder Religion, um Zaubergärten, Zauberwesen und ferne Länder. Es scheint nur folgerichtig, daß Wagners Widerwillen gegen die standardisierte Tracht seiner Zeit darin gipfelte, daß er sich schwer tat mit der täglichen Prozedur des Ankleidens. Die Aussteifung, die mit diesem einherging, besonders der unablässige "Kampf mit dem Knöpfen"66, wurde als unangenehme "Notwendigkeit"67 empfunden, das Um- und Entkleiden hingegen, das einem Los- und Fallenlassen entspricht, als wohltuend: "[D]er Meister selbst, nachdem er erst den Konzertdirigentenfrack mit dem Schlafrock vertauscht, sei wahrhaft kindisch froh und ausgelassen lustig gewesen."68 Wagner scheint demnach die formale Auflösung der üblichen Herrentracht in das ihr gegenteilige Extrem betrieben zu haben. Sukzessive emanzipierte er sich mit seinem Kleidungsstil von der Etikette. Gut ist die Metamorphose nachzuverfolgen, durch die er von den festen Stoffen zu den weichen, von den Geh- zu den Schlafröcken und von der maßgeschneiderten Couture zu einem Stil gelangt war, der die festen Konturen nur noch umfloß. Loden, Filz und Baumwolle ersetzte er durch Samt und Seide. Den spitz-aufgerichteten Vatermörder ersetzte er durch den sanft-fallenden Schillerkragen. Die vertikalen Knopfleisten ersetzte er durch die den Körper horizontal umschließende Schlafrockkordel oder Schärpe. Und den Zylinder, der geradezu ein Emblem ist für das 19. Jahrhundert, ersetzte er durch das Barett, welches uns neben den flachen Rundkappen des Mittelalters und der Jakobinermütze stilgeschichtlich einfach auch an eine Nachthaube erinnern muß. Die Provokation, die Wagner damit zur Schau stellte, ist nicht zu übersehen. Er verweigerte sich dem Modediktat, indem er es invertierte, und vielleicht verweigerte er sich dem Modediktat sogar, indem er es persiflierte. Es mag richtig sein, hinter seinen Kostümen auch eine Form gespielter Narrheit zu vermuten, durch die er, der Narr eines Königs, der selbst als Beau galt, dichter an die Wahrheit herankam und gleichzeitig besser vor ihr geschützt blieb. Zumindest kostümgeschichtlich scheint er eine Form gefunden zu haben, durch die sich in Rätseln sprechen ließ. Doch seine Ironie ist auch ein Sturmzeichen seiner Kritik. Daß Wagner sich vom Geschmack seiner Zeit distanzierte, ist Ausdruck jener Verachtung, die er für diese empfand.69 Er schreibt: "[W]ir haben ein schmachvolles Jahrhundert: Man muß sich daraus zurückziehen, zur Noth auch ohne Schlafröcke"70, aber nur 'zur Noth'. Besser ist: "Da 65 Brief Richard Wagners vom Okt./ Nov. 1877 an Judith Gautier-Mendès. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936a], S. 148. Vgl. auch den Brief Richard Wagners vom 27. 11. 1877 an Judith Gautier-Mendès. Ebd., S. 156f. 66 TB vom 9. 3. 1878. [Wagner, 1977], S. 55 67 TB vom 13. 3. 1882. Ebd., S. 910 68 [Glasenapp, 1905b], S. 73 69 Seine interpretatorische Freiheit in Fragen der Mode dürfte sogar mit seinen frühen politischen Überzeugungen zusammengehangen haben. Vgl. mit dem Abschnitt <Coda: Traumstoffe/ Schnittmuster> in Kap. I.3 70 Brief Richard Wagners vom 19. 10. 1863 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 128 37 sitz ich denn [...] und warte mein Schicksal ab, lasse mir auch schöne ThronfolgerSchlafröcke machen!"71 An Minna, an seine bevorzugte "Schlafrocklieferantin"72, ergehen oft Vorwürfe: "Warum schickst Du mir denn", fordert er, "keine Nachthemden! Oh!"73 An anderer Stelle heißt es: [N]un sollst Du mir auch eine [...] Sommertracht erfinden. Meine luxuriöse Phantasie geht mit folgender Ausgeburt schwanger: eine weite, faltige Jacke [...] von Sammet oder starker Seide, aber nicht wattirt und mit Seide gefüttert; dazu so ein paar schöne Hosen, wie ich sie auch endlich bei Dir durchgesetzt habe, aber ebenfalls nicht wattirt, und mit Foulard gefüttert. 74 Wieder ein anderes Mal ist Minna hellsichtiger und schickt von selbst einen "neue[n] violettseidenen Schlafrock, ein neues Sammtbarett"75 (vgl. Abb. 11). Ende des Jahres 1850 wird folgende Nachricht zirkuliert: "Meine Frau hat mir einen sehr bequemen neuen Schlafrock gemacht"76 (an Uhlig)./ "Meine frau hat mir einen neuen schlafrock gemacht"77 (an Kietz)./ "[S]eit zwei Tagen hat mir meine Frau einen neuen Schlafrock gemacht, und in ihm fühle ich mich glücklich"78 (an Julie Ritter). Eine Nachricht, im Tonfall nicht wirklich salopp, von offenbar markanter Wichtigkeit. Denn sogar auf der Flucht vor seinen Gläubigern und just an jenem Tag, an dem die rettende Einladung durch König Ludwig II. bei ihm eintraf, war Wagner ausgiebig mit einem "grünseidenen Schlafrock" beschäftigt, den er "in den Koffer preßte, der [aber] immer wieder herausquoll und sich durchaus nicht einschließen lassen wollte". 79 Fast scheint es, als hätten die vielen Schlafröcke bereits ein eigenes Leben entwickelt oder als spiegelten und kommentierten sie genau das, was Wagners Lebensgeschichte ausmachte. Daniel Spitzer interpretierte den Tatbestand so: "Ja, dieser Schlafrock hat eine Seele; [...] diese Rüschen sind nicht geschoppt, es schwellt sie die Empfindung; diese Maschen atmen. Es liegt ein zielbewußtes Streben in diesem Schlafrocke, es ist, als ob er nach vorwärts stürmte".80 Und an mir ist auch nicht viel zu ändern: ich behalte meine kleinen Schwächen, wohne gern angenehm, liebe Teppiche und hübsche Möbel, kleide mich zu Haus und zur Arbeit gern in Samt und Seide81, 71 Brief Richard Wagners 72 Brief Richard Wagners 73 Brief Richard Wagners 74 Brief Richard Wagners vom 29. 4. 1863 an Mathilde Maier. Ebd., S. 88 vom 11. 4. 1855 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 163 vom 7. 11. 1851 an Minna Wagner. Ebd., S. 86 vom 17. 5. 1855 an Minna Wagner. Ebd., S. 167 75 [Praeger, 1892], S. 268 76 Brief Richard Wagners vom [10.] 12. 1850 an Theodor Uhlig. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1912], S. 75 77 Brief Richard Wagners vom 13. 12. 1850 an Ernst Benedikt Kietz. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1975], S. 483 78 Brief Richard Wagners vom 12. 12. 1850 an Julie Ritter. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1920], S. 56 79 [Weißheimer, 1898], S. 268 80 [Spitzer, 1906], S. 47f. 81 Brief Richard Wagners vom 22. 2. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 175 38 schreibt Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonk, wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, daß deren Gatte der Unternehmer eines großen Seidenhauses war. "Herrn Wesendonck's schöne Seidenstoffe – die ich mir mit meinem alten Schlafrock ersessen habe", erläutert er später Cosima, sie "zieren mein Dasein mit weicher Anmuth, und – so sitze ich da, und warte auf die Friedenstaube, die mir fernere Subsidien bringen soll". 82 Und "[e]ines Nachts war bei mir eingebrochen worden: die goldene Dose, welche das Moskauer Orchester mir verehrt hatte, war gestohlen. [...] Meine Schlafröcke ließ man mir wohl in Ruhe! Ätsch!"83 Wagner scheint in seine Garderobe investiert zu haben wie andere in kostbare Edelsteine. Die Stoffe und die Schnitte, die Posituren und vor allem jenes Wohlgefühl, das ihm durch diese garantiert wurde, müssen eine Vermögensanlage gewesen sein, die weit über meßbare Sachwerte hinausging. Von daher kauft er weiter an: "Schlafrock, mit schwerem schönen weißen Atlas [...] gefüttert"84, Schlafrock aus "Rosa-Atlas. Mit Eiderdaunen gefüttert und in Carrés abgenäht"85, "1 Rosa Schlafrock, 1 Blau dito [...,] 1 Dunkelgrün, ohne Stickerei, ohne Rücken, ohne Schärpe, bloß mit weißen Schoppen"86, ein "Schlafrock – Rosa mit gestärkten Einsätzen [...und einen gesteppten...] in dunklerem Grün, ohne Rüsche, mit geschoppten Einsätzen und Vordertheil am Aufschlag"87. Dazu kommen "eine Negligé-Jacke [...] von dem blauen und von dem Rosa-Atlas"88, "Spitzenhemd"89, "Schuhe [...] wattirt"90 sowie "2 große Kissen (gestickt), ganz zu garniren"91, eine "Bettdecke [...] weiß gefüttert – wattirt – sehr weich – kein enges Muster"92 und ansonsten "Guirlanden [...,] Blonden [...,] Sachets"93 sowie "Rosa-Band [...,] Orange-Band [...,] hellgelbes Band".94 "Im Übrigen schöne Blumen und Spitzen". 95 Die gutgemeinte Behauptung einer damaligen Wiener Zeitschrift, Richard Wagner lasse "sich nichts abgehen, aber von den berühmten 74 Schlafröcken fehlen 73"96, ist demnach nicht aufrechtzuerhalten. Selbst Bertha Goldwag, die in Wagners späteren Jahren fast alle seine modischen Vorstellungen umsetzte (und deshalb nachmals sogar mit in den Sog einer Pressekampagne gegen Wagners Extravaganzen hineingerissen wurde), gab einmal zu, daß sie 82 Brief Richard Wagners vom 21. 9. 1862 an Cosima von Bülow. [<Wagner, Richard - Briefe>, 2002], S. 258f. 83 Brief Richard Wagners vom 8. 7. 1863 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 112 84 Brief Richard Wagners vom 1. 4. 1865 an Bertha Goldwag. Zitiert in: [Kusche, 1967], S. 62 85 Brief Richard Wagners vom 1. 2. 1867 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 68 86 Handübermittelte Nachricht Richard Wagners vom Oktober 1867 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 82 87 Brief Richard Wagners vom 15. 11. 1865 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 119 88 Brief Richard Wagners vom 25. 12. 1863 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 106 89 Brief Richard Wagners vom 18. 4. 1867 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 80 90 Brief Richard Wagners vom 15. 10. 1864 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 115 91 Handübermittelte Nachricht Richard Wagners vom Oktober 1867 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 82 92 Brief Richard Wagners vom 18. 4. 1867 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 81 93 Brief Richard Wagners vom 28. 9. 1864 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 111 94 Brief Richard Wagners vom 18. 4. 1867 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 80 95 Brief Richard Wagners vom 15. 11. 1865 an Bertha Goldwag. Zitiert in: Ebd., S. 121 96 Zitiert in: [Glasenapp, 1908], S. 197 39 ihm "recht viele Anzüge und Schlafröcke"97 gemacht hatte. In seinen Erinnerungen vermerkte Siegfried Wagner: "Mein Hauslehrer trug [...] zur Heiterkeit bei, als er sich von »Mutti« aus dem nördlichsten Winkel Deutschlands sein Federbett kommen ließ. Der reichliche Genuß von Marzipan, ebenfalls von »Mutti« gesandt, widerte meinen Vater allerdings mehr an."98 <Wagner halbseiden?> Doch Wagner selbst wurde natürlich auch beargwöhnt. Es hieße die kausalen Zusammenhänge entstellen, würde man nicht erwähnen, daß Wagners Kleidungs-Fetischismus sogar eine überaus erhitzte, bisweilen zornige Debatte über die Frage vom Zaun gebrochen hatte, wieviel Luxus ein Komponist wie er eigentlich nötig habe. Bayreuth nahm ihn einem bösen Wort zufolge als einen "mit allen Schneiderkünsten aufgedonnerten neuen Ehrenbürger[...]"99 wahr (vgl. Abb. 12). Gegen Ende seines Lebens sprach man von einer unverhältnismäßig großen "Anzahl kostbarer Gewänder"100, von "echte[n] Spitzen"101, schwarze[m] Atlasflaus [...und...] große[m] Pelz"102, "wilden Wogen aus Seide, Gaze" und einem "Talar aus Goldbrokat, mit Silberfäden durchwirkt", kurz, man sprach von Genußsucht und Überfeinerung, von welcher der "Meister [...] selbst Gebrauch machte, je nachdem ihm die Laune anwandelte."103 Gerade jene Schlafröcke also, durch die Wagner sich insgeheim mit seinem Werk verbunden fühlte, scheinen besonders nervös rezipiert worden zu sein, sie scheinen die Grundsatzdebatte um ihn und seine kompositorischen Kompetenzen immer wieder entfacht zu haben. Lustspieldichter, politische Karikaturisten, das internationale Feuilleton nahmen sich des Sujets schnell und dankbar an. In der Posse Die reiche Erbin etwa von Eduard von Bauernfeld wird Wagner als verträumtes Genie "im Sammtrock, den deutschen Hut auf dem Kopfe"104 verspottet, in den Vögeln des selben Autors erscheint "Richard, in einem prachtvollen, mit goldenen Sternen gestickten Schlafrock, die Krone auf dem Haupt".105 Im Morgenständchen eines neudeutschen Komponisten, einem klamaukhaften Dramolett, das anonym erschienen war, gibt schon die erste Szene den Blick frei auf ein "Prachtvolles Schlafzimmer: Samttapeten, Seidenvorhänge" und: [D]er große Komponist, erwacht, streckt sich, aber nicht nach der Decke, [...] reißt an einem Glockenzug [...] »Man bringe mir den Katalog meiner seidenen Schlafröcke. [...] Ich 97 Zitiert in: [Kusche, 1967], S. 31 98 [Wagner, 1923], S. 32 99 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 21 100 [Perl, 1883], S. 95 101 Ebd., S. 31 102 Ebd., S. 37 103 Ebd., S. 95 104 [Bauernfeld, 1876], S. 23. Übrigens tritt er dort unter dem Namen 'Richard Faust' in die Geschichte ein, was vielleicht nicht nur auf den ganzen Problemkreis des 'deutschen Wesens' verweist, sondern auch darauf, daß es in Goethes Faust I, V 521f. tatsächlich die Figur "Wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze" gibt. 105 Zitiert in: [Hakel, 1963], S. 268 40 wünsche den veilchenblauen mit gelb ausgenähter Ornamentik, in welchem ich neulich [...] für den Riesen Fafner komponiert habe«. 106 Der Journalist Daniel Spitzer, der viel (und Köstliches) zur Befeuerung der Saalschlacht um Wagner beigetragen hatte, faßt zusammen: "Man wird einen deutschen Mann im Schlafrock sehen"107 (vgl. Abb. 13). Nun wird diese Debatte allerdings, so subversiv sie in sich schon sein mag, durchkreuzt von einer zweiten, die wiederum zu befestigen sucht, was die erste losgetreten hat. Es ist die Debatte darum, inwieweit Wagners Vorliebe für kostspielige Stoffe und Schlafröcke nicht eigentlich gesundheitliche Gründe gehabt haben müsse. Man glaubte in Erfahrung gebracht zu haben, daß das Übel einer "Hautkrankheit [...] ihm nichts anderes [erlaubte] als Seide auf blossem Körper zu tragen". 108 Wagner selber bekannte, daß er "Leinwandfutter [...] selbst im Sommer nicht mehr auf dem Leibe vertragen [könne ...] und Cattun [...] wie die Sünde [hasse]"109, denn man "»büßt für alles [...] wenn man eine Haut hat, die gern das Weiche berührt«". 110 Die seriöse WagnerForschung hat sich deshalb auf die Seite all derer geschlagen, die davon ausgingen, daß Wagners "Vorliebe für Schlafröcke [...] einen sehr plausiblen, nüchternen Grund [hatte]: Er fürchtete zeitlebens, die Gürtelrose, die ihm einst in den Züricher Tagen schwer zusetzte, könnte erneut auftreten."111 Einige Allgemeinmediziner haben sich noch im 20. Jahrhundert mit Wagners Allergosen und Ekzematoiden befaßt und sind zu dem Schluß gelangt, daß seine Schale reizbar, er selbst psychosomatisch veranlagt gewesen sein muß und daß er zum einen an "Hautaffektionen"112, wahrscheinlich "an einer Neuro-Dermatitis"113, zum anderen unter einer "hochgradig[...] vegetative[n] Labilität"114 gelitten hat, die interessanterweise auch Schlafstörungen verursachen kann. Doch dazu später mehr. Wesentlich ist der Faktor, daß Wagners Schlafröcke überhaupt ausreichend Konfliktpotential bieten konnten und bieten können, um selbst pragmatische Exegeten dazu zu bringen, für oder gegen den Komponisten Wagner beziehungsweise für oder gegen das Werk Wagners Partei zu ergreifen. Noch immer gehört es zum guten Ton in der Wagner-Rezeption, hier Stellung zu beziehen. Spätestens in Ansicht des Wagnerschen "Üppigkeitsteufel[s]"115 teilt sich die Bereitschaft für Wagners Werk in zwei Lager. Von der Demarkationslinie aus betrachtet stammte die Krankheitsthese von Anfang an aus Reihen der Wagnerianer, die Luxusthese aus Reihen der Antiwagneria106 Zitiert in: Ebd., S. 34f. 107 [Spitzer, 1906], S. 19 108 [Praeger, 1892], S. 264 109 Brief Richard Wagners vom 17. 5. 1855 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 167 110 TB vom 20. 7. 1880. [Wagner, 1977], S. 574 111 [Panofsky, 1963], S. 106 112 [Ullmann, 1962], S. 1629 113 Ebd., S. 1630 114 [Franken, 1991], S. 106 115 Brief Richard Wagners vom 13. 4. 1853 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 290f. 41 ner. Ausschlaggebend ist allerdings auch, und vielleicht ist dies noch ausschlaggebender, als die Konfliktintensität nur freizulegen, daß dieses leidenschaftliche Tauziehen nach keiner Seite hin entschieden werden kann, solange sich niemand entschlossen zeigt, auch hinter den Spiegeln etwas zu vermuten. Tatsache ist nämlich, daß keine der beiden Parteien der tieferen Problematik ihres Gegenstandes je nahegekommen ist. Bis heute konnte die fetischistische Disposition Wagners keine ernstzunehmenden oder zumindest keine dauerhaften Perspektiven auf sich beziehen. Zu ausschließlich hat man sich immer wieder nur mit der Beschaffenheit der Oberfläche befaßt, wobei man der Gefahr nicht entkam, selber dem ähnlich zu werden, was es am Streitobjekt zu entschulden oder zu beklagen gab. Immer wieder wurden bloß die Stoffe, die Materialbedingungen thematisiert, nie jedoch die Stofflichkeit, nie die Materialität. Doch genau darum muß es gehen. Denn wir nähern uns, um mit Thomas Mann zu sprechen, dem "Punkt, wo das Bourgeoise ins unheimlich Künstlerische" umschlägt, wir nähern uns "dem wunderlichen Gebiete der Stimulation"116 (vgl. Abb. 14). Nicht das Einkleiden scheint wichtig gewesen zu sein für Wagner, sondern das Einhüllen, was einen kategorialen Unterschied ausmacht. Nicht die Kostenanalyse von Samt, Satin, Köper, Kammgarn oder Chintz kann die Debatte um dessen Schlafröcke entscheiden, sondern allein die Antwort auf die Frage, welche ideelle Substanz, ja welchen suggestiven und metaphorischen Wert diese haben. Martin Gregor-Dellin präzisiert, daß man bei Wagner von "Einkleidungs- und Verhüllungsriten" sprechen muß sowie von der "Ritualisierung und Veräußerlichung"117 einer Befindlichkeit, die rein innerlich war. "Ich will nichts Stilvolles", erklärt Wagner selbst, "etwas Einschmeichelndes ist mir lieber."118 Damit geht es um die "Idealität der Empfindung".119 <Stoff und Stofflichkeit> Susanne Weinert, die viele Jahre als Gouvernante in Wagners Haushalt gearbeitet hatte, schrieb einmal, daß sie, als sich die Gelegenheit dazu ergab, die Stoffe anzusehen, die für Wagners Schlafröcke verwendet wurden, [...] »in den unteren Regionen des Hauses [...] große Cartons [vorfand], aus denen Atlas in bunten Farben, in zart rosa, himmelblau, grün hervorschimmerte«. 120 Die Situation scheint märchenhaft, und in der Tat dürfte der Keller in Wahnfried mehr gewesen sein als nur ein gewöhnliches Textillager. Eher ging es um Animation, um energetische Reflexe. Denn niemandem ist wohl der schnelle Verschleiß dieser Stoffmassen im täglichen Leben ernsthaft zuzutrauen, selbst nicht dem "sybaritic Wagner".121 Es ist also anzunehmen, daß es für diesen weniger die Stoffe waren als vielmehr 116 [Mann, 1974a], S. 412 117 [Gregor-Dellin, 1980], S. 25 118 Brief Richard Wagners vom 30. 11. 1877 an Judith Gautier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936a], S. 160 119 TB vom 10. 11. 1881. [Wagner, 1977], S. 823 120 Zitiert in: [<Wagner, Richard - Briefe>, 1953], S. 576 121 [Newman, 1960c], S. 446 42 deren Stofflichkeit, die stimulierende Funktion besaß. Ähnliche Begehrlichkeiten hatte er entwickelt in bezug auf die Duftessenzen, die er einmal bei Judith Gautier nebst zahllosen Stoffmustern, Schlafschuhen und seidenen Decken zur Bestellung in Auftrag gegeben hatte und die schließlich, erhitzt in der unter seinem Arbeitsbereich gelegenen Badkammer in Wahnfried, zu ihm hinaufsteigen sollten zum Zwecke der Inspiration. Die Idee, daß hier pythische Kräfte mobilisiert wurden, liegt nahe, sie ist von Wagner selbst besprochen worden – formal reicht die Metaphorik des pythischen Orakels weit hinein in den suggestiven Bereich des Schlafs. Von daher sollten wir davon ausgehen, daß Stofflager und Schlafröcke auratische Funktion hatten und Wagner in einen wie Willi Schuh dies schlicht nennt "gesteigerten Gefühlszustand"122 zu versetzen mochten. In einen "traumhaft magischen Zustand"123, wie Henriette Perl schreibt. Zwar galten Entdeckungen dieser Art bislang als nebensächlich, doch schon Richard Fricke hatte bemerkt, daß ein Schlafrock für Wagner nicht nur ein Zierstück war. Vielmehr handelte es sich um eine Art Probenkostüm, mit dem und in dem sich improvisieren ließ: Nachmittags trat Wagner in mein Zimmer [...] Es schien ihm viel Spaß zu machen, mich in meiner Hauskleidung zu sehen. Seit Jahren benutze ich im Sommer meinen Reiseplaid als Schlafrock, welcher einfach umgehängt, am Hals mit einigen Nadeln festgesteckt und um die Hüften mit einem Lederriemen festgehalten wird. [...] Wagner besah mich von allen Seiten, wie ein Kind tut, wenn es etwas Seltsames und Neues erblickt.124 In Mein Leben berichtet Wagner, daß er während der Konzeption des Tannhäuser eine volle Mondnacht, in das bloße Bett-Tuch gewickelt, auf den Ruinen des Schreckensteins [herumgeklettert sei], um mir so selbst zur fehlenden Gespenstererscheinung zu werden.125 Die Aura der Dunkelheit, der Nacht und des Schlafs als numinose, urstoffliche Hülle erzeugte offenbar bei ihm, der die Musik früh als "eine Geistermahnung"126 wahrgenommen hatte, jene improvisierte Entrückung, die er zum Arbeiten nötig hatte. Prinzipiell muß es inspirierend auf ihn gewirkt haben, weiche und fließende Textilien zu berühren oder zu verarbeiten (vgl. Abb. 15-19). "Das Unbegreifliche, hier wird's getan, das angenehm Weichliche zieht man gern an", meinte er zu Cosima, wenig später konkretisierte er es: "Das sanft Bestreichelnde hat's uns getan, das angenehm Weichliche zieht man gern an!"127 Daß sich dabei auch an die seidige Qualität seiner Musik denken läßt, dürfte nicht abwegig sein – "ich bedarf einer schmeichelnden, 122 [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936a], S. 10 123 [Perl, 1883], S. 92 124 [Fricke, 1906], S. 47 125 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 237 126 Ebd., S. 37 127 TB vom 20. 7. 1881. [Wagner, 1977], S. 767 43 stärkenden Pflege, um den sehr angegriffenen inneren Saiten die gewollten Töne zu entlocken"128, sagte er. Als Kind konnte ihm ein Theaterkostüm und selbst nur ein charakteristisches Stück desselben, als aus einer andern Welt stammend, in einem gewissen Sinne gespenstisch interessant, [...] als der Hebel gelten, auf dem ich mich aus der gleichmütigen Realität der täglichen Gewohnheit in [ein] reizendes Dämonium hinüberschwang. [...] die zarteren Garderobengegenstände meiner Schwestern [...übten] einen fein erregenden Reiz auf meine Phantasie aus; das Berühren derselben konnte mich bis zu bangem, heftigem Herzschlag aufregen. 129 Eine an Verleumdung grenzende Verkürzung ist es sicher, Wagner an dieser Stelle Transvestismus nachweisen zu wollen, so wie Joachim Köhler dies tut, der suggeriert, daß "Rüschen, Quasten und Röschen" grundsätzlich "eher der Damengarderobe zuzuordnen"130 seien. Denn Wagner übertrug die stoffliche Faszination (respektive die Faszination für Stoffe) unmittelbar auf den "Zustand [...] in welchem er bei der Arbeit sei, da mache er sich gern zu tun mit einer Schleife, einer Gardine, einer Decke". 131 Vreneli Stocker notierte in ihren "Triebschener Erinnerungen", daß sie ihn oft, wenn er sich unbeobachtet glaubte, dabei [g]etroffen habe, wie er an irgendeinem Vorhang, einer Gardine, »eine Falte richtete«, was [...] in dem eben erwähnten Zustande des träumenden Schaffens, oder schaffenden Träumens [geschah, und dabei duldete er] nur etwas Weiches, in den Formen Unbestimmtes [...] um sich [...].132 Alle "festen Linien", erklärte Wagner, machten ihm "die Arbeit unmöglich"133, während "die träumerischen Farben, das sich Brechen des Lichtes auf dem Stoff ihn angenehm zerstreut und sammelt."134 Der Widerspruch, der hier zwischen 'Zerstreuung' und 'Sammlung' aufgebaut wird, ist derselbe Widerspruch, der aus dem Tatbestand einen Sinn macht, daß zwischen Wagners Schlafröcken und dessen Kunst ein Kausalnexus besteht. Der 'Stoff'-Begriff wird in doppelter Bedeutung relevant. Die Schlafröcke waren nicht nur Stimulans zur Arbeit, sie waren das qualifizierte Vakuum, innerhalb dessen diese Arbeit für Wagner erst möglich wurde. "[M]eine Frau", gab er einmal zu Bericht, "hat mir eine herrliche Hausjacke gemacht und wundervolle seidene Haussommerhosen; in denen wälze ich mich von einem Kanape zum andren und – sehne mich nach Arbeit."135 Verständlich deshalb, wenn er auch sagt: "Wie ich nun einmal geworden bin, brauch' ich ein sehr weiches, sanft umschließendes Element, um mich 128 Brief Richard Wagners vom 14. 4. 1859 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b], S. 72 129 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 20 130 [Köhler, 2001], S. 584 131 TB vom 22. 11. 1878. [Wagner, 1977], S. 237 132 Zitiert in: [Glasenapp, 1911], S. 154 133 TB vom 15. 5. 1880. [Wagner, 1977], S. 533 134 Ebd. 135 Brief Richard Wagners vom 7. 7. 1855 an Ferdinand Praeger. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988b], S. 242 44 froh zur Arbeit zu fühlen"136, denn "ich bedarf einer gewissen Sättigung von außen her, um dann durch einen schönen Gegendruck mein Inneres freudig wieder nach außen werfen zu müssen."137 Was seinerzeit böse Zungen ihm nachtrugen, das müßte man heute also eher affirmieren, daß er nämlich nicht componiren oder dichten [kann], wenn er nicht das alt-deutsche Barett auf dem Haupte fühlt, wenn nicht der Schlafrock, die Pantoffeln, das Taschentuch, die Tapeten seines Zimmers diejenige Farbe und Zeichnung tragen, welche der für sein 'Kunstwerk' erforderlichen Seelenstimmung entsprechen. 138 "Zweihundertfünfzig Ellen Atlas, vier Atlas-Schlafröcke und drei Bettdecken auf einmal sprechen deutlich genug. Ich fange an, Wagner zu begreifen – den Menschen, den Dichter und den Künstler!"139 Ex ungue leonem! Und da auch Ludwig Kusche von der "Torheit" spricht, "Kunststoffe (Schlafröcke) und Kunstwerke miteinander in Beziehung zu bringen, um dadurch zu einer tieferen Einsicht in das Phänomen Richard Wagner zu gelangen"140, so geben wir zu, diese Torheit gern begehen zu wollen. Denn ungeachtet der Platitüden, die ihnen voraus- und nacheilen, Wagners Schlafröcke verweisen auf eine typisch Wagnersche Binnenstruktur. Was Richard Klein über die musikalische Dramaturgie Wagners gesagt hat, gilt auch für die Bedingungen, unter denen diese geschaffen wurde: "Wagner hatte bekanntermaßen Sinn für public relations, aber in der Substanz geht es bei ihm dann doch um etwas anderes als um einen Avantgardismus der auffälligen Einzelheiten oder Werbeeffekte."141 Es scheint, die Schlafröcke stellen geradewegs die Allegorie jenes Schlafmotivs dar, das Wagners theoretisches und praktisches Werk durchherrscht und das wir in den folgenden Kapiteln freilegen wollen. Maßgeblich ist, daß sie ein Signum intimer Sinngebung sind, ein Requisit, ohne dessen Hilfe der Komponist Wagner die Anverwandlung der äußeren in die innere Welt gar nicht hätte durchführen können oder wollen. Maßgeblich ist, daß der Kleider-Fetischismus Wagners Rückzugsstrategien sowohl abgebildet wie generiert hat. Die Schlafröcke sollte man als Repräsentanten eines geistigen Innenraums verstehen, welcher selbst den Gesetzen des Traums nachgeordnet war (was noch zu präzisieren sein wird). Maßgeblich ist also, daß ihre Textur zum Katalysator der Autosuggestion wurde, aus welcher Wagner die Stoffe seines Werkes evolvierte. Er selbst hatte dies genau so begriffen. Sein Habitus war und blieb sakrosankt doppeldeutig. Seine Porträts beweisen, daß er das Innere nur nach außen schlug, um das Äußere auf das Innere beziehen zu können. Inoffizielles und Offiziöses, innere und äußere Haltung widersprechen sich nicht, wo Herz, Blut, Atem, Puls und Mark allein deshalb veräußert wurden, weil sie latent in Not waren und auf Rettung angewiesen. "Er habe immer die 136 Brief Richard Wagners vom 4. 4. 1855 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 416 137 Brief Richard Wagners vom 11. 6. 1853 an Otto Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 46f. 138 [Puschmann, 1873], S. 51 139 [Spitzer, 1906], S. 78 140 [Kusche, 1967], S. 52 141 [Klein, 2001a], S. 169 45 mystische Bedeutung der Sachen gesucht"142, verlautbarte Wagner, womit er bereits dem Paradoxon erlag, daß das Innere bei ihm doch nur durch Exaltation nach außen getrieben werden konnte. Aber "glaube, das Heil und die Genesung kommt nicht von Außen und durch keine Medizin: sie kommt nur von Innen!"143 "[N]icht von außen", heißt es an anderer Stelle, "sondern nur von innen sollte der Lebensstrom mir zufließen."144 Wagner kultivierte seine weltabgewandte Seite, gewiß, dies aber nie unter Ausschluß der weltzugewandten, die ihm immer Rückwand blieb zu einer Vorderansicht, die nach innen fluchtete. Methodisch verbirgt sich dahinter – natürlich – auch schon Wotan, dessen eines Auge nur nach innen und dessen anderes nur nach außen blicken konnte und der im Ring als eine Figur erscheint, die im Grunde genommen nichts anderes versucht, als durch immer schnelleres Umdrehen den eigenen Rücken zu Gesicht zu bekommen. Ähnliches habe Wagner selbst vorgehabt, könnte man sagen. So wie er sich jeden Schlafrock und jede Stoffprobe am liebsten im Faltenwurf dachte – Falten verstanden als die zur Innenansicht aufgesprungene Oberfläche – so arbeitete er an einer Rhetorik der Verinnerlichung, die die Außen- mit der Innenwelt in Rapport setzte. Ein Zufall ist es nicht, daß er auf diese Weise auch die Metaphern des Schlafmotivs präfigurierte, durch die seine biographischen Wesenszüge später zu werkspezifischen sublimiert werden sollten. <Innenausbau [1]: Wagners Wohnungen> Das Prinzip der Verschalung und Wattierung staffelte er sogar mehrfach, mußte es mehrfach staffeln, um seiner Matrix treu zu bleiben. Sind seine Schlafröcke die am weitesten außen liegende Entsprechung seiner Innenwelt, so zeugen in nächster Instanz seine Wohnungen davon, daß ihm nur alles daran gelegen war, nach innen hin zu verdichten. Dem Stil seiner Zeit gemäß, nur noch ein wenig fiebriger, steppt Wagner nach innen hin ab, ziseliert und verbrämt, betreßt und posamentiert, tapeziert und renoviert. Das Bild des bürgerlichen Komponisten wäre intakt, hätte es sich nicht bald durch jene Haarrisse verdächtig gemacht, die durch Überstrapazierung entstehen und die den Firnis der nach außen hin abspiegelnden Oberfläche aufbrechen. Der Einrichtungsgeschmack des mittleren und späten 19. Jahrhunderts war fraglos exotisch, gemessen mit heutigem Maß. Visionär, surrogiert, surreal opulent stilisierte man das Haus zur Höhle in einer Weise, die Flaubert sich nur folgendermaßen erklären konnte: "[D]a wir die Sonne nicht vom Himmel holen können, müssen wir alle Fenster verstopfen und in unserem Zimmer die Lüster entzünden."145 Tatsächlich entsprach es dem Stilgefühl der Zeit, den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag umzuprägen. Die Zimmer wurden nicht nur von den vier üblichen, sonst von allen sechs Richtungen her, oben und unten miteingeschlossen, mit so vielen Schichten von Teppichen, Täfe142 TB vom 16. 11. 1874. [Wagner, 1976a], S. 870 143 Brief Richard Wagners vom 22. 10. 1858 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 316 144 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 512 145 Zitiert in: [Ariès/ Duby, 1992], S. 327 46 lungen, Tapeten, Gardinen, Portieren und Paravents modelliert, daß Ariès/ Duby von einer "Akkumulation [nach innen]"146 sprechen. Man schuf sich künstliche Illuminationen, fabelhafte Geheimkammern als Abbild einer verschlungenen, aber zerbrechlichen Psyche, Andachtsräume des Alltäglichen, pseudosakrale Salons als Schutzzonen vor der Außenwelt, die diese doch gleichsam ersetzen sollten. Doch Wagner gestand sich "Leidenschaftlichkeit in der Einrichtung"147 zu und übertrieb die Übertreibung. Schon als Knabe entzückten ihn "Prunkgemächer"148, namentlich jene Gelasse aus "den Zeiten Augusts des Starken", die dieser einmal für seinen "Aufenthalt in Leipzig gemietet und eingerichtet hatte"149 und die eine Bekannte seines eigenen Onkels Adolf Wagner verwaltete. Die "prächtig aus schweren Seidenstoffen mit reichen RokokoMöbeln"150 verzierte Einrichtung machte ihm Eindruck. "Wohl gefiel ich mir sehr in diesen großen phantastischen Räumen"151, gesteht er in seiner Autobiographie, einen einzigen Verdruß beschreibt er genußvoll: Nur an einem Schmuck dieser Räume hatte ich sehr zu leiden: das waren die verschiedenen Porträts, namentlich der vornehmen Damen im Reifrock mit jugendlichen Gesichtern und weißen (gepuderten) Haaren. Diese kamen mir durchaus als gespenstige Wesen vor, die mir, wenn ich allein im Zimmer war, lebendig zu werden schienen und mich mit höchster Furcht erfüllten. Das einsame Schlafen in einem solchen abgelegenen großen Gemach, in dem altertümlichen Prachtbett, in der Nähe eines solchen unheimlichen Bildes, war mir entsetzlich; [...] nie [verging] eine Nacht, ohne daß ich in Angstschweiß gebadet den schrecklichsten Gespenster-Visionen ausgesetzt war. 152 (Vgl. Abb. 20-24) Der Gespensterglaube hing zusammen mit einem Nervenkitzel, ja mit einer Faszination für überfeinerten Luxus, der sich Wagner später gar nicht mehr entziehen wollte. Das repräsentative Prachtbett, der museale Zaubernachen, die royale Distanz, der Triumph über das Vergängliche unter der Höhlung vieler Decken, all das kam seiner Neigung entgegen, Introversion und Extroversion aufeinander zu beziehen. Was das Prunkbett August des Starken anbelangt, so scheint er seine Phobie im Laufe der Jahre sogar durch einigen Gegendruck kuriert zu haben. In Italien "ruhte [er] in einem breiten Bett aus, in dem angeblich Papst Pius IV. geschlafen hatte; Wagner meinte, darin habe das ganze Schisma Platz".153 "Wie man von dem seltsamen leidenschaftlichen Einrichten spricht, sagt R.: »Bei unsereinem heißen alle Exzesse doch nur, zur angenehmen Ruhe kommen, damit der Geist frei werde.«"154 Prinzipiell gab er sich nie auf Reisen 146 [Ariès/ Duby, 1992], S. 340 147 Tagebucheintrag Richard Wagners in den Annalen (im folgenden verzeichnet als Ann.) vom 28. 4. 1857. [Wagner, 1988a], S. 127 148 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 15 149 Ebd., S. 14f. 150 Ebd., S. 15 151 Ebd. 152 Ebd. 153 [Gregor-Dellin, 1980], S. 791 154 TB vom 25. 8. 1880. [Wagner, 1977], S. 586f. 47 mit einfachen Gasthofquartieren zufrieden. Er suchte immer nach "der schön gepflegten Umgebung [eines] stattlichen Schlosses". 155 Hans von Bülow bat er einmal: Wärst Du so gut, in dem gemeldeten Hôtel mir ein anständiges Unterkommen zu bestellen? Ein Salon mit Schlafzimmer, oder allenfalls auch ein Salon mit Alkoven oder Bett allein. Auf möglichstes Behagen bin ich [...] versessen. Du kannst getrost das Beste nehmen, was Du findest.156 An Mathilde Maier: "Sprich doch mit dem Wirth. Ich wünsche einen geräumigen Salon (womöglich mit Balkon) und eine große Schlafstube daneben."157 Während der Vorproben zum Ring nimmt er ungeheuren Anteil daran, ob die "Bettstelle" seines Sängers Georg Unger "auch lang genug sei, sich rücksichtslos darin auszustrecken u.s.w. [...] Die lebendige Darstellung, so gleichgiltig der Gegenstand an sich schien, mochte dem Meister doch behagen."158 Bei den eigenen Wohnungen geht er darum wie automatisch davon aus, daß deren Möblierung plissiert, unterfüttert und gerafft werden müsse. Die Stuben sollten nach innen wachsen und die Stoffe, die er dafür erwarb, eine nach innen hin vergrößerte Oberfläche schaffen – das Zimmer als Grotte, es erinnert an Ludwig II. Er statuiert: Die "Wohligkeit der Einrichtung beginnt erst mit den Falten". 159 In weiterer Folge hört man ihn berichten von einem "Puppenlogis", in welchem er mit einem "freche[n] Realisationsdrang [...] die Phantasien aus 1001 Nacht [verwirklichte]"160; man hört von "wollüstig gedämpft[em]"161 Licht, Wänden aus "blaßrosenrothem und wassergrünem Atlas"162 und einem "bunte[n], aber harmonische[n] Chaos von Pracht und Glanz"163 – kurzum: Man hört von einer "Makart'sche[n] Dekoration!"164 Selbst Wagners "prächtiger Flügel" soll "in ähnlicher Weise von glitzernder Seide umhüllt und mit Rosen überstreut"165 gewesen sein – "eine lachende 'Blumenaue' in Gestalt einer schönen Klavierdecke [...], die er dann seinerseits liebevoll in die rechten Falten legte."166 Mehrlagig, kassettiert, in Form und Farbe verfließend und auseinander und ineinander überquellend, Wagners Wohnungen scheinen demselben traumartigen Qualitätsstandard zu unterliegen wie seine Garderobe, seine Schlafröcke. Selbst aus größerer Distanz hatte man dies zu seiner Zeit schon so wahrgenommen. Wagners Reich, liest man bei Malwida von Meysenbug, sei "ein Heim [gewesen], wie wohl wenige Men155 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 678 156 Brief Richard Wagners vom 16. 2. 1863 an Hans von Bülow. [<Wagner, Richard – Briefe>, 1916], S. 194 157 Brief Richard Wagners vom 4. 4. 1863 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard – Briefe>, 1930], S. 81 158 [Hey, 1901], S. 498 159 TB vom 11. 12. 1880. [Wagner, 1977], S. 636 160 Brief Richard Wagners vom 4. 4. 1852 an Julie Ritter. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1920], S. 80 161 [Perl, 1883], S. 92 162 Ebd. 163 Ebd., S. 94 164 Ebd., S. 95 165 Ebd., S. 93 166 [Glasenapp, 1911], S. 154 48 schen selbst in ihren Träumen es sich haben erschaffen können". 167 Cosima gegenüber enthüllte er, daß das "ideale Heim" für ihn eines sein müsse, in dem er sich "ganz [...] verträumen"168 könne. Wahnfried – "Traumheim"!169 Die Art, wie er seine Neigungen in der Einrichtung auslebte, bedeutete "bei ihm Überschuß, eine Art Instinkt habe ihn dazu getrieben."170 Es ist nicht schwer zu diagnostizieren, daß dieser Instinkt wiederum mit der Arbeit zu tun hatte. Eine Parallele besteht zu jener Form von Innerlichkeit, die Wagner bereits mit seinen Kleidervorlieben kultiviert hatte. Durch innenarchitektonische Übersprunghandlungen kreiert er die künstlich-künstlerische Welt, die er für das Werk nötig hatte – "Ich spinne mich ein wie ein Seidenwurm: aber auch aus mir heraus spinne ich".171 Und so trieb es ihn, jede Stube, in der er logierte, jedes Haus, das er mietete, noch für die flüchtigsten Aufenthalte so für sich zu rearrangieren, daß das Werk in situ aus dem Leben ent-faltet werden konnte – "wann ich meine Geburten im Sinne habe, sorge ich für eine reiche und vornehme Wiege."172 Ob in Zürich oder Venedig, ob in Paris, Luzern oder Biebrich, kaum war er in einer Stadt angekommen, schon ließ er das Logis von grün nach rot tapezieren, Zwischentüren wurden ausgehebelt, Portièren eingesetzt. Er befahl Betten umzustellen, Fauteuils neu zu beziehen, die Türfluchten aus Isolationsgründen mit Matratzen zu verstopfen und mit Gardinen zu verhängen. Wie in Fragen der Mode, so demontierte und improvisierte er auch hier, setzte neu zusammen, was er sich nur durch vormalige Dekonstruktion zu eigen machen konnte. Sein Ziel waren Zimmer, deren "ganz stattliches theatralisches Aussehen"173 ihm das Innere noch innerlicher machten. Man könnte meinen, er habe nichts als die dämmernde Welt der Bühne als Lebensraum um sich herum ertragen können, eine kontraktierte Wirklichkeit, eine "Theaterdekoration"174 – vielleicht weil er zu einer Welt zu gelangen hoffte, die (seiner Meinung nach) allein durch das Theater verändert werden konnte. Mit "dem Pakete der Noten" läßt er sich denn "auch [seine] Bettwäsche schicken"175, um schließlich zu vermelden: "Mein Arbeitszimmer ist mit der [...] bekannten Pedanterie und eleganten Behaglichkeit hergerichtet". 176 "[D]er Üppigkeitsteufel ist in mich gefahren, und ich habe mir mein Haus so angenehm wie möglich hergerichtet. [...] Du sollst mich ziemlich toll auf dem Zeuge finden."177 Die 167 [Meysenbug, 1927], S. 316 168 TB vom 28. 1. 1878. [Wagner, 1977], S. 243 169 Brief Cosima Wagners vom 23. 2. 1879 an Richard Wagner. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1879], S. 5. Cosima notierte übrigens auch folgendes: "Bei dem Zitat Nacht der Liebe sagt R.: Das ist Wahnfried." TB vom 17. 6. 1874. [Wagner, 1976a], S. 829 170 TB vom 28. 5. 1879. [Wagner, 1977], S. 356 171 Brief Richard Wagners vom 17. 12. 1853 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 348 172 Brief Richard Wagners vom 9. 7. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 221 173 Ebd. 174 Brief Richard Wagners vom 30. 9. 1858 an Eliza Wille. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 159 175 Brief Richard Wagners vom 25. 8. 1858 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 301 176 Brief Richard Wagners vom 8. 5. 1857 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 512 177 Brief Richard Wagners vom 13. 4. 1853 an Franz Liszt. Ebd., S. 290f. 49 Wohnungen, resümierte er einmal, sind das "Gehäuse meines Arbeitsmechanismus[']".178 Abundanz wurde zum Katalysator für ein Werk, das ihn mehr kostete als alle Umbaumaßnahmen. "Ach Gott! [...] Himmel! – für was muß mir das Spielwerk eines angenehmen Hausschmuckes nicht Alles Ersatz leisten"179, mit wahrer Verzweiflung nehme ich immer wieder die Kunst auf: geschieht dies, [...] muß ich mich wieder in die Wellen der künstlerischen Phantasie stürzen, um mich in einer eingebildeten Welt zu befriedigen, so muß wenigstens meiner Phantasie auch geholfen, meine Einbildungskraft muß unterstützt werden. Ich kann dann nicht wie ein Hund leben, ich kann mich nicht auf Stroh betten [...]: meine stark gereizte, feine, ungeheuer begehrliche, aber ungemein zarte und zärtliche Sinnlichkeit muß irgendwie sich geschmeichelt fühlen, wenn meinem Geiste das blutig schwere Werk der Bildung einer unvorhandenen Welt gelingen soll. [...] – ich richtete meine Häuslichkeit neu ein, verschwendete (Gott – Verschwenden!!) an diesem und jenem Bedürfnisse des Luxus [...] Ich frug endlich nicht mehr, ob etwas Geld koste; sondern alles was ich mir nur erdenken konnte, was mir irgendwie einen angenehmen Eindruck, eine wohlige Stimmung bereiten möchte, eignete ich mir zu. 180 Demnach brauchte Wagner den Überfluß nicht, um zu zelebrieren, was er bereits geleistet hatte. Er brauchte ihn, um zu stimulieren, was noch zu leisten war. Er komponierte! Und zwar in zwei verschiedene Richtungen, die am Ende in einem Punkt zusammentrafen. Er übte sich im Gestalten, im Arrangieren, im Formatieren. Bezogen auf eine seiner "intime[n] Etage[n]" berichtete er davon, wie "es Einer anfängt, durch Instrumentierung zu ersetzen, was ihm an Melodie abgeht. Es ist ein wahres Kunststück."181 In abenteuerlicher Verknappung des Gedankengangs ordert er also "[s]echs Meter [Satin...] für die guten Vormittage mit Parsifal"182 und hat tatsächlich, wie Gregor-Dellin nachweist, in den üppigsten seiner Wohnungen auch die meisten Partiturseiten zustande gebracht.183 Bemerkenswert ist es, wenngleich nicht mehr allzu überraschend, daß auch dieser Rückzug wieder kanonisiert wurde. Hatte Wagner bereits seinen Kleidern Eigennamen zugeordnet, so ließ er auch seinen Häusern und Möbeln Bezeichnungen zuteil werden, die auf sehr ähnliche Art und Weise den Alltag transzendieren sollten. 'Das Schiff' nannte er sein Münchener Haus in der Brienner Straße, den 'Gral' ein Nebengelaß des dortigen Klavierzimmers, 'Schwan' seinen Erard-Flügel. Die 'blaue Grotte' war sein Arbeitszimmer in Venedig, der 'Schamane' das Pendant dazu in Bayreuth. In Zürich lebte er zunächst auf dem 'grünen Hügel', und zwar im dortigen 'Asyl', das ursprünglich 'Fafners Ruhe' heißen sollte, schießlich im 'Haus zum Abendstern'. 178 Tagebucheintrag Richard Wagners vom 3. 9. 1858 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 111 179 Brief Richard Wagners vom 18. 5. 1863 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 96 180 Brief Richard Wagners vom 15. 1. 1854 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 356 181 Brief Richard Wagners vom 17. 12. 1864 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 190 182 Brief Richard Wagners vom Okt./ Nov. 1877 an Judith Gautier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936a], S. 148. Guy de Pourtalès zitiert ihn wie folgt: "»All das brauche ich für die schönen mit Parsifal zu verbringenden Morgen.«" [Pourtalès, o. J.], S. 536 183 Nach: [Gregor-Dellin, 1980], S. 372 50 'Fischers Weinberg' war eine Unterkunft in Hamburg, der 'Biberbau' die in Biebrich, 'Stolzing' wurde die kleine Bibliothek in Tribschen genannt. Mit 'Wahnfried', dem Haus "»Zum letzten Glück«"184, postulierte er in sich eine Gegenwelt. Die bloße Existenz des Wahnfriedspruchs belegt, daß es ihm um Distanznahme ging. Um eine Distanznahme freilich, die dem entgegenwirken mußte, was er unter Entfremdung verstand. Er schrieb, glücklich sei nur "derjenige, der eine Stätte [hat], die ihm heilig, ein Nirwana, Nichtwahnland!"185 Den Komfort in seinen Wohnungen begriff er darum als Abdämpfung, wenn nicht sogar als produktive Ausschaltung der Tagesgeschäfte. Es war dies bereits ein Versuch, in jenen Kosmos zurückzusinken, der eher den Gesetzen des Traums nachfolgt als den Gesetzen der wachen Welt. Buchstäblich bemühte er sich darum, all das außen vor zu lassen, was diesem Dämmerungszustand widersprach. Seine Arbeitsräume hielt er in beständigem Halbdunkel, "sechsfache Gardinen"186 sollen die Fenster in seinem letzten Domizil im Palazzo Vendramin verhüllt haben. Im Sommer schloß er "die Vorhänge um arbeiten zu können"187, "genoß den eigentümlichen Zauber der Verwahrung"188 sowie den "Dämmer in der Stube, der bei ihm produktiv sei, das Eindringen des Lichtes von außen sei nicht günstig seiner inneren Welt"189 – berühmt geworden ist das 'Parsifal-Zelt' in Neapel, welches das mediterrane Licht für ihn abdämpfte und in eine künstliche Dämmerung verwandelte – von "seinen Zimmereinrichtungen sagt er: Für ihn gebe es nur das Zelt."190 Warum also die Provokationen, warum der Trotz? Um "sich innerlicher zu machen"191, wie Thomas Mann in seiner Tristan-Novelle (und zwar dort über die Einrichtung der Villa 'Einfried') phantasierte oder, wie Ernest Newman meint, "[to] give him an agreeable sense of temporary seclusion from the world that treated him so roughly."192 <Innenausbau [2]: Wagners Schlafzimmer> Der Periodizität der Verinnerlichung folgend stellt die ultimative Schutzzone in den Bürgerhäusern des 19. Jahrhunderts wohl aber erst der Schlaftrakt dar, und was hier indiskret klingen mag, war dort generell auf Diskretion hin angelegt. Hermetisch riegelte man die Schlafzimmer gegen die Außenwelt ab. Der Ort, an dem ein Bett stand, wurde nicht selten zur Tabuzone erklärt. Jede natürliche Lichtquelle mußte abgedämpft werden. In der Einrichtung liebte und erzeugte man die geräuschlose Stimmung einer Unterwasserwelt, die später zu Recht als Surrogat der Träume interpretiert wurde. Wie gesagt, "sechsfache Gardinen" waren manchmal nötig, damit "das Licht von draußen nahezu gänzlich abgehalten wurde. Selbst der Tag sollte mit seinen 184 TB vom 28. 4. 1874. [Wagner, 1976a], S. 813 185 TB vom 28. 3. 1874. Ebd., S. 805 186 [Perl, 1883], S. 93 187 Brief Richard Wagners vom Feb. 1851 an Theodor Uhlig. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1912], S. 81 188 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 603 189 TB vom 30. 3. 1882. [Wagner, 1977], S. 920 190 TB vom 13. 3. 1880. Ebd., S. 503. Vgl. zum 'Parsifal-Zelt' auch [Glasenapp, 1911], S. 320f. 191 [Mann, 1974d], S. 250 192 [Newman, 1960b], S. 408 51 wechselnden Launen und mit seinen wechselnden Lichtwirkungen die beseeligende Harmonie dieses künstlich geschaffenen Eden's nicht stören!"193 Es ist symptomatisch, was man damals über das Bett des Fürsten Metternich kolportierte, es soll umringt gewesen sein von Nixen aus Perlmutt, goldenen Echsen, Fledermäusen und Eulen mit glühenden Augen, deren eine die Weltkugel in ihren Krallen hielt.194 Der Schlafbereich wurde kategorisch vom übrigen Wohn- und Gesellschaftsbereich abgetrennt. Das war nicht immer so in der Geschichte der Moden, und es ließe sich behaupten, daß dieser Bereich zum Kern einer mehrfach versiegelten Schutzschicht stilisiert werden sollte. Nun scheint es, als habe auch Wagner dies so empfunden. Den Schlaf- und Ruheräumen seiner Wohnungen sei deshalb ebenso Beachtung geschenkt. So nachvollziehbar wie bedauerlich ist es dabei zunächst, daß nicht viel zu diesem Thema überliefert ist, obschon sachliche Berichte hier "von hohem biographisch-historischen [...] Interesse"195 gewesen wären, wie Heinrich Habel bemerkt. Um so dankbarer liest man die Erinnerungen Wendelin Weißheimers, der über einen Überraschungsbesuch in Biebrich folgendes mitteilt, es scheint prototypisch gewesen zu sein: "Endlich öffnete er [Wagner], mit [...] fast verstörten Gesichtszügen. »Ich bin mitten drin«, rief er und lief scheu davon, indem er bis ins Schlafzimmer retirierte, wo er sich solange verbarg, bis er vollkommen ruhig war."196 Aus der Bezeichnung "mein universelles Schlafzimmer"197, die Wagner für seine frühe Pariser Unterkunft geprägt hatte, geht bereits hervor, daß Schlaf und Arbeit für ihn in ein und demselben Raum vonstatten gingen und auch als zusammenhängend empfunden wurden. Mit "zwei Schritten", berichtet er, "war ich aus dem Bett am Arbeitstisch, von welchem ich den Stuhl nun zum Speisetisch herumdrehte und nur vollständig von ihm aufstand, um mich spät wieder zu Bett zu begeben."198 Freilich geschah dies in Paris noch unter dem Zwang einer desolaten finanziellen Lage.199 Aber schon zu diesem Zeitpunkt galt, daß der Rückzug in den Schlafbereich und die damit verbundene "Entfernthaltung von allem [...] künstlerischen wie sozialen Scheinwesen [...] eine ernstere Bewandtnis [hatte]". 200 Die Kunst und die Revolution schrieb er ebenfalls: in einem Schlafzimmer. 201 Im selben Zeitraum heißt es: 193 [Perl, 1883], S. 94 194 Nach: [Catalani, 1968], S. 28 195 [Habel, 1985], S. 530 196 [Weißheimer, 1898], S. 99f. 197 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 204 198 Ebd., S. 201 199 Der Drucker der ersten Privatpublikation von Mein Leben hatte übrigens auf Grund des schwierigen handschriftlichen Manuskripts aus dem 'universellen' fälschlich ein 'miserables' Schlafzimmer gemacht, ein Setzfehler, der erst sehr spät berichtigt werden konnte und der aussagekräftig ist sowohl in bezug auf Wagner als auch in bezug auf die Arbeit seiner Exegeten. Merkwürdigerweise unterläuft sogar GregorDellin, der den Fehler bespricht, an der infragekommenden Stelle ein Lapsus: Bei ihm wird das 'universelle' zum 'universalen' Schlafzimmer. Ebd., S. 777f. 200 Ebd., S. 207 201 Laut [Gregor-Dellin, 1980], S. 288 nämlich "Ende Juli 1849 [...] in einem kleinen Schlafzimmer von [Alexander] Müllers Wohnung im dritten Stock des Hauses Rennweg 55" in Zürich. 52 Um jeden Preis mußte ich hier [in Montmorency] mein Unterkommen suchen; es fand sich ein merkwürdig kleines und schmales Schlafzimmer, welches ich sofort in Beschlag nahm. [...] auf dem Tische breitete ich einige Bücher, Schreibzeug und die Partitur des Lohengrin aus. Fast war ich im Begriffe, bei dieser höchsten Beschränkung behaglich aufzuatmen [...], fühlte ich mich hier doch in der Möglichkeit, vollständig vergessen zu werden [...]. Der alte Kunsttrieb erwachte. [...] eine diogenische Unbesorgheit über das, was mit mir vorgehen sollte, kam über mich. 202 Die 'Beschränkung', von der Wagner spricht, steht nur vordergründig im Widerspruch zu seinen Luxusansprüchen. 'Fast' jede Beschränkung hätte er nämlich in Kauf genommen, um jenen anderen Luxus zu erwerben, der ihm genauso wichtig war wie eine Galerie voller Schlafröcke – den der Ruhe und Abgeschiedenheit. Genaugenommen war das eine nur eine Spielart des anderen, und je mehr Wagner auf den äußeren Luxus bestand, desto deutlicher wird mit den Jahren, wie sehr er des inneren entbehrte. Denn Regeneration war die Grundlage seiner Konzentration (vgl. Abb. 25). "The two dearest things in the world to him are silence and sleep"203, faßt Ernest Newman zusammen. Von daher dürfte das Schlafzimmer schon theoretisch der ideale Arbeitsplatz für Wagner gewesen sein. Daß es – geradewegs als wäre es ein Traum – lediglich durch eine Tapetentür von der Bühne getrennt ist, ja daß das Bett zu einem Logenplatz wird und daß der gellende Ruf: »Das Theater fängt an!« [...] mich aus dem sanften Schlaf, in den ich versunken war [weckte]; Bässe brummen durcheinander – ein Paukenschlag – Trompetenstöße – ein klares A, von der Hoboe ausgehalten[,] 204 das ist jene durch und durch Hoffmanesque Szenerie, die Wagner selbst wie folgt umrissen hat: "[D]urch die Lektüre Hoffmann's zum "tollsten Mystizismus aufgeregt: am Tage, im Halbschlafe hatte ich Visionen, in denen mir Grundton, Terz und Quinte leibhaft erschienen und mir ihre wichtige Bedeutung offenbarten". 205 Mein "allerheiligste[s] Schlafgemach"206 nannte er deshalb den Raum in jener Kuranstalt, in der er Teile des Tristan komponiert hatte. Auch sonst achtete er sehr sorgfältig darauf, daß Arbeits- und Schlafbereich nahe genug beieinander liegen, um jene "produktive Ruhe"207 zu gewährleisten (oder zu erzeugen), die das Komponieren ihm abverlangte. Als "Sanctuarium"208 beschreibt Henriette Perl sein letztes Arbeitszimmer in Venedig. Glaubt man dem Bericht, so wurde dieser Raum sogar von einem enormen Ruhelager, einer "Riesenottomane" beherrscht, einem "wahren Schaustücke toller Pracht", dessen 202 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 453f. 203 [Newman, 1960b], S. 567 204 [Hoffmann, 1908], S. 89 205 Autobiographische Skizze. [Wagner, 1871a], S. 10 206 Brief Richard Wagners vom 26. 5. 1859 an Otto Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 202 207 Brief Richard Wagners vom 1. 1. 1860 an Mathilde Wesendonk. Ebd., S. 278 208 [Perl, 1883], S. 91 53 "kolossale Dimensionen nahezu verblüffend wirkten". 209 Re-animation des Prunkbetts seiner Kindheit! Doch mag die Ausführung hier auch exzeptionell gewesen sein, die Konzeption dahinter war es nicht. Soweit sich überhaupt Zusammenhänge rekonstruieren lassen, scheint das Bett in Wagners Wohnungen öfter ein zentraler Bezugspunkt gewesen zu sein (vgl. Abb. 26). Im 'universellen Schlafzimmer' von Paris war es immerhin der Angelpunkt für Arbeitsstuhl und Schreibtisch. In der Rigaer Wohnung hatte im Arbeitsraum neben dem Bergmannschen Flügel nur noch ein Diwan Platz. Robert von Hornstein erinnert sich, Wagner das allererste Mal in Seelisberg "an einem Pult, wenige Schritte von einer Altane entfernt"210 gesehen zu haben. Glasenapp weiß, daß sich dieser für die Arbeit am Rheingold gleich "mehrere Arbeitsstätten nebeneinander aufgeschlagen"211 hatte: Neben dem Stehpult und dem Schreibtisch benutzte er eine Chaiselongue. In den vorderen Escherhäuser soll das "Mittelzimmer" ein "große[r] breite[r] Divan" beherrscht haben, "auf welchem ihn seine Besucher häufig lesend antrafen".212 Wagner selbst soll später nicht nur seinen Erard mit über die Schweizer Alpen geschafft haben, sondern auch sein Bett. Und Cosima muß am Ende neben dem Sterbesofa, einem Lehnstuhl und einem Papierkorb (samt verworfenen Arbeitsskizzen?) tatsächlich keine anderen Reliquien mit zurück nach Bayreuth genommen haben als noch das oben erwähnte venezianische Ruhelager, das nachweislich nicht identisch war mit dem Ehebett. Von seinem "Dienstbett"213 sprach Wagner einmal, was markant deshalb ist, weil er zum Zeitpunkt dieser Äußerung mitnichten einen Posten besaß, der ihm ein solches beschert hätte. Mehr unbewußt als bewußt, vielleicht halbbewußt, setzte er wohl voraus, daß die Ruhe, die er brauchte und die Arbeit, die er absolvierte, zusammenhingen. In diesem Sinn konnte gerade auch ein Bett der Ort der Inspiration sein. Es erinnert an König Ludwig II.: Catulle Mendès hatte diesem in dem Roman à clé, Le Roi Vierge die nicht unwahrscheinliche Äußerung zugedacht: "Take from me my throne if you like [...] but I will not give up my bed!"214 <Der »Kompositeur der Schlafröcke«> Alles deutet darauf hin, daß Wagners Schwäche für den Luxus, der selbst nichts anderes wollte als sich wieder zu vergeuden, nicht so sehr einer Grille oder gar einem Komplex entsprungen ist, wie Gregor-Dellin dies behauptet hat. Vielmehr entsprang sie der straffen Logik einer Konstitution, die Samt und Seide zuallererst als psychisches und dann erst als physisches Ereignis für sich beanspruchte. Cosima hat es in ihrem Tagebuch festgehalten, daß "die Berührung weicher Seide [...] magnetisch auf ihn wirke"215 209 Ebd., S. 93 210 Zitiert in: [Glasenapp, 1905b], S. 100 211 Ebd., S. 34 212 Ebd., S. 9 213 Brief Richard Wagners vom 12. 10. 1862 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b], S. 303 214 Zitiert in: [Newman, 11960d], S. 57 215 TB vom 11. 11. 1872. [Wagner, 1976a], S. 596 54 – "tastbare[...] Andeutungen verschwenderischer Üppigkeit"216, wie Thomas Mann den Tatbestand umschreibt. Das zeigt, daß Wagner einer Stofflichkeit bedurfte, die ihn in psychosomatischer Hinsicht regenerierte. "[I]ch hab' die unglaublichsten Anlagen zum Beglücktwerden: man braucht mich nur ordentlich zusammenzupacken und ein wenig weich einwickeln". 217 Mit der Zeit wurde seine Ausstattung zu einem Antidoton gegen das "graue[...] Kleid[...] [der] Alltagsmisère"218, zu einem Buenretiro und dadurch zu einer Quelle wenn auch nicht unmittelbar für seine Kunst, so doch für seine Künstlerschaft. Nur "in luxuriösem Behagen kann ein künstlicher Mensch jetzt noch gedeihen"219, gab Wagner zu, wobei das 'Künstliche' das 'Künstlerische' meint. Man wird nicht zu weit gehen, wenn man der Einschätzung Ernest Newmans folgt, ja wenn man diese sogar dezidiert bestätigen möchte: "His imagination dwelt as lovingly on fabrics and shades as ever it did on the harmonies and colours of his orchestra". 220 Auch Daniel Spitzers Kommentar muß bekräftigt werden – Wagner sei "der Kompositeur [der] Schlafröcke"221, heißt es, welcher, wie Kusche ergänzt, alles mit solch "kalligraphische[r] Gewissenhaftigkeit zu Papier gebracht hatte, als handle es sich [...] um Regieanmerkungen des Komponisten in seinen Opernpartituren"222 (vgl. Abb. 27). Wagners Interpretation: Ob ich dann [ohne den vermeintlichen Luxus] aber auch noch so exzentrisches Zeug, wie meine jetzigen Partituren, Dichtungen u. Vorreden schreiben werde, das ist eine andere Frage! Wahrscheinlich werden all diese Sachen dann auch nach baumwollenen Schlafröcken und 200 ersparten Thalern aussehen. 223 Der Kontext des Schlafs erscheint demnach als Fluidum, aus dem Wagners geistige Gespanntheit ungefähr so hervorgetreten ist, wie seine Musik aus dem mystischen Abgrund hervortreten sollte: Es ging nicht um partielle Reflexe, es ging um Metamorphose. Sicher kursieren auch genügend Aussagen, die bereits Wagner selbst der Persiflage unterworfen hatte. Das war womöglich ein Akt der Selbstzensur. "»Nur noch eine Weile«, witzelte er etwa, »will ich liebliche Farben und Muster haben; mit 70 Jahren richte ich mich sibirisch ein«"224, "»wenn ich mit diesem kleinen Opus [dem Ring des Nibelungen] fertig bin, dann gedenke ich wie Falstaff mich mit zwei Hemden zu begnügen.«"225 Doch seine Witze hatten Tiefgang und sind zuweilen schneidender als man denkt: "Wenn mir's nächstens in dieser lumpigen Welt zu toll wird, kleide ich mich in Sack und Asche: dann mache ich aber auch gewiß keine Musik mehr, darauf 216 [Mann, 1974a], S. 413 217 BB vom 26. 10. [1865]. [Wagner, 1988b], S. 94 218 [Perl, 1883], S. 31 219 Brief Richard Wagners vom Nov. 1852 an Theodor Uhlig. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1912], S. 246 220 [Newman, 1960c], S. 438 221 [Spitzer, 1906], S. 27 222 [Kusche, 1967], S. 20 223 Brief Richard Wagners vom 16. 6. 1863 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 107f. 224 [Glasenapp, 1911], S. 154 225 TB vom 14. 9. 1871. [Wagner, 1976a], S. 439 55 könnt' ihr Euch verlassen". 226 "Vielleicht verkaufe ich dann auch meine schönen Hauskleider: Sie können sich melden, wenn Sie etwas davon für Ihr zukünftiges Kuriositätenkabinett haben wollen."227 Daß das Bayreuther Richard-Wagner-Nationalarchiv heute einen seiner Schlafröcke im sogenannten 'Kitsch-Kabinett' untergebracht hat, zeugt also nicht unbedingt von Feingefühl. I.2 Unterstoffe <Insomnie und Neurasthenie als Krankheitsbild> Anekdoten und Legenden sind auch Parabeln für biographische Spannungen und Verwerfungen, und daß der Schwingungsbereich hier oft viel zu weit ausschlägt, mag um so mehr auf einen tieferliegenden Movens verweisen. Kuriosa zu isolieren wäre also falsch, zumindest wäre es ungeschickt in bezug auf unser Thema. Schaut man auf die vermeintlich luxuriösen Eskapaden, die Wagner immer wieder zugeschrieben wurden, so werden diese nämlich geradezu konsolidiert durch die Tatsache, daß Wagner zeitlebens an einer pathologischen Schlaflosigkeit gelitten hat. Seine Fetischismen korrelieren bei genauem Hinsehen mit neurasthenischen Störungen. Die Wagner-Forschung hat diese Leiden oft besprochen, auch hat man die psychologischen Fallgruben ausgelotet, die Wagner daraus entstanden sind. Jedoch ist der Tonfall an vielen Stellen salopp geblieben, vielleicht aus Beklommenheit, vielleicht weil man den Ernst der Lage aus Mangel an Überblick nicht abschließend beurteilen wollte. Doch selbst mit den besten Absichten läßt sich hier wohl nicht alles nachempfinden – möglich, daß man auch spekulativ blieb, weil alles Weitere eine Anmaßung gewesen wäre. Denn bezweifelt werden darf, daß sich überhaupt in Worte fassen läßt, welche Nöte einem Menschen zuwachsen, der den regelmäßigen Moment des Ausgleichs nicht kennt. Erschwerend für Wagner kam hinzu, daß er als Bühnenkünstler die widernatürliche Nacht des Theateralltags zu verkraften hatte – das Halbdunkel mußte zur Doppelbelastung und damit zum Berufsrisiko werden. Medizinisch ist es längst bewiesen, daß aus solch einem 'Overtraining' ähnlich wie bei Sängern, die zu viel singen, kein gesundes Schlafverhalten, sondern das Gegenteil resultiert: erhöhte Nervosität, weitere Schlafstörungen, ungesunde Übermüdung. Ist Schiller einmal von Goethe 'der Heilige aller am schlaflosen Zustande leidenden Menschenkinder' genannt worden, so ließe sich behaupten, Wagner komme in derselben Sache im mindesten dieselbe Stufe innerhalb der symbolischen Ordnung zu. Geradewegs rätselhaft, was hier von Kindheit an gelitten, wieviel Lebenskraft verbraucht und restlos aufgezehrt wurde von jenen "nächtliche[n] Kalamität[en]"228, die selbst durch einen entschlossenen Eu226 Brief Richard Wagners vom 19. 5. 1855 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 195 227 Brief Richard Wagners vom 9. 7. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 221 228 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 19 56 phemismus ihre Schrecken nicht verloren. Die "Schöpfungslast nun liegt auf Schultern, die keineswegs die eines Christophorus sind", schrieb Thomas Mann, "[k]onstipiert, melancholisch, schlaflos, allgemein gepeinigt, ist dieser Mensch mit dreißig Jahren in einem Zustande, daß er sich oft niedersetzt, um eine Viertelstunde lang zu weinen."229 Drei bis vier Stunden Schlaf in der Nacht, das ist das Maximum dessen, was man für Wagner als tägliche Erholungsration annehmen muß. Kaum eine Nacht zumindest von denen, über die Berichte vorliegen, ist ungestört geblieben. Regelmäßig kehrten allein die Unterbrechungen wieder. Seine Schlafphasen wurden durch psychische Vagabondage oder durch physische Beschwerden oder durch beides gemeinsam blockiert, durch drei-, vier-, fünfmaliges Aufstehen zerteilt. Die Vielzahl der Medikamente führte statt zu einer Beruhigung nur zu immer neuen Erregungen230 – er wolle einmal "froh sein, wenn die Mühe zu Müdigkeit wird."231 Eine "von 1 Uhr bis 8 Uhr des Morgens durchschlafene Nacht" bezeichnete er als "ein ideales Glück"232, es muß unerreichbar gewesen sein – "»Avant de mourir möchte ich ein Mal gut schlafen.«"233 Wenn "man käme, ihm zu gratulieren zu seiner Energie [...], möchte er aus der Haut fahren"234, hält Cosima einen der Verzweiflungsrufe fest, und auch sonst ist sie wahrscheinlich die einzige gewesen (neben Minna), die Wagners allnächtlichen Drangsale, die sein unausgesetztes Bangen um Nervenruhe, ja die ein Leben, das immer an der Schwelle zur Unbehaustheit verlief, je richtig in all seiner traurigen Dramatik nachvollziehen konnte.235 "Jede gute Nacht", sagt sie einmal, "ist die Besiegelung eines seligen Tages"236 – "dass Du gut geschlafen, darauf will ich schliessen, denn das ist Glück, wahres schönes goldnes Glück!"237 Bereits damit wird deutlich, wie stark der Tag aus Sicht der Nacht beurteilt wurde und wie sehr Wagners Lebensrhythmus im eigentlichen auf die Ruhephasen fixiert war. In "bitteren Tränen der Sorge um seine Gesundheit" flehte Cosima manchesmal "zu Gott, ihm eine gute Nacht [...] zu gewähren", konnte sich erst entspannen, sobald vernehmlich wurde, "daß R. schlief". 238 "[I]n der Tat wie ein 229 [Mann, 1974a], S. 387 230 Das wird nachvollziehbar, sobald man etwa folgende Notiz kennt: "[...] nachts eingenommen/ Brause- pulver/ Bullrich-Salz/ Valeriana 1/ Valeriana 2/ Karlsbader Salz/ Rizinus Öl/ Rotwein/ Opium." TB vom 24. 3. 1878. [Wagner, 1977], S. 68. Die Auflistung ließe sich sogar beliebig verlängern um Baldriana, Bismut, Brom, Chinin, Chloral, Cognac, Hoffmann's Tropfen, Laudanum, Magnesia, Metall, Pektin, Vichywasser etc., um lauter Arzneien, die neben Schwefel-, Luft-, Brunnen- oder Bäderkuren mit den Jahren ebenfalls Wagners Schlaf und Gesamtbefinden verbessern helfen sollten und oft nur das Gegenteil bewirkten. 231 TB vom 22. 12. 1880. [Wagner, 1977], S. 644 232 Brief Richard Wagners vom 8. 2. 1861 an Otto Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 354 233 TB vom 13. 3. 1880. [Wagner, 1977], S. 503 234 TB vom 2. 10. 1875. [Wagner, 1976a], S. 939 235 Es mag ein Zufall sein, beklemmend aber wirkt es in jedem Fall, daß sowohl Minna als auch Cosima, also beide Ehefrauen Wagners, ebenfalls an ausgeprägten Formen der Schlaflosigkeit gelitten haben sollen. Wagner nannte Cosima zeitweise "den Napoleon der Schläfer", eine Aussage, die vermuten läßt, daß auch hier eine Form von Neurasthenie vorgelegen hat. TB vom 6. 1. 1881. [Wagner, 1977], S. 659 236 TB vom 9. 2. 1878. [Wagner, 1977], S. 44 237 Brief Cosima Wagners vom 23. 2. 1879 an Richard Wagner. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1879], S. 5 238 TB vom 23. 4. 1873. [Wagner, 1976a], S. 673 57 Wunder"239, "ein Triumph über das Leben dünkt es mich, daß R. eine gute Nacht hatte!"240 Das mag in sich überspannt klingen, doch die gesunde Ermüdung ist Wagner im Leben geradezu "dämonisch feindselig geworden"241, wie er selbst einmal formulierte. Fast ohne Ausnahme mündete sie in jene Insomnie, die reziprok die pathologische Ermüdung provozierte. Die Überreizungen, die sich daraus auch im Alltag Wagners ergaben, lassen sich aus einem Bericht ablesen, den Weißheimer im Jahr 1868 an seine Frau schickte: Als ich Bülow auf dessen Wunsch endlich meine Oper allein (ohne Wagner) vorspielen wollte, kam gleich das Zimmermädchen mit dem Auftrag herein, wir möchten doch aufhören zu musizieren, der Meister wolle schlafen! Es war vormittags 11 Uhr! Bülow schlug den Flügel zu und sprang erregt auf mit den Worten: »Es ist mir eine hohe Ehre, mit dem großen Meister zusammen zu wohnen - es ist aber oft nicht zum Aushalten!!«242 Die Tagebücher Cosimas quellen deshalb über von Eintragungen, die diese nervöse Atmosphäre einfangen. Wenn Peter Wapnewski feststellt, daß die "Wiederholungsfigur [...] das Grundmotiv der Notate"243 ist, so gilt das in besonderem Maße auch für die Formel 'R. hat nicht geschlafen'. Im Zeitraum von 1869 bis 1883 taucht sie an nahezu jedem einzelnen Tag auf, oft nur gering variiert. Nicht allein die Tagebücher werden dadurch einem ganz eigenen Rhythmus unterworfen. Das Leben Wagners selbst scheint durch eben jenen Tatbestand, den diese Formel bezeichnet, rhythmisiert worden zu sein. 'Rhythmus' freilich bedeutete hier nichts anderes als Gegentakt zum üblichen Tag-Nacht-Wechsel. In endlosen Variationen heißt es: "R. [hat] eine schlimme Nacht gehabt und ist sehr leidend"244 – "R. hatte auch kein Auge zugemacht"245 – "R. hatte eine üble Nacht"246 – "er hatte eine böse Nacht"247 – "R. schläft nicht einen Augenblick des Nachts; es gibt manche Zeiten, die kaum zu überstehen möglich scheinen!"248 – "R. hatte wiederum eine üble Nacht!"249 – "R. immer schlaflos"250 – "R. sehr müde"251 – "R. beinahe die ganze Nacht auf!"252 – "R. hatte ein schlimme Nacht mit schrecklichen Träumen"253 – "Wiederum keine gute Nacht; R. wanderte um- 239 TB vom 18. 11. 1879. [Wagner, 1977], S. 445 240 TB vom 21. 1. 1879. Ebd., S. 294 241 Brief Richard Wagners vom 7. 1. 1864 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 136 242 [Weißheimer, 1898], S. 392f. 243 [Wapnewski, 1983], S. 125 244 TB vom 15. 3. 1869. [Wagner, 1976a], S. 72 245 TB vom 10. 5. 1870. Ebd., S. 229 246 TB vom 29. 6. 1871. 247 TB vom 24. 2. 1872. 248 TB vom 18. 2. 1873. 249 TB vom 28. 3. 1874. 250 TB vom 24. 1. 1875. Ebd., S. 406 Ebd., S. 493 Ebd., S. 640 Ebd., S. 805 Ebd., S. 890 251 TB vom 30. 7. 1876. Ebd., S. 993 252 TB vom 17. 11. 1877. Ebd., S. 1086 253 TB vom 14. 3. 1878. [Wagner, 1977], S. 58 58 her"254 – "Sehr unruhig war die Nacht, vieles Phantasieren, am Morgen große Ermattung"255 – "Die Nacht war recht übel, und so gut wie gar kein Schlaf wollte sich einfinden!"256 – "R. ruht aus, fühlt sich aber schwer"257 – "Und beinahe die ganze Nacht über spricht er und ist unruhig"258, und all das ist nur eine Eindampfung dessen, was in Cosimas Tagebüchern insgesamt zu diesem Thema zu finden ist. Wir haben bloß eine Notiz pro Jahr angegeben. Selbstverständlich gibt es dagegen auch Meldungen wie: "Der Beginn der Nacht war unruhig, nachher aber wurde es gut"259 – "R. hatte eine bessere Nacht"260 – "R. aber hat gut geschlafen"261, gar: "R. meldet mir, daß wir 11 Stunden lang geschlafen!"262 oder "R. hat sehr gut geschlafen und ist sehr heiter"263, und auch dafür gibt es genügend Belege. Doch diese Erbauungsbotschaften scheinen den Gesetzen der Wagnerschen Schlaflosigkeit nicht zu widersprechen, im Gegenteil. Meist zeigen sie nur an, daß ein völliger Erschöpfungsschlaf sich sein natürliches Recht verschafft hat. Cosimas Tonfall verrät, daß es nie einen Grund zur Euphorie gab. Was sie schrieb, war immer Diagnostik. "R. hat Gott sei Dank erträglich geschlafen"264, in Ausrufen wie diesen schwingt mit, daß das Gegenteil jederzeit seinen Tribut fordern konnte. Die Regel bestätigte sich auch hier durch die Ausnahmen. <Das pathogene Werk> Die lakonische Äußerung "R. schlief gut, nur ist er müde"265 mag zeigen, daß Wagner an einer Art Grundmüdigkeit litt, der auch durch Schlaf nicht beizukommen war. Es war eine Müdigkeit, "welche der Verzweiflung gleicht".266 Eine Müdigkeit, die (fast) nicht zu heilen war und die in die Erkenntnis hineingespielt haben dürfte, daß "das Weh und das Wache verwandt sind". 267 Ein sehr ernster Ton zieht folglich in Wagners Biographie hinein. Denn das Phänomen der Schlaflosigkeit läßt sich für ihn nicht klären, solange man es nur mit alltäglichen Diät- oder Lektürefehlern, mit Wetterfühligkeit, Kongestionen, falschem Medizinieren und/ oder mit jenen schlechten Unterkünften und Ungezieferplagen zu interpretieren sucht, die ihn auf Reisen am meisten irritiert haben sollen. Gewiß sind all das Störungen, unter denen er auch ein Leben lang gelitten hat. Aber sie sind mehr Anlaß denn Ursache. Ein ungeschicktes Orchester hingegen, die Bosheit der Presse, der anhaltend zermürbende Verkehr mit Musikverle254 TB vom 18. 3. 1879. Ebd., S. 317 255 TB vom 9. 2. 1880. Ebd., S. 489 256 TB vom 27. 2. 1881. Ebd., S. 701 257 TB vom 5. 2. 1882. Ebd., S. 885 258 TB vom 22. 1. 1883. Ebd., S. 1097 259 TB vom 20. 3. 1879. Ebd., S. 317 260 TB vom 21. 2. 1878. Ebd., S. 48 261 TB vom 6. 7. 1871. [Wagner, 1976a], S. 410 262 TB vom 9. 2. 1883. [Wagner, 1977], S. 1109 263 TB vom 12. 5. 1881. Ebd., S. 737 264 TB vom 15. 1. 1873. [Wagner, 1976a], S. 628 265 TB vom 2. 3. 1878. [Wagner, 1977], S. 42 266 TB vom 28. 8. 1881. Ebd., S. 786 267 TB vom 9. 7. 1869. [Wagner, 1976a], S. 125 59 gern, Klavierauszüglern, Unterhändlern des Königs, mit Bewunderern, Dilettanten, Nachbetern und halbherzigen Künstlern zwangen ihn in eine Ermattung hinein, die ungleich folgenschwerer war. Es ging um eine Form von Abspannung, durch die die Symptome zur Krankheit umschlugen. Schwierig ist nicht zu ermitteln, daß die Schlaflosigkeit ihm hier aus einer Erregung erwuchs, die sich aus seiner eigenen Arbeit ableitete. Eine "Erholungsfrist für meine immer noch durch geschäftliche Besorgungen übermüdeten Nerven"268 gab es nicht. Wagners Anamnese hat Wesentliches mit Wagners Werk zu tun. "Ich kann fast mit meiner Kundry im ersten Akte sagen: ich bin müde."269 In einer "schlaflosen Nacht hat R.", wie bezeichend, "an seinen Beruf gedacht"270, heißt es in Cosimas Aufzeichnungen. Daraus läßt sich ablesen, daß schon von vornherein die Anforderungen, die Wagner an seine Arbeit und die die Arbeit an ihn stellte, zu riesenhaft für seine Konstitution gewesen sein müssen. "»Jede Arbeit«", beklagte er sich über die Tätigkeit des Musikers, »die nicht mit der Vernunft zusammenhängt, ist Scherz dagegen; hier kann nichts erzwungen werden, ebenso wenig als man durch den Willen einen Traum wieder anspinnen kann, man muß warten, bis es einen förmlich anfliegt.«271 Ein Künstlerproblem also, ein Problem der Inspiration. Man könnte sagen, Wagner war genau dem ausgeliefert, dem er sich auch ausliefern wollte. Von der Kunst ließ er sich für die Kunst hinhalten und fand, während das Werk anwuchs, selber keinen Halt, um sich im Leben festen Boden unter den Füßen zu verschaffen. So gab es womöglich keinen einzigen Tag, den er nicht übernächtigt verbracht hat. Doch dem Schlaf konnte er sich darum erst recht nicht überlassen. Jeder Moment konnte ein gewinnbringender Moment sein bezogen auf die Arbeit, und so belauschte er sich selbst so lange, bis zwangsläufig die widernatürliche Schlaflosigkeit auf ihn übergriff. Noch schlimmer wurde es, sobald die einmal begonnene Arbeit am Werk zu stocken drohte, sobald sie verunglückte, erlahmte, stagnierte, weil die innere Zirkulation durch äußere Einflüsse gestört wurde. Das bedeutete nicht nur, daß der Inspirationsfluß unterbrochen war, nicht nur, daß man bald an genau jener magnetischen Stelle wieder von vorne würde beginnen müssen, von der man sich soeben unter Schmerzen abgestoßen hatte. Es bedeutete auch, daß alle verbliebenen Kräfte zerstreut und aufgebraucht wurden von Belangen, die dem inneren Leben diametral entgegenstanden – Nöte des Alltags waren das, Nöte, die Routine des Lebens überhaupt zu bewältigen. Alle diese Störungen haben denn auch Perioden der Schlaflosigkeit zur Folge gehabt. Wagners Restressourcen drohten sich von selbst zu verschleißen. "Es kostet mich unglaubliche Mühe, meine Fassungskraft wieder einem künstlerischen Interesse zuzuwenden; so müde und ausver268 Brief Richard Wagners vom 6. 9. 1876 an Lorenz von Düfflipp. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1970], S. 827 269 [Glasenapp, 1911], S. 642 270 TB vom 15. 11. 1871. [Wagner, 1976a], S. 459 271 TB vom 4. 6. 1870. Ebd., S. 240 60 braucht bin ich von gemeinsten Lebensmühen"272, sagt er. "Meine Nächte sind meist schlaflos – müd und elend steig' ich aus dem Bett, um einen Tag vor mir zu sehen, der mir nicht eine Freude bringen soll!"273 An Angelo Neumann schrieb er: In dieser Absicht habe ich zunächst mein Ausbleiben [zu den Ring-Proben] [...] zu entschuldigen: diese Entschuldigung besteht einfach in der Hinweisung auf meine große Ermüdung und auf die Scheu davor, von neuem mich in die Aufregung der szenischen wie musikalischen Regie zu begeben.274 An Karl Klindworth über denselben Gegenstand: "Die letzten Arbeiten haben mich sehr ermüdet". 275 Nietzsche faßt vieles zusammen mit folgender Notiz: "Wie ein Wanderer durch die Nacht geht, mit schwerer Bürde und auf das Tiefste ermüdet und doch übernächtig erregt, so mag es ihm oft zu Muthe gewesen sein". 276 Nicht schlafen und nicht arbeiten zu können, das läßt sich bei Wagner nicht nur sukzessiv aufeinander beziehen, man muß hier viel mehr noch von synonymen Erscheinungen ausgehen. Cosimas Tagebücher beweisen es – nur zu oft stenographiert sie: "R. hatte eine üble Nacht; kann nicht arbeiten."277 Doch selbst diese Situation war offenbar noch negativ steigerungsfähig. Denn katastrophisch wurde Wagners Zustand erst, sobald sich die akute und zwangshaft physiologische Verbindung von Leben und Arbeit zu jenem Teufelskreis zusammenzog, durch den sich nicht nur die Unfähigkeit zu arbeiten aus der Unfähigkeit zu ruhen, sondern umgekehrt die Unfähigkeit zu ruhen auch aus der Unfähigkeit zu arbeiten entwickelte. Das Problem wie um die eigene Achse zerrend, heißt es in dem großen Bericht an König Ludwig II. aus dem Jahr 1874: In [...] oft übermenschlichen Anstrengungen, denen ich mich für meinen Beruf oft aussetze, liegt wohl auch der Grund beständiger, mich quälender Leiden, die mir leider den Schlaf sehr häufig rauben, und gegen welche ich eigentlich immer in einer Kur begriffen bin. 278 Ähnliches und dies ähnlich offiziös findet man auch in anderen Jahren, an andere Adressaten: "Meine Anstrengungen sind so groß, und die Ab- und Umwege so ermüdend"279, schrieb Wagner etwa an Hans von Bülow oder: "Was werde ich sollen, was werde ich können? [...] Ich bin zu müde!"280 an August Röckel. Der etymologische Zusammenhalt von 'müde sein' und 'sich mühen' scheint sich geradezu schulbuchreif an ihm bestätigt zu haben. Das Werk, das so sein sollte, wie kein anderes Werk zuvor, 272 Brief Richard Wagners 273 Brief Richard Wagners 274 Brief Richard Wagners 275 Brief Richard Wagners vom 14. 7. 1861 an Peter Cornelius. Zitiert in: [Glasenapp, 1905b], S. 332 vom 30. 3. 1853 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 282f. vom 23. 9. 1873 an Angelo Neumann. Zitiert in: [Neumann, 1907], S. 85 [aus dem Jahr 1873] an Karl Klindworth [undatiert]. [<Wagner, Richard – Briefe>, 1908c], S. 38 276 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 441 277 TB vom 21. 9. 1873. [Wagner, 1976a], S. 730 278 Brief Richard Wagners vom 1. 10. 1874 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936d], S. 46f. 279 Brief Richard Wagners vom 6. 3. 1863 an Hans von Bülow. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1916], S. 196 280 Brief Richard Wagners vom 7. 3. 1865 an August Röckel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1894], S. 83 61 erzeugte ihm auch singuläre Qualen. Schließlich sei er des "Lebens herzlich müde"281 gewesen, bekannte er, und diese Depression, sie entbehrte nun tatsächlich jeder Theatralität. Wo es heißt: "Die Mühe, die mir alles Arbeiten macht, ist grenzenlos, und mein Zustand nahezu unerträglich; ich bin immer wie übernächtig, schwer, träge und wüst"282, da dürfte Wagner die Talsohle im Leben wie im Werkentstehungsprozeß erreicht haben. "Nervenaufregung und Schlaflosigkeit [ruinieren mich] und [können mich] für immer zur Ausübung meiner Kunst unfähig machen". 283 Daß die Mischung aus Überreizung und Übermüdung datierbare Entsprechungen im äußeren Leben Wagners besaß, ist methodisch eine Pointe dieser Biographie. Schaut man sich Wagners Lebenslinie an, so wird man feststellen können, daß sie keinen 'Richt- oder Mittelwert', keine Orientierung kannte und daß es statt dessen zu allen Zeiten extreme Ausschläge gegeben hat. Insomnie und pathologische Müdigkeit lassen sich hierbei als Amplituden lesen, die mit ungewöhnlicher Präzision jenen Momenten in Wagners Leben entsprechen, in denen die Arbeit am Werk stockte, stagnierte, bleischwer auf ihm lastete. Immer in oder kurz vor einer Krisis schwillt Wagners Unfähigkeit zu ruhen schubhaft an. Der Schlaf, der per se Medizin, Kühlung und Katharsis bedeutet, flieht ihn. Die Tage und Wochen konzentrierter Schlaflosigkeit wirken dann wie breitangelegte Zäsuren, dekompositorische Pausen, negative Auszeiten. Bereits 1833 – da war Wagner gerade einmal 20 Jahre alt, soeben mit seinen Feen beschäftigt und schon entkräftet von einem Chorleiterposten in Würzburg – hieß es: "Ich bin jetzt immer in einem so aufgeregten Zustande, - - diese Nacht habe ich wieder nicht geschlafen; – ach, was sage ich denn, - - die Ruhe der Nächte habe ich jetzt schon lange aufgeben müssen". 284 Fiebrig und unnatürlich unruhig war er auch zur Zeit seiner Verlobung mit Minna 1836. In der Nacht unmittelbar vor seiner Hochzeit verweigerte er das aufgeputzte Brautbett zugunsten eines harten Kanapees, auf dem er statt zu schlafen dem "unendlich verhängnisvolle[n] Lebensverhältnis"285 entgegenfror. Von aufreizender Schlaflosigkeit wurde er bei jedem einzelnen seiner schicksalhaften Paris-Aufenthalte eingeholt, die Tannhäuser-Proben 1845 in Dresden bedeuteten für ihn physiologisch höchste Not, ebenso die von ihm verabscheuten Gastdirigate in England, Belgien oder Frankreich. Fast zwingend wurde die allererste öffentliche Lesung seines Nibelungen-Dramas 1848 (damals noch unter dem Titel Siegfrieds Tod) umrahmt von schlaflosen Nächten. Was der Geburt des (zu) lang hinausgezögerten musikalischen Rheingold-Entwurfs in La Spezia 1853 voranging, darf man getrost eine Attacke von Schlaflosigkeit und Übelbefinden nennen. Weitere Zäsuren: die einschneidend schwierige Nacht im Zürcher 'Asyl' unmittelbar nach dem Zerwürfnis mit Minna und vor der Trennung von Mathilde Wesendonk 1858, die brenzlige 281 Brief Richard Wagners vom 1. 11. 1859 an Hans von Bülow. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1916], S. 134 282 Brief Richard Wagners vom 25. 5. 1855 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 198 283 Brief Richard Wagners vom 15. 12. 1858 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b], S. 18 284 Brief Richard Wagners vom 11. 12. 1833 an Rosalie Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1907b], S. 9 285 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 104 62 Übermüdung, die dem Tode des Lieblingstenors Schnorr von Carolsfeld 1865 auf den Fuß folgte, die aufzehrenden Nächte im selben Jahr, da König Ludwig ihn aus München und seiner Schutzhoheit entlassen mußte, schließlich die atemlose Ermattung, die die erste, ungewisse Visite nach Bayreuth begleitete 1871, es war, "als hätte der Geist von Bayreuth zugeschlagen in jener ersten Nacht, [...] eine wütende Reaktion des Organismus [...], durch den das Schicksal mit Fieberfrost dem Unwissenden seine Bedenken signalisierte."286 Angstmomente, Schreckensbilder des Lebens, Inkubationsstörungen wurden bei Wagner von Zyklen der Schlaflosigkeit flankiert. Die Nacht wurde als "des Menschen Feind"287 wahrgenommen, eine bemerkenswerte Äußerung aus dem Munde des Mannes, der die Tristansche 'Nacht der Liebe' als höchstes Glück auskomponiert hat. Das Wagnersche Werk aber setzte offenkundig die Überlastung seines Schöpfers voraus. Es absorbierte all dessen Lebensimpulse, zwang ihn immer wieder in die schwächstmögliche Position hinein und hielt ihn so gefangen in einer paradoxen Situation: Manövrierunfähigkeit wurde zum Auslöser für seine Rastlosigkeit. <Similia similibus curentur> Doch eine Rettung mußte es geben. Mehr noch, Wagner suchte auch hier nach Erlösung. Wie im Werk sollte auch im Leben das Unmögliche möglich werden. Wollte er das Werk tatsächlich gewinnen, so blieb ihm im Leben nichts anderes übrig, als durch Schlaf wiedereinzuholen, was ihm durch Schlaflosigkeit latent verloren ging. Also hob er an, den Schlaf herbeizuzwingen – es ist der Beginn seiner ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen. "Ich glaube nicht mehr und kenne nur noch eine Hoffnung: einen Schlaf, einen Schlaf, so tief, so tief, daß alles Gefühl der Lebenspein aufhört"288, schrieb er etwa an Liszt zu einer Zeit, als er die ersten Pläne zur Ausführung seiner Nibelungen schmiedete. "Ein voller, tiefer Schlaf [...] ist mein einziges Heilmittel!"289 heißt es an anderer Stelle oder: Er "habe sich immer so einen Siebenschläfer-Schlaf gewünscht".290 "Ich wollte, es gäbe eine Schlafkur: ich meine, so ein vierwöchentlicher tiefer Schlaf müßte mich, da meine Organe vollständig gesund sind, wie neu erschaffen"291, gestand er Mathilde Maier. Er erhoffte sich eine Metamorphose – Vorwegnahme des Walkürenschlafs – er wollte mehr von dem, was er zu wenig besaß! Da schimmert bereits durch, daß es ihm nie allein um seine physische Konstitution gegangen war, so hypochondrisch war er nicht. Seine Sehnsucht nach dem Schlaf griff die Sehnsucht nach dem Werk und auch die Sehnsucht nach den Möglichkeiten, dieses den Lebensumständen abzutrotzen, immer mit ein: 286 [Wapnewski, 1983], S. 123 287 Brief Richard Wagners vom 26. 11. 1861 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b], S. 231 288 Brief Richard Wagners vom 15. 1. 1854 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 358f. 289 Brief Richard Wagners vom 31. 7. 1860 an Cäcilie Avenarius. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1907b], S. 235 290 TB vom 6. 12. 1879. [Wagner, 1977], S. 458 291 Brief Richard Wagners vom 7. 8. 1864 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 174 63 Es hat mit diesem meinem Leben eine höchst sonderbare Bewandniß. Wer es genau durchgeht, muß finden, daß in ihm nur ein Bedürfnis, ein Trachten sich ausspricht, nämlich: Ruhe und Ungestörtheit zu finden, allerdings mit einigem Behagen ausgestattet, wie es dem künstlerischen Schaffen nöthig ist. Dagegen stellt sich nun der äußere Verlauf meines Lebens so dar, daß der auf Abenteuer allerversessenste Sonderling es sich nicht unruhiger und wechselvoller hätte gestalten können. Die Gründe dieser widerspruchsvollen Erscheinung stellen sich dem Aufmerksamen bald deutlich heraus: sie sind idealer und realer Art. 292 Halb utopistisch und halb realistisch also versuchte er den Zustand seiner schlaflosen Nächte zu bezwingen, nur um die Kräfte freizusetzen, durch die das Werk entstehen sollte. "[I]ch [...] sehne mich sehr nach häuslicher Ruhe und Arbeitsmöglichkeit, was bei mir immer gleichbedeutend ist"293, "ich will nichts von der Welt, als daß sie mir Ruhe zu den Arbeiten lässt, die einst ihr gehören sollen."294 Und so rastete er nicht, diese sublime Ruhe für sich und sein Werk zu finden, arbeitete sich aus dem Tunnel der Schlaflosigkeit frei, um sich künstlich in die Ruhe hineinzuquälen, bekannte, ein "Fanatiker der Ruhe" zu sein, "nichts weiter"295, verzweifelte am Widersinn des Ganzen und mußte dennoch weitermachen wie zuvor. "Ruhe, Ruhe!"296, das wird zu einer Beschwörungsformel, einen anderen Ausweg gab es für ihn nicht mehr, Autosuggestion war seine letzte Chance, "Ruhe! Ruhe! – Eine andre Welt wird uns erstehen!"297, "Ruhe will ich, nichts als Ruhe! [...] Einzig und allein – Ruhe und – Arbeiten!"298 "Ruhe muss und will ich haben!"299 Die Arbeit an dieser "arbeitsvolle[n] Weltentsagung"300 wiederum war so kräftezehrend, daß sogar König Ludwig II., der Erholung selber bitter nötig hatte, ihm beisprang. "O Ruhe, du Gott!"301, das schrieb er nicht nur einmal. Aus Wagner wurde Wotan, eine neue Verbindung war hergestellt zu jenem Werk, für das dies alles geschah. Daß es hier nicht um eine beschauliche Ruhe, nicht um Freizeit, Müßiggang oder Zerstreuung ging, sondern um einen aus dem Zustand der Ruhe evolvierenden, elaborierten Lebensstandard, sogar um ein Erkenntnisniveau, das hatte Wagner von Anfang an klargestellt: 292 Brief Richard Wagners 293 Brief Richard Wagners 294 Brief Richard Wagners 295 Brief Richard Wagners vom 12. 1. 1870 an Anton Pusinelli. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1909], S. 507 vom 5. 10. 1859 an Otto Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 248 vom 20. 8. 1858 an Klara Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1904], S. XXIX vom 22. 6. 1867 an Malwida von Meysenbug. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1896], S. 567 296 Brief Richard Wagners vom 2. 2. 1850 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 58 297 Tagebucheintrag Richard Wagners vom 1. 10. 1858 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 126 298 Brief Richard Wagners vom 28. 12. 1861 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b], S. 243 299 BB vom 28. 10. [1865]. [Wagner, 1988b], S. 94 300 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 204 301 Brief Ludwigs II. vom 22. 1. 1866 an Cosima von Bülow. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1996], S. 128 64 [S]o renne und jage ich Thor aber, um mir Ruhe zu verschaffen, d. h. jene complicirte Ruhe eines ungestörten, genügend behaglichen Lebens, um – nur arbeiten, nur Künstler sein zu können. 302 Nicht eine friedliche, genügsame, naive Ruhe, sondern eine Ruhe höherer Ordnung, eine 'complicirte Ruhe' eben war es, die erst das friedliche, genügsame und naive Künstlerleben generieren und in Folge ein Werk auf den Plan rufen konnte, dessen höchster Sinn darin bestand, spekulative Widersprüche kommensurabel zu machen. Wohl klingt das kompliziert in sich, aber das war es auch. Die Reflexion darüber, wie zu reflektieren sei, jene Grundmetapher, die später Wotans Größe gerade im Scheitern beweisen sollte, ist Wagners eigentliches Thema, im Werk wie im Leben. Nur durch die 'complicirte Ruhe' und durch den Sog dialektischer Beziehungen ließ sich jener Gegenrhythmus, dem Wagner selbst tagtäglich unterworfen war, zu einem gangbaren Taktmaß strecken. Es war ein bewußtes Spiel mit dem Unbewußten. Und plötzlich verfiel [ich] in einen schönen Schlummer, anmutige Träume lagerten sich um mich her; da ließ sich Goethes Gesang vernehmen: »Schwindet ihr dunkeln Wölbungen droben usw.« Ich sah jene Wiesen, jene Auen, ich trank aus jenen Quellen, ich atmete jene Düfte; mein Auge drang in den klaresten Äther [...]. Mir ward wohl und heiter [...] als ich erwachte 303, und aus der 'complicirten' ist die "schaffende Ruhe"304 geworden – eine "»glückliche Kur«".305 "[P]roduktive Ruhe"306 nannte Wagner dieses Phänomen an anderer Stelle, und bezeichnenderweise setzte er es der "plastischen Ruhe"307 entgegen – Bewegung brauchte er statt Statik, Fliehkräfte statt Bindemittel, Musik statt Bilder: Es muß da einen unbeschreibbaren inneren Sinn geben, der ganz hell und tätig nur ist, wenn die nach außen gewendeten Sinne etwa nur träumen. Wenn ich eigentlich nicht mehr deutlich sehe, noch auch höre, ist dieser Sinn am tätigsten, und er zeigt sich in seiner Funktion als produktive Ruhe: ich kann's nicht anders nennen. Ob diese Ruhe mit der von Ihnen gemeinten plastischen Ruhe übereinstimmt, weiß ich nicht; nur weiß ich, daß jene Ruhe von innen nach außen dringt, daß ich mit ihr im Centrum der Welt bin, während die sogenannte plastische Ruhe mir mehr nur wie von außen bewirkte, formell tätige Beschwichtigung der inneren Unruhe erscheint.308 Was heißt das? Nichts Geringeres, als daß Wagners Intuition auf einen traumgleichen Zustand angewiesen, ja daß die Intuition bei ihm sogar mit diesem gleichbedeutend 302 Brief Richard Wagners vom 23. 8. 1856 an August Röckel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1894], S. 69 303 Zitiert in: [Glasenapp, 1905a], S. 504 304 TB vom 7. 4. 1881. [Wagner, 1977], S. 723 305 Zitiert in: [Glasenapp, 1905a], S. 504. Über dasselbe Goethe-Gedicht sagte Wagner übrigens auch einmal, daß es "förmlich den Zustand schildert beim Einschlafen"! TB vom 2. 4. 1875. [Wagner, 1976a], S. 907 306 Brief Richard Wagners vom 1. 1. 1860 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 278 307 Ebd. 308 Ebd. 65 war. Schlaflos wie er war, mußte dieser Mann schläfrig werden. Gerade was ihm mangelte, half den Mangel zu beseitigen. Die Ruhe, die Wagner im äußeren Leben nicht finden konnte, stilisierte er deshalb zur ersten, inneren Antriebskraft. Gewissermaßen handelte er nach dem Ähnlichkeitsgesetz – gefrorene Glieder bedeckte er mit Schnee – seine neurasthenische Disposition verwandelte er in Inspiration – eine enorme psychische Übersetzungsleistung. Denn nun konnte die Aura des Schlafs genau jene Kräfte freisetzen, die vorher durch diesen gebunden waren. " Ach, Himmel! Ich bedarf der Ruhe, der Ruhe, – und sie kann mir nur meine Kunst geben."309 Wo aber das Werk freigesetzt werden konnte, da drängte sich die ersehnte Ruhe (fast) wie von selbst heran. Mit einem Mal war der Bann gebrochen: "R. hatte eine gute Nacht! [...] sagt [...], »ich habe auch komponiert, alles habe ich getan!«"310 Oder (entsprechend gespiegelt): "Ich fühle mich jetzt so heil und froh in meiner Arbeit, daß ich mir alles – nicht nur das Gelingen meiner Musik selbst, sondern auch mein Gesunden – erwarten darf."311 Die Motive 'Schlaf' und 'Arbeit' sind bei Wagner also nicht nur destruktiv, sondern in höherer Instanz regenerativ aufeinander bezogen. In der Abhandlung Der Künstler und die Öffentlichkeit wird Wagner einmal über den Zustand des Künstlers folgendes schreiben, es sind dort die Schlußworte: "Träume! Das ist das Allerbeste!"312 Das Rätsel, das er sich selbst gestellt und das er am Ende auch selbst gelöst hatte, wurde zu einem Erklärmodell für die Genese der Kunst schlechthin. In unserem 2. Kapitel werden wir diese Ausweitung ausführlich behandeln. Gewiß, nun könnte man auch fragen: Hat Wagner denn tatsächlich besser geschlafen, nur weil er die Komplikationen in dieser Sache zu einem Ästhetizismus überhöht hatte? Läßt sich nachweisen, daß seinen Worten Taten nachgefolgt sind? Hatte sein philosophisches Geschick überhaupt einen Effekt auf seine physische Konstitution? Oder war all das doch nur Vorspiegelung? Eine beeindruckende, doch ergebnisoffene Gedankenleistung? Ein Kunstgriff, um einen noch größeren virtuellen Abstand zu jenem äußeren Leben herzustellen, welches das innere so sehr bedrohte? Die Antwort kann nur sein: Ja. Und nein. Natürlich muß man zunächst davon ausgehen, daß hier viel auf Einbildung beruhte. Gerade Wagners Krankengeschichte belegt, daß die Vorgänge des Körpers nicht nur Empfänger, sondern auch Erzeuger sind und daß sie oft verzögert oder undurchsichtig reagieren auf etwas, das im bewußten Leben klar, gut und vorhersagbar erscheint. Eine Gesundheitsgarantie gibt es also nicht, und es gab sie auch nicht für Wagner. Kein Arzt von denen, die ihn über die Jahre hinweg behandelt hatten, war je mit dem Manne zufrieden, auch wenn Wagners eigene Interpretationen gelegentlich anderes besagen. Es spricht für sich, daß Krankenberichte in der Wagner-Forschung eigens rubriziert werden. Doch auf der anderen Seite unterschätze man die Einbildung nicht! Hier und heute sind wir viel zu weit entfernt von Wagner, um beurteilen zu können, wie er 309 Brief Richard Wagners vom 10. 5. 1863 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 92 310 TB vom 21. 1. 1879. [Wagner, 1977], S. 294 311 Brief Richard Wagners vom 16. 11. 1853 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 338 312 Der Künstler und die Öffentlichkeit. [Wagner, 1871c], S. 230 66 wirklich geschlafen hat. Das kann uns nicht als letztes interessieren. Wohl aber interessiert uns, daß sich an Wagner das Geheimnis der Kompensation erfüllt hat. Denn: 'Irgendwie' hat er es offenbar doch geschafft, dem Chaos seiner Nächte eine positive Wendung zu geben – lassen wir dem 'irgendwie' hier sein Recht, es hilft den Sicherheitsabstand wahren. Was die Romantiker "Selbeinschläferkunst"313 nannten, das kann man bezogen auf Wagner 'Selbstbeeinflussung' oder 'autogenes Training' nennen. Ein Vorgang vorübergehender 'konzentrativer Selbstentspannung', der von außen nicht nachvollzogen werden kann, der aber über sein Ergebnis verifizierbar wird. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß neben dem schlechten Schlaf Bilder des schönen, magisch-produktiven Schlafs in Wagners Biographie hineingezogen sind. Um sich zu kurieren, konnte er aus dem Schlechten doch das Gute, aus dem Unmöglichen doch das Mögliche herausschlagen. Er konnte katalytisch denken, könnte man sagen. Adolphe Appia meinte einmal: "Die wundersamen Träume, die seinem Optimismus entstiegen, haben ihn [...] aufrecht erhalten".314 Seiner eigenen Rastlosigkeit konnte er, Wagner, jenes winzige Quentchen 'Mehr' abzwingen, das es brauchte, um sich über sich selbst hinwegzusetzen und beurteilen zu können, wie gegen die Rastlosigkeit vorzugehen sei. Und tatsächlich wirken so manche Passagen in seinem Leben seltsam übersteuert – 'wundersame Träume'. Man merkt ihnen das Konstruierte an. Man merkt, welcher Anstrengungen es bedurfte, um die Anstrengungen zu suspendieren. Daß ein Schlaf etwa ein 'Siebenschläfer-Schlaf', 'vierwöchentlich' oder 'das einzige Heilmittel' im Leben sei, das scheint nicht nur irreal, es ist irreal. 'Irrealität' aber war die goldene Regel, kraft derer er sich der 'Realität' entziehen konnte. "Daß ich nie frei mich fühlen soll außer in extatischen Momenten"315, das quälte Wagner nicht nur, es half ihm auch. Schaut man genau hin, so findet man in seinem schlaflosem Leben eine große Anzahl visionärer Schlummerzustände, somnambuler Zwischenzeiten, inspirierter Traumgesichte, Befindlichkeiten, die den qualvoll durchwachten Nächten diametral entgegenstanden und diesen die Stirn boten. "[Q]uasi-mystic-ecstasy"316 nannte Ernest Newman das. Bereits in den Bayreuther Blättern hatte man das dramaturgische Kalkül dieser Überreizungen erahnt: "Diese Art von ekstatischem Halbschlaf hat ihn durch sein ganzes Leben begleitet". 317 Der Entschluß Musiker zu werden war zum Beispiel ein solches Produkt übersteigerter Hellhörigkeit. Alle Arten von Nachtmahren und Gespenstererscheinungen beschäftigten Wagner von Kindheit an. Bald hatte er den Eindruck, Musik sei per se dämonisch. Die Stimmen von Instrumenten "dünkte[n]" ihm wie eine "Begrüßung aus der Geisterwelt"318, sie wurden zum "gespenstige[n] Grundton"319 in seinem Leben. In 313 [Jean Paul, 1963], S. 241 314 [Appia, 1899], S. 136 315 TB vom 14. 7. 1880. [Wagner, 1977], S. 569 316 [Newman, 1960b], S. 388 317 [Bonnier, 1891], S. 224 318 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 36 319 Ebd., S. 43 67 der einen oder anderen Form wird man auch als echt verbuchen dürfen, was er in seiner Novelle Pilgerfahrt zu Beethoven schrieb: Ein junger Mann verfällt dort nach der Aufführung einer Beethovenschen Symphonie einem schweren Fieber; als er erwacht, ist er zum Musiker geläutert. In seiner Autobiographie hat Wagner zugegeben, daß er selbst oft und heftig von Beethoven zu träumen pflegte, nicht nur in seiner Jugend, auch später, in mittleren Jahren. Manchesmal, so bekannte er, habe er sogar mit Beethoven gesprochen in seinen Visionen, ja daß dessen neunte Symphonie "zum mystischen Anziehungspunkt all meines phantastisch-musikalischen Sinnens und Trachtens"320 wurde, sei eine unumkehrbare Wahrheit. Das Moment der Initiation fiel für ihn also von vornherein in den Bereich der Träume, Kunst hatte etwas mit dem Schlaf des Bewußtseins zu tun. Weitere Engführungen sollten folgen. Als Halbwüchsiger war er eine Zeitlang dem Glücksspiel verfallen – Zeichen allein dafür, daß er Neigung besaß, sich ekstatisch zu steigern. Der Zeitvertreib wurde zur Zeitverschwendung, die Zeitverschwendung zur Abhängigkeit und die Abhängigkeit schwoll schließlich zu einer Krisis an, die sich erst entschärfen ließ, als er den drohenden Ruin durch einen "tiefen und energischen Schlaf, aus welchem ich spät, gestärkt und wie neugeboren, erwachte"321 mit noktambulen Kräften von sich ablenkte. Dann die wichtige Uraufführung des Rienzi in Dresden, Oktober 1842: Sowohl die Probenarbeit als auch die Premiere hatte er bereits wie in einem "somnambulistic state"322 erlebt und – als sei es nun selbstverständlich – dies integrierte sich in eine Phase erfrischenden Schlafes und "stramm[er]" Ruhe – "auch hat mich die Mattigkeit verlassen". 323 Sobald sich eine Notlage in Wohlgefallen auflöste, sobald auch nur ein einziger Grund zur Hoffnung bestand und der Blick freigegeben war auf eine Zukunft, die die Gegenwart Lügen strafte, immer dann scheint sich der Schlaf mühelos ergeben zu haben. Nach der lebensgefährlichen und semilegalen Überfahrt von Riga nach England wurde ihm als einzigem der Mannschaft bei der "Einfahrt in die Themse-Mündung [...] trotz der lebhaften Vorwürfe Minnas hierüber" ein "lange[r] erquickende[r] Schlaf[...]"324 zuteil, ein Schlaf, der beweisen mag, daß Rettung hier nicht nur dem Körper, sondern vor allem dem Geist widerfahren sein mußte. Den Beginn der Dresdener Revolution verbrachte Wagner in ungetrübtem Schlaf mitten im Auge des Sturms auf dem Turm der Kreuzkirche. Der Gesang einer Nachtigall habe ihn sogar zu einem der "schönsten Tage dieses Jahres"325 geweckt, wie er sich später erinnerte. Die Revolution war immerhin der Schleusenpaß für sein Werk. 1858: Das Debakel der Wesendonk-Affäre lag gerade hinter ihm, er selbst hatte sich nach Venedig gerettet, da wurde sein Leben 320 Ebd., S. 42 321 Ebd., S. 58 322 [Newman, 1960a], S. 341 323 Brief Richard Wagners vom 2. 6. 1843 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 12. Vielleicht hatte dieser Segen auch damit zu tun, daß Minna ihm vor der Rienzi-Premiere als Ruhmestrophäe einige Lorbeerblätter ins Bett gelegt hatte, damit er "in nächster Nacht in Wahrheit auf Lorbeeren ruhen möchte"! Brief Ferdinand Heines vom 24. 10. 1842 an Ernst Benedikt Kietz. Zitiert in: [<Kietz>, 1905], S. 12f. 324 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 175. ('Minna' im Original hervorgehoben.) 325 Ebd., S. 412 68 plötzlich "so ruhig [...] so ausgeglättet und gereinigt, daß [...] ich [...] einen bisher fast nie gekannten tiefen und kräftigen Schlaf gefunden habe."326 Die entscheidende Nacht vom 3. auf den 4. Mai 1864, die zwischen dem Bergungsmanöver durch Hofrat von Pfistermeister und seinem Antrittsbesuch bei König Ludwig II. in der Münchner Residenz lag, kommentierte er folgendermaßen: "Ja, schlafen will ich, schlafen in einem Zug bis morgen früh und – diesmal werd ich's wohl auch können!"327 In das nicht weniger entscheidende Jahr 1876 wollte er schon aus rein prophylaktischen Gründen "schlafend [...] einkehren". 328 Und natürlich ist normativ, daß er auch den Anfang seiner Rheingold-Komposition im September 1853 aus einem halluzinatorischen Halbschlaf empfangen hatte: Am Nachmittag heimkehrend streckte ich mich todmüde auf ein hartes Ruhebett aus, um die langersehnte Stunde des Schlafes zu erwarten. Sie erschien nicht; dafür versank ich in eine Art von somnambulen Zustand [...] Mit der Empfindung, als ob die Wogen jetzt hoch über mich dahinbrausten, erwachte ich in jähem Schreck aus meinem Halbschlaf. Sogleich erkannte ich, daß das Orchester-Vorspiel zum Rheingold, wie ich es in mir herumtrug, doch aber nicht genau hatte finden können, mir aufgegangen war [.] 329 Diese 'La Spezia'-Passage ist nachmals sehr berühmt geworden, und wir werden an anderer Stelle noch einmal genauer auf sie eingehen. Markant ist zunächst jedoch zweierlei: Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß das Werk der Werke durch die Duplizität eines Schöpfungsmythos' generiert werden mußte. Die Musik zum Rheingold, das selber schläft in "des Schlummernde[m] Bett"330, wurde erfunden im Schlaf dessen, der es auf den Plan rief – das ist ein Doppelfieber – Schlaf sowohl des Schöpfers wie des Geschöpften! Wie es scheint, erforderte Wagners Opus magnum ein Urmoment, dessen metaphorische Dichte sich nur aus dem Leben und dem Werk gleichzeitig ableiten ließ. Eine Ergänzung dazu stellt dar, daß in Wagners Inkubationsmythe ebenfalls Krisis und Katharsis in einem einzigen Bild zusammentreffen. Offenbar konnte der Schlaf hier allein durch jene exzessive Schlaflosigkeit erzeugt werden, die ihm, Wagner, noch kurz vor der beschriebenen visionären Klimax alle Kräfte geraubt hatte: "[V]om Schlafen [wurde es mir] noch so ängstlich"331, notierte er für Minna, und dabei wirkt er ungewöhnlich beklommen. Später sollte er nachtragen, daß "es ein Dämon oder ein Genius [ist], der uns oft in entscheidungsvollen Stunden beherrscht". 332 Die Tatsache, daß der Schlaf doppelgesichtig ist, half ihm aus der Not eine Tugend machen. Er 326 Brief Richard Wagners vom 19. 10. 1858 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 579 327 Zitiert in: [Weißheimer, 1898], S. 268 328 TB vom 31. 12. 1875. [Wagner, 1976a], S. 957 329 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 511f. 330 Rheingold, 1. [Wagner, 1999c], S. 8 331 Brief Richard Wagners vom 5. 9. 1853 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1953], S. 427f. Notabene: Die 'Sammlung Burrell', aus der ich hier zitiere, verzeichnet die Wendung "vom Schlafen", in der großen Gesamtausgabe der Briefe Wagners hingegen heißt es: "[V]or Schlafen [wurde es mir] noch so ängstlich". Vgl.: [<Wagner, Richard - Briefe>, 1993], S. 420. (Hervorhebungen von der Verf. J. D.) Es ist nicht zu klären, welche der beiden Fassungen die verbindliche ist. 332 Brief Richard Wagners vom 17. 11. 1871 an Arrigo Boito. Zitiert in: [Glasenapp, 1905b], S. 25 69 nutzte dessen dialektische Gestaltungskriterien und spitzte sie zu einem Motiv zu. In diesem Sinne wurde schließlich auch die Hirtenmelodie für den 3. Akt des Tristan aus einem hellsichtigen Schlaf emaniert: Der letzte Act wird sich wohl noch ganz famos machen. Von meiner Rigi-partie habe ich auch Profit dafür gezogen. Früh um 4 Uhr weckte der Knecht mit dem Alphorn. Ich fuhr auf, sah daß es regnete, und blieb liegen um weiter zu schlafen. Doch ging mir das drollige Geblase im Kopfe herum, und daraus entstand eine sehr lustige Melodie, die jetzt der Hirt außen bläst". 333 Die szenische Entsprechung zeigt uns Tristan "auf einem Ruhebett schlafend, wie leblos ausgestreckt", der Hirt sagt zu Kurwenal: "Wacht er noch nicht?" Kurwenal "schüttelt [...] mit dem Kopf". 334 Ebenso Das schöne Fest Johannistag aus den Meistersingern: Wagner hatte es an einem heiteren Abende entworfen, als ich, im Halbschlummer es immer noch vor mir vorüberziehen lassend, plötzlich durch ein ausgelassenes Frauengelächter im Hause über mir vollständig geweckt wurde. Das immer tollere Lachen ging endlich in gräßliches Wimmern und furchtbares Heulen über. Entsetzt sprang ich auf [...] Als sich das Übel einigermaßen beruhigte, legte ich mich wieder zu Bett, und nun erschien von neuem der 'Johannistag' Pogners, welcher allmählich die vorher empfangenen gräßlichen Eindrücke verbannte. 335 Last not least Parzival336: Wieder ging dem ersten Entwurf eine urstofflich reinigend "gute Nacht, mit sanftem schönen Schlummer" voraus. "Grad' ausgestreckt, wie im Sarg, ohne mich zu wenden, lag ich und badete mich in einem heilsamen Schweiss."337 Durch ähnliche Umstände entstand die berühmte Karfreitags-Legende. Wagner: Nun brach auch schönes Frühlingswetter herein; am Karfreitag erwachte ich zum ersten Male in diesem Hause [dem Zürcher 'Asyl'] bei vollem Sonnenschein: [...] von dem Karfreitags-Gedanken aus konzipierte ich schnell ein ganzes Drama, welches ich, in drei Akte geteilt, sofort mit wenigen Zügen flüchtig skizzierte. 338 Auch wenn später bewiesen werden sollte, was schon Wagner selbst Jahre später Cosima gestanden hatte, daß hier "eigentlich alles bei den Haaren herbeigezogen [war] wie meine Liebschaften, denn es war kein Karfreitag, nichts"339, so besaß Wagner doch "untrüglichen Sinn für Stimmungswerte". 340 Eckart Kröplin argumentiert richtig, wenn er schreibt: 333 Brief Richard Wagners vom 9. 7. 1859 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b], S. 118 334 Tristan und Isolde, 3, 1. [Wagner, 1984b], S. 54 335 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 700f. 336 Hier noch in der alten Schreibung. 337 BB vom 14. 8. [1865]. [Wagner, 1988b], S. 33 338 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 561 339 TB vom 22. 4. 1879. [Wagner, 1977], S. 335 340 [Wapnewski, 1986], S. 331 70 Da er sich selbst korrigiert, ist ihm wohl zu glauben: aber das Wesentliche bestätigt sich – aus dem Schlaf erwachend nimmt er eine besondere Naturstimmung auf und deutet sie später dahin um, wohin sie seiner Empfindung nach verlangt. [...] Karfreitag ist in Wagners Biographie motivisch mit Heimstatt, Ruhe und Rettung verbunden [...] die traumatische Gebundenheit an diese Motive durch biographische Determinanten wird mit innerer, letzter Notwendigkeit gelöst durch die Verwandlung derselben in das musikalisch-szenische Ereignis [.]341 Vergleichen wir das Leben mit dem Werk; Parsifal, 1. Aufzug, 1. Szene, Gurnemanz "schlafend unter einem Baume [...] feierliche[r] Morgenweckruf der Posaunen": "He! Ho! Waldhüter ihr,/ Schlafhüter mitsammen,/ so wacht doch mindest am Morgen!"342 Sobald es also um mehr als nur die Verwaltung von Kunst ging, ja sobald es um 'Kunst' ging, fielen alle Anstrengungen von Wagner ab; in den Briefen an seine Künstler existiert so gut wie keine einzige Klage, weder über seinen Gesundheits-, noch über seinen Arbeitszustand: "Ermüdung kannten wir nicht"343, so beschrieb er selbst die Parsifal-Proben, die er neben der Uraufführung seines Tristan zum Glücklichsten rechnete, was ihm als Künstler im Leben widerfahren war. Fühlte sich der Urheber aller der Mühen, die er seinen freundlichen Kunstgenossen übertragen hatte, oft von der Vorstellung einer unausbleiblich dünkenden Ermüdung beschwert, so benahm ihm schnell die mit jubelnder Laune gegebene Versicherung der heitersten Rüstigkeit Aller jede drückende Empfindung. [...] Somit konnten wir uns [...] wie der gewohnten Welt entrückt fühlen [...] Über diesem wahrtraumhaften Abbilde die wirkliche Welt des Truges selbst vergessen zu dürfen, dünkt dann der Lohn für die leidenvolle Wahrhaftigkeit[.] 344 <Neue Schläfrigkeit> Conclusio: Mehr als nur ein Symptom für Wagners Künstlerschaft ist der Schlaf eine Chiffre für jenes traumgleiche Werk, das erst eines Katalysators bedurfte, um Wirklichkeit zu werden – jeder Traum beweist, daß vor ihm etwas existiert, durch das er erzeugt wird. Fühlte sich Wagner auch selbst durch den schlechten Schlaf gehemmt, inhibiert, gar gemaßregelt, so beförderte doch der gute den Entstehungsprozeß seines Werkes, und das ist viel, viel mehr als zu erwarten stand. "Falling into that cataleptic state", faßt Ernest Newman dies zusammen, "is the prime condition for [...] artistic creation of the highest kind".345 Wagner hat die Metaphern des Schlafs in einer Art und Weise für sich geltend gemacht, die an Tableaux vivants und an die Posen der Starre dort erinnert, welche die Sprungkraft hinter den Dingen durch deren Abwesenheit zelebriert. Hier wie dort ist die Atempause künstlich. Aber erst das Künstliche setzt 341 [Kröplin, 1989], S. 101 342 Parsifal, 1. [Wagner, 1950], S. 11 343 Das Bühnenweihfestspiel in Bayreuth. [Wagner, 1883a], S. 384 344 Ebd., S. 384ff. 345 [Newman, 1960b], S. 389f. 71 die Kunst frei. Das Einfrieren der Bewegungen bedeutet nicht Energieverlust, es bedeutet Energiezuwachs und schließlich Energiegewinn. Im Schlaf hielt Wagner die Welt an wie sie war, um sie in seinem eigenen Zwischenraum so einrichten zu können, wie sie seiner Meinung nach sein sollte. Manchesmal kommentierte er das leger, sagte etwa: "Ich brauche nur Ruhe, es schwärmt dann gleich um mich."346 Doch daß er tatsächlich jener "Dämmermann"347 war, der schon in der Beziehung zu Mathilde Wesendonk und zur Zeit der Tristan-Komposition die komplizierten Gabelungen gesucht hatte, dürfte ihm selbst bewußt gewesen sein. Von "einem Krampf des Geschlossenseins, des Schweigens"348 sprach er einmal und beschrieb sich als Musiker so: "»Ja, sehr oft, wenn ein musikalischer Gedanke mich erfaßt, so schlafe ich [...] ein, es ist wie ein gewaltsames Schweigen, aus welchem dann das Tönen hervorgeht.«"349 Cosimas ganze Hoffnung richtete sich deshalb auch auf die Aussicht, "dass der Meister allmählich in die stille Dämmerung's Stimmung sich verliert, die das Schaffen bedingt"350, insofern "»so ein Musiker, während er komponiert, [...] einem wahnsinnigen somnambulen Zustand [verfallen muß].«"351 Schopenhauer hatte es vorformuliert, die Romantiker hatten es praktiziert, wir selbst werden an anderer Stelle darauf zurückkommen müssen: Die Implosion, durch die das künstlerische Handeln freigesetzt wird, kann nur unter Ausschaltung aller äußeren Reize ausgelöst werden. Wagner fand viele Wendungen, um dies zu umschreiben. Er sagte etwa, daß es allein das "nach innen gekehrte[...] Bewußtsein" sei, "aus welchem der Musiker schafft."352 Deshalb auch "[ist] der Mystiker [...] mein Mann, [...] derjenige, den es drängt, das innere Licht – gegenüber der Außenhelle, die ihm nichts entdeckt, sich anzuzünden". 353 Schlaf ist der höhere Wachzustand, ein reiner Widerspruch, der sich bis in Wagners Musikästhetik und Festspieldramaturgie vorschieben und dort vieles unter dem Gesetz der Paradoxie reglementieren wird. Jede Stichprobe würde darum dasselbe ergeben: Methodisch ging es um einen Verinnerlichungsprozeß, der, theatral vergrößert, die Voraussetzung liefern mußte für jenes utopische Erwachen, das am Ausgang des Schlafs eine neue Welt erstehen lassen würde. Für Wagner gilt darum die Regel: Je tiefer sinken, desto höher fallen – ein Prinzip, das auf sein Leben wie auf sein Werk gleichermaßen anwendbar ist. Während all der glücklichen, sprich utopisch aussichtsreichen Produktionsphasen beginnt sein Tagesrhythmus aus diesem Grund nicht mit dem, was man landläufig als Arbeit bezeichnen würde, sondern mit einer komprimierten Reproduktion der Nacht in Form einer "Morgen-Siesta"354 oder aber auch mit einem "todesähnlichen Schlaf"355 nach dem 346 TB vom 11. 6. 1882. [Wagner, 1977], S. 959 347 Zitiert in: [<Wagner, Richard - Briefe>, 1904], S. VIII 348 TB vom 18. 7. 1878. [Wagner, 1977], S. 141 349 Ebd. 350 Brief Cosima Wagners vom 14. 6. 1872 an Friedrich Nietzsche. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1940], S. 32f. 351 TB vom 25. 2. 1870. [Wagner, 1976a], S. 202 352 BB [zwischen dem 3. und 19. 7. 1870]. [Wagner, 1988b], S. 210 353 TB vom 16. 3. 1873. [Wagner, 1976a], S. 655 354 TB vom 7. 9. 1878. [Wagner, 1977], S. 171 72 Frühstück, aus welchen er erfrischt hervorgeht und ein für allemal wünscht, er könne "aus dem Morgen die produktive Fortsetzung des Traumes [...] machen, das suche er".356 Summa summarum gefällt ihm sein Leben dann "ungeheuer, ich versenke mich immer mehr in meine Gespenster-Welt".357 "Jetzt hat mich die alte Nacht wieder – verschlinge sie mich ganz!"358 Warum? Weil "ein Augenblick Schlaf [...] mehr wert als Jahrhunderte der Erkenntnis [ist]"359, wie Cosima einmal statuierte, während 'R.' schlief. – 'R. hatte eine üble Nacht, kann nicht arbeiten', diese alte Standardformel aus ihren Tagebüchern ließ sich plötzlich durch den geringsten Zusatz in sein Gegenteil verkehren: "R. hatte eine gute Nacht und kann arbeiten". 360 <Der Schlaf als Konstruktionsprinzip> Zweierlei kann man daraus ablesen, Formales und Inhaltliches, welches sich freilich kaum voneinander trennen läßt. Auf der einen Seite dürfte erkennbar geworden sein, daß der Schlaf bei Wagner einem biographischen Motiv gleichkommt. Die Quellenlage liefert dafür ausreichend Beweise. Nur wenige Ereignisse hat es in Wagners Leben gegeben, die nicht in der einen oder anderen Form auch eine Zustandsbeschreibung privater Malaisen waren. Oft häufen sich diese Berichte und stauen sich im Umfeld biographischer Knotenpunkte. Phasen der Schlaflosigkeit wechseln sich ab mit Phasen der Schlaftrunkenheit. Die Grundanordnung des Motivs wird durch wechselnde Rhythmen gebeugt, bleibt aber doch immer erkennbar. Auf der anderen Seite, die nicht der Gegensatz der einen ist, hat Wagner jene physiologischen Wechselfälle kompensiert, die ihm bald unabwendbar erscheinen mußten. Ob das bewußt oder unbewußt geschah und mit Hilfe welcher Machinationen, das ist nachträglich nicht zu entscheiden. Es ist hier auch nicht ausschlaggebend. Ausschlaggebend ist lediglich, daß sich herauskristallisieren läßt, nach welchem Schema dieser Energieaustausch vorgenommen wurde: Das 'blutig schwere Werk' bezog sich dezidiert auf Wagners katastrophale Nächte – Wagner selbst war zerrissen zwischen Erfahrung und Anspruch, Versehrtheit und Antrieb – Ruhe konnte er nicht finden – der Schlaf nahm ihm, was er ihm eigentlich geben sollte – kaum ein Erwachen gab es ohne das Wissen, nicht geruht zu haben – aber er ahnt, wessen er nicht habhaft werden konnte – also wiegt er auf – beginnt zu verbalisieren – stilisiert – abstrahiert – macht Kunst – und plötzlich – ersetzt der Schlaf das Schlafen – aus Insomnie ist Somnolenz geworden. Er selbst umschrieb es einmal so: 355 TB vom 11. 11. 1878. Ebd., S. 226 356 TB vom 31. 1. 1877. [Wagner, 1976a], S. 1028f. 357 TB vom 2. 1. 1878. [Wagner, 1977], S. 33 358 Brief Richard Wagners vom 17. 1. 1854 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 362 359 TB vom 27. 4. 1871. [Wagner, 1976a], S. 381f. 360 TB vom 25. 2. 1872. Ebd., S. 493 73 Ich hatte ein ganzes Leben hinter mir aufzuräumen, alles Dämmernde in ihm mir zum Bewußtsein zu bringen [...] und mich mit klarem heiterem Bewußtsein wieder in das schöne Unbewußtsein des Kunstschaffens zu werfen.361 Es ging darum, bewußt unbewußt zu werden, und so setzte Wagner mit Macht frei, was ihn mit Macht bezwungen hielt. Die Rettung bestand für ihn in einer Selbstschau, die dramaturgisch aufbereitet war und die all das glättete, was zum Zwecke der Kunst geglättet werden mußte. Es ist dasselbe Axiom, welches auch schon für die Fabrikation seiner Porträts gegolten hatte – schauen wir diese noch einmal an: Die Rückzugsmanöver wurden einer offensiven Gestik nachgeordnet. Der Schlaf wurde also zu einem Konstruktionsprinzip fassoniert. So wie das Leben Wagners sich in allen Punkten aus soviel Wahrheit wie Dichtung zusammensetzte, so wurden die Brüche und Katastrophen dieser "Spuk- und Traumkarriere"362 durch Metaphern des Schlafs zusammengehalten – "artifizielle Versuche der Abstimmung mit der Welt". 363 Weil der Schlaf per se Ufer verbindet, Kanten begradigt, Fluchtwege eröffnet, schuf er die Voraussetzung dafür, daß für eine kurze Weile vergessen werden konnte, was das Leben tagtäglich in Erinnerung rief. Schlaf als Faktor der Amortisation, gewissermaßen. Natürlich sind all das auch Stilübungen eines Mannes, der sich unentwegt regulieren mußte, der dem Immer-Wieder-Anfangen-Müssen und Anfangen-Wollen revolutionär verfallen war. Es sind Parabeln auf einen Künstler, der nur auf Trümmern zu bauen wußte, dessen manisches Umsturz- und Erneuerungsbedürfnis gerade vor der eigenen Lebensführung nicht haltmachte und der es mehr als einmal in seinem Dasein für nötig befunden hatte, sich durch "vollständige[...] Neugeburt"364 oder "Wiedergeburt"365, ja durch einen pleonastischen "allerersten Anfang"366 selbst zu übertreffen. Der Schlaf als Metapher aber konnte die täglichen Katastrophen in der Tat der Gefahrenzone entziehen, konnte sie 'dichterisch', 'rhetorisch' und wirkungsvoll machen. Es ist kein Zufall, daß Ludwig Marcuse zum Beispiel in seiner Wagner-Biographie dem Geburtsjahr 1813 und jenem Schlachtruf zur "Reveille", die man sächsisch, wie passend, zur "Rebelle"367 machte, eine Beschreibung voranstellt, die dem abendlichen Schließritual der Leipziger Stadttore, dem Einläuten der Nächte, dem Ruf des Nachtwächters, den Schlafenszeiten vor den Aufmärschen der Völkerschlacht und der "gnädige[n] Dunkelheit"368 theatrale Bedeutung zukommen läßt. 369 Ein "Kind des 361 Brief Richard Wagners vom 25. 11. 1850 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 152 362 Mein Leben. [Wagner, 1976b], S. 772 363 Ebd. 364 Ebd., S. 273. Die 'Neugeburt' wurde hier übrigens von "tagelang[em]" Aushalten "im Bett" begleitet, sie bezieht sich auf das erstmalige Lesen der Grimmschen Mythologie. 365 Ebd., S. 518. 'Wiedergeburt hier bezogen auf die La-Spezia-Legende und die nach fünfjähriger Unterbrechung 1853 wiederaufgenommene Komposition des Rheingold. 366 Ebd., S. 262 367 [Marcuse, 1973], S. 7 368 Ebd., S. 12 369 Die große Wagner-Biographie Gregor-Dellins beginnt übrigens genauso, das erste Kapitel dort heißt "Die Alpträume von 1813". [Gregor-Dellin, 1980], S. 9 74 Theaters"370 wird dieser Auftakt denn auch genannt. Die "Wiege" Wagners war nicht nur historisch "auf ein[...] Schlachtfeld"371 gestellt, sondern auch dramaturgisch. Der betreffende Passus endet folgendermaßen: "In der Frühe des nächsten Morgens fielen drei Schüsse. Alles sprang aus dem Bett."372 Zwischen den Antipoden Tag und Nacht vermittelnd, wird der Schlaf zum Geburtshelfer. Es ist dieselbe Nische, die Wagner biographisch für sich entdeckt hatte, dieselbe auch, aus der er sein eigenes Werk methodisch gewann und die er diesem schließlich inhaltlich einarbeitete. 373 Sich in den Schlaf rettend, nutzt er dessen dialektischen Umbruch, um aus ihm das Werk freizusetzen, das sich ihm anders zu oft versagt hätte. Hellsichtig war er, als er einmal bekannte: "»[I]ch bin zu müde zu allem und Jedem. Vielleicht rettet mich dieser Zustand.«"374 Ähnlich wie bei den Bettproben im Märchen ist der Schlaf für ihn zu einer Art Arbeit geworden. Arbeit im und Arbeit am Schlaf. Am Drama seiner (Werk-) Biographie ausgezirkelt, inszenierte er ihn als Tagwerk und als theatrales Manöver, dessen Strategie darin bestand, das einzelne, im Schlaf sozial entkoppelte Wesen zu vergesellschaften. Daß der Schlaf dieses Drama wiederum atmosphärisch machte, daß er dessen Rahmenhandlung komplizieren und den Wagnerschen Arbeitsprozeß erneut bis zur Uneindeutigkeit vernebeln half – das wache Leben ist nur der Vorbote des geträumten – ist ihm inhärent. Wagner besaß Kalkül genug. Er wußte: Ursprüngliche Momente müssen zur Hälfte ein Rätsel bleiben. <Teilergebnis> Ist der Schlaf bereits per se ein dialektisches Phänomen, so half er, der für die Biographie Wagners zu einem zentralen Motiv wurde, dort jene Diskrepanz zu überbrücken, die zwischen Bedürfnis und Anspruch herrschte. Durch neurasthenische Schlaflosigkeit in stetig wiederkehrenden Phasen aus den Rhythmen seines Lebensund Arbeitsprozesses herausgerissen, setzte Wagner Wunschbilder des schönen und heilbringenden Schlafes frei. Hat Martin Gregor-Dellin einmal den Vergleich zwischen der Wagnerschen Autobiographie und einer Komposition aufgestellt, so läßt sich das Bild weiter ausmalen: Jede Komposition braucht ihre Pausen – die Pausen stellen in sich einen qualitativen Wert dar, in ihnen fließt die musikalische Energie zusammen, die sich unentwegt verbraucht, um sich wieder neu formieren zu können. Der Schlaf im Verhältnis zu Wagners Vita entspricht also, könnte man sagen, dem Verhältnis der musikalischen Schweigezeichen zur Klangverdichtung. Durch den Schlaf wird die biographische Komposition von der Abseite her zusammengehalten, mehr noch, durch ihn wird sie sogar phrasiert. Noch anders ausgedrückt: Wagner scheint sich an einem Fluchtpunkt orientiert zu haben, von dem aus der eigene Werdegang gleichzeitig 370 Ebd., S. 7 371 Ebd., S. 11 372 Ebd., S. 10 373 Vgl. mit dem Abschnitt <Nur der Wachende schläft, nur der Träumende erwacht> in Kap. II.2 374 Zitiert in: Brief Cosima von Bülows vom 3. 2. 1866 an Ludwig II. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1996], S. 145 75 durchgebildet und unterlaufen werden konnte – das ist bereits eine Präformation der Wotan-Figur, deren Schöpferkraft durch Machtverlust konterkariert wird. Wagner selbst machte sich die dem Schlaf inhärente Dialektik zunutze, holte Atem in der höchsten Krise und rettete sich in die Idee, daß Schlaf ein produktiver Pausenwert sei. Hatte ihn dieser zuvor an die Schwelle zur Krankheit gebracht, so bedeutete er ihm umgekehrt Rekonvaleszenz – im Schlaf berühren sich physiologische und psychologische, kreatürliche und artifizielle Bedeutungssegmente. In diesem Sinne wäre der Schlaf als eine Keimzelle des Wagnerschen Werks zu verstehen. Augenscheinlich setzte er schöpferische Kräfte frei. Gewiß, dies alles heißt nun nicht, daß Wagner im Schlaf komponiert und gedichtet hätte – das zu behaupten wäre verwegen, wissenschaftlich gesehen sicher auch aussichtslos, obschon festgehalten werden könnte, daß das Thema gerade in Wagners neuromantisch-müdem Zeitalter lebhaft diskutiert worden war.375 Goethe, Voltaire, Beethoven und Mozart wurden 'Verstandesleistungen im Traum' zugesprochen. Doch Beweisverfahren sind in diesem Bereich nicht möglich. Von daher sollte der Schlaf eher als ein Triebmittel verstanden werden, das dazu beigetragen hat, das Wagnersche Werk zu Tage zu befördern, ohne daß nun die Ingredienzen im einzelnen bestimmt werden müßten. Wagners Schlaflosigkeit machte einer schöpferisch-utopischen Schläfrigkeit Platz; die Müdigkeit wurde, ganz im Peter Handkeschen Sinne, zu einem Zeichen der Verwandlung, des Übergangs. 376 Schlaf behauptete sich als dialektisches Versatzstück, und die ihm inhärente Wechselbewegung wurde nicht nur zu einem Auslöser, sondern zu einem wichtigen Bauteil innerhalb der Wagnerschen Lebens- und Werkdramaturgie. So ist es tatsächlich nur die halbe Wahrheit, wenn etwa Josef Rattner annimmt, das Künstlertum Wagners sei aus einem "Kranksein oder Kränkeln"377 entstanden, dessen Ursache man in Wagners Insomnie zu suchen habe. Richtiger scheint, daß Wagners Künstlertum aus der Kompensation dieser Insomnie und folglich aus der Umwandlung des schlechten Schlafs in den visionär guten Schlaf entstanden ist. Nur sekundär ging es um Krankheit, primär ging es um Genesung – Heilung widerfuhr ihm, Wagner, stets an der Stelle, die ihm auch die Krankheit einbrachte. Das berühmte Wort Thomas Manns, Wagner sei auf eine romantisch "gesunde Art [...] krank"378 gewesen, behauptet seine Gültigkeit auch in diesem Zusammenhang. Daß der Schlaf für Wagner ein physiologisches Problem darstellte, dies kann und soll zwar mit nichts bestritten werden. Der Tatbestand wird aber erst voll erfaßt, sobald man hinzufügt, daß er auch ein psychischer und darüber hinaus sogar ein intellektueller, ästhetischer und erkenntnistheoretischer Faktor in dessen Biographie war. Noch einmal Thomas Mann dazu, etwas ausführlicher: 375 Siehe: [Schöpf, 1987], S. 18ff., [Stone, 1993], S. 149 376 Siehe: [Handke, 1987] 377 [Rattner, 1986], S. 788 378 [Mann, 1974a], S. 403 76 Wagners gesunde Art, krank zu sein, seine morbide Art, heroisch zu sein, ist nur ein Beispiel für das Kontradiktorische und Verschränkte seiner Natur, ihre Doppel- und Mehrdeutigkeit, die sich uns schon in der Vereinigung scheinbar so widersprechender Grundlagen wie der mythischen und der psychologischen bekundete.379 Als eine Parabel auf diese theatral durchgestaltete Lebensführung erweisen sich letztlich auch die Wagnerschen Schlafröcke. Schlagen wir den großen Bogen zu ihnen und an unseren Kapitelanfang zurück, so wird deutlich, daß sie keineswegs nur Wagneriana waren, sondern daß sie die komplizierte Licht- und Schattenarchitektur derjenigen Somnolenz mitinszenieren helfen sollten, die Wagners Künstlertum bedingte und auch bedeutete. Weniger 'Ersatzluxus' sind sie gewesen, wie oft behauptet worden ist, eher 'Ersatzkunst'. In gewisser Hinsicht waren sie Reliquien des Schlafs, kunstvolle Katalysatoren des Auratischen, waren so museal wie Reliquiare und vom darstellerischen Standpunkt aus auch genauso in Szene gesetzt. Ihre fließende, magnetische Stofflichkeit repräsentierte die heilsame Stofflichkeit des Schlafs. Demnach sicherte sich Wagner mit und in seinen Schlafröcken gegenüber dem Tagesleben ab, machte sich die Schutzhülle zur zweiten Haut, die ihm in Wirklichkeit nicht zuwachsen wollte, verbarg sich hinter der Phänomenologie des Schlafs und behauptete so nach außen hin ein gewisses Heimrecht, das er unter Mühen für diesen erworben zu haben glaubte. Die Nabelschau freilich war nie so hemmungslos, wie es ihm von seinen Widersachern unterstellt worden ist. Sie legte nur nochmals das 'Geheimnis der Stimulation' offen. Wagners Schlafröcke waren nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine ideologische Equipierung und damit "ein Stück harmlos-unheimliche[...] Künstlerpathologie, von der nur Spießbürger sich verwirren lassen."380 Das Künstliche wurde am Ende das Künstlerische. Es geht hier um die Kunst des Schlafens ebenso sehr wie um den Schlaf als Kunst, denn wie gesagt: "[W]er wollte verkennen, daß der Atlas auf irgendeine Weise auch in Wagners Werk enthalten ist?"381 Neben Thomas Mann hat wiederholt Adorno darauf hingewiesen, daß die 'stoffliche' Qualität bei Wagner sowohl biographische als auch werkspezifische Konnotationen besitzt: "The element of plush-culture [...] becomes evident [...] gradually [in Wagner's work]". 382 Lassen wir Wagner an dieser Stelle selbst schlußfolgern, was geschlußfolgert werden muß: Vernünftig kann ich nur leben, wenn ich [...] mich ganz aus allem Rapport mit ihr [der Wirklichkeit] bringe. Ich kann u. muss nur in einer Art Wolke leben. Wie ich einzig Kunstmensch bin, kann ich auch nur ein künstliches Leben führen. [...] Das muss ganz künstlich eingerichtet werden, und dann geht es wie zu Versailles, bei Louis XIV her [...] Unwohlsein darf mich nie mehr stören. [...] Bloss Brünnhilde, und wie all diese Personen heissen, sollen es merken lassen, wie ernst das Alles gemeint ist. 383 379 Ebd. 380 Ebd., S. 413 381 Ebd. 382 [Adorno, 1984], S. 402 383 BB vom [18. 8. 1865]. [Wagner, 1988b], S. 42 77 Sowohl in Wagners Werk wie auch in Wagners Leben scheint der Schlaf zu einer klimatischen Bedingung geworden zu sein, zu einer Warmfront, die sich in jede Nische eingelagert hat und von der kein Detail unberührt blieb. Äußerungen wie die folgende, durch die einen Tag nach Abschluß der Kompositionsskizze der Walküre verlautbart wurde: "Brünnhilde schläft! – Ich – wache leider noch!"384, machen evident, daß Wagner bewußt eine Parallele zwischen der Genese seines Werkes und der Metaphorik des Schlafs gezogen hatte. Das dem Schlaf inhärente Prinzip des An- und Abschwellens wurde sogar zu einem der eklatantesten Erklär- und Selbstdeutungsmuster für die Entstehung des Opus magnum, des Nibelungen-Zyklus'. Der Wagnersche Dualismus ist aufgespannt zwischen: Nun ist bei mir einmal wieder Auferstehung: die Natur erwacht, und ich erwache mit ihr aus winterlichem Mißmute [...] der vollständige Entwurf zu meinem großen Vorspiel [Rheingold] ward in diesen Tagen fertig [...]385 und [...] Ich lebe hier so eine Art von Hundeleben: [...] Ich bin sehr nervenkrank und habe, nach mancherlei Versuchen zu radikalen Heilungen, auch keine Hoffnung mehr auf Genesung: Alles, was ich thun kann, ist, mir Ruhe und möglichstes Behagen zu gewinnen, um es noch aushalten zu können. Meine Arbeit ist Alles, was mich aufrecht hält: schon sind aber meine Gehirnnerven so ruinirt, dass ich nie über zwei Stunden täglich zur Arbeit verwenden kann, und auch diese gewinne ich nur dann, wenn ich nach der Arbeit mich neue zwei ausstrecken und endlich ein wenig schlafen kann; kommt der Schlaf nicht, so ist's für den ganzen Tag aus. So habe ich jetzt meine grosse Nibelungendichtung vollendet [...]386 sowie [...] Einzig suche ich mich zu erhalten, wie ich bin, meide alle Überanstrengung und gehe – um der Erhaltung willen – auf möglichste Ruhe und Behagen aus. So ist mein ganzer Tag ein Diätisieren um des Zweckes willen, mir zwei günstige Morgenstunden zur Arbeit zu gewinnen: nach diesen zwei Stunden, die ich nie überschreiten darf, muß ich mich jedesmal wiederum zwei Stunden gestreckt ausruhen und in Schlaf zu kommen suchen, um meine außerordentlich leidenden Gehirnnerven zu beruhigen: gelingt mir dieser Schlaf nicht, so befinde ich mich den ganzen Tag über in sehr martervollem Zustande. – Unter solchem Gebärungsverfahren habe ich denn jetzt die vollständige Dichtung meiner Nibelungen zur Welt gebracht: diese Geburt macht mir große Freude; wie eine kranke Mutter habe ich meine besten Säfte auf sie verwendet, und keiner wird's ihr hoffentlich anmerken, wie sie zustande kam.387 384 Brief Richard Wagners vom 28. 12. 1854 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 395 385 Brief Richard Wagners vom 4. 4. 1852 an Julie Ritter. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1920], S. 74 386 Brief Richard Wagners vom 30. 12. 1852 an Cäcilie Avenarius. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1907b], S. 194 387 Brief Richard Wagners vom 29. 12. 1852 an Julie Ritter. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1920], S. 98 78 Aber [d]ie echteste Kunst ist [...] Sehnsucht – Nachtigallenlied: und in ungeheuerster Steigerung ist meine beste Kunst nichts anderes. [...] So bin ich denn wieder daran, mich zu einem großen Kunstwerke zu rüsten: bald denke ich die Musik zu meinem großen Bühnenfestspiel: der Ring des Nibelungen, zu beginnen [.]388 I.3 Innenstoffe <Träume> Neben dem Schlaf gibt es nun freilich noch eine andere, ähnlich verfließende und ebenso spezifisch Wagnersche 'Kunstform' und das sind: die Träume. Nicht nur, daß man Wagners Œuvre immer wieder 'traumartig' genannt und ihm zu Recht Assoziationen entgegengebracht hat, die es zum ersten surrealistischen Werk der Kunstgeschichte machten. Viel konkreter noch, privater: Von keinem anderen Künstler aus der Zeit und vom Range Wagners existiert eine vergleichbare Anzahl überlieferter Träume, von keinem anderen sind die Träume so akribisch, ja so beseelt beschrieben worden. Fast könnte man von 'Kultivierung' sprechen. Auch ließe sich behaupten, Wagners insomnische Verhaltensmuster hätten regelrecht eine Inflation von Träumen hervorgereizt, zumindest läßt sich das behaupten, wenn man der Überproduktion von Alpdrücken und Fiebervisionen auch jene Spiellaune hinzurechnet, mittels derer Wagner aus seinem Leben selbst einen theatralen Traum zu generieren wußte. Hatte noch Lessing, der Aufklärer Lessing, mit unerschütterlicher Überzeugung von sich behauptet, nie auch nur ein einziges Mal in seinem Leben geträumt zu haben, was "ihm die moderne Psychologie kaum glauben [wird]"389, so trifft auf den Romantiker Wagner mit Sicherheit das Gegenteil zu. Und dies wird die moderne Psychologie nun auch unbedingt glauben wollen. Doch außerhalb der Forschung wirkt es noch immer überraschend, in welchem Maße der Alltag Wagners durch das Traumleben reguliert wurde. Zugegeben, es ist mit nichts zu beweisen, daß Wagner mehr als andere Menschen geträumt hat – wie auch –, nur scheint bedeutsam, daß er sich intensiver als andere an seine Träume erinnerte, daß er deren Geister immer noch "beim letzten Zipfel ihres Rockes zu fassen"390 und dann präziser von ihnen zu erzählen wußte. Bedeutsam, daß er mit Hilfe Cosimas, der verläßlichen Protokollantin neben sich, an einem Inventarium seiner Träume arbeitete. Das scheint der Enthüllung von Änigmen gleichzukommen. Aber die Sehnsucht nach dem Schlaf hat bei ihm offenbar nicht nur die 388 Brief Richard Wagners vom 3. 8. 1853 an Theodor Apel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1910], S. 87f. 389 [Wapnewski, 1994], S. 240 und was ihm übrigens auch nach [Rudolphi, 1823], 5. Buch, 4. Abschnitt, § 336, S. 282 schon Lessings Zeitgenossen nicht geglaubt haben, ja was sogar "von solchen widerlegt worden [ist], die ihn genau gekannt hatten." 390 [Gregor-Dellin, 1980], S. 695 79 Träume und das Träumen, sondern auch den Gedanken befördert, daß sich selbst auf die Spur zu kommen ein kreativer Vorgang sein kann. Auch das sollte also berücksichtigt sein, wenn es darum geht, die Logistik der Nacht bei Wagner zu dechiffrieren. Natürlich mag man sich die Frage stellen, warum wir den Themenkomplex 'Traum' gegenüber dem Schlaf bislang ausgespart, ja warum wir ihn sogar konzeptionell (sprich: aktiv) von uns ferngehalten haben? Nun, grundsätzlich läßt sich sehr wohl trennen, was zusammengehört. Schlaf und Traum sind nicht per se identisch, sie mögen Brüder sein, doch eineiig waren sie nie. Zwar gibt es keinen Traum ohne den Schlaf, den Schlaf aber gibt es selbstverständlich ohne den Traum – das eine ist die Schwelle, das andere der Rauminhalt dahinter. Auch ein Fenster läßt sich schließlich unterscheiden von der Aussicht, die es gewährt. "To sleep, perchance to dream", sagt Hamlet, nicht 'to sleep and off to dream'. Oder nehmen wir das Beispiel 'Brünnhilde': Sie schläft, aber sie träumt nicht. Von ihr ist alles abgezogen, sogar die Gegenwelt, die der Schlaf auf den Plan rufen kann, aber nicht auf den Plan muß, und genau das ist ja auch der Sinn jener Strafe, die Wotan über sie verhängt. Brünnhildes Schicksal ist das einer Figur, die im Niemandsland siedeln soll. Gewiß impliziert der Schlaf Hoffnung, er ist 'gliederlösend', wie es heißt, wäre er es nicht, so hätte sich der schwarze Sohn der Nacht den weißen zu Untertan gemacht. Aber der Schlaf selbst könnte diese Hoffnung doch nie formulieren. Er ist die Möglichkeit, das Versprechen, der Traum hingegen eine Form der Erfüllung, wobei letzteres qualitiativ nicht mehr wert ist als ersteres. Erkenntnistheoretisch ließe es sich so ausdrücken: Der Traum entwirft den Tag in die Nacht hinein und ist deshalb determiniert. Schlaf jedoch ist autark, ein Freiraum der Wahrnehmung, entkoppelt von den Gewichten, die ihm doch anhängen. Von daher hieße es einen Schritt zurückgehen (oder auch einen zu weit vor), wollte man ihn nur als eine Vorbedingung des Traumes analysieren. Für den Schlaf muß ein eigener Raum durchmessen werden, und möglicherweise macht es uns Postfreudianern gerade der Traum zu leicht, ihn, den Schlaf, zu unterschätzen. Jenes Wissen, durch das wir die Welt der Träume überhaupt zu kategorisieren gelernt haben, scheint den Zugang zu ihm zu blockieren. Freud selbst hat sich – wie bezeichnend – nie mit dem Phänomen 'Schlaf' beschäftigt, nicht einmal peripher. Für ihn handelte es sich dabei nur um ein "physiologisches Problem"391. Seiner Auffassung nach bewachen die Träume den Schlaf, nicht umgekehrt. Doch genau darum bleibt es für unseren Kontext reizvoll, sich den umgekehrten Sachverhalt wenn auch nur einmal als Gedankenspiel vorzustellen. Eine Arbeitsthese könnte sein: Der Schlaf hat nicht ausschließlich dienende Funktion. Einen Bereich gibt es, es mag ein theatraler sein, in dem er sich als etwas Autonomes zeigt. Ohnehin scheint es auf Wagner bezogen einen Bruch zwischen dem Schlafmotiv, der Diagnose 'Insomnie' und dem Areal der Träume zu geben. Denn schon der gemeine Sachverstand insinuiert, daß realiter gar nicht geträumt werden kann, wo nicht geschlafen wird. Der Schlaf 391 [Freud, 1942], S. 6. Der Passus entstammt Freuds Traumdeutung und lautet im Zusammenhang: "Ich hatte wenig Anlaß, mich mit dem Problem des Schlafs zu befassen, denn dies ist ein wesentlich physiologisches Problem, wenngleich in der Charakterisitik des Schlafzustands die Veränderung der Funktionsbedingungen für den seelischen Apparat mit enthalten sein muß." 80 wäre somit weniger als ein 'Problem' zu beziffern, sondern eher als eine nicht eben machtlose Notwendigkeit. 392 Kommen wir damit zur Durchführung. Denn notwendig, ja notwendig ist die Wahrheit doch nicht ganz so eindeutig, wie eben beschrieben. Wäre sie es, so widerspräche sie sich selbst in bezug auf den Schlaf. Was heißt das? Es heißt, daß es zuweilen nicht zu vermeiden ist, den Traum zu berühren, sobald man den Schlaf anfaßt. Das ist eine empirische Erfahrung. Der Schlaf ist das eine, die Träume sind das andere, jedoch schwingen sie zusammen wie der Außen- und der Innenstoff eines Mantels. Das eine blickt halbseitig nach außen, ins Helle, das andere halbseitig nach innen, ins Dunkle; verbunden werden die zwei Teile durch eine verstürzte Naht, deren Verlauf sich nicht nachzeichnen läßt. Die Situation changiert also, selbst auf Wagner bezogen. Denn wider den gemeinen Sachverstand gilt nun auch für diesen, daß gerade der flache Schlaf die meisten Träume hervorbringt – der tiefe Schlaf indes ist der traumlose Schlaf – die Schlafforschung hat das längst bewiesen. Das bedeutet: Wagners Insomnie mündete automatisch in einem neurasthenischen Traumverhalten, und den Blick auf Wagners Träume dürfen wir schon darum nicht mehr aussparen. Allzumal diese Träume, zu künstlerischem Material sublimiert, in das Wagners Werk Einzug gehalten haben – nächtliche Träume wurden zu utopisch grundierten Tagträumen – Wagner war auch der Mann, der dem kollektiven Traum eines ermüdeten Jahrhunderts zu gültigen Bildern verholfen hat. Zwar hat die akademische Wagner-Forschung diese beiden Phänomene wenn überhaupt, so stets getrennt betrachtet. 393 Doch als Cauchemar so sehr wie als Sinnbild der Kunst wurden Wagners Träume in jedem Stadium zum 392 Marcus Noll, der sich mit der Schlafbildlichkeit in den Dramen Shakespeares beschäftigt hat, kommt zu einem ganz ähnlichen Schluß. Da sein Thema von der Systematik her dicht bei dem unsrigen liegt, zitiere ich die relevanten Passagen seines Buches in extenso: "Allerdings gibt es neben dem kategorischen Imperativ einer methodisch sinnvollen Reduktion auch inhaltliche Gründe, die eine grundsätzliche Trennung von Traum und Schlaf rechtfertigen. Entscheidend ist dabei, daß der Traum zwar in der Regel den Schlaf mit seiner ausgeschalteten Bewußtseinskontrolle voraussetzt, ansonsten aber in keiner Weise darauf verweist. In den Träumen wird eine Scheinwelt aufgebaut, die entweder durch verbale Repräsentation oder Geistererscheinung auch dem Publikum vermittelt wird. Das bedeutet, daß ganz eindeutig durch sie der Gedankeninhalt des Schläfers, seine Seelenwelt thematisiert wird. Die im Traum abgebildeten Ängste, Hoffnungen, Erinnerungen oder Erwartungen sind der zentrale Gegenstand, über den Schlaf als Zustand menschlicher Existenz wird dabei kein Wort verloren; er ist lediglich selbstverständliche Voraussetzung der Traumsituation. Es wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit deutlich werden, welche Merkmale den Schlaf dazu qualifizieren, diese Funktion zu übernehmen. [...] die konkreten Inhalte und formalen Merkmale der Träume gehorchen dann jedoch Gesetzen, die zum Thema Schlaf in keiner Beziehung mehr stehen. Es ist also zwar unbedingt notwenig, den Schlaf in seiner Funktion als Medium und Realisationsgrundlage von Träumen und verwandten Erscheinungen zu analysieren, aber eine intensive Auseinandersetzung mit den auf dieser Basis entwickelten Inhalten gehört dann nicht mehr zwangsläufig in den Bereich dieser Untersuchung. Kurz gesagt ist zwar der Schlaf als Voraussetzung des Traumes vollgültiger Gegenstand dieser Untersuchung, der Traum selbst dagegen ein davon völlig losgelöster und deshalb hier auch ausgegrenzter Bereich. Um die Hierarchie noch weiter zu verdeutlichen, kann die Maxime formuliert werden: Für eine Untersuchung von Träumen ist eine Beschäftigung mit dem Schlaf als deren unbedingter Voraussetzung unerläßlich – ein Anspruch, dem bislang nur wenige der diesbezüglichen Arbeiten genügen –, bei einer Erarbeitung der Schlafbildlichkeit gibt es jedoch keinerlei Zwang zu einer Erörterung des 'Zusatzphänomens' Traum. Schlaf ist für den Traum fast immer eine conditio sine qua non, während die Träume für den Schlaf mehr oder weniger nur eine sich aus der gegebenen Grundsituation entwickelnde Aufbauverzierung sind. Aus diesem Grund kann in der vorliegenden Arbeit auf die detaillierte Untersuchung der Träume guten Gewissens verzichtet werden." [Noll, 1994], S. 15f. 393 Im Gegensatz zum Beispiel zu jener anderen Form von 'Forschung', die Wagner und seinem Werk durch das Theater zugewachsen ist. 81 Zeichen einer latenten Kreativität. In einem höchst bedrängenden Lebensmoment drückte er es selbst so aus: Mir wurde es in diesem Augenblick wie durch eine Vision klar, daß sich mein ganzes Wesen wie in zwei übereinander fließenden Strömungen befand, welche in ganz verschiedener Richtung mich dahinzögen: die obere, der Sonne zugewendete, riß mich wie einen Träumenden fort, während die untere in tiefem unverständlichem Bangen meine Natur gefesselt hielt.394 Zwei Aggregatszustände des Traums werden also bezeichnet. Kultur und Natur, wenn man so will. Auf der einen Seite wird Wagner, der Künstler Wagner, der sich im Widerspruch zur verwirrenden, dunklen Welt der alltäglichen Träume befindet, von einem hellen Fixpunkt angezogen, beginnt selbst 'hell-zusehen' – das ist ein Gedanke, den Wagner sukzessive weiterentwickeln und spätestens mit der Beethoven-Schrift 1870 theoretisch legitimieren wird. 395 Auf der anderen Seite wird die 'Natur' als eine tieferliegende Schicht der Person durch einen Zugriemen reguliert, den man aus dem Zusammenhang heraus als das 'Unbewußte' deuten könnte. 'Tiefes unverständliches Bangen' heißt es – und das ist vielleicht ein Vorgefühl für jene Erscheinung, die es zu Wagners Zeiten genaugenommen noch gar nicht gegeben hat. <Wider die Analyse> Wagners Traumleben ist demnach keine Posse und muß zwangsläufig in ein Verhältnis gesetzt werden zu dessen pathogenen Lebensumständen. Die täglichen Ab- und die nächtlichen Anspannungen waren aufeinander bezogen, sollten also auch so beschrieben werden. Liest man die letzten Seiten der Tagebücher Cosimas, so stößt man schnell auf einen Passus, den die Tochter Daniela unmittelbar nach Wagners Tod 396 dem abrupt verwaisten Protokoll nachgestellt hatte: Dort werden die letzten Träume Wagners erwähnt, einer dieser Träume wird sogar näher geschildert. Die Relevanz solcher Informationen scheint nicht eben unbeträchtlich gewesen zu sein. Die Situation selbst geradezu unheimlich – die Träume eines Verstorbenen besitzen doch einen recht eigenen Reiz. Doch Daniela katalogisierte im Grunde nur, was längst als Katalog vorhanden war. Cosimas Tagebücher verzeichnen hunderte von Träumen, hunderte von Stenogrammen jener Berichte, die Wagner über sein Traumleben zum besten gab, ja diese Hundertschaften wurden sogar angereichert durch Cosimas eigene Träume, durch die Träume der Kinder, durch wechselseitige Selbstdeutungsproben, durch Diskussionen über Spiritismus, Schopenhauerismus und Traumtheorie. Seit die Tagebuch394 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 142 395 Vgl. mit dem Abschnitt <'Beethoven'-Schrift und Traumbegriff> in Kap. II.2 396 ...den Cosima übrigens als einen schweren Erlösungsschlaf wahrgenommen hatte. Vgl.: [Perl, 1883], S. 125: "Der Kranke schien zu schlummern, Frau Cosima, welche nicht zu sprechen wagte, um den Leidenden nicht zu wecken, machte dem Doctor blos durch ein Zeichen verständlich, daß ihr Gatte nach dem Anfalle eingeschlafen sei. – Der Arzt gab sich jedoch dieser Täuschung keinen Augenblick hin und hatte sofort erkannt, daß er es hier mit keinem Schlafenden zu thun habe." Die Schlußworte des Bürgermeisters von Bayreuth bei der Beerdigung Wagners in Wahnfried lauteten: "Meister, nimm unsere letzte Liebesgabe! Schlafe wohl, schlafe bei uns wohl!" Zitiert in: [Kienzl, 1904], S. 288 82 Manuskripte 1975 geöffnet und der Forschung das erste Mal zugänglich gemacht wurden, hat dieser Tatbestand sogar einige Berühmtheit erlangt. Zu ungewöhnlich schien es, daß von nun an eine Ansicht intra muros möglich sein würde, noch dazu von einem so vermeintlich extrovertierten Menschen wie Wagner. Die Materiallage ist also überreich. Und geht man noch weiter und stellt sich vor, daß auch Inhalt und Bedeutung all dieser Träume erschlossen werden könnten, so wird sie fast erdrückend, zumindest für uns. Denn wollten wir in diesem Gebiet auch nur anfangen, die Nebel auseinanderzuschlagen, unsere Kompetenzen wären schnell überschritten. Vielleicht gerieten wir auch in Untiefen, deren Gefahren für die vorliegende Arbeit nicht einmal notwendig sind. Grundsätzlich stellt sich ja die Frage, wie und nach welchen Kriterien diese ungeheuerliche Masse von Intimitäten in den Griff zu kriegen wäre. Man mag an Freuds Traumdeutungsmodelle denken. Sie könnten hilfreich sein. Doch ob sie die Lösung aller Probleme wären, es muß gestattet sein, dies anzuzweifeln. Zumindest auf Wagner bezogen sollte es relativiert werden. Man müßte anmerken, daß Cosimas Tagebücher zwar Traumnotate vorlegen, diese aber sind nicht ungefiltert, im Gegenteil, sie scheinen in sich schon wieder kunstprogrammatisch. Dann lassen sich Wagners Alpträume natürlich nirgends trennen von dessen Kunstträumen, und selbst die Psychoanalyse hat das schöpferische Geheimnis als etwas Unerforschbares anerkannt. Wagner sagte einmal – wir werden noch darauf zurückkommen – Sinnbild und Abbild seien nicht dasselbe, auch wenn sie unter Umständen gleich aussähen.397 Ginge man folglich davon aus, daß Wagners eigene Träume eine unteilbare Entität aus alltagsrelevanten Traumsubstanzen auf der einen Seite und künstlerischen auf der anderen herstellten, so würde eine tiefenpsychologische Untersuchung hier nur so wenig erreichen wie sie erreicht, wenn sie sich allein dem Lohengrin oder dem Holländer oder dem Ring zuwendet. Das Buch Robert Doningtons hat gezeigt, zu welch Fehlurteilen eine reduktionistische Interpretation führen kann398; jüngstes Beispiel dafür ist der psychoanalytische Ansatz Slavoj Žižeks 399, der illustriert, daß Einseitigkeit in bezug auf Wagner am unangenehmsten auffällt. Vielleicht darf man es so sagen (und damit gleich eine nochmals andere Facette des Problems freilegen): Für Wagner scheint der Schlüssel zum Unbewußten nicht immer passend, weil er das zu Entschlüsselnde eigentlich von der verkehrten Seite her zu erschließen sucht. Es ist oft behauptet worden, Wagner habe Freudsche Gedanken antizipiert, und dies zu leugnen wäre falsch, nicht es zu bestätigen. Nur verdeckt dieser Hinweis auch, und zwar immer öfter mit immer größer werdendem Zeitabstand, daß Wagner tatsächlich vor Freud gelebt und vor diesem gewirkt hat. Das sind kreatürliche Bedingungen. Und zumindest sie müßten eine methodische Unruhe erzeugen, sobald erneut versucht werden soll, was in der Wagner-Forschung bereits dutzendfach versucht worden ist: Wagners Träume mit psychoanalytischem Maß 397 Vgl. mit dem Abschnitt <Traumdeutung [1]: Verhältnis Musik/ bildende Künste> in Kap. II.3 398 Siehe: [Donington, 1963] 399 Siehe: [Žižek, 2003] 83 zu messen.400 Wagner hat in einer Welt gelebt, in der jeder noch seinen eigenen Schlaf schlief. Es klärt also nicht nur die vorhandenen, sondern erzeugt auch neue Fragen, wenn man Freud rückwärtig auf Wagner bezieht oder wenn man Wagners Träume nur deshalb als prototypisches Material auslotet, weil Freud bereits in der Nähe wartet. Wolfgang Hildesheimer hat es für den Fall Mozart folgendermaßen ausgedrückt: "Er lebte in einem 'vorpsychologischen' Zeitalter, in dem man sich zwar der Seele mit zunehmender Empfindsamkeit bewußt wurde, nicht aber der Kunde von ihr, und bis zur Lehre war es noch weit."401 Zwar waren es, was Wagner betrifft, 'bis zur Lehre' nur noch rund 30 und nicht 130 Jahre. Aber doch scheinen auch viele seiner Äußerungen unbeeindruckt gewesen zu sein vom Wissen, gedeutet zu werden. Nicht selten sind es theatrale Prägungen, die in ganz anderer Richtung auf Resonanz hofften. Generell dürfte es falsch sein zu glauben, eine tiefenpsychologische Deutung wäre schon deshalb der optimale Zugang zu Wagners Träumen, weil "der Meister regelmäßig seiner Gattin [davon] zu erzählen pflegte"402, so wie Josef Rattner dies statuiert, der davon ausgeht, daß wir über 'originale' Mitschnitte verfügten. Doch für originale Mitschnitte hätte Wagner natürlich uns und nicht einer Mittlerfigur erzählen müssen, was der Inhalt seiner Träume war – das ist die technische Voraussetzung für eine Traumanalyse. Der Sachverhalt ließe sich noch zuspitzen: Daß er, Wagner, sich Cosima zugewandt hat, das hat zwar dafür gesorgt, daß uns seine Träume überhaupt überliefert sind. Aber durch Cosima wurden uns dieselben Träume auch gleich wieder entzogen. Denn Cosima träumte mit, gewissermaßen – die Übertragungsarbeit, die sie geleistet hat, muß man einen Teil der Träume nennen; eine 'Reinform' der Wagnerschen Träume kann schon deshalb nicht existieren. Ja, vielleicht "hat das Rheingold-Es des Welturgrunds mehr mit ihm [dem Freudschen Es] zu tun, als sich unsre musikalische Schulweisheit träumen läßt"403, vielleicht aber auch nicht. Wagner beschrieb sich selbst einmal als den "alte[n] Meister des 'es'!"404 und fragte: "Wie deute ich dieses kleine, so oft und immer nur flüchtig eingeworfene, scheinbar so nichts sagende 'es'?"405 Aber seine Definition charakterisiert doch eher etwas Über- statt etwas Unbewußtes: Erst wenn diess stolze Weltrauschen verstummt, in stiller Nacht, da hören wir das Rieseln des trauten Quelles, der uns diess milde, süss-einsylbige 'es' zuflüstert, und die Seele fühlt, dass diess so unaussprechlich gross und allumfassend ist, dass kein Wort, noch so gross und mächtig, es aussprechen und umfassen kann. So sagte der Bramane zu seiner zu tiefster Andacht gesammelten Seele 'om', – und keine Sprache kann diese zwei Buchstaben übersetzen, kein begriff ihre Bedeutung umfassen. Durch dieses heilige 'es' sprach mein Geistes- 400 Siehe: [Gregor-Dellin, 1980], S. 694ff., [Kröplin, 1989], S. 101f., [Rattner, 1986], S. 785ff., [Reimers, 1996], passim, [Roch, 1995], passim, [Weber, 1987], passim 401 [Hildesheimer, 1977], S. 207 402 [Rattner, 1986], S. 785 403 [Gregor-Dellin, 1980], S. 391 404 Brief Richard Wagners vom 26. 1. 1867 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936c], S. 141 405 Ebd., S. 140 84 wunsch aus weiter Ferne traut und nah zu dem schönen Helden meines Lebens, da er erwuchs und blühte, von mir geahnt, doch nicht gekannt. 406 Es hilft nicht zu wissen, daß Wagner Freuds Schriften sicher "mit höchstem Interesse gelesen und reflektiert"407 hätte, denn er hat sie nun einmal nicht lesen können, dies ist das Gesetz des Zeitpfeils. Ebenso vertan wäre die Mühe, wollte man klären, ob Wagner heute in Hollywood komponieren oder ob er die Technik eines Musical-Theaters für sich geltend machen würde. Man müßte schon mit dem Demandtschen Vokabular der 'ungeschehenen Geschichte' vertraut sein, um hier zu einer sinnvollen Antwort zu gelangen. Doch unsere Debatte kann das nicht sein. Kurz: Für Wagner gehen wir davon aus, daß erst die Traumanalyse das Traummaterial analytisch gemacht hat. Träume deuten zu wollen, deren Stoffe noch wie imprägniert scheinen gegen die Möglichkeiten ihrer Decodierung, setzt einen der Gefahr der Fehlinterpretation aus, lange bevor man zu interpretieren beginnt. Nicht das Ergebnis wäre dann diskutabel, sondern bereits die Methode, und das scheint am Ende doch eine Rechnung mit zu vielen Unbekannten zu sein. Als habe er sich selbst gegen exegetische Übergriffe in diesem Bereich bewahren wollen, notierte Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonk: "Weiss man viel von dem, was einem träumt, so deutet dies schon nur auf die Leerheit unsres Daseins im wachen Zustande hin."408 Beschränken wir uns darauf zu erwähnen, daß es die Wagnerschen Träume überhaupt gab – eingedenk dessen, daß eine 'Erwähnung' nicht sofort etwas Passives bedeuten muß. Zwar wollten wir nicht definieren, sehr wohl aber wollen wir registrieren, wenn auch nicht deuten, so doch sammeln, und auch das kann eine Erwerbsmöglichkeit sein. Im Sinne Hegels erzeugt bereits die Zitation von Träumen eine Aussage – sogar das Bild vom Geiste einer Epoche lasse sich bestimmen, heißt es sinngemäß in der Philosophie der Geschichte, sobald man die Träume versammeln würde, welche die Menschen während dieser einen Epoche geträumt hätten. Gegenüber der Interpretation besitzt also die bloße Wiedergabe sehr wohl einen Eigenwert409, der Zugriff verlagert sich nur. Und damit können einige Probleme abgewendet werden. Doch natürlich entstehen auch neue, es sind die Probleme des Sammlers: Akquise-, Verwaltungs- und Vollständigkeitsprobleme – auch auf Wagners Träume bezogen keine kleinen Sorgen. Denn sobald man versucht, das Wagnersche Traumleben erst einmal als Corpus zu begreifen, wird man konfrontiert mit der Tatsache, daß es in der Wagner-Forschung dafür noch gar keine Grundlage gibt. Wagners Träume sind repetitiv gelesen, sortiert und gedeutet worden, aber mehr als ein Bibelstechen dürfte für keinen dieser Fälle die Voraussetzung gewesen sein. Martin Gregor-Dellin ist der einzige, der überhaupt eine Schätzung vorgenommen hat. Rund 400 Wagnersche Träume, meint er, seien in 406 Ebd., S. 141 407 [Kröplin, 1989], S. 101 408 Brief Richard Wagners vom 10. 4. 1860 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 294 409 Die Traumsammlungen von Charlotte Beradt mögen dafür ein gutes Beispiel sein, und zwar mit Blick auf Wagner nicht aus historischen Gründen (sic), sondern aus methodischen. Siehe: [Beradt, 1994] 85 Cosimas Tagebüchern verzeichnet. Das ist mehr als nur eine Orientierungshilfe, doch leider wird diese Information nicht weiter differenziert, sie deckt ohnehin nur die Tagebücher ab und bleibt damit eine zwar große, aber ungefähre Zahl; in seiner WagnerBiographie (be)nutzt Gregor-Dellin nur noch die "hundert bemerkenswertesten Träume"410, um sie zu thematischen Gruppen zu ordnen. Was aber sind 'bemerkenswerte' Träume? Aus welchen Gründen wird den restlichen Fabrikaten dieser Zuspruch nicht zuteil? Was berechtigt zur Blütenlese? Philippe Muller hat 1981, also rund fünf Jahre nach Gregor-Dellin, in einer französischsprachigen Studie den Versuch unternommen, die Träume der Tagebücher zu systematisieren.411 Eine Antwort auf vorgeordnete Fragestellungen allerdings bleibt auch er schuldig. Übersetzungsprobleme machen die Traumnotate bei ihm auf andere Art nebulös, und ein Panorama über das gesamte Konvolut des Wagnerschen Traumlebens bleibt ebenfalls aus. Für eine Deutung desselben existiert nach wie vor kein Fundament. <Am Rande des Schlafs: Zu einem Register der Träume Richard Wagners> Diese Lücke zu schließen, scheint notwendig, und die vorliegende Arbeit hat versucht, der Notwendigkeit zu entsprechen. Resultat der Bemühungen ist ein chronologisches Verzeichnis der Wagnerschen Träume, das neben Cosimas Tagebüchern weitere wichtige Primärquellen der Wagner-Forschung erfaßt und sich unter genannten Vorbehalten nicht auf einen interpretativen, sondern auf einen akkumulativen Ordnungssinn beruft. Aus Gründen der Handhabbarkeit ist das Traumregister dem Anhang dieser Arbeit eingegliedert. An dieser Stelle jedoch seien ein paar jener Hoffnungen formuliert, die mit ihm auf den Weg geschickt werden. Zunächst steht zu hoffen, daß die Quantifizierung einer Qualifizierung für dieses eine Mal in nichts nachsteht. Mit Zahlen zu bramarbasieren war keine Absicht, doch konnte auch wieder nicht gelten, daß Weniger mehr ist. Lichtenberg sagte einmal: "Aus den Träumen der Menschen, wenn sie dieselben g[e]nau anzeigten, ließe sich vielleicht vieles auf ihren Charakter schließen. Es gehörte aber dazu nicht etwa einer sondern eine ziemliche Menge."412 Von daher mag eine Bestandsaufnahme wie die vorliegende in sich eine 'sportliche' Note haben. Es mußte mit Zahlen gemessen werden. Doch nicht zwingend ist das Ergebnis deshalb schon schnelle Ware. Die Träume besitzen zwar historische Evidenz, eine historische Materialität jedoch besitzen sie nicht. Sie in eine Chronologie zu bringen, ist die Summe vieler Entscheidungen – ein langsamer und nicht eben wettbewerbstauglicher Prozeß. Von der Quantität zur Vollständigkeit: Mit insgesamt 527 eingetragenen Träumen scheint der Pegel dessen, was bislang an Traummaterial zur Verfügung gestanden hat, merklich gestiegen. Von 421 Träumen ging noch Philippe Muller aus, und zwar nach einigen recht sorgfältigen Rubrizierungen (vgl. Abb. 28). Doch natürlich wird eine Zählung je aufwendiger (und merkwürdigerweise auch je wählerischer), desto schwie410 [Gregor-Dellin, 1980], S. 694 411 Siehe: [Muller, o. J.] 412 [Lichtenberg, 1984], S. 16 86 riger ihre Grundlagen zu beschaffen sind. Verläßt man erst einmal den wohlgeordneten Innenraum der Wagnerschen Tagebücher, so wird klar, wie wichtig zeitliche und räumliche Fixpunkte für die Kartierung von Träumen sein können. Dazu kommt, daß Wagner Vielschreiber war, man weiß es, und es ist für einen Einzelnen nach wie vor unmöglich, all das zu sichten, was die Primärliteratur für die Forschungsgemeinschaft bereithält. Vieles ist generell vorhanden, vieles also auch speziell für Wagners Träume. Das lehrt nicht nur der Umgang mit dessen Gesamtwerk, es ist folgerichtig. Briefwechsel, die Autobiographie, tagebuchähnliche Aufzeichnungen, all das sind Ressourcen, die eine Schar von bislang unkommentierten Traumnotaten vermuten lassen. Von daher entspricht die Situation einem produktiven Widerspruch: Etwas zu finden, bedeutet gleichzeitig Glück und Verdruß. Glück, weil sich alte Forschungslücken schließen lassen, Verdruß, weil sich für den Einzelnen nur mehr benennen läßt, wo diese offenbleiben müssen. 413 Konkreter: Aus ökonomischen Gründen konnten hier die meisten jener Quellen nicht berücksichtigt werden, die sich als 'Primat epigonaler Literatur' bezeichnen ließen. Dahinter verbergen sich Nachrichten über Wagner, geschrieben von Freunden, Bekannten, Verehrern und Verächtern an Freunde, Bekannte, Verehrer und Verächter – Briefe, Zettelbotschaften, Meinungen und Empfindungen also, die nicht immer tiefgründig sein müssen um repräsentativ zu wirken – Erinnerungsspeicher, die wie Satelliten um ein Zentrum kreisen und darum erfahrungsgemäß viel O-Ton, viel Wertvolles für unser Thema enthalten. Noch ergiebiger allerdings schien es (und rechnungstechnisch am Ende auch gescheiter, sofern man in Gewinnanteilen denkt), all diejenigen Schriftwechsel durchzusehen, an denen Wagner selbst beteiligt war. Hierarchische Gründe trugen zu dieser Entscheidung bei, die – zugegeben – nicht eben leicht fiel. Wagners Korrespondenzen 'umfangreich' zu nennen, ist ein Euphemismus – Myriaden von Briefen und Privatnotizen stellen für die WagnerForschung längst ein eigenes Forschungsfeld dar. Doch wie sich zeigen sollte, war es richtig, zunächst eine Sichtung der relevanten 'sekundären Primärliteratur' vorzuneh413 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß Wagners Schriften und Briefe seit dem Jahr 2004 als CD-ROM vorliegen (siehe: [Wagner, 2004] ), denn gerade diese Form der Publikation scheint zu verlockend zu sein für flächendeckende Kartierungsarbeiten und hilfreich somit auch für das vorliegende Traumregister. Doch die Vorteile, die der Wagner-Forschung durch ein Digitalisat insgesamt zuwachsen, konnten für unseren Fall nur mit Einschränkungen gelten. Warum? Zunächst ließen sich die letzten Korrekturen am Traumregister, das de facto bereits 2001 abgeschlossen war, nur im Einzelfall aus der digitalisierten Schriftensammlung ableiten. Eine umfassende Angleichung unterschiedlicher Brief- und Werkausgaben hätte mehr von jener Zeit gekostet, die eigentlich durch Volltextsuche, Schreibweisentoleranz und Hyperlinks gespart werden sollte. Zum zweiten erfaßt die CD-ROM nicht alle Werke und nicht alle Briefwechsel Wagners. Das mag aus Sicht der Herausgeber unausweichlich gewesen sein, ist aber um so bedauerlicher für diejenigen, die an der Peripherie der Wagner-Forschung interessiert sind. Zum dritten, und dies ist wohl auch der entscheidende Punkt: Nicht immer ist der schnelle Zugriff der verläßlichere. Ein Traum ist zentrumslos, er fluktuiert, er erwächst und erhält sich nur durch den ihn umgebenden Kontext, sowohl wenn er geträumt, wie auch wenn er beschrieben wird. Methodisch hingegen ganz anders die Digitalrecherche: Sie muß Grenzen definieren, sie muß Bedeutungen komprimieren, sie muß Losungsworte verengen, und das wiederum impliziert: Die Suchfunktion 'Traum' vermittelt uns nicht zwingend an einen eben solchen weiter. Mit dem Aufruf eines Stichwortes ist es nicht getan. Umwege müssen gegangen, Abkürzungen vermieden werden. Denn hier führt ausgerechnet der kurze Weg in die Irre, nicht der lange. Will sagen: Um einem Traum nachspüren zu können, muß eine Form des Gedächtnisses ausgebildet werden, die einer rechenbasierten Effizienz diametral entgegensteht. Ohne Zweifel ist es eine unschätzbare Hilfe, daß Wagners Schriften nun elektronisch verfügbar sind. Doch das neue Hilfsmittel kann nicht überall zum Stilmittel werden. 87 men. Denn die meisten der bislang nicht notierten oder bekannten Träume entstammen diesen Kontingenten.414 Insofern läßt sich behaupten, daß der überwiegende Teil der Wagnerschen Träume nunmehr erfaßt ist. In ungeprüften Quellen sind lediglich noch einzeln verstreute Traumstenogramme zu erwarten. Unter der Prämisse, daß 'Vollständigkeit' eine Größe ist, die sich sogar philosophisch anzweifeln ließe, erheben wir Anspruch auf 'vorläufige Vollständigkeit'. Ziel war es, daß das vorliegende Traumregister ebenso solide wie transparent ist. Wenn zukünftige Ergänzungen keine Schwierigkeit hätten ihren Platz darin zu finden, wäre zumindest eine Hoffnung erfüllt. Daß es im ganzen auf ähnliche Art verfänglich ist, ein Ordnungsschema für Träume zu entwerfen, wie es verfänglich ist, Träume zu deuten, liegt auf der Hand. Einige nicht zu leugnende Schwierigkeiten seien deshalb vorgestellt – sie sind exemplarisch für die Darstellungsmodi der Wagnerschen Träume und ohnehin dienlich für das Verständnis des Registers. Da ist zunächst der Entschluß zu erklären, weshalb wir die Träume überhaupt chronologisch über ihre Eigendaten und nicht, wie Muller zum Beispiel, über die Daten derjenigen Quellen erschlossen haben, die auf sie verweisen. Die zeitliche Festlegung, das Aufspüren eines Traums innerhalb einer historischen Biographie kostet ja einige Mühen und kann nicht einmal immer mit Erfolg abgeschlossen werden; jeder erreichbare Literaturverweis müßte also erhalten bleiben. Einem Traum hingegen nachträglich ein Datum zuzuschreiben, scheint konstruiert, selbst wenn dieser Vorgang quellentechnisch abgesichert ist und es sich dabei in den meisten Fällen um Rechnungen ohne Unbekannte handelt. Jedoch: Mullers Verfahren zeigt, daß Verwerfungen entstehen, je weiter Traum und Traumnotat zeitlich auseinanderfallen. So wird es bei ihm etwa an all jenen Stellen unmöglich, ein chronologisches Ordnungsmuster auszusieben, an denen innerhalb des Quelltextes einem einzigen, fixen Datum mehrere Träume subordiniert sind, die keineswegs alle auf dies Datum allein, sondern auch auf verschiedene frühere Daten treffen. Gleichzeitig dezimiert Muller gesuchte Informationen, wo er hinter einem einzelnen Vermerk nicht mehr als eine Dimension vermutet. Beispiel: Cosimas Tagebücher, Mai 1879. Muller zählt für diesen Monat insgesamt 7 Träume, 16 jedoch sind erwähnt. Wie das? Am 17. Mai notiert Cosima neben einem von Wagner selbst explizierten Nachttraum noch "mindestens 8 unruhige Träume"415, die inhaltlich allerdings nicht weiter bestimmt werden. Muller zieht diese vermeintlichen Imponderabilien sofort zu einem unindividuellen und 'virtuellen' Eintrag zusammen und/ oder unterdrückt ihn dann in der Gesamtzählung. Vernünftiger jedoch scheint es, auch die Stauung der Morgenträume verifizierbar zu halten. 416 Für Wagner sind sie 414 Sollten im Register wichtige Schriften vermißt werden, so deutet dies nicht darauf hin, daß sie nicht geprüft wurden, sondern darauf, daß in ihnen keine Träume Wagners notiert sind! Das gilt zum Beispiel für den Königsbriefwechsel, interessanterweise auch für die Briefwechsel Wagners mit Judith Gautier oder Hans von Bülow. 415 TB vom 17. 5. 1879. [Wagner, 1977], S. 351 416 Selbst wenn es sich immer um denselben Traum gehandelt hätte, wäre dies wohl vernünftig gewesen. Man könnte Nietzsche zitieren, der seinerseits Pascal zitierte: "Pascal hat Recht, wenn er behauptet, dass wir, wenn uns jede Nacht derselbe Traum käme, davon eben so beschäftigt würden, als von den Dingen, die wir jeden Tag sehen". Wahrheit und Lüge. [Nietzsche, 1988m], S. 887 88 charakteristisch, für den vorliegenden Fall gehen sie sogar eindeutig auf einen neurasthenischen Schub zurück, wie der Kontext ergibt. Kurz, Muller zählt die Einträge und nicht die Träume. Gewissermaßen ist er mehr an der literarischen Ableitung interessiert als an deren Vorlage. Doch beließe man die Traumnotate tatsächlich in den von Cosima vorarrangierten Gruppen und führte sie nicht mehr auf ihren ursprünglichen Zeitpunkt zurück, so gingen wertvolle Traumdaten verloren – Daten immerhin, die für die Interpretation eines bestimmten biographischen Zeitraums maßgeblich sein könnten. Wir selbst sind von daher davon ausgegangen, daß Wagners Träume als eine Art doppelte Lebensführung erkennbar bleiben (oder werden) müssen. Quellenvermerke sind den Traumdaten bei uns nicht über-, sondern unterordnet. Das Traumregister versteht sich als Konkordanz zu einer Biographie, deren Dynamik sich gewiß nicht nur aus dem Täglich, Allzutäglichen ableitete. Eine strategische Komplikation bei einem solchen Register war, ist und wird sein, daß Träume Inhalte ohne Form sind (wie übrigens auch die Musik, die laut Wagner einem Traumbild ähnele, wir werden noch darauf zurückkommen417). Träume lassen sich durch nichts fixieren, sie sind reibungsloses Material. Selbst sprachlich werden sie im Grunde nicht nach-, sondern neugeschöpft. Die Frage also, wann der exakte Zeitpunkt eines Traumes ist, ob er zum Beispiel noch in die Zeit vor oder schon nach der Mitternacht, ob in den Morgen oder den Nachmittag fällt, scheint fast unzumutbar oder zumindest sinnwidrig, und wer sie beantworten muß, kann dies nie zur vollen Zufriedenheit tun. Das ist ein Manko, und zwar in zweierlei Richtung. Für Wagner können wir auf der einen Seite nichts mehr rekonstruieren. Was nicht geschrieben steht, ist unweigerlich verloren, das gilt für die Träume noch mehr als für alles andere. Außerhalb der Tagebücher Cosimas war darüber hinaus von kaum einer Quelle die erforderliche Liebesmüh in bezug auf zeitliche Determination zu erwarten. Ja selbst Cosima ist bei aller Genauigkeit nicht immer genau genug gewesen. Auf der anderen Seite besteht selbst die Schlafforschung auf einer Differenzierung zwischen Tag- und Nachtträumen – von den zeitlichen Schwankungen sind vor allem die Trauminhalte abhängig. Das Problem spitzt sich zu, denn das theatrale Moment, das jedem Traum durch seine Beschreibung zuwächst, schließt physiologische Präzision aus. Und wo physiologische Präzision herrscht, ist eine Beschreibung nicht möglich. Wie konnte ein Traumregister dennoch zu einer akzeptablen Ordnung gelangen? – Nur durch Sorgfalt, und zwar nicht dort, wo sie unerreichbar, sondern dort, wo sie erreichbar schien. Die Kennzeichnung der Träume erfolgt jetzt über je einen Datumsvermerk, der anzeigt, ob man es mit einem Nacht- oder einem Tagtraum zu tun hat. Hinter dem Eintrag Nr. 411/ '7. Nov. 1880' z. B. verbirgt sich ein Morgentraum – die entsprechende Quellenangabe verweist auf Cosimas Tagebuch, in dem es unter derselben Datumsangabe heißt: "Erst in der Früh schlummert R. ein und träumt wild, daß Fidi in's Wasser gefallen sei."418 Eine alternative Form der Notierung erfaßt für das Register einen größeren 417 Vgl. mit dem Abschnitt <'Beethoven'-Schrift und Traumbegriff> in Kap. II.2 418 TB vom 7. 11. 1880. [Wagner, 1977], S. 617 89 Zeitraum, schließt die Möglichkeit mit ein, daß ein Traum, der erst am Morgen protokolliert werden konnte, noch in der Nacht vor dem Datumwechsel aufgetreten sein könnte. Beispiel: Cosimas Bericht vom 25. April 1870 besagt, daß "R. [...] einen wehmütigen Traum [hatte]"419 – das Notat 'verortet' den Traum nicht, weist ihn nicht zu – im Register wird deshalb der Zeitrahmen der gesamten Nacht einschließlich des Morgens durch den Eintrag Nr. 76 '24./ 25. April 1870' als Interpretationsspielraum erhalten. Hinter Doppelnennungen wie etwa im Falle der Registernummern 40 und 41, die beide auf den 21./ 22. November 1861 verweisen, verbergen sich zwei unterschiedlich explizierte Träume aus ein und derselben Nacht. Die größten Grabensprünge waren freilich immer noch bei der Frage nötig, wann ein Traum überhaupt ein Traum und wann 'nur' ein typisch Wagnerscher Halbschlafmoment, ein somnambuler Schlummer, ein Fieber, ein lautes nächtliches Sprechen, eine Vision, ein Gespenst, ein schwärmerisches Versenken, ein ungebändigter Mystizismus sei. Wann bricht der Traum in eine poetische Wendung aus, wann ist er Lebensgefühl? Was bedeutet es, wenn Wagner davon spricht, daß er vom 'Ring des Nibelungen', von 'Italien', von 'Schaffensruhe' 'träume' und wenn der Kontext uns keine Verständnishilfen mitliefert? Wie wörtlich muß man diese Formulierungen verstehen? Tatsächlich sind ja nicht nur die Grenzen zum Traum selbst uneindeutig, auch die Grenzen zwischen den einzelnen Grenzphänomenen wiederum sind nebulös. Daß ein Traum bei Wagner so unbewußt wie (halb-)bewußt sein kann, davon wird noch mehrfach die Rede sein müssen, nur bleibt für das Register das Rätsel bestehen, wie das eine einzuordnen ist, ohne das andere zu vernachlässigen. Anders gesagt: Die Problemlage kategorisch klären zu wollen, ist nicht nur bedenklich, negativ utopisch, aussichtslos, es widerspräche sogar dem Gegenstand der Betrachtung. Aus diesem Grund haben wir uns hier bemüht, Entscheidungen immer wieder neu und von Fall zu Fall zu treffen. 'Traumartige' Zustände werden für das Register tendenziell eher erfaßt als unterdrückt. Das ist eine Lösung, die sich aus dem Wagnerschen Lebens- und Weltentwurf ableiten läßt. Und hatte dies auch Einfluß auf die interne Zählung der Träume, so wurde es doch austariert von der Tatsache, daß viele Wagnersche Meldungen 'stehende', 'immer wiederkehrende' oder 'häufige' Träume benennen, Träume also, die nachträglich nicht mehr vereinzelbar sind und deshalb zwangsläufig als Gruppe behandelt und unter einem (Datums-) Eintrag abgelegt werden mußten. Jede dieser Ausnahmen allerdings wurde über die Fußnoten als Sonderfall gekennzeichnet. Daß das Register trotz allem nicht von Fußnoten und Sonderfallregelungen dominiert wird, scheint Beleg dafür zu sein, daß es insgesamt doch eine staunenswerte Periodizität in Wagners Traumleben gegeben haben muß. Die rhetorische Figur der Wiederholung behauptet sich auch hier als gestaltendes Prinzip. 419 TB vom 25. 8. 1870. [Wagner, 1976a], S. 223 90 <Ansichten von der Nachtseite> Gibt es einen Traum der Träume? Gewiß. Es ist die Vorstellung, daß Wasser zu Wein und Datenmaterial zu Text werden könne. Was Philippe Muller für die französische Übersetzung der Wagnerschen Träume begonnen hat, scheint lohnend, soweit es konsequent durchgeführt wird. Jedem einzelnen unserer Registereinträge müßte die ihm je entsprechende Quellenpassage (wieder) zugeordnet werden, so daß sich ein lesbares Inventarium ergäbe, eine eigenständige Erzählform und Kompilation, die in sich durch Stichwort- und Namenregister erschließbar wäre. Doch um es mit einem Papentrigkschen Vers zu sagen: 'Ihr Toren, nicht dem Schaume traut!/ Es trügt, was man im Traume schaut.' Nicht alles erfüllt sich sofort, und die einzige Möglichkeit, dies nicht glauben zu müssen und dem Rohbau des vorliegenden Traumregisters trotz alledem ein wenig Fleisch beizugeben, ist, an dieser Stelle einige allgemeine Inhalte zu erläutern. Zur Faustformel gezwungen könnte man sagen, daß Wagners Träume sich im Grunde nicht so stark von dessen alltäglichen Affekten unterschieden haben, wie sich das manch einer von den Träumen eines so visionären Künstlers gern vorstellen würde. Zwar verzerren diese Träume einiges an Proportionen – der Tag sieht von der Nacht aus gesehen anders aus. Aber daran ist zunächst nichts Ausbündiges zu finden. Das Maßhalten hat bei Wagner auch bei der Abwicklung der Tagesgeschäfte nicht eben zu dessen Stärken gehört. Man sollte also versuchen, moderat zu bleiben, denn zu oft schon hat sich die Hochspannung der Exegeten auf das Produkt der Exegese übertragen. Unmittelbar nach der ersten Publikation der Tagebücher Cosimas, durch die ein Großteil der Wagnerschen Träume auch erstmals einer breiten Leserschaft zur Ansicht gegeben werden konnte, gab es eine eine nervöse Ergriffenheit und Schwemme von Interpretationen, die in diesen Träumen eine neurotische Berserkerwut, eine Form von gefühligen Monstrositäten und Egotismen zu sehen glaubte. Gregor-Dellin selbst, der neben Dietrich Mack für die Veröffentlichung verantwortlich gezeichnet hatte, zentrifugierte das Traummaterial in große 'Komplex'-Gruppen, in denen sich Wagners nächtliche Projektionen als eine Ansammlung von 'eitlen Träumen', 'Sühneträumen', 'Feigheits-, Angst- und Fluchtträumen', 'Schulden- und Verlustträumen' wiederfanden.420 Rattner gruppierte in "Größenkomplex"-, "Schuldkomplex"-, "Eifersuchtskomplex"- und "Angst- und Unheimlichkeitsgefühl"-Träume.421 Ebenso Kröplin, der die Zusammenfassungen zusammenfaßte und damit bestätigte. 422 Was aber noch vor rund 30 Jahren zu einem psychoanalytischen Strudel führte, weil das 'wahre' Charakterbild Wagners plötzlich wie hinter einem lange gepflegten Firnis sichtbar zu werden schien, wird man heute kühler beurteilen wollen. Denn die Schematisierungen, die vorgenommen wurden, sollten zwar den Helden in Wagner entmystifizieren, doch im Umkehrschluß stilisierten sie diesen in einer Art und Weise zum Herrn über tausend Nöte, daß aus den kleinen Gesten plötzlich doch wieder die große Gestik wurde. Man 420 Nach: [Gregor-Dellin, 1980], S. 694ff. 421 [Rattner, 1986], S. 786 422 Siehe: [Kröplin, 1989], S. 102 91 wollte mikroskopisch sein, nahm aber den Ausschnitt fürs Ganze. Ein Verfahren, das aus Dienstwilligkeit entsteht und in der Humorlosigkeit endet. Für unseren Geschmack sind Wagners Träume deshalb zunächst einmal Petitessen des Alltags in verfremdeter Wiederkehr. Es sind glaubwürdige Träume. Träume, die jeder bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar finden dürfte, ohne sogleich dem Deutzwang zu unterliegen. Man könnte gelten lassen, daß sie in sich bereits eine Deutung darstellen und erst einmal gar keine externe Deutung erforderten. Ein flammender Zahn, das Bild des erblindet-vernarbten Sohnes, ein zerrissenes Wildtier, Bilder wie diese geben in Wagners Träumen noch die symbolisch trächtigsten Parabeln ab und hätten deshalb nicht für fundierte Erregung sorgen müssen. Nirgends gibt es ohnehin den großangelegten Ranküneplan, nirgends explosiv surreale Gebilde, nirgends psychodelische Entgleisungen, keine Welträume, keine Weltvisionen. Alles scheint viel eher dinglich, irden, handfest – sogar Cosima, die empfindsam war bis zu Larmoyanz, kam zu dem Schluß, daß "R. eigentlich fast immer Zustände, nicht besondere [Geister-] Erscheinungen [träumt]".423 Sicherlich, sie waren flackrig, diese Träume, sie waren auch schweißtreibend, das aber war der Alltag Wagners auch. Von daher dürfte man nur schwer in Wagners Träumen etwas finden, das mehr über dessen Alltag aussagt, als der Alltag selbst. Viele Passagen gibt es in Cosimas Tagebüchern, ja selbst in Wagners Privatnotizen, von denen nicht einmal mit letzter Gewißheit zu entscheiden ist, ob sie eher der Wirklichkeit oder einem Traum zugerechnet werden müssen. Die Grenze zwischen Nah- und Fernbereich ist hier fließend, denn was in jenem verschleiert wirkt, konnte in diesem kristallklar sein. Daß neben vereinzelten Glücksvisionen und Harlekinaden auch viel Elend, viele Schrecknisse und Störfälle, wiederholt selbst einiges Infame und Abstoßende in Wagners Träumen existiert hat, kann und darf nicht verleugnet werden. Wie auch? Träume entbergen – sie sind das Sonnenlicht der Nachtseite – eine Sol niger. Betörter und Betörer, Betrogener und Betrüger, Verführter und Verführer, in seinen Träumen war Wagner all das in Personalunion, und er dürfte dort auch jenen Schaffens-, Leidensund Schuldendruck durchlitten haben, den diese Art Positionen mit sich bringen. Die Träume sind nicht nur als Einschluß, sondern auch als Einbruch in das Tagesleben empfunden worden. Faszination hängt mit Bedrohung, Verzauberung mit Malediktion zusammen. Wagner fühlte sich durchaus auch vom eigenen Existentialismus bedroht. "Wenn man sich zu Bett legt", sagte er einmal, "ist es doch, als ob man sich unterirdischen Mächten preisgebe, einem vollständigen Dämonium, das auf einen lauert." 424 Das Bett selbst wurde in dieser Hinsicht als "Ärger-Maschine"425 wahrgenommen. "[I]st denn nicht vielleicht Alles nur ein böser Traum, – ist mein Leben ein böser Traum, oder sind meine schönen Träume mein eigentliches Leben"426, schrieb er an Minna schon 1836, da war er erst 23, und doch schon tief beunruhigt von der Vorstellung, 423 TB vom 29. 11. 1872. [Wagner, 1976a], S. 603 424 TB vom 27. 2. 1871. Ebd., S. 364 425 TB vom 20. 6. 1880. [Wagner, 1977], S. 574. (Im Original auch hervorgehoben!) 426 Brief Richard Wagners vom 18. 6. 1836 an Minna Planer. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1967], S. 303 92 daß Rettung im Traum nicht immer möglich sein würde. Im selben Brief heißt es weiter: O sieh, – mein Geist ist so zerstört, daß ich Wachen u. Träumen nicht mehr unterscheiden kann. O welch' einen wonnigen Traum hatte ich diesen Morgen; [...] Du lagst, – ja, Du lagst an meiner Seite, ich [...] wollte Dich nicht wecken, weil Du zu schlafen schienst; – u. doch, nein, Dein gutes, herrliches Auge war geöffnet, [...] u. [Du] machtest mir Vorwürfe, daß ich schliefe, u. alles im Schlaf gethan hätte. Da strengte ich mich nun auch an, meine Augen zu öffnen, um Dir zu beweisen, wie wach ich sei! – Ich blickte auf u. sah – u. sah – Alles leer, öde, todt u. verlassen um mich her. – – Jawohl ich war wach, u. fühle auch daß ich es noch bin: – – es war ein Traum! 427 Keineswegs war dieser Traum also nur 'wonnig', denn vom Tag aus betrachtet war er ein negativer Sog. Wechselnden Perspektiven ausgesetzt, entlarvte Wagner die schönen Träume öfter als Scheinwahrheit und mußte sie insofern als genauso bedrohlich empfinden wie er die bösen Träume im eigentlichen als gut empfand, weil sie sich in der Realität nicht mehr behaupteten. Die Vermengung von Wachen und Schlafen war ein Topos in seinem Leben wie in seinem Werk. Mehr noch: Es gab viele Träume, die ähnlich wie der geschilderte per se um das Motiv des Schlafs kreisten. In Träumen wurde vom Träumen geträumt, von der Übernächtigung, der Bettschwere, von Ohnmachten des Wachseins und von der Schlaflosigkeit selbst. 428 Und das mag aufschlußreich sein und ein Bild dafür, daß Wagner in die Tiefe stürzte, um in die Höh' zu gelangen. Die Verdichtung allerdings, die mit dieser motivischen Bündelung zusammenhängt, dürfte weniger eine Spielart der Klaustrophilie, denn eine der Klaustrophobie gewesen sein – ein psychologischer Knoten. <Reprise: Der Traum als Konstruktionsprinzip> Jedoch: Was für den Schlaf Wagners galt, gilt am Ende auch für dessen Träume. Der 'Fall Wagner' wird aufgefangen vom 'Prinzip Hoffnung' – Abhilfe entsteht durch Kompensation. Wie den Schlaf, so stilisierte Wagner nämlich auch seine Träume, wie der Schlaflosigkeit, so trotzte er auch der Dämonie des Traumlebens denjenigen kreativen Moment ab, der aus seinem Leiden das theatrale Ereignis herausfilterte. Neben den Katastrophen gab es ebenso die Parolen des Impresarios. Seine Träume waren nicht nur schrecklähmend, sie zeigten zur gleichen Zeit, wie man mit einer Schrecklähmung umgeht. Im Alltag suchte Wagner die Welt des Schweigens und verfiel dafür ins Reden – in seinen Träumen kam er zu sich und tat es für die Augen eines Publikums. Denn daß er auch hier nach Öffentlichkeit strebte, beweist schon die Tatsache, daß er seine Träume selbst in größeren Gesellschaften zum besten gab. Die Schwelle zwischen Stube und Salon scheint in dieser Hinsicht so niedrig gewesen zu sein wie die zwischen Bett und Schreibtisch. Träumend nahm Wagner Rollen an und verteilte Rollen, grup427 Ebd. 428 Vgl. u.a. die Träume mit den Registernummern 67, 77, 84, 91, 130, 170, 210, 212, 235, 243, 244, 282, 286, 296, 320, 376, 455 93 pierte sich und andere rampentauglich, brauchte Staffage und lenkte Staffage – die Bühnenluft darf man sicher ein Requisit seiner Traumwelt nennen. Besäße man eine Kartei all jener Personen und Personengruppen, von denen Wagner je geträumt hat (und wie gerne würde man eine solche Kartei besitzen, und zwar als eine weitere Rubrik im Appendix des Traumregisters!), so wäre augenfällig, daß Wagners Nächte ein Sammelpunkt gewesen sind für eine Heerschar dramatischer Figuren aus allen Jahrhunderten, Ländern, Gesellschaften und Literaturen. Über Protagonisten, Deuteragonisten, Tritagonisten und Antagonisten entschied er natürlich selbst auf diesem Feld. Und so debattierte er träumend mit Shakespeare und scherzte kollegial mit Beethoven, Fidelio war zwar nicht der rechte Umgang, Goethe dafür um so mehr, Auftritt King Lear, der, mit dem Antlitz Hans von Bülows, bei ihm gleich wieder sterben muß, dies allerdings ohne Hoffnung auf Erlösung – Abtritt – ein türkischer Kutscher soll über einen Graben helfen, in den man dann doch hineinrutscht, Türen schließen sich, eine Klinke fällt ab, Wagner souffliert, Kaiser Napoleon berät sich mit ihm, ein namenloser Jude verliert ein Säckel – Monolog – Minna ist tot, aber nicht aus dem Leben zu verbannen, und gehörnte Tiere kommen, die Feinde zu schrecken, Rus der Hund wird zertreten, die Königin Anna von England übt verwandtschaftliche Milde, Frauen mit bestäubten Perücken extemporieren Verse, und – Finale – die letzte Kapriole – der Pöbel wird ihm doch schließlich gut, und Brünnhilde stolpert durch die Alpen, und ein prachtvoll leuchtendes Wesen schiebt die Wolken vor dem Höllentor beiseite. Wagners Gesichte hatten tatsächlich Gesichter, sehr reale sogar. Sein Theatrum mundi war die nächtliche Entsprechung der täglichen Überhitzungen. Eine Art Nachbereitungsprobe des Alltags, ein fotorealistischer Theaterprospekt, der sich Nacht für Nacht zwischen die Tage schob, um diese im Spiel wieder und wieder zu dissolvieren. Träume flossen also in Träume über wie Szenenwechsel in Aktschlüsse und Aktschlüsse in Applausordnungen. Nebenbei bemerkt: Kaum eine Nacht gab es, in der Wagner nicht von sich selbst geträumt hat. Doch wollte man einmal versuchen, dessen ungeheuerlichen Figurenfundus mit jenem Index nominum zu kreuzen, der jeder gewöhnlichen Monographie über sein Leben angehängt ist, so würde sich zeigen, daß sich die beiden Register mühelos ineinander überführen ließen. Wagner ging am Tage so selbstverständlich mit Fiktionen um wie in der Nacht mit Realien. Es mag ein Lapsus gewesen sein, doch ein Zufall ist es kaum, daß Gregor-Dellin in den Namensregistern der Tagebücher manche Eintragungen für reale Personen vorgenommen hat, die an der von ihm bezeichneten Stelle nur als geträumte Figuren auftreten. Sinnfällig auch, daß es laut einer Aussage von Bernhard Schnappauf, dem Barbier Wagners, um 1874 ein Theaterstück mit dem Titel R[ichard] Wagner's Traum gegeben haben soll, in dem sich das gesamte Personal der Werke Wagners um diesen herumgruppierte, um zu salutieren. 429 Auch auf diesem 429 Nach: TB vom 14., 15., 16. 2. 1874. [Wagner, 1976a], S. 792. Trotz eingehender Nachforschungen ist es mir leider nicht gelungen, die in der Quelle angegebenen Hinweise auf dieses besonders verlockende Stück näher zu bestimmen. Die einzige Nähe zu ihm scheint eine Zeichnung ungewisser Urheberschaft aus dem Wagner-Nationalarchiv herzustellen. Diese zeigt Wagner, wie er am Klavier sitzt und umgeben wird von einer Gesichterschar, aus der sich einzelne Werkfiguren erkennen lassen. Vgl.: [Weber, 1993b], 94 Wege scheint sich mitzuteilen, daß die Träume in ein theatrales Grundkonzept eingebunden waren. Oder schauen wir auf das Motiv der Kostümierung, des Kleiderwechsels und Kleiderverlustes, das über viele Jahre hinweg spielbestimmend gewesen ist. Oft träumte Wagner davon, daß er in schwere Vorhänge eingehüllt sei – Wiederaufnahme seiner Vorstellung eines halb zeremoniellen halb intimen Wohnkomforts –, und das wurde thematisch latent verdichtet: Eine ganze Reihe von Träumen beschäftigte sich mit Theatergewändern, Roben und Capes, die aus Bettüberwürfen und Schlafzimmergarnituren angefertigt sein sollten. Einmal träumte "R.", so schreibt Cosima, "daß ich eine große Gesellschaft gegeben, daß überall Leute wären, er sich nirgends von seiner Haustracht entkleiden konnte und ich ihm immer sagte: »Du liebst es ja so«".430 Auch hier wird noch einmal jener Widerspruch bildhaft, kraft dessen Wagner sich zu positionieren wußte – die Dramaturgie der Privatisierung folgte denselben Prinzipien wie die Rhetorik des offiziellen Wagner-Porträts; wir erinnern an den Anfang des hier vorliegenden Kapitels. Ein Traum aus Wagners letzten Lebenstagen dürfte alle diesbezüglichen Tendenzen gut zusammenfassen: Es geht um eine Sequenz, in der er in einem "violetten Schlafgewand, welches er eben anhat, in's Theater [...] in eine Loge [gegangen sei]; da habe man sich unschicklich gegen ihn benommen, er habe sich aber [...] nicht zeigen wollen und doch fast gemußt". 431 Die Parabel suggeriert, daß Privates und Öffentliches, daß der Alpdruck des Alltags und die Inkuben der Nächte tatsächlich nicht voneinander zu trennen waren – weder am Tag noch in der Nacht. Das eine hing mit dem anderen unverbrüchlich zusammen und wurde durch theatrale Impulse in gegenseitiger Abhängigkeit gehalten. Wagners Selbstdarstellungsdrang dürfte insofern nicht mehr, aber eben auch nicht weniger als eine Spielart seines "Arbeitstraumleben[s]"432 gewesen sein. Kunst und Leben seien bei ihm, so formulierte es Robert Gutman, ein "wechselseitig sich reflektierender Traumspiegel".433 Eckhard Roch: "Wo die Not am größten, da sind ihm Traum und Drama am nächsten."434 Psychologisches wurde systematisch zu Dramaturgischem transformiert (Dramaturgisches hingegen nicht unbedingt zu Psychologischem). Qua einer doppelbödigen Logik konnten die Probleme so zu ihrer eigenen Problemlösung werden. Zwischen dem erlebten und dem erzählten Traum spannt sich das Werk Wagners auf. <Stretta: Das »zweite Leben«> Die letzte Wendung des Schlafmotivs impliziert demnach, daß der Traum und das Träumen metaphorisch überhöht wurden. Cosima kündigte es an: "Der Traum hilft"435, Wagner selbst führte es aus: "Ich lebe jetzt grad' wie im Traum: es ist meine S. 252. Doch darüber zu sprechen, ist vielleicht schon zu viel. Denn mit nichts läßt sich beweisen, daß dieses Bild in irgendeiner Form auf das genannte Theaterstück Bezug nimmt. 430 TB vom 7. 5. 1874. [Wagner, 1976a], S. 815 431 TB vom 27. 1. 1883. [Wagner, 1977], S. 1101 432 Brief Richard Wagners vom 22. 9. 1865 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 221 433 [Gutman, 1970], S. 333 434 [Roch, 1995], S. 532 435 Brief Cosima Wagners vom 9. 5. 1872 an Friedrich Nietzsche. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1940], S. 29 95 einzig mögliche Cur. [...] Niemand darf mich wecken. [...] zu allem verhalte ich mich, als ob ich träumte: und dabei kann ich allmählich arbeiten."436 "Nun bleibt mir nichts mehr als das Träumen übrig: und damit helfe ich mir denn auch."437 Was in erster Instanz widersinnig erscheinen muß mit Blick auf Wagners nächtliche Malaisen, entpuppt sich in der zweiten Instanz als Gegensatz wiederum dazu: Die bedrängenden Nachträume wurden zu befreienden Wachträumen. In der Tat heißt es: "[A]lles Erfreuliche im Leben ist wie ein guter Traum in einem bösen Schlaf". 438 Aus der Sehnsucht nach Ordnung, Orientierung und Ruhe entstehen kunstvolle Visionen vom schönen Leben. Nicht unbedingt jenseits des Alltags, wohl aber doch abseits von ihm legte sich Wagner zurecht, was er an kreativer Dämonie zum Überleben nötig hatte. "Wirst Du es mir nun aber verargen", schrieb er an Röckel, wenn ich Deinem Rathe, mich von Träumereien und egoistischen Schwärmereien abzuwenden, um mich dafür dem einzig Realen, dem wirklichen Leben und seinen Bestrebungen zuzuwenden, nur lächelnd erwidern kann, und dagegen glaube, daß ich in der vollen Wirklichkeit mich viel bestimmter, bewußter und unmittelbarer zuwende, indem ich jede meiner Lebensäußerungen, selbst die leidenvollsten, nur auf jenes Ziel und seine Kundmachung verwende?439 Wie der heilende Schlaf, so wird auch der heilende Traum zu einem Teil der Wagnerschen Kunstkonzeption. Jener katalytische Kunstgriff, der zuvor aus der Schlaflosigkeit schöpferische Kräfte und aus einem Status quo einen Status nascendi freigesetzt hatte, wird auf das Träumen übertragen. Wieder durchläuft Wagner zunächst eine konkrete Leidens-, dann eine abstrakte Läuterungsphase. Kröplin spricht von dessen 'zweitem Leben', welches über den Traumbegriff etabliert würde, ebenso davon, daß das "rückwärts träumende Ausweichen[...] vor der Gegenwart [...] bei Wagner umgekehrt [wird]: [...] der Traum wird nun zum eigentlichen Leben."440 Die überraschende Verwandlung führt, wie im Theater, zur Katharsis – Schlaf und Traum werden zu einer praktikablen Form der "Erlösung". 441 Und so – muss ich mir das ganze Leben zum Traum machen! Es wird gehen, und ich werde alle meine Werke schreiben, wenn ich nie aus meinem Traume über die Welt gerissen werde. Ich darf ihre Wirklichkeit nicht wahr sehen: ich kann nicht mehr. Aber – 436 Brief Richard Wagners vom 3. 9. 1865 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 220 437 Brief Richard Wagners vom 10. 4. 1860 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 294 438 Zitiert in: [Glasenapp, 1911], S. 372 439 Brief Richard Wagners vom 26. 1. 1854 an August Röckel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1894], S. 32 440 [Kröplin, 1989], S. 7 441 Religion und Kunst. [Wagner, 1883d], S. 319 96 im Traume nimmt sie sich erträglich aus, und der Traum Zustand selbst ist schön, eben weil er Traum ist. 442 Der Alltag wurde also gewissermaßen mit der Aura des Traumhaften versiegelt, und mit Kröplin ist zu sagen, daß natürlich auch allen Wagnerschen Werken "unübersehund unüberhörbar[...] [der] Stempel traumatisch-dramaturgischer Strukturen auf[geprägt ist]".443 Schon in einzelnen Abschnitten der Entstehung der Nibelungen begriff Wagner seine Zeit als sonderbaren 'Traum', die Periode der Parsifal-Komposition war ihm ein "heiliger Traum"444, den Tristan verfertigte er im "träumerischen"445 Venedig in einer "lebendig gewordenen Traumwelt". 446 Alle Tristan-Proben dünkten ihm ein "Zaubertraum [...,] das Gefühl des Traumes verließ mich nie".447 Entsprechend hatte ihn die Verbindung zu Mathilde Wesendonk das "traumartige Vergessen aller Gegenwart gelehrt"448; bei einem späteren Besuch im Zürcher Asyl blickte er "wie aus einem Traume in einen Traum"449 darauf zurück. Traumartig ohnehin und wie ein 'Märchentraum' schien der Lebensabschnitt mit Cosima – "»Das Leben ein Traum! Wir träumen ein Leben [...].«"450 Wagner und Cosima kamen sich selbst oft vor "wie abgeschiedene Geister". 451 Und eine 'Traum- und Zauberwelt' war auch Tribschen, von 'träumerischer Heiterkeit' die frühen Bayreuther Jahre, Siegfried, der Sohn, konnte nur ein 'schöner Traum', König Ludwig II. ein 'Göttertraum' und das Menschenschicksal am Ende kaum etwas anderes als ein 'Traumbild' sein. "Wie mir nun ist? Nach dieser Zeit!! Gewiß, noch wie im Traum."452 Hermetisch wurde die Innenwelt gegenüber der Außenwelt abgeschirmt und im Sinne der romantischen Programmatik zum 'offenen' Raum stilisiert. In der Enge suchte Wagner die Weite. Alle Fluchtlinien gingen nach innen. In seiner kleinen Erzählung Ein deutscher Musiker in Paris, die man wohl biographisch lesen darf, heißt es an einer Stelle, daß "ich schwankenden Schrittes das Asyl meiner Träume verließ. Auf der Schwelle des Gebäudes stürzte ich zusammen".453 Das Bild scheint symptomatisch. Denn das Scheitern erfolgt hier genau an jenem neuralgischen Punkt, durch den der geborgene Innen- wieder mit dem bedrohlichen Außenraum in Rapport gesetzt wird. "[I]ch kann nur noch träumen und schaf- 442 BB vom 3. 9. [1865]. [Wagner, 1988b], S. 78 443 [Kröplin, 1989], S. 103 444 BB vom 26. 10. [1865]. [Wagner, 1988b], S. 92 445 Brief Richard Wagners vom 25. 3. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 81 446 Tagebucheintrag Richard Wagners vom 12. 10. 1858 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard Briefe>, 1915], S. 139 447 Brief Richard Wagners vom 26. 9. 1865 an Eliza Wille. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1935], S. 91 448 Tagebucheintrag Richard Wagners vom 4. 4. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 155 449 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 600 450 TB vom 22. 2. 1879. [Wagner, 1977], S. 308 451 TB vom 8. 5. 1879. Ebd., S. 345 452 Brief Richard Wagners vom 18. 5. 1864 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 158 453 Zitiert in: [Glasenapp, 1905a], S. 336 97 fen"454, insistierte Wagner jedoch und verteidigte seinen Kernbezirk – die Verkapselung diente am Ende erneut der Kunst, ja der Künstler sollte ein autarker Träumer werden, unbehelligt von der nervösen Dynamik jener Bedingungen, die dem einzelnen Kunstwerk erst ihren Anlaß gaben.455 "Mein Freund, das grad ist Dichters Werk,/ daß er sein Träumen deut' und merk' "456 – das Meisterwort des Hans Sachs ist nicht zu Unrecht schon öfter auf Wagner gespiegelt worden. Es ging nicht darum, sich in den Träumen zu verlieren, es ging darum, in den Träumen zu sich zu kommen und dem ersten auch noch eine zweiten Schritt folgen zu lassen. Bereits Adorno hatte angemerkt: "[Wagner hat] lieber dem Traumdeuter als dem Träumenden sich verglichen". 457 Wagners Insomnie gebar also nicht nur schlechte Träume, auch gute, gar sonnige, goldene Träume. Träume von einer besseren Welt. Arkadische Träume. Nach dem Prinzip 'In Nacht und Elend per aspera ad astra', wie Wagner es auf der unorkestrierten Fassung seines Holländer schon 1841 notiert hatte, vermittelten ihn die Träume vom Dunkeln ans Licht – platonische Träume waren das, könnte man auch sagen, Träume des Erkennens. Er, der nach Liszt "[kühn] träumte [...], wie Dichter träumen"458, machte nicht bloß aus dem Leben ein Traum, sondern entbarg sukzessive aus dem Traum die Kunst – träumend wird das Wagnersche Werk generiert –, und die Kunst wiederum zeigte sich als ein Traum, aus welchem schließlich die gültige Welt so freigesetzt werden sollte, wie Wagner sie sich ersehnte: "»Und was ist denn die Kunst? Sie gleicht den schönen blauen flackernden Flammen, die zuweilen über dem Herd sich erheben, alles übrige aber ist Zerstörung, Vernichtung. Daß sie bildend leuchten soll während einer tatenreichen Zeit, das ist freilich der Traum.«"459 Die schönen Kunstträume wurden zu Vor- und Abbildern der Wagnerschen Gesellschaftsutopie. Denn so echt und so unwirklich wie das Utopische, ebenso scharf- und doch weichgezeichnet wie dieses, konnten sie eine Ordnung wider aller Ordnung etablieren, eine Struktur, die Wagner zum Katalysator für jene Realität wurde, die noch gar nicht bestand, aber einmal bestehen sollte. Wenn die Tagebücher verzeichnen, daß er "von den »Möglichkeiten ohne Grenzen« des Traumes"460 gesprochen hat, so mag das belegen, daß ihm die Träume tatsächlich als Vehikel in eben die bessere Welt zu taugen schienen, für die er Künstler war. Es besitzt einen tieferen Sinn, daß er das Wort vom 'Kunstwerk der Zukunft', das gar nicht von ihm selbst stammte, selbst kolportiert hat. Seine Träume schlossen das Unmögliche nicht aus, viel mehr noch waren sie ein Teil jenes Unmöglichen, das möglich gemacht werden sollte. Wagners Träume bargen revolutionäres Potential. So allerdings, wie es während des Dresdener Aufstands gewesen war, sollte es 454 Brief Richard Wagners vom 26. 9. 1865 an Eliza Wille. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1935], S. 92 455 Vgl. mit dem Abschnitt <Der Künstler, ein Träumender> in Kap. II.2 456 Die Meistersinger von Nürnberg, 3, 2. [Wagner, 1984a], S. 73 457 [Adorno, 1971], S. 144f. 458 Zitiert in: [Glasenapp, 1910], S. 443 459 TB vom 21. 12. 1870. [Wagner, 1976a], S. 328 460 TB vom 15. 7. 1880. [Wagner, 1977], S. 570 98 nicht noch einmal kommen: Es heißt, Wagner sei da auf der Flucht in einem Zimmer neben Bakunin eingeschlafen – nur für die Dauer eines Wimpernschlages – und schon habe ihn ein unbekannter Rebell wieder aufgestört – doch damit sei die Wirklichkeit tatsächlich in sich zusammen- und er selbst auf der Schwelle hinter dem Asyl seiner Träume niedergestürzt: "Wagner ermunterte sich zuerst, weckte dann Bakunin und strich sich das Haar aus der Stirn mit den Worten: »schön geträumt!«"461 Denn dieser Traum dürfte nur Gaukelwerk gewesen sein und hatte sich ja auch historisch als ein solches erwiesen. Wagners Schlaf hingegen sah eine profundere Traumwelt vor. Es ging um den "Kunsttraum"462, der den Scheinwelten des Fin de siècle die Stirn bieten sollte. <Coda: Traumstoffe/ Schnittmuster> Der "Pantoffelbürger"463, der 'Pantoffelmoralist', der 'Revolutionär im Schlafrock' – vielleicht sind all das also Zuschreibungen, die auf Wagner bezogen ihren pejorativen Sinn verlieren. Schauen wir genau hin, und zwar nicht nur auf den Zuschnitt der Träume. Prüfen und vermessen wir auch noch einmal, was von Anekdoten, Beckmessereien und Verrissen vor allem verdeckt wird und was sich schon zu Beginn des vorliegenden Kapitels vermuten ließ: Daß Wagners modische Improvisationen realiter kostüm- und sozialgeschichtliche Statements waren. Nietzsche hatte recht, als er sagte: "Wohlan! Wagner war ein Revolutionär"464, aber daß es ihm "vollkommen gleichgültig [war], ob er [Wagner] heute in andren Farben spielt, ob er sich in Scharlach kleidet und Husaren-Uniformen anzieht"465, das ließe sich spezifizieren. Tatsächlich ist aus Sicht der Kostümkunde die fast persiflageartige Zitation zeremonieller Faltenwürfe, die Reanimation gebauschter Ärmel und talarähnlicher Schultermäntel, das Verwässern der festen Formen und die Dominanz starker Farben, ja besonders die weiche, krempenlose Kappe (auch 'Toque' genannt), die den Zylinder als Sinnbild des erstarrten Bürgertums ins negative Extrem herabsetzte, eine unmißverständliche Wiederauflage der altdeutschen Tracht auf der einen Seite und der französischen Revolutionsmode auf der anderen. Die politische Sehnsucht nach nationaler Unabhängigkeit fand in der Mode allgemein ihren Niederschlag – in Deutschland war ein demonstrativer Gestus in dieser Hinsicht bereits um 1820 erkennbar, vorderhand in den Studenten- und Burschenschaftstrachten. Wagner, der nie Kommilitone war und die Studenten immer bewundert hatte, muß das früh berührt haben: Da ich zuerst als achtjähriger Knabe Studenten zu sehen bekam, hatte sich mir aus ihrem Äußeren die altdeutsche Tracht mit dem schwarzen Samtbarette, dem am nackten Hals umgeschlagenen Hemdkragen und dem langen Haar lebhaft eingeprägt. [...] Die Tracht der Landsmannschafter schloß sich im ganzen der Mode, sogar mit Übertreibung an; [sie] 461 [Glasenapp, 1910], S. 380 462 [Gregor-Dellin, 1980], S. 24 463 [Panofsky, 1963], S. 23 464 Ecce homo. [Nietzsche, 1988b], S. 288 465 Ebd. 99 zeichnete [...] sich durch Buntheit [...] aus. Der 'Comment' [...] hatte seine phantastische Seite [...]. Für mich wurde derselbe zum Begriff der Emanzipation von Schul- und Familienzwang. 466 In seiner Abhandlung Deutsche Kunst und Deutsche Politik (sic) greift er den Gedanken 1867 noch einmal auf: Der deutsche Jüngling, welcher den Soldatenrock ablegte und, statt zum französischen Frack, nun zum altdeutschen Rocke griff, galt bald als Jakobiner, der sich auf deutschen Universitäten nichts Geringerem als dem Studium des universellen Königsmordes hingäbe. [...] Deutlich spricht sich dieß in der Gründung der 'Burschenschaft' aus. 467 Ein Vergleich liegt also nahe: Der vermeintliche Luxus, den Wagner mit seiner Schlafrockmode kultiviert hatte, dürfte so viele 'incroyable' wie royale Ansprüche besessen haben. Seine Prunksucht hatte etwas von der Schwelgerei des Stutzers, der die Kleiderordnung durch Übertreibung unterwandert. 468 Daß Wagners Barett "eine verschwiegene Erinnerung [an die Burschenschaften]"469 gewesen sei (vgl. Abb. 29-31), hatte schon Gregor-Dellin bemerkt – es ließe sich ergänzen: Vielleicht war dies nicht einmal eine verschwiegene, viel eher eine ostentative Gebärde. Denn Wagner hatte sogar den 'Heckerhut' getragen, der als Abzeichen der politischen Freidenker galt und in manchen Teilen Deutschlands verboten war. 470 Doch stilgeschichtlich, das ist richtig, 466 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 26f. 467 Deutsche Kunst und Deutsche Politik. [Wagner, 1873e], S. 52 468 Notabene: Die Stutzerei und die damit zusammenhängende Differenzierung der Trachten ist als Phänomen das erste Mal im Spätmittelalter aufgetreten, zu jener Zeit demnach, auf die sich der 'altdeutsche' Kleiderkanon der Burschenschaften berief. 469 [Gregor-Dellin, 1980], S. 59 470 Stichwort 'Heckerhut': Grau, weich, breitkrempig und oft durch schwarzrotgoldene Kokarden oder Fasanenfedern verziert, die den Filz durchstachen, geht er auf den Anführer der Badischen Revolution Friedrich Hecker zurück, der im April 1848 von Konstanz aus eine republikanische Erhebung durchgeführt und die Revolution ausgerufen hatte. Es ist von daher nicht unwesentlich, daß berichtet wird, Wagner habe den Heckerhut selbst noch 1855 bei seiner Ankunft in London getragen. Vgl.: [Praeger, 1892], S. 244. Auch der Brief Franz Liszts vom 12. 7. 1853 an Richard Wagner ist in dieser Hinsicht aufschlußreich: "Mit Deinem Hut war ich nahe dran polizeiliche Schwierigkeiten in Karlsruhe zu erdulden – diese Gattung und Färbung ist speziell verdächtig und gilt für rot, obschon grau. – Ich wurde zufällig davon avisiert; nichtsdestoweniger kam ich gut weg damit bis hieher und werde stets behaupten, daß der Hut gesinnungsvoll und tüchtig sein muß, weil Du mir ihn geschenkt hast. A propos, an Deine gänzlich unpolitische Stellung und Denkungsart wollte keine von den zwei Personen, denen ich bis jetzt davon gesprochen habe, glauben." [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 305. Es steht zu vermuten, daß selbst der "ordinäre[...] Filzhut", der in einer nicht gedruckten Fassung jenes Steckbriefs erwähnt wird, kraft dessen Wagner 1849 landesweit gesucht wurde, ein Heckerhut gewesen ist. Zitiert in: [Gregor-Dellin, 1980], S. 860. Kurz, nicht nur im Nibelungenlied, auch beim Nibelungen-Dichter Wagner werden 'Kleiderstrophen' relevant, nehmen einen ganz eigenen Darstellungsraum ein. Daß es der Wagner-Forschung darum zuträglich sein dürfte, wenn diese weiter ausgedeutet und differenziert würden, kann hier nur noch einmal bekräftigt (nur leider nicht mehr eingelöst) werden. Allein der Topos des Hutes, der sich bis in das Werk, ja sinnigerweise sogar bis in das Traumleben Wagners hineinzieht und per se das Gegenstück zum Topos des Schlaf- oder Überrocks darstellt, mag an dieser Stelle zeigen, wie reichhaltig schon der Materialstand ist. Als Schutz- und Repräsentationsobjekte waren Kopfbedeckungen für Wagner von identifikatorischer Bedeutung. Ein Zufall ist es nicht, daß gerade sein Barett zum Markenzeichen wurde – übrigens schon 1876 in Bayreuth unter der Bezeichnung 'Nibelungenmütze' als Souvenirartikel vertrieben. Nietzsches Schwester, heißt es, habe Wagner das erste Mal in einem "Künstlerbarett niederländischer Malerart" gesehen, Hakel in einem 'kleinen Hauskäppchen', Praeger im 'Samtkäppchen', Devrient in einem 'braunen Sammet- 100 bestehen eindeutigere Kongruenzen. Die weichen Kragenformen, die tulpenartigen Ärmelaufschläge, der anachronistische, großfaltig schwingende Mantelrücken, Querbrustschärpen und Berlocken und überhaupt die Vorliebe für schwarzen Samt und Frisuren, die das Haupthaar weitgehend ungestuft ließen, all das wirkt bei Wagner wie die privatisierte und über Jahrzehnte hinweg stilisierte Variation auf die patriotische Tracht der Landmannschaften. Sollen die Corpsmitglieder selbst gelegentlich statt in ihren Uniformen "im fliegenden Schlafrock"471 durch die Straßen gezogen sein, so wäre das Kostüm auch hier wie bei Wagner als Sublimat einer Revolte zu begreifen, hinter deren Scheitern der Glaube bestehen blieb, daß die Umkehr tradierter Formen erreicht werden könne. 472 Das Ideal lebte weiter, es suchte sich nur andere und freilich auch gespreizte Ausdrucksmittel. Doch eine Ideologie läßt sich hinter Wagners aggressiv legerem Umgang mit Schlafrock und Hausmütze durchaus vermuten. 473 Die Kleider sind dem Körper am nächsten, und eine Hülle sind sie nur insofern sie die hautnah erlebte Geschichte jenes Menschen materialisieren, der sich durch sie zur Schau stellt. In diesem Sinn scheint sich Wagner inmitten der angeblich verspießerten Seidenwelt des Vasallen die Lust zum Barrikadenkampf erhalten zu haben. Auf ihn bezogen ist es barett', Leroy im 'Barett aus violettem Sammet', Glasenapp berichtet von einem 'türkischen Fez' für die Rigaer Zeit, Schlösser von einem 'roten Fez mit blauer Quaste' – es scheint da viele Spielarten gegeben zu haben – selbst in der Todesstunde soll Wagner eine 'Kappe' getragen haben, wie Gregor-Dellin überliefert. Stilistisch, aber nicht argumentativ das Gegenteil davon ist die Erwähnung jener Art von 'Hütung', die an den Hecker-Stil erinnert und die in Siegfried, 3, 1 als "große[r] Hut mit breiter runder Krämpe" beschrieben wird: "Wie siehst du denn aus?/ Was hast du gar/ für 'nen großen Hut?/ Warum hängt der dir so ins Gesicht?", fragt Siegfried, der 'Unbehütete'. Wotan antwortet ihm: "Das ist so Wandrers Weise,/ wenn dem Wind entgegen er geht", und Wagner selbst kommentiert die Passage: "Betz soll viel auf den Hut geben: dadurch bekommt der Wotan sein Charakteristisches, da sonst wenig anzubringen ist, der Hut muß sehr originell sein: nie setzt er ihn ab, er soll gleichsam ihm wie angewachsen sein." Brief Richard Wagners [vom Juli 1869] an Hans Richter [undatiert]. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1924], S. 32. In diesem Kontext bekommt es auch eine ganz eigene Bedeutung, daß Wagner am Tage der ersten Verabredung mit Nietzsche im November 1868 einen "Wotanshut" getragen habe, wie [Gregor-Dellin, 1980], S. 589 referiert. Denn hinter diesem wie auch hinter den übrigen Szenarien verbergen sich wechselnde Posen der Intround Extraversion. Selbst in Wagners Träumen, die von 'Kinderhüten', 'französischen Hüten', Hüten 'mit Quasten', Hüten 'mit weißen Federn', 'Reisemützen' und perückenartigem 'Aufputz' handelten, drehte sich viel um den Erwerb oder den Verlust von Kopfbedeckungen oder aber auch um Spleenigkeiten, Taktfehler, Entgleisungen und um die eigene Bildung oder Unkenntnis in bezug auf adäquate Paßformen und normative Kleiderordnungen. Der Topos des Hutes, könnte man vorläufig definieren, war sowohl biographisch wie werkspezifisch ein Zeichen nachhaltiger Verwandlungen. 471 [Wolff, 1978], S. 61 472 Vgl. mit den im Abschnitt <Contre la mode> in Kap. I.1 geschilderten Protestgebärden. 473 Und was Adorno in seinem Versuch über Wagner über Wotan sagte, scheint dies sogar noch einmal vom theatralen Standpunkt aus abzusichern: In Wotan "treten Rebell und Gott, Mythologie und bürgerliche Gesellschaft als Rebus zusammen. Wahrhaft in seinem Bilde: dem des Wanderers [...] im dunkelblauen, langen Mantel, einen Speer als Stab in der Hand, auf dem Haupte einen breiten runden Hut mit herabhängender Krempe [...]. Es ist seine Gestalt, die als bürgerliche aus Wagners Werk in die nachlebende Gesellschaft eingetreten scheint: der rüstige, ältere Mann mit Schlapphut, Wettermantel – 'Havelock' –, Vollbart und Brille als Symbol der Einäugigkeit [,...] Insignien [...] jener von Marx verhöhnten species des deutschen Revoluzzers vom Schlage des Turnvater Jahn und der Burschenschaften [...]. Der nationalistische Bart wollte der höfischen Konvention opponieren, der Schlapphut dem Zylinder, und der Havelock beruft sich auf die Natur, der er trotzt, weil man vorgibt, als Elementarwesen ihr selber zuzugehören. [...] Wotan ist die Phantasmagorie der begrabenen Revolution. Er und seinesgleichen gehen als spirits um an den Stellen, an denen die Tat mißlang, und ihr Kostüm hält zwangvoll wieder und schuldbewußt das Gedächtnis an den versäumten Augenblick in der bürgerlichen Gesellschaft fest, der sie als Fluch der verfehlten Zukunft die Urvergangenheit voragieren. [...] Sein Motiv klingt an die Schlafharmonien an, als wäre seine archaische Leibhaftigkeit schattengleich in den Traum verwiesen [...]." [Adorno, 1971], S. 126f. 101 nicht einmal ein Widerspruch, daß sich die altdeutsche Tracht im 19. Jahrhundert sogar nach und nach auf der Bühne und bei Maskenfesten als Inbegriff der 'Historie' behaupten sollte. Wagners Stoffe waren in der Tat fließend – das Neue lag für ihn nicht unter allen Umständen in der Zukunft. ________ 102 II. Zu schlafen wissen Der Schlaf als Motiv in Wagners Kunst- und Musikästhetik Geh mit der Schell herum und schlaf dabei [...]. (Aristophanes)1 "Die Kunst fängt genau da an, wo das Leben aufhört"2, so schrieb Wagner 1852 an Theodor Uhlig, dieselbe Nachricht ging rund ein Jahr später auch an Röckel: "Ja, wo das Leben aufhört, da fängt die Kunst an"3, meinte er, und wieder ein paar Wochen später wurde an Apel gemeldet: "[D]och mußte ich fühlen, daß einem verlornen Leben nichts andres als die Kunst zum Ersatze dienen kann"4 – selbst der Hang zum Fatalismus ließ sich wohl auf diese Art bewältigen. Zumindest Rigorosität ist aus den Worten herauszulesen, jene, die entsteht, wo Ordnung durch Theoriebildung erzeugt werden soll. Vielleicht ging es darum, eine Regel herzustellen, die das Regellose sortieren und kaschieren konnte: Das Leben schien ihm, Wagner, ohne die Kunst nicht denkbar, mehr noch, das Leben ließ sich offenbar allein durch die Kunst erhalten oder wäre ohne sie unwirksam geworden. Nun ist Wagner in Wahrheit natürlich so rigoros doch nicht gewesen. Denn findet zwar derselbe Gedanke auch in anderen Zusammenhängen wieder Verwendung, so dies in anderer Form. "Aber diese Kunst hängt sehr mit dem Leben bei mir zusammen"5, heißt es plötzlich 1859 in einem der großen Briefe an Mathilde Wesendonk, und all das klingt viel weicher, viel verbindlicher, viel weniger schneidend. Jetzt ist umgekehrt die Kunst nicht mehr ohne das Leben denkbar, mehr noch, die Kunst scheint sich offenbar allein durch das Leben erhalten zu können oder würde ohne es unwirksam. Mit einem Mal waren gewaltsame Übergänge verboten. Einen Bruch zwischen Kunst und Leben gab es nicht mehr. Die Praxis forderte ihr Recht. Und auch das war bedeutsam, bedeutsam genug, denn ein Meister klarer Schnitte sollte nie aus ihm werden. Insofern aber gilt auch für uns, die wir die Biographie Wagners an dieser Stelle eigentlich hinter uns lassen wollten, um uns mit Wagners Werkverständnis zu beschäftigen, daß überall Rücksicht zu nehmen ist auf die typisch Wagnersche Überblendungstechnik – man muß einsehen, daß selbst ein Nachhall zum Auftakt werden kann. Wagners Biographie läßt sich aus mehreren Richtungen betrachten. Sie kann Vorbedingung sein für das Werk wie auch ein Teil desselben; sie ist so privat wie öffentlich. Genau deshalb aber wird unser erstes Kapitel kaum ohne ein zweites auskommen. Beziehungsweise anders herum, selbst 1 [Aristophanes, 1976], S. 328 2 Brief Richard Wagners vom 12. 1. 1852 an Theodor Uhlig. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1912], S. 147 3 Brief Richard Wagners vom 8. 6. 1853 an August Röckel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1894], S. 19 4 Brief Richard Wagners vom 3. 8. 1853 an Theodor Apel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1910], S. 87 5 Brief Richard Wagners vom 29. 10. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 262 103 das zweite Kapitel sollte nicht trennen, was zusammengehört, und eine Überleitung müßte einem Glissando gleichen, das die Unterschiede zwischen Vor- und Rückwärtsbewegungen nivelliert. Die Vielschichtigkeit der Wagnerschen Kunst- und Musikästhetik wird viel besser zu verstehen sein, wenn man sie auf Wagners Biographie, ja wenn man sie vor allem auf jene Teile der Biographie rückbezieht, denen schon immer ein Öffentlichkeitsanspruch inhärent war. In der Tat ist es so, daß nicht nur Wagners private Züge im Wagnerschen Werk wiederholt, weiterverarbeitet und verdichtet worden sind. Wagners Kunstbegriff ist auch von der Ausstrahlung Wagners abhängig gewesen, von einer Projektion gewissermaßen (oder auch von einer Antizipation), die, ohne selbst konkret sein zu können, doch durch Andeutungen vorwegnimmt, was das Werk später einlöst. Was heißt das? Es heißt, daß es im Umkreis des Wagnerschen Œuvres auch einen unscharfen Bereich gibt, der weniger von dem empirisch eruierbaren Leben in Fakten bestimmt wurde, als von dem, was man schon zu Wagners Lebzeiten den auratischen Nimbus des Künstlers Wagner genannt hat. Dabei handelt es sich um einen Bereich, in dem sogar Ahnungen zu Alibis, Erwartungen zu Indizien und Legenden zu Beweisen werden können, um einen Bereich, der im Unterschied zu unserem vorigen Kapitel weniger von individuellen Tatsachen denn von kollektiven Stimmungen reguliert wird und der von der Wagner-Forschung nun schon so lange gemieden wurde, daß er längst als eigenständiges Thema hätte systematisiert werden müssen. Freilich, wissenschaftlich ist das 'gewisse Etwas' schwer markierbar. Gerade was Außenstehende, Fans und Zeitzeugen sich merken, all das also, was die 'Genieästhetik der Straße' freisetzt, wie Richard Klein dies einmal genannt hat, ist nicht immer vernünftig, sondern amateurhaft, gefärbt, verliebt oder überzogen bissig. All das muß äußerlich bleiben. Bezeichnend aber für Wagner, daß sich dahinter überhaupt ausreichend Material verbirgt. Denn per se ist das ungesicherte Urteil nicht aufschlußreich. Aufschlußreich aber ist schon, in welchem Maß und Umfeld sich dieses behauptet. Es könnte also sein, daß ausgerechnet die Sehnsucht, Wagner einmal zu 'treffen' – im guten wie im schlechten Sinn – auch eine Art dargestellt, an ihn heranzukommen. Was man 'äußerlich' nennen mag, es ist möglicherweise weit mehr als eine 'äußere Biographie', in der aufgehoben ist, was woanders verloren gegangen wäre. Zumindest handelt es sich um biographische Versatzstücke, ohne die der 'Fall Wagner' heute nicht umfassend beurteilt werden dürfte. Und siehe, Wagner als Privatmann auf der einen Seite und Wagner als öffentliche Person auf der anderen, Innen- und Außenansicht, können tatsächlich noch einmal mit neuem Gewinn aufeinander bezogen werden, sobald man den "Nachrichten glaubwürdiger Leute" auch glaubt, die über ihn zu berichten wußten, daß "»seine ganze Person [...] einen ernsthaften träumerischen Charakter«"6 gehabt habe. Was von Rienzi, der historischen Figur, überliefert ist – daß diese von "fast somnambulen"7 Kräften gewesen sein soll –, es wurde auch demjenigen zugeschrieben, der dieses Fluidum auskomponiert hat. Und dabei bleibt es nicht. Im Gegenteil, es gibt so viele Glossen, Randbemerkungen und Bescheide 6 Zitiert in: [Glasenapp, 1908], S. 156 7 [Marcuse, 1973], S. 41 104 dieser Art, daß man hier eigentlich von statistischer Signifikanz sprechen müßte. Damit allerdings rückt Wagners private Neigung zum Mystischen und Traumverlorenen um die entscheidende Nuance aus dessen intimem, häuslichem Bereich und aus der Umgebung unseres 1. Kapitels heraus. Das Innerste findet durch verwandelte Wiederkehr auch außen seinen Niederschlag – 'Wahrheit' und 'Dichtung' werden deckungsgleich – ein Vorgang von seltener Intensität, der Aufmerksamkeit deshalb verdient, weil jetzt nicht nur das datierbare Leben Wagners, sondern vor allem dessen atmosphärische Wirkung sich vor dem Prospekt seiner Kunst in Bildern des Schlafs abzusetzen scheint. II.1 V erwandelte W iederkehr [1]: Innere Biog raphie - Äußere Biographie Kunst/ Kunsttheorie <Wagner, der Träumende> Wagner sei, besonders als Musiker, mit der Magie eines Schlafwandlers begabt gewesen, so liest man es immer wieder in den Aufzeichnungen zeitgenössischer Beobachter. Ein "Magier, ein Zauberer [...mit] den Rufe[n] eines Träumenden [...und dem] visionäre[n] Blick in ein verschlossenes, fernes Paradies."8 Ein "Meister in Tönen eines schwermüthigen und schläfrigen Glücks"9, wie Nietzsche kombiniert. Cosima betont die Kraft der "magische[n] Direktion"10 Wagners, hebt die Tatsache hervor, daß, so viele Bilder auch von "R." existierten, "keines [...] einen Eindruck von dem Gesicht beim Dirigieren [gäbe]"11 und findet nicht ohne innere Verbindung sein Antlitz einmal während des Schlafs "so schön, wie er so aussah, hat er nie ausgesehen!"12 Wie "im Traum" hätten Wagners Musiker "an jeder Fiber seines Gesichtes"13 gehangen, ergänzt Glasenapp, was impliziert, daß dieses Gesicht gewiß auch traumartige Situationen zu erzeugen wußte. Er konnte "das Traumbild einer schönen Wirklichkeit [...] festbannen"14, so Cosima, und damit erfaßt sie jene träumerische und geradezu halluzinatorische Antriebskraft, die Wagner zu dem Visionsgenie gemacht haben dürfte, das er war. "Vor den Pforten 'Wahnfrieds' war mir alles wie ein Traum: nun kannt' ich den Großen von Angesicht zu Angesicht"15, erinnert sich Wilhelm Kienzl. Richard Fricke notierte, daß "die erste Probe [des Rings] [...] sich zu einem denkwürdigen Ereignis [gestaltete]", insofern man dem Meister bei seinem Eintreffen im Bühnenhaus Wotans Worte "»Vollendet das ewige Werk:/ [...] Wie im Traum ich ihn trug,/ wie mein Wille ihn wies,/ stark und schön/ steht er zur Schau;/ 8 [Huch, 1911], S. 214 9 Der Fall Wagner. [Nietzsche, 1988c], S. 29 10 TB vom 2. 3. 1876. [Wagner, 1976a], S. 973 11 TB vom 1. 1. 1879. [Wagner, 1977], S. 281 12 TB vom 17. 1. 1880. Ebd., S. 479 13 [Glasenapp, 1912], S. 47 14 TB vom 16. 11. 1880. [Wagner, 1977], S. 621 15 [Kienzl, 1904], S. 273 105 hehrer, herrlicher Bau!«"16 als Ständchen sang. Auch das gibt Auskunft darüber, daß der Traumgehalt der Wagnerschen Kunst von der Öffentlichkeit mit der visionären Anlage ihres Schöpfers assoziiert wurde. Selbst in der Sekundärliteratur findet man eindeutige Zuweisungen: Ein "große[r] Träumer"17 ist Wagner für Wapnewski, ein "Träumer"18 für Fliedner und Franken, der bereits "weltfremd gewordene Träumer"19 für Gregor-Dellin, und natürlich bleibt auch der "hohle Träumer"20 als Schmähung nicht aus. Daß im Zusammenhang damit die nicht immer freundliche Debatte um die hypnotischen Talente Wagners in dessen Charakterzeichnung hineingeschleppt worden ist, mag vereinzelt unkollegial gewesen sein, kausal allerdings scheint es richtig. Schließlich gilt die Hypnose nicht nur physiologisch als eine Form des Schlafs (landläufig zumindest), Hypnos war ja tatsächlich der Schlafgott. Und deshalb dehnt auch Nietzsche sein Wort über Wagner als 'Meister in Tönen eines [...] schläfrigen Glücks' einfach aus und meint, Wagner sei gleichfalls ein "Meister hypnotischer Griffe, er wirft die Stärksten noch wie Stiere um"21 (vgl. Abb. 32). Freilich bleibt diese (durch Dialektik erzeugte) Form der Ehrenrettung die diplomatischste aller Zuschreibungen in dieser Richtung, neben Ernest Newmans Diktum vom "hypnotic genius".22 Einem Artikel der Zukunft zufolge stand man schon weit mißgelaunter im "Bann des großen Bayreuther Hypnotiseurs".23 Viel tendenziöser noch das Urteil Carl von Ossietzkys: Wagner sei "ein tönendes Gespenst, [...] ein Opiat zur Vernebelung der Geister."24 Eduard Hanslick nennt die Sache wie immer beim Namen und faßt zusammen: Die hypnotisierende Gewalt, welche Wagner nicht bloß durch seine Musik ausübte, sondern auch durch seine Persönlichkeit allerwärts erprobte, alles niederzwingend und seinem Willen beugend, reicht hin, ihn zu einer der bedeutendsten Erscheinungen [...] zu stempeln.25 Ob durch Willensstärke oder körperliche Krisen hervorgerufen, bewußt oder unbewußt, evident scheint, daß Wagner Charisma genug hatte, um die eigene Umgebung nach Art der Schlafwandler zu regulieren: durch "intuitive[...] Sicherheit"26 und bewegte Ruhe. Und gewiß kannte er nicht nur bei sich "jenes müde Sichschieben der Seele"27, so wie wir es im vorigen Kapitel nachgezeichnet haben. Es wurde ihm auch von außen her attribuiert. 16 [Fricke, 1906], S. 23. Vgl. auch [Glasenapp, 1912], S. 199 und TB vom 1. 8. 1875. [Wagner, 1976a], S. 930 17 [Wapnewski, 1983], S. 135 18 [Fliedner, 1999], S. 67, [Franken, 1991], S. 61 19 [Gregor-Dellin, 1980], S. 449 20 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 82 21 Der Fall Wagner. [Nietzsche, 1988c], S. 23 22 [Newman, 1960a], S. 82 23 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 54 24 Zitiert in: [Wagner, 1995], S. 171 25 Zitiert in: Ebd., S. 151 26 [Kaden, 1979], S. 92 27 Nietzsche contra Wagner. [Nietzsche, 1988l], S. 417 106 <Wagner, der Wachende> Wagner also die mit allen Finten der Einschläferungskunst assoziierte, träumerische Universalbegabung. Warum ist das so bemerkenswert? Es ist so bemerkenswert, weil de facto auch das Gegenteil zutreffend ist. Das Somnolente ist bloß eine Seite des Wagnerschen Profils. Ganz andere Lobbys und Zusammenhänge nämlich sahen ihn, Wagner, wenn auch nicht weniger charismatisch, so doch viel zwingender in der Rolle des Erweckers, des Erwachenden oder Wachhabenden. Selbst Cosima hörte einmal einen Hahn vor ihrem Fenster "ganz deutlich [...] nach dem Erwachen [...] drei Mal Richard Wagner rufen."28 Galt sein Gesicht eben noch als 'magisch', so schreibt sie jetzt, daß es beim Dirigieren wie "eine elektrische Batterie"29 auf andere wirke, was denkbar große Gegensätze sind, sobald man über die Lichtmetaphern nachzudenken beginnt, die da hinein- oder gerade nicht hineinspielen. Aber auch Siegfried Wagner spricht in seinen Lebenserinnerungen über das "Elektrisierende"30, das sein Vater besonders als Dirigent erzeugt habe, Guy de Pourtalès nennt Wagner in derselben Funktion den "Erwecker"31 der Instrumente – gut möglich, daß die Widersprüche zwischen metaphysischen und mechanistischen Phänomenen hier gerade im Sinne Wagners noch der romantischen Naturphilosophie und/ oder Schopenhauer verpflichtet waren. So wenig nämlich Siegfried Wagner das Vorhandensein einer "Seele"32 anzweifelte, so gewiß hatten auch die Romantiker den Schlaf als "magische[n] Raum"33 empfunden. Aber sie begriffen weder Mesmers magnetische noch Galvanis oder Ørsteds elektrische Experimente als Gegensatz dazu. Das Seelische schloß bei ihnen die Technizismen nicht aus, Jean Paul hatte vom "zarte[n] elektrische[n] Licht der Träume"34 gesprochen. Und wem auch das eine seltsame Vorstellung scheint, der findet vielleicht doch Wagners Tristan in der Deutung von Christoph Marthaler und Anna Viebrock plausibel, der auf "auf elektrische Art und Weise"35 und mit Hilfe von Ring-Lampen, Leuchtstoffröhren und einem Lichtkonzept erzählt wurde, das von den Elektroanlagen des Bayreuther Festspielhauses inspiriert gewesen sein soll: Die 'Nacht der Liebe' fand in einem helleuchtenden Wartesaal statt. Wagner zumindest hätte sich nie daran gestört, daß die Grals-Lämpchen für den Parsifal von Siemens stammten. Insofern scheint es nur 'historisch korrekt' zu sein, wenn selbst Glasenapp von einem "Zauber" spricht, den Wagners "elektrisierender Einfluß auf alle Musiker und Sänger"36 gehabt habe. Gottfried von Böhm berichtet schließlich, daß einer seiner Kollegen nach einem Gespräch mit Wagner so von diesem eingenommen gewesen sein soll, daß er zwei Nächte 28 TB vom 17. 10. 1881. [Wagner, 1977], S. 809 29 TB vom 1. 1. 1879. Ebd., S. 281. Die Eintragung stammt übrigens aus dem Jahr, in dem Edison die Glüh- lampe erfunden hat. 30 [Wagner, 1923], S. 34 31 [Pourtalès, o. J.], S. 73 32 [Wagner, 1923], S. 34 33 [Loos, 1952], S. 274 34 [Jean Paul, 1963], S. 241 35 [Schreiber, 2005], S. 14 36 [Glasenapp, 1911], S. 676 107 nicht habe schlafen können. 37 Denkbar, daß hier ein ungedämmter 'Lichteindruck', vielleicht sogar eine Form von 'Strahlkraft' zu so starker Wirkung geführt hat. Sogar König Ludwig II., der ja für sich selbst ab und zu die Rolle des Sonnenkönigs in Anspruch nahm, nannte Wagner die "Leuchte des Lebens"38 und gestand, nur "einem Funken" gleich sein zu wollen, der "sich sehnt in Ihrer [Wagners] Strahlensonne aufzugehen". 39 Diesem Eindruck gesellt sich das Urteil bei, Wagner sei "ein Stück Morgenröte"40, wie Koffkas Theaterzeitung es ausgab. Im Grunde sei er "der rechte Weckrufer"41, und zwar der "Weckrufer" einer "neuen Welt"42, zumindest der "Erwecker[...]"43 der deutschen Heldendichtung oder der "Wiedererwecker germanischer Mythologien"44 gewesen. Sein "Erweckungswerk[...]"45 habe "die Welt [...] aus der nebelhaften Sage zu neuem Leben erweckt". 46 "Neu klangen seine Fanfaren, er weckte sein Zeitalter auf."47 "»Ich vertraue hierfür vor Allem auf den Geist der deutschen Musik, weil ich weiß, wie willig und hell er in unseren Musikern aufleuchtet, sobald der deutsche Meister ihnen denselben wachruft«"48, so prophezeit es Wagner neben den anderen sogar sich selbst in seiner Rede zur Grundsteinlegung des Festspielhauses. Es ist deshalb kaum zu übersehen, daß all diese Konnotationen auch hier wieder etwas mit jener Utopie von einer neuen Welt und einer neuen Kunst zu tun haben, für die auch Wagner sich stark machte, und noch weniger ist zu übersehen, daß man eigentlich annahm, er, Wagner, der den Schlaf- ja bereits als Revolutionsrock zu tragen verstand, könne dem müden Deutschen Michel höchstpersönlich auf die Beine helfen. Zu viele jener Metaphern, mit denen man Wagner ideologisch festzulegen suchte, hängen mit den politischen Hoffnungen Deutschlands vor und um 1871 zusammen. Solange sich freilich Wagners "arkadischer Traum"49, der "Traum vom Reich"50, nicht in der Realität manifestieren ließ, so lange mußte er noch mit dem Schlaf etwas zu tun haben – besonders nach der gescheiterten Revolution von 1848 empfand man in Deutschland die nationalen Bestrebungen wie 'in fesselnde Bande' gelegt. Cosima erinnert sich in einem Brief an Richard Strauss: "Ja, die lieben Deutschen! Der gute schnarchende Michel! Er ist über Nacht um alles gebracht worden."51 Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verdichten sich die Bilder des Schlafs regelrecht zu einem Topos. Das Deutsche Wörterbuch 37 Nach: [Böhm, 1922], S. 325 38 Brief Ludwigs II. vom [11. 12. 1864] an Richard Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936b], S. 42 39 Ebd., S. 41 40 Zitiert in: [Glasenapp, 1910], S. 85 41 [Porges, 1896], S. 1 42 [Glasenapp, 1908], S. 74 43 [Wedel 1837], S. 191 44 [Wagner, 1998a], S. 207 45 [Glasenapp, 1908], S. 267 46 [<Doepler>, 1900], S. 459 47 [Weber, 1987], S. 58 48 Zitiert in: Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 390 49 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 262 50 [Wapnewski, 1983], S. 140 51 Brief Cosima Wagners vom 15. 3. 1893 an Richard Strauss. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1978], S. 151 108 stellt heraus, daß man den Begriff 'Traumland' vor allem mit Bezug auf Deutschland zu verstehen habe. 52 Das Märchen vom schlafenden Schneewittchen oder das von Dornröschen oder auch die Sagenwelt um den Kaiser Barbarossa, der im Kyffhäuser schlummert, bis daß Deutschland "zu neuer Herrlichkeit erblüht"53, all dies sind "mythische Kürzel [und] vaterländische Symbole"54, die "den langen Schlaf [...] des Reiches [...] verbildlichen".55 "Sie [Rotbart und seine Soldaten]", schrieb Heine im Wintermärchen, "sind gerüstet von Kopf bis Fuß,/ Doch all diese Braven,/ Sie rühren sich nicht, bewegen sich nicht,/ Sie liegen fest und schlafen". 56 Sogar Wagner hatte sich in ein paar schwachen Momenten gefragt: "Wo ist Unser Deutschland?"57, "still und lautlos träumt[...| [es] in sich fort, ungehört, unverstanden"58 und liegt "in eine[m] langen Winterschlaf". 59 Was mancher gern als "edle Ruhe der Seele" bezeichnet hätte, es war nichts anderes als "deutsche Schlafmützigkeit". 60 Und kaum besser ließ sich diese Situation mitteilen als durch die Figur des Deutschen Michel. Ein Nachfahr des Hl. Michael und Inbegriff zunächst für den gutmütigen, aber unbeweglichen deutschen (id est deutschsprachigen) Menschen, dann für die Zurückgebliebenheit des deutschen Bürgertums, machten ihn die Romantiker zur Spottfigur mit der Nachtmütze. Spätestens seit 1850 galt er als Sinnbild für das schläfrige, politisch unreife (oder unfertige) deutsche Volk und das "schlafende Vaterland"61 – süffisant nannte man ihn den "Protector Germaniae", "Schutzpatron des Deutschen Reichs"62 (vgl. Abb. 33-36). Adolf Glassbrenner hatte ihm folgende Verse zugedacht: Fast schien es schon, er wollt' sich regen,/ Fast schien's, vorüber sei die Nacht;/ Er fing schon an, sich zu bewegen,/ Und alles rief: Er ist erwacht! [...] Doch, ach! Verraucht ist die Ekstase,/ Und Nacht ist's wieder ringsumher;/ Man kitzelt Micheln an der Nase,/ Und er? – Er sieht und hört nichts mehr. Und hat er nicht vor wenig Wochen/ Gesprochen noch ein ernstes Wort?/ Ja, ja, er hat's im Schlaf gesprochen;/ Jetzt schnarcht er wieder ruhig fort! 63 (Vgl. Abb. 37) Eine "Nacht der Leiden"64 also. "O wie furchtbar, wie entsetzlich traurig sieht es in der Welt jetzt aus: die Geister der Finsterniß herrschen"65, so formulierte es auch König Lud52 Nach: [<Grimm>, 1935c], Sp. 1517 53 [See, 1991], S. 46 54 [Wappenschmidt, 1991], S. 229. Notabene: Wagner selbst hatte nicht nur die mittelalterliche Dornröschen- mär im Ring wiederaufleben lassen (Schlafsequenz der Brünnhilde). 1848 hatte er auch versucht, die Kyffhäusersage mit dem Siegfriedstoff zu kombinieren. "Wann kommst du wieder, Friedrich, herrlicher Siegfried!", glossiert er sein Rotbart-Fragment am Schluß der ersten Fassung des Wibelungen-Aufsatzes, in welchem nachträglich versucht worden war, Kaiser Friedrich I. als Wiedergeburt des altheidnischen Siegfried in die deutsche Geschichte einzuführen. Die Wibelungen. [Wagner, o. J. f], S. 227 55 [See, 1991], S. 46 56 [Heine, 1985], Caput XIV, S. 122 57 Brief Richard Wagners vom 18. 6. 1866 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936c], S. 65 58 Tagebucheintrag Richard Wagners vom 25. 9. 1865 für Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936e], S. 27 59 Brief Richard Wagners vom 24. 7. 1866 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936c], S. 81 60 [Marcuse, 1973], S. 44 61 Ebd. 62 [Borchardt-Wustmann, 1925], S. 323 63 [Glassbrenner, o. J.], S. 394f. 64 [Chamberlain, 1904], S. 4 109 wig II.; doch weil er ein bißchen weiter blicken konnte als andere, so erwartete er auch ein wenig mehr, und worum es ihm ging, sagt er in einem Nachsatz: "[D]och Muth, auch hier wird es tagen!"66 Das bedeutete zunächst: Ausmalung der Schlafgemächer in Herrenchiemsee mit Szenen aus Wagners Götterdämmerung – 'Dämmerung' hier natürlich nur verstanden als Übergang von der Nacht zum Tag.67 Doch schon in den Jahren zuvor hieß es: "Deutschland, Du wirst befreit aus den Ketten der Schmach und der Noth! – Wir wollen das Werk vollführen, mein geliebter Freund"68, so schrieb Ludwig an Wagner und weiter sagt er: »Wir erwecken die schlummernde Braut, die Schlaf so lange verschloß, wir bringen ihr 'ewige' Wonne«! – Deutschland vertraue Deiner Macht, Deinem kräftigen Geist! [...] Mein Feuer wird nie erkalten, es wirke das ewige Werk! [...] Durchschreiten Wir muthig die Lohe. 69 Freilich wußte Wagner, wie man diese Metaphorik bedient: Mit welcher Weihe werde ich nun Brünnhilde erwecken aus ihrem langen Schlafe! Sie schlief, während Siegfried zum Jüngling heranwuchs. Wie bedeutungsvoll muss mir diess jetzt alles dünken! [...] Ich glaubte nie, nie an den Felsen zu gelangen. Doch, bin ich Wotan, so gelingt es mir nun durch Siegfried: Er weckt die Jungfrau, das Theuerste der Welt. Mein Kunstwerk wird leben, – es lebt! 70 Daraufhin wieder Ludwig: "Schaffen Sie jetzt am Siegfried?"71, "wo ist Unser Held? – Erweckt er bald seine Braut? – Wie sehne ich mich nach den Nibelungen! – Wann kommt wohl der wonnige Tag?"72, denn "das nagende Schlangengezücht, auf das ich ein sehr wachsames Auge habe, wird kraftlos, wenn der Held, der nur schlummerte, lebensfroh und kampfbereit ersteht."73 Wagner beschwichtigt und faßt zusammen: 65 Brief Ludwigs II. vom 18. 7. 1866 an Richard Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936c], S. 73 66 Ebd. 67 Die umgekehrte Assoziation von der (Abend-)Dämmerung als 'Übergang vom Tag zur Nacht' dürfte Lud- wig ausgeklammert haben, vielleicht gerade, weil er wußte, daß die 'Götterdämmerung' etymologisch eine seit den 1830er Jahren kursierende falsche Lehnübersetzung der 'Götterverfinsterung' (altn. 'ragna rökkr') darstellt, die sich überschneidet mit 'ragna rök', dem 'Götterschicksal'. In der nordischen Mythologie bezeichnet die 'Götterdämmerung' den 'Untergang der Götter' und den Weltenbrand vor dem Anbruch eines neuen Zeitalters, und Wagner selbst war darüber sehr genau unterrichtet, wie eine Notiz Cosimas belegt. Vgl.: TB vom 3. 8. 1872. [Wagner, 1976a], S. 557. Daß er, Wagner, aus Anlaß des deutsch-französischen Krieges Ludwig II. vormals ein Gedicht hatte zukommen lassen, in dem es hieß: "[E]s strahlt der Menschheit Morgen; nun dämm're auf, du Göttertag!" (Zitiert in: [Glasenapp, 1908], S. 330), das muß man wohl unter der Rubrik 'Werbungskosten' verbuchen. Anzunehmen ist, daß erst jene Widmung, die er dem Ehepaar Wesendonk 1875 in einen Auszug der Götterdämmerung schreiben sollte, wieder im Wissen der vollen Wahrheit samt aller pessimistischer Konnotationen aufgesetzt wurde: "Und sie dämmerte doch! R. W." Brief Richard Wagners vom 13. 5. 1875 an Mathilde und Otto Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 457 68 Brief Ludwigs II. vom 26. 9. 1865 an Richard Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936b], S. 188 69 Ebd., S. 188f. 70 Brief Richard Wagners vom 6. 11. 1864 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936b], S. 31 71 Brief Ludwigs II. vom 28. 1. 1866 an Richard Wagner. Ebd., S. 291 72 Brief Ludwigs II. vom 12. 10. 1865 an Richard Wagner. Ebd., S. 198 73 Brief Ludwigs II. vom 16. 3. 1868 an Richard Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936c], S. 216 110 So verkünde ich dem theuren Siegfried meines Lebens den Sinn der That Seiner Liebe zu mir, Seine Macht: die Erweckung der hohen Braut durch Ihn: Deutschland – ist Ihm Brünnhilde! – Ich singe das Lied der Erweckung dieser Braut. Es ist ein ernstes, feierliches Lied: und doch traut und innig. Es ist das sinnige Wort vom 'deutschen Geist'.74 Ein zweites Resümee liefert Glasenapp: Wie Wotan die Allwissende, Urweltweise [Erda], so beschwor der Künstler die uralte Stammsage des deutschen Volkes, und sie erstand seinem machtvollen Ruf aus dem träumenden Schlummer, der sie über ein halbes Jahrtausend in seinen Fesseln gehalten. 75 Offenkundig also, um was es hier geht. Parallel zur Genese des Wagnerschen Werks werden Erweckungsphantasien inszeniert, die politisch gemeint sind. Verena Naegele formuliert es folgendermaßen: 'Brünnhilde' [...] wird zur Metapher für zwei Dinge: Einerseits bedeutet sie die schlummernde 'allgemeingültige' Kunst, die durch die Liebe eines Königs erweckt wird und ins Leben tritt. Andererseits bedeutet sie 'Deutschland', nicht nur das Königreich Bayern allein, sondern sämtliche Königreiche und Fürstentümer im deutschsprachigen Raum, die durch Ludwig II. 'erlöst' werden [sollen]. 76 Der Schlaf ist jetzt keine Auszeit mehr, er wird demonstrativ als Gegenzeit installiert. Die regenerativen Kräfte, die man ihm zuspricht, werden ideologisiert und zu reformativen Kräften stilisiert. Wie ein Kranker sich dem Anästhesisten überläßt, so überläßt man sich dem Schlaf in der Hoffnung, gesund daraus zu erwachen. Wagner nennt das "Wiedergeburt".77 Und so scheint er nicht nur für König Ludwig II, sondern auch für viele andere seiner Zeitgenossen der einzige Hoffnungsträger gewesen zu sein, der wirklich in die Lage versetzt war, die politischen Hemmungen zu lockern und den Fortschritt voranzutreiben. Mit Hilfe der Kunst, so dachte man, könne er erwecken, was nimmer mehr von selbst erwachen würde. Das Wagnersche Werk wäre dabei so etwas wie ein Allheilmittel, möglicherweise eine Auferstehungsformel (vgl. Abb. 38), Glasenapp bezeichnet es als "Erweckungswerk". 78 Wagner als "Künstler erwacht" folglich nicht nur selber "im Vormärz"79 aus einem "dogmatischen Schlummer"80, sondern der 'rechte Wecker' ist eben der "Prophet der völkischen Erweckung"81, der "unmittelbar als Weckrufer unter seine Deutschen trat".82 Um nichts Geringeres als um die "Wiedererweckung einer nationalen deut74 Brief Richard Wagners vom 23. 9. 1865 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936b], S. 187 75 [Glasenapp, 1908], S. 266f. 76 [Naegele, 1995], S. 96 77 Brief Richard Wagners vom 16. 4. 1866 an Julius Fröbel. Zitiert in: [Böhm, 1922], S. 74 78 [Glasenapp, 1908], S. 267 79 [Gregor-Dellin, 1980], S. 72 80 [Wapnewski, 1996], 313 81 [Gebhardt/ Zingerle, 1998], S. V 82 [Schemann, 1902], S. 12 111 schen Kunst" ging es 83, wie in der Buchwidmung eines gewissen Friedrich Zöllner an Richard Wagner nachzulesen ist. Sogar Nietzsche kaprizierte sich zunächst noch auf das "Erwachen der deutschen Kunst"84, immerhin hatte er den Geburtsvorgang seiner Tragödie zwischen den Zeilen mit dem "wundergleiche[n] plötzliche[n] Auf-"85 und "Wiedererwachen der Tragödie"86 durch Wagner parallelisiert – welch "Hoffnung für eine Erneuerung und Läuterung des deutschen Geistes durch den Feuerzauber der Musik. [...] wie verändert sich plötzlich jene [...] Wildniss unserer ermüdeten Cultur"87 (vgl. Abb. 39). "[E]ines Tages wird er [der deutsche Geist] sich wach finden, in aller Morgenfrische eines ungeheuren Schlafes: dann wird er Drachen tödten, die tückischen Zwerge vernichten und Brünnhilde erwecken."88 Wagner fungiert jetzt als Wachmacher. Und der Gedanke ist so trivial nicht, hängt der Vorgang des Erwachens doch sowohl mit dem Utopischen als auch mit dem Revolutionären durch die Möglichkeit zum Neuanfangen zusammen. Aufschlußreich ist es, daß Wagner auch in der Funktion des Erweckers wieder mit Figuren seines Werks erklärbar gemacht worden ist. Konnten wir beobachten, wie er als Mann der Träume noch mit seinem Wotan gleichgesetzt wurde, so attestiert man ihm jetzt vor allem Siegfriedsche Züge. Ludwig II. hatte damit vielleicht Schule gemacht – plötzlich heißt es aus verschiedenen Richtungen: "Richard Wagner ist der Siegfried, der den drohenden Feuerkreis der Vorurteile furchtlos durchschritt und die im Zauberschlaf befangene musikalische Dramatik, seine Walküre, zum Leben erweckt."89 Beim Biographen Glasenapp: "[W]ie Siegfried die schlafende Brünnhild, so erweckte er mit brünstigem Liebeskusse die jugendliche deutsche Kunst zu lebenvollem Dasein."90 Oder in der berühmten Ansprache des Grafen Apponyi nach der Uraufführung des Rings, die einen "Orkan des jubelnden Beifalles"91 nach sich gezogen haben soll: Brünnhilde (die neue nationale Kunst) lag schlafend auf einem von mächtigem Feuer umloderten Fels. [...] Um den Fels waren Berge von Asche und Schlacken gehäuft (die Vermischung unserer Musik mit nichtdeutschen Elementen). Da kam ein Held sondergleichen, Richard Wagner, der schmiedete sich eine Waffe aus den Schwertstücken seiner Väter (der klassischen deutschen Meister) und mit dieser drang er durchs Feuer und weckte mit seinem Kuß die schlafende Brünnhilde. Sie rief ihm zu: »Heil dir, siegendes Licht!« 92 Zur Typisierung gehört, daß auch der "Wach auf"-Chor aus den Meistersingern als Repertoirestück der Wagnerverehrung verbreitet wurde, und zwar nicht eben so ausschließlich 83 Zitiert in: [<Wagner, Richard - Briefe>, 1909], S. 584 84 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 241 85 Geburt der Tragödie. [Nietzsche, 1988e], S. 132 86 Ebd., S. 111 87 Ebd., S. 131 88 Ebd., S. 153f. 89 [Pohl, 1883b], S. 264 90 [Glasenapp, 1908], S. 267 91 [Kohut, 1905], S. 189 92 Zitiert in: [Kellermann, 1932], S. 194f. Berthold Kellermann übrigens, der hier von der Rede Apponyis be- richtet, war seines Zeichens Musiklehrer in Wahnfried und erklärte Wagner 1878 die Elektrizität! – Ansonsten vermerkt auch Cosima das Gleichnis Apponyis. Vgl.: TB vom 18. 8. 1876. [Wagner, 1976a], S. 999 112 als Vorwegnahme des späteren "Deutschland erwache", wie Hartmut Zelinsky es mit partiellem Recht behauptet. Hatte Wagner selbst einmal deklariert, daß der Choral für ihn "die Quintessenz des Werkes"93 sei – "ein Evangelium", das zum "tiefe[n] Sinnen"94 Hans Sachens hinzuträte – das "steht dem Deutschen an"95 –, so mußte er sich auch zu Lebzeiten bereits die Interrelation zwischen Werk und Mann gefallen lassen. Zur Nummer ausgekoppelt spielte man das "Wach auf" nicht bloß an Wagners 60. Geburtstag (der übrigens der erste in Bayreuth war!), auch die Grundsteinlegung des Festspielhauses wurde so zelebriert, und vor allem auf seinen Konzertreisen hat man Wagner immer wieder damit begrüßt, geweckt, nominiert, eskortiert – fast könnte man sagen: behelligt. 96 Ähnlich dem sprechenden Hahn Cosimas aber sollen ja sogar im Bayreuther Schloßgarten hinter dem Haus Wahnfried in den frühen Morgenstunden "eine Unzahl von Vögeln [...] den Chor aus den Meistersingern – wacht auf!"97 gesungen haben. 98 <Wagner träumt und wacht> Blicken wir auf den Zusammenhang, so scheint sich im Ganzen zu bestätigen, was durch die Einzelteile angedeutet werden konnte: Nicht bloß der Privatmann Wagner, sondern auch die Art und Weise, wie man den Künstler Wagner wahr- (oder hin-) genommen hat, ist von erheblichen Widersprüchen geprägt, – von Widersprüchen, die gerade auch in den Bildern des Schlafs ihre Entsprechung fanden. Das mag so sein, weil hier, wie ja auch in der Kunst Wagners, Mythenbildung am Werk gewesen ist und weil der Mythos immer wieder mit einer Traumregion verglichen wurde. Es ist jedoch auffällig, daß die auf Wagner bezogenen Gegensätze überall sehr scharf voneinander getrennt bleiben und daß sie sich keinesfalls in jenem Zwielicht verwischen, das durch den Prozeß der Mythologisierung und Instrumentarisierung erzeugt wurde. 93 TB vom 1. 4. 1874. [Wagner, 1976a], S. 807 94 Brief Richard Wagners vom 22. 5. 1862 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 399 95 TB vom 1. 4. 1874. [Wagner, 1976a], S. 807 96 Vgl. unter vielen ähnlichen Belegen dafür etwa TB vom 16. 11. 1872. Ebd., S. 598, TB vom 3. 3. 1876. Ebd., S. 974 oder [Glasenapp, 1912], S. 236 97 TB vom 8. 6. 1872. [Wagner, 1976a], S. 532 98 Wie bereits aus den wenigen genannten Quellen ersichtlich, besteht eine merkwürdige und bis heute grassierende Unsicherheit darüber, ob der berühmte Choral aus den Meistersingern 3, 5 nun mit einem "Wach auf" oder einem "Wacht auf" beginnt. Sicherlich sind diese ersten Worte des ersten Chorverses so oft zitiert und paraphrasiert worden, daß sich der exakte Wortsinn unterdes verschliffen haben dürfte. Auffällig jedoch ist es, daß auch die verschiedenen Libretto- und Partiturausgaben der Meistersinger hier Verschiedenes wiedergeben, ja daß seit je, und zwar selbst schon bei Cosima, die den korrekten Wortlaut hätte wissen müssen, Nachlässigkeit waltet und daß sich all die Unsicheren bis dato kein Gesprächsforum gesucht haben. Sieht man ab von den vielen Ungenauigkeiten, die sich zwischen die Kompositionsskizzen und die erste verbindliche Niederschrift der Meistersinger, zwischen die autographe Partitur und deren Kopien, dann zwischen die mehrmaligen Nachträge in die Proben- und Uraufführungspartituren und den Erstdruck und wiederum dessen Kopien gedrängt haben, so verzeichnen jedenfalls die kritischen Ausgaben der Partitur und des Librettos an der fraglichen Stelle eine singularische Form, obschon der Sinnzusammenhang eher den Plural erforderte. Kurz vor Beginn des Choreinsatzes heißt es ja: "Stimmt an! Stimmt an!", wovon die logische Folge ein "Wacht auf" wäre, und das widerspräche auch nicht unbedingt dem Folgevers "ich hör' singen [...]" (Hervorhebung von der Verf. J. D.). Daß statt dessen ein "Wach auf" geschrieben steht, kann man und müßte man in mehrerlei Richtung interpretieren. Die Sache weiterzuverfolgen wäre also eine Forschungsaufgabe wert. Allerdings gibt es dafür an dieser Stelle weder Platz noch Anlaß. 113 So entschieden, wie Wagner auf der einen Seite als Schlafgeborener, als Träumer und als Traumkünstler rezipiert wurde, so entschieden wurde auf der anderen Seite das Bild des Erweckers kolportiert. Hatte sich Wagner den Dualismus 'schläfrig/ schlaflos' ehedem selbst zurechtgelegt, sei es nun aus Sachzwängen oder aus persönlicher Not oder sei es auch aus Gründen der Eitelkeit, die nicht ertragen konnte, wenn etwas eindeutig klang, es ist jetzt genau dieses 'Träumend-hellwach-sein-können', das auch in Wagners äußerem Erscheinungsbild zur Geltung kommt. Was damals innen war, es ist jetzt außen; was widersprüchlich, dichotomisch, komplementär sein mußte, ist es noch. Das aber bedeutet, daß das, was wir probeweise Wagners 'innere Biographie' nannten, tatsächlich in eine 'äußere Biographie' übersetzt wurde. Und gerade im Spiegel des Schlafmotivs scheint auch die Vorstellung, daß der 'Geist des Meisters' in Form einer Fledermaus im Bayreuther Festspielhaus weiterlebe, ganz so falsch nicht gewesen zu sein (vgl. Abb. 40). Denn die Fledermaus, als Geschöpf der Dämmerung, gilt sogar dem ältesten Volksglauben nach sowohl als Mittel für als auch als Mittel gegen den Schlaf, als Schlafbringer, aber auch als Ruhestörer. 99 Jedenfalls hat die Rezeptionsgeschichte Wagner Rollen zugewiesen, die diametral jeweils dem entgegenstanden, was sich historisch und kultursoziologisch als Tagespolitik abzeichnete: Wagner als Traumkünstler, auch als Narkotiseur wurde dem falschen Glanz und Getriebe, Wagner als Erwecker und Agitator der "erhabene[n] Müdigkeit"100 des neunzehnten Jahrhunderts gegenübergestellt. Das Elementarische und mit diesem auch das Urdialektische seines Naturells, das sich zunächst auf privater Ebene in Metaphern des Schlafs mitzuteilen suchte, wurde am Ende von ihm abgespalten, publikumsgerecht zu Kennmarken umfunktionalisiert und dann im Sinne seines Künstlertums vermarktet. Offen bleibt nur, weshalb all das so systematisch klingt? Nun, ein System muß wohl hinter der Tatsache stehen, daß – ganz genau betrachtet – weder Wagner noch die Wagner-Rezeption allein auf sich bezogen blieben. Denn ganz genau betrachtet deckt sich die Rezeption des Künstlers Wagner explizit mit jenen Theorien, die er, Wagner, selber für den Status des Künstler und vor allem für den Status des Musikers entworfen hat. Unser Glissando erreicht den ersten Zielton. 99 Schon Lukian berichtet in seinen Wahren Geschichten, daß die Insel der Träume, die über den Hafen Hyp- nos erreichbar war, von Fledermausscharen bevölkert wurde. Die altägyptischen, später auch hellenischen Schlafzauberer zwangen den Schlaf homöopathisch auf ihre Patienten herab, indem sie sie mit dem Schmalz von Fledermausherzen einrieben oder magische Zeichen auf die Flügel einer lebenden Fledermaus ritzten. Dagegen soll man sich gegen Schläfrigkeit schützen können, solange man eine tote Fledermaus oder einen Fledermauskopf bei sich am Körper trage. Und natürlich wurde die Fledermaus schon immer, da sie im Zwielicht zu jagen beginnt, mit dem Teufel assoziiert, folglich als Schlaf- und Seelenräuber wahrgenommen. – Cosima übrigens berichtet erstaunlich oft von Fledermäusen, die in den Räumen Wahnfrieds gelebt haben sollen. Nach ihrem Geschmack allerdings ausnahmslos in letzterer Funktion. Vgl. etwa TB vom 12. 9. 1879. [Wagner, 1977], S. 408, TB vom 16. 9. 1879. Ebd., S. 409, TB vom 19. 7. 1880. Ebd., S. 572, TB vom 6. 8. 1880. Ebd., S. 579, TB vom 20. 9. 1881. Ebd., S. 796 100 [Gregor-Dellin, 1984], S. 34 114 II.2 V erwandelte W iederkehr [2]: W esen, Entwicklung und Wirkung des Künstlers <Der Künstler und das Unbewußte> "Ein Musiker ist ein wahres Vieh"101, ein "Monstrum in excessum"102, so hebt Wagner an und damit nimmt er weniger das Ungeschlachte der Künstlernatur ins Visier als eher das Unbewußte. Nur "wenn er unreflektiert schaffe, stünde ihm alles zu Gebote"103, meint er über sich selbst und abstrahiert dann: "[F]ür den Musiker gibt es [...] keine Außenwelt, er ist ein wildes Wesen". 104 Der echte Künstler arbeite zuallernächst "auf dem dunklen Boden seines Unbewußtseins"105, heißt es in der für Wagners Theorienhaushalt so wichtigen Beethoven-Festschrift von 1870. Aber bereits seit Oper und Drama von 1850 eigentlich ist (gesetzt den Fall, daß man den in Wagners frühen Schriften thematisierten Status des reinen Dichters auch als Teil des reinen Musikers und damit als Teil des prototypischen Künstlers überhaupt deuten mag, so wie dieser in den Spätschriften inauguriert wird) der echte Künstler "der Wissende des Unbewußten, der absichtliche Darsteller des Unwillkürlichen".106 In den Flüchtigen Aufzeichnungen zum Künstlertum der Zukunft heißt es noch deutlicher: "Ihr irrt [...] wenn ihr die revolutionäre kraft im bewusstsein sucht".107 Denn es "gilt [...] im Kunstwerke überhaupt [...] nicht durch Darlegung von Absichten, sondern durch Darstellung des Unwillkürlichen zu wirken"108 – "das unbewusste ist eben das unwillkürliche, nothwendige und schöpferische"109 – "unbewußt –/ höchste Lust!"110 Dieser Gedanke ist von den dramatischen Stellungswechseln und argumentativen Verstrickungen in Wagners Begriffsbildung nie berührt worden. Leicht ließe sich belegen, daß Wagner in allen Schaffensperioden vom "schöne[n] Unbewußtsein des Kunstschaffens"111 gesprochen und dem Künstler damit generell so etwas wie das Prinzip der kreativen Desorientierung zugeordnet hat: Der Musiker (in der Rolle schließlich des Vorzeigekünstlers) "spreche die höchste Weisheit aus in einer Sprache, die seine Vernunft nicht verstehe"112, lautet es im Sinne Schopenhauers in der Beethoven-Schrift. Jenen, Schopenhauer, nach- und Freud vorbereitend, geht Wagner denn auch von einer Prädisposition im künstlerischen Menschen aus, welche den komplizierten Vorgang des Schöpfens als eine von diesem zwar generierte, nicht aber bewußt verantwortete Handlung freisetzt. Ausgeliefert dem Schöpfungsprozeß, den er selber entfacht, latent ohnmächtig gegenüber dem Andrängen des künstlerischen Materials und so unbegabt im Wollen wie genial im Müssen, ist der 101 TB vom 10. 12. 1869. [Wagner, 1976a], S. 177 102 TB vom 27. 11. 1879. [Wagner, 1977], S. 451 103 TB vom 13. 1. 1878. Ebd., S. 36 104 TB vom 27. 11. 1879. Ebd., S. 451 105 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 83 106 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 161 107 Entwürfe. Gedanken. Fragmente. [Wagner, 1885], S. 14 108 Brief Richard Wagners vom 25. 1. 1854 an August Röckel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1894], S. 37 109 Entwürfe. Gedanken. Fragmente. [Wagner, 1885], S. 17 110 Tristan und Isolde, 3, 3. [Wagner, 1984b], S. 74 111 Brief Richard Wagners vom 25. 11. 1850 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 152 112 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 103 115 Künstler Vermittler seiner selbst. Die "Macht des Musikers" sei deshalb überhaupt "nicht anders, als durch die Vorstellung des Zaubers zu fassen". 113 Er lebt von "dem nach innen gekehrten Bewusstsein. Dieses [...] ist das, aus welchem der Musiker schafft. [...] Die innerste Kraft, aus der unsre Dichter sich unbewusst ernährten". 114 Hatte sich Wagner selbst zum Arbeiten hinter sechsfach wattierte Fenster und Türen zurückgezogen, so unterwirft er nun auch theoretisch die künstlerische Lebensordnung einer Verdunklungsstrategie. Von vornherein müsse die Künstlerpersönlichkeit introvertiert sein; erst in einem gewissen Unschärfebereich abseits der Tagesgeschäfte kann sie wirksam werden. "Die Stimmung des Dichters hat [...] viel vom Nachtwandeln"115, schrieb einmal Hebbel, und es ist eigentlich nur konsequent in bezug auf die diffizile Thematik, daß auch Wagner in identischen Analogien zu denken beginnt: Wenn "ich so eine stumme Partitur nach der anderen vor mir hinlegte, [...] kam auch ich wohl zu Zeiten mir wie ein Nachtwandler vor, der von seinem Thun kein Bewußtsein hätte"116, bekundet er 1871 im Epilogischen Bericht zum Ring des Nibelungen. Wie "Nachtvogelflattern"117 müsse alles klingen. Auch in die schöne, änigmatische Äußerung, daß die "echteste Kunst [...] nur [...] Nachtigallenlied"118 sei, fließt der Gedanke ein, daß bloß im Schutz der Nacht die besten Gesänge entstehen können. Immerhin wird nicht ohne mehrfachen Hintersinn der historische 'Konrad Nachtigall' gerade bei den Meistersingern seinen Auftritt zugewiesen bekommen haben.119 Und hatte nicht ehemals auch eine Nachtigall den jungen Wagner 113 Ebd., S. 106 114 BB [zwischen dem 3. und 19. 7. 1870]. [Wagner, 1988b], S. 210 115 [Hebbel, 1967], S. 24. Übrigens ergänzt Hebbel an selber Stelle: "Sonderbar ist es, daß ich in einer solchen Stimmung immer Melodieen höre, und das, was ich schreibe, darnach absinge". Hätte Wagner jemals von dieser Art zu arbeiten erfahren, vielleicht wäre er Hebbel, dem Nibelungendichter Hebbel, etwas milder gegenüber im Urteil gewesen. 116 Epilogischer Bericht. [Wagner, 1872b], S. 378 117 TB vom 21. 1. 1870. [Wagner, 1976a], S. 190 118 Brief Richard Wagners vom 3. 8. 1853 an Theodor Apel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1910], S. 88 119 Neben Konrad Nachtigall taucht in den Meistersingern übrigens auch die Nachtigall als Vogel selbst auf, und zwar gerade im "Wach auf"-Choral, welcher ja eben den Tag noch aus Sicht der Nacht besingt. Das Tier allerdings wird dort im Unterschied zur Person in den meisten Partitur- und Librettoausgaben nur mit einem Schlußkonsonaten, also 'Nachtigal' buchstabiert, was trotz der Korrektur durch die kritische Gesamtausgabe der Werke Richard Wagners von Dahlhaus und Voss (Mainz 1970ff.) sein Recht haben mag – Wagner spielt an der fraglichen Stelle mit den Originalversen des Hans Sachs und könnte sich an die im 16. Jahrhundert gebräuchliche Form 'nachtgal' (oder 'nahtegal') gehalten haben. Auch hier wäre eine Prüfung der Quellen zu leisten. Wegen bekannter Unstimmigkeiten in den Nachträgen, Abschriften und Druckversionen, vor allem wegen einer uneinheitlichen Rechtschreibnomenklatur ist aber auf eine schnelle Klärung nicht zu hoffen. Allerdings gibt es noch eine andere im Zusammenhang hochinteressante und bislang wohl ebenso unentdeckte Komponente dieser Wagnerschen 'Nachtigal(l)': Sowohl der Volksmund als auch die Vogelkunde beschreiben, daß die Nachtigallen aus Gründen der Nestpflege allein bis zu Johannis (24. Juni) singen. Da die Meistersinger an Johannis spielen und auch uraufgeführt sind (strenggenommen am 21. Juni 1868, also zwei Tage vor der Festnacht), ja im Prinzip von der Dramaturgie her symmetrisch um die Johannisnacht (2. Aufzug) und den darauffolgenden Johannistag herumgebaut sind, ließe sich nun vermuten, daß Wagner in seinen "Wach auf"Choral (3. Aufzug) und in die lichte Szenerie und Symbolik des Morgens eine Nuance des Klagens und Absterbens eingeschlossen haben könnte. Aus der Musik läßt sich ein klagender Ton zweifelsohne heraushören, und da Johannis auch mit Mittsommer und zu Wagners Zeit noch für gewöhnlich mit den Feierlichkeiten zur Sommersonnenwende zusammenfiel, entstünde daraus für den "Wach auf"-Choral eine seltsame Verschiebung zwischen den Metaphern Tag/ Nacht und hell/ dunkel. Als schimmere da gewissermaßen schon die durch Uneindeutigkeit brillierende Symbolik der späteren Götterdämmerung hindurch. Gezielter darauf einzugehen, wäre also mit Sicherheit lohnend, zumal die Nachtigall auch sonst im Wagnerschen Werk nur an Stellen auftaucht, die änigmatisch verdichten, was an anderen und vermeintlich ähnlichen Stellen offenbar nicht verdich- 116 zur Dresdener Revolution geweckt120, diesen veranlassend, den "musikalischen Teil" der Erhebung "mit der Alarmglocke"121 zu übernehmen? – "Nur so viel muß ich Dir sagen, daß meine Kunst jetzt immer mehr das Lied der geblendeten, sehnsüchtigen Nachtigall wird, und daß diese Kunst plötzlich allen Grund verlieren würde, wenn ich eben die Wirklichkeit des Lebens umarmen dürfte."122 Noch im Februar 1883 träumte Wagner den "schönen Traum" von sich, Schopenhauer und einem "Schwarm Nachtigallen", über den "Sch." allerdings schon lange vor "R." unterrichtet gewesen sein soll. 123 <Der Künstler, ein Träumender> Mit einem ersten Gedankenschritt hat Wagner dem Künstler also das Unbewußte und die Metaphern der Nacht zugeordnet. Nun soll er aber, der Künstler, sich nach Wagners Vorstellung auch wieder nicht tatenlos in diese Nische einfügen. Wagner fordert wie immer Aktion, auch hier im Rückzug, und in einem zweiten Gedankenschritt hält er seinen Künstler dazu an: "Träume! Das ist das Allerbeste!"124 Mit Bezug auf die Frage, wie man überhaupt dichten und komponieren solle, beginnt er programmatisch vom "Dichtertraum[...]"125 zu sprechen und davon, daß man mehr als nur unbewußt zu sein vor allem träumend aktiv werden müsse. Haben die künstlerischen Eingebungen ihren Sitz auch im Unbewußten, virulent können sie doch erst im Traum werden. Denn das Unbewußte verhält sich zum Künstlertraum ungefähr wie der Humus zur Pflanze. Folglich ziehen mit dem Unbewußten die Bilder des Schlafs auch in die Wagnersche Kunsttheorie ein getreu der Feststellung Nietzsches, daß der musische Künstler in seiner "Kunst das Mittel [hat], dem reflektirenden Denken beinahe völlige Ruhe, eine Art Schlafleben zu verschaffen". 126 Zwar hatte noch Schopenhauer veranschlagt, daß das Vermögen, schlafend wach zu sein und Traumbilder sehen zu können, eine Fertigkeit allein der Philosophen sei, Wagner jedoch modifiziert das zu einem Alleinstellungsmerkmal der Künstlerfigur. Vor dem Hinter- tet werden konnte. Nicht zum Beispiel kennt die Nachtigall der Tristan, der ihr thematisch durchaus Ort und Zeit bieten würde. Auch im ersten Nachtstück Wagners, dem Lohengrin, bleibt es bei Schwan und Taube. Selbst der Ring, der in sich eine Menagerie und ornithologisch allemal attraktiv ist mit den Raben Wotans, dem "Starenlied" Mimes und dem flatternd "junge[n] Geflügel" im Siegfriedwald, mit den fliegenden Pferden der Walküren, den Rheintöchtern, die, als singende Fische, auch als "Wasservögel" bezeichnet werden und einem Schlangenwurm, der nicht selten als Archäopteryx dargestellt worden ist, auch dieser Ring scheint ohne sie auszukommen. Allerdings, es besteht Anlaß zu der Vermutung, daß das "selt'ne" Waldvöglein im Siegfried eine Nachtigall ist – dessen viertes Waldvogelmotiv hat man öfter und dies wohl auch zu Recht mit dem Nachtigallenruf in Verbindung gebracht. Vergessen sollte man auch nicht die Nachtigall, die den Tannhäuser von der Venus fortlockt. Und nimmt man nun noch einmal jene Nachtigall in die Berechnungen mit auf, die in Wagners theoretischem Werk zwischen Revolutionen und (künstlerischen) Transformationen auftaucht, so scheint sich dies so unscheinbare wie symbolträchtige Tierchen immer dort einen Platz verschafft zu haben, wo es um Sinn- oder Formsuche, verkürzt gesagt um jene Metamorphoseleistung geht, die für Wagner der Inbegriff der Kunst war. Vielleicht sollte man die Nachtigall deshalb als eine Art Wappentier innerhalb der Wagnerschen Fauna begreifen und dieser Sonderstellung auch einmal explizit nachgehen. 120 Siehe: Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 412 121 [Marcuse, 1973], S. 93 122 Brief Richard Wagners vom 8. 6. 1853 an August Röckel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1894], S. 19 123 TB vom 4. 2. 1883. [Wagner, 1977], S. 1106 124 Der Künstler und die Öffentlichkeit. [Wagner, 1871c], S. 230 125 Über das Dichten und Komponiren. [Wagner, 1883f], S. 191 126 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988k], S. 450 117 grund, daß er selbst wie in einer "Traum- und Zauberwelt"127 gelebt hatte und auch zubilligte, daß das "Leben [...] ein Schlaf [umfaßt] und [...] also ein Traum"128 sei, welcher "Möglichkeiten ohne Grenzen"129 lieferte, wird der Künstler für ihn erst wirklich effizient als 'nachtaktives Tier' – als "wahres Vieh"130 eben. Schlaf und Traum gelten bereits als Quelle der Kunst – traumartig mußte dann natürlich auch der Vorgang der künstlerischen Konzeption sein. Wagners Ausführungen dazu unterfüttern nicht nur die eigene Biographie, sie sind zahlreich und weit gestreut ebenso in seinen theoretischen Schriften und Briefen zu finden. Der "innere Drang [...] eine Möglichkeit zu verwirklichen", schreibt er etwa 1860 über sich selbst und begreift das wohl als exemplarisch, "ist [...] immer wieder nur dadurch möglich, daß ich mein Gehirn wieder in das Traumreich streifen lasse".131 In Über das Opern-Dichten und Komponiren im Besonderen schildert er haargenau den Prozeß des künstlerischen Gestaltens: Der Künstler im allgemeinen und der dramatische Komponist "meiner 'Richtung' " im speziellen, sagt er, sehe sich nun z. B. die eine Person, die ihn gerade heute am nächsten angeht, recht genau an: [...] Er stelle sie sich in ein Dämmerlicht, da er nur den Blick ihres Auges gewahrt; spricht dieser zu ihm, so geräth die Gestalt selbst jetzt wohl auch in eine Bewegung, die ihn vielleicht sogar erschreckt, – was er sich aber gefallen lassen muß; endlich erbeben ihre Lippen, sie öffnet den Mund, und eine Geisterstimme sagt ihm etwas ganz Wirkliches, durchaus Faßliches, aber auch so Unerhörtes [...], so daß – er darüber aus dem Traume erwacht. Alles ist verschwunden; aber im geistigen Gehöre tönt es ihm fort: er hat einen 'Einfall' gehabt [...] völlig legal von jener merkwürdigen Gestalt in jenem wunderlichen Augenblicke der Entrücktheit ihm überliefert und zu eigen gegeben. 132 Frappant ähnelt das – ohne allerdings dessen philosophische Süffisanz zu erreichen – einem Gedanken Nietzsches, den dieser bereits in Richard Wagner in Bayreuth formuliert hatte: Eine Traumerscheinung, dem Bilde der Natur und ihres Freiers ähnlich-unähnlich, schwebt heran, sie verdichtet sich zu menschlicheren Gestalten, sie breitet sich aus zur Abfolge eines ganzen heroisch-übermüthigen Wollens, eines wonnereichen Untergehens und Nicht-mehrWollens: – so entsteht die Tragödie.133 Wagner hatte über das Phänomen der künstlerischen Gestaltung allerdings auch schon in Oper und Drama nachgedacht, und zwar dort am Beispiel des Beethoven-Schülers Berlioz; er berichtet von der künstlerischen "Begeisterung" als von einem 127 TB vom 128 TB vom 129 TB vom 130 TB vom 1. 5. 1872. [Wagner, 1976a], S. 515 4. 4. 1880. [Wagner, 1977], S. 517 15. 7. 1880. Ebd., S. 570 10. 12. 1869. [Wagner, 1976a], S. 177 131 Brief Richard Wagners vom 23. 12. 1860 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 350f. 132 Über das Opern-Dichten und Komponiren im Besonderen. [Wagner, 1883g], S. 225f. 133 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 472 118 gespenstisch erregte[n] Schwindel [...]: erwachte er [Berlioz] aus ihm, so gewahrte er, mit der Abspannung eines durch Opium Betäubten, eine frostige Leere um sich her, die nun zu beleben er sich mühte, indem er die Erhitzung seines Traumes sich künstlich zurückrief. 134 1855 hatte sich Wagner sogar persönlich bei Berlioz "über das Geheimnis der »künstlerischen Konzeption«"135 ausgelassen – übrigens fällt das erkennbar in die Zeit seiner ersten Schopenhauer-Lektüre. Damals war er zu dem Schluß gekommen, daß die Lebenseindrücke auf das Gemüt [...] uns in ihrer Weise gefangenhielten, bis wir uns ihrer durch die einzige Ausbildung der innersten Seelenformen, welche keineswegs durch jene Eindrücke hervorgerufen, sondern aus ihrem tiefsten Schlummer nur eben angeregt worden waren, gänzlich entledigten, und zwar entledigten durch das "künstlerische Gebilde".136 Der Musiker schließlich "spricht [zu uns]" einzig aus dem "traumartigen Zustand, [...| in welchem uns [...] jene andere Welt aufgeht"137 (vgl. Abb. 41). Kunstproduktion also durch Versenkung, Preisgabe des Lebensnervs ans Surreale – "sowohl künstlerisches Schaffen als [auch] künstlerische Anschauung [können] nur aus der Abwendung des Bewußtseins von den Erregungen des Willens hervorgehen". 138 Fast scheint es, als solle sich der Künstler jenem inspirierten Schlaf überlassen, der zum Inventar der frühchristlichen Erkenntnismethoden gehörte. Denn idealerweise kann er erst aktiv werden durch einen Zustand produktiver Passivität. Wagner zögert nicht, den "religiösen Heiligen" herbeizuzitieren, dessen "Verkehr mit der Welt nur den Zustand des aus tiefstem Schlafe Erwachten"139 ausdrücke – zumindest der Musiker könne "mit einem Anspruch an Heilighaltung erscheinen."140 "Ekstase"141, "Entrücktheit"142, der "Zustand des Hellsehens"143, "Fähigkeiten zur inneren Selbstschau, jener Hellsichtigkeit des tiefsten Welttraumes"144 sowie "Fähigkeit zur vollständigen Selbstentäußerung"145, all das sind Hilfsmittel, durch die der echte Künstler erst zur echten Kunst gelangt. Und gewiß waren diese Rezepturen nicht neu. Zumindest aber bewährten sie sich schon einmal, wo die Wagnerschen "Wahrtraum-Gestalten"146 der Kunst selbst im Entstehen waren. Sicher, es ist nicht leicht hinzunehmen, daß Wagner ja auch ein Musiker war und daß jeder, der seine Überlegungen zum Künstlerbild liest, eine Art Selbstheiligung implizieren 134 Oper und Drama. [Wagner, 1872e], S. 348f. 135 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 534 136 Ebd. 137 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 93 138 Ebd., S. 88 139 Ebd., S. 116 140 Ebd., S. 91 141 Über das Schauspielerwesen. [Wagner, 1873c], S. 309 142 Über das Opern-Dichten und Komponiren im Besonderen. [Wagner, 1883g], S. 226 143 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 92 144 Ebd., S. 101 145 Über Schauspieler und Sänger. [Wagner, 1873i], S. 260 146 Über das Opern-Dichten und Komponiren im Besonderen. [Wagner, 1883g], S. 227 119 könnte. Man muß annehmen, Wagner habe in seinen Argumentationen (wieder einmal) nicht von sich absehen können. Allerdings müßte man dann auch wissen, daß er für die meiste Zeit doch zu verdrossen, zu labil, zu zynisch oder auch zu ulkig war, um den Anspruch für sich ernst zu nehmen, daß der Musiker ein göttliches Wesen sei. Sein Alltag wenigstens sah anders aus. Aber doch hat gerade im Falle Wagners der Verdacht der Selbstzuweisung verhindert, daß man die Analogien zwischen den 'Wahrtraum-Gestalten' und der 'Wahrtraum-Gestaltung' ausgeschöpft hat. Wäre man hier sensibler vorgegangen, man hätte bemerkt, wie eng die Verwandtschaft zwischen idealem Werk und idealem Künstler in Wagners Kunstästhetik tatsächlich ist. Vor allem hätte man bemerkt, daß Wagners Künstlerbild natürlich immer nur ein Ideal, eine Vision, eine Abstraktion, eine Idee beschreibt, aus heutiger Sicht vielleicht auch ein Klischee, nicht aber das, was davon in der Wirklichkeit übrig bleiben mußte – das System der Träume wäre zwangsläufig an seiner Realisierung zerbrochen, da wären Form und Inhalt deckungsgleich geblieben. So aber, wie die Kunst laut Wagner eben ein Produkt der Dämmerung zu sein habe, eine "Traumgestalt"147, wie Peter Wapnewski es nennt, so auch ihre Urheber. Die Dichter, die Musiker, die Komponisten, die Schauspieler und Sänger, selbst die Regisseure und Bühnenbildner, sie sollten nach Wagners Vorstellung mit allem Lebenswillen nichts als Träumer sein und das Paradoxon aushebeln, das diesem Anspruch innewohnt. In seiner Geburt der Tragödie, welche im selben Zeitraum wie Wagners Beethoven entstanden ist und bereits im Vorwort auf Schopenhauer, Wagner und auch den Schopenhauerschen Wagner Bezug nimmt148, entwickelt Nietzsche eine Physiognomie des "Traum"- oder "Rauschkünstler[s]"149, wie sie in nuce von Wagner hätte stammen können.150 Auch Nietzsche spricht von "mystische[r] Selbstentäusserung"151 und meint – als wäre er nun der Bauchredner Wagners – im Zusammenhang mit seinem Künstlerbegriff: So gewiss von den beiden Hälften des Lebens, der wachen und der träumenden Hälfte, uns die erstere als die ungleich bevorzugtere, [...] ja allein gelebte dünkt: so möchte ich doch, bei allem Anscheine einer Paradoxie, für jenen geheimnissvollen Grund unseres Wesens, dessen Erscheinung wir sind, gerade die entgegengesetzte Werthschätzung des Traumes behaupten. 152 Die aus Richard Wagner in Bayreuth stammende Äußerung: Der Künstler, der bessere und seltenere, ist wie von einem betäubenden Traume befangen [...] und wiederholt zögernd mit unsicherer Stimme gespenstisch schöne Worte, die er von ganz fernen Orten her zu hören meint, aber nicht deutlich genug vernimmt; der Künstler dagegen 147 [Wapnewski, 1998/1999], S. 22 148 Nietzsche nämlich hatte (im Oktober 1870) auch Korrektur gelesen bei Wagners Beethoven. Vgl.: TB vom 14. 11. 1870. [Wagner, 1976a], S. 313 149 Geburt der Tragödie. [Nietzsche, 1988e], S. 30 150 Zum Beispiel schreibt Wagner kurz nachdem die Geburt der Tragödie erschienen war an Hofrat Düfflipp: "[I]ch [halte] dieses Buch für das Schönste und Tiefsinnigste [...], was seit lange geschrieben worden ist". Brief Richard Wagners vom 3. 1. 1872 an Lorenz von Düfflipp. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1970], S. 812 151 Geburt der Tragödie. [Nietzsche, 1988e], S. 31 152 Ebd., S. 38 120 von ganz modernem Schlage, kommt in voller Verachtung gegen das traumselige Tasten und Reden seines edleren Genossen daher153, dies taugt dann wirklich dazu, nicht nur Wagners Kunsttheorie, sondern sogar die Wagnersche Biographie auf ein einziges Theorem zusammenzuziehen, sagte doch der späte Wagner von sich, daß er als Künstler immer nur wieder "das Traumbild auf[werfe]". 154 Ein Blick auf die Meistersinger, die man vielleicht auch lesen darf als eine in die Form der Kunst (zurück)gegossene Traumtheorie, zeigt, wie sehr Poet und Traum, Poeterei und Träumerei bei Wagner aufeinander abgestellt sind. Der Traum, den Stolzing träumt, macht ihn zum Dichter. Die Dichtung aber ist laut Sachs wiederum nichts anderes als Traumdeutung. 155 Und da nun der Traum grundsätzlich mehr über die Wirklichkeit ausgibt als die Wirklichkeit selber, hat man es mit dem für Wagner prototypisch paradoxen "wachen Dichtertraum"156, dem 'Wahrtraum' zu tun; des "Menschen wahrster Wahn" 157 ist "eine Wahrheit, die nur im Traum gedacht und nur über die Kunst manifest gemacht werden kann."158 Die 'Wahrtraum-Gestalten' (die erkennbar in die Meistersinger eingegangen, selbst aber dort gar nicht mehr benannt werden und eine Formulierung bleiben aus Über das Opern-Dichten und Komponiren im Besondern) treiben die "Wahrtraumdeuterei"159 hervor, letztere umgekehrt aber auch erstere, der Austausch der frei flottierenden Kräfte ist die Tätigkeit des Künstlers, das Ganze nichts weniger als die Kunst. <'Beethoven'-Schrift und Traumbegriff> Eine endgültige Differenzierung des Traumbegriffs liefert Wagner jedoch erst 1870 mit seiner Beethoven-Schrift, die die Musikdramen musikphilosophisch abwürzt, die vor allem die über viele Jahre und alle Werke verteilten Äußerungen zum Schlaf und zum Traum thematisch so zuspitzt, daß wir hier von einer eigens Wagnerschen, auf die Kunst angewandten Schlaf- und Traumtheorie sprechen könnten (und uns auch wundern dürfen, warum das bislang noch niemand getan hat). Auf Arthur Schopenhauer und dessen "verschlafenes Hauptstück"160 Die Welt als Wille und Vorstellung Bezug nehmend, die Theorie der Telepathie aus dem Versuch über das Geistersehen in Teilen sogar wörtlich übernehmend, übersetzt Wagner jetzt die naturphilosophische Auffassung, daß man im Wachzustand Arbeitskraft verlöre, im Schlaf jedoch gewänne, in seine Musikästhetik. 153 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 461 154 TB vom 13. 6. 1882. [Wagner, 1977], S. 960 155 Ja, 'Traumdeutung'. Wie gehabt müßte das Wort für Wagner umgangen werden, wäre es nicht doch so gut auf ihn anwendbar und wäre es nicht immer wieder reizvoll, die Verbindung zu Freud herzustellen. Unter vielen anderen tut das Nike Wagner: "Wäre Freud ein wenig Wagnerianer gewesen, hätte er gejubelt, denn es ist, als hätte Wagner in seinen Schriften geblättert und wäre auf jene Stelle gestoßen, in der das Dichten mit dem Tagträumen gleichgesetzt wird, mit dem träumerischen Bewußtmachen des Unbewußten und seiner tiefsten Wünsche und Bilder." [Wagner, 1998a], S. 159 156 Die Meistersinger von Nürnberg, 3, 5. [Wagner, 1984a], S. 102 157 Die Meistersinger von Nürnberg, 3, 2. Ebd., S. 73 158 [Wagner, 1998a], S. 160 159 Die Meistersinger von Nürnberg, 3, 2. [Wagner, 1984a], S. 73 160 [Wapnewski, 1981], S. 193 121 Zunächst klingt auch das paradox, und es muß nicht sofort einleuchten, wenngleich es hier gerade die Vernunftwidrigkeit ist, die Wagners eigenem Sujet entgegenkommt. Schopenhauer aber, der sich eingehend mit der Funktion des Schlafs beschäftigt hatte, ja der "das calderonisch-romantische Wechselwort 'Der Traum ein Leben' und 'das Leben ein Traum' zu einem monumentalen Gedankensystem[...], zu einer philosophischen Symphonie [überhöht hat]"161 und übrigens selbst reichlich geschlafen haben soll 162, Schopenhauer bezeichnet den Schlaf als "das wahre große Panakeion".163 Das ist eine Zuschreibung, die er nur an einer einzigen anderen Stelle seines Œuvres wiederholt, nämlich in der Passage: Die "Musik [ist das] Panakeion aller unserer Leiden". 164 Zweifellos hatte er damit sämtliche für diesen Themenkreis infragekommenden romantisch-naturphilosophischen Überlegungen auf einen Punkt zusammengezogen und so eben auch sämtliche Paradoxa: Schlaf ist "der ursprüngliche[...] Zustand"165 des Menschen. Allein im Schlaf, meint er, könne sich der Wille, das erste Lebensprinzip seiner Philosophie, am reinsten ausbilden. Besonders der magnetische Schlaf sei Ausdruck dafür, daß die Lebenskraft erst unterirdisch mit ungeteilter Macht und "nach seiner [...] wesentlichen Natur"166 wirksam sein könne - 'magnetischer Schlaf' verstanden als ganzheitlicher Heilungsprozeß, der allein durch das Aktivieren körpereigener Energiefelder in Gang gesetzt wurde.167 Das Phänomen 'Schlaf' ist also in sich ein paradoxes Erklärmodell, ein "Wächter des Lebens"168, und nur auf Grund der dadurch erzeugten Bedeutungsfülle konnte sich wohl auch Wagners Kunst- von Schopenhauers Lebensanschauung ableiten. Selbstverständlich hatten schon die naturphilosophischen Wissenschaftler Wachen und Schlafen als Analoga betrachtet, welche eine Einheit allein durch Widerspruch herstellen können. "One set of organs", hieß es zum Beispiel bezogen auf den Wechsel zwischen dem Wachen und dem Schlafen, "is laying down particles, and another taking them up with such exquisite nicety, that for the continual momentary waste there is continual momentary repair."169 Die Polarisationstheorien der Naturphilosophen gingen über in die reine Dialektik – was Wagner für sich fruchtbar machen sollte, das nannte Kieser "Oscillation (wechselndes Ueberwiegen des einen und des andern in der Zeit)". 170 Die Annahme, daß der menschliche Organismus vom Moment des Erwachens an die Produktion von Ermüdungsstoffen betreibe, vom Augenblick des 161 [Loos, 1952], S. 278 162 Nach: [Kloppe, 1966], S. 120 163 [Schopenhauer, 1946b], S. 275 164 [Schopenhauer, 1949a], S. 309 165 [Schopenhauer, 1949b], S. 273 166 Ebd. 167 Wagner war den unterschiedlichen Lehrmeinungen des Magnetismus' übrigens recht zugetan. Seine eige- nen Leiden zu kurieren, ließ er sich von einem privaten Magnetiseur behandeln. Nur meinte er mit Bezug auf die Behandlungsmethoden (magnetisierte Blumen, Kräuter, Tiere, abgedunkelte Zimmer mit Spiegeln an den Wänden, Zuspielung von Harmonika-Klängen): "[W]enn so etwas Ernsthaftes nicht so lächerlich wäre". TB vom 30. 9. 1877. [Wagner, 1976a], S. 1069 168 [Kloppe, 1966], S. 120 169 [Macnish, 1830], S. 5 170 [Kieser, 1822], § 290, S. 298 122 Einschlafens jedoch nur noch an deren Beseitigung arbeite, dürfte unmittelbar Einfluß genommen haben auf Wagners musikästhetisches Vokabular. Hieß es bei Schopenhauer: "[D]er Schlaf ist für den ganzen Menschen was das Aufziehn für die Uhr"171, so ließe sich sogar behaupten, Wagner sei 'seinem' Philosophen in doppelter Hinsicht verbunden gewesen. Hatte ihm das 'Erlebnis Schopenhauer' in den Jahren der Heimatlosigkeit selbst Trost und kreative Ruhe verschafft, so projiziert er Schopenhauers Theorie nämlich genau mit diesem Wissen zurück auf den Theoretiker, zeigt sich von beiderlei Wirkung überzeugt und verknüpft theoretische und biographische Gegebenheiten zu dem ihm üblichen Beziehungsgeflecht. "[N]iemand kann ihn [Schopenhauer] überhaupt denken", meint er, "indem er [ihn] nicht bereits lebte". 172 An Mathilde Wesendonk meldet er deshalb nach der Schopenhauer-Lektüre: "[K]lares Erkennen kühlt das Leiden: die Falten glätten sich, und der Schlaf gewinnt wieder seine erquickende Kraft".173 An Liszt: "[W]enn sie [die Stürme meines Herzens] noch jetzt oft zum Orkan anschwellen – so habe ich [durch ihn, Schopenhauer,] dagegen doch nun ein Quietiv gefunden, das mir endlich in wachen Nächten einzig zu Schlaf verhilft". 174 Daß die Wege "sogar im Traum"175 zu Schopenhauer zurückführten, belegen Wagners Schriften, Briefe und Cosimas Tagebücher hinreichend.176 Erkenntnis und Erlebnis verschmelzen demnach zu einer Grunderfahrung. Und diese Grunderfahrung wiederum, jenes Empirem, das besagt, "»Glückseligkeit«" sei nur dort zu finden, "»wo es kein Wo und Wann gibt«"177, wie Wagner das noch 1880 in den Worten Schopenhauers ausführt, diese elementare Erfahrung hat sich schließlich im Beethoven-Aufsatz abgesetzt und wird dort theoretisch legalisiert. Es geht um nichts weniger als die Idealität des Zeit- und Raumlosen. Wie andere programmatische Schriften Wagners auch, so ist die Beethoven-Studie nun leider stark verklausuliert und dadurch nicht immer eindeutig. Sobald man sie aber von ihren (weltanschaulichen) Schlacken befreit, ist erkennbar, daß Wagner im Grunde alles aus einem einzigen Gedankengang entwickelt: Für den Schlaf des Künstlers im allgemeinen, für den des Musikers im besonderen, gibt es zwei Arten von Träumen, einmal den tiefsten oder "innersten Wahrtraum"178, zum anderen den "allegorischen Traum".179 Im tiefsten Traum werden all jene Bilder und Zeichen produziert, die später die Kunst instand setzen helfen; diese Signifikate sind zunächst allerdings noch völlig ungeordnet und unvermittelbar. Die ganz "eigenen Formen der Wahrnehmung"180 konstituieren sich als 171 [Schopenhauer, 1946a], S. 472 172 Brief Richard Wagners vom 16. 12. 1854 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 394. Man kann Paul Bekker also recht geben, der über die Beethoven-Schrift sagte: "Sie ist das ergänzende Gegenstück zur Autobiographie." [Bekker, 1924], S. 453 173 Brief Richard Wagners vom 22. 7. 1860 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 322 174 Brief Richard Wagners vom 16. 12. 1854 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 394 175 [Reinhardt, 1986], S. 103 176 Ich verweise auszugsweise auf die Träume Nr. 395 und Nr. 505 meines Traumregisters, in denen Schopenhauer in einer für Wagner typischen Form als Gesprächspartner erkennbar ist. 177 Was nützt Erkenntniß? [Wagner, 1883h], S. 334 178 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 132 179 Ebd., S. 92 180 Ebd., S. 86f. 123 das sogenannte "Traumorgan"181, welches ebenso ohne Verbindung zur Außenwelt existiert und allein von innen zur Tätigkeit angeregt werden kann. Das geschieht durch Vorgänge, die sich "unserem wachen Bewußtsein [...] nur als dunkle Gefühle andeuten"182, durch die wir aber "der ganzen Natur unmittelbar verwandt"183 sind. Doch strenggenommen bleibt das Traumorgan in sich unabhängig und funktional selbstreferentiell. Nun bliebe aber durch diese wundersame Eigenständigkeit auch die Gesamtheit all der verschlüsselten Äußerungen unverständlich, ja sie ginge sogar verloren, gäbe es nicht einen Katalysator, der das Unbewußte mit dem Bewußten in Zusammenhang brächte. Diese Übersetzungsarbeit übernimmt der zweite, der allegorische Traum, der die Einsichten des tiefsten Traums als "Traumbild"184 an das Bewußtsein weitervermittelt. Als Träger der "Traummittheilung"185 geht dieses Traumbild selbst direkt dem Wachzustand voraus und entlädt sich in ihm. Im Moment des Erwachens entsteht damit die Musik als höchste Kunstform, in einigen Fällen, zum Beispiel Shakespeares und Goethes, auch die Dichtung, die laut Wagner in ihrer reinsten Äußerung allerdings der Musik nahekommt. Läßt man das Erwachen als letzte und besondere Stufe innerhalb dieses Klassifikationsschemas noch außen vor – wir werden darauf zurückkommen –, so haben wir es demnach mit zwei verschiedenen Schlafgebärden zu tun. In sich ist das bereits bedeutsam. Denn die in Traumstufen gestaffelte Metaphorik des Schlafs behauptet sich als tiefgehend genug, um den komplizierten, gar geheiligten Vorgang der Kunstproduktion nicht nur zu schildern, sondern überhaupt dessen interne Mechanismen freizulegen. Wagner überschreibt dem Schlaf alle ungeteilten Lebens- und Schaffenskräfte und spricht im Zusammenhang damit nicht umsonst von einem "Wunder"186, was sich sowohl auf die Kapazitäten des Schlafs als auch auf die Entstehung der Kunst anwenden ließe. Begriffsbildung also mit Netz und Boden. Die Kunst aber, vor allem die Musik, sie werden reziprok durch all das zur Abbildung, mehr noch, zur Deutung der Träume. Das musische/ musikalische Kunstwerk beschreibt das Innerste, den Kern ohne Ummantelung. Die Musik wird zur "Kundgebung des innersten Wesens aller Dinge"187, zu nichts geringerem als zur Wagnerschen "Offenbarung [...] vom Wesen der Welt". 188 <Begriff des 'tiefen Traums'> Was in diesem Beziehungszauber der tiefe Traum bedeutet, dürfte klar sein, obschon er zweifellos der geheimnisvollere von beiden ist: er entspricht dem 'wahrsten Wahn'. Er ist die Substanz des künstlerischen Menschen. Dessen Innenwandung, der Urgrund, das Wesentliche. Zwar ist es aus Sicht der modernen Physiologie sachlich falsch, wenn Wagner 181 Ebd., S. 87 182 Ebd. 183 Ebd. 184 Ebd., S. 94 185 Ebd., S. 131 186 Ebd., S. 88 187 Ebd., S. 98 188 Ebd., S. 130 124 den tiefen Traum im Gegensatz zum leichten, dem Erwachen vorausgehenden allegorischen Traum als "Traum des tiefsten Schlafes"189 deklariert und gleichzeitig behauptet, dies wäre die intensivere der beiden Traumphasen. Das Gegenteil ist der Fall. Der tiefe Schlaf ist immer traumlos, der flache hingegen erst setzt die großen und bildintensiven Träume frei. Möglich aber, daß Wagner hier mehr als nur einem Irrtum einem ganz besonders konstruktiven Anachronismus erlegen ist, denn zu erstaunlich ist es, welch festen Zugriff er auf die unscharfe Thematik erkennen läßt. Sein Lapsus wird geradezu durch jene Beharrlichkeit neutralisiert, mit der er den Schlaf in mehrere Phasen unterteilt, um aus diesem das Unterbewußte hervorzureizen. Am Ende entsteht ein 'Anachronismus nach vorne', und zwar ein Anachronismus Richtung Freud. Und immerhin, das Unbewußte galt noch zu seiner Zeit als moralisch verdächtig, die Auseinandersetzung damit (und mit Schopenhauer sowieso) als provokant. Und selbst wenn Wagner für sich den "Mode-Philosophen"190 Eduard von Hartmann, der eine damals rasch weitergereichte Philosophie des Unbewußten geschrieben hatte, ablehnte, vermutlich weil dieser den Stoff seinem Empfinden nach entstellte, so verstörte es ihn tief, daß man Schopenhauers Lehre nachsagte, sie führe einzig und allein "zum Selbstmord". 191 Vor allem hier witterte er Unverständnis, hier bemühte er sich um Wiedergutmachung, und Wagners eigenen psychoanalytischen Gehversuchen sollte man folglich einen gewissen Weitblick nicht absprechen. <Begriff des 'allegorischen Traums'> Von Weitblick zeugen auch die Gedanken zum allegorischen Traum. Zur genaueren Bezeichnung des tiefsten Traums geschaffen, übernimmt diese zweite Traumform die Vermittlung des Unbewußten. Freilich ist auch dies wieder ein schwieriger Vorgang, in sich eine anfällige Prozedur. Cosima schrieb einmal an Nietzsche, daß "die Philosophie, zur Deutung verflucht, der Ur-Wahrheit gegenüber sich wohl verhalten mag, wie der allegorische Traum [...] zum Traume des tiefen Schlafes."192 Heute würden wir sagen, daß dem vermittelnden Traum die Last der eigentlichen 'Traumdeutung' überantwortet ist und daß es hier um ein Phänomen geht, das zu Wagners Zeit noch nicht einmal diesen Namen besaß, geschweige denn die notwendigen wissenschaftlichen, medizinischen oder sozialen Voraussetzungen. Mit dem Begriff der 'Allegorie' versucht Wagner deshalb, die methodischen Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Bereits in Staat und Religion hatte er 1863 behauptet, daß die 189 Ebd., S. 94 190 TB vom 26. 2. 1873. [Wagner, 1976a], S. 643 191 Ebd. (sic). Übrigens hatte Wagner Hartmanns Philosophie des Unbewußten von keinem geringeren als Nietz- sche zu Lesen bekommen, und zwar genau im Jahr 1870. Cosima verzeichnete auch gleich, daß das Buch "einen großen Widerwillen erregt" habe und fügt an: "Immer wieder kommt R. auf Schopenhauer's Größe zurück." TB vom 25. 1. 1870. Ebd., S. 192. Nur zwei Tage später schreibt sie ergänzend an Nietzsche, ihr schiene, daß das, was Hartmann "von Schopenhauer stiehlt [...] gut, und was er von sich hat schlecht ist." [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1938], S. 22 Dank an dieser Stelle an Elliott Eisenberg (Amsterdam), dem ich den lohnenden Hinweis auf Eduard von Hartmann schulde. 192 Brief Cosima Wagners vom 12. 2. 1873 an Friedrich Nietzsche. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1940], S. 45 125 Allegorie "gewissermaßen eine Übertragung des Unaussprechlichen, nie Wahrgenommenen und aus unmittelbarer Anschauung Verständlichen"193 sei. Weiter heißt es, in der heiligen Allegorie [werde] versucht, der weltlichen Vorstellung das Geheimniß der göttlichen Offenbarung zuzuführen: sie kann sich zu dem vom Religiösen unmittelbar Angeschauten nur dem ähnlich verhalten, wie sich der am Tage erzählte Traum zu dem wirklichen Traume der Nacht verhält.194 Konzeptionell war die Idee der Allegorie demnach schon früh vorgeprägt. Man könnte meinen, Wagner habe mit der Beethoven-Schrift bloß das noch einmal in neue Worte gefaßt, was ihn an anderer Stelle schon lange beschäftigte. Warum aber ist der allegorische Traum nun so essentiell für die Entstehung von Kunst und Musik? Sowohl der Traum als auch die Allegorie – beides jetzt verstanden als neutrale begriffliche Größen – können Verwandlungen zulassen und sind imstande, Zusammenhänge entweder als Bilder zu veranschaulichen oder sie zu solchen zu verdichten. Beide Phänomene generieren eine bildhaft belebte Darstellung und kommen dem musikalischdramatischen Kunstwerk (Wagners) auf halbem Wege entgegen. Laut Ralf Eisinger, der sich eingehend mit dem Themenkomplex beschäftigt hat, erlaubt nicht nur der Traum, sondern auch die Allegorie die Transformation in verschiedene Seinszustände, welche wiederum – von der Personifikation abstrakter und symbolischer Sachverhalte ausgehend – im musikalischen Drama in verschiedene Zeichenebenen gestischer, bildlicher, sprachlicher und musikalischer Natur umgesetzt und gegeneinander gesteigert werden. 195 Allegorie, Traum, allegorischer Traum, sie liefern ein Abbild des Unabbildbaren, und zwar ohne dieses unsachgemäß (und ganz entgegen der Wagnerschen Theaterästhetik) zu psychologisieren. Wagner insistiert hier hartnäckig auf dem Unterschied zwischen einem reellen, psychologischen und einem allegorischen Traum, obwohl er sonst keine Zweifel daran läßt, daß Träume eine physiologische, "nach innen gerichtete[...] Funktion des Gehirnes"196 seien und "cerebrale Befähigung"197 haben können. Was den allegorischen Traum aber betrifft, so will er "immer nur das Verfahren festhalten [...], mit welchem wir das Phänomen des Traumes analogisch, nicht aber mit diesem es identifizirend, auf die Entstehung der Musik als Kunst"198 anwenden. Und das ist so verwunderlich nicht, mußte doch der allegorische Traum ein "den gemeinen Erfahrungen des Lebens"199 verwandtes Bild, keinesfalls aber einen mit diesen identischen Klartext liefern. Noch einmal wird unterstrichen, daß der Prozeß der Kunstproduktion nur jenseits der Realität einsetzen und daß er mit alltäglichen Mitteln weder beschreib- noch erklärbar sein kann. 193 Staat und Religion. [Wagner, 1873j], S. 29 194 Ebd., S. 29f. 195 Siehe: [Eisinger, 1987], S. IIff. 196 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 86 197 Ebd., S. 98 198 Ebd., S. 117 199 Ebd., S. 132 126 Die Idee des Bildes wird somit zu einem Kernstück der Wagnerschen Kunstästhetik. Allerdings, auch das wieder scheint unlogisch, denn es soll ja um Musik gehen. Das Bild aber, das Wagner vorschwebt, ist kein Konterfei, es ist eine personifizierte Traumerscheinung – eine traumartige, musische Verdichtung. Darin liegt die über Wagners Epoche weit hinausreichende Erkenntnis, daß ein Traum nicht allein durch einen (in sich bedeutungsschwachen oder bedeutungsleeren) katalytischen Reiz hervorgeholt, sondern daß er erst durch eine eigengesetzliche, symbolische Form vermittelt werden kann. Die vom "tief erregenden Traume übrig bleibende Vorstellung [ist] eigentlich nur eine allegorische Übertragung". 200 Wenn man nicht davon ausgeht, daß die Träume bereits ihre eigene Deutung sind, und davon geht Wagner nicht aus, dann wird man ihrer nur habhaft, wenn man an ihrer Statt ein Substitut akzeptiert. Und Wagner akzeptiert dieses Substitut, mehr noch, er widmet dem Substitut künstlerisch mehr Aufmerksamkeit als dem, was dies zu substituieren hat. Nur so aber konnte das Wagnersche "(Traum-)Bild"201 generell zu einem Zeichen der Kunst und speziell zu einem Zeichen des Theaterhaften werden, denn: die "Allegorie kann [...] leibhaftig im Drama auf der Bühne erscheinen"! 202 Und sie muß doch nichts preisgeben von jenem höheren Prinzip, das sie vertritt. Sie schließt nichts aus, so könnte man auch sagen, sondern schließt alles mit ein. Ergebnis: Korrelierte noch der tiefe Traum mit dem 'wahrsten Wahn', so kann der allegorische Traum plötzlich mit den 'Wahrtraum-Gestalten' in Zusammenhang gebracht werden! Ein Zufall ist es nicht, daß Wagner die Kunst in ihrer allgemeinsten Form genau in dieser Bedeutung verstanden wissen wollte; sie müsse eine schwerelos schwebende, symbolisch angefüllte Lichtgestalt sein, ein durch den Traum gewonnenes, sichtbar gewordenes Bild der Musik. Tatsächlich sind es ja dann auch die 'Wahrtraum-Gestalten', die, aus dem Wissen eines 'tiefsten Künstlertraums' erschaffen, die Bühne der Wagnerschen Musikdramen bevölkern werden – szenisch-bildliche Repräsentanten des 'wahrsten Wahns'.203 <Gesichtssinn> Aber lag hinter der Idee des Bildes nicht doch noch ein Widerspruch? Gerade im Sinne des Schlafmotivs, das seine Bedeutung verliert, sobald es um die sichtbare Welt geht, müssen wir besonders aufmerksam sein. Denn das Theoriengebäude Wagners fußt nicht nur auf der Idee vom 'Traum-Bild, jenem Bild hinter den Bildern. Wagner versetzt dieses 'Traum-Bild' sogar mit Metaphern des Auges, des Blicks und des Sehens, und er bemäntelt hier überhaupt nichts.204 200 Staat und Religion. [Wagner, 1873j], S. 30 201 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 98 202 [Eisinger, 1987], S. VII 203 Es ist aber also bei weitem keine Arroganz und kein selbstverliebter Spieltrieb gewesen, sondern tiefe Einsicht des Regietheaters, daß man Wagners Musikdramen als Licht-Spiele zu inszenieren begann. Wer ist 'man'? Ich nenne nur die wichtigsten Namen: Appia und Craig, Roller und Mahler, Wieland und Wolfgang Wagner, Heiner Müller und Robert Wilson und jetzt wohl auch Marthaler und Viebrock. 204 Tatsächlich ist das Ganze ein eigener Motivkomplex, der nicht nur in der Beethoven-Schrift, sondern immer wieder an vielen, äußerst prägnanten Stellen im Wagnerschen Œuvre auftaucht und der folglich dringend die Zuwendung bräuchte, die man ihm bislang versagt hat. 127 Zur Grundlage: Um träumen zu können, müssen die Augen bekanntlich geschlossen sein, im mindesten sollte der Blick unscharf werden, soweit es sich um Tagträume handelt. Die Voraussetzung für Wagners Kunstbegriff liegt deshalb darin, daß der Künstler fähig sein muß, seinen äußeren Gesichtssinn zu "depotenzir[en]". 205 "Alle Täuschung [...] ging eben nur aus dem Sehen einer Welt außer uns hervor". 206 Bezeichnenderweise hatte er, Wagner, als einmal "eine Gesellschaft armer Blinder" für ihn musizierte, sich tatsächlich kaum mehr von diesen trennen können, weil "man [so erst] die Macht der Musik [empfinden könne]!"207 Der Schlaf kann in dieser Hinsicht als eine Art 'gesunder Blindheit' gelten. Weil sich mit ihm das Auge schon rein mechanisch vor der Außenwelt verschließt, scheint er genau jener Automatismus zu sein, der die Entstehung einer anderen, besseren Welt wie von selbst in Gang setzt und die Genese der Kunst auslöst. Nun ist für Wagner aber auch im Nietzscheschen Sinne das Träumen vor allem "die auswählende Fortsetzung der Augenbilder"208 – in Mein Leben bringt er das eigene Traumleben mit der "Affektion der Sehkraft"209 in Verbindung –, und so wird das geschlossene äußere Auge plötzlich im Umkehrschluß zur Voraussetzung für das innere Sehen. Das Erkennen der Welt und die "innere[...] Anschauung der Idee"210, sagt Wagner, kann "nur diesem nach innen gewendeten Bewußtsein ermöglicht sein [...], wenn dieses zur Fähigkeit gelangte, nach innen [...] hell zu sehen". 211 "Der wahre Dichter soll nun aber kommen, der mit dem hellsehenden Auge".212 Der Romantiker Wagner schreibt damit freiweg die Theorie des "sogenannten »zweiten Gesichtes«"213, er erhebt den "Zustand des Hellsehens"214 zur Keimzelle der Kunstproduktion und den Somnambulismus zum Idealzustand des Künstlers. Die oft erwähnte, aber auch oft angezweifelte, besonders in der Theaterarbeit leider zu oft bagatellisierte und szenisch kupierte vegetative Nachtwache Hagens aus dem 2. Aufzug der Götterdämmerung, das ist eigentlich die Lebenshaltung, die Wagner dem Künstler verordnen will. Nicht geht es um Traumverlorenheit, nicht ums Zurücksinken, nicht um Dämpfung des Lebenstriebes, nicht um Wotan-Gefühle. Ziel sei es vielmehr, mit "offenen Augen in den Zustand [zu] gerathen, welcher mit dem des somnambulen Hellsehens eine wesentliche Ähnlichkeit hat". 215 Wagner läßt keine Zweifel daran offen, daß sich dies sogar steigern lassen müsse zu nachtwandlerischer Hyperaktivität. Von sich selbst weiß er, daß "so ein Musiker, während er komponiert, [...] einem wahnsinnigen somnambulen Zustand [verfällt]."216 Bereits 1859, noch auf dem Weg zur eige205 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 93 206 Ebd., S. 88 207 TB vom 7. 5. 1875. [Wagner, 1976a], S. 915f. 208 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 447 209 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 642 210 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 82 211 Ebd., S. 86 212 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 175 213 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 131 214 Ebd., S. 92 215 Ebd., S. 94 216 TB vom 25. 2. 1870. [Wagner, 1976a], S. 202 128 nen Traumtheorie, heißt es: "O Himmel! ich erkenne ihn: dies ist der Weg zur Heiligkeit! Das Leben, die Wirklichkeit immer traumartiger: die Sinne erstumpft; das Auge – weit geöffnet – sieht nicht mehr"217 und rund ein Jahr später: Es muß da einen unbeschreibbaren inneren Sinn geben, der ganz hell und tätig nur ist, wenn die nach außen gewendeten Sinne etwa nur träumen. Wenn ich eigentlich nicht mehr deutlich sehe, [...] ist dieser Sinn am tätigsten. 218 Schlafend wach zu sein, das ist gleichbedeutend mit dem "(geistige[n]) Erschauen der Ideen".219 Die Kunst kann demnach nicht ohne Schlaf, mit diesem aber nur wieder in paradoxem Verhältnis zu ihm erzeugt werden. Es geht jetzt darum, zu "verstehen, ohne [...] zu sehen."220 <Hörsinn> Zweifellos hat Wagner damit nicht nur den Gipfel seiner kunstphilosophischen Gratwanderung erreicht, erreicht hat er vor allem die tiefste Tiefe des Unbewußtseins. Und hier, wo die Logik der Dinge aussetzen darf, leitet er jene Kehrtwende ein, mit der sich das im Schlaf entstandene Kunstwerk nun wirklich nach außen katapultieren ließ: Dicht verknüpft mit der Idee vom offenen Auge, das nichts mehr und dem geschlossenen, das Alles sieht, bringt er die Erklärung von der Konzeption der Töne. Die eigene, hochdramatische und weithin berühmt gewordene Halbschlaf-Vision für das Rheingold, durch die er selbst ehedem in La Spezia zu den ersten Klängen seines Ring-Zyklus' gelangt war, wird nun gewissermaßen erkenntnistheoretisch fundiert. Zur Erinnerung: "Am Nachmittag heimkehrend", so schildert er es, streckte ich mich todmüde auf ein hartes Ruhebett aus, um die langersehnte Stunde des Schlafes zu erwarten. Sie erschien nicht; dafür versank ich in eine Art von somnambulen Zustand, in welchem ich plötzlich die Empfindung, als ob ich in ein stark fließendes Wasser versänke, erhielt. Das Rauschen desselben stellte sich mir bald im musikalischen Klange des Es-durAkkordes dar, welcher unaufhaltsam in figurierter Brechung dahinwogte; [...] Mit der Empfindung, als ob die Wogen jetzt hoch über mich dahinbrausten, erwachte ich in jähem Schreck aus meinem Halbschlaf. Sogleich erkannte ich, daß das Orchester-Vorspiel zum Rheingold, wie ich es in mir herumtrug, doch aber nicht genau hatte finden können, mir aufgegangen war; und schnell begriff ich auch, welche Bewandtnis es durchaus mit mir habe: nicht von außen, sondern nur von innen sollte der Lebensstrom mir zufließen. 221 Der tiefe Traum, durch besonders flachen Schlaf erzeugt, wird hier geradezu prototypisch mit jenem gesteigerten Höreindruck in Verbindung gesetzt, der im allegorischen Traum formal eine Entsprechung hat. Schlaf oder Halbschlaf, Versenkung im Traum und das 217 Tagebucheintrag Richard Wagners vom 4. 4. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 155 218 Brief Richard Wagners vom 1. 1. 1860 an Mathilde Wesendonk. Ebd., S. 278 219 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 88 220 Ebd., S. 95 221 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 511f. 129 innere Sehen, so resümiert Wagner in der Beethoven-Schrift, reizen also in letzter Konsequenz den Hörsinn und erzeugen im Künstler den Ton – das "nach innen gewendete[...] Auge [wird] nach außen gerichtet zum Gehör". 222 Musik wird zum "unmittelbare[n] Traumbild".223 Natürlich ist all das schwer nachvollziehbar, selbst wenn man die Möglichkeit eines synästhetischen Erlebens nicht von sich weist. Doch selbst die Vision von La Spezia scheint zunächst ein wenig zu erhitzt – zu gedrängt, fast gestaucht, wirken die sinnlichen Eindrücke. In der Tat ist es so, daß Wagner sich auch genau hier, an dieser kritischen Stelle, abrupt von seiner Schopenhauerschen Vorlage emanzipiert hat; er zwingt die eigene Theorie der telepathischen Hör- in dessen Theorie der telepathischen Seherlebnisse förmlich hinein. Allerdings, ganz so mutwillig wie es scheint, sind Wagners Direktiven am Ende doch nicht. Aus der heutigen Schlafmedizin weiß man, daß Träume durchaus von akustischen Signalen beeinflußt werden können und daß sie sich auch in diesen entladen. Ebenso basiert die Psychoanalyse auf dem akustischen, nicht auf dem optischen Kontakt zwischen Träumendem und Traumdeuter. Für die Physiologie ist es ohnehin kein Novum, daß das menschliche Hörorgan selbst Töne produziert und daß es diese deshalb nicht nur empfangen, sondern ebenso aussenden kann – ein Phänomen, das mit dem Vorgang des 'inneren Hörens' zusammenhängt und unter dem Begriff der 'Otoemission' untersucht wird. Wagner weist also wieder in die richtige Richtung. Daß der Verzicht auf das herkömmliche, analytische Sehen, welches "uns kalt und theilnamslos läßt"224 und daß das Schlafen und die innere Anschauung Bilder freisetzen, die verfließend ihre Konturen aufgeben und deshalb eher mit der Terminologie der Musik als der der Optik beschreibbar sind, selbst das ist eigentlich einleuchtend. Wagner kann diesen Verflüssigungsprozeß sogar erkenntnisphilosophisch einordnen, kennt ihn also nicht nur als Komponist und schildert ihn glaubhaft: Ich hab' das Auge nur noch, um Tag oder Nacht, hell oder düster, zu unterscheiden. Es ist wirklich ein Absterben gegen außen und nach außen: ich sehe nur noch innere Bilder, und die verlangen nur nach Klang.225 Überhaupt gibt es "für den Musiker [...] kein Sehen, keine Außenwelt"226, so sagt er. Und natürlich ist das Ohr, selbst wenn das äußere Auge schon geschlossen ist, noch immer offen. Insofern ist es – laut Wagner – mächtiger als das Auge und taugt noch unmittelbarer dazu, das Innerste nach außen und das Äußere nach innen weiterzuleiten. Die Bilder, die der tiefste Traum freisetzt und der allegorische delegiert, sind zwar effiziente Katalysatoren der Kunst, genaugenommen aber nur eine Welt, aus der eine "zweite, nur durch das Ge- 222 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 98 223 BB [zwischen 3. und 19. 7. 1870]. [Wagner, 1988b], S. 210 224 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 89 225 Brief Richard Wagners vom 21. 12. 1861 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard – Briefe>, 1915], S. 386 226 TB vom 27. 11. 1879. [Wagner, 1977], S. 451 130 hör wahrnehmbare, durch den Schall sich kundgebende Welt"227 evolviert. Die Schallwelt verhält sich dabei zur Lichtwelt wie "der Traum zum Wachen". 228 Darum: Das Unbewußte des Unbewußten zu rezipieren, dazu ist allein das Gehör fähig, und zwar weil "keine Täuschung, wie im Scheine des Lichtes, [...] hier möglich [ist]"229; nur der Ton kann "als unmittelbare Äußerung des Willens"230 zum getreuesten Abbild des 'wahrsten Wahns' werden. Töne und allegorische Träume haben in Wagners Musikästhetik demnach nebeneinander Bestand, bloß mit unterschiedlichem Effekt. Formulierungen wie " 'Sehkraft' [...] des Gehöres"231 oder "Wachen [der] inneren Tonwelt"232 kommen plötzlich zu ihrem Recht – Wagner hatte mit wechselndem Fabulierglück immer nur wieder das für die Entstehung der Kunst nötige Spiel der Sinne und deren Steigerungskraft zu fassen versucht. Auch das auf Wagner zielende Diktum Nietzsches: "Der dramatische Musiker muß nicht nur Ohren, sondern auch Augen in den Ohren haben"233 kann so verständlich werden. Selbst diejenige einigermaßen delikate Stelle in der Beethoven-Schrift, an der Wagner die eigene Traum- und Musiktheorie auf den historischen Beethoven anzuwenden sucht, wird ungefähr einordbar: Wo Beethovens Taubheit als Beweis für die Hellhörigkeit des Musikers herangezogen wird, da müssen wir das wohl verstehen als Rekurs auf die innere Sehschärfe und "Selbst-"234 bzw. "Weltschau"235 eines für die Erlebnisse des Traums privilegierten Künstlers. Es ist bezeichnend, daß Cosima ausgerechnet im Jahr 1871, also kurz nachdem Wagner die Niederschrift seiner Beethoven-Studie fertiggestellt hatte, ernsthaft glaubte, dessen eigenes Hörvermögen lasse nach. 236 Hier behauptet sich das Ausmaß einer Theorie, gemäß derer die Taubheit eine auserwählte, schöpferische Krankheit sei. In der Überlagerung von Bild und Ton, Sehen und Hören, Auge und Ohr ging es jedenfalls stets darum, daß der "Mensch [...] ein äußerer und ein innerer [ist]. Die Sinne, denen er sich als künstlerischer Gegenstand darstellt, sind das Auge und das Ohr: dem Auge stellt sich der äußere, dem Ohre der innere Mensch dar."237 Und diese Überlegung wird dann lediglich soweit zugespitzt, daß Traumbilder zu Hörerlebnissen werden können – eine Vorstellung, die nicht nur auf die biographisch zentrale Initialvision des Rheingold zurückverweist, sondern die später zum unsichtbaren und nur hörbaren Orchester, ja die zur Abdunklung des Zuschauerraums im Bayreuther Festspielhaus führen wird. Weiter unten werden wir das verifizieren. 227 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 87 228 Ebd., S. 87 229 Ebd., S. 90 230 Ebd., S. 86 231 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 170 232 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 112 233 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988k], S. 335 234 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 101 235 Ebd., S. 110 236 Siehe: TB vom 5. 9. 1871. [Wagner, 1976a], S. 434 237 Das Kunstwerk der Zukunft. [Wagner, 1872c], S. 78 131 Nietzsche beschreibt exemplarisch, wie die Dialektik der Sinne in der Wagnerschen Kunsttheorie zustande kommt: [I]n Wagner will alles Sichtbare der Welt zum Hörbaren sich vertiefen und verinnerlichen und sucht seine verlorene Seele; in Wagner will ebenso alles Hörbare der Welt auch als Erscheinung für das Auge an's Licht hinaus und hinauf, will gleichsam Leiblichkeit gewinnen. Seine Kunst führt ihn immer den doppelten Weg, aus einer Welt als Hörspiel in eine räthselhaft verwandte Welt als Schauspiel und umgekehrt [...].238 Sicher hatte Wagner auch begriffen, daß eine Sinneserscheinung besser als durch sich selbst durch einen ihr gegengelagerten Sinn beschrieben werden kann. Und so konnten und sollten sich die Sinne innerhalb des ultimativen Kunstwerks ja auch gar nicht gegenseitig aufheben – sie sollten sich statt dessen zu gegenseitiger Steigerung ineinander vermengen. Dem Ton freilich kommt im Entstehungsprozeß dieses dann sogenannten 'Gesamtkunstwerks' die Aufgabe zu, den Künstler das sehen zu machen, was der tiefste Traum ihm aufwirft, ohne daß er es mit den begrenzten Mitteln seines Sehorgans entziffern müßte. Hellsichtigkeit wird zu Hellhörigkeit. Lediglich um ein Quentchen besser als durch den allegorischen Traum also, allerdings um das entscheidende, kann das Werk des Künstlers als das "Gesicht[...] der hellsehend gewordenen Somnambule" über den "Kanal [...] der Klangwelt"239 nach außen getragen werden. Wie die Töne zwar rein physiologisch im träumenden Künstler entstehen, das konnte auch Wagner nicht mehr erklären. Auch ihm fehlten hier (noch) die Begriffe. Daß aber dem Ton im Sinnenreich des Künstlers eine elitäre Funktion zugesprochen und damit vor allem anderen das Werk des Musikers bezeichnet wird, das ist der latente Sinn der Beethoven-Schrift. Wobei es falsch wäre zu behaupten, Wagner hätte den übrigen Künsten und Künstlern nur in einem Scheingefecht dieselben sinnlichen Möglichkeiten zugesprochen. Im Gegenteil. Doch das Traumbild wird nach Wagners Kunsttheorie nahezu automatisch musikalisiert. Je tiefer der Künstler in sich selbst dringt, das heißt je besser er in seiner Kunst wird, je genauer er das Innerste abgreift, desto eher werden in ihm Töne entstehen. Ein unausweichlicher Vorgang. Weil der Ton eben nicht mimetisch ist und keine Täuschung über das Innerste zuläßt, gilt gemäß der Beethoven-Schrift die Musik als die ultimative Kunstform und der Musiker als der ultimative Künstler, zu welchen sich entsprechend die übrigen Künste und Künstler ins Verhältnis setzen müssen. Daß die Kunst das 'Lied der geblendeten Nachtigall' sei, wie Wagner es ausdrückte (und wie es übrigens Jossi Wieler in seiner Stuttgarter SiegfriedInszenierung darstellte – seine Nachtigall war blind), erklärt sich jetzt fast von selbst. Denn wird die Nachtigall, die ja als Wesen der Dämmerung kaum je zu sehen ist und für uns allein durch ihre akustischen Signale lebt240, wird diese Nachtigall durch Blendung zusätz- 238 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 467 239 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 132 240 ...wie übrigens für sich die Fledermaus... 132 lich ihres Sehsinns enthoben, so singt sie noch schöner, noch genuiner. Sie ist das rein akustische Tier – wie der Musiker. 241 Die Bedeutung des Schlafs für all diese auditiven Komponenten der Wagnerschen Traumtheorie liegt darin, daß er den Menschen außer Kraft und Bewußtsein setzt, ohne ihn jedoch reizunempfindlich zu machen; Schlaf stellt die optimale Vorbedingung her für die Resonanz zwischen dem Innen und Außen. Durch das im Schlaf weit geöffnete "Thor"242 des Gehörs können die Eindrücke der äußeren Welt direkt in das Unbewußtsein einsickern, können dort in den Wahrtraum umgewandelt frei strömen, vom Ton aufgefangen und verfeinert zurück an die Schwelle des Bewußtseins getragen werden, wo sie sich entladen als das unbewußteste aller Kunstwerke: das musikalische. Rechnet man die Leistung des allegorischen Traums und der Bilder, die dieser für sich aus dem tiefsten Traum heraufholt, wieder hinzu, so entsteht zu guter Letzt das idealtypische, das musikdramatische – das Wagnersche Kunstwerk, kurz, das 'unsichtbare Theater'. Die Träume stellen die substanzlose Substanz der Wagnerschen Bühne dar. Der Schlaf hält deren Szenarien wie hinter einer blinden Scheibe zurück in einem Bereich, der mit Augen nicht zu erfassen ist. <Begriff des 'Erwachens'> Einen Beweis für das im Künstler zirkulierende Traum- und Tonleben erbringt als dritte und letzte Stufe in der Wagnerschen Kunsttheorie das Erwachen. Nach der Innenschau, der Konzentration auf das Unbewußte und dem Ausströmen der Träume dort wird das im tiefsten Schlaf geschaute musikalische Bild erst durch den Moment des Erwachens real – erst der Wache kann vom Traum berichten. Strukturell ähnelt dieser Vorgang sehr jener Auseinandersetzung zwischen Erda und dem Wanderer, die den 3. Aufzug des Siegfried einleitet: Das Geheimwissen der Träume, über das die Wala als Weltweise waltet, kann nicht (mehr) anders als durch ihr Erwachen vermittelt und für den Lauf der Welt fruchtbar gemacht werden. 243 Gemäß der Beethoven-Schrift entsteht also die Kunst allein dann, 241 "Gestern träumte ich von einem Vogel der nicht von meinem Schreibpulte fortwollte, und immer sich daran klammerte." Vielleicht war es also eine Nachtigall, über die Wagner hier nachdachte. BB vom 20. 9. [1867]. [Wagner, 1988b], S. 108 242 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 91 243 Auf einem anderen Blatt müßte ergänzt werden, daß auch das Werk selbst, daß der Ring des Nibelungen mit dem 3. Akt Siegfried (wieder-)erwacht und auf diese Art manifestiert, was lange nur ein Traum gewesen war: Hatte Wagner die Komposition des Siegfried 1857 unterbrochen, so nahm er sie bekanntlich erst 12 Jahre später 1869 nach der Tristan- und Meistersinger-Einschaltung wieder auf, um sie zu einem Ende zu bringen. Kein Zufall allerdings scheint es mir da zu sein, daß jene berühmte Zäsur formal an genau jener Stelle plaziert ist, die auch inhaltlich einen Übergang vom Schlafen zum Wachen thematisiert. In einem Brief Richard Wagners vom 28. 6. 1857 an Franz Liszt heißt es: "Für diesmal habe ich mir Zwang angetan; ich habe mitten in der besten Stimmung den Siegfried mir vom Herzen gerissen und wie einen lebendig Begrabenen unter Schloß und Riegel gelegt. Dort will ich ihn halten, und keiner soll etwas davon zu sehen bekommen, da ich ihn mir selbst verschließen muß. Nun, vielleicht bekommt ihm der Schlaf gut; für sein Erwachen bestimme ich aber nichts, und weder Härtels noch Euer Großherzog – selbst Regierungsrat Müller nicht – sollen ihn ohne mein bon plaisir wieder erwecken dürfen." [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 526. Sehen wir auf das, was Wagner zum Zeitpunkt dieser Bemerkung möglicherweise selbst noch nicht gesehen hatte, so behauptet sich hier die Einheit von Schöpfungsvorgang und Geschöpftem. Denn genau so, wie der Wanderer die Wala, so sollte auch Wagner sein Werk schließlich mit Macht aus dem Schlaf reißen und die Realität des Endes quasi in dieses hineinzwingen. Die ersten Versuche dazu kommentierte Cosima folgendermaßen: "[M]it welcher Freude sehe ich den Freund an seinem geheimnissvollen wunderreichen 'Webstuhle', wo er die mit Gewalt zu Schlaf 133 wenn das, was durch den allegorischen Traum vom jenseitigen Ufer des Bewußtseins herandrängt, ins Diesseits übersetzt wird. Von höchster Signifikanz ist dabei, daß diese Entladung laut Wagner auch durch ein akustisches Signal geschieht, durch einen "Schrei"244 nämlich, der im Vergleich zum Traum, den er anzeigt, sogar "die allerunmittelbarste Äußerung des Willens"245 ist. Der "[Eintritt] in die Schallwelt"246 kann sich zwar in "allen Abschwächungen seiner Heftigkeit bis zur zarteren Klage des Verlangens"247, gar "bis zur Übung des tröstlichen Spieles der Wohllaute"248 äußern – fast könnte man meinen, es ginge um eine Vorform des Gesangs – Wagner aber macht klar, daß es sich unter allen Umständen um einen sehr mächtigen Eindruck handelt. Vergleichen wir noch einmal mit Erda: Den Schlaf als Urgrund verlassen und die Augen aufschlagen zu müssen, das ist für sie deshalb ein solch gewaltsamer Einschnitt, weil der Tag das Ende ihrer Kunst, des nächtlichen Wissens, und das Ende ihrer kreativen Blindheit bedeutet. Entsprechend brachial ist nicht nur die Musik in dieser Erweckungsszene. Oft wird der Wala auch in der szenischen Umsetzung – erscheint sie dort erst einmal mit Augenbinde, Körpermaske oder in Tücher eingehüllt – die Schutzkleidung herabgerissen, was nicht selten einer Vergewaltigung gleichkommt. Ihren nicht vertonten Hilferuf "Friedloser,/ laß mich frei!/ Löse des Zaubers Zwang!"249 könnte man gar als 'Schrei' deuten; immerhin steht er wörtlich in Verbindung zum ersten ihrer Verse in dieser Szene ("Stark ruft das Lied;/ kräftig reizt der Zauber;/ ich bin erwacht"250) und ist selbst das Letzte, was wir von ihr hören (sollten). Der Eintritt in die Tagwelt ist qualvoll wie ein Geburts-, im Falle Erdas wie ein Sterbevorgang. Und parallel dazu also das surreale Traumleben des Künstlers: Auch dieses erzeugt einen konstanten kreativen Überdruck, kann doch aber nur wieder durch eine winzige Kanüle hindurch Wirklichkeit werden. Der Schrei, der uns dem Erwachen ausliefert, ist ein Schmerzenslaut. Allerdings suggeriert Wagner gelegentlich auch das umgekehrte Erklärungsmodell. Danach können uns ebenso üble Träume gefangenhalten, aus denen wir uns so heftig nach dem Erwachen sehnen, daß wir nach diesem zu rufen begebrachten Welten wieder erweckt." Brief Cosima von Bülows vom 14. 10. 1865 an Ludwig II. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1996], S. 45. Wer möchte, könnte die Klammer sogar noch weiter ansetzen. Bezogen auf das Schicksal Siegfrieds und jene Takte, mit denen Wagner diesen "unter der Linde" zurückgelassen hatte, geschieht die (Wieder-)Erweckung der Komposition konkordant zur Erweckung der Walküre, für die der junge Siegfried ehedem ja überhaupt auf den Plan gerufen worden war. Drei Erweckungssequenzen also hintereinander – in Siegfried 2, 3 die 'Erweckung' der frühlingshaften Natur und des Knaben Siegfried zum handlungstragenden Manne, in 3, 1 die Erweckung der Wala (Muttergottheit) und in 3, 3 die Erweckung Brünnhildes (Kindgeneration). Dramaturgisch ist das eine bemerkenswerte Ballung, vielleicht sogar eine Stauung, die psychologisch über jenen Bruch von 12 Jahren hinwegtäuschen konnte, der musikalisch gar nicht mehr zu verleugnen war. Und diese Unruhe und Wechselwirkung zwischen Produkt und Produktion, all das ist keineswegs nebensächlich, wie ich meine, greift doch die spielbestimmende Metaphorik ebenso auf andere Passagen und Werke des Wagnerschen Œuvres über. Diese zu erläutern, ist hier allerdings kaum mehr möglich. Da ich für die vorliegende Arbeit eine Werkanalyse aus methodischen Gründen aussparen mußte, muß ich nun auch unterdrücken, was aus meiner Sicht dringend geleistet werden müßte: die Untersuchung der Duplizität von formalen und inhaltlichen Gestaltungskriterien in Wagners Werk mit Bezug auf dessen Schlafbildlichkeit. 244 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 87 245 Ebd., S. 88. (Hervorhebung von der Verf. J. D.) 246 Ebd., S. 87 247 Ebd., S. 88 248 Ebd., S. 94 249 Siegfried, 3, 1. [Wagner, 1998b], S. 98 250 Ebd., S. 94 134 ginnen. An Liszt schrieb er einmal: "[D]er Ruf an Dich war mir so nötig, wie der Schrei dem aus einem quälenden Traume nach Erwachen Ringenden."251 Vermutlich ist das der Moment, in dem der eruptive Schrei in das 'tröstliche Spiel der Wohllaute' decrescendiert; dies dürfte dann von jener Lieblingsidee Wagners inspiriert worden sein, gemäß derer uns die aus Träumen freigesetzte Kunst erlöst. Eigentlich ist das Erwachen, so dramatisch wie Wagner es in der Beethoven-Schrift beschreibt, in sich schon ein Dramolett, und zwar ein Dramolett mit allen notwendigen Ingredienzen: Exposition (Schlaf), Steigerung (Traum), Klimax (Ton) und Katharsis (Kunst). Vielleicht ist es viel mehr noch als das, vielleicht ist es das Wagnersche Musikdrama in a nut-shell. Was Nietzsche über Schopenhauer sagte, läßt sich auf Wagner übertragen: "Musik – [er] erkennt ihr Wesen./ Traum, in den schon das wache Leben hineinspielt."252 Wo es enger gefaßt um das akustische Signal des Aufwachens geht, welches Wagner als Folge und Ausdruck jenes Tons begreift, den der Künstler im Traum erzeugt, so könnte man geradezu von einem 'Erwachen des Wagnerschen Musikdramas aus dem Geiste des Tons' sprechen. Dem Erwachen kommt folglich eine Schlüsselfunktion zu, genaugenommen läßt sich der revolutionär-utopische Gehalt dieses Erwachens hier gar nicht mehr wegblenden. Denn das Schrei/ Ton/ Klang/ Musik gewordene Traumbild soll uns nach Wagners Vorstellung natürlich nicht in die bestehende, sondern in eine höhere Wirklichkeit hineinkatapultieren, ja, es ist bereits diese höhere Wirklichkeit. Erwachen ist gleichbedeutend mit dem Erwachen zum Besseren und bildet, soweit wir den Vergleich von oben wieder aufnehmen wollen, die Blüte an der Pflanze, welche der Humus des Unbewußten hervorgetrieben hat. Zu erwachen, das wird nach Wagners Verständnis zu einer Chiffre für die Kunst per se, die das 'Prinzip Hoffnung' immer impliziert. <Der Künstler träumt und wacht> Daß diese Wellenschläge vom Tag zur Nacht, vom Schlaf zum Erwachen keiner nur turnusmäßigen Auf- und Abwärtsbewegung folgen, sondern Fortbewegung bedeuten, das setzt uns Wagner in seiner Beethoven-Schrift dann tatsächlich an Beethoven selbst auseinander. Die gesamte Theorie des musikalischen Hellsehens wird auf einen Kompositionspassus Beethovens gespiegelt, der wiederum parallelisiert ist mit einem "ächt[en]"253 Tagesablauf des "Meisters". 254 Sicher sollte dabei nicht der empirische Alltag Beethovens, wohl aber dessen durch das Leben gefilterte Kunstproduktion bezeichnet werden. Wagner hofft, auf dieser Weise einen pseudo-natürlichen Beweis von der Überlegenheit des Traumkünstlers und der Traumkunst beibringen zu können, kaum daß jene behauptet 251 Brief Richard Wagners vom Jan. 1858 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 547. Vgl. hier auch TB vom 1. 7. 1873. [Wagner, 1976a], S. 701, wo Cosima aus Anlaß eines schlechten Traums Richards dessen Äußerung festhält: Er "sei überzeugt, daß die Anschauung Schopenhauer's [richtig sei], daß man vom Leben zum Tode erwachte wie von einem beängstigenden Traum, und daß der Todeskampf dem Krampf gliche, mit welchem der Schlafende sich vor dem Aufwachen sperrt und seinen üblen Traum festzuhalten sucht." 252 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 802 253 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 117 254 Ebd. 135 worden war255 – er hatte, wie Martin Geck richtig bemerkt, im Grunde "den Blick für die [...] Subjekt-Objekt-Dialektik schärfen"256 wollen. Hieß es also noch im Kunstwerk der Zukunft etwas verrätselt, Beethoven sei der "meermüde Segler"257, so meint das nicht, daß dieser wie "Homer [...] zuweilen geschlafen"258 hat. Im Gegenteil zeigt sich vor dem Horizont der Beethoven-Schrift, daß damit geradezu die Vorbedingung beschrieben ist, kraft derer das idealtypische Kunstwerk entstehen kann. Das "einleitende längere Adagio"259 des Beethovenschen Cis-moll-Quartetts nämlich, sagt Wagner, "möchte ich mit dem Erwachen am Morgen des Tages bezeichnen"260, was darauf hindeutet, daß es die Frucht eines Traumes sein muß. Richtig erblickt daraufhin das "nach innen gewendete Auge [...] die nur ihm erkenntliche tröstliche Erscheinung (Allegro 6/8) [...]: das innerste Traumbild wird in einer lieblichsten Erinnerung wach."261 Es geht erkennbar um "Zauberarbeit"262, um die "wiederbelebte Kraft dieses ihm eigenen Zaubers [...] (Andante 2/4)"263 und um "Strahlenbrechungen des ewigen Lichtes".264 Mit dem "Presto 2/2"265 wird dann "[Alles] ihm [Beethoven] von seinem inneren Glücke beleuchtet". 266 Das darauf folgende "Adagio 3 /4"267 ist, als "versenke er sich in den tiefen Traum seiner Seele"268, womit ein "Blick [...] ihm wieder das Innere der Welt gezeigt [hat]: er erwacht, und streicht nun in die Saiten [...], wie es die Welt noch nie gehört (Allegro finale) [...,] und über Allem der ungeheuere Spielmann, [...] stolz und sicher vom Wirbel zum Strudel, zum Abgrund geleitet". 269 "So winkt ihm die Nacht. Sein Tag ist vollbracht."270 Der Beweis scheint geliefert, die Aura des Schlafs setzt wirklich die höchste Kunst in Stand. Oder anders herum: Das ideale Kunstwerk ist selbst wie ein Schlaf, und kraft seiner kann man in die Schaffensgründe des Traumreichs hinabschauen. Und so wird hier etwas von jener besseren Welt nachempfun255 Wagner weicht hier und auch im folgenden nur zu deutlich von dem ab, was er noch am Anfang seiner Beethoven-Schrift behauptet hatte, daß er sich nämlich, um es mit einer Formulierung von Dahlhaus zu sagen, die damit ebenfalls widerlegt wird, "gegen das gewohnte Verfahren [wandte], musikalische Werke aus biographischen Voraussetzungen abzuleiten". [Dahlhaus, 1988], S. 8. Ganz im Gegenteil mißt Wagner den biographischen Vorgaben eines Künstlers sogar so viel Wert bei, daß er in der Beethoven-Schrift nicht etwa nur das Leben Mozarts und Haydns für seine Kunstästhetik geltend macht, er schreckt auch nicht davor zurück, die Stärke der Hirnschale Beethovens auf dessen künstlerische Kompetenz zu beziehen. [Wagner, 1873a], S. 108ff. Martin Geck meint mit Blick auf die Beethoven-Schrift mit vollem Recht, daß im Grunde Richard Wagner überhaupt erst "dazu beigetragen [hat], daß im Mythos Beethoven Texturen aus Werk und Leben unentwirrbar ineinander verwoben worden sind." [Geck, 1998], S. 8f. 256 [Geck, 1998], S. 126 257 Das Kunstwerk der Zukunft. [Wagner, 1872c], S. 111 258 TB vom 23. 12. 1879. [Wagner, 1977], S. 464 259 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 118 260 Ebd. 261 Ebd. 262 Ebd. 263 Ebd. 264 Ebd. 265 Ebd. 266 Ebd. 267 Ebd. 268 Ebd. 269 Ebd., S. 118f. 270 Ebd., S. 118 136 den, für die auch Wagner Künstler war. Aus der Fülle von Grenzübertritten zwischen Bewußt- und Unbewußtsein, zwischen Tag und Nacht, steht als Prinzip diejenige dialektische Bewegung hervor, nach welcher der Schlaf und das Erwachen des Künstlers nicht zu jeweils ihrer Zeit die Stelle des andern ersetzen, sondern sich im Wechsel gegeneinander bis zur Freisetzung des Kunstwerks vorantreiben. Und als müsse er sich doppelt absichern, ergänzt Wagner seine Interpretation der Beethoven-Schrift sogar um Schlüsselerlebnisse aus dem eigenen Leben. Zum Beispiel zitiert er jenen magischen Moment aus Venedig herbei, in dem er selbst in "schlafloser Nacht"271, doch in einem "tönende[n] Nachttraum"272 durch die Rufe der Gondolieri der Genese der Musik teilhaftig geworden zu sein glaubte.273 Wieder geht es um den Augenblick, da die Träume zur Kunst werden und die Utopie Realität, wieder darum, daß "uns daher jene andere Welt aufgeht"274, die das tägliche, allzutägliche Leben zu einer gesteigerten Wirklichkeit läutert. "Sie werden einmal einen Traum hören, den ich dort [in meinem träumerischen Venedig] zum Klingen gebracht habe!"275 – das hatte er, Wagner, schließlich schon einmal erlebt, da ging es um den Tristan. "Schläft er, wacht er [...]?"276, fragt in seinem Roman der Oper aber auch – interessant genug – Franz Werfel, und zwar in einer Szene, in der Wagner noch einmal in einer Gondel über die venezianischen Kanäle geschickt wird: "Sein Haupt [...] ist nach hinten gelehnt[,] und die Augen sind geschlossen. [...] Ist dieser Mensch der großen Übermüdung, dem Schlaf, [...] Einflüssen des Mondes erlegen?"277 Die Wagnersche Auffassung, daß die Kunstproduktion dialektisch dem TagNacht-Wechsel unterliegen, der Künstler in diesem Sinne Dialektiker sein müsse, hat augenscheinlich in der Wagner-Nachfolge Schule gemacht. Selbst der am strengsten ins Detail gehende aller Wagner-Biographen, Glasenapp, scheut die Metaphernlage nicht; gleich in einem ersten Passus seiner rund 3000 Seiten starken Lebensbeschreibung spricht er von "den müden Vorfahren"278 Wagners und dann von dem "Phönix", der "festen Auges den Flug zur Sonne richtet"279, um am Ende des 6. Bandes, in seinen Schlußworten, die rhetorische Frage zu stellen: "[W]ir stehen im Zeitalter einer verheißungsvollen Morgendämmerung. Wird der helle Tag einer künstlerischen Kultur uns anbrechen?"280 Und auch Paul Bekker, der kühlere Forscher, gebraucht für seine Charakterisierung das Bild des vorwärtsdrängenden Erwachens, einmal im Zusammenhang mit dem "schöpferische[n] Trieb[...]"281 und "Gestaltungswillen"282 Wagners, ein anderes Mal im Gegensatz 271 Ebd., S. 92 272 Ebd., S. 93 273 Vgl. dazu die Stelle in TB vom 12. 6. 1880. [Wagner, 1977], S. 544, wo Wagner dieselbe "zauberische[...] Wirkung" aus Venedig auch beschreibt sowie die in Mein Leben, die noch ausführlicher ist und im Zusammenhang auf "Naturgesang" und "Tiergeheul" zu sprechen kommt. [Wagner, 1976c], S. 591f. 274 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 93 275 Brief Richard Wagners vom 25. 3. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 81 276 [Werfel, 1924], S. 28 277 Ebd. 278 [Glasenapp, 1905a], S. 7 279 Ebd. 280 [Glasenapp, 1911], S. 813 281 [Bekker, 1924], S. 12 137 zu dessen "schlummernde[m] Gefühlsleben".283 Man stellt fest, daß hier offenbar nur die Künstlerpersönlichkeit, die durch die Spannung zwischen Schlafen und Wachen kreativ werden konnte, auch zu jenen gerechnet wird, denen man ein ideales Kunstwerk zutraut. Daß der Schlaf in all seinen Aggregatszuständen auf Wagner selbst angewandt wurde, dadurch behauptet sich die bei uns am Anfang postulierte 'Wiederkehr des Gleichen'. Langsam schließt sich unser erster großer Argumentationskreis. <Nur der Wachende schläft, nur der Träumende erwacht> Warum sich das Sendungsbewußtsein des Künstlers überhaupt den Umweg über den Traum sucht, das hat laut Wagner damit zu tun, daß die Scheinhaftigkeit der Tagwelt nur außerhalb dieser entlarvt werden kann. "Wo die Not am größten", so bringt Eckhard Roch es auf den Punkt, "da sind ihm Traum und Drama am nächsten."284 Die Einkehr in den intimen "arkadische[n]"285 Wahrtraum ist auch eine Flucht aus dem gesellschaftlichen Alptraum – Wagner spricht oft über das "politische Leben, von dem entfernt der Dichter endlich nur noch ein geträumtes Leben führen"286 sollte und reizt das in Folge eben nicht selten zu der Pointe aus, daß der innerste Traum der gute Traum, der äußere der böse sei. "Träume so fort, und Du hast die echte Wirklichkeit!"287, heißt es, aber auch: "Mit unserer ganzen, weit umfassenden Staats- und National-Ökonomie, scheint es, sind wir in einem bald schmeichelnden, bald beängstigenden, endlich erdrückenden Traume befangen".288 Natürlich ist das genau der Gedanke, der Wagners eigener Biographie und unserem ganzen vorherigen Kapitel unterlegt ist. In Ansicht der Traumtheorie allerdings, die Wagner bringt, sind die Begriffe noch dramatischer auf den Einzugsbereich des Schlafs zusammengezogen, um in ihm dann noch weiter auseinandergegrätscht zu werden. "Wunderträume"289 werden gegen "Höllenspuk"290 und "Truggespinst"291 gesetzt. Der Schlaf wird zum letzten, zum inneren Exil des Künstlers geweiht, und das 1866 zum Patent erhobene Piano-Bed, das die Qualitäten eines Pianofortes mit den Vorzügen einer Bettstatt kombinieren konnte, ist vielleicht nicht die schlechteste Metapher aus dieser Zeit für den Prozeß der 'Heimkehr durch Abkehr'292 (vgl. Abb. 42). 282 Ebd., S. 6 283 Ebd. 284 [Roch, 1995], S. 532 285 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 262 286 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 84 287 Brief Richard Wagners vom 18. 5. 1863 an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], S. 95 288 Erkenne Dich selbst. [Wagner, 1883b], S. 349 289 Über das Schauspielerwesen. [Wagner, 1873c], S. 310 290 Ebd. 291 Erkenne Dich selbst. [Wagner, 1883b], S. 350 292 Vor allem dann nicht, wenn man es als eine Vorform des berühmten 'Componierclaviers' ansieht, das Lud- wig II. im Folgejahr 1867 bei Bechstein als Geschenk für Wagners 54. Geburtstag in Auftrag gegeben hatte (vgl. Abb. 43). Immerhin: 1867 wurde auf der Pariser Weltausstellung das Piano-Bed präsentiert, Wagners Rheingold-Partitur dann 1873 auf der Weltausstellung in Wien, und es ist, obwohl die Komposition des Rheingold natürlich schon längst, nämlich 1854 fertiggestellt worden war und mit dem 'Klavierarbeitstisch' nichts unmittelbar mehr zu tun haben kann, durchaus möglich, daß zumindest ein unaufgedeckter Zusammenhang zwischen Piano-Bed und Wagnerklavier besteht. 138 Durch die kompakte Begriffsbildung entsteht mit der Wagnerschen Schlaf- und Traumtheorie gewiß eine diffizile Lebenssituation für den Künstler. Wagner selber "blickte so wie aus einem Traume in einen Traum"293, schaute auch "nicht mehr in die Nacht, sondern aus der Nacht!"294 Das erinnert an die oft zitierte Hochzeitsvision, durch die ihm, Wagner, klar geworden war daß sich mein ganzes Wesen wie in zwei übereinander fließenden Strömungen befand, welche in ganz verschiedener Richtung mich dahinzögen: die obere, der Sonne zugewendete, riß mich wie einen Träumenden fort, während die untere in tiefem unverständlichem Bangen meine Natur gefesselt hielt.295 Das dem Schlaf inhärente Prinzip der Dialektik wird im Bild des Künstlers wieder lebendig, was für diesen bedeuten mußte, daß (nur) ein altes romantisches Leiden sich erneuerte; das in ihm kursierende Traumleben zwingt ihn fortwährend in eine paradoxe Lage. Gerade deshalb aber können Wesen, Entwicklung und Wirkung des Künstlers, "sein Verfahren"296, wie Wagner sagt, am Ende immer nur binär beschrieben werden. Allein durch das Vexierspiel zwischen Innerem und Äußerem werden Formulierungen verständlich, die widersinnig sind: Der Künstler soll schlafen, muß aber auch wachen, er soll träumen, aber auch erwecken. Was Cosima einmal als Traum Wagners aufgezeichnet hat, kann als exemplarisch gelten für den Idealzustand des Künstlers: R. träumte wiederum [...]; und diesmal ist es kein Traum, habe er schlafend ausgerufen, und dieses ausrufend sei er bewußtlos geworden; und immer bewußtloser werdend sei er aufgewacht, und diesmal sei es erst recht ein Traum gewesen!297 Der Künstler nach Wagnerschem Zuschnitt muß sich dem Strudel überlassen, der ihn immer weiter in die Tiefe des Schlafs hinabreißt, um so dem Erwachen entgegenzustürzen. Nicht nur psychologisch, auch physiologisch müßte er wohl ausgestattet sein wie Argus, von dessen Augen sich bekanntlich immer zwei in wechselnder Folge dem Schlaf hingaben, um besser wachen zu können. Und so wie Wagner selber "nach Noten [schlief]"298 und "in Tönen [träumte]"299, soll er, der ideale Künstler, im Sinne eines utopisch idealen Kunstwerks der Zukunft auf der einen Seite "für das Volk [träumen]"300, das heißt schlafen für alle Schlaflosen und "Gequälten, die den rechten Schlaf nicht mehr finden können"301 oder, wie Nietzsche vom Genie sagte, "der 'nicht wachende und nur träu293 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 600 294 Brief Richard Wagners vom 16. 2. 1862 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 395 295 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 142 296 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 94 297 TB vom 31. 9. 1877. [Wagner, 1976a], S. 1069 298 Brief Richard Wagners vom 24. 10. 1856 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 488 299 TB vom 30. 9. 1879. [Wagner, 1977], S. 417 300 TB vom 18. 6. 1878. Ebd., S. 119 301 [Loos, 1952], S. 282 139 mende' Mensch"302 sein; bezeichnend, daß Wagner schon 1849 der Göttin der Revolution die Worte in den Mund gelegt hatte: "»Ich bin der Traum, der Trost, die Hoffnung des Leidenden!«"303 Auf der anderen Seite ist der Künstler aber auch der "Erwecker der Töne".304 Kraft dieser subversiven Gabe müsse er das Volk erwecken. "Ich arbeite für die Erwachenden"305, hatte Wagner bekundet. Bereits in einem anonym erschienenen Artikel aus dem Jahr 1848 hatte er aufgerufen: "»Erwacht! Die elfte Stunde hat geschlagen«"306, und in der eben erwähnten Revolutionsschrift aus dem Folgejahr geht es um die "wieder erweckten Herzen der zum Leben Erwachten".307 Jetzt ist der Traum und alles Träumerische negativ belegt. Es "kommt [...] mir machmal wieder vor, als träumtet und nachtwandelt Ihr alle toll durcheinander, und ich wäre der Einzig Wachende, der über euch lachen müßte."308 Der Künstler wird zum seherisch begabten, zum auserkorenen Menschen, der nur "für aus dem Traum der 'Jetztzeit' Erwachende"309 da ist: "Wer die Beängstigungen dieses Traumes nicht stark genug fühlt, um zum Erwachen getrieben zu werden, der träume fort!"310 Immerhin schrieb Cosima an Ludwig II., daß der "augenblickliche Lohn den der Freund darin fand leblose oder eingeschläferte Wesen zu wecken oder zu erheben, [...] schon von unermesslichem Werth"311 sei. Nietzsche aber trifft wie immer den neuralgischen Punkt, wenn er in Richard Wagner in Bayreuth zusammenfaßt: Da steht er selber [der schaffende Künstler] inmitten aller der lärmenden Anrufe und Zudringlichkeiten von Tag, Lebensnoth, Gesellschaft, Staat – als was? Vielleicht als sei er gerade der einzig Wache, einzig Wahr- und Wirklich-Gesinnte unter verworrenen und gequälten Schläfern, unter lauter Wähnenden, Leidenden; mitunter selbst fühlt er sich wohl wie von dauernder Schlaflosigkeit erfasst [sic], als müsse er nun sein so übernächtig helles und bewusstes Leben zusammen mit Schlafwandlern und gespensterhaft ernst thuenden Wesen verbringen: so dass eben jenes Alles, was Anderen alltäglich, ihm unheimlich erscheint [...]. 312 Vorderste Aufgabe des Künstlers ist also, das "Heil einzig in einem Erwachen des Menschen zu seiner einfach-heiligen Würde [zu] suchen"313, wie Wagner es ausdrückt. "So sparen, pflegen und stärken wir denn unsere besten Kräfte, um dem [...] Erwachenden eine edle Labe bieten zu können."314 Viel eher als ein Träumer hat der Künstler gemäß 302 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 334 303 Die Revolution. [Wagner, o. J. b], S. 246 304 [Gregor-Dellin, 1980], S. 220 305 Entwürfe. Gedanken. Fragmente. [Wagner, 1885], S. 93 306 Zitiert in: [Gregor-Dellin, 1980], S. 250 307 Die Revolution. [Wagner, o. J. b], S. 249 308 Brief Richard Wagners aus dem Jahr 1857 an Hans von Bülow. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1916], S. 80 309 Entwürfe. Gedanken. Fragmente. [Wagner, 1885], S. 93 310 Ebd. 311 Brief Cosima von Bülows vom 18. 6. 1868 an Ludwig II. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1996], S. 502 312 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 470 313 Erkenne Dich selbst. [Wagner, 1883b], S. 350 314 Ebd. 140 der Wagnerschen Definition nunmehr ein Traum- oder Zeichendeuter zu sein315, und wenn nicht genau das, so sollte er die Müden doch im mindesten an die Schwelle des Erwachens heranführen können unter der Maßgabe, daß die Traumdeutung immer erst mit dem Erwachen einsetzen kann. "Ich führe euch [ruft uns der Künstler zu] in ein Reich, das ebenfalls wirklich ist: ihr selber sollt sagen, wenn ihr aus meiner Höhle in euren Tag zurückkommt, welches Leben wirklicher ist!"316 Dem Moment des Erwachens ist damit natürlich soteriologische Bedeutung unterlegt. Genauso dem Aufgabenbereich des Künstlers, der in die Nähe der antiken Philosophen rückt, in die Nähe des Sokrates etwa, der seine Aufgabe darin sah, für die anderen zu wachen, gar in die Nähe von Propheten, die zum Erwachen antreiben, schlichtweg weil die Zeit reif dafür ist. Die Motive des Schlafs und des Erwachens überkreuzen sich auch hier wieder, und Wagner legt sie bewußt ineinander und zieht sie zu einem gordischen Knoten fest. In der Tradition des heraklitischen Hegelianismus lassen sich seine Vorstellungen auf die Sentenz zuspitzen, daß nur der Wachende schläft und nur der Träumende erwacht. "Der Künstler wird so gedeutet als Mensch, der für alle wacht, in seinem Wachen aber zugleich für alle träumt".317 Die "Sehnsucht aus der Höhe in die Tiefe"318, die Nietzsche speziell für Wagner und generell für den Prototyp des Künstlers formuliert hatte, ist ebenso die Sehnsucht aus der Tiefe in die Höhe. Ob träumend oder erwachend, ob im 'Wahrtraum' der Welt sich seiner selbst entäußernd oder im Erwachen der Kunst zu sich kommend, mit der Metaphorik des Schlafs insinuiert Wagner, daß der Künstler das schlechthin konzentrierte Wesen sei. Nach Schopenhauer ist dessen individueller Wille erlöst, das Selbst aufgehoben – letzteres allerdings etwas zu fadenscheinig, denn die Eigenart des Künstlers taucht ja durch Sublimierung in verwandelter Form als Kunstwerk wieder auf. Aber: Dem Künstler wachsen die Fähigkeiten eines Mediums zu. Womit nicht nur die Kunst zur Heilslehre, sondern auch der Künstler zum Heilsbefähigten erhoben wird. Von "metaphysischer Weihe"319, die Wagner für sich, sein Werk und seine Theorie in Anspruch nehme, redet zu Recht Robert Gutman in diesem Zusammenhang, und er komplettiert das mit dem schönen Seitenhieb: Wagner habe mal wieder für "den Augenblick [...] alles im Unklaren" 320 gelassen. Man muß das bestätigen, sofern man auch unterschreibt, daß das Unklare bei Wagner zuweilen sehr differenziert sein kann. <Teilergebnis> Fassen wir zusammen: Mit der Beethoven-Festschrift von 1870, in der Wagner seine Gedanken zu den Bereichen Schlaf und Traum auf eine auf die Kunst angewandte Schlafund Traumtheorie zuspitzt, wird der Begriff des Künstlers im Verbund mit dem künstleri- 315 Ich erinnere noch einmal an den Eindruck Adornos, nach dem Wagner selbst sich "lieber dem Traumdeu- ter als dem Träumenden [...] verglichen" habe. [Adorno, 1971], S. 144f. 316 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988k], S. 269f. 317 [Loos, 1952], S. 282 318 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 470 319 [Gutman, 1970], S. 332 320 Ebd. 141 schen Produktionsprozeß näher definiert. In einem Dreisatz werden a) das Unbewußte/ der Schlaf/ der 'tiefste Traum', b) der katalytische 'allegorische Traum' und c) der Moment des Erwachens aufeinander bezogen und zu einer Metaphysik des kreativen Aktes bestimmt. Die Voraussetzung für Kunst und Künstlerschaft ist dabei der Schlaf, kraft dessen der Künstler mit der sonst ihm verborgenen innersten Motorik des Ichs und der Welt in Verbindung treten kann. Der romantischen Tradition folgend konstruiert Wagner eine Art Kunst-Schlaf, in doppelter Bedeutung, mit dem er den prototypischen Künstler 'künstlich', was ebenso 'künstlerisch' meint, in den Zustand der Unschuld zurückversetzt. Das entspricht einem Reinigungs- und Heilungsprozeß, der die Übel des Tageslebens, auch die Scheinhaftigkeit der Welt vom Künstler abwäscht. Im Schlaf können die Eindrücke des Tageslebens zu Traumbildern der Kunst raffiniert werden. Nun sind diese Traumbilder allerdings selbstbezüglich, zentrovertiert wenn man so will, und es bedarf eines zweiten, des allegorischen Traums, der sie an die Oberfläche bis zur Schwelle des Bewußtseins trägt. Es wird virulent, Wagner stellt es besonders heraus, daß die eigentliche Aufgabe des Künstlers darin bestehe, die Träume auszuleben, sie von innen nach außen zu kehren, sie quasi zu sozialisieren – freilich stellt Wagner das auch heraus zu dem Preis, daß das Substrat seiner Kunsttheorie plötzlich von dem weniger überschwenglichen Teil seiner Leserschaft auf seine eigene Biographie rückbezogen und dort mit allerlei Allmachtsphantasien assoziiert werden konnte. Doch es ging ihm, Wagner, natürlich um Höheres, um das Höchste. Und darum hatte er immer und immer wieder davon gesprochen, daß der Künstler 'pythisch', also gerade nicht selbstreferent, sondern 'katalytisch' sein solle. Autark also, dies aber auf der Grundlage eines höheren Auftrags. Was dann nicht nur für den Spezialfall des Dichters die gebundene Sprache, sondern für die Kunst allgemein bedeutete, daß sie wie aus dem Schlaf gesprochen und schon deshalb traumgeboren und ekstatisch sein müsse. Einfacher gesagt ging es um die alte Traumsprache der Kunst. Wagner gab lediglich vor, diese neu systematisieren zu wollen. Damit das Kunstwerk der Träume aber auch faßbare Wirklichkeit werden konnte, mußte es noch – und das ist natürlich so widersinnig wie logisch – aus der Bindung der Träume entlassen werden. Dies geschieht gemäß der Beethoven-Schrift mit der dritten und letzten Etappe der Kunstproduktion im Moment des Erwachens. Das Erwachen des Künstlers setzt das in ihm komprimierte Traumbild frei; durch den kreativen Überdruck, den der Künstler im Traum aufgebaut hat, wird es nach außen zentrifugiert zur Kunst. Im Rahmen einer komplizierten Kontemplationstechnik werden Schlaf und Traum demnach zu Synonymen einer nicht-rationalen Wurzel (und Wirkung) der Kunst. Den Vorgang und auch wohl das Geheimnis der Kunstproduktion beschreibt Wagner als eine Wechselbeziehung zwischen dem Augen-verschließen (Schlaf) und dem Augen-öffnen (seherischer Traum). Der Schlaf räumt nicht nur dem Irrationalen allen Aktionsraum ein als Gegengewicht zur 'unkreativen' Welt der Ratio. Schlaf wird für die Kunst zu einer neuen, synästhetischen Art des Sehens, was deckungsgleich ist mit der Idee vom 'scharfsichtigen Träumer', die Wagner für die Bedingungen der eigenen Biographie entwickelt hatte. Blickt man damit auf die Tatsache zurück, daß Wagner zu seiner Zeit selbst einmal mit 142 den träumerischsten, ein anderes Mal mit den wachsten seiner Werkfiguren identifiziert worden war, dann färbt die Biographie an dieser Stelle doch deutlich auf die Theorie durch: Traumverloren wie Wotan und hellsichtig wie der weltweise und nimmermüde Siegfried, so sah man nicht nur Wagner, so sollte im Sinne der Wagnerschen Programmatik auch der ideale Künstler gesehen werden. Und wie aus dem Zusammenspiel der beiden Bühnenfiguren Wotan/ Siegfried die Genese einer neuen Welt immer wieder erhofft werden kann, so entsteht laut der Beethoven-Schrift aus der Verschmelzung der geschlossenen mit den offenen Augen genau nach diesem Muster auch eine neue Kunst. Ähnliche Verzahnungen mit dem Bühnenwerk lassen sich erkennen, sobald man sich auf den Moment kurz vor dem Erwachen in Wagners Theorie konzentriert: Wo es um den Stau des Traumgehalts im allegorischen Traum geht, da entsteht nicht zufällig die Assoziation an den 'Morgentraum' und seine 'Deutweise' aus den Meistersingern. Eingedenk der Berichte aus der Schlafforschung, wonach die Träume, die dem Aufwachen vorausgehen, die inspiriertesten sein sollen, wird die 'Morgentraumdeut-Weise' als 'Wahrtraumdeuterei' zur Vorwegnahme dessen, was die Beethoven-Schrift thematisiert. Denn ist es nicht zu auffällig, daß die Meistersinger, die dem Tristan wie 'der Tag auf die Nacht folgen' (Wapnewski), sich nicht mehr mit den nächtlichen Träumen beschäftigen, sondern ganz wesentlich mit den freundlichen und fast schon taghellen Morgenträumen? 321 Zeitlich und inhaltlich stellt sich das Wagnersche Werk hier das erste Mal als Probe zur Werktheorie dar, die Werktheorie anders gesagt als Zusammenfassung und Deutung der im Werk durchexerzierten Denk- und Stilübungen. Was in dieser Hinsicht die Grundlage der Meistersinger ist, ist auch die der Wagnerschen Traumtheorie: Die Träume werden in ihrer komprimiertesten Beschaffenheit zur Kunst, und das beinhaltet, daß die Kunst die Träume auch bändigt, indem sie diesen nämlich eine Form verleiht. Im großen und ganzen zeigt sich, daß Wagner sowohl das Leben wie auch die gesellschaftliche Position des Künstlers ungehemmt auratisiert – der Künstler "als Demiurg"322 – möglich, daß sich diese Vorstellung nicht nur auf Schopenhauer, sondern auch auf Nietzsche bezog, die beide in ihrem Geniebegriff von einem Traumerleben ausgegangen waren. Der Künstler solle nur eremitisch arbeiten, so Wagner, um die ihm innewohnenden Schaffenskräfte zu höchster Spannung zu steigern. Aus der Fähigkeit zur Kontemplation, die ihn privilegiert, dürfe er dann aber auch den Anspruch ableiten, daß sein künstlerischer Ertrag allgemeingültig sei. Letztlich sind die Träume des Künstlers, im mindesten ihre Wirkung, immer extrovertiert, sie sind so wenig Privatsache wie sein Erwachen, beides geschieht zum Wohle der Gesellschaft. Die Funktion des Künstlers, al321 "Traum der höchsten Hulden,/ himmlisch Morgenglühn!/ Deutung euch zu schulden/ selig süß Be- mühn!" ruft Evchen zum Beispiel in 3, 4, und in Sachsens Replik geht es darum natürlich so leise nur um den "Abendtraum:/ dran zu deuten wag ich kaum", weil – parallel zum 'Alters-Topos', den Wapnewski gelegentlich erwähnt hat – dieser Abendtraum überstrahlt wird von der gleißenden Kraft des Morgens. Damit dürften dann eigentlich auch die Unstimmigkeiten in der textlichen Überlieferung, die diese Stelle seit je betreffen und die als Variante zu Sachens "Abend-" noch immer hier und da den "Morgentraum" suggerieren wollen, beseitigt sein: Bindend für die Meistersinger ist nur jener Traum, der schon zum Wachen tendiert. In keinem anderen Wagnerschen Werk ist Nietzsches Urteil über Schopenhauer so präsent: "Musik – [...[ Traum, in den schon das wache Leben hineinspielt." Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 802 322 [Richter, 1998], S. N6 143 len voran die des Musikers, hat politischen Effet, und so schläft, träumt und wacht er stellvertretend für alle und deren Gemeinschaft. Aufgabe müsse es deshalb sein, die Spannkraft dieses kreativen Paradoxons zu halten. Daß dem Künstler so zusätzlich halbgöttliche Verantwortung zugewiesen wird, dies ist zumindest innerhalb des Wagnerschen Theorems konsequent, außerhalb desselben weniger. Aber der Schlaf setzt die künstlerische Ekstase bei Wagner stets in der Weise frei, daß die Lehre von den letzten Dingen immer frei assoziiert und damit bei Bedarf auch negiert werden kann. Besondere Würze erhält all das nur durch den Umstand, daß der Traumkünstler erkennbare Züge Richard Wagners und Wagner erkennbare Züge des Traumkünstlers trägt. Die Biographie Wagners wird durch dessen Theorienbildung nachweislich zementiert, Paul Bekker meint sogar, daß die Beethoven-Schrift "das ergänzende Gegenstück der Autobiographie"323 darstelle. Man könnte also sagen, Wagner habe aus einer Not eine Theorie gemacht hat. Fast scheint es um umgekehrte Transsubstantiation gegangen zu sein. Kunst und Leben sind ein "wechselseitig sich reflektierender Traumspiegel". 324 Es bestätigt sich, was wir schon in Kapitel I vermutet hatten. II.3 Natur der M usik Aus der Natur des Künstlers – aus 'Wesen, Entwicklung und Wirkung' – ergibt sich selbstverständlich die Natur der Kunst. Wir sollten deshalb auch sie für unser Thema prüfen und folgen darin wieder der Beethoven-Schrift, in der auch Wagner das eine durch das andere erklärt. Präziser ergibt sich aus der Natur des Künstlers vor allem die Natur der Musik, und zwar die Natur der Musik als höchste Form der Kunst. Je systematischer der Künstler in sich hineinforscht, je kontemplationsfreudiger er wird und je genauer dadurch die Anschauung seines Traumbildes, desto wahrscheinlicher ist es, daß in ihm "Musik als Kunst"325 entsteht, wie Wagner es ausdrückt. Stichwort 'Nachtigall': Daß er, Wagner, sich selbst ausgerechnet eine Nachtigall zum Sinnbild seiner Kunst erkoren hatte, das dürfte auch damit zu tun gehabt haben, daß diese eben nicht bloß eine 'süße Gespielin der Muse' ist, wie Aristophanes sie noch in seinen Vögeln nannte, sondern daß sie zu Wagners Zeiten viel kategorischer als Erfinderin des Gesangs, als Erfinderin der Melodie, ja als Erfinderin der Musik per se gilt. Keinem anderen 'Sänger' wurde so viel Kunstsinn, so viel musikalische Empfindung beigemessen. Schon Tannhäuser hatte sich ja, von Venus Abschied nehmend und auf halbem Wege ins Reich der Kunst, nach einer Nachtigall gesehnt. 326 In diesem Sinn räumt Wagner der Musik das Recht ein, eine prima arte zu sein, in diesem Sinn auch behauptet die Beethoven-Abhandlung ihre Schlüsselstel323 [Bekker, 1924], S. 453 324 [Gutman, 1970], S. 333 325 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 90 326 Siehe: Tannhäuser, 1, 1. [Wagner, 1949], S. 19. Vgl.: Anm. 119 dieses Kapitels 144 lung im schriftstellerischen Werk Wagners. In letzter Instanz versucht sie das Primat der Musik gegenüber den anderen Künsten zu beweisen und ist damit nichts weniger ist als eine "Philosophie der Musik". 327 Nachdem das proportionale Verhältnis der einzelnen Künste zueinander jahrelang den lebhaftesten Wandlungen in Wagners Kunstideologie unterworfen war, wird mit der Beethoven-Schrift das Diktum erhoben, daß die Musik von "ganz anderen ästhetischen Gesetzen"328 bestimmt werde als alle übrigen Künste und sich zu diesen "in Wahrheit [verhalte] wie die Religion zur Kirche."329 Die Musik besitzt eine "heilige[...] Macht"330, meint Wagner und macht das dann auch im 'Tempel Bayreuth' architektonisch manifest mit dem 'mystischen Abgrund', den man als eine Art Sakralbau bezeichnen könnte. Wie das Christentum selbst ist das "Reich" der Musik überhaupt "nicht von dieser Welt". 331 Wieder scheut Wagner keine Kritik, wieder wird das Transzendentale nicht ausgespart, im Gegenteil, verbal wird es sogar gesteigert – innerhalb der Wagnerschen Ästhetik ist dies aber gewiß konsequent. Denn war das Medium des Künstlers der Traum, so muß die 'Musik als Kunst' jetzt im mindesten auch ein Traumprodukt und/ oder selber traumartig sein. Sie wird deshalb genau wie die anderen Künste, nur eben noch ein wenig bemühter als diese, mit einem weltabgewandten, träumerischen Schaffensprozeß und der Aura des Schlafs in Zusammenhang gebracht, mit jenem Schwellenwert also, der selbst der sterblichen Welt ein göttlich-kreatives Moment nicht vorenthält. Insofern ist es kein überraschendes, höchstens ein signifikantes Kuriosum, daß Wagner die aus seinen Notizen zur Beethoven-Schrift stammende Überlegung "In wiefern ist Musik schön?"332 sich selbst folgendermaßen erwidert hat: "[I]m Bette liegend kommt es ihn an, wie schön es sei in der Musik".333 "Der Ton stammt aus der Nacht"334, meint auch Nietzsche, und der 'sound' bezeichnet sogar im Englischen, wie sprechend, nicht nur den 'musikalischen Ton' sondern auch den 'tiefen Schlaf'. Den Zusammenhang zwischen "Orpheus" und "Morpheus"335 hatte Wagner einst selber expliziert, und das nun sicher nicht nur zugunsten des Gleichklangs. Wir sehen, daß es gerade zwischen der Musik und dem Einzugsbereich des Schlafs besonders ausgeprägte Verknüpfungen für Wagner gegeben hat. Waren laut den Meistersingern Dichtung und Traum noch "Freunde"336, so stilisiert die BeethovenSchrift die Beziehung zu einer Zwillingsschaft von Musik und Traum: Die Musik ist "mit 327 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 77. Daß die Beethoven-Abhandlung auch für das zeitgenössische Lesepubli- kum einen besonderen Stellenwert hatte, zeigt die Meldung Cosimas, daß sie als selbständige Buchausgabe in Amerika bereits 1874 in zweiter Auflage erschienen war und dort "als eines der bedeutendsten Bücher unsrer Zeit bezeichnet wird". TB vom 23. 1. 1874. [Wagner, 1976a], S. 785 328 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 90 329 Ebd., S. 92 330 Mittheilung an meine Freunde. [Wagner, 1872d], S. 325 331 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 144 332 BB [zwischen 3. und 19. 7. 1870]. [Wagner, 1988b], S. 210 333 TB vom 8. 2. 1882. [Wagner, 1977], S. 887 334 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 70 335 TB vom 8. 9. 1878. [Wagner, 1977], S. 171 336 Die Meistersinger von Nürnberg, 3, 2. [Wagner, 1984a], S. 75 145 unmittelbarer Verständlichkeit"337 "das unmittelbare Traumbild"338, unmittelbarer noch, als die durch die anderen Künste erzeugten oder erzeugbaren Traumbilder, insofern sie noch unbewußter, unfaßbarer, ursprünglicher ist. "Sie ist das Herz des Menschen"339, sagt Wagner, was sich völlig mit dessen Auffassung vom Wesen des tiefsten Traums deckt. Umgekehrt hat deshalb auch Nietzsche recht, wenn er annimmt, der Traum sei der "reine[...] Musikzustand".340 Das 'Wunder' der Wagnerschen Kunst entsteht in höchster Steigerung immer erst da, wo Traum direkt in Musik und Musik direkt in Traum überfließt. In diesem Sinne gilt es zu zeigen, was die Metaphorik des Schlafs für die Musik als exzeptionelle Kunst und Wagnersches Philosophem alleine bedeutet und welchen Einfluß die Affinität zwischen Musik und Schlaf auf die Wagnersche Kunsttheorie insgesamt hat. <Erstes unter Ranggleichen> Zunächst noch einmal Genaueres zum Verhältnis der Musik zu den übrigen Künsten. Gemäß einer Äußerung Wagners aus dem Jahr der Beethoven-Schrift ist "die Musik [...] eine Welt für sich, die andren Künste aber sprechen nur eine Welt aus". 341 Das ist eine so klare wie riskante Mitteilung, philosophisch der Niederschlag seines Konfliktbewußtseins für die Diskrepanz zwischen ästhetischer Autonomie und Heteronomie. Liest man dies (wie auch ähnliche andere Aussagen) im Spiegel der Wagnerschen Traumtheorie, so wird man allerdings feststellen, daß in der Tat bei Wagner das Abbild der Welt, das die Künste gemeinhin produzieren, zugunsten des musikalischen Traumbilds ausgespielt wird, welches im Entstehungsprozeß bereits von höherer Ordnung sei. Wie der Traum im Leben des Künstlers, so nimmt die Musik in der Welt der Kunst laut Wagner einen Sonder-, eher sogar noch einen Geheimbereich ein: Beide, sowohl Traum als auch Musik, forcieren den Prozeß der Verinnerlichung im Gegensatz zu allen anderen nach außen drängenden Momenten der Kunst und Kunstproduktion. Weniger Gegen- denn Sinnbilder, weniger Zeichen denn Energien erzeugend, zeigen Traum und Musik das Fundamentalste unserer Wirklichkeit, dies aber fern ab von dieser Wirklichkeit. Im Grunde setzen sie das NichtAbbildbare frei und verhelfen damit den innersten, vom Bewußtsein noch ungetrübten, verfließenden, visionären Kräften zu Formen, die ihren ursprünglichen Inhalt weder stören noch verfälschen. Der Traum und die Musik, so könnte man im Sinne Wagners sagen, sind deshalb beides Medien der Vergegenwärtigung, nicht der Vergegenständlichung. Künstlerisches Ideal ist das zwar paradoxe, aber eben kreativere, "fast ebenso zeitals raumlose[...] Bild, eine durchaus geistige Offenbarung"342, womit Wagner das Wesen des Traums und das der Musik auf den besten gemeinsamen Nenner gebracht und die Vorrangstellung der Musik getreu seiner Schopenhauerschen Vorlage erhärtet haben dürf337 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 95 338 BB [zwischen 3. und 19. 7. 1870]. [Wagner, 1988b], S. 210 339 Das Kunstwerk der Zukunft. [Wagner, 1872c], S. 98 340 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 323 341 TB vom 3. 2. 1870. [Wagner, 1976a], S. 194 342 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 99 146 te. Vor allem gegenüber den bildenden Künsten versucht er sich damit zunächst einmal zu behaupten. <Traumdeutung [1]: Verhältnis Musik/ bildende Künste> Sie, die bildenden Künste, waren die der Tonmalerei assoziativ sicher am nächsten gelegene Kunstgattung. Für Wagner und seine absolute Musik waren sie aber auch eine Konkurrenzerscheinung. Von daher ist es (wieder) ein wenig verwirrend nachzuverfolgen, daß Wagner auch seine Musiktheorie auf der Grundlage des 'Traumbildes', der "Tonweltschau"343 oder der Idee errichtet, daß die Musik "die Civilisation" nivelliere wie "das Tageslicht den Lampenschein"344, auf Metaphern der Optik also, die zuerst mit den bildenden Künsten assoziiert werden dürften. Wagner indes macht klar, daß die Daseinsund Anschauungsformen aller anderen Künste beiseite gedrängt werden, sobald die Musik ins Spiel kommt, ja daß das akustische Erleben das optische schlichtweg aufhebe 345 – seine Argumentation wird hier noch strenger im Vergleich zu jener, die sich nur mit dem Künsterbegriff beschäftigt hatte. Das Traumbild als Bildsprache der Musik sei etwas ganz anderes als die Bildwerke der Malerei, Graphik, Architektur oder Bildhauerei. Die Begriffe überschneiden sich hier keinesfalls unter dem Verdacht von inhaltlichen Ähnlichkeiten. Höchstens verweisen sie noch einmal auf die synästhetischen Fähigkeiten des Künstlers, der das Sehen auch als Hören begreifen müsse. Es geht Wagner um eine "Umwandlung [...] nach innen"346, eine metaphysische Umwandlung, die die Musik als Entsprechung zum Traumbild allein und in scharfem Kontrast zu den bildenden Künsten vollführt, welche selbst immer nur wieder die eindimensionale 'Umwandlung nach außen' erreichen und das bloß zeit- und raumabhängige Bild erzeugen können. Fast müßte man sagen: Die Musik habe nach Wagner das 'unplastische Bildnis' hervorzubringen. Insofern ist sie auch laut der Beethoven-Abhandlung semantisch, physiologisch, psychologisch und selbst soziologisch nur erfaßbar als "Analogie des Traumes". 347 Wagner setzt sie also in seiner Gattungshierarchie so absolut wie er zuvor den tiefen Traum im Prozeß der Kunstproduktion absolut gesetzt hatte. Die bildenden Künste mögen uns die Welt als solche zeigen, die Musik jedoch vermag die "Idee der Welt"348 darzustellen. Wie der Traum ist sie deshalb in der Hauptsache von einem heftigen Erkenntnis-, die bildenden Künste lediglich von Erfahrungsdrang gespeist. Alle Beurteilungskriterien sogar, die von den bildenden Künsten auf die Musik übertragen werden, bedeuten für Wagner "eine Verirrung"349, eine "Misverständlichkeit ihres [der Musik] wahren Charakters"350, ein bloß "prismatische[s] Spiel[...] mit dem Effekte"351, wodurch für ihn freilich musikhistorische Entwicklungen 343 Ebd., S. 103. (Hervorhebung von der Verf. J. D.) 344 Ebd., S. 145. (Hervorhebung von der Verf. J. D.) 345 Siehe: Ebd., S. 144f. 346 Ebd., S. 96 347 Ebd., S. 95 348 Ebd., S. 84 349 Ebd., S. 96 350 Ebd. 351 Ebd., S. 97 147 wie etwa die der Programmusik durch ihre methodische Affinität zu den bildenden Künsten undenkbar bleiben müssen.352 <Traumdeutung [2]: Verhältnis Musik/ Dichtung> Ähnlich wie mit den bildenden Künsten verhält es sich aber auch mit der Dichtkunst. Auf Begriffe angewiesen, auf ein Medium also, das vor Abnutzung nicht einmal zu schützen ist, kann auch die Dichtkunst sich immer nur wieder in die Umstände verstricken, anstatt diese wie die Musik zu überwinden. Die Ideen, meint Wagner, werden noch in der besten Dichtung immer nur aufs neue mit einem alten Begriffsverständnis veranschaulicht und bleiben zwangsläufig affirmativ. Die Musik hingegen, die selbst eine Idee ist, trägt das Potential zur Erneuerung in sich und könne hochfliegend, himmelstürmerisch, utopisch sein – "eine Sprache [...], welche ganz unmittelbar von Jedem zu verstehen sei". 353 Unsere herkömmliche Sprache dagegen ist schon längst zur Phrase erstarrt, unbrauchbar geworden. Sie vermag sich kaum mehr vom Boden der Tatsachen zu lösen und kann darum nie, so Wagner, selbst wenn man die Mitteilungen berücksichtigt, die sie zwischen den Zeilen bereithält, über die Wirklichkeit erhaben sein. Nun ist es allerdings auch so, daß Wagner hier nicht ein ganz so extremes Urteil bemüht hätte, wäre nicht schon ein Antidoton vorrätig gewesen. Im Kunstwerk der Zukunft gebraucht er in Anlehnung an seine geradewegs naturalistische Vorstellung von den 'Sprachwurzeln' das Bild von einem Baum, dessen winterliches Geäst mit der Sprache, dessen sommerliches Laub mit den Tönen zu vergleichen sei. Die Dichtung wäre dieser Parabel nach das zu "dürren, lautlosen Zeichen der Schrift [verkrüppelte]"354 Skelett des Baumes, die Musik indes dessen Zier, die Krone – eine durch Luft und (göttliche) Liebe, wie Wagner in der Tat glaubte, ewig bewegte und bewegende Seele. Damit meinte er, daß die Musik beredt ist, dies allerdings ohne Wörter. Und weiter meinte er wohl, daß es mit ihr im Gegensatz zum spröden Definitionseifer der Sprache in der Kunst eigentlich um den Moment des Sphärischen, um das Verfließen, das Verrauschen und das Überblenden gehen müßte. Es ist nicht schwer zu schlußfolgern, daß dies im Klartext heißt: 352 Es sei noch einmal angemerkt, daß sich der späte Wagner nach eigenen Aussagen sogar vom Musikdrama distanzieren wollte, weil dieses nicht ohne Bilder auskommen kann. Sowohl sein Verdruß über die szenische Optik in Bayreuth als auch sein 'symphonischer Ehrgeiz' sind hinreichend bekannt, allerdings genauso das Scheitern des letzteren. Und daß es also auch ihm unmöglich geblieben war, den Visualisierungsanteil in der theatralen Musik zu reduzieren oder diesen zumindest zu modifizieren, hat schließlich dazu geführt, daß er umgekehrt das Musikdrama und dessen Artikulationsmöglichkeiten als Gipfelpunkt der Symphonik gedeutet hat. 353 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 84. Es ist übrigens hochinteressant, daß es ausgerechnet zur Zeit der Wagnerschen Beethoven-Schrift überall Bestrebungen gab, sog. 'Welthilfssprachen' zu erfinden. Die Einführung des Esperanto etwa, das übersetzt 'der Hoffende' heißt und ein Pseudonym seines Erfinders, des litauischen Augenarztes (sic) Ludwig L. Zamenhof ist, liefert ein Zeugnis davon und ließe sich gut vergleichen mit Wagners utopischem Musikkonzept. Dem Erfinder des Volapük gar, dem deutschen Geistlichen Johann Martin Schleyer, soll die Aufgabe, eine Welthilfssprache zu entwickeln, in einem Traum erteilt worden sein. Auch hier also eine Parallele zu Wagners Musikästhetik. Inwiefern deshalb die diversen 'Kunstsprachen' der Zeit ausgehen von einer Kritik am Wort und dadurch Hinweise dafür liefern, wie die Metaphorik, die Richard Wagner durch seine universale Sprache der Musik mitzuteilen hoffte, ideologisch zu verstehen ist, scheint mir erforschenswert, und ich verweise ohne den Verweisen selber nachgehen zu können auf die Langue Universelle von Menet (1886), das Bopal von Max (1887), das Spelin von Bauer (1886), das Dil von Flieweger (1893), das Balta von Dormoy (1893) oder das Weltparl von Arnim (1896). 354 Das Kunstwerk der Zukunft. [Wagner, 1872c], S. 126. ('Schrift' im Original hervorgehoben.) 148 Die Dichtung müßte angereichert, sie muß musikalisiert werden. Denn die Musik ist – "Anfang und Ende der Wortsprache"355 repräsentierend – qualitativ die hochwertigere Dichtung. Unter der Krone des Blätterdachs soll das Astgestrüpp zurechtgestutzt werden. Vielleicht im Sinne jener Anekdote, die uns vom Dichtersänger Pindar überliefert ist, dem, während er einmal schlief, die Bienen Honigwaben in den Mund gebaut haben sollen, in diesem Sinne müßte sich nun das Wort wieder zum Wort gesellen. Bestmöglich verdichtet, das meint eigentlich nach den Regeln eines autarken kompositorischen Bauprinzips zusammengefügt, würden die Wörter dann wieder süß und nahrhaft, die Sprache noch einmal konsistent und formbar. Natürlich ist es kein Zufall, bei Pindar nicht und auch bei Wagner nicht, daß der Dichter schlafen muß, damit sein Material ursprünglich werde. Wagner hatte genau das ja vom idealen Künstler für die Kunstproduktion gefordert. In dem Maße, in dem er vormals dem Dichter das Träumen beizubringen gehofft hatte, will er nun das Dichten selbst sphärisch machen und aus Dichtung Musik gewinnen. Schlaf und Traum dienen durch ihre Affinität zur Musik hier der Musikalisierung der Dichtung; die musikalische Verflüssigung der Wörter geschieht als Entsprechung zum Verfließen der Bilder im Künstlertraum. In nuce: Weil die Musik selber traumartig ist, kann auch die Dichtkunst erst wieder durch Schlaf und Traum in den Zustand der Unschuld zurückversetzt werden, beziehungsweise umgekehrt, die Dichtung "[geht] dank der Musik in Traum [...] über."356 Debussy sollte dies einmal nennen: "Zwei Träume, die sich vereinigen."357 <Die Traumsprache> Die Erneuerung der Sprache wäre demnach durch deren Musikalisierung zu erreichen. Im Grunde galt Wagner die Musik schon seit Oper und Drama nicht nur als Vor-, sondern als Urbild der Dichtung. Kraft ihrer Fähigkeit "an archaische Ursprünge zu erinnern"358, ist sie für ihn immer eine Ursprache gewesen und unsere Vorstellung, sie als eine Art Esperanto zu begreifen, war offenbar so falsch nicht. In diesem Sinn könnte man weiter behaupten, Wagner habe in seiner Sehnsucht danach, daß der verdörrte Ast der Sprache wieder ergrüne, die Dichtkunst nicht nur mystifizieren und mythologisieren wollen; viel eher noch wollte er die theoretisch fundierte Affinität zwischen Musik, Schlaf und Traum dazu benutzen, die Anknüpfung an den Mythos auch wirklich herzustellen. Allein mit der Darstellung mythischer Welterklärungsmodelle hatte er sich früh genug beschäftigt, literarisch, philologisch, psychologisch – für den Ring mußte er selbst eine Formel für einen Schöpfungsmythos finden. Daß Schlaf und Traum, Musik und Mythos, daß all diese 'archaischen' oder archaisierenden Mächte das Vermögen des (Welt-)Entwurfs in sich tragen und an die produktive Einbildungskraft appellieren, auch das dürfte ihm präsent gewesen sein. Claude Lévi-Strauss hat die Zusammenhänge mit Blick auf Wagner deshalb wie folgt erklärt: "Die wahre Antwort liegt, wie wir glauben, in der dem Mythos und dem musikalischen Werk 355 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 114 356 [Lenk, 1990], S. 29 357 Zitiert in: [Reich, 1965], S. 203 358 [Dahlhaus, 1988], S. 10 149 gemeinsamen Eigenschaft, Sprachen zu sein, die jede auf ihre Weise die Ebene der artikulierten Sprache transzendiert".359 Beweise für diese Verquickungen liefert uns das musikdramatische Werk Wagners selbst. Mit der Bemerkung "pythisch, [so muß] der Dichter sprechen"360 faßt Wagner alle wesentlichen Gedanken zum Bereich Dichtung/ Musik/ Schlaf/ Traum zusammen. 361 Nach dem Vorbild des antiken Pythia-Orakels solle sich der Dichter nämlich zu einer Sprache verpflichten, die der Inspirationsmantik entlehnt sowohl ur- oder überweltlich gebunden, sprich ver-dichtet, die aber vor allem auch traumgleich zu sein habe. Die Pythia sprach selbst aus einem schlafähnlichen Entrückungszustand, und 'Universalpoesie', so nannten schon die Romantiker diese Art der Mitteilung, auch mit Rekurs auf das delphische Orakel. Noch maßgeblicher aber dürfte sein, daß Richard Wagner als ein Produkt seiner Forschungen zum Verhältnis von Sprache und Musik die Theorie des Stabreims für sich hervorgebracht hatte. In Anlehnung an die Sprachbindung der pythischen Rätsel war die Grundidee dabei, der Sprache kraft der Alliteration schon im voraus die für die Musik erforderlichen rhythmischen Akzentdispositionen und melodischen Korrespondenzen einzuarbeiten, das Versmaß als Melodie zu formulieren und Sprachliches quasi schon auf sprachmechanistischer Ebene zu musikalisieren. Der Stabreim galt damit tatsächlich als "Ausdruck"362 des Mythos', und tatsächlich auch "fühlte sich [Wagner], wenn er Stäbe aneinanderreihte, dem verschütteten Ursprung der Dichtung nahe". 363 Im Ring des Nibelungen führt er die Umsetzung der Stabreimpoetik konsequent durch. Gerade die allererste Szene dort zeigt, auf welche Weise Sprache traumartig werden und wie sie in Musik übergehen kann. Den Prozeß der Entstehung der Welt bildet ab das Terzett der Rheintöchter aus dem 1. Aufzug Rheingold – für unseren Kontext läßt sich dabei der Eindruck kaum mehr unterdrücken, daß das berühmte 'Weia! Waga! [...] Wagalaweia!/ Wallala weiala weia' eminente Ähnlichkeiten mit jener kryptischen Sprechmusik aufweist, die Wagner mit der Figur der Pythia assoziiert hatte. 'Rasenden Mundes' soll sie, die Pythia, gesprochen haben – urweltliches Lallen hören wir von den Rheintöchtern. Die Sprache, oder besser gesagt die Sprechmelodie ist auf eine vorweltliche Stufe gebracht. Die "geisterhaft erklingende Musik" wird, so Wagner, wirklich erschaffen wie die "unter dem Sitze der Pythia dem heiligen Urschooße Gaia's entsteigenden Dämpfe[...]".364 Dazu kommt, daß die Welt im Rheingold noch ganz am Anfang ist, noch liegt alles im Urzustand befangen und erst allmählich wird die Alleinheit durch alliterierende Klänge geweckt. 359 [Lévi-Strauss, 1971], S. 31. Vgl. daneben auch den kurzen, aber brillanten Radiovortrag von Lévi-Strauss über Mythos und Musik, in dem er das Thema anhand von Richard Wagners Ring des Nibelungen beispielhaft analysiert und davon ausgeht, daß die Analyse der Mythen nichts anderes sei, als "mit Bedeutungen [zu] komponieren". [Lévi-Strauss, 1980], S. 67 360 TB vom 27. 11. 1877. [Wagner, 1976a], S. 1089. (Hervorhebung von der Verf. J. D.) 361 Eine Bemerkung, die sogar die überraschende Bewunderung für den Musiker Johann Strauß miteingreift, von dem es in Mein Leben heißt, dieser sei "beim Beginn eines neuen Walzers wie eine Pythia auf dem Dreifuß" erzittert. [Wagner, 1976c], S. 71. Strauß Vater übrigens, so hat es der Sohn Johann überliefert, habe neben seinem Arbeitszimmer auch vor allem das Schlafzimmer zum Komponieren und Musizieren benutzt. 362 [Dahlhaus, 1988], S. 103 363 Ebd. 364 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 402 150 Noch schlummert die Sonne, schläft "des Goldes Auge"365, noch ist es nächtlich kühl und traumgleich proteisch im Wasser, dem Wagnerschen Urelement. Noch besteht sogar, wenn man so will, die Alleinheit von Schöpfer und Geschöpftem, denkt man zurück an Wagners Initialvision aus La Spezia. Die Rheintöchter, sie singen auch ein Wiegenlied. Doch erinnert das nur einmal mehr daran, daß schon die Nachrichten der delphischen Pythia Botschaften aus der Welt des Traumreichs waren, und auch bei Wagner wird ja schließlich die weltweise, träumende Wala auftauchen, die die Anbindung an das chthonische Pythia-Motiv bestätigt. Gewiß, die These, daß zwischen den liegenden Es-DurKlängen und dem allerersten Kommentar der ersten Rheintochter ein "Zeitsprung"366 und auch ein Bedeutungssprung liege, so wie Richard Klein dies vermutet hat, entbehrt nicht der Logik. Musikalisch kommt es an dieser Stelle durchaus zu einem Bruch zwischen Instrumental- und Vokalpart. Man könnte behaupten, Woglindes abrupter Stimmeinsatz entspräche jenem unartikulierten 'Schrei', der laut Wagners Musikästhetik das Erwachen anzeigt. Richard Klein: Tatsächlich erweckt die Musik hier trotz gleichbleibender klanglicher und figurativer Strukturen den Eindruck, als habe sie gleichsam geträumt und wache nun plötzlich auf, als habe sich 'dazwischen' etwas abgespielt, was nicht zu Bewußtsein gekommen sei. [...] Mit dem abrupten Einsatz von Woglindes Stimme auf subdominantischer Klangfunktion nimmt der Höhepunkt der Es-Dur-Steigerung des Vorspiels ein Ende, das mit dem Bild vom Zerplatzen dessen, was vorausgegangen ist, oder von einer Art Schuß durch einen Zeittunnel, nicht ganz inadäquat beschrieben scheint. Inmitten aller kontinuierlichen Bewegung geschieht ein fundamentaler Riß.367 Dramaturgisch allerdings ist das nicht belegbar. Wären die Rheintöchter bereits selbst 'wach', verlöre der Traumgehalt ihrer Urwasserwelt seine ganze Bedeutung. Ihr Spiel wäre kein Spiel mehr. Introduktion und Szene werden statt dessen wie durch einen ungeheuren Schub durch die Fluten nach vorne gedrängt und steuern nur auf das Erwachen des Rheingoldes, respektive die Weckreize der Sonne zu. Der Einbruch des Tageslichtes, dieser viele Schrecken mit sich führende Einbruch der Auf-Klärung, ist da ein viel zu starker Schnitt, als daß man diesen schon früher hätte ansetzen können. Doch mit einem Kompromiß ließen sich die zwei verschiedenen Positionen eventuell gut vermitteln. Das Erwachen, das Richard Klein meint, ist nicht ein Erwachen zum Tag, sondern, wie ich meine, ein Erwachen innerhalb des Traums zu einer neuen Traumstufe. Sehr wohl geschieht hier also eine 'Aufwärtsbewegung', sie geschieht aber nur innerhalb der Traumschichten, und das entspräche auch exakt jenem Überwechseln vom tiefen Traum (hier: Es-Dur-Vorspiel) zum vermittelnden allegorischen Traum (hier: 1. Szene), das Wagner in der Beethoven-Schrift nachträglich versucht hatte zu belegen. Der Rheintöchtergesang liegt nun am äußeren Rand des allegorischen Traums, und er ist auch ein Signal für das Erwachen, nur ist er eben ein in die Länge gezogenes Signal, kompositorisch vergrößert 365 Rheingold, 1. [Wagner, 1999c], S. 21 366 [Klein, 2001a], S. 188 367 Ebd. 151 sozusagen, um die Erweckung des Goldes vorzubereiten. Klein sagt es eigentlich selbst: Zwischen Traum und Wachen spiele sich etwas ab, 'was noch nicht zu Bewußtsein gekommen sei'. In der Tat. Dazwischen liegt eine katalytische Unruhe. Der tiefe Traum, den Wagner mit dem Rheingold-Vorspiel einem Erwachen entgegenführt, bleibt unbewußt, er 'erwacht' lediglich zu einer anderen Traumgattung, die seine Mitteilungen zwar an das Bewußtsein weiterleiten wird, ihn selbst aber davon unbehelligt läßt. Es mag sein, daß Wagner in der Komposition dieser Passage sogar unmittelbar auf Schopenhauer und dessen Grundlagen vom 'tiefen' und 'allegorischen' Traum zugegriffen hat; im September 1853 war er der erwähnten Vision vom "Wiegenlied der Welt"368 erlegen, bis zum September des Folgejahres saß er an der Rheingold-Partitur, und genau in diese Zeit fällt auch seine erste Schopenhauer-Lektüre. Kurz, für den Beginn des Rheingolds bleibt es bei einer Traumsprache. Die Motivik verzweigt sich sogar noch und läßt sich bis in die Grundlagen der Wagnerschen Regieführung hinein verfolgen. Ist zum Beispiel von der antiken Pythia überliefert, daß diese niemals heftigen Bewegungen erlegen, nie von einem ekstatischen Taumel erfaßt worden sein soll, so verlangte Wagner von seinen Figuren genau dies: Das Drama sei zu begreifen als rein innerliches Leben der 'Wahrtraum-Gestalten', als geistige Bewegung, zu dessen Hervorbringung der körperlich-schauspielerische Bewegungskanon auf ein Mindestmaß reduziert werden mußte. Daß die Wala etwa in der Bayreuther Uraufführung des Rings als eine 'Dame ohne Unterleib' auftrat, wie die damalige Presse kolportierte, das war natürlich nicht als Karikatur gedacht. Es hatte zu tun mit einer ganz neuen, minimalistischen Regie und in diesem speziellen Fall mit der Idee der im Halbschlaf versunkenen und deshalb nur mental agierenden Erdgottheit schlechthin. Von daher sind völlig zu Recht und auch nicht ohne Zufall zum berühmtesten Modell dieser neuen, meditativen Ausdruckskunst die sanft fließenden, unbewußt-vorweltlichen, symbolhaften Bewegungen der Rheintöchter geworden, für die Wagner 1876 eine für seine Zeit unvergleichlich aufwendige Choreographie in Gang gesetzt hatte. Der Schlaf behauptet sich als bindendes Motiv zwischen Dichtung und Musik, hilft er doch den Verflüssigungsprozeß in Gang zu bringen, der notwendig ist, um die Dichtung aus ihrer begrifflichen Erstarrung zu (er)lösen und der Musik entgegenzuführen. Die Kritik deshalb, die Wagners Dichtungsbegriff bis heute ereilt, Kritik etwa in der Form, daß "die eintönige Musik der Stabreime ermüdet"369, müßte man eigentlich nur auf eine höhere Ebene versetzen, um den Wahrheitsgehalt dieser "peinliche[n] Ermüdung"370 für Wagner wieder fruchtbar zu machen. Ermüdung nämlich, Schläfrigkeit gar, darf nicht als Folge der Wagnerschen Kunst erscheinen, sondern als eine ihrer Voraussetzungen. "[U]nd abends, wie er [R.] liest, daß die Nibelungen in Berlin manchen ermüden, ist er völlig froh, dieses erwähnt zu sehen, weil er es richtig findet"371, diese seltsame Bemerkung Wagners sollte man möglicherweise deuten als Ausdruck einer Müdigkeit, die sinnstiftend, nicht sinn368 TB vom 17. 7. 1869. [Wagner, 1976a], S. 129 369 [Tappert, 1967], S. 104 370 Ebd., S. 101 371 TB vom 18. 5. 1881. [Wagner, 1977], S. 739 152 entstellend wirkt. Möglich sogar, daß man so weit gehen kann zu behaupten, bei Wagner befördere weniger nur die Musik den Schlaf (wie die Heilkundler auch zu Wagners Zeit schon wußten), sondern umgekehrt der Schlaf die Musik. Wagners Musiktheorie hat in der Tat einen eigenwilligen therapeutischen Anspruch. Wir werden darauf zurückkommen müssen. Was aber die Wagnersche 'Musik als Kunst' leisten will, leistet genauso der Schlaf: Innerhalb der Wagnerschen Musikphilosophie gelten beide als Ausdruck des Weltwillens. Gleichzeitig sind beide Ausdruck der höchsten Subjektivität, eine Umsetzung des pythischen 'Erkenne Dich selbst', welches Wagner zum Titel seiner Ausführungen über Religion und Kunst gemacht hatte. Ermüdung also wieder nicht als Abspannung, sondern als eine elaborierte Form des Wachseins. <Musik/ Mythos> Deutlich dürfte geworden sein, daß der Musik nach Wagners Vorstellung eine transzendentale Befähigung immanent ist. Nicht nur, daß die Musik alle übrigen Künste transzendiert, sie transzendiert auch die historischen Bedingungen und kann ans Urweltliche, Ursprachliche, Urdramatische anknüpfen. Viel mehr noch stellt sie dies Urweltliche eigentlich dar. Im Sinne Wagners wird man sagen können, daß die Musik den Mythos restituiert. Mit der Beethoven-Schrift wußte Wagner diese Grauzone der Kunst gut zu unterfüttern – denn unterfüttert werden mußte sie – und zwar erneut durch die Verbindung der Musik zum Schlaf, welcher genau so an archaische Ursprünge anknüpft, wie die Musik an archaische Ursprünge anknüpfen sollte. Immerhin wurde dem Schlaf schon in zahlreichen Schöpfungsmythen elementare Bedeutung zugesprochen. Kosmogonisch war er, wenn nicht der ersten Generation von Urgewalten zugehörend, eine Ableitung der Urnacht und der Urfinsternis, die man sich selbst oft schlafend vorstellte, zum Beispiel in den nordischen Mythen. Schlaf, Nacht und Finsternis bildeten gemeinsam auch eine "thick night"372, deren katalytische Prozesse im Wortsinn im Dunkeln bleiben mußten, deren Erträge hingegen gleichbedeutend waren mit der Genese der Welt. Nietzsche umschreibt es folgendermaßen: Der Schlaf bringt den Menschen auf einen Zustand der Unvollkommenheit zurück[...], wie es in Urzeiten der Menschheit bei Jedermann [...] gewesen sein mag. [...] im Schlaf und Traum machen wir das Pensum früheren Menschenthums noch einmal durch.373 'Unvollkommenheit' bedeutet hier jedoch keinen Verlust, so wenig wie die etymologischen Wurzeln des Schlafs 'schlaff' und 'matt werden'374 nur pejorativ verstanden werden dürfen. Ohne daß ein Nachteil darin lag, wurden die Schöpfungsgötter als "Kinder der Ohnmächtigen", als "träge" und "müde"375 bezeichnet, die Sonne als "wegemüd"376, die 372 Zitiert in: [Reimbold, 1970], S. 20 373 Menschliches, Allzumenschliches. [Nietzsche, 1988g], S. 31f. 374 Nach: [<Duden>, 1963], S. 606 375 Zitiert in: [Reimbold, 1970], S. 51 376 [Grimm, 1876], S. 617 153 täglich "to Rüste", also zur Ruhe müsse und "int Nest [kruppt]". 377 Dem mythischen Verständnis zufolge besaßen die Nacht, der Schlaf, die Dunkelheit und deren jeweils unzugänglicher, abgewandter, 'blickdichter' Teil das Vermögen, Strukturen aufzubewahren, die kulturell noch nicht durchgebildet waren. 'Unvollkommenheit' ist deshalb eine paradoxe, bei Nietzsche auch ironisch gebrochene Parabel für die Rückführung in Bereiche, die sich zumindest in der Sprache nicht darstellen ließen. 'Unvollkommenheit', es ließe sich ebenso 'Unfertigkeit' dazu sagen, ist ein Schöpfungspotential. Und der Mythos und mit ihm der Schlaf sind Generatoren für eben jene Strukturen, die zu komplex bleiben mußten für eine taghelle Kausalität. Für Wagner sollte darum zwingend auch die Musik eine Ableitung des Mythos' sein. Und daraus ergibt sich schließlich ein Dreisatz, ein Dreisatz, innerhalb dessen sich jede der drei beteiligten Größen beliebig zu jeder anderen gesellen kann: Musik und Mythos entstammen beide dem Bereich, der "in keiner Sprache mitzutheilen [ist]."378 Das leitet sie an den Schlaf weiter, der einerseits wie der Mythos traum- und bildhaft mit der Nacht zusammenhängt, andererseits wie die Musik den Abdruck einer ursprünglichen Welt liefert. Ohne selbst der Mitteilung fähig zu sein, verfügt der Schlaf doch über Mitteilungskanäle, die den schöpferischen Nebelbereich abbilden können – Kierkegaard hätte gesagt "die Phantasie [legt sich] hin und träumt, und hieraus erzeugt sich das Mythische"379 – und genau diese formale Möglichkeit ist es, die Wagner am Ende (nur noch) mit Musik gesättigt hat. Das Ergebnis ist der für die Gegenwart wiedergewonnene Mythos –Schlaf kann mythisch, kann aber auch alltäglich sein. Er fungiert als Wegbereiter des Wagnerschen Musikverständnisses. Wie das Schlafen für den Künstler, so ist er für die Kunst ein Katalysator. Von daher ist es sehr wohl, und zwar von weit mehr als anekdotischer Bedeutung, daß Wagner die Musik (vor allem die Musik Beethovens!) schon als Kind als ein der Alltagswirklichkeit entrücktes "Dämonium, eine mystisch erhabene Ungeheuerlichkeit"380 wahrgenommen hatte, und ihr seit je mit einer Mischung aus Glaube und Aberglaube anhing. Mit Beethovens "Sonaten ging er schlafen und mit den Quartetten stand er auf"381, erinnert sich Heinrich Dorn, Wagner selbst bekannte, daß er durch die Schriften des 'Gespenster-Hoffmann' "zum tollsten Mystizismus aufgeregt [wurde]: am Tage, im Halbschlafe hatte ich Visionen, in denen mir Grundton, Terz und Quinte leibhaft erschienen und mir ihre wichtige Bedeutung offenbarten".382 "[A]lles Regelhafte schien sie [die Musik] mir durchaus zu entstellen"383, und wie "eine Geistermahnung"384 sind die Töne, so daß 377 [Stegemann, 1936/1937], Sp. 57 378 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 92 379 [Kierkegaard, 1984], S. 102 380 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 39 381 [Dorn, 1838], S. 29 382 Autobiographische Skizze. [Wagner, 1871a], S. 10 383 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 39 384 Ebd., S. 37 154 ich nun eine Musik schreiben [mußte] [...], [in der] namentlich [...] die so unterschiedlichen Gattungen der Gespensterwelt angehörenden Geistererscheinungen durch die entsprechende musikalische Begleitung ihr rechtes Kolorit erst erhalten [sollten].385 Schlaf und Traum als verwandte Phänomene liegen da nicht allzu weit entfernt, ja der Gespensterglaube scheint hier so etwas wie die kindgerechte Vorform des Wagnerschen Mythosbegriffs zu sein. Vom späten Wagner überliefert Cosima: "[I]n Deutschland [wolle er] für die Musik leben, die allerdings dort zu Hause sei, wenn es dunkel würde, die Lichter sich anzündeten". 386 Schön und auch ein wenig rätselhaft ist dieser Gedanke, er offenbart doch aber noch immer dieselbe Vorliebe für die Welt als Schattentheater. Mehr als beliebig dürfte es deshalb auch sein, daß die allererste Komposition, für die Richard Wagner je ein Honorar erhalten hatte, nachweislich ein Schlaflied gewesen ist, nämlich das kleine französische Gesangsstück Dors mon enfant aus dem Jahr 1839387, worüber Glasenapp schreibt: Wie tief diese anmutsvolle[...] Gelegenheitsdichtung[...] doch dem Innern des jungen Musikers entströmt [ist], zeigen die mannigfachen Berührungen und Verklammerungen, durch welche sie [...] mit späteren größeren Schöpfungen zusammenhäng[t]. 388 In der Tat. Nicht nur in Wagners Leben war, auch in Wagners Musik und Musiktheorie ist der Schlaf augenscheinlich ein Konstruktionsprinzip. Nicht also nur Inhalt, sondern Form. Wie Elisabeth Lenk es ausdrückt, gewährt er "den Durchbruch einer ins Absolute befreiten Musik".389 Präziser noch gewährt der Schlaf den Durchbruch einer ins absolute befreiten Kunst, die sich in Fortsetzung eines mythischen Ideals in verdichteter Sprache und verdichtetem Sinn als Musik äußert. Claude Lévi-Strauss hat Wagner nicht ohne Grund den "unabweisbaren Vater der strukturalen Analyse der Mythen" genannt, denn es sei "in höchstem Maße aufschlußreich, daß diese Analyse zuerst in der Musik vorgenommen worden [... und daß ...] die logische Konsequenz aus der Wagnerschen Entdeckung ist, daß die Struktur der Mythen sich mittels einer Partitur enthüllt."390 Wagner hat nicht nur die Musik in den Bannkreis des Schlafs geholt, er hat die Musik durch das Tor des Schlafs hindurch "selber zum Träumen gebracht"391 und dadurch in den Mythos über- 385 Ebd. 386 TB vom 3. 12. 1881. [Wagner, 1977], S. 838f. 387 Siehe: Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 209. Ebd., S. 183 ergänzt Wagner: "[E]s geriet so gut, daß, als ich spät abends es mehrmals leise mir auf dem Klavier probierte, meine Frau aus dem Bett mir zurief, das wäre ja ganz himmlisch zum Einschlafen." Ein Verbindung zu dem Wiegenlied Schlaf, Kindchen, schlafe, das Wagner fast 30 Jahre später am Silvestertag 1868 schreiben sollte, besteht übrigens nicht; allerdings gilt diese Komposition wiederum als Keimzelle für das 1870 entstandene Siegfried-Idyll, das Wagner einmal als seine "liebste Komposition" bezeichnet hat. TB vom 10. 1. 1878. [Wagner, 1977], S. 35 388 [Glasenapp, 1905a], S. 348 389 [Lenk, 1990], S. 28 390 [Lévi-Strauss, 1971], S. 30f. 391 [Lenk, 1990], S. 39 155 führt. Daß der Mythos uns reziprok in einen "träumerischen Zustand versetzt"392 stellt sicher, daß wir in das Reich der Musik zurückgespült werden. <Musik/ Utopie> Wie allerdings der Mythos durch den Schlaf mit der Musik zusammenhängt, so am Ende auch der Utopiebegriff Wagners. Vom Schlaf gelenkt suggeriert die Musik nicht nur den Vergangenheitsbezug und das Rückfallen in eine vorweltliche Ordnung, sondern kraft surreal-subversiver Traumbilder auch die Idee des Fortschritts und Neuanfangs. Sobald man berücksichtigt, daß Wunscherfüllung ein traumgestaltendes Prinzip ist, sobald man vor allem berücksichtigt, daß der Schlaf uns dadurch an die Zukunft vermittelt, quasi als Derivat der pythischen Orakel, so ist die Musik nach Wagner und der Beethoven-Schrift auch zu verstehen als Erlösung aus der Gegenwart. Gekoppelt an den Moment des Erwachens – dieser jetzt nicht mehr verstanden als physiologische, sondern als rein philosophische Größe – kann uns die "heraklesmässige Kraft der Musik"393 aus Scheinhaftigkeit, Manipulation, Entfremdung und einem politisch-sozialen Zwangskorsett befreien. Musik ist ganz und gar Ausdruck des Wagnerschen Offenbarungs- und Erlösungsglaubens, die Musikästhetik Wagners auch eine konkrete Utopie. Schopenhauerisch dabei natürlich der Gedanke, daß die Musik die Welt offenbart, und zwar nicht so, wie sie ist, sondern so, wie sie sein sollte – "unser Reich ist nicht von dieser Welt". 394 Das "Wesen der Musik", berichtet Cosima, habe Wagner ihr so erklärt, als erschließe sich etwas in [der] Seele, was sonst immer gefangen gehalten [würde], und [als] versinke [der] Geist in einem Traumzustande; die Realität verschwindet gänzlich, und es waltet nur die Liebe. 395 "[T]räumereiches Atemholen der Musik"396 hat Gregor-Dellin das sehr schön genannt mit Blick auf den Moment, da der Holländer und Senta das erste Mal allein sind. Der Traumzustand scheint das Erwachen als positive Utopie miteinzuschließen. Oder anders gesagt: Die Wagnersche Utopie ist nichts anderes als ein Wachtraum. In Folge stehen Welten wie die der Götterdämmerung oder die des Tristan, zwei Gefüge immerhin, die eindeutig vom Zerfall betroffen und auch mit zahllosen Nachtsequenzen versetzt sind, ebenso eindeutig "unter der Chiffre des Erwachens"397: Siegfried, der Exekutant der Wagner-Wotanschen Utopie, öffnet sterbend "glanzvoll"398 die Augen und singt von Erweckung. Brünnhilde erwacht am Schluß zum All-Wissen, und erst dieser radikale Erleuchtungsprozeß, der ja auch reichlich mit Lichtmetaphern ausgeschmückt ist, gewährleistet, daß für sie der Schein der Gibichungen-Welt durchschaubar und eine Zukunft bestimmbar wird. Im Moment 392 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 161 393 Geburt der Tragödie. [Nietzsche, 1988e], S. 73 394 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 144 395 TB vom 4. 7. 1869. [Wagner, 1976a], S. 122 396 [Gregor-Dellin, 1980], S. 163 397 [Eisinger, 1987], S. 21 398 Götterdämmerung, 3, 2. [Wagner, 1997a], S. 99 156 des Erwachens schlägt der Alptraum zu einem an jedem Aufführungsabend neu wahr werdenden Traum des neuen Tages um. Mit Tristan verhält es sich ähnlich. Vom sterbenden Tristan heißt es "Er wacht!"399, von der sterbenden Isolde "Sie wacht!"400 Selbst die Meistersinger, deren Weltsystem im Vergleich nur spielerisch vom Umsturz bedroht ist, enden per aspera ad astra, im melodiösen 'Wach(t) auf', das sich jetzt ausnimmt, als sei die Musik kraft ihres utopischen Gehalts ein Loblied auf sich selbst. Das Erwachen also können wir bei Wagner wörtlich verstehen als ein 'Heller-werden', als Aufklarung. "Und was ist denn die Kunst?", fragt Wagner und meint: Sie gleicht den schönen blauen flackernden Flammen, die zuweilen über dem Herd sich erheben, alles übrige aber ist Zerstörung, Vernichtung. Daß sie bildend leuchten soll während einer tatenreichen Zeit, das ist freilich der Traum. 401 Die utopische Kraft der Musik hatte er bereits mit dem Eindruck des "Tageslicht[s]" verglichen, das den "Lampenschein [aufhebt]". 402 Damit werden in nochmals verwandelter Wiederkehr die Lichtmetaphern instand gesetzt, mit denen der Musiker Wagner selbst verglichen worden war. Darum: Der Schlaf und mit ihm die Bilder des Erwachens ermöglichen erst die Musik. Der Schlaf fungiert als Einstiegshilfe in die Utopie (oder als "versteckte Tapententhür"403, wie Novalis es so zauberhaft formulierte). Insofern ist Wagners Frage "ist Musik schön?"404 natürlich eine rhetorische Frage. Ja, Musik ist schön, weil sie die Zukunft in der Gegenwart etabliert. Eigentlich ginge sie noch "weit über die Schönheit hinaus"405, bemerkt Wagner während der Konzeption seiner Beethoven-Schrift, die er auf diesem Gedanken aufbaut, denn sie macht das Unmögliche möglich. Das Sehnsüchtige der Wagnerschen Musik, auch der Zustand des Ab- und vielleicht sogar der des "Ausgeschlossenseins"406, den die Musik mit dem Schlaf teilt, ist auch ihr glücklich-utopischer Kern. Kein Zufall ist es, daß die Zeit der Beethoven-Niederschrift um 1870 für Wagner biographisch eine Zeit der Einkehr (in Tribschen) und des privaten Glücks (mit Cosima) gewesen war. Schon die Odyssee endet damit, daß ihr Held im Moment seiner Heimkehr in den Schlaf zurücksinkt. <Künste des Übergangs> Nach Wagner impliziert die Musik also gleichzeitig Rückblick und Voraussicht; sie ist nicht nur ein Vergessens-, sondern auch ein Erinnerungstrunk (vgl. Abb. 44-45) – das Leben war kein Traum, sollte aber einer werden – und der Schlaf scheint hierfür das ideale Stilbildungsmittel zu sein, insofern er in romantischer Tradition ermöglicht, daß der 399 Tristan und Isolde, 3, 2. [Wagner, 1984b], S. 70 400 Tristan und Isolde, 3, 3. Ebd., S. 72 401 TB vom 21. 12. 1870. [Wagner, 1976a], S. 328 402 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 145 403 [Novalis, 1977], S. 252 404 BB [zwischen 3. und 19. 7. 1870]. [Wagner, 1988b], S. 210 405 TB vom 25. 7. 1870. [Wagner, 1976a], S. 261 406 [Lenk, 1990], S. 36 157 Genuß des einen die Wirkung des anderen nicht ausschließt. 407 "Der Schlaf ist das tiefe sich Besinnen [...] in sich selbst"408, hatte der romantische Philosoph Heinrich Steffens geschrieben. Novalis wußte dies sofort zu ergänzen: "In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft".409 Genaugenommen ist der Schlaf eine Art Zeitmaschine, mit der man beliebig an die mythische Quelle und/ oder den 'outópos' gelangen kann. Deshalb ist er eine Überblendungstechnik und für Wagner von vornherein die Parallelerscheinung zur Musik, welche er als "Kunst des Überganges" deklariert hatte: Meine feinste und tiefste Kunst möchte ich jetzt die Kunst des Überganges nennen, denn mein ganzes Kunstgewebe besteht aus solchen Übergängen: das Schroffe und Jähe ist mir zuwider geworden. 410 So wie der Tag in die Nacht oder die Nacht in den Tag übergeht, so lebt das Wagnersche Musikdrama vom 'Blending' der zuvor als Nummern in der Oper schematisierten Szenenund Musiksequenzen. Und so wie die Träume, so sind auch Wagners Klangfarben "proteisch".411 Das Gehör als musikalisches Organ ist entsprechend ein 'Durchgangstor'412, an das der Begriff der Resonanz und die Idee gekoppelt ist, daß akustische Signale stufenlos zu Widerhall werden können und Widerhall stufenlos zu akustischen Signalen. Im selben Sinn bewunderte Wagner in der Gesangskunst nichts so sehr wie den italienischen Stil, der auf dem Glissandieren basiert, begriff diesen denn auch für Bayreuth als Grundlage und entwickelte parallel dazu selbst eine immer stärker werdende Abneigung gegen das Klavier als Instrument, welches kein Gleiten zwischen den Tönen kenne. 413 Im Idealfall sollte die melodische Struktur erscheinen als etwas, das der Dämmerung nicht unähnlich sein dürfte – Cosima vermerkt zum Spätwerk Parsifal: "[G]leich der unmerklichen Verwandlung, dem ungefühlten Schreiten des Parsifal, so entwickele, verwandle, schwebe diese Musik, [...] wie die Farben-Bildungen der Wolken beim Sonnenuntergang wechselt Licht und 407 Mythos und Utopie – konkret hieß das allerdings: Man stellte sich Utopia in historischem Gewand vor. Das ist ein Widersinn, und die Fehler, die sich später daraus kostümtechnisch für Bayreuth und die Uraufführung des Rings ergeben sollten, hätte Wagner auch bei sich selbst suchen müssen. 408 [Steffens, 1821], S. 698 409 [Novalis, 1981], S. 419 410 Brief Richard Wagners vom 29. 10. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 261. Es dürfte übrigens kein Zufall sein, daß der Komparativ "feinste und tiefste Kunst" hier parallel geht mit dem oben bereits angeführten Wort von "der echteste[n] Kunst", die "nur [...] Nachtigallenlied" sein könne: "[I]n ungeheuerster Steigerung ist meine beste Kunst nicht anderes." Brief Richard Wagners vom 3. 8. 1853 an Theodor Apel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1910], S. 88 411 [Lenk, 1990], S. 34 412 Vgl. mit dem Abschnitt <Hörsinn> in Kap. II.2 413 Seinem Erard-Flügel allein, um den er, Wagner, sich einst inmitten einer schweren Lebenskrise so sehr bemüht hatte, schrieb er zu: "Aber dieses wundervoll weiche, melancholisch süsse Instrument schmeichelte mich völlig wieder zur Musik zurück [...] Das Leben webte sich wieder traumartig um mich zum Dasein". Tagebucheintrag Richard Wagners vom 6. 10. 1858 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1904], S. 61. Erst ein Flügel von Ibach verdient dann rund 25 Jahre später eine ähnliche Erwähnung: "Der Flügel von Ibach kommt an und freut R. durch seinen sanften Ton, er schreibt Herrn I., daß er nur noch weiche Musik komponieren würde." TB vom 7. 11. 1882. [Wagner, 1977], S. 1041 158 Nacht".414 Über Bach hatte Wagner einmal gesagt: "Unbewußt, wie im Traum, ist vieles von [ihm] niedergeschrieben; die 'unendliche Melodie' ist da bereits präformiert", und "das [Präludium Nr. 8] spiele ich noch mondscheinartiger, da hört der Dämmer bei mir gar nicht auf."415 Interpretations- und kompositionstechnisch, musiktheoretisch und musikästhetisch ging es um die Verflüssigung von Zäsuren.416 Die Bilder des Schlafs stellen dabei eine formale Entsprechung oder auch eine Ergänzung zur Musik dar. Insofern ist es folgerichtig, wiewohl doch sehr überraschend – bislang wurde es in der Forschung nicht erwähnt und wahrscheinlich auch gar nicht bemerkt –, daß es keine einzige Oper im Hauptwerk Wagners gibt, die nicht entweder durch eine Schlafszene oder/ und eine Sequenz eröffnet wird, in der die Musik sich selbst thematisiert – Anfang hier verstanden als prominentestes Beispiel einer Zäsur. Schon in dem frühen Dramenentwurf der Hochzeit – diesem "vollkommene[n] Nachtstück", in dem "die Verschmähung jedes Lichtscheines [...] schwarz auf schwarz aus[geführt war]"417 – steigt ein wahnsinnig Liebender des Nachts in das Schlafgemach der Braut seines Freundes ein und veranschlagt damit quasi den Spielbereich aller späteren Wagner-Opern. 418 'Baron von Nachtschatten' hieß immerhin schon eine Figur in der Farce Männerlist größer als Frauenlist, die Motive aus Tausendundeiner Nacht aufgriff. Der Rienzi beginnt dann mit einem nächtlichen Frauenraub, Irene wird in ihrer Schlafkammer überwältigt. Die erste Szene des Holländer wird eingeleitet vom Gesang der Matrosen kurz vor der Nachtruhe und mündet im Lied des Steuermanns, der sich singend den Schlaf zu vertreiben sucht, welcher ihn am Ende doch überwältigt. Im Tannhäuser bemerken wir als allererstes "[i]m äußersten Vordergrunde links"419 ein Bett, es ist das Bett der Venus. Dann hören wir den Gesang der Sirenen und sehen einen bacchantischen Tanz, der "Gruppen [von] Schlafenden"420 hinterläßt – Tannhäuser selbst "zuckt mit dem Haupte empor, als fahre er aus einem Traume auf". 421 Die erste Szene Lohengrin springt in medias res, dies aber nur, um dramaturgisch jene zweite Szene vorzubereiten, die Elsa in "träumerische[m] Entrücktsein [...]"422 heranführt und in der diese berichtet: "[I]ch sank in süßen Schlaf"423 (vgl. Abb. 414 TB vom 29. 1. 1878. [Wagner, 1977], S. 41 415 Zitiert in: [Glasenapp, 1911], S. 164 416 Allerdings brachten wohl erst die elektro-akustischen Instrumente, deren Entwicklung rund 20 Jahre nach Wagner begann, was dieser wirklich gern gehört hätte, etwa das Sphärophon oder das Partiturophon von Jörg Mager oder aber auch das berühmte Trautonium von Friedrich Trautwein und Oskar Sala mit seiner Kopplung von Tasten- und Gleitvorrichtung. Äußerst reizvoll jedoch ist es zu wissen und sich vorzustellen, daß zum Beispiel Mager bereits 1931 von Tietjen und Winifred Wagner nach Bayreuth engagiert worden war, um für den Parsifal elektroakustische Gralsglocken herzustellen. Akustisch dürfte das weit mehr als ein Experiment gewesen sein. Oskar Sala und sein Mixtur-Trautonium folgten Mager 1956 bzw. 1957 an den Hügel, als Wieland Wagner und Hans Knappertsbusch die neuen, synthetischen Klänge für das Lautmaterial derselben Glocken sowie für die Nibelungenschmiede im Rheingold einsetzten. 417 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 76 418 Zumal Wagner bekannt hat, daß er während der Konzeption der Hochzeit "wiederholt das Manuskript [...] hinter dem Kanapee verborgen" habe... Ebd., S. 74 419 Tannhäuser, 1, 1. [Wagner, 1949], S. 14 420 Ebd., S. 15 421 Tannhäuser, 1, 2. Ebd., S. 18 422 Lohengrin, 1, 2. [Wagner, 1952], S. 15 423 Ebd. 159 46-48). Der Ring beginnt traumselig im Rhein des schlafenden Goldes, es folgen Wotans (bleierner) und Erdas (aufgestörter) Schlaf, jene Ermüdungserscheinungen, die später als Fanal einer Welt erkennbar werden sollen, welche nur mehr zwischen Traum und Trauma hin- und herschwankt. Tristan: Isolde lagert auf einem "Ruhebett, das Gesicht in die Kissen gedrückt"424 (vgl. Abb. 49-52), es erklingt das Seemannslied eines jungen Matrosen. Die Meistersinger heben an mit den letzten Versen eines Kirchenchorals, womit wieder mit den Mitteln der Musik über Musik reflektiert wird. Und last but not least Parsifal: Dieser beginnt mit einem "Morgenweckruf"425 und mit Gurnemanz, der "schlafend unter einem Baume"426 liegt, zwei "Schlafhüter[n]"427, die dasselbe tun, Amfortas auf dem "Siechbett"428 und Kundry, die bekennt "Ich bin müde".429 Offenbar wird das Wagnersche Werk also wirklich vom Schlaf genährt. Denn das Schlafmotiv liefert die mythische und/ oder utopische Antriebskraft, die es braucht, um das musikalische Drama zu initialisieren. Ähnlich wie in Wagners Biographie, in der auch die Schlafmetaphorik über die jahrzehntelangen Anfangs- und Schöpfungskrisen hinweggeholfen hatte, behauptet sich der Schlaf in den Musikdramen als dramaturgisches Bindemittel. Und genau so zum Beispiel, wie es später erst durch die Techniken des Films (etwa durch Überblendungen, Kamerafahrten oder Zooms) möglich werden sollte, konnte Wagner bereits durch den Schlaf verschiedene Zeit- und Handlungsdimensionen im Musikdrama ohne Bruchkanten miteinander verknüpfen – ein nicht unwichtiger Kunstgriff im Œuvre eines Künstlers, dessen Hauptwerk allein 28 Jahre bis zur Fertigstellung bedurfte. Das Motiv vom Schlaf hilft, über das Gewordensein des Kunstwerks hinwegzutäuschen. 430 <Musik als Heilkunst [1]> Weil der Wagnerschen Vorstellung zufolge nun aber sowohl der Mythos als auch die Utopie als Ableitungen vom Goldenen Zeitalter zu verstehen sind, transportiert die Musik, die wie gehabt von beidem stimuliert wird, sicher auch den Anspruch auf Besserung. Regeneration – Reformation – Revolution, das sind die Stützpfeiler der Wagnerschen Musikästhetik, und es besser haben zu wollen, ist ohne Frage ein Antriebsimpuls für den Komponisten Wagner gewesen. Gar nicht verwunderlich, daß da auch der Schlaf, nachdem er der Musik theoretisch so sorgfältig untermischt worden war, seinen Beitrag leisten muß. Wie die Musik vermag er zu beruhigen, zu reinigen, zu ordnen. Er bringt Trost, macht vergessen, suggeriert kraft der Träume wie die Musik eine ganz andere Sicht der Dinge, und erschafft, indem er dem Erwachen entgegenstürzt, die Welt jeden Tag wie neu. Musik und Schlaf, so könnte man sagen, sind beides Künste der Kompensation. Wie die Musik (des Musikdramas) vermögen auch die Träume die störenden Elemente im 424 Tristan und Isolde, 1, 1. [Wagner, 1984b], S. 5 425 Parsifal, 1. [Wagner, 1950], S. 11 426 Ebd. 427 Ebd. 428 Ebd. 429 Ebd., S. 13 430 Vgl.: Anm. 243 dieses Kapitels 160 menschlichen Seelenhaushalt zu brechen und in handhabbare Bilder zu sublimieren. Schon Hans Sachs trieb Stolzing dazu an, sich seiner Träume nicht zu schämen, womit er dessen existentielle Furcht vor der Meisterschule tatsächlich bändigte und den Meistersang aus diesem hervorlockte. Ja selbst Wotan, im Rheingold, tröstet sich noch mit dem schönen Schein der Träume. Und in diesem Sinn darf man wohl behaupten, daß auf der Grundlage der Beethoven-Schrift die Musik bei Wagner ein Therapeutikum ist. 'Therapeutikum' allerdings nicht bloß verstanden als Metapher. Gilt der Schlaf an sich schon als Medizin, so auch die Musik. Physiologische und psychotherapeutische Untersuchungen haben längst bewiesen, daß der Einfluß von Musik sich günstig auf Krankheiten auswirke431, woraufhin es wenig überraschend kommt, daß gerade auch Wagners Musik immer wieder in einen heilkundlichen Zusammenhang gestellt worden ist. "»Musik in Hospitälern«" heißt ein Zeitungsbericht, den Cosima ihrem Tagebuch beigelegt hatte und worin berichtet wird: "»Die schöne Idee unseres großen Meisters Richard Wagner, die Musik auch zur Krankenpflege zu verwenden, verwirklicht sich in England.«"432 Freilich ist Wagner damit etwas in den Mund gelegt worden, was er so im Detail nicht gesagt, in umfassenderem Sinn aber durchaus so gemeint haben dürfte. Der Heilsanspruch seiner Musik wird noch heute zum Beispiel in Bayreuth wörtlich genommen, ja wahrscheinlich vor allen Dingen in Bayreuth – die Kombination von Natur und Therapie im Rahmen des Musikbetriebes scheint manchmal fast einer Wiederauflage der naturphilosophischen Theorien vom magnetischen Schlaf nahezukommen. Wie die verdienstvollen Untersuchungen von Gebhardt/ Zingerle belegen, ist für einen Großteil des Bayreuther Festspielpublikums gerade die "funktionale Leistung der von der WagnerMusik ausgelösten Gefühle [...] von Bedeutung"433: das Festspielerlebnis umfaßt neben den als Reinigung empfundenden "Wanderungen in einer noch weitgehend unverbrauchten Natur"434 und "spezifische[n] Konzentrationsphasen vor Beginn der Vorstellungen und auch während der einstündigen Pausen"435 vor allem eine "Art rein körperlicher Vorbereitung [...,] Ausruhen und Entspannen [...], das Einnehmen nur leichter Speisen vor Beginn der Aufführungen"436, so daß die Vorstellung des "Sich-Lösens"437 von vielen wesentlich mit dem "Heilende[n] der Musik"438 assoziiert wird. Gebhardt/ Zingerle stellen fest: Das Entscheidende ist dabei, daß diese Gelegenheit [zum Abarbeiten der Lebensprobleme] nicht außerhalb, sondern allein innerhalb der Opernaufführungen gegeben ist, mit ihnen und durch sie [...,] was im gängigen Sprachgebrauch (Psycho)-Therapie genannt wird.439 431 Ich verweise stellvertretend für den Forschungsbereich auf: [Rauhe, 1986], [Rauhe, 1993a], [Rauhe, 1993b]. 432 TB vom 11. 2. 1881. [Wagner, 1977], S. 688 433 [Gebhardt/ Zingerle, 1998], S. 174 434 Ebd., S. 108 435 Ebd., S. 125 436 Ebd. 437 Ebd., S. 176 438 Ebd. 439 Ebd., S. 175 161 Wenn "Moribunde", wie Wolfgang Hildesheimer einmal behauptet hat, "lieber Mozart [hören] als jede andere Musik"440, so hören sie unterdes wahrscheinlich am allerliebsten Wagner. Das "Therapiezentrum [...] Deutschland[s]"441 ist Bayreuth, selbst noch für die vielen Kritiker der Festspiele. Sogar Christoph Schlingensief soll sich nach seiner spektakulären Berufung an den Grünen Hügel (2003) und einem ersten Besuch dort gefühlt haben, als komme er geradewegs 'aus der Kur'. Wagners Bayreuth und Wagners Musikdramen wären demnach ein fundiertes Heilerlebnis. 442 Zugegeben, es ist auch so, daß man Wagner gerade die physiologische Komponente seiner Kunst zum Nachteil ausgelegt hat. Gerade der Heilanspruch der Wagnerschen Kunst wurde immer wieder als skandalöser Übergriff verurteilt, der "Musik-Heiland Richard Wagner"443 zum "Bayreuther Wunderdoktor"444 herabgestuft. Selbst der Bayreuthianer Richard Strauss verlangte zu seiner Zeit, daß scharf getrennt werden müsse zwischen "»Musik als Ausdruck« der menschlichen Psyche [...] und Musik als tönende Form, als angenehmes, nervenberuhigendes Tonspiel [...] als Heilmittel in den Händen des Arztes und seiner Genossen"445, womit letzteres vollkommen diffamiert und als zwielichtiges Dilettantenwerk abgetan wurde. Das 'angenehm Nervenberuhigende' der Musik war blanker Spott, und so kommt Strauss dem Vorwurf ungeheuer nahe, der Wagner allzu oft gemacht worden ist, daß dessen Kunst nämlich überhaupt gar kein Psychotherapeutikum, sondern eine Art infektiöse Irritation sei, folglich der Heilungsprozeß eher dem Forschungsinteresse des Arztes als dem des Heilsuchenden zugute komme. Der Anspruch zu heilen zieht jetzt mit Macht die Idee heran, daß man sich generell im Wirkungsbereich einer Krankheit befände. Hatte man die These, daß eine Erkrankung vorliege – noch mit Bezug auf Wagners Stoff-Fetischismen für diesen ausgelegt –, so wird sie nun mit Bezug auf dessen Musik gegen ihn ins Spiel gebracht. Ob "Epidemia Wagneriana"446, "Wagnerfieber"447, "Wagneritis"448 oder "Wagneropsie"449, alles gilt plötzlich als "stark grassierend"450 trotz "Elixir tetralogique, [...] Tristanpastillen [...,] Parsivaline"451, und die feuilletonistische Veralberung verdeckt hier weniger den schneidenden Ernst der Debatte als daß sie ihn prononciert. Schon Nietzsche meinte diagnostizieren zu können: "Neuerdings kam sogar noch ein drittes [zu den zwei grossen europäischen Narcotica Alkohol und Christentum] 440 [Hildesheimer, 1977], S. 44 441 [Brüggemann, 2003], S. 41 442 Und es ist seltsam, aber in der Zeit der Bayreuther Festspiele findet man jedes Jahr wieder mit wundersa- mer Regelmäßigkeit die neuesten Wagneriana ausgerechnet in den Schaufenstern von Apotheken, Krankenkassenfilialen, Augen-, Hör- und Orthopädiefachgeschäften - experto credite. 443 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 124 444 Zitiert in: Ebd., S. 77 445 Brief Richard Strauss' vom 30. 9. 1895 an Cosima Wagner. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1978], S. 215 446 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 39 447 Zitiert in: Ebd., S. 40 448 Zitiert in: Ebd., S. 120 449 Zitiert in: Ebd., S. 121 450 Zitiert in: Ebd., S. 40 451 Zitiert in: Ebd., S. 121 162 hinzu, [...] die Musik, unsre verstopfte verstopfende deutsche Musik."452 Sogar Glasenapp verzeichnete Stimmen, die wissen wollten, daß Wagners ehemalige Dresdener Wohnung im Marcolinischen Palais in ein Krankenhaus, sein einstiges Arbeitszimmer darin in ein Krankenzimmer (Nr. 94) umgebaut worden sei.453 Und selbst den vermeintlichen Wahnsinn des Bayernkönigs Ludwigs II. haben manche als eine Hirnschädigung interpretiert, die durch die narkotische Musik Wagners hervorgerufen worden sei. Derjenige also, der sein Heil eigentlich in der Wagnerschen Kunst suchte, weil er sich dort als besseres Selbst zu finden hoffte, wäre am Ende mit und durch Wagner seiner selbst entfremdet, zweckentfremdet gar. "Ein Herr", notiert Cosima, "[schreibt], daß er an der Musik R.'s wahnsinnig würde, was er dagegen tun sollte!"454 Nun haben wir hier die Auseinandersetzung, inwiefern Wagners Musik schlechthin ein Sedativum, Thymoleptikum oder Narkotikum sei und statt unbefangen mit dem Schlaf weit mehr etwas mit psychisch oder physisch verdächtigen Ausnahmezuständen, vor allem etwas mit dem Sonderforschungsbereich der Hypnotik zu tun habe, schon öfter angedeutet. Aus der Wagner-Rezeption ist sie wohl nicht mehr wegzudenken. Adolphe Appia berichtete, man habe schon zu seiner Zeit von einem "»Wagner-Hypnotismus«" oder "»Bayreuth-Hypnotismus«"455 gesprochen. Thomas Mann: Musik [...], sie weckt [....]. Aber wie, wenn sie das Gegenteil tut? Wenn sie betäubt, einschläfert, der Aktivität und dem Fortschritt entgegenarbeitet? Auch das kann die Musik, auch auf die Wirkung der Opiate versteht sie sich aus dem Grunde. Eine teuflische Wirkung, meine Herren! 456 Die im Zeitalter der Romantik gegen die Romantiker selbst propagierte Denkfolge Schlaf - Ausforschung der Seele - Psychosomatik - Krankheit hatte schließlich kein Geringerer als Nietzsche, der frühere Wagnerianer Nietzsche, systematisch gegen Wagner ins Feld geführt.457 Berühmt sind dessen apodiktische Urteile: "Ist Wagner überhaupt ein Mensch? Ist er nicht eine Krankheit? [...] Wagner's Kunst ist krank". 458 Die 'neueste, deutsche Musik', Wagners Musik, wurde mit ihrer "doppelten Eigenschaft als berauschendes und zugleich benebelndes Narkotikum"459 beschrieben. "Wie viel verdriessliche Schwere, Lahmheit, Feuchte, Schlafrock, wie viel Bier ist in der deutschen Intelligenz!"460 Selbst Kurt Weill und mit diesem dann auch Brecht paraphrasierten, um nur zwei der wichtigsten Anti-Wagnerianer des 20. Jahrhunderts zu Wort kommen zu lassen, das Nietzschesche Verdikt: "[E]inschläfernd oder berauschend", so sei die Musik Wagners, "wie Alkohol 452 Götzen-Dämmerung. [Nietzsche, 1988f], S. 104 453 Siehe: [Glasenapp, 1910], S. 219 454 TB vom 22. 2. 1873. [Wagner, 1976a], S. 642 455 [Appia, 1899], S. 163 456 [Mann, 1974e], S. 162 457 Und man fragt sich manchmal schon, ob auch Goethe dies getan hätte. 458 Der Fall Wagner. [Nietzsche, 1988c], S. 21f. 459 Geburt der Tragödie. [Nietzsche, 1988e], S. 20 460 Götzen-Dämmerung. [Nietzsche, 1988f], S. 104 163 oder andere Rauschgifte". 461 Ist deshalb die Kunst des "großen Bayreuther Hypnotiseurs"462 doch von Hause aus kein Heilmittel, sondern ein Krankmacher? Muß man "Partei nehmen gegen alles Kranke [...], eingerechnet Wagner"463, wie auch Robert Musil es in seinem Tagebuch und einer Adaption des Nietzsche-Zitats gefordert hat? Ja wird nicht der Zusammenhang zwischen Schlaf und Krankheit sogar schon durch die Bedingungen der Wagnerschen Biographie hergestellt? Oder ist es in Wahrheit nicht viel zu heikel, die Diskussion um die ästhetischen Qualitäten eines Kunstwerks auf der Ebene physiologischer Befindlichkeiten auszutragen? Es kommt wahrscheinlich darauf an, zu welchem Ende diese Diskussion geführt wird. <Schlaf versus Hypnose> Prüfen wir zum Beispiel den Begriff 'narkotisch', der heute wie gestern zum Repertoire der Wagner-Rezeption gehört. Schaut man das Wort genauer an, so ist 'narkotisch' eigentlich nur ein im 18. Jahrhundert in Mode gekommenes und dann im 19. Jahrhundert in der Bedeutung von 'betäubend' zunehmend pejorativ gebrauchtes Fremdwort für das deutsche "schlafwirkend". 464 'Schlafwirksamkeit' aber würden wir Wagners Kunst gar nicht mehr absprechen wollen, im Gegenteil. Allein wo der Schlaf selbst als Heilwirkstoff bezeichnet werden kann, suggeriert die Narkose den für die Heilung erzwungenen, instrumentellen Schlaf, also einen angekränkelten Heilungsprozeß. Besonders unter dem Eindruck der seit dem mittleren 19. Jahrhundert betriebenen systematischen Anwendung bringt man die Narkose in Verbindung mit der Ausschaltung des Bewußtseins, der Überlistung der Schmerzempfindung, der Manipulation der Wahrnehmungsfähigkeit, was medizinisch betrachtet völlig korrekt und sinnvoll ist und eine Schmähung vorderhand nicht miteingreift. Dem Heilungsprozeß aber haftet jetzt an, daß er durch Zufuhr von Rauschmitteln erzeugt würde, dem 'Narkotiseur' schenkt man weniger Vertrauen als dem 'Anästhesisten', obschon beide dasselbe tun, und vergessen ist, daß auch ein einfaches Schlafmittel in konzentrierter Form bereits als Narkotikum wirken kann. Man glaubt, unter Einwirkung der Narkose einen fremden Schlaf schlafen zu müssen. Dieser würde unabhängig von der Mündigkeit des Individuums erzeugt. Die Operationen der Heilung, die ein anderer am eigenen Körper und Geist vornimmt, wären nur erduld-, nicht mehr beeinflußbar. Es scheint also, daß ausgerechnet so exponierte Begriffe wie etwa 'narkotisch' politisiert und schließlich von der Wagner-Rezeption aufgegriffen noch einmal populistisch verengt worden sind, ein Vorgehen, welches man an anderen Stellen gerade Wagner immer wieder zu unterstellen versucht hat. 'Narkotische' Kunst ist jetzt meist gleichbedeutend mit 'gefährlicher', mit 'kranker' Kunst. Sie wird zur "Droge"465, der narkotisierende Künstler selbst oft mehr ernst- als scherzhaft zum "Dealer"466 diskreditiert. Allerdings sind 461 [Weill, 2000], S. 69 462 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 54 463 [Musil, 1983], S. 30 464 [Grimm, 1899f], Sp. 314 465 [Weber, 1987], S. 58 466 [Müller, 2002/2003], S. 11 164 das Determinismen, die vom Schlafmotiv bei Wagner so nicht mehr mitgetragen werden können. Doch ähnlich verhält es sich auch mit dem Schlagwort von der Hypnose. Auch sie, die mit dem Schlaf sicher einiges, doch nicht Entscheidendes zu tun hat, ist gerade in der Wagner-Rezeption terminologisch teils unbekümmert, teils vorsätzlich verwischt worden. Die seriöse Hypnotik-Forschung wußte es von Anfang an: "Wer sich mit dem [...] Gebiet[...] beschäftigt, setzt sich der Gefahr aus, entweder als Betrüger gebrandmarkt oder als Betrogener bemitleidet oder bespöttelt zu werden."467 Allerdings halfen Selbstzweifel und Schutzvorkehrungen hier nichts. Wie die Narkosetechnik ist auch die Hypnose zu schnell beurteilt und von grellen medizinhistorischen Ereignissen verfärbt worden (etwa den Schausitzungen Hansens, d'Hondts oder Charcots). Sie wurde so mit Hysterie, Spiritismus, Tischerücken zusammengedacht und mit Blick auf Wagner kurzerhand kolportiert als Erscheinung, die sich "von der Logik abwendet, im Dusel schwelgt". 468 Mit dem Ertrag unserer bisherigen Kapitel jedoch kann man für die Hypnotik, und zwar sogar für die neutralen Erkenntnisformen der Hypnotik sagen, daß, wer immer sie mit Wagner in Verbindung gebracht hat, dies zumindest nicht auf der Grundlage der physiologischen oder soziologischen Tatsachen getan haben dürfte. Zwar leitet sich unsere Vorstellung vom Schlaf noch immer vom Gott Hypnos ab und freilich scheinen sich auch die Phänomene 'Schlaf' und 'Hypnose' nach außen hin verwandt zu sein. Eines wie das andere friert die bewußte Tätigkeit ein, reduziert die Körperfunktionen, mildert das Schmerzempfinden. Beides verschafft einen Zugang zum Traumreich. Beides kann in einer mentalen Offenbarung kulmieren. Doch unter der Oberfläche bleiben die Unterschiede groß. Denn schließt zum Beispiel die Hypnose nicht fast jede Erinnerung an die Erfahrungen aus, die während einer Hypnotisierung gemacht worden sind? Bleibt dem Hypnotisierten nicht die Zeit der Hypnose für sein bewußtes Leben verschlossen? Für Wagner hingegen ließe sich behaupten, daß dessen Musik wohl kaum anderes sein wollte als eine Erinnerungshilfe, ein Leitsystem aus musikalischen Motiven, das an die Quellen dessen führt, was längst vergessen ist, das den Traum von Mythos und Utopie als bleibenden Lebensraum erschließt und das deshalb allein mit der Metaphorik des Schlafs in Zusammenhang gebracht werden sollte. Oder: Wie verhält es sich etwa mit der Tatsache, daß ein unter medizinischer Hypnose stehender Patient kraft der Fertigkeit seines Hypnotiseurs plötzlich zu reden, sich preiszugeben, gar somnambul zu agieren beginnt? Wäre Wagner wirklich 'hypnotisch', so würde das bedeuten, daß die Zuhörer des Musikdramas von der Wirkungsmacht der Wagnerschen Utopie entfesselt noch vom Zuschauerraum aus die Revolution anzetteln, Königreiche stürzen, Kapital vernichten, in Liebe entflammen müßten. Statt dessen bleibt es still in diesem Zuschauerraum. Ja für Bayreuth ist noch stets berühmt gerade die Seelenruhe des Wagner-Publikums während der Vorstellungen (auf den 'Seelenfrieden' kam es ja letztlich auch an), was denn doch nicht für eine Kollektivhypnose, sondern für einen Regenerationsvorgang ohne motorische Bedeutung, also für eine Spielart des natürlichen 467 [Gessmann, 1895], S. VII 468 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 39 165 Schlafs sprechen würde. Selbst wenn, ja wenn Wagner den Aufstand der Massen theoretisch gebilligt haben mag, man ahnt, daß er diesen zumindest in den Räumen des Festspielhauses nicht goutiert hätte. Seine Applausverbote sprechen für sich. 469 Mark Twain sah es so: "Absolute attention and petrified retention to the end of an act [...]. You detect no movement in the solid mass of heads and shoulders. You seem to sit with the dead in the glomb of a tomb."470 Nehmen wir aber die Zuweisungen so ernst wie sie auch gemeint waren. Viel grundsätzlicher muß man vermelden, daß die Hypnose auf dem Prinzip der Fremdsuggestion beruht. Wagners Kunst als hypnotische Kunst wäre damit nur durch Vermittlung erzeugbar, und zwar durch die Vermittlung einer hypnotisierenden Instanz, die für die Zeit der Hypnotisierung die mentale Steuerung der Patienten übernimmt. Nun widerspricht dieses Prinzip in der Tat in allem der theoretischen Aufgabe, die Wagner dem Schlaf zugedacht hat, welcher selbst autosuggestiv und selbstbestimmt ist. Aber es ist natürlich gerade die Position des Hypnotiseurs, die seit den Anfängen der Hypnosetechnik immer am meisten beargwöhnt worden ist und so denn auch auf Wagner umgeschlagen wurde. Wer ihn, Wagner, mit der Hypnotik in Verbindung brachte, der tat dies, wie bezeichnend, oft genug mit Rekurs auf das Einziehen des Lichts im Bayreuther Zuschauerraum und meinte vor allem: Wagner verdunkelt, täuscht, beschwatzt, Wagner macht willen- und widerstandslos, irritiert die Sinne, veruntreut die Position seiner Vormacht, läßt im Auftrag handeln, erläßt gar posthypnotische Aufträge, heilt also nicht, sondern zwingt zur Heilung oder, noch schlimmer, suggeriert nur Heilung, die eigentlich eine Ansteckungskrankheit ist. Kurz, Wagner verführt. Dabei dürfte ein Teil der Kritiker gar nicht einmal Wagner als Person gemeint haben. Sicher, dessen Schwatzsucht war legendär, daß er aber sein Publikum selbst beschwatzte, konnte kein tragfähiges Argument sein. Denn das tat er nicht, nicht systematisch zumindest, nicht berufsmäßig. Wagner war kein Rhetor, redend schon gar nicht der für die Hypnose erforderlichen leisen Töne fähig – das "übermäßige Reden" sogar war nur eine sublimierte Form eigener "Mattigkeit". 471 Wagner war Musiker, zuerst und zuletzt. Dies allerdings wurde dann um so mehr zu einem Argument. Als gesteigerte Form der Geschwätzigkeit wurde in Wahrheit Wagners Musik wahrgenommen, die an seiner Statt becircte. Bald war die 'unendliche Melodie' Wasser auf die Mühlen derer, die solches kolportierten. Partout glaubte man, in dieser Musik Parallelen zu den physikalischen Reizungen entdecken zu können, die neben den psychologischen seit Mesmer zur Technik der klassischen Hypnotik gehörten – Wagners Musik sei geradezu physisch, 469 Äußerungen wie die folgende bleiben realpolitisch vollkommen unglaubwürdig und sind wohl nur als Überschuß einer literarischen Ambition zu deuten: "[S]iegreich zieht ein die Revolution in ihr [der zum Leben Erwachten] Gehirn, in ihr Gebein, ihr Fleisch, und erfüllt sie ganz und gar. In göttlicher Verzückung springen sie auf von der Erde, [...] stolz erhebt sich ihre Gestalt, Begeisterung strahlt von ihrem veredelten Antlitz, ein leuchtender Glanz entströmt ihrem Auge, und mit dem himmelerschütternden Rufe: 'ich bin ein Mensch!' stürzen sich die Millionen, die lebendige Revolution, der Mensch gewordene Gott, hinab in die Thäler und Ebenen, und verkünden der ganzen Welt das neue Evangelium des Glückes!" Die Revolution. [Wagner, o. J. b], S. 249 470 [Twain, 1923], S. 224 471 TB vom 24. 1. 1873. [Wagner, 1976a], S. 632. Vgl. auch TB vom 29. 9. 1879, wo Cosima ergänzend festhält, daß "mir übrigens seine Redseligkeit wie ein vollständiges inneres sich Abschließen, alles von sich Abwehren, was nach innen dringen könnte" vorkommt. [Wagner, 1977], S. 417 166 meinte man jetzt, sie komme einem so nahe, daß sie einen betasten, aufladen, tatsächlich 'magnetisieren' und folglich als Energieträger mißbrauchen könne. Die hypnotische Wirkung der Wagnerschen Kunst ginge deshalb ganz von dieser selbst aus, so die AntiWagnerianer. Noten, Klänge, Melodien, all das seien hypnogene Mittel. Die Kunst der Überredung habe in der Kunst Wagners ihre programmatische Vollendung gefunden. Also stünde zwischen Wagner und seinem Publikum an der Position des Hypnotiseurs das Musikdrama. Und dieses nun könne die Aufnahmebereitschaft, die ein Publikum für die Kunst mitbringe, hypnotisch abirren. Musik, an die Technik der Hypnose angelehnt, wäre damit wirklich fremdsuggeriert. Worin jetzt aber doch der erste gravierende Denkfehler liegt, unserer Meinung nach. Denn immerhin gibt es zwischen der Musik als Kunst und der seriösen Hypnose als Wissenschaft eine Wasserscheide. Spricht man auch beidem, der Musik Wagners wie der Hypnose zu, daß es hier prinzipiell um Handlungsanleitungen, um Strategien zur Problemlösung geht, so kann man doch nicht außer acht lassen, daß sich die Musik, selbst wenn sie pädagogisch eingesetzt werden würde, ihren Weg über die Umleitung der Abstraktion sucht. Musik, so könnte man sagen, als einzige Kunst, die sich nur über ihre Form manifest machen läßt, ist eine Art Umschreibetechnik; ohne daß ihrer metaphysischen Dimension der Raum entzogen würde, gelangen die Dinge in ihr immer durch einen Filter zur Darstellung. Im Schopenhauerschen Sinn handelt es sich um eine Methode des Entzugs von der Wirklichkeit, also verrätselt die Musik die Rätsel eigentlich erst, um sie zur Lösung voranzutreiben. Die medizinische Hypnose hingegen darf man mit Sicherheit einen Vorgang der Enträtselung nennen. Abgesehen davon, daß sie nur wirksam werden kann, wenn der Hypnotisierte auch eindeutig versteht, was der Hypnotiseur von ihm verlangt, besteht die Arbeit des Operators darin, die Filtermechanismen seines Patienten durchlässig zu machen, übergeordnete psychische und physiologische Probleme auf der Ebene hypnotischer Handlungssuggestion durch konkrete Fallösungen zu entschärfen. Es geht hier, notwendigerweise, um die Schwächung des menschlichen Willens. In der Musik allerdings geht es seit Schopenhauer und laut Wagner um genau das Gegenteil. In diesem Sinn liefert die Hypnose so etwas wie eine Antwort. Von der Musik indes kann man behaupten, daß sie eine Gegenfrage stellt, was wiederum impliziert, daß die Hypnose tatsächlich eher mit dem Begriff der Manipulation, die Musik aber mit dem der Interpretation in Zusammenhang gebracht werden muß. Gerade also nicht wie der hypnotische, sondern wie der natürliche Schlaf – hier renkt sich die alte Verbindung wieder ein – liefert die Musik Erlebnisse, die auf dem intraindividuellen Empfinden, sprich auf der freien privatimen Ausdeutung beruhen. Wie keine andere Kunst ist ja gerade sie mehrdeutig und läßt Spielraum für subjektive Interpretation, ist gar angewiesen auf diese. Indes der Spielraum bei der Hypnosetechnik wörtlich vorgegeben werden muß, damit – extraindividuell – überhaupt der Gedanke der Heilung stimuliert werden kann. Die Kluft tut sich demnach zwischen den Begriffen 'suggestiv' und 'subjektiv' auf. Wird Wagners Musik noch immer zu gern als Substrat suggestiven Wirkens bezeichnet, so reicht dies im Grunde doch nur hin, Teilstück einer viel größer angelegten Subjektivierung von Kunst zu sein, gegen die zu argumentieren nun geradezu unintelligent wäre. Wagner, der sich als Ur-Romantiker und 167 Schopenhauer-Epigone selber für übersinnliche Praktiken erwärmen, wenngleich, und das ist sehr bezeichnend, auch nicht erhitzen konnte – schließlich kam er selbst vom Okkultismus her, wollte aber noch weiter bis zum Mythos – meinte einmal über den Spiritismus: "[D]ahin geraten jetzt alle [...,] die keine Geduld haben, die die Linien nicht groß genug ziehen können."472 "Das sei die jetzige realistische Weise, einer Sache näherzukommen, welche Schopenhauer schon so schön erhellt hätte."473 Wie der Künstler braucht auch das Wagner-Publikum am nötigsten den inneren, unangefochten eigenen Raum, um sich überhaupt mit einem Kunstwerk vom Range des Musikdramas auseinandersetzen zu können. Die Rezeption von Kunst muß äquivalent zu deren Konzeption einem Eigenschöpfungsprozeß verpflichtet bleiben – Wagner spricht explizit von der "selbstschöpferische[n] Freiwilligkeit"474, die er seinem Publikum nicht nur zugesteht, sondern gar abverlangt. Ging es ihm selbst auch immer um das "Dämonische[...], ohne welches die Musik ein Greuel ihm gewesen wäre"475, so "bedarf dieses Dämonium" doch vor allem anderen "der Bildung"476, also der Selbstbestimmung. Insofern kann Wagners Musik am Ende nur wider guten Gewissens als 'fremdsuggeriert' bezeichnet werden. Auch die Analyse der Träume ist schließlich kaum so, sondern stets unter dem Siegel der Selbstperzeption beschrieben worden, welche nicht auf einen Befehl, sondern lediglich auf einen Anstoß von außen angewiesen war. Sogar Schopenhauer meinte schon, daß der menschliche Wille erst im Schlaf wirklich frei fließe. Haltbar scheint deshalb nicht, daß Wagners Kunst hypnotisch sei. In der Tat wird dieses Argument noch fadenscheiniger, sobald man der resistenten Behauptung auf den Grund geht, hypnotisch wäre Wagner speziell durch die Art und Weise, wie er mit der Melodik umgehe. Seine Technik der Stimm- und Akzentführung wird dabei verstanden als Monotonisierung der traditionellen Melodik und parallel gesetzt zu dem Stimmfluß, den man aus der Hypnotik und von den Hypnotiseuren zu kennen glaubt. "Indem der nach außen möglichst undurchbrochene melodische Verlauf dem Gedächtnis des Zuhörers das Besitzrecht an kleinem musikalischem Eigentum verweigert, spannt er ihn desto unerbittlicher in den Wirkungszusammenhang der Totalität ein."477 Den Umstand negierend, daß ein Hypnotiseur seinen alltäglichen Rededuktus nur deshalb drosselt, um Aktionsbereitschaft auf höherer Ebene hervorzureizen, begreift man Wagners Kunst als Entstellung und schließlich als Verfall der Melodie, was gleichbedeutend ist mit einer lebensgefährlichen Senkung der Reizempfindlichkeit. Auffällig also, wie hier der Gedanke instrumentarisiert wird, die Hypnose verschaffe im Gegenteil zum normalen Schlaf keine körperliche Erholung. Dazu kommt, daß Wagners 'gefährliche' Melodie auch noch 'unendlich' zu sein hatte. Beklagt wurde die ungewohnte Länge der Wagner-Opern, wobei 'Länge' hier schon von vornherein mit 'Dehnung' verwechselt worden sein dürfte, 472 TB vom 16. 9. 1882. Ebd., S. 1002f. 473 TB vom 27. 2. 1879. Ebd., S. 309 474 Mittheilung an meine Freunde. [Wagner, 1872d], S. 302 475 TB vom 9. 9. 1882. [Wagner, 1977], S. 1043 476 Brief Cosima Wagners vom 22. 1. 1892 an Richard Strauss. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1978], S. 113 477 [Adorno, 1971], S. 52 168 wie Wagner selber vermutete. 478 Freilich sind die Wagnerschen Opern zunächst immer nur so lang, weil sie Neues wollten und darum so viel zu erzählen hatten. Und man muß eigentlich auch erst ein Adorno sein, um dem Erklärbedürfnis Wagners unterstellen zu können, daß es etwas mit der Kunst der Überredung zu tun hat. Indes gerade die zeitliche Ausdehnung der Musikdramen war es, die im Verbund mit der melodischen Penetration unter den Lobbyisten der Hypnose-These immer wieder als schlichtweg abtötend empfunden wurde. "Bandwürmer im Gehirn", hieß es, "eine neue furchtbare Krankheit!"479 Manche nannten sie: die "Motivkrankheit"480 Abgesehen davon, daß hier mit öder Beharrlichkeit so lange dasselbe behauptet worden ist, daß ein Außenstehender glauben könnte, die Wagner-Gegner seien hypnotischer als Wagner selbst, vergaß man dabei allerdings, daß Neues nicht auf der Grundlage von Altem zu beurteilen ist. Dabei müßte man ausgerechnet hier nur einmal Wagners eigene Ausführungen prüfen, um belegt zu finden, wie sehr gerade ihm, Wagner, Sinn und Form der Melodie am Herzen gelegen hat. Freilich ging es um eine neue Art von Melodie, ging es um den "ununterbrochenen Flusse"481 in der Musik, der später als 'unendliche Melodie' berühmt werden sollte. Daß Wagner allerdings dem oberflächlichen Verwischen akustischer Kontraste, der Reduktion sinnlicher Effekte, der hypnotischen Dressur, der kataleptischen Unempfindlichkeit musikalisch rein gar nichts abgewinnen konnte, ließe sich schon damit beweisen, daß das Wort 'hypnotisch' an keiner Stelle seiner musiktheoretischen Schriften auftaucht, auch und vor allem nicht im Beethoven-Aufsatz. Wer auch dahinter noch den Doppelstrategen vermutet, der muß lesen, wie grundsätzlich es Wagner in der Melodie um Verdichtung, nicht Verflachung ging. "Du bemerkst gar nicht" meinte er zu Cosima, "wie ich meine Melodien in einem Stile halte, so daß es wie ganz gleich aussieht und doch anders. So platsch platsch, eine Melodie neben der andren aufstellen, das ist keine Kunst."482 Die unendliche Melodie sollte tatsächlich die Wirkung auf seine [des Zuschauers] Stimmung ausüben, wie sie ein schöner Wald am Sommerabend auf den einsamen Besucher hervorbringt, der soeben das Geräusch der Stadt verlassen; das Eigenthümliche dieses Eindruckes [...] ist das Wahrnehmen des immer beredter werdenden Schweigens. 483 Die Melodie also soll erfrischend, soll motivierend sein. Sie soll das Gefühl der Loslösung und das der Individuation freisetzen. Sie soll den Wahrnehmungsradius vergrößern – Romain Rolland sagte tatsächlich über das Nibelungen-Epos: Es "war wie ein Wald von ungeheuren Tiefen, mit allen unseren Träumen bevölkert."484 Damit aber setzt sich 478 Siehe: Brief Richard Wagners vom 8. 12. 1841 an Wilhelm Fischer. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1912], S. 263 479 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 22 480 Zitiert in: Ebd., S. 76 481 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 172 482 TB vom 4. 4. 1879. [Wagner, 1977], S. 325 483 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 173 484 [Rolland, 1925], S. 70 169 Wagners Art der Melodieführung profund ab gegen jede Art von Zuschreibung, die mit der Hypnose zusammenhängt. Denn diese selbst muß ja das Bewußtsein vorsätzlich hemmen, um zu einem Ziel zu gelangen. Ohnehin erfrischt sie nicht, und der Bereich der aktiven Wahrnehmung vermindert sich in ihr sogar. Die Anschauung wird kraft der Wagnerschen Melodie größer, wie im Schlaf, nicht kleiner wie notwendig in der Hypnose. Demnach ist diese Melodie eine komprimierte Sprache ohne Begriffe, ähnlich darin nur den Träumen und derem beredten Schweigen und auch sonst all dem, was Wagner theoretisch mit dem Schlaf zu bezeichnen suchte. "Die Melodie [...] ist das hellsehende Auge, mit dem dieses Leben aus der Tiefe seines Meeresgrundes nach dem heiteren Sonnenlichte heraufblickt."485 Dahinter verbirgt sich der Gedanke der Wiederbelebung. Einer umfassenden Wiederbelebung sogar. Kraft derer man behaupten könnte, es sei zutreffend, daß Wagner nicht den bewußten Zuschauer, auch nicht den bewußten Künstler wollte. Allerdings leistet das noch lange nicht der Hypnose-These Vorschub. Denn Wagner wollte mehr als den unbewußten den überbewußten Zuschauer, den überbewußten Künstler, eine Art hellsichtige Instanz. Und dafür mußten alle Beteiligten quasi durch die Talsenke des Schlafs hindurchgeführt werden, der äußerlich der Hypnose ähnlich sein mag, innerlich aber und auf höherer Ebene das Umschlagen in eine kreative Eigenleistung voraussetzt. Es mag von daher auch nachvollziehbar sein, obschon es doch befremdlich wirkt, daß seitens der WagnerGegner noch immer ausgerechnet die Idee der Wiederbelebung unterschlagen wird. Musik wird nicht als heilsamer Traum, sondern nur als Einschlafhilfe verstanden. Eingedenk der Tatsache, daß Hypnosen oft vollkommene Amnesien nach sich ziehen, habe die Musik, der romantisch-dialektischen Anschubenergie unfähig, allein den Auftrag der Paralyse. Doch dann müssen wir jetzt fragen: Wo bleibt in dieser Argumentation der vielgerühmte utopische Überschuß der Wagnerschen Kunst? Wo, daß Wagner sein Schifflein auf den Stromschnellen der Aufklärung einsetzte? Wo, daß seine Musik ein utopisches Manifest war? Wo, daß Wagners Ernsthaftigkeit sich überhaupt legitimierte durch "exceptional freedom from the hypnotic influence of sentimental popular movements"486, wie Shaw es formulierte? Justiert man genau, so ist doch der Gedanke, es besser haben zu wollen, überhaupt nicht zu übersehen bei Wagner. Ablösung und Erlösung, das waren die Ziele. Das Motiv der Hoffnung aber, in das sich das der Wiederbelebung wie von selbst hineinknüpft, braucht notwendig eine Form, die eine Brücke zu schlagen weiß von der Gegenwart in die Zukunft. Eine Form, die sicherstellt, daß durch sie und in ihr etwas mit Mehrwert umschlägt. Dazu taugt, wie gehabt, die Metaphernlage des Schlafs sehr wohl, die der Hypnose kaum. Also kann man festhalten, daß ähnlich wie der Begriff des 'Leitmotivs', der gar nicht von Wagner selbst stammt, auch die Zuschreibung der Hypnose viel zu knapp bemißt, was eigentlich gemeint war. Im Grunde haben die Anhänger der Hypnose-These nicht ganz ungeschickt ihren Vorteil daraus gezogen, daß die Phänomene 'Schlaf' und 'Hypnose' oberflächlich so dicht beieinander liegen. Ja sogar könnte man 485 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 283. ('Melodie' im Original hervorgehoben.) 486 [Shaw, 1932], S. 245 170 einräumen, daß die Unterstellung, Wagners Kunst sei hypnotisch, zu den scharfsinnigsten Vorwürfen gehört, die Wagner je gemacht worden sind. Denn offenbar ist hier immer an der Kante dessen argumentiert worden, was Wagner selbst bekräftigt hätte, allein dies wurde dann bedeutungsverschlechternd eingesetzt. Der Umstand, daß die Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft genau auf der Mitte verläuft zwischen dem Traum, den die Wagnersche Musik verkörpern kann und der Hypnose, den sie nicht verkörpern will, scheint absichtsvoll verschliffen. Der Interpretationsspielraum, den Wagner mit seiner theoretischen Auffassung vom Schlaf geliefert hat, ist von seinen Widersachern erobert und dann mißbräuchlich verkleinert worden. Anders ausgedrückt ist eine Schieflage daraus entstanden, daß gerade in der Wagner-Rezeption der medizinische Sonderforschungsbereich der Hypnotik zu einer Metapher aufgebauscht wurde, was man aus heutiger Sicht als Fehler oder schlechte Absicht deuten muß. Insofern sollten wir uns hier daran halten, daß Wagner sowohl theoretisch als auch praktisch allemal das Bestreben hatte zu heilen oder sagen wir zumindest zu beleben, nicht aber, daß die Schlußfolgerungen, die andere aus diesem Bestreben gezogen haben, mit der Terminologie des Krankseins operierten. <Warum nicht Hypnose?> Oder andersherum: Warum stellen wir nicht einfach, um die Hypnose-These wirklich zu entwaffnen, die Frage danach, was an der Hypnotik eigentlich so schlimm ist, wäre sie nicht beständig herabgewürdigt worden? Die Hypnotik an sich, so wie sie 1843 von James Braid als Form des Schlafs definiert wurde, ist immerhin dem Selbstverständnis nach ein Verfahren zur Schmerzlinderung. Folglich ist sie von Hause aus doch eine Heilmethode, die erst durch Simulationen und tendenziöse Politisierung ruchhaft wurde. Ist es also tatsächlich so entwürdigend, hypnotisiert zu werden? Allzumal dann, wenn Musik an Stelle des Hypnotiseurs tritt? Was steht zu fürchten? Immer zuerst wahrscheinlich das Gefühl, daß einem etwas zu nahe tritt. Daß abgelauscht wird, was man gern verborgen wüßte. Wohlüberlegt aber kann niemand behaupten, Wagner hätte sich für seinen Zuschauer als Privatmann, gar für dessen Privatneurosen interessiert. Gerade Wagners Kunst wollte ja nicht am Abgrund siedeln. Sie wollte viel eher oben auf setzen, in einem von Prädispositionen noch freien, luftigen Raum, von dem aus dann im besten Fall die Idee des von der Kunst vorgelebten besseren Lebens nach unten durchsickern und das Ganze durchmischen konnte. Privatheit aber, die sich mit der Kunst vermengte, war Wagner ein Greuel, zumindest dort, wo es nicht um ihn selbst ging und wo die Kunst unter dem Privaten zu leiden schien. Unzählige Notizen Cosimas belegen, wie bedrängend er die Zusendungen seiner Bewunderer oder die Fragen vom Publikum empfand oder aber auch den allzu dichten Verkehr mit seinen Bayreuther Künstlern. Bekanntlich wollte er sogar den Applaus aus dem Zuschauerraum verbannt wissen, denn was ist Applaus anderes als der für ein Kunstwerk äußerst kritische Moment, da der Zuschauer privat wird? Auf die Hypnotik übertragen könnte man geradezu meinen, der Zuschauer dränge dem Kunstwerk seine tiefsten Regungen auf, ja man könnte meinen, er hypnotisiere das Kunstwerk, nicht umgekehrt das Kunstwerk ihn. Insofern ist das Nahetreten in der Kunst wohl gegenseitig. Und wahrscheinlich auch notwendig. Die 171 Hypnose aber wäre dann in dieser Bedeutung nichts als eine Form einvernehmlichen Begehrens in einem Bereich, der sich bloß dem Verstand entzieht. In dies alles hinein spielt auch der Gedanke, daß jedermann Widerstandskräfte gegen hypnotische Verfahren besitzt. Die Urangst, daß man unter Hypnose abreagiere und ausagiere, was einem selbst unbewußt ist, muß sich messen lassen an der Tatsache, daß keine Hypnose der Welt ohne Einverständnis vollzogen werden kann. Sogar Brecht hatte gesagt: "Die Massen scheinen eben eine Revolution in der Hypnose nicht so ohne weiteres vollziehen zu können."487 Für eine willenmäßige Abhängigkeit vom Hypnotiseur muß der Patient an die Kraft willenmäßiger Abhängigkeit glauben. Hypnotisch wäre also selbst Wagners Kunst nur für diejenigen, die sich auch hypnotisieren lassen, und jeder Hypnotisierte könnte von vornherein die Technik der Hypnose entlasten, die nun so windig gar nicht mehr scheint. Die "Droge ist legal und rezeptfrei"488, wie Christian Thielemann es einmal so stringent für Wagner ausgedrückt hat. Des weiteren: Unterschätzt man nicht, wo man den Vorwurf der Hypnose auf Wagner überträgt, daß man sich durch Wagner noch immer im Hoheitsgebiet des Theaters befindet? Im Theater aber wird doch nur deshalb etwas für uns in Szene gesetzt, weil die Logik der Katharsis vorsieht, daß menschliche Schwachpunkte, unterdrückte Mängel, hinausgezögerte Krisen viel leichter zu bewältigen sind, wenn sie stellvertretend ausagiert werden; im Theater bleibt das Geheimnis der Privatperson dadurch gewahrt, daß es als Geheimnis einer Bühnenfigur publik wird. Somit allerdings wäre jener Zuschauer, der eben noch Furcht hatte, sich unter Einfluß der Hypnose öffentlich zu blamieren, gerade durch diese von sich selbst entlastet. In der Hypnose kann man lernen, vom eigenen Ich abzusehen. Blockaden werden aufgehoben, Verschlossenes entfaltet sich, – die Hypnotik dürfte hier sogar helfen, den schönen Schein einzublenden, der uns auf Zeit vom Sein entpflichtet. Daß dafür gewiß das Theaterspiel vordenken muß, was nachgelebt werden soll, ist nicht unredlich, sondern Sinn der Sache. Hat man Wagner an dieser Stelle vorgeworfen, das Wesen des Theaters zu seinen Gunsten zweckentfremdet zu haben, so müßte man dann aber auch glaubhaft machen können, daß jeder Erzieher ein Hypnotiseur, jede Erziehung zu differenzierter Wahrnehmung Hypnose sei. Oder ist sogar die Mutter, die ihr Kind in den Schlaf singt, hypnotisch? Nein, sicher nicht. Für Wagner sollte deshalb gelten, daß er im Zusammenhang mit seiner Zuschauerdramaturgie zwar das Wort "lenken"489 gebraucht hat, keinesfalls aber das Wort 'verleiten'. Das haben andere getan. Es fügt sich ein, daß die Hypnose im Gegensatz zum gewöhnlichen Schlaf keinen Erholungswert hat. Denn vielleicht sollte Kunst gar nicht erholsam sein! Wie auch, da sie ja eine konkrete Utopie zu sein hatte. Vor allem Wagners Kunst fordert viel von ihrem Publikum, erhöhte Aufmerksamkeit, Kombinationsvermögen, Kondition, was manchem als sinnloser Sport vorkommen muß, zu dem er in seiner Freizeit einberufen wird. Möglicherweise aber liegt bei all denen, die Wagner der Hypnose bezichtigen und diese 487 [Brecht, 1993a], S. 173 488 [Müller, 2002/2003], S. 11 489 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 173 172 mit dem medizinischen Sonderfall der Lethargie verwechseln, der zweifelhafte Anspruch verborgen, daß Kunst allein zum Ausruhen fabriziert werde. Doch Wagner hat natürlich das Gegenteil für sich geltend gemacht. "Ein Wagner-Abend ist ein sehr, sehr anstrengender Abend, weil er emotional so fordert". 490 Die Hypnose auf Wagner übertragen wäre demnach eher ein innerer Arbeitsprozeß, eine Konzentrations- oder gar eine Meditationsübung. Dies vor allem in Ansicht der Tatsache, daß jede Hypnose eine zeitweilige, passive Schärfung der Sinne bewirkt. Nicht selten wachsen einem hypnotisierten Menschen schöpferische Leistungen zu, die ihm im Wachzustand abgehen. Nietzsche: "Das wache Leben hat nicht die Freiheit der Interpretation wie das träumende, es ist weniger dichterisch und zügellos"! 491 Nach James Braid kann eine Hypnotisierung sogar die Schärfung des menschlichen Hörvermögens in Gang setzen –auch das erinnert an Wagner und dessen Maßgabe, daß der wahre Wert der Welt sich nur über Töne erschließen lasse. Nicht zwangsläufig ist nämlich das Ohr das Organ, das sich am leichtesten überreden läßt (Stichwort: Schlafhallen in der 'Brave New World'), es ist auch das Organ, das zu einer starken Verfeinerung der Wahrnehmung fähig ist. Der störanfällige Rapport zwischen Operator und Patient wird jedenfalls bei der Hypnotisierung über akustische, nicht über optische Signale hergestellt, ähnlich wie bei der Psychoanalyse. Und in Umkehrung jener Fama, nach der sich der hypnotisierte Mensch gegen keine Einflüsterung wehren kann, muß man sagen, daß er gerade mit dem Hörsinn besonders sensibel auf seine Umwelt zu reagieren fähig ist. In der Hypnose läßt sich ein komplexes Verständnis von Musik ausbilden – daß die ersten Vereine, die für die Verbreitung des Magnetismus' eintraten, sich selbst 'Sociétés d'harmonie', harmonische Gesellschaften, nannten, kann äußerlich ein Zufall sein, kulturpsychologisch ist es dies nicht. Denn betont wurde immer wieder: [S]chwache und zarte Geräusche [können in der Hypnose] viel eher und vollkommener zur Empfindung gelangen, als intensive Töne, [...] schwache, wenn auch disharmonische Töne [werden] starken Wohlklängen vorgezogen. 492 Das aber könnte nun wahrhaftig ein Wagnersches Credo gewesen sein. Notabene: Der Technik der Hypnotisierung soll "sanfte, wehmüthige Musik"493 zuträglich sein. Es scheint, als sei hier schon ein Teil dessen verarbeitet worden, was noch heute vom Vorspiel des Tristan und dessen 'Nacht der Liebe', von der Hirtenweise und vom AbendsternLied aus dem Tannhäuser oder von Sachens Fliedermonolog erwartet wird. 494 Doch zurück zum Stichwort 'Psychoanalyse'. Denn seit es sie gibt, ist Wagners Werk als ihr Vorläufer bezeichnet worden (und zwar auch abseits des Schlaf-Traum-Thematik). Nur ist die Psychoanalyse selbst wiederum ein Nachfahr' der Hypnotik! Freud hatte zu 490 [Müller, 2002/2003], S. 12 491 Morgenröthe. [Nietzsche, 1988i], S. 113 492 [Gessmann, 1895], S. 147 493 Ebd., S. 94 494 "Wagnerianer [darf man] Diejenigen nennen, welche ihm [Wagner] überall folgen, zum Unterschied von Denen, welche: O Du mein holder Abendstern, Leb' wohl mein lieber Schwan, ja die Träume und das Schusterlied mögen." Brief Cosima Wagners vom 4. 4. 1881 an Daniela von Bülow. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1933], S. 187 173 Beginn seiner Laufbahn zahlreiche hypnotische Experimente unternommen, war ein halbes Jahr lang Student bei Charcot gewesen, ging aus von dem Ansatz der Suggestion in der Hypnose. Was lange bemäntelt worden ist, hat Andreas Mayer in einer äußerst anregenden Studie neu bewiesen.495 Wer deshalb im Zusammenhang mit Wagner von Psychoanalytik spricht, der kann die Hypnotik nicht ausklammern. Auch wenn letztere weniger sozialisiert scheint als erstere. Möglich aber, daß wir unsere Vorstellungen von der Hypnose revidieren müssen, denn vielleicht ist auch sie viel mehr ein Heilverfahren, als wir uns das lange vorgestellt hatten. Oder zumindest ist sie so zweigestaltig, wie einst Gott Hypnos, welcher, gebend und nehmend, mit der Fackel in der einen Hand und mit dem Mohnsträußchen in der anderen, Lichtbringer und Lichtverlöscher in Personalunion war. Was Richard Strauss als Widerspruch angelegt hatte – die Dissonanz zwischen "»Musik als Ausdruck« der menschlichen Psyche [...] und Musik [...] als Heilmittel in den Händen des Arztes"496 – ist am Ende gar kein Widerspruch. <Musik als Heilkunst [2]> Wenn auch nicht reibungslos, so läßt sich die Hypnotik also doch, sagen wir vielleicht als Sperrgut, der Bedeutung des Schlafs unterordnen. Mit Bezug auf Wagner scheint es sinnvoll, das Wort 'hypnotisch' so zu gebrauchen, wie Reinhard Baumgart dies getan hat: in uneindeutigen Umgebungen stets durch Anführungszeichen entschärft.497 In jedem Fall behauptet sich der Schlaf wieder als bindende Metapher für Wagners Musikästhetik. Und zwar als Heilverfahren, das nicht von außen nach innen, sprich fadenscheinig oder zwangsweise, sondern das umgekehrt von innen nach außen wirkt. 'Naiv' hätte Wagner gesagt oder: Das "Heil und die Genesung kommt nicht von Außen und durch keine Medizin: sie kommt nur von Innen!"498 Im Sinne der Gesellschaftsutopie, die er durch und für sein Werk entworfen hatte, basiert sein Schlafmotiv auf der Idee vom unschuldigen, vom guten Schlaf, ähnlich darin wieder der romantischen Auffassung, daß Schlaf regenerativ und kreativ sei. "[S]chläft sie [die Wagnersche Kunst]", so schrieb Nietzsche noch in Richard Wagner in Bayreuth, "so »schläft sie nur neue Kraft sich an«."499 Anspruch und Wirkung dieser Kunst sollten wir deshalb grundsätzlich begreifen als Therapeutikum. Eingedenk der naturphilosophischen Definition vom Schlaf als 'lebendigem Prinzip', die Wagner via Schopenhauer für sich fruchtbar gemacht hatte. Der schlechte, gestörte, auferzwungene Schlaf sowie die bösen Träume sind daneben Ausdruck bedenklicher Ermüdungserscheinungen der Epoche und deren unheilstiftender Scheinhaftigkeit, die es zu transzendieren und freilich auch darzustellen gilt. Das Werk Wagners ist übervoll nicht nur mit Figuren, denen schlafend Heilung zuteil wird, im Gegenteil. Gerade jenes Personal, das den Schlaf nicht finden kann, das sich ihm verweigert und ihm die Stirn bietet, trägt oft am meisten zu dramaturgischen Entwicklungen bei. Die schlafende Erda braucht 495 Siehe: [Mayer, 2002] 496 Brief Richard Strauss' vom 30. 9. 1895 an Cosima Wagner. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1978], S. 215 497 [Baumgart, 1987], S. 21 498 Brief Richard Wagners vom 22. 10. 1858 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 316 499 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 465 174 die Berührung mit der wachen Welt überhaupt nicht. Wotan wird durch seine Träume immer kraftloser. Brünnhilde ist auf einen Erwecker angewiesen. Siegfried aber, der Nimmermüde, treibt die Handlung voran. Natürlich sind auch nicht alle Figuren, die schlafen gut und nicht alle, die nicht schlafen schlecht. Wagners theatraler Instinkt hat die unterschiedlichen Bewußtseinszustände so vielgestaltig zueinander in Beziehung gesetzt, daß man in seinem Werk jede nur denkbare Gradation zwischen Schlafen und Wachen finden dürfte. Zusammenfassend aber muß man sagen, daß ihm doch vor allem anderen daran lag, die ungenutzte Kraftfülle des Schlafs zu instrumentieren. Und das schließt eine grundsätzlich positive Absicht mit ein. Als Korrektiv zur linearen Libretto-Handlung wird die Musik bei Wagner zum Ausdruck der psychischen Bilder des Menschen in einem Sinne, den man später auch der Psychoanalyse zugeschrieben hat: Wer schläft und wer träumt, der gesundet. Gewiß rekrutiert sich Wagners Kunst damit noch immer aus physiologischen Grundbedingungen. Schlaf ist nicht nur ein geistiges, sondern zuvor ein körperliches Erlebnis. Der Effekt der Körperlichkeit, der die Musik Wagners zum Leidwesen vieler ausmacht, ist gar nicht zu leugnen. "Hinter den Tönen und Rhythmen operiert die Musik auf einem nackten Terrain: der physiologischen Zeit des Hörers"500, auf "Erfahrungen körperlicher Fragmentation und Zentrifugierung". 501 Wagner selbst scheute sich nicht, das Vokabular der Physiologie für seine Musikästhetik zu gebrauchen, etwa in der Beethoven-Schrift. Er vertrat sogar die Ansicht, daß die Wahrheit schlechthin nichts anderes sei als "eine ungeheure Erregtheit der Nerven". 502 Eduard Devrient notierte schon 1846 in seinen Tagebüchern: "Kapellmeister Wagner, mit dem es bei Tische heftigen Streit gab, vertrat die naturalistische Ansicht, wonach der Geist nur ein Produkt der körperlichen Organisation sein soll."503 Im Sinne Nietzsches ließe sich demnach behaupten, daß es hier im großen Stil um eine Physiologisierung der Ästhetik ging. Allerdings sollte das nun nicht (mehr) dazu verleiten, das Physiologische reflexartig an das Pathologische zu knüpfen. Die Kunst Wagners mag ex uso die Kunst eines Décadents sein, ex voto war sie es nicht. Hier muß es eine Trennlinie geben, und zwar parallel zu der Trennlinie, die es auch für die Biographie Wagners geben sollte, in welcher der Schlaf in physiologischer Hinsicht ein Thema ist, keinesfalls aber in "psychopathisch[er]".504 Die Tatsache, daß der Schlaf gerade in der Biographie zum Hoffnungsträger stilisiert worden war, dürfte den entscheidenden Hinweis dafür liefern, daß es Wagner nicht um gefährliche Schläfrigkeit ging, ja im eigenen Interesse gar nicht gehen konnte, sondern um Ausheilung, die über den Körper am Ende den Geist erreichen sollte. Was Dieter Borchmeyer so dezidiert für die naturphilosophischen Grundlagen der Beethoven-Schrift formuliert hat, daß nämlich der Einzugsbereich des Schlafs für Wagner "sternenweit von einer pathologischen Stimmung entfernt"505 sei, ist 500 [Lévi-Strauss, 1971], S. 31 501 [Klein, 2001b], S. 329 502 TB vom 15. 10. 1879. [Wagner, 1977], S. 426 503 [Devrient, 1964a], S. 357 504 [Franken, 1991], S. 61 505 [Borchmeyer, 1982], S. 181 175 richtig. Anhand der Figur der Senta aus dem Fliegenden Holländer hatte Wagner selber davor gewarnt, das "träumerische Wesen" im "Sinne einer modernen, krankhaften Sentimentalität auf[zufassen]". 506 Für die Verbindung von Musik und Schlaf muß gelten, was LéviStrauss mit Blick auf Wagner für die Überlagerung von Mythos und Musik folgendermaßen formuliert hat: "[A]ußer an die psychologische Zeit wendet diese [Musik] sich auch an die physiologische Zeit, sogar an die Zeit der Eingeweide [...,] jeder Kontrapunkt räumt den Herz- und Atmungsrhythmen den Platz eines stummen Parts ein."507 Soweit die Musik Wagners die Resonanz der Körper erforderlich macht, so will sie diese nicht aufreizen, sondern besänftigen. Insofern könnte man sagen, Wagners Kunst sei eine alternative Form der Medizin (und man könnte ebenso sagen, sie werde deshalb auch im Unterschied zur 'Schulmedizin' noch immer beargwöhnt). Der Schlaf, als Katalysator dieser Kunst, ist die sanfte Heilung, immerhin fördert er die Selbstheilkräfte. Man könnte sogar so weit gehen zu behaupten, Wagners Kunst komme einem Naturheilverfahren nahe, der Homöopathie etwa. Denn hatte er, Wagner, nicht zum Beispiel das Motiv von Psyche, die nur durch jenen Pfeil Amors geheilt werden konnte, durch den sie auch verwundet worden war, im Tristan oder auch im Parsifal verarbeitet – "Nur eine Waffe taugt: –/ die Wunde schließt/ der Speer nur, der sie schlug"508? Und damit aus einer alten Quelle eine ganz neue Form der Therapie destilliert? Es ist ungeheuer interessant, daß die Homöopathie genau zu der Zeit wissenschaftlich fundiert wurde, als Wagners Karriere begann und daß sie Verbreitung fand, als dieser seine Hauptwerke entwarf. Ernst Benedikt Kietz meldete 1869 aus Frankreich an Wagner, daß dessen Musik dort "gleich der Homöopathie und mancher andren deutschen Erfindung sich Bahn breche[...]!"509 Parallel sogar entdeckte das wilhelminische Zeitalter, welches wie kein anderes (höchstens noch unser eigenes) unter politischer und sozialer Neurasthenie litt, den Schlaf als Gipfel therapeutischer Vorkehrungen. Joachim Radkau hat in einer beeindruckenden Untersuchung gezeigt, daß Ruheverordnungen, Liege- und Schlafkuren, "konsequente Bettbehandlung"510 genau so zum kulturellen Milieu der Zeit gehörten, wie die Reizbarkeit, gegen die sie verschrieben wurden. Die Bezeichnung "Fanatiker der Stille"511 scheint nicht übertrieben. Denn als ob sie mit Blick auf Wagner und dessen Kunst erfunden worden wäre, trifft sie den neuralgischen Punkt: nichts als ein "Fanatiker der Ruhe"512 sei er schließlich gewesen, sagte Wagner von sich selbst und laborierte darum auch mit den verschiedensten Diätlehren. "Sanfte Heilmittel, um es dennoch im Leben auszuhalten"513 übertitelte Glasenapp eine entsprechende Stelle in seiner Wagner-Biographie. Und so hat Wagner, indem er persönlich Heilung im Ein506 Bemerkungen zum 'Fliegenden Holländer'. [Wagner, 1872a], S. 215 507 [Lévi-Strauss, 1971], S. 32 508 Parsifal, 1. [Wagner, 1950], S. 60 509 TB vom 6. 8. 1869. [Wagner, 1976a], S. 138 510 Zitiert in: [Radkau, 1998], S. 358 511 Zitiert in: Ebd., S. 359 512 Brief Richard Wagners vom 22. 6. 1867 an Malwida von Meysenbug. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1896], S. 567 513 [Glasenapp, 1911], S. 740 176 zugsbereich des Schlafes zu finden glaubte, einen der lebendigsten Beweise dafür geliefert, daß seine Musik eine Heilkunst gewesen ist, ja lebensnotwendig eine Heilkunst sein mußte. <Schlafmotiv und Schlafforschung> Bemerkenswert ist es, daß sich gerade der Heilaspekt der Musik, den Wagner durch seine Auseinandersetzung mit Schlaf und Schlafmetaphorik theoretisch festgeschrieben hatte, auch in den progressiven Tendenzen der zeitgenössischen Schlafforschung wiederfinden läßt. An sich hätten schon in der Debatte darum, inwiefern Wagners Kunst einem Krankheitserreger gleichkomme, Parallelen bemerkt werden können, dort allerdings bloß zum Stand der konformistischen, positivistisch-mechanistischen Auffassung vom Schlaf. Man bezeichnete diesen als unnatürlichen Zustand, der schädlich und gegenaufklärerisch sei. Die dem Schlaf verwandten Erscheinungen Hypnose, Telepathie, Clairvoyance oder Somnambulismus wurden sogar den Randbereichen Delirium, Manie, Epilepsie und Schizophrenie zugeordnet. All diejenigen Interpretationsansätze indes, die den Übergang zum 20. Jahrhundert vorbereiten halfen, gingen wie Wagner selbst von ganz anderen, viel elementareren Maximen aus. Gespeist von der Tradition der Naturphilosophie und in scharfer Abgrenzung zum Menschenbild der Apparatemedizin gewinnt in der Schlafforschung seit Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich wieder die Vorstellung Raum, daß der Schlaf ein Regenerationsprozeß sei. Ein "aktive[r] Erholungsvorgang"514, wie eines der wichtigen Medizinlexika des 20. Jahrhunderts es nennen wird. Was bei Wagner über den Weg der Musikästhetik in die Musik hineingetragen worden war, kann als Ergebnis aller jüngeren Forschungssparten gelten: Der Schlaf unterliegt einem vitalen Prinzip; er ist Ausdruck einer seelischen Disposition, über die sich der Austausch zwischen Außenwelt und Innenleben reguliert; er ist Voraussetzung für das innere Sehen, ist metaphysisch, wenn nicht magisch, unbedingt produktiv und damit auch künstlerisch wertvoll. Dazu gehört, daß er nun auch wieder zum Wachzustand in Beziehung gesetzt wird. Auf der Grundlage einer ganzheitlichen Vorstellung vom Menschen begreift die alternative Schlafforschung des 19. Jahrhunderts den Wechsel zwischen Wachen und Schlafen als notwendigen Dualismus. Die frühere, philosophisch überhöhte Konzentration auf den Schlaf als Innenraum wurde relativiert zugunsten der Ansicht, daß ein Innenraum sich vernünftig nur über den Bezug zur Außenwelt definieren könne. Das "Codewort war Symmetrie".515 Das allerdings brachte für Wagner plötzlich ein neues Problem auf den Plan. Denn daß der Schlaf ein binäres Prinzip sein müsse, diese Lehrmeinung kappt eigentlich jede Verbindung zu Schopenhauer und vor allem auch zu den Romantikern, die noch der Überzeugung gewesen waren, daß Schlaf das erste Lebensprinzip sei, alles weitere neben ihm bedrohliche Ablenkung. Der romantisch-Schopenhauerschen Naturmedizin war es darum gegangen, das Einschlafen vom Aufwachen loszulösen oder, in einer Steigerung des Begriffs vom natürlichen Schlaf, den Zustand des Wachens in den des Schlafs hinein514 [<Roche>, 1998], S. 1502 515 [Catalani, 1968], S. 26. (Übersetzung aus dem Holl. von der Verf. J. D.) 177 zuholen und als Teil dessen zu kultivieren. Wagner aber wollte oder mußte sich gerade in diesem entscheidenden Punkt von der Romantik und von Schopenhauer emanzipieren. Natürlich galt sein Interesse unverändert jenem souveränen Akt, der die Aufmerksamkeit vom Tag- in den Nachtbereich hineinlenkt. Doch brauchte er genauso eine Schleuse zurück zur Außenwelt, er brauchte quasi ein theatrales Einschnappen. Er brauchte die Kunsttat. Wie gesagt, laut Beethoven-Schrift gibt es als gleichberechtigten Teil neben dem tiefen und dem allegorischen Traum das Erwachen in der Theorie vom inspirierten Schlaf. Ohne das Erwachen hätten die in den Träumen gewonnenen Kunstbilder Wagners gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen können. Folglich könnte man meinen, Wagner sei in seinem Drang, nicht nur schöpfen, sondern auch veröffentlichen zu wollen, im Grunde gar kein echter Romantiker und auch kein Schopenhauerianer mehr gewesen. Möglich aber, daß sich dadurch wenigstens eine jener Ursachen dechiffrieren läßt, die für die Diskrepanzen zwischen der Schopenhauerschen und der Wagnerschen Musikästhetik verantwortlich waren. Schopenhauer, der die Prämisse ausgegeben hatte, daß es neben dem Schlaf nur noch die Musik als "wahre[s] große[s] Panakeion"516 gebe, hielt nämlich von der Dichtung nicht viel, von der Oper, die er generell auf ein "nicht gerade Wagnergemäßes [...] Zeitlimit von allerhöchstens zwei Stunden festgelegt wissen wollte"517, fast gar nichts. Friedell schrieb einmal, er habe sie "in ihrem künstlerischen Wert mit der Nützlichkeitsarchitektur verglichen".518 Wagner stand damit in der Tat vor einem schwer zu lösenden Problem, gar vor einem "Unglück", wie Nietzsche es ausdrückte: "Das Schiff fuhr auf ein Riff; Wagner sass fest".519 Auf der einen Seite konnte er nicht unterschlagen, daß die Musik für ihn zumindest auf die Dichtung angewiesen war – eigentlich hätte er sagen wollen: wie blutsverwandt mit dieser zusammenzuhängen schien – und vor allem konnte er nicht unterschlagen, daß die Musik für ihn eigentlich in der Oper gipfelte. Auf der anderen Seite jedoch wollte er dem nicht untreu werden, der ihn intellektuell aufgerichtet, der, wie Wapnewski sagt, ihn aus einem "dogmatischen Schlummer"520 aufgeweckt hatte. In der Beethoven-Schrift, die ein glatter Widerruf dessen ist, was er in seinen Schweizer Schriften 20 Jahre zuvor proklamiert hatte, schlägt Wagner darum eine methodische Volte, um sich und Schopenhauer gleichermaßen gerecht zu werden. Eine Volte, die mit Hilfe der reichen (und dehnbaren) Metaphorik des Schlafs die Schwierigkeiten zugleich bemänteln und lösen sollte. Wie Schopenhauer räumt auch Wagner der Musik natürlich als erstes wieder das Recht ein, die erste Kunst zu sein. Im Entstehungsprozeß an den Schlaf gekoppelt ist und bleibt die Musik auch bei ihm eine Parallelerscheinung zu diesem. In treuer Gefolgschaft steigert Wagner Schopenhauers These sogar, indem er die Beziehung Musik/ Schlaf auch umgekehrt zu denken beginnt und nicht nur der Musik den Moment der Entkrampfung, son516 [Schopenhauer, 1946b], S. 275. Vgl.: [Schopenhauer, 1949a], S. 309 517 [Reinhardt, 1986], S. 102 518 [Friedell, 1932], S. 368 519 Der Fall Wagner. [Nietzsche, 1988c], S. 20 520 [Wapnewski, 1996], S. 313 178 dern dem Schlaf ebenso künstlerische Qualitäten beimißt, den Träumen gar, daß sie Kunst in einer ursprünglichen Form seien. All das aber scheint noch immer sehr Schopenhauerisch zu sein, noch umkreist der philosophische Gedanke einen inneren Fixpunkt. Allein, die Konsequenz, mit der Wagner seinen Schopenhauer hier dreht und wendet, entwickelt eine erst unmerkliche, dann erhebliche Eigendynamik. Denn jede Kunst braucht ihre Bühne, jede Kunst drängt auf Veräußerung. Und genau das spürte und wußte auch Wagner. Deshalb mischt er seinem eigenen Schlafbegriff nunmehr den sehr naheliegenden Moment des Erwachens bei. Ohne sich damit, wie er glaubt, thematisch von Schopenhauer lösen zu müssen, glaubt er ebenso, dessen Auffassung um ein Vielfaches intensivieren zu können, indem er den Schlaf bis an seine äußerste Grenze führt. Fast reflexartig sind die Erträge des Schlafs, die Träume, nach Wagners Meinung ans Erwachen gekoppelt. Sie sind höchst vital, wenn nicht theatral und treiben dem Tag entgegen. Warum sie also aufhalten? Aus Liebe zum Kunstwerk scheint Wagner an dieser Stelle sogar sein eigenes Zutun ostentativ herabzusetzen (der Künstler sei der Empfänger, nicht der Erzeuger von Träumen!), die Träume werden nicht mehr blockiert und entlassen sich gewissermaßen selbst in den Tag, und so schließlich – hat sich die Genese der Kunst (fast) automatisch vollzogen. Was jedoch aus der Entfernung klar zu erkennen ist, hoffte Wagner noch im Unschärfebereich zwischen Schlafen und Wachen verwischen zu können: daß natürlich durch stetiges Hinlangen ein Leck in Schopenhauers Nachtwelt entstanden war. Wagner "bringt", wie Slavoj Žižek es einfach und für einen verwandten Kontext formuliert hat, "zusammen, was [...] Schopenhauer einander entgegensetzte."521 Ging es Schopenhauer gerade nicht darum, die Nacht am Tag auszurichten, sondern allein um Mittel, den Träumer immer weiter einzuschläfern, so hat Wagner der Schopenhauerschen Philosophie den Moment des Tageseinbruchs schlichtweg untergeschoben. Ja mit dem Moment des Tageseinbruchs auch den Moment des Lichts, der Lichtbrechung, der Reflexion, kurz, jenen Urmoment des Dramatischen, der ihm als Theaterpraktiker längst notwendig geworden war. Erst wenn das Licht da ist, kann das Drama beginnen. Warum das so eklatant ist, zeigt sich, sobald man an den Punkt zurückkehrt, von dem aus Wagner gemeinsam mit Schopenhauer aufgebrochen war. Denn was für den Schlaf gilt, gilt auf Grund von Verwandtschaftlichkeit auch für die Musik. Wollte oder konnte noch Schopenhauer sich den Schlaf bloß ohne Erwachen, die Musik bloß ohne Beimengung von Dichtung und Drama denken, so überführt Wagner nicht nur den Schlaf- in den Wachzustand, sondern auch die Musik über die theatrale Schwelle des Erwachens hinaus ins Musikdrama. Das heißt, daß Schopenhauers Vorgaben hier so lange liebkost worden sind – andere würden mit viel Recht sagen: strapaziert –, bis daß sich vom Konzept der absoluten Musik das Konzept der dramatischen Musik ablösen ließ. Das aber kommt nun tatsächlich einer Entstellung gleich. Vom musikästhetischen Standpunkt aus ist es sogar eine Veruntreuung, und man muß zugeben, daß die Metaphorik des Schlafs hier mitgeholfen hat, die Sicht auf lange Zeit hin zu vernebeln. Wagner 521 [Žižek, 2003], S. 37 179 dürfte selbst über die Diskrepanzen zwischen seiner und der Schopenhauerschen Musikästhetik gestrauchelt sein. Im Sinne Shaws war er "not a Schopenhauerite every day in the week".522 Vor allem aber die Wagner-Forschung hat sich in puncto Beethoven-Schrift immer wieder mokiert über das Verhältnis Adaption – Deformation. Aber: Vielleicht sollte man nicht übersehen, daß Wagner, indem er Schopenhauer überdehnte, diesen für seine Zeit auch erst lesbar gemacht hat. Cosima erwähnt eine Bemerkung, die von großer Wichtigkeit ist. Von ihr befragt, ob "nach Schopenhauer viel auf philosophischem Gebiete zu entdecken sei", antwortete Wagner: "Darzustellen viel, zu entdecken glaube ich nicht."523 Es kam ihm also keineswegs auf Analyse an, es kam ihm an auf Interpretation. So wie er schon die Romantik für sich fruchtbar gemacht hatte, so ging es ihm auch für Schopenhauer um einen Umwandlungsprozeß. Er wollte nicht verklären, sondern erklären. Er wollte propagieren anstatt zu archivieren. Er wollte in der Gegenwart behaupten, was durch den methodischen Rückzug des weltfremden, romantisierten Individuums aus dieser zwangsläufig zu versickern drohte. Erkenntnis machte für ihn nur Sinn, wenn sie sich auch als ästhetisches Ereignis darstellen und ausagieren ließ. Von daher ist seine eigene Schlaf- und Traumtheorie im Vergleich zu der Schopenhauers die dynamischere und zeitgemäßere und dies sogar aus Sicht der Schlafforschung. Schopenhauer war in der Tat in jenem Augenblick, in dem das 19. Jahrhundert ihn für sich entdeckte, in diesem speziellen Punkt schon ein Anachronismus. Der Schlaf war nicht mehr so 'romantisch', wurde schon lange nicht mehr als ein Magnetismus in nur eine Richtung begriffen. Ohnehin konnte Wagner kaum noch das (ihm selbst innewohnende) Prinzip der Dialektik unterdrücken, das die jüngere Schlafforschung bereits in den Wechsel zwischen Wachen und Schlafen übertrug. Sind deshalb nach wie vor "Schopenhauers Musiktheorie und Wagners Synthese [...] unvereinbar"524, so ließe sich eine frischere Ansicht der Dinge gewinnen, sobald man gegenrechnet, daß Wagners Musiktheorie nicht nur einen Kommentar zur zeitgenössischen Schlaftheorie darstellt, sondern daß Wagner selbst die Schopenhauersche Synthese in einen aktuellen Kontext gerückt hat. Oder ist es etwa nicht Wagner gewesen, der mitgeholfen hatte, daß das "von der Philosophie der Zeit verschlafene Hauptwerk"525 Schopenhauers überhaupt aus jenem Schlummer gehoben wurde, in dem es ein paar Jahrzehnte lang gelegen hatte?526 Ohne Wagner wüßten wir heute weniger über Schopenhauer. Der Preis dafür, daß wir mehr wissen, ist, daß wir nicht alles wissen. Halten wir fest, daß Wagners Musikästhetik in sich noch vergleichsweise traditionell ist, in den Passagen, in denen Schlaf- und Traumtheorie entwickelt werden, allerdings deutlich weiter geht, moderner wirkt. Noch von den Naturphilosophen übernommen war die Idee, daß der Schlaf und mit diesem auch die Musik die reine Lebenskraft sei. Schon die Überzeugung aber, daß Schlaf verborgenes Wissen nicht nur generiert, sondern auch 522 [Shaw, 1932], S. 251 523 TB vom 28. 6. 1869. [Wagner, 1976a], S. 118 524 [Gutman, 1970], S. 330 525 [Wapnewski, 1981], S. 193 526 Übrigens als ob ihm, diesem Hauptwerk Schopenhauers, zuteil geworden wäre, was es selbst zuvor einge- fordert hatte. 180 beschirmt, stellt die Brücke zum 20. Jahrhundert dar. Man könnte sagen, daß Wagner, dessen Werk heute kaum mehr vom Vergleich mit der Psychoanalyse fernzuhalten ist, mit dem Schlaf rund 30 Jahre vor Freud die notwendige Vorbedingung für Träume und Traumdeutung ausgelotet hat. Das Konzept vom tiefen und vom allegorischen Traum berührt selbst die Erkenntnis von der Existenz verschiedener Schlafphasen, die erst Mitte des 20. Jahrhunderts medizinisch bewiesen werden konnte. Die Metaphorik des Wachens und Erwachens und die vom inneren Auge, das sich im Schlaf öffnet, könnten gelten als Vorwegnahme des vielbesprochenen REM-Schlafs (auch 'paradoxer' oder 'TieftraumSchlaf' genannt im Gegensatz zum traumlosen 'orthodoxen' Schlaf!), in dem sich nach Aussagen der heutigen Schlafmedizin die Augen infolge starker bildhafter Träume heftig zu bewegen beginnen. Gemeinsam mit dem Nachweis des REM-Stadiums ist sogar stichhaltig gemacht worden, daß der Schlaf die menschliche Gedächtnisbildung instand setzen hilft, ein Umstand, den man ebenso in Wagners Leitmotivik angedeutet findet, welche mnemotechnisch zwischen Rückblick und Vorausschau Orientierung stiften sollte. Letztlich belegt Wagners eigenes Vokabular in der Beethoven-Abhandlung, daß der Schlaf und damit auch die Musik für ihn nicht nur historisch oder symbolisch verklärte, sondern moderne, wissenschaftliche, interdisziplinäre Phänomena gewesen sind, was sich dann gewiß nicht mehr zur Deckung bringen läßt mit der noch immer verbreiteten Auffassung, Wagners Musiktheater sei bloß eine Art geschmäcklerische Gefühlssymphonik. Viel eher ging es um "!!Deutlichkeit!!"527, um Signifikanz, um neue Formen des Wissens und neue Formen der Spiritualität, wenn man so will. Wagner rehabilitiert sich in dieser Hinsicht vollkommen als Romantiker, hatte doch gerade die romantische Naturphilosophie den Schlaf als 'chemischen Katalysator', als 'Regeneration der Hirnfunktionen' oder sogar 'Wiederholung des Fötuslebens' in die Kunst eingeführt. In Wagners Schriften bilden deshalb Wendungen wie "Funktion des Gehirnes"528, "das sympathische Gehör"529, "cerebrale[s] Bewußtsein"530, "physiologische[...] Phänomene"531, von denen zwar einige, aber nicht alle von Schopenhauer entlehnt sind, einen neuen Ton aus. Daß es an einer Stelle der Beethoven-Abhandlung "zunächst nicht auf die metaphysische, sondern auf die physiologische Erklärung"532 ankommt, beweist, daß das wissenschaftliche Zeitalter auch bei Wagner Einzug gehalten hatte, freilich ohne sich der traditionellen Bindungen zu entledigen, die es generierten. Keine Frage, Wagners Musikästhetik bleibt in Anlehnung an Schopenhauer grundsätzlich eine Metaphysik der Musik und empfiehlt sich in keinem Punkt an den Positivismus. Über die Verbindung zum Schlaf aber wird die Musik partiell auch zu einem Phänomen physiogener Reflexe. Oder zumindest geht es nicht mehr so ausschließlich um Seelen-, sondern neuerdings auch um Sinnesnervenleistung: "Wie man 527 Affichen im Bayreuther Festspielhaus vor den Erstaufführungen des 'Ring des Nibelungen'. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908c], S. 201 528 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 86 529 Ebd., S. 93 530 Ebd., S. 94 531 Ebd., S. 132 532 Ebd., S. 131 181 [...] bei Richard Wagner sieht, waren die [...] Nerven in mancher Hinsicht besser zum poetischen Organ geschaffen."533 Womöglich war es bei weitem nicht mehr so subversiv, die "Nerven zu überreden"534, wie Nietzsche spotten mußte. Daß dessen "Einwände gegen die Musik Wagner's [...] physiologische Einwände" waren – "wozu dieselben erst noch unter ästhetische Formeln verkleiden?"535 – mag zu einem nicht unbedenklichen Teil damit zu tun gehabt haben, daß Nietzsche zu der Zeit, als er Wagner in Bayreuth sah und hörte, selbst schon vom eigenen Körper in Frage gestellt wurde. Immerhin kursiert heute, im post-nietzscheanischen Zeitalter, die Auffassung, daß es eigentlich überhaupt keine moderne Ästhetik gibt, die nicht automatisch auch "angewandte Physiologie"536 sei – Wagners Musik hätte demnach die Enervierung in der Kunst nicht alleine zu verantworten. Am ausgewogensten erscheint, was Joachim Radkau herausgestellt hat, daß nämlich der Nervenreiz im 19. Jahrhundert zu einem Kulturzustand geworden war. Es wäre also ungerecht, die Debatte um Physiologie und Dekadenz in der Kunst auf Wagner zuzuspitzen. Ungerecht allemal sie zuzuspitzen, ohne nicht auch hervorzuheben, daß es ihm, Wagner, natürlich immer auf eine Gesamtleistung ankam. Der Nervenreiz ohne die spirituelle Erfahrung mußte ihm im Gefüge eines Gesamtkunstwerks so unsinnig erscheinen wie die spirituelle Erfahrung ohne Nervenreiz. Gerade das Grundmotiv 'Schlaf' liefert zahllose Belege dafür, daß die Musik sowohl körperlich als auch mental wahrnehmbar sein sollte und daß sie das Kunststück sein müsse, in dem das eine nicht ohne das andere auskommt. Am Ende kann man damit sogar noch ein wenig Spekulation treiben. Denn könnte man nicht, da schon von Analysetechniken, von Körper- und Gehirnfunktionen die Rede ist, Wagners Leitmotivmusik als eine rudimentäre Form der Elektroenzephalographie bezeichnen, die selbst die rhythmische Eigentätigkeit des menschlichen Gehirns aufzeichnet und wesentlich der modernen Schlafforschung vorgearbeitet hat? Was sich gewagt anhören muß, ist von erstaunlicher Kontingenz. Sowohl das EEG-Notat wie auch die Leitmotivtechnik folgen einer Rhythmik des Immergleichen. Beide schreiben eine 'unendliche Melodie'. Nicht nur die Hirnströme, sondern auch die Töne lassen sich auf eine Schwingungslehre beziehen. Wie Wagners Leitmotive, so sind auch die EEG-Kurven als 'Schicksalsfäden' apostrophiert worden (das Seil der Nornen könnte tatsächlich beides sein, Symbol der Lebenszeit und Symbol der musikalischen Struktur!): In jedem Detail abgreifoder analysierbar, liefert das eine wie das andere eine genaue Abbildung verborgener psychischer und/ oder physiologischer Vorgänge und gäbe sogar vom Ende her betrachtet Auskunft über das, was zum Zeitpunkt der Aufzeichnung noch 'Zukunft' geheißen hätte (vgl. Abb. 53-54). "Unbewußt, wie im Traum"537, so wird die 'unendliche Melodie' laut Wagner formiert – unbeeinflußt von bewußten Lebensprozessen auch der Kurvenverlauf der Körperfunktionen im EEG. Darüberhinaus ist die Idee der Amplitude, welche über 533 [Radkau, 1998], S. 499 534 Der Fall Wagner. [Nietzsche, 1988c], S. 29 535 Fröhliche Wissenschaft. [Nietzsche, 1988d], S. 616 536 [Herrmann, 2001], S. 576 537 Zitiert in: [Glasenapp, 1911], S. 164 182 die Zeit stetig wandelbar iteriert, nicht nur von der Romantik schon auf den Schlaf übertragen worden – im Schlaf "zittert dieses willkürliche Bewegungsorgan [das Gehirn] aus"538, so hieß es damals. Auch heute wird das Sinnbild der Kurve oft mit dem An- und Abschwellen, dem Wellenförmigen der musikalischen Energie bei Wagner assoziiert, und zwar abseits der Tatsache, daß die Idee der Welle schon durch Wagner selber zu einem Motiv erhoben worden war. Friedrich Kittler meint, daß "Woge" bei Wagner "natürlich die Eigenschaft der neuzeitlichen Musik [heißt], aus Frequenzen zu bestehen".539 Wodurch das Oszillogramm des EEG-Notats tatsächlich sehr nahe an Wagner heranrücken würde. Nehmen wir hinzu, daß die ersten EEGs gar nicht visuell, sondern akustisch aufgezeichnet wurden (nämlich auf die Tonspuren von Filmen), daß ein Mensch zum Einschlafen gebracht werden kann, sobald man ihm seine eigene EEG-Kurve als Melodie vorspielt ('Lullaby'-Theorie), ja daß sogar den Ausschlägen der Amplitude in der heutigen Diagnostik Töne von unterschiedlicher Höhe zugeordnet werden, durch deren Abspielen sich dann ein 'Konzert' ergibt (Stichwort 'Sonifikation'), so scheinen wir uns wirklich in einem Bereich zu befinden, den auch Wagner in seiner Zeit und auf seine Weise fruchtbar zu machen hoffte. Seine Musik wollte das Unterste nach oben bringen, das Äußere aber auch nach innen, wollte also, wenn man so will, akustische Forschung sein, die die heimlichsten Bezirke so genau ab- wie vorbildet. Theater- und Medientheoretiker würden das heute als 'Biofeedback' bezeichnen, und in der Tat gibt es 'Brain Operas', in denen die Analyse der Hirnwellen zur musikalischen Performance wird. 540 Natürlich wird man die (natur)wissenschaftliche Komponente in Wagners Musikästhetik nicht überbewerten dürfen. Wagners Kunst ist immer nur so modern und progressiv gewesen wie sie auch mythisch und restaurativ war. Allerdings muß man konstatieren, daß das traumgleiche Wesen der Wagnerschen Musik erstaunlich nahe einer Formel kommt, die den wissenschaftlichen Bemühungen der Zeit und vornehmlich der Arbeit des schweizerischen Psychologen Edouard Claparède entstammt, welcher damit einen richtungsweisenden Ansatz beschrieben hatte: 'Der Mensch schlafe nicht, weil er ermüdet sei, sondern damit er nicht ermüde'. 541 Auf Wagner bezogen heißt das: Die Musik war dafür gemacht wachzuhalten, und zwar über den Umweg der Regeneration im Schlaf, nicht aber, um einen tumben und traumlosen Schlaf zu befördern. Diese positive Defensivfunktion, auch die Idee, daß der Schlaf ein Schutzmechanismus sei, entstammen nun aber doch wieder den Einsichten der Schlafwissenschaften, entstammen natürlich bereits dem 20. Jahrhundert. Darum scheint es, als ob Wagner sich für seine Kunst aus der Zukunft kurzerhand herangeholt habe, was die eigene Gegenwart nicht bieten konnte. Als hätte er der Zeit 538 [Jean Paul, 1963], S. 240 539 [Kittler, 2001], S. 564. Und wie [Borck, 2005], S. 274 berichtet, hat auch der Entdecker der Hirnströme Hans Berger die Metaphorik der Welle bewußt für sich eingesetzt; seine letzte Publikation überschrieb er mit dem Gedicht Geheime Wellen von Heinrich Anacker. 540 Vgl. z.B. die berühmten Live-Aufführungen von Alvier Lucier (Music for Solo Performer, 1965), die 'Brain Music Machine' des Komponisten David Rosenboom oder die interaktiven 'Hyperinstrumente' Tod Machovers. Weitere und gründlichere Informationen liefern [Lucier, 1995], [Rosenboom, 1976] sowie [Büscher, 2000]. 541 Siehe und vgl.: [Winterstein, 1932], S. 38 183 vorgegriffen, weil diese sich partout nicht seinen Forderungen gemäß beschleunigen ließ. Das aber ist wohl der Inbegriff utopischen Handelns – Mischung zwischen großem Plan und detaillierter Vorahnung. Der utopische Anspruch bei Wagner sorgt deshalb am Ende dafür, daß die wissenschaftlich-induktive Forschung durch das therapeutisch-deduktive Moment der Musik doch um das entscheidende Quentchen übertroffen, man könnte fast sagen, daß das Modernistische bei Wagner vom Avantgardistischen überboten wird. Womit sogar die alte definitorische Spannung zwischen Hypnose und Schlaf für uns aufgehoben wäre. Denn zwar taugt die Hypnose zur Wissenschaft, der Schlaf allerdings allein zur Kunst. 542 <Teilergebnis> Was also ist die Musik und was der Schlaf und was bedeuten sie füreinander in Wagners Argumentation? Fassen wir zusammen. Aus dem Wesen des Künstlers, so wie wir dieses in Kap. II.2 nachgezeichnet hatten, ergibt sich nach Wagner notwendig das Wesen der "Musik als Kunst". 543 Ästhetische Dichte, proteische Wandelbarkeit, Sinnfülle, Abstraktionsgrad, ja die reine Gegenwart oder aber "geschichtslose Mitte"544 der Musik, wie Eggebrecht das einmal genannt hat, werden deshalb wieder dargestellt unter Zuhilfenahme der Metaphorik des Schlafs, der selbst der Musik in Gehalt und Gestalt zwillingshaft ähnlich scheint. Damit kann nun das 'Traumbild', welches der musische Künstler und durch ihn die Musik aus sich hervortreibt, an Stelle des weit gewöhnlicheren Abbilds gesetzt werden, um das sich die bildenden und darstellenden Künste wie auch die Dichtung gemäß der Beethoven-Schrift seit je bemühen – Ausdruck dies, daß die Musik für Wagner die Prinzipien aller sonstigen Künste nach innen hin steigert. Die Komprimierung von Formen, Farben, Gestalten und Zeichen im Schlaf, auch vor allem die verfließenden Energien der Träume werden zum Rüstzeug, um die Methodik der Musik zu veranschaulichen. Der Schlaf, als höchste Form der Subjektivität, wird zur Referenzmetapher für die Gesetze der Musik. Genauer noch: Schlaf und Traum tragen überhaupt erst dazu bei, die Musik instand zu setzen. Mehr als Hilfsmittel sind sie für Wagner Stilmittel. Es geht um einen "Kunsttraum".545 Die Verwandtschaft zwischen der Musik und dem Schlaf erlaubt nämlich Reziprozität, und die Neudefinition des Stoffbegriffs, das Außerkraftsetzen des mimetischen Prinzips, die Aufhebung der Schwerkraft in der Kunst hätte also gar nicht geschickter veräußert werden können als 542 Zumindest in der Welt der Oper scheint es mir tatsächlich nur eine einzige Stelle zu geben, die den engen Bereich der Hypnotik abhandelt: Sieht man ab von Bellinis La Sonnambula, die schon wieder viel zu sehr verallgemeinert, was uns interessiert und die zusammenfällt mit all den Dramen um un- oder übernatürliche Zustände, von denen die Opernliteratur bis hin zu Hagens Nachtwache in der Götterdämmerung zum Bersten voll ist, so fällt mir nur Mozarts Così ein, in der die als Medicus verkleidete Despina die Liebenden mit Hilfe der Mesmerschen Methode zu heilen sucht. Freilich sollte man auch diese Szene nur als Parodie verstehen, und zwar nicht einmal als eine besonders gelungene. Vielleicht ist in ihr auch bloß der Umstand verarbeitet, daß Mozart persönlich mit Mesmer bekannt gewesen sein soll. 543 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 90 544 [Eggebrecht, 1994], S. 123 545 [Greogor-Dellin, 1980], S. 24 184 durch den Analogieschluß zu einem Phänomen, das so alltäglich wie transzendental, so landläufig wie geheimnisvoll ist. Musik geht demnach fließend in Schlaf über, Schlaf in Traum, Traum wieder in Musik, und das eine scheint in Wagners Musikästhetik in produktiver Abhängigkeit zum anderen zu bestehen. Genaugenommen übernimmt die Musik bei Wagner die Rolle des Schlafs und der Schlaf die Rolle der Musik. Man muß nur einen Blick werfen auf Wotans Auftritts-, oder auf Erdas Abtrittsszene, auf Brünnhilde, auf Fafner oder auf die 'Nacht der Liebe' im Tristan, um eingelöst zu finden, was Wagner theoretisch vorgeschrieben hatte. Prototypisch zeigen all diese Sequenzen den "durch Musik aufsteigenden Traum"546 oder die in den Schlaf abfallende Musik. Ungefähr nach Art der berühmten Egmont-Szene, in der ein Traum durch Musik sichtbar gemacht wird, was nicht nur Beethoven (sic) auskomponiert, sondern Wagner selbst nachhaltig beschäftigt hat – "das Beste kommt einem doch »unerbeten, unerfleht – am willigsten«; wie Egmont der Schlaf"547 – ungefähr nach Art dieser geradezu vorbildlich glissandierenden Szene dürfte deshalb auch das Konzept der Wagnerschen Musikästhetik entwickelt worden sein. 548 Zumindest wenn man die Beethoven-Schrift als letzte gültige Aussage darüber akzeptiert. Die Musik offenbart sich als Vergegenwärtigung jener über- oder unterirdischen Reiche, über die der Schlaf wacht. Dessen "Wahrtraum-Gestalten"549 wiederum werden auf Wagners Bühne zu den "ersichtlich gewordene[n] Thaten der Musik". 550 Leicht wird man Wagners Musik deshalb als eine 'Kunst des Übergangs' bezeichnen können. Vermittelt sie doch das Bild an die Szene, die Gestalt an die Bewegung, die Zeit an den Raum, kurz, die Musik hebt wie der Schlaf gewohnte Grenzen auf. Nachvollziehbar ist, daß jetzt auch weiter entfernte, frühere oder spätere Territorien erreichbar werden. Der Mythos etwa, in den die Musik kraft ihrer Traumseligkeit zurückfluten kann. Wobei der Schlaf laut Wagner das Fallenlassen in die urweltliche Ordnung, also die Erinnerungsarbeit der Musik methodisch unterstützt, womöglich gar die Fähigkeit zur Gedächtnisbildung überhaupt erst in die Musik hineinträgt, welche man ihm, dem Schlaf, wissenschaftlich selbst schon längst zugebilligt hatte. Durch "den sagenhaften Ton [im Musikdrama]", meint Wagner, wird der Geist sofort in denjenigen träumerischen Zustand versetzt, in welchem er bald [...] einen neuen Zusammenhang der Phänomene der Welt gewahrt, und zwar einen solchen, den er mit dem Auge des gewöhnlichen Wachens nicht gewahren konnte. 551 546 [Lenk, 1990], S. 29 547 Brief Richard Wagners vom 23. 5. 1859 an Mathilde Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915], S. 201 548 Übrigens wurde Goethe für den Egmont-Traum heftig von Schiller getadelt, den dieser als zu 'opernhaft' empfand. Schiller meinte hier auf ein Musterbeispiel dafür gestoßen zu sein, warum generell in keinem Drama die Träume eine Verwendung finden dürften – sie führten ein episches, das Drama auflösendes Element in dieses hinein. Für Wagner ließe sich daraufhin nur erwidern: Genau so aber sollte es sein, nur so sollte, konnte und wollte sich das 'Musikdrama' legitimieren! 549 Über das Opern-Dichten und Komponiren im Besonderen. [Wagner, 1883g], S. 227 550 Über die Benennung 'Musikdrama'. [Wagner, 1873g], S. 364. (Im Original hervorgehoben.) 551 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 161f. 185 Schlafend und träumend wird uns eine ideale Welt zuteil. So bedeutet der große Schritt zurück natürlich auch einen Sprung nach vorn. Gerade daß das eben angeführte Zitat aus dem Artikel über Zukunftsmusik stammt, macht deutlich, daß Musik als Traum natürlich auch ein utopisches Konzept bei Wagner darstellt. Die 'Kunst des Übergangs' vermittelt auch die Idee des Fortschritts, ihre Sprache ist die der Zukunft, ihr Traum Wunscherfüllung. Es geht um ein 'Träumen nach vorwärts', wie Ernst Bloch gesagt hätte, der die eigene Philosophie der Musik im Geist der Utopie gleichfalls mit einem Abschnitt über den Traum beginnen läßt. Die Musik aber in Wagners Musikästhetik, sie ist eine Art Traumorakel, durch welches sich Gewordenes mit Werdendem verbinden ließ und verbinden läßt. Der Schlaf selber wird zu einer Kunst des Übergangs. Genau so nämlich wie in seiner Biographie, so stilisiert Wagner den Schlaf theoretisch zum Konstruktionsprinzip und stellt damit eine Brücke zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft her. Es ist evident, daß es ihm stets darum gegangen war, den Spiel- und Wirkungsbereich der Bühnenkünste zu erweitern. Nun aber wird auch evident, daß die Bilder des Schlafs ihm nicht nur sehr dienstbare Mittel lieferten, diesen neuen Spielbereich zu situieren, sondern daß er damit die alten "pseudoaristotelischen 'Einheiten' durchkreuz[en]"552 konnte. Wo seine Figuren in den Schlaf zurücksinken und wo seine Musik zu träumen beginnt, da wird der Ort vergrößert, die Zeit gedehnt, die Handlung gestreckt. Auf dramaturgischer Ebene bedeutet das die Glättung von Bruchkanten, die Verschmelzung von Szeneneinheiten, surreales Dahinfließen der Bedeutungsebenen. Schlaf vermittelt formal, was die Musik inhaltlich vermitteln mußte – man könnte sagen, daß insgesamt die stoffliche Qualität des Bühnengeschehens verändert, daß dieses samtener und fließender werden sollte. Nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch geht es um eine Überblendungstechnik. Wenngleich es bislang in der Wagner-Forschung unbeachtet geblieben ist, es scheint doch geradezu gesetzmäßig, daß sämtliche Hauptwerke Wagners durch Szenen eröffnet werden, in denen entweder der Schlaf oder die Musik oder beides gemeinsam thematisiert wird. Schlaf verbindet Entferntes, simuliert einen Anfang; in der Distanz zwischen Dasein und Absenz spannt er einen neuen Spielraum auf, dem dann träumegleich Musik entströmt. Die Idee, daß alle Bühnenhandlung letztlich nur noch eine Traumvision sei, daß das Theater zum "unsichtbare[n] Theater"553 und der Gesichtssinn durch "Neutralisation des Sehens"554 gestärkt werden könne, liegt nicht mehr so fern, ist eigentlich nur konsequent. 555 Die Musik gilt bei Wagner als "Illusionsweckerin"556; konsolidiert durch die Analogie zum Schlaf gilt sie deshalb auch als Heilmittel – ein Regenerationsvorgang, durch den die 552 [Borchmeyer, 1982], S. 130 553 TB vom 23. 9. 1878. [Wagner, 1977], S. 181 554 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 400 555 Die berühmte Holländer-Inszenierung von Harry Kupfer (Bayreuther Festspiele 1978), die die gesamte Handlung als einen Traum Sentas darzustellen suchte oder aber auch Jean-Pierre Ponelles Tristan, in dem Isoldes Kommen im 3. Akt als Vision des sterbenden Tristan interpretiert wurde (Bayreuther Festspiele 1981), sind deshalb nicht nur gelungene, sondern vor allem zwei mit der erforderlichen Stringenz durchgeführte Experimente. 556 [Bekker, 1924], S. 45 186 Altlasten des täglichen Lebens in Szenarien des besseren Lebens verwandelt werden können. Wie die Träume zeigt die Musik was verdrängt wird, aber auch, was entstehen soll. Sie legt so sicher Zeugnis ab über Schein, Verfall und Lüge, wie sie diese auch enttarnt. Denn zwischen Einschlafen und Erwachen schlägt der gesellschaftliche Alptraum bei Wagner in einen Wunschtraum um. Immer geht es in der Musik um den Mehrwert, der sich aus der Differenz zwischen Schein und Sein ergibt. Wagner spricht von der "erlösenden Traum-Welt"557, die die "grauenhaft gestalteten Ungeheuer der Tiefe", den "Tag – ach! die Geschichte der Menschheit"558 überpräge und stellt das Abgründige bemerkenswerterweise nicht mit dem Dämmerzustand der Träume, sondern mit dem vermeintlich hellen Tag zusammen. Schlaf und Traum liefern wieder jene Folie, hinter der sich das dialektische Prinzip auch in der Musik rechtfertigen und ausarbeiten ließ. Vielleicht ist es nicht die schlechteste Metapher, daß Wagner Die Kunst und die Revolution in einem Schlafzimmer verfaßt haben soll. 559 Allerdings ist es vor allem der utopische Gedanke, der immer streitbar, zumindest interpretierbar geblieben ist; alles ließ sich da behaupten, nichts jedoch beweisen. Die Gedankenspiele um den Schein oder das Sein, die Wagner mit der Musik darzustellen suchte, blieben anfällig selbst dort, wo er sie ästhetisch untermauerte, und paradoxerweise sind sie genau so in die Beurteilung dieser Musik übernommen worden. Der erlösende Mehrwert der Kunst, den Wagner in der Beethoven-Schrift zu zementieren hoffte, wurde ihm allerspätestens mit deren Erscheinen von seinen Widersachern abgesprochen. Die Behauptung, Musik habe einen Heilaspekt, gerade weil sie die Welt als Schein transzendieren könne, wurde konterkariert von der Behauptung, daß Wagners Kunst selbst eine Scheinwelt sei und diese nicht nachbilde. Nahe lag der Eindruck, daß die Musik bei Wagner zu verführerisch sei als daß sie noch seriös sein könne. Ja es ist ungeheuer sprechend, daß in Folge der Vorwurf der Hypnose oder Narkose gegen einen Künstler erhoben wurde, der sich nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch, fast programmatisch, sofern man auf die Biographie schaut, mit dem Phänomen des Schlafs auseinandergesetzt hatte. Wohl glaubte man, die Begriffe direkt aus Wagners Œuvre entnehmen und auf ihn umschlagen zu können. Doch so berühmt die Debatte um die Hypnotik der Wagnerschen Kunst ist, so berüchtigt müßte zunächst sie und nicht der Gegenstand ihres Interesses sein. Überprüft man die Methodik der Hypnose mit der Methodik der freilich sehr ähnlichen, nicht aber deckungsgleichen Erscheinung des Schlafs, so wird man feststellen können, daß die Argumente hier verkantet worden sind. Wahrscheinlich sogar vorsätzlich. Physiologisch wie sozialhistorisch unterscheiden sich hypnotische oder auch narkotische Zustände erheblich vom natürlichen Schlaf. Der Schlaf ist "selbstschöpferisch"560, Narkose oder Hypnose keinesfalls. Der Schlaf vergrößert den menschlichen Wahrnehmungsradius, jede Form der Hypnotik muß ihn notwendig verkleinern, sofern sie ihn danach vergrößern will. Wer da 557 Religion und Kunst. [Wagner, 1883d], S. 320 558 Ebd., S. 319 559 Vgl.: Anm. 201 in Kap. I.1 560 Mittheilung an meine Freunde. [Wagner, 1872d], S. 302 187 nun die Behauptung vertrat, gerade das sei ja der wunde Punkt bei Wagner, der hatte Wagner quasi nur paraphrasiert, nicht zitiert. Das Hypnotische mag selbst in Wagners Kunst inbegriffen sein, als Terminus technicus jedoch ist es eine falsche Zuweisung. Wagner hat sich über den engen, historisch definierten Rahmen der Hypnose hinausgearbeitet und mit den Bildern des Schlafs seiner Kunst eine umfassendere Metaphernlage erobert. Schließlich ließ sich das Utopische allein aus etwas Überzeitlichem, Ahistorischem gewinnen. Eine Lücke klafft seither auf zwischen der Partei, die eher der Analyse und einer anderen, die bloß der Wirkung Wagners anhängt. Analysierend aber läßt sich zusammenfassen, daß die Musik, Wagners Musik, in der Tat nicht mit der Hypnotik, sondern mit dem Schlaf in Zusammenhang gebracht werden muß: Es geht um freiwilliges, selbstbestimmtes Versinken. Wer anderes behauptet oder aber ähnliches metaphorisch entgleisen läßt, wird sich den Vorwurf des Populismus gefallen lassen müssen. Daß dem Versinken mit nachvollziehbarer Konsequenz das selbstbestimmte Erwachen folgt, um das es dem Utopisten Wagner vor allen Dingen ging, liefert den Beweis, daß dieser sich wirklich über die definitorischen Grenzen der Hypnotik hinausbewegt hatte. Den Schlaf (oder die Musik) als Vorgang zu begreifen, dessen regenerative Energien sich erst im Wachzustand angemessen entfalten würden, stellt Wagner an die Seite der zeitgenössischen Schlafforschung, die auch den Dualismus zwischen Einschlafen und Aufwachen neu zu beweisen suchte. Man könnte behaupten, daß die Metaphorik des Schlafs sogar mitgeholfen hat, Wagners Kunst in die Moderne, in die Moderne des 20. Jahrhunderts hinüberzuholen. Auch diese läßt die Diskussionen um tellurische oder somnambule Situationen, um den magnetischen oder aber auch den hypnotischen Schlaf weit hinter sich. Das alles hatte das 18. und frühe 19. Jahrhundert, die Naturphilosophen und Schopenhauer interessiert. Jetzt geht es nicht mehr um Resignation, sondern um Revolution. Dem Traumleben wird eine neue Funktion zugesprochen, die später die Symbolisten oder die Surrealisten für sich fruchtbar machen sollten. Mit der Beethoven-Schrift setzt Wagner den Schlußstein seiner Musikästhetik an genau jener Stelle, an der der Traum der Kunst ins wache Leben hineinspielt, – et vice versa. Wagners Beethoven-Aufsatz könnte man deshalb, so man sich erst einmal die Interferenzen vergegenwärtigt hat, geradezu als einen Kommentar zur zeitgenössischen Schlafforschung lesen. Just die Physiologisierung der Ästhetik, die sich so besonders gut an die Schlafbildlichkeit der Musik anlegen ließ und die Wagner darum auch so oft vorgeworfen wurde obwohl sie eigentlich schon in der Romantik wurzelt, dürfte ihn vermittelt haben an eine Zeit, die der seinen voraus lag. Daß das Physiologische in Wagners Musikästhetik immer wieder zu Pathologischem degradiert, Wagner zur Gallionsfigur der Dekadenzbewegung stigmatisiert wurde, läßt sich von daher leicht der Willkür überführen, insofern der Schlaf bereits in Wagners Biographie ein pathologisches Problem war. Mit der Kunst aber ging es ihm um Kompensation. Möglicherweise auch der eigenen biographischen Mängel: 188 [D]as geträumte[...], musikalische[...] [Leben ließ] über [dem] kunstvoll-phantastische[n] Spiel des Theaters mit seiner bewegenden Dramatik und seinen überraschenden Verwandlungen ein erlösend Anderes aufschimmern.561 Notwendig entwickelt Wagner in seiner Musikästhetik den Hang zur Utopie – jede Theorie ist ja auch die geläuterte Autobiographie ihres Theoretikers. Die Rettung geschieht für ihn, Wagner, durchs Werk, die Heilung für alle durch die Musik. Kaum hätte er sich auch selbst zur Dekadenz bekennen können. Ihm ging es um das Gegenteil, um Rekonvaleszenz. In seine Musikästhetik ist integriert, was später erst durch Freud bewiesen werden sollte: Wer schläft, der gesundet. Gesellschaftspolitisch und kulturphilosophisch, medizinisch und biographisch, poetologisch und musikästhetisch, der Schlaf greift auf vielfältige Weise in das Konzept der Wagnerschen Musik ein. Man kann konstatieren, daß Wagner seinem Gesamtkunstwerk damit die Anbindung an das Transzendente oder zumindest an das Ungreifbare, Unsichtbare sicherstellen wollte, dieses sogar pseudowissenschaftlich abzusichern suchte. Im Musikdrama, in dem alles mit jedem verschmelzen sollte, mußte schließlich auch das Jenseitige diesseitig, das Ungreifbare handhab- und das Unsichtbare darstellbar werden. Das Sphärische wurde zu einem spielbestimmenden Requisit. Und so verwandelt Wagners Musik die Träume in Bühnenhandlungen. Umgekehrt konstituiert der Schlaf erst die dramatische Musik. Am Ende ist es deshalb besonders von Interesse, daß selbst Wagners methodisches Vorgehen noch von dem Prinzip gesteuert worden ist, daß – präfreudianisch – den Theorien zwangsläufig die Wirklichkeit der Träume vorausgehen muß. Schaut man auf die Beethoven-Schrift, so begreift man, daß darin nur das systematisiert wurde, was bereits in den langen Jahren der Ring-Konzeption, vor allem im Tristan und in den Meistersingern vorexerziert worden war. Ralf Eisinger geht mit Recht davon aus, daß man den ästhetischen Standpunkt des späten Wagner auch für seine frühen Werke verwende[n könne]. Der Begriff »allegorisches Traumbild« wird nämlich in der [...] Beethoven-Gedenkschrift abgehandelt, wohingegen die dramaturgische Konzeption, die in ihr entwickelt und dargestellt wird, bereits im Holländer, im Tannhäuser und im Lohengrin in Ansätzen zu verfolgen ist. 562 Die Theorien mögen die Träume, die Schriften die Werke legitimiert haben, die Werke die Schriften aber auch – die herkömmliche Abfolge von Theorie und Praxis wird bei Wagner beiweilen vertauscht. Folglich sollte man zum einen davon sprechen, daß nicht (nur) Wagners Kunsttheorien dessen Kunstwerke, sondern daß umgekehrt Wagners Kunstwerke auch dessen Kunsttheorien vorgeprägt haben. Zum anderen, daß sich das Schlafmotiv selbst, mehrgestaltig wie es erscheint, tatsächlich nach innen und nach außen als Deutungsmuster behauptet. Keineswegs zufällig folgte Wagners Kunstträumen erst 1870/ 71, in den Jahren der Reichsbildung also, das philosophische Finale mit der 561 [Kröplin, 1989], S. 7 562 [Eisinger, 1987], S. I 189 Beethoven-Schrift und den so sorgfältig in diese hineingearbeiteten Schlaf-, Traum- und Erweckungsphantasien nach und diesem seinerseits genauso wenig zufällig 1872 dann, als entspräche es jetzt dem utopischen Erwachen, die Grundsteinlegung zum Festspielhaus, die mit dem "Wach auf"-Choral konsolidiert wurde. Nicht bloß werkintern, auch extern werden die Bilder der erst ersehnten, dann geträumten und schließlich manifest gewordenen Träume immer wieder repetiert. Die Rückkopplungen, die wir in den Kapiteln II.1 und II.2 zwischen Wagners innerer und äußerer Biographie aufgedeckt hatten, bestätigen sich auch für Wagners Werk. ________ 190 III. Unter dem Hügel die Senke Der Schlaf als Motiv in Wagners Festspieldramaturgie Ich sehe jetzt immer mehr, das was ich vorhabe, ist etwas, was man machen, nicht aber worüber man reden und reden lassen muß. (Richard Wagner)1 Bei der gestrigen Abendvorstellung [...] fing im achten Bilde, während das Publikum in atemloser Spannung den Vorgängen auf der Bühne folgte, ein Besucher des Parketts plötzlich zu singen an. In der Nähe sitzende Personen erhoben sich beunruhigt von ihren Plätzen, weil sie glaubten, es mit einem Nervenkranken zu tun zu haben. Der diensthabende Theaterarzt ging auf den vermeintlichen Kranken zu, sah daß es ein Schlafender war, und weckte ihn auf. Das Publikum beruhigte sich nach dieser natürlichen Erklärung des Zwischenfalles. (Karl Kraus)2 Oktober 1879. Die ersten Bayreuther Festspiele sind vorbei, die zweiten bereits in Planung, da überliefert uns Cosima die folgende Begebenheit: Zu Ehren Wagners habe man auf einem Rondell in der Bayreuther Innenstadt eine Statue Richards aufstellen wollen. Doch es kam, wie es kommen mußte. Man konnte sich nicht entschließen, ob dies "nach dem Theater oder nach der Schule zu"3 geschehen solle und habe es am Ende ganz unterlassen. – Was kurios und nur nach einer neuen Anekdote klingt, ist natürlich sprechend. Denn mag es auch damals noch nicht nachvollziehbar gewesen sein, heute ist bekannt, daß man mit jeder Wagner-Darstellung das Problem aufpflanzt, daß der Dargestellte ein Proteus ist und eigentlich mehrere Gesichter besitzt, zwei im mindesten. Natürlich ist Wagner immer Theoretiker, Pädagoge und Wissenschaftler nach der einen Seite hin gewesen, Theaterpraktiker nach der anderen. Und natürlich war er zudem Dramaturg, ging es doch bei ihm nie allein um das Werk und nie allein um die Werktheorie, sondern vor allem um die Öffentlichkeitsarbeit, die alles erst so recht in Szene setzt – nicht allein um die Wagner-Statue, wenn man so will, sondern gleichermaßen um den besten Stellplatz für sie. Das heißt, auch für unseren Kontext wären nicht bloß Wagners theoretische Vorgaben ohne seine Theaterpraxis, sondern besonders ohne jene Überleitung unvollständig, die das eine mit dem anderen verbindet. Zwischen einem Rahmen und einem Fenster wird das Scharnier zum Spannungspunkt. Mit dem dritten und letzten Kapitel wollen wir deshalb den Bereich untersuchen, der von Theoretikern schon 'Praxis', von Praktikern hingegen noch 'Theorie' genannt wird. Es soll gehen um die Organisation der Festspiele, 1 Brief Richard Wagner vom 13. 8. 1853 an Louis Schindelmeißer. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1909], S. 138 2 [Kraus, 1925], S. 25. (Im Original wiederholt Stellen hervorgehoben.) 3 TB vom 26. 10. 1879. [Wagner, 1977], S. 431 191 um die Logistik des Festspielgedankens, um die Inszenierung der Inszenierungen in Bayreuth. Wobei es auf der Hand liegt, daß zwischen dem Ring des Nibelungen und der Beethoven-Schrift, die im gleichen Zeitraum konzipiert wurde wie die Baupläne zum Festspielhaus, eine Verbindung besteht durch jene Traumbilder, aus deren 'Urstoff' Wagner beides für sich entfaltet hatte. Die Bilder vom Schlaf sind auch, nein, sie sind gerade in den Maximen enthalten, kraft derer die Festspiele zu einem Teil des Gesamtkunstwerks stilisiert wurden. Der Schlaf generiert die Träume! Insofern halfen die Metaphern, die ihm inhärent sind, all das zu entbergen, was Wagners Musik frei- und das Musikdrama vorgeben sollte. Das betrifft die Festspielidee und die Festspielarchitektur, die Bühnengestaltung und die Bühnenbeleuchtung, den Zuschauerraum und die Zuschauerdramaturgie und am Ende sogar die Zuschauer selbst, denen Wagner zum Träumen verhelfen wollte, als könne das Werk der Werke nur als Traum vieler Träume dinghaft werden. III.1 N ebelkamm ern <»Ein Traum von Festspielen«> Bereits der Festspielgedanke war per se ein utopisches Bild – ein Traum, gespeist aus Hoffnungen, Ahnungen, durchsichtigen Erwartungen und schnellen Perspektivwechseln, der sich nicht hätte erfüllen können, wäre er nicht als Gegenentwurf zur Wirklichkeit auf den Plan gerufen worden. Wagners "Verachtung des [bestehenden] Theaterwesens" war "vollkommen"4, das "Widerwärtigste, was ich mir vorstellen konnte". 5 "Zivilisation und Verfall waren für Wagner Synonyme seit seinen ersten Theatererfahrungen". 6 Folglich ging es darum, das "Verwahrloste zu regenerieren, [...] die Erlösung der in schmachvollen Banden liegenden Kunst herbeizuführen"7 – Wagner scheint sich dabei gelegentlich selbst wie ein Siegfried gefühlt zu haben, der die Walküre aus fesselndem Schlaf zu erwecken hatte. Traumwandlerisch und wie "ein Irrlicht über einem Sumpf"8 gingen die Vorbereitungen zu den ersten Festspielen vonstatten. "Nur der Traum hilft!"9, so hatte Wagner es schon 1872 beschrieben, als er das erste Mal nach Bayreuth gereist war, und "daß solche Zeiten Gefühle wecken, welche gewöhnlich in [einem] schlummerten"10, dies wird man leicht dem Topos des Schlafs zuordnen können. Auch hier wurde der Traum wieder zum Kompensations- und Konstruktionsprinzip. Verwunderlich ist es von daher nicht, daß auch die Wagner-Rezeption sich der hervorspringenden Metaphorik bedient hat, und dies nicht eben einmal zurückhaltend. 4 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 257 5 Ebd., S. 258 6 [Wagner, 1977], S. 22 7 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 259 8 TB vom 24. 6. 1875. [Wagner, 1976a], S. 925 9 TB vom 24. 1. 1872. Ebd., S. 484 10 TB vom 13. 8. 1875. Ebd., S. 930 192 Keineswegs bleibt es beim Floskelhaften. Manches scheint zunächst achtlos formuliert, anderes nur schmückendes Beiwerk, aber gerade dahinter verbirgt sich ein irreduktibler Gesamteindruck. Daß noch König Ludwig II. "den schönen, den kühnen Traum"11 als Chiffre für Wagners Festspielidee gebraucht hatte, ist als weltfremd belächelt worden. Doch auch Wolfgang Golther meinte, diese sei "ein hochsinniger Künstlertraum"12, Wilhelm Marr, sie käme einem "in's Leben tretenden Traum"13 gleich, Zdenko von Kraft: "Darin hat sich der Traum seines Lebens am entscheidensten verwirklicht". 14 Wolzogen spricht von der "ideale[n] Traum-Vorstellung von der Regeneration der Menschheit"15, der stilsichere Hanslick davon, daß es hier um "den größten Erfolg [ginge], den ein Componist jemals träumen konnte"16, und Hans Mayer notiert, daß sich in Bayreuth "der exzessivste Künstlertraum einer ganzen Epoche"17 erfüllt habe. Und wahrhaftig, der "alte[...] Traum von einem eigenen Festspielhaus"18 mündete nicht nur in dem "Traum von Festspielen"19, sondern manifestierte die "ungebrochene Kontinuität altdeutscher WagnerTräume."20 Bayreuth, "das ist der Ort, an dem ein Künstlertraum Wirklichkeit wurde"21 – "idealer Künstlertraum als vollbrachte Wirklichkeit"22 – "Traum und Wirklichkeit, das Theater und das Leben haben [...] endlich zusammengefunden."23 Daß selbst die kritischen Stimmen, die die gegenwärtig etwas heikle Situation der Bayreuther Festspiele beleuchten, dieselben Metaphern aufgreifen, macht den Schlaf bereits in der Festspiel-Glosse zu einem Motiv: "Bayreuth döst", so beginnt zum Beispiel ein Artikel der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 1997 – er endet mit der Hoffnung auf "[v]iel, viel Stoff [...] wider den Sommerschlaf."24 Zwar berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Sommer 2004 davon, daß zumindest das "Nickerchen zwischendurch unmöglich"25 geworden sei, doch 1998 konnte man der Zeit entnehmen, daß auf lange Sicht hin nicht viel zu erwarten sei: Die Bayreuther Festspiele liegen im Dämmerschlaf. Nur die Wagner-Familie ist hellwach. [...] Pssst! Die Kunst ist eingeschlafen am Grünen Hügel von Bayreuth. Tief und fest, weihevoll umspielt von den wohlbekannten, schönen Klängen. [...] Nur noch schwach geht der Puls der Kunst in Bayreuth. Die letzten aufrüttelnden Herzrhythmusstörungen liegen schon fünf Jahre zurück [....] Letztes Lebenszeichen bleibt der flache Atem der liebgewonnenen Festspielrituale. Vielleicht ist es ein Schönheitsschlaf, den wir da erleben, ein bißchen lange, aber am Ende er- 11 Brief Ludwigs II. vom 6. 12. 1866 an Richard Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936c], S. 108 12 [Golther, o. J.], S. 41 13 [Marr, 1876], S. 568 14 [Kraft, 1969], S. 18 15 [Wolzogen, 1883], S. 23f. ('Regeneration der Menschheit' im Original hervorgehoben.) 16 [Hanslick, 1885], S. 213 17 [Mayer, 1976], S. 25 18 [Kraft, 1969], S. 12 19 [Gregor-Dellin, 1982], S. 123 20 [Bayerdörfer, 1984], S. 319 21 [Gebhardt/ Zingerle, 1998], S. 104 22 [Lindau, 1877], S. 72 23 [Wagner, 1998a], S. 253 24 [Lemke-Matwey, 1997], S. 13 25 [Bühning, 2004], S. 31 193 quickend. Vielleicht aber handelt es sich auch um ein Koma, finales Stadium. Oder ist es schon soweit [...] Bayreuth tot, nach einem langen, ereignisreichen Leben sanft entschlummert?26 Eine Replik lieferte prompt die Berliner Morgenpost. Dort erregte man sich über die "frontale Attacke in der Zeit [...], die das traditionsreiche Festival tief im Koma sieht"27 und bewies damit – indem man den vitaleren Teil des Bayreuther Traums implizit wieder hervorhob –, daß nicht nur Wagner selbst, sondern auch dessen Festspielidee immer wieder die altbekannten, kontrapunktischen Debatten auszulösen vermag. Gedacht war Bayreuth freilich als Erweckungsritual. Ein "allgemeines Bad der Seelen soll es sein: dort erwacht der neue Genius". 28 Robert Gutman schreibt, Wagners Musiktheaterkonzept sei nichts weniger gewesen als "eine phantastische Vision der Opernbühne als ontologische[...] Akademie"29, in welcher das erhellende Moment der Erkenntnis, so ließe sich ergänzen, als Weckmechanismus von vornherein enthalten war. Als hätte Bayreuth eine Neuauflage werden sollen von Schillers 'Schaubühne als moralischer Anstalt', die auch schon die reale Welt zugunsten der theatralen "[hinweg]träumen" wollte – "wir werden uns selbst wieder gegeben, unsre Empfindung erwacht, heilsame Leidenschaften erschüttern unsre schlummernde Natur, und treiben das Blut in frischeren Wallungen"30 – , so mußte auch Wagner erst einen Traum situieren, um uns daraus erwecken zu können. Es ging um jenen inspirierten Schlafzustand, den er in der Beethoven-Schrift vorformuliert hatte und der nun ein paar Jahre später als Teil der Festspielidee konkretisiert wurde. <Das Flußbett des Hügels> Bereits die Maßgabe, daß das "große[...] Fest"31 abseits der großen Städte in freier Natur "am liebsten in irgendeiner schönen Einöde"32 stattfinden sollte, hatte zu tun mit dem 'träumereichen Atemholen der Musik' und deren Vermögen, Rückbesinnung und Regeneration zu bewirken. Daß Wagners "Reich der Kunst [...] jenseits der Wirklichkeit angesiedelt" worden sei, daraus leitet Stefan Kunze zu Recht den Begriff "Traumwelt"33 ab. Ein "Waldstück"34, so hatte Wagner selbst seinen Siegfried genannt, und hoch oben "auf wonniger Waldeshöhe"35 sollten die Festspiele ein eben solches werden, in "schöne[r] Waldeinsamkeit"36 ebenfalls zu Träumen und "[s]innende[m] Schweigen"37 verleitend. 26 [Spahn, 1998], S. 30 27 [Horst, 1998], S. 23 28 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988k], S. 247. ('Bad der Seelen' im Original hervorgehoben.) 29 [Gutman, 1970], S. 334 30 [Schiller, 1962], S. 100 31 Brief Richard Wagners vom 20. 11. 1851 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 195 32 Brief Richard Wagners vom 30. 1. 1852 an Franz Liszt. Ebd., S. 206 33 [Kunze, 1983], S. 167 34 Brief Richard Wagners vom 20. 11. 1851 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 199 35 Brief Ludwigs II. vom 21. 8. 1865 an Richard Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936b], S. 161 36 Brief Richard Wagners vom 28. 6. 1857 an Franz Liszt. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988a], S. 524 37 Siegfried, 2, 2. [Wagner, 1998b], S. 68 194 Hier wie dort ging es um eine "Natur-Traumwelt".38 Romain Rolland über das Nibelungen-Epos: Ein "Wald von ungeheuren Tiefen, mit allen unseren Träumen bevölkert". 39 Auch was Wagner über die Wirkung seiner melodischen Neuerungen gesagt hatte, war nicht nur symbolhaft, sondern hatte einen handfesten Sinn: Die "Stimmung", "wie sie ein schöner Wald am Sommerabend auf den einsamen Besucher hervorbringt, der soeben das Geräusch der Stadt verlassen"40, war ebenso ausschlaggebend für die infrastrukturellen und architektonischen Neuerungen in Bayreuth – interessant mit Bezug auf den Siegfried auch der Nachsatz: "[D]as Eigenthümliche dieses Eindruckes [...] ist das Wahrnehmen des immer beredter werdenden Schweigens". 41 Daß 'die Lage des Festspielhauses in sich Regie' sei, wie Wieland Wagners dies einmal formuliert hat, ist sicher mehr als zutreffend. Der Grüne Hügel sollte die "Pflanzstätte"42 für ein neues, irdenes Paradies werden, abgeschieden von der Außenwelt und diese doch vollends verkörpernd. Zwar war dessen Gelände zu Wagners Zeit noch gar nicht so grün – schaut man genau hin, so bestand das erträumte Paradies lediglich aus ein paar frisch gesäten Grasflächen, ja bis "zur Mitte des Eröffnungsjahres" 1876 lag der Baugrund des Festspielhauses "brach und nur notdürftig eingeebnet"43; Fotografien zeigen sogar noch aus den ersten Jahren der Festspiele kahles Terrain rund um die Baustelle und belegen, daß sich zunächst nur ein "schattenlose[r] Weg"44 die Anhöhe hinaufwand. Doch gemäß der architektonischen Planungen wurde der Hügel rasch aufgeforstet, sollte sich nach den Bauarbeiten re-integrieren in die Landschaft und lag vor allem selbst schon, locus amoenus, inmitten anderer und höherer Hügel lieblich eingebettet im fränkischen Umland, traumselig wie sonst nur das Rheingold in seinem Flußbett. 45 Die Absicht ist also klar. Es ging um das Zurücksinken in den Schoß der Natur, in den Schoß der "in Schlaf und Traum heilenden und helfenden Natur"46, wie Nietzsche es für die Geburt der Tragödie formuliert hatte. Wagner schloß sich dem Gedanken sofort an, und zwar indem er ihn erweiterte. Nach dem Prinzip der dialektischen Steigerung müßten die Festspiele mit dem Erwachen der Natur zusammenfallen, so meinte er. Ungefähr "in den 38 Brief Richard Wagners vom 23./ 24. 2. 1869 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936c], S. 257. Und es war auch mehr als eine Laune, daß Wagner sich in genau dem Moment, da der König die Ausführung des Festspielhauses bewilligt hatte, fühlte, als sei er selbst der zu einem neuen Leben erwachende Siegfried: "[E]s [ist] mir, als ob mein ganzes Leben jetzt in einen solchen Waldfrühlingszauber geriethe. [...] Nun denken Sie, Geliebtester, diesen ungemein erregten Zustand, in welchem ich hellsehend werde, wie nie! Soll diess nur ein Traum sein?" Brief Richard Wagners vom 16. 9. 1865 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936b], S. 182f. 39 [Rolland, 1925], S. 70 40 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 173 41 Ebd. 42 [Glasenapp, 1912], S. 7 43 [Kraft, 1969], S. 24 44 Ebd., S. 22 45 Es mag also sein, daß der "Hügelname [...] einer Trotzbehauptung [gleicht]", wie Klaus Geitel es einmal behauptet hat. [Geitel, 1999], S. 23. Allerdings ist Geitels Begründung – "Keiner war auf dem Grünen Hügel seit eh und je dem anderen grün" – weniger einleuchtend als die Tatsache, daß ein Grüner Hügel schon zuvor einmal in Wagners Biographie, nämlich im Wesendonk-Domizil auf dem Zürcher Rieterberg, mit Weltabgeschiedenheit, Glück und der utopischsten aller Wagner-Schöpfungen, dem Tristan, assoziiert worden war und so dann wahrscheinlich auch rund 20 Jahre später nach Bayreuth versetzt wurde. 46 Geburt der Tragödie. [Nietzsche, 1988e], S. 27 195 ersten Frühlingsmonaten"47 sollten sie stattfinden, heißt es seinem Vorwort zur Herausgabe der Ring-Dichtung. Eine "vollständige Aufführung des vollständigen dramatischen Gedichtes" habe dann "im vollen Sommer"48 zu folgen. Der Plan, daß eine neue Kunst die alten, obsolet gewordenen Künste ablösen müsse, war für Wagner unmißverständlich an die Pointe gekoppelt, daß auch die Natur im Frühjahr aus ihrem Winterschlaf erwacht und frische Blüten hervortreibt. Bereits den antiken Festspielen, auf die nicht nur Nietzsche, sondern auch er selbst sich berief, lag schließlich der jahreszeitliche Rhythmus zugrunde, und schon bei der Konzeption des Rings war er mit entsprechenden Bildern umgegangen: "Nun ist es bei mir einmal wieder Auferstehung", schrieb er im April 1852, "die Natur erwacht, und ich erwache mit ihr aus winterlichem Mißmute. [...] der vollständige Entwurf zu meinem großen Vorspiel [Rheingold] ward in diesen Tagen fertig."49 Die Festspiele sollten Wiederauferstehung bedeuten und sind so, alljährlich zelebriert, noch immer ein pantheistisches Manifest. Eine Art Naturschauspiel der Kunst, welches der Anbindung an den Wachtraum des Mythos' nirgends enträt. Selbst das Timing der Vorstellungen wurde in Bayreuth auf diese Art zu einem Teil des großen Szenarios. "Die Athener saßen von Mittag bis in die Nacht vor der Aufführung ihrer Trilogien, und sie waren ganz gewiß nichts Anderes als Menschen; allerdings waren sie aber namentlich auch im Genusse thätig"50, bemerkte Wagner schon 1850 in einem Brief an den Regisseur Genast. Mit Rekurs auf die antike Spielplandramaturgie legte er deshalb für Bayreuth fest, daß alle dortigen Vorstellungen "Nachmittags um 4 Uhr beginnen"51, gewöhnlich von zwei Aktpausen unterbrochen sein und nachts gegen 10 enden sollten mit Ausnahme der allerersten Aufführung des Rings, die er für Sonntag, den 13. August 1876, ausnahmsweise um 7 Uhr abends angesetzt hatte, um dem Zeitplan des Kaisers von Brasilien entgegenzukommen. Jeden Abend jedoch sollte es um eine Inszenierung des Verdämmerns gehen, um den sanften Übergang zur Nacht, um ein Embarquement. Immer wieder hob Wagner "den Sonnenuntergang vor dem letzten Akte" hervor, der dem Ganzen "eine besonders weihevolle Stimmung geben wird".52 Vor allem sprach er von der "eintretende[n] Dämmerung", die erst die "Andacht" erzeugt, "ohne die kein wirklicher Kunsteindruck möglich ist"53 und die im Rahmen des Festspielgedankens nichts anderes repräsentiert, als die Voreinstellung zu jener künstlichen Nacht, die den Zuschauer umhüllt, sobald der Vorhang in Bayreuth sich hebt. Cosima sagte es deutlich: "Sonnenuntergang-artig strahlt mir dieser Bau entgegen; keine Morgenröte!"54 Wie Borchmeyer zusammenfaßt, "senkt sich hier die Nacht des verdunkelten Zuschauerraums" 47 Vorwort zur Herausgabe der Dichtung 'Der Ring des Nibelungen'. [Wagner, 1872g], S. 386 48 Ebd. 49 Brief Richard Wagners vom 4. 4. 1852 an Julie Ritter. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1920], S. 74 50 Brief Richard Wagners vom 23. 9. 1850 an Eduard Genast. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1975], S. 574 51 Brief Richard Wagners vom 1. 10. 1874 an Ludwig II. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936d], S. 41 52 Ebd., S. 42 53 Vorwort zur Herausgabe der Dichtung 'Der Ring des Nibelungen'. [Wagner, 1872g], S. 389 54 TB vom 24. 5. - 29. 5. 1876. [Wagner, 1976a], S. 988. Ein paar Monate vorher hatte Cosima übrigens folgende, wunderbar anekdotentaugliche Situation notiert: "Brandt klagte gestern, man könne für Deutschland nichts bekommen; er brauche rosa Glas für Sonnenaufgang, er muß es in Frankreich bestellen." TB vom 22. 2. 1876. Ebd., S. 971. Mit 'Brandt' ist Carl Brandt gemeint, Wagners erster technischer Direktor der Festspiele. 196 gewissermaßen über "die vom Sonnenlicht durchfluteten Terrassen des attischen Amphitheaters".55 Wagner spitzte die antiken Vorgaben demnach ganz auf sich zu, freilich ohne sich um den Verschnitt zu kümmern, den er damit auch erzeugte. In Bayreuth setzte er das in die Praxis um, was er zuvor theoretisch veranschlagt hatte: Jede äußere Lichtquelle sollte zugunsten der inneren abgeblendet werden. Das Erwachen im Dunkeln entspricht den ästhetischen Grundsätzen der Beethoven-Schrift und fällt in eins mit jenem träumerischen Zurücksinken, das nötig war für den Schritt nach vorn in die Zukunft. "Tag – Nacht", lesen wir in Wagners Braunem Buch über die alten Vorbilder: Ein schönes Gefühl von der Nachtheiligkeit hatten die Hellenen. [...] am hellen Tage: [...] Irrthum – Verbrechen – Begehren. Nachmittag: [...] Rache – Sühne – Strafe. [...] Mit den Eumeniden dämmert der Abend; am Schluß volle Nacht: [...] Nun gebiert die Heiligkeit des Nachtgefühls auch die spielende Heiterkeit: [...] Die Welt entgaukelt sich ihres lastenden Ernstes, und – Ruhe wird möglich. – Hier Schlaf – dort Tod! –/ Das war schön –:/ und beim Frühlingsnahen spielten sie das! 56 <Den Steinen das Schwere nehmend> Nimmt man den inszenierten Wechsel zwischen Tag und Nacht ernst für Bayreuth, so wird man feststellen, daß dieser sogar für das Festspielgebäude nutzbar gemacht wurde. 1873 hatte Wagner beim Bürgermeister von Bayreuth durchgesetzt, daß bei einbrechender Dunkelheit sein "Theater erleuchtet werden sollte".57 Zunächst hatte dies massive Kritik aus den unterschiedlichsten Reihen hervorgerufen. Wagners Eingabe schien vermessen, besonders vor dem Hintergrund, daß die Beleuchtung öffentlicher Einrichtungen bislang nur nationalen Denkmälern zuteil geworden war. Doch pünktlich zu den ersten Festspielen hielt man den Grünen Hügel tatsächlich "bis Mitternacht glänzend und geschmackvoll illuminirt".58 Bereits 1882 überstrahlten zwei auf dem Dach des Festspielhauses montierte elektrische Lampen die ganze Umgebung so intensiv, "»daß man noch 10 Minuten vom Theater entfernt Gedrucktes auf offener Straße lesen konnte«"59; spätestens 1889 waren einem Bericht des Bayreuther Tageblatts zufolge "[s]ämmtliche [...] Wegpartien [...] fast bis zur Tageshelle erleuchtet."60 "Wie Wotan's Bau ragt es [das Theater] in rotem Lichte empor"61, bemerkte Cosima – ganz offensichtlich ging es hier nicht allein um propagandistische Nahziele, sondern ebenso um ästhetische Kernfragen. Das eine war der Zinsschein des anderen. Gewiß, Wagner nutzte die Situation, wie sie sich ihm bot. Die sprunghafte Entwicklung der Lichttechnik kam für ihn im richtigen historischen 55 [Borchmeyer, 1982], S. 162 56 BB vom 7. 2. [1866]. [Wagner, 1988b], S. 102f. 57 TB vom 13. 9. 1873. [Wagner, 1976a], S. 727 58 [Marr, 1876], S. 571 59 Zitiert in: [Baumann, 1980], S. 277 60 Zitiert in: Ebd. Von einiger Brisanz ist dabei, daß schon die Illuminationen, die 1876 bis in die Stadt Bay- reuth hinuntergereicht haben sollen, ausgerechnet das Mißfallen Ludwigs II. erregten und Wagner sich hier einem Verbot fügen mußte. Nach der Absage des Königs richtete man deshalb für das Jahr 1882 ein pyrotechnisches Spektakel ein, das nach dem 2. Akt Parsifal allerdings auch den ganzen Hügel erleuchtet haben dürfte. 61 TB vom 13. 9. 1873. [Wagner, 1976a], S. 727 197 Augenblick. Doch die Nachfrage war wohl auch durch ihn erzeugt worden, der Gedanke, daß der Festspielbereich auszuleuchten sei, ist lediglich eine weitere, pointierte Ergänzung jener Licht- und Schattenmetaphorik, die er in seiner Musikästhetik präfiguriert hatte. Das Festspielhaus auf dem grünen, schattigen, dämmrigen Hügel erschien, wie es gedacht war: als Licht am Ende des Tunnels. Notabene: Richard Fricke fand es eine Erwähnung wert, daß noch kurz vor der Eröffnung der Festspiele in den Nächten am Auditorium gebaut wurde62 – die Grundsteinlegung des Hauses hingegen hatte man mit dem "Wach-auf"Choral gewürdigt – konsistent wirkt hier selbst die Logizität der Bagatelle. Wagners Werk ließ sich und läßt sich nirgends trennen von den Mitteln, durch die es instand gesetzt wurde. Ebensowenig waren natürlich die Tag- und Nachteffekte in Bayreuth als Gegensätze gedacht. Die Festspieldramaturgie, die das Korrelat der Musikdramen darstellt, sollte in sich eine Überblendungstechnik sein. Wagner gebrauchte und erzeugte scharfe Kontraste auch hier nur, um sie zu dissolvieren. Tag und Nacht, Helles und Dunkles, Lichteinbruch und Lichtentzug waren für ihn keine Zustände, sondern Verlaufsformen, die per se imaginär waren. Insofern sollten die mitternächtlichen Illuminationen am Festspielhaus keineswegs dessen Konturen betonen, sie sollten diese aufheben. Von einer "Geistererscheinung"63 sprach Cosima in dem Zusammenhang. Carl-Friedrich Baumann hat angemerkt, daß die Lichtmaschinerie in Bayreuth durch ein spezielles Verwertungsverfahren mit der Erzeugung der Bühnendämpfe zusammenhing – Licht und Nebel konnten ineinander umgewandelt werden; es mag ein Beleg dafür sein, daß die Verschattungen sogar technisch einer Systematik unterlagen. 64 Schwaden – Dämmerung – verschwimmende Horizonte – schwebende Verbindungen – pastellartige Aureolen – dasselbe Bauwerk, dessen Fundamente man tief in den Hügel hineingetrieben hatte, sollte den Steinen gleichzeitig die Schwere nehmen. Das entspricht einem Wechsel der Aggregatszustände, und nicht nur Wagners Musik, auch dessen architektonische Finessen wird man deshalb eine 'Kunst des Übergangs' nennen dürfen. Schon in seinen Feen war ja eine zu Stein verwandelte Märchenfrau durch Gesang entzaubert worden. Einen "Zauberstein"65 nannte Wagner vielleicht auch in diesem Sinne den Grundstein des Festspielhauses. Nur konsequent ist es, das Gebäude im weiteren als "Mystifikationsarchitektur"66 zu bezeichnen. Denn sofern in ihm die Musik 'wahrtraumhaft' erwacht und transparente Gestalten ausbildet, scheint es selbst der durch Zement gebundene Nebel zwischen Tag und Nacht zu sein – ein "visionary project [turned] into concrete [...] reality".67 Ein Gebäude, dessen Evidenz sich durch Transzendenz behaupten sollte. 62 Siehe: [Fricke, 1906], S. 37 63 TB vom 13. 9. 1873. [Wagner, 1976a], S. 727 64 Siehe: [Baumann, 1980], S. 276f. Eduard Hanslick schrieb zu diesem Thema übrigens folgendes: "Diese Dämpfe, die im Rheingold sogar die Stelle des Zwischenvorhangs vertreten, bilden eine Hauptmacht in Wagner's neuem dramatischen Arsenal. Als formlos phantastisches, sinnlich berückendes Element entspricht der aufquellende Dampf ganz besonders dem musikalischen Principe Wagner's." [Hanslick, 1885], S. 248f. 65 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 392 66 [Wagner, 1999b], S. II 67 [Shaw, 1932], S. 271 198 Und in der Tat, es war "das Ergebnis einer Distanzierung – räumlich und faktisch". 68 Das Ergebnis einer Distanzierung vor allem deshalb, weil Wagner das Äußere des Festspielhauses nie anders denn als Provisorium verstanden hatte – nicht mehr als der "Schattenriß einer Idee"69 sei es, schrieb er an Feustel. Der "sehr uninteressante[...] Außentheil"70 war notwendig, aber nicht wichtig gegenüber der Bedeutung des Innenraums, hätte nach Wagners Geschmack sogar nach Ablauf der Festspiele abgebrochen werden können. So zumindest hieß es in den frühen Mitteilungen zum Festspielgedanken, und genaugenommen ist Bayreuth auch heute noch ein Kern ohne Schale, ein Haus ohne Entrée, ohne Umlauf, ohne Dach und Keller soweit man die technischen Einrichtungen beiseite läßt, die für Vorder- und Seitenbühne, Ober- und Untermaschinerie erforderlich sind. Der "Alles spannende"71 innere Bezirk des Festspielhauses sah die Tilgung aller ursächlichen Schwerkräfte vor, war gedacht als Luftkapsel um einen unsichtbaren Brennpunkt und ästhetisch damit nicht nur die Entsprechung zu dem, was Wagner mit seinem 'mystischen Abgrund' zu etablieren hoffte, sondern auch das Äquivalent zur Traumtheorie der Beethoven-Schrift: Es ging um den musikalischen, den transzendenten Raum, in dem die erdhaften Lineamente aufgehoben und die "architektonische Wirklichkeit"72 vergessen werden sollte. "Es handelt sich nicht allein um den Ort in seiner rein geographischen Bestimmung, sondern auch um den Raum [...] als Atmosphäre". 73 Der Innenraum in Bayreuth ist folglich Musik und beherbergt sie nicht nur. Genauso wie die Träume repräsentiert und entbirgt auch er die Töne. Das Gebäude, das diesen solitär geistigen Raum umschließt, ist nur ein Klangkörper, eine "architektonische Hülle"74 – bezeichnend, daß der erste Münchener Entwurf des Festspielhauses in einen Glaspalast eingebaut und von durchsichtigen Mauern umschlossen sein sollte. Im Verhältnis dazu war Bayreuth später ein nur mehr zurückgesteckter, kaschierter Modernismus, doch wurden auch dort die Mauerwerke zu Membranen, die nun auf ihre Art durchlässig sind und durch die die Töne frei zirkulieren können. Das Haus erscheint als ein nach außen gewendetes Inneres. Das 'unsichtbare Theater' ist in Wahrheit ein akustisches Phänomen. Was Cosima als 'Geistererscheinung' wahrgenommen hatte, bezeichnete Wagner selbst, der sich zuzeiten wie ein "Zaubrer"75 vorkam, als "Märchen"76, "Spuk"77 und "Traumerscheinung". 78 Hatte er in der BeethovenSchrift niedergelegt, daß die Töne eine Parallelerscheinung zu den Träumen seien, so war jetzt sein Theater ein eben solcher Traum, in letzter Steigerung immateriell wie die Mu- 68 [Kunze, 1983], S. 172 69 Brief Richard Wagners vom 12. 4. 1872 an Friedrich Feustel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1907a], S. 78 70 Brief Richard Wagners vom 16. 2. 1873 an Carl Brandt. Ebd., S. 118 71 Ebd. 72 [Fliedner, 1999], S. 35 73 [Lucas, 1973], S. 38 74 [Fliedner, 1999], S. 7 75 TB vom 9. 7. 1882. [Wagner, 1977], S. 977 76 TB vom 24. 9. 1873. [Wagner, 1976a], S. 732 77 TB vom 29. 11. 1879. [Wagner, 1977], S. 454 78 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 402 199 sik, für die es gebaut wurde. Da "Alles [...] nur die Idee anzeigen"79 sollte, ist es womöglich die "gewaltigste szenische Verdeutlichung [...] einer Phantasie, die das unabweisbare Recht auf Verwirklichung besitzt."80 Das Pattern wiederholt sich: Der Traum drängt dem Erwachen entgegen. Daß das Träumen auch intransitiv sein, gar erlahmen kann, sobald es nicht mehr als Aufgabe begriffen wird, belegen all die Darstellungen, die Bayreuth ohne Festspielhaus und ohne Festspielverkehr als "liebliche[s]", aber allzu fades, "stille[s] Bayreuth"81, als "sleepy little Bayreuth"82 und "verschlafene"83 oder "verträumte[...] Kleinstadt"84 kennzeichnen. Ein Traum kann zum Schemen werden, und bemerkenswert ist nur, daß das Bild des Schlafes dabei selbst signifikant bleibt – der Topos scheint sich hier trotz dialektischer Herabstufung als Hypertext zu behaupten. Außerhalb der Festspielzeit sei das Festspielhaus "ein leeres, im Halbdämmer schlummerndes Gehäuse"85, sagt Oswald Georg Bauer. Ohne Wagner wäre Bayreuth "relapsed into its old-world slumber"86 – "[r]ings herum alles im Winterschlafe".87 Wilhelm Kienzl im Jahr 1879: Als ich vom Bahnhofe durch die Straßen in das Innere der Stadt wanderte, winkten mir von allen Seiten Fahnen aus den Häusern entgegen. Sollte ich nur aus kurzem Schlafe erwacht sein, und nun der ganze Zauberspuk der Festspiele seine Fortsetzung erleben? Leider noch nicht! 88 Felix Weingartner faßte die festspiellose Zeit nach 1876 folgendermaßen zusammen: "Sechs Jahre schlummerte das 'Geheimniss', das der Grundstein des Festspielhauses verschloss".89 Ohne Wagner muß Bayreuth tatsächlich in einem bleiernen Schlaf gelegen haben, traumlos und perspektivlos. Noch Friedelind Wagner empfand die Zeit zwischen den Festspielen jedesmal als "Dornröschenschlaf"90. Gerade in dieser Hinsicht aber scheint es konsistent, daß auch das Erwachen schließlich mit "der schlafenden Königstochter des Märchens verglichen worden [ist], die auf ihren Erwecker aus dem mehr als hundertjährigen Zauberschlaf harrt!"91 Es verweist auf den Brünnhilden-Schlaf, der in der Rezeptionsgeschichte generell zu einer Chiffe für Wagners Gesamtwerk stilisiert wurde: "Lang war mein Schlaf:/ ich bin erwacht:/ wer ist der Held,/ der mich erweckt'?"92 Bereits in Simrocks Deutscher Mythologie, die auch Wagner studiert hatte, war das Motiv angeklun79 Brief Richard Wagners vom 17. 4. 1872 an Friedrich Feustel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1907a], S. 84 80 [Loos, 1952], S. 430f. 81 Brief Richard Wagners vom 1. 5. 1871 an Lorenz von Düfflipp. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1970], S. 809 82 [Newman, 1960d], S. 447 83 [Marcuse, 1973], S. 216 84 [Rosendorfer, 1991], Klappentext 85 [Bauer, 1992], S. 47 86 [Newman, 1960d], S. 361 87 [Kienzl, 1904], S. 286 88 Ebd., S. 264 89 [Weingartner, 1897], S. 2. (Hervorhebung von der Verf. J. D.) 90 [Wagner, 1999a], S. 85 91 [Glasenapp, 1908], S. 348 92 Siegfried, 3, 3. [Wagner, 1998b], S. 112 200 gen: "Wenn da einst unsere alte Dichtung ihre Stätte wiederfindet, dann ist Dornröschen aus dem Zauberschlaf erweckt [...] dann wird die Schlacht geschlagen, die auch die letzte unserer verlornen Provinzen an Deutschland zurückbringt."93 Die Transposition ließ nicht lange auf sich warten. Stellvertretend für die 'letzte Provinz', die Deutschland noch fehlte, wurde die Wiedererweckung der deutschen Kunst zelebriert und "Bayrisch-Dornröschen"94 wachgeküßt. Doch zurück zum Festspielhaus. Sowohl der Metaphernwechsel zwischen dem Schlaf und dem Wachen wie auch die Differenz zwischen Schlaf und Traum, die dem Turnus der Festspiele unterlegt ist, scheinen sich in diesem selbst zu verkörpern. Saisonale und universale Gesetzmäßigkeiten sind in die architektonische Konzeption Bayreuths integriert, und das Theater Wagners stellt damit eine geradezu traumartige Biosphäre dar. Das Festspielhaus sollte nicht allein die beseelende, sondern vor allem die beseelte Architektur inkarnieren. Von keinem anderen Ort oder keinem anderen Theaterraum ließe sich denn auch so leicht behaupten, daß er 'lebendig' wäre und 'atmen' würde (was durch die unvergleichliche Resonanzfähigkeit der Baumaterialien in Bayreuth sogar technisch belegbar wäre). Die Dämmerungsästhetik erreicht kreatürliche Präsenz. Sollte die Außenfront des Festspielhauses die Gravitation szenisch überwinden, so war das gleichzeitig eine Parabel dafür, daß an dessen Stelle eine Innenansicht der Dinge zu treten habe. Daß die Festspiele wiederholt mit einer "Andachtsfeier"95 oder "Trance"96 verglichen worden sind, kommt nicht von ungefähr, und daß nicht wenige Besucher die "weihevolle Prozession"97 von der Stadt Bayreuth auf den Festspielhügel hinauf auch heute noch als einen Akt spiritueller Reinigung empfinden, ebensowenig. Die Träume zeigen auf der einen Seite das Wesenhafte, auf der anderen tendieren sie zur Unschärfe. <Schlaftempel und Tempelschlaf> Auf dem Grünen Hügel ging es und geht es augenscheinlich immer noch um eine ganz spezifische, nämlich esoterische Form von 'Anwesenheit'. Daß Bayreuth zweifelsohne Werkstattcharakter besitzt, hat nichts daran geändert, daß die Weihestätte zu einer kultischen Handlung animiert. Ein "Musikevangelium"98 ist diese Art der Verkündigung, eine "Theaterkirche"99 diese Art der Verortung genannt worden. Udo Bermbach merkte an, daß Bayreuth "ähnliche, vielleicht sogar identische psychische Prozesse"100 auslöse, wie sie heute ein Gottesdienst erzeugt oder früher die mythischen Formen der Epiphanie erzeugt hätten. Daß göttliche Offenbarungen in der Kunst zu finden seien, hatte schon Wagner behauptet und dafür 1880 die Schrift Religion und Kunst verfertigt, um zu beweisen, daß die Religion als Kunst praktiziert und unsere mythischen im Grunde als 93 [Simrock, 1874|, S. 5 94 [Marcuse, 1973], S. 216 95 Ebd., S. 168 96 Ebd., S. 173 97 [Gebhardt/ Zingerle, 1998], S. 4 98 Zitiert in: [Tappert, 1967], S. 103 99 [Berkéwicz, 1999], S. 12 100 [Bermbach, 1996], S. 110 201 künstlerische Symbole dargestellt werden müßten. Früh hatte Cosima notiert, daß "R. [...] die Sprache des Priesters" sprechen und daß "das Theater seines Gedankens [...] ein Tempel"101 sein müsse. Richard Strauss: Als ich in Olympia stand, auf der Stätte reinsten Gottesfriedens, einem Platz so ausgesucht 'heilig', ganz ringsum von sanften, grün und braun gefärbten Hügeln umgeben, zwischen zwei Flüssen der heilige Tempelbezirk [...], wie gedachte ich da Bayreuths. Hier in Olympia schafft ein Volk aus sich heraus [...] Volk, Kunst, Natur, Religion vereinigen sich [...]. 102 Auch die Festspiele also ein kollektives Pilgerritual, Bayreuth der "Schwerpunkt der Authentizität"103, an dem sich tatsächlich die Götter zeigten: "Auf wolkigen Höhn/ wohnen die Götter:/ Walhall heißt ihr Saal./ Lichtalben sind sie;/ Licht-Alberich,/ Wotan waltet der Schar."104 Diejenigen dürften nicht ganz falsch gelegen haben, die das Programm des Kunsttempels mit einem Kultus verglichen und das Festspielhaus als Replik der antiken Tempel bezeichnet haben. Die Wiederauflage dramaturgischer Gebrauchswerte ist nicht von der Hand zu weisen. Nur: Wagners Bayreuth lag am Ende nicht in Delphi, Wagner war kein Kopist, sondern Interpret. Allein daß der offene Theaterraum der griechischen Arena in Bayreuth unter dem Dach eines geschlossenen Theatergebäudes eingefangen, der Tag in eine neo-mythische Nacht verwandelt und der Himmel buchstäblich zu einem bühnentechnischen Versatzteil rearrangiert werden mußten, zeigt, daß Würdigung und Widerspruch hier nie klar voneinander zu trennen waren. Um so mehr sollte es darum gehen, beides gelten zu lassen, wo der Versuch unternommen wird, Wagners Theaterprinzipien historisch zu verorten. Im folgenden ein Probelauf: Die großen Tempelbezirke der Antike waren keine Einsiedelei, das ist bekannt; sie stellten eine Agglomeration der unterschiedlichsten Institutionen mit je unterschiedlichen Aufgaben und Angeboten dar – weites Gelände, gestreute Interessen, professionierte Geschäftigkeit, eine Art Messeschau zur Zeit der Theaterturniere. In Bayreuth dagegen scheinen sich diverse 'Tempelmodule' architektonisch und ideologisch, real und mental zu überlagern. Ein einziges Gebäude sollte alle vorhandenen Energien auf einen Fleck zusammenziehen. Lebte die extravertierte, antike Festivalidee auch in der Wagnerschen weiter, so forciert letztere doch viel eher die Introspektion. Der Schwerpunkt ist verlagert, konzeptionell ging es von Anfang an um eine andere Art der Zentrumsvorstellung. Die Geschäftigkeit der "Bayreuth-Pilger"105 unterlag keinem Selbstzweck, sondern war immer ein Mittel, um die Ausschaltung der äußeren Reize einzuleiten. Als "kühne[r] Traum"106 wurden Wagners 'Bühnenweihfestspiele' marktgängig gemacht; Wagners Musik als 'Traumgeburt' zu bezeichnen ist mit Blick auf dessen musikästhetische Ausführungen keine metaphorische Verlegenheit; nicht nur der Künstler, auch der einzelne Festspiel101 TB vom 4. 10. 1869. [Wagner, 1976a], S. 157 102 Brief Richard Strauss' vom 9. 12. 1892 an Cosima Wagner. [<Wagner, Cosima - Briefe>, 1978], S. 141f. 103 [Wapnewski, 1983], S. 163 104 Siegfried, 1, 2. [Wagner, 1998b], S. 30 105 [Metken, 1998], S. 44 106 Brief Ludwigs II. vom 6. 12. 1866 an Richard Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1936c], S. 108 202 besucher kann erst durch den Zustand des Wahrträumens bildungsfähig werden. Kontemplation war demnach Wagners Devise – und vom theatralen Standpunkt aus scheint das geradezu die Umkehrfunktion jener (vermeintlichen) Aushäusigkeit zu sein, durch die sich die antiken Theaterbotschaften mitzuteilen suchten. Doch wie gesagt: 'vermeintliche' Aushäusigkeit. Denn den antiken Theaterstätten waren auch – wenngleich dies von den Theaterwissenschaften nicht immer ausreichend hervorgehoben worden ist – geschlossene Tempelgebäude beigeordnet. In unmittelbarer Nachbarschaft der Arenen fanden sich oft jene berühmten Asklepieien, deren Semiotik sich in Bayreuth fortzuschreiben scheint. Es ging um Heilrituale. An geweihten Quellen oder Hügeln konnte man sich gegen Entgelt dem Tempelschlaf, der sogenannten 'Inkubation' hingeben, die des Nachts im innersten Raum des Heiligtums abgehalten wurde, um den Kontakt zu den Göttern herzustellen und spezifische Therapie- und Zukunftsorakel freizusetzen.107 Man könnte sagen, daß das Träumen hier nicht nur kultiviert, sondern sogar institutionalisiert wurde – manches Asklepieion soll eine solchen Zustrom von Besuchern gehabt haben, daß in den Tempelvorhallen lange Säle mit Schlafkabinen angelegt werden mußten. Epidauros, eine der bedeutendsten Heilstätten der antiken Welt, ist wiederholt mit einem Sanatorium, gar mit einem "Kurhotel"108 verglichen worden, dessen nächtliches Mysterium auf eine umfassende Cura animae abzielte. Es heißt, "der Seele [wurde] viel mehr angeboten, als was wir heute an irgendeiner Heilstätte, sei es eine Universitätsklinik oder Lourdes, finden".109 Und Bayreuth? – Widerspruch scheint angebracht. Wohlbemerkt, bislang ist nicht nachgewiesen, ob Wagner sich im Sinne des 'Festspieltheaters der Zukunft' systematisch mit diversen antiken Tempelformen beschäftigt hat. Allerdings ist dies auch nie überprüft worden, so weit sich die Forschungslage überschauen läßt, und was in dieser Arbeit nur ein Fingerzeig bleiben kann, müßte an anderer Stelle dringend fundiert werden. Denn die Kongruenzen wirken mindestens so auffällig wie unalltäglich. Auch in Bayreuth sollten Epiphanie und Schauspiel, Illusionismus und Pragmatismus, Mythisches und Utopisches aufeinander bezogen werden. Wie in den Tempelhallen der Asklepieien geht es für die Bayreuth-Pilger um das Mixtum compositum von Körper und Geist. Schlaf ist ein homöopathisches Therapeutikum – der Traum und seine visionäre Gestaltenbildung bedeuten Rekonvaleszenz – der kollektive Dämmerzustand wird zum physiatrischen Modell. Das Festspielhaus zeigt sich als Manifestation eines Künstlers, der auch sonst das Entfernteste miteinander in Kontakt zu bringen suchte: als Konglomerat, das die Verbindung zwischen der weitgespannten Cavea der antiken Theater und der umfriedeten, überdachten Sonderform der Schlaftempel herstellt. Inkubationsmantik demnach am Festspielhügel? Musiktheater als surrealistische Erkenntnisorganisation? Möglicherweise. Denn Wagners Festspieldramaturgie wollte jene Träume 107 Übersichtliche Angaben zum oft beschriebenen antiken Inkubationsorakel verzeichnen vor allem: [Büchsenschütz, 1868], [Hey, 1908], [Hopfner, 1937], [Kerényi, 1948], [Meier, 1949], [Price, 1986], [Weinreich, 1909]. 108 [Meier, 1975], S. 106 109 Ebd., S. 109 203 instand setzen, die uns zu einer gesteigerten Wachheit verhelfen. Der Vorgang der Inkubation führt die Inkubierenden durch die Pforte des Schlafs hindurch in einen Innenraum, in dem sich das Numinose zu erkennen gibt. <Lichtschleuse: Das Szenario der Saalbeleuchtung> Die Strategie für Bayreuth sah also einen 'Energieaustausch' vor, im übertragenen Sinn in Form einer Kontraktion, durch die die Außenwelt durch die Innenwelt ersetzt werden konnte – Bayreuths Besucher wurden "mit Geschick immer mehr entmaterialisirt"110, bemerkte Wilhelm Marr einmal, dies zwar nur im Scherz, doch bewies er damit genau jene Instinktsicherheit, die erforderlich war, um Wagners Transzendentalästhetik überhaupt durchdringen zu können. Im gegenständlichen Sinn ging es um eine Staffelung der Lichtdramaturgie. Die Dialektik, die sich zwischen Nacht und Tag, Schlafen und Wachen aufspannt, wurde übersetzt in ein Beleuchtungskonzept, dessen Kulminationspunkt das Zwielicht war. Den Weg zum Festspielhügel hinauf und in das Festspielhaus hinein könnte man darum eine Lichtschleuse nennen, durch die dem Tag stufenweise Licht entzogen werden sollte, um dieses rückwärtig der Nacht zuzuführen. Paul Lindau sprach hier von einer "Entleuchtung"111, und der Begriff scheint außerordentlich treffend, insofern er den Vorgang der Verdunklung bezeichnet, ohne von diesem doch die Qualität des Lichts abzuziehen. Was heißt das konkret? Festspielbeginn – Sonnenuntergang – illuminierte Dämmerung; die nächste Station auf diesem Weg ist nun: der "unendlich kostbare Hauptinhalt"112 des Hauses, der Bayreuther Zuschauerraum, den Cosima gleich beim ersten Mal als "traumhaft"113 empfunden hatte. Kaum daß man ihn betritt, umgibt einen dort "geheimnisvolle[s] Halbdunkel". 114 Gedämpfte Atmosphäre, wattierte Geräusche, nestwarme Umfriedung, "man fühlt sich [...] wie der Kurzsichtige im Winter, der von der kalten Straße in ein heißes Zimmer tritt, und dessen Brillengläser beschlagen". 115 Die äußere Sehkraft geht in actu verloren oder wird zumindest beeinträchtigt. Der Effekt zielt auf die Vorbereitung jener traumreichen (und pseudonatürlichen) Nacht, aus der heraus die Kunstproduktion laut Wagner überhaupt erst in Gang gesetzt werden konnte. Wohlbemerkt: Vorbereitung der Nacht. Denn an dieser Stelle geht es noch nicht um die Machinationen jener Verdunklung, durch die dieser Zuschauerraum später so berühmt wurde. Der Einzug der Gäste sollte in sich eine Zeremonie darstellen und repräsentiert eine von mehreren Dämmerungsstufen. Bezeichnend ist es natürlich, daß Wagners inszenatorisches Geschick die Verdunklung seines Zuschauerraums durch eine ganz neue Art der Beleuchtung vorzubereiten wußte. In seinen theoretischen Schriften hatte er es durchgespielt: Licht sollte der Dunkelheit als 110 [Marr, 1876], S. 585 111 [Lindau, 1877], S. 13 112 [Habel, 1970], S. 314 113 TB vom 24. 5. - 29. 5. 1876. [Wagner, 1976a], S. 988 114 [Glasenapp, 1912], S. 268 115 [Lindau, 1877], S. 13f. 204 Folie dienen, was impliziert, daß das eine nicht unter allen Umständen das Gegenteil des anderen sein mußte. Insofern entspricht auch das Saallicht in Bayreuth seiner doppelten Optik, stellt nicht nur die Rückseite der Dunkelheit dar, auf die es zu verweisen hatte, sondern trägt den Gedanken der Verdunklung bereits in sich. Am Ende sollte es wieder um Mischlicht gehen – "Götterdämmerungs-Nordlicht". 116 Die subkutanen Neuerungen für die Saalbeleuchtung in Bayreuth bestanden darin, Licht durch Schatten zu erzeugen. In praxi bedeutete das: Verzicht auf den obligaten zentralen Kronleuchter im Zuschauerraum, Verzicht auf Effekt- und statt dessen der Einsatz von gleichmäßiger Kranzbeleuchtung, wenig Dekor und dunkle, einfache Wandfarben, somit kaum Streulicht auf den Raumflanken, "in Summa [nur] 157 Flammen" im Zuschauerraum gegen "3246 Flammen"117 auf der Bühne, all das ist eine Verkehrung dessen, was im Theaterbau bis dato als bekannt vorausgesetzt wurde und spricht eine Sprache für sich. Bewußt sah man in Bayreuth von brillanter Beleuchtung ab, wie sie an anderen Opernhäusern der Zeit üblich war – die Pariser Oper soll über 2254 Gasbrenner im Zuschauerbereich verfügt haben118 – und verbarg das Neue in der Dämpfung. Was von den Zeitgenossen zunächst als Notbeleuchtung wahrgenommen wurde, war Absicht. Paul Lindau, dessen Bericht auch hier um Objektivität bemüht scheint, sprach von "matt[er]"119 Beleuchtung. Wagner wollte genau dies: graues Licht als traumartige, gar neo-mythische Urmaterie. Wie die Musik die Emanation des Traums war, so sollte das Licht die Spitze der Dämmerung sein. Verzicht also auch hier auf die grellen Effekte, die man Wagner so oft unterstellt hat. Statt dessen Rückzug, mattiertes Licht, Abschattierung. Warum? – Eine Beobachtung Nietzsches am Tag der Grundsteinlegung des Festspielhauses hilft weiter: Wagner habe da, so heißt es in Richard Wagner in Bayreuth, einen Moment geschwiegen und sah dabei mit einem Blick lange in sich hinein, der mit einem Worte nicht zu bezeichnen wäre. [...] und erst von diesem Wagnerischen Blick aus werden wir seine grosse That selber verstehen können. 120 Der visionäre, nach innen gerichtete Blick ist in der Tat symptomatisch für Bayreuth geworden. "[H]ier ist mein Reich"121, schrieb Wagner genau zu jenem Zeitpunkt, als seine Gegenentwürfe zur Wirklichkeit in Form seines Theaters manifest zu werden versprachen. Errichtet als Argument gegen den äußerlichen Leerlauf des Fin de siècle entspricht das Festspielhaus einer Zementierung der Innenwelt, und dessen Innenraum wiederum blieb die für Wagner auch einzig gültige seiner architektonischen Schöpfungen. Dahinter verbirgt sich der Gedanke des Gehäuses, so wie dieses in der Beethoven-Schrift exemplifiziert und wie es für die Herstellung von Kunst für notwendig befunden worden war, der 116 TB vom 4. 2. 1872. [Wagner, 1976a], S. 486 117 Zitiert in: [Petzet/ Petzet, 1970], S. 236 118 Siehe: [Baumann, 1980], S. 256 119 [Lindau, 1877], S. 14 120 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 434 121 Brief Richard Wagners vom 12. 4. 1872 an Friedrich Feustel. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1907a], S. 78 205 Gedanke der "schützende[n] mentale[n] Gehäusung"122, der bis in das biographische Material hineinreicht. Wir entsinnen uns: "Studierzimmer", die einem "nicht entgegenfunkelte[n], sondern dunkelte[n]"123 – Topos des berüchtigten 'Parsifal-Zeltes' in Wahnfried – sechsfache Draperien zwischen den Türen und vor den Fenstern – Dämmerungssehen. Schon hier spielte der Lichteinzug die Rolle, die er auch in Bayreuth spielen sollte. Der blinde Blick (der Blick Erdas!) geht zusammen mit der Vorstellung, daß das Theater zum Innenraum der Welt oder der Innenraum zur Welt des Theaters werden könne. "Wir bauen unsere Theater fensterlos wie die Brauer ihre Lagerkeller, aber nur, um desto vollkommener den Tag und die Nacht ins Licht zu rücken."124 Das schrieb Bertolt Brecht im Messingkauf, 1939. 1876: Die sanft ausblutende Beleuchtung des Bayreuther Zuschauerraums war ebensowenig nur ein Hilfs-, sondern ein Stilmittel, um die Atmosphäre jener Träume zu erzeugen, die Wagner auf seiner Bühne für uns visualisieren wollte – das Szenario einer Transformation. <Die Farben der Nacht> Dann aber schraubte er doch "ganz radical [...] das Licht aus."125 Vollständiges Dunkel. Tiefschlaf. Nietzsche, der zu den Götterdämmerungs-Proben 1876 kam, sah fast gar nichts mehr, wie er später notierte. Lag eben noch eine Dämmerung über dem Zuschauerraum, plötzlich war es Nacht. Kein Seiten- und kein Rücklicht mehr, kein Oberlicht, kein Umgangs- und selbst kein Arbeitslicht, nur objektlose, okkulte, obskure Nacht, eine Revolution für das damalige Theaterwesen, zweifelsohne. Eine Revolution in doppelter Hinsicht, da das Revolutionäre hier in der Reduktion und nicht in der Abundanz der Effekte lag. Fast erinnert Wagners Entschlossenheit in diesem Punkt an die mythische Vorstellung, daß Nyx, die Urgöttin der Nacht, nicht nur ihr Antlitz hinter schwarzen Schleiern verbergen, sondern außerdem eine unterirdische Höhle bewohnen mußte; die Nacht ließ sich am besten durch etwas Dunkles bezeichnen und versiegeln. Panikartige Reaktionen soll es darum nach Aussagen der zeitgenössischen Presse zur Uraufführung des Rheingold gegeben haben, Verunsicherung und Verärgerung bis zum Verdruß, die Bedeutungsdichte wurde als klaustrophobische Bedrohung wahrgenommen. Es gilt zwar unterdes als sicher, daß die undurchlässige Finsternis an diesem frühen Abend des 13. August 1876 die Folge einer technischen Panne gewesen ist. Wagner erklärte im nachhinein, daß die "genaue Abmessung der verschiedenen Brennapparate" nicht mehr rechtzeitig "hatte vorgenommen" und "der richtige Grad für die Einziehung der Beleuchtung nicht [hatte] [....] eingehalten" werden können, ein "Übelstand"126, der bei den späteren 122 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 390 123 Brief Peter Cornelius' vom 5. 5. 1862 an Joseph Standhartner. Zitiert in: [<Wagner, Richard - Briefe>, 1905], S. VII 124 [Brecht, 1993b], S. 703 125 [Lindau, 1877], S. 14 126 Rückblick auf die Bühnenfestspiele 1876. [Wagner, 1883e], S. 150. Stichwort 'Übelstand': Cosima registrierte im Oktober 1876 sogar folgenden Traum: "R. [...] hatte [...] geträumt, daß Siegfried aufgeführt würde und daß etwas Unrichtiges auf der Bühne [geschehen sei], »Brandt, die Beleuchtung geht ein«, mit diesen Worten sei er aufgewacht!" TB vom 21. 10. 1876. [Wagner, 1976a], S. 1009 206 Wiederholungen der Festspiele behoben worden sei. Doch die "starke Dämpfung des Lichtes"127 war natürlich Programm, und durchaus ging es dabei um eine "exzentrische Übertreibung"128, auch wenn Wagner dies später selbst gern abgemildert wissen wollte und man es vom heutigen Standpunkt aus als negative Dialektik durchgehen lassen könnte.129 Der "magisch[e] Moment"130 des Lichteinzugs war gedacht als Bannzone. Das äußere Licht sollte neutralisiert werden, dafür brauchte es starke Absorptionskräfte. Daß das technische Manöver dem Phänomen 'Musikdrama' an sich immanent war, zeigt sich daran, daß es mindestens so viele Nachahmer wie Kritiker gefunden hat. Schon 1878, heißt es, konnte man sich in München (sic) eine Wagner-Aufführung im Königlichen Hoftheater nicht mehr ohne Verdunklung vorstellen. Die rhetorischen Unruhen scheinen sich also rasch geglättet zu haben, nur: wie steht es mit den ästhetischen? Oft genug ist der Verdunklungseffekt in Bayreuth ein Politikum genannt und als solches interpretiert worden, man hat Wagner des Obskurantismus' verdächtigt, ihm eine Reihe tendenziöser Philosopheme unterstellt. Doch welche Pigmentierung hatte denn nun eigentlich die Nacht in Bayreuth? Wie dunkel war es konkret im Sommer des Jahres 1876 in Wagners Biosphäre? Wie dunkel sollte es werden? Wieviel Lichtmasse mußte nivelliert werden, damit die Qualität des "echtesten Bayreuther Dunkel"131, wie man die Mattierung des Saallichts in Bühne und Welt bald nannte, erreicht werden konnte? Seit der Romantik gehört es zum Common sense anzunehmen, daß die Nacht farbliche Nuancen besitzt und daß hier zu differenzieren poetologische Aussagen freilegen kann. Doch mit Hinsicht auf Wagners Kunstanspruch sind Fragen in dieser Richtung bislang weder geklärt noch je gestellt worden. Ein seltsames Manko, wenn man bedenkt, wie oft der Beginn des Rheingolds und jener Uranfang besprochen wurde, der auf die ultimative Dunkelheit angewiesen ist. Seltsam auch, insofern schon Cosima den Hinweis überliefert hat, daß etwa für den Parsifal eine Regulierung des Saallichts geplant war, um die Wirkung des Bühnengeschehens szenisch zu untermauern. 132 Das Argument, daß Farbeindrücke per se zu subjektiv seien, um zugewiesen und überliefert werden zu können, ist dabei nicht besonders zugkräftig. In der Wagner-Rezeption hat man sich noch nie gescheut, einzelne Werke Wagners farblich festzulegen. Dazu sind nicht einmal synästhetische Fähigkeiten nötig. Schon das Vorspiel des Lohengrin habe generell einen "irisierende[n], silberblaue[n] Glanz"133 meint Gregor-Dellin. Nietzsche hat "von der »blauen Musik« des Lohengrin [gesprochen] und Thomas Mann dies zu einer 127 Rückblick auf die Bühnenfestspiele 1876. [Wagner, 1883e], S. 150 128 Ebd. 129 Unhaltbar allerdings ist, was Bernd Künzig proklamiert: Wagner sei von dem technischen Fehler des Pre- mierenabends so beeindruckt gewesen, "daß er beschloß, ihn für die folgenden Aufführungen beizubehalten. Bis heute ist dies so geblieben." [Künzig, 1990], S. 21. Die These ist mit nichts zu belegen und widerspricht Wagners eigenen Aussagen. 130 [Metken, 1998], S. 44 131 Zitiert in: [Baumann, 1988], S. 219 132 Siehe: TB vom 22. 12. 1881. [Wagner, 1977], S. 855. Vgl. auch [Baumann, 1980], S. 260f., der die dazugehörigen Eintragungen von Julius Kniese anführt, die dieser nach Wagners Angaben im Klavierauszug des Parsifal vorgenommen hatte. 133 [Gregor-Dellin, 1980], S. 230 207 »blau-silbernen«"134 variiert, referiert Nike Wagner. Baumgart optiert für "silbrig". 135 Eine "traumhafte Bläue lockt die Phantasie"136, so Marcuse über den Tannhäuser. Liszt schrieb über die Ouvertüre desselben, der Tempel der Pilger dort erscheine "zunächst als Widerschein in blauer Woge oder erzeugt von regenbogenfarbigen Wolken".137 Den Tristan wiederum müsse man 'lila' spielen, soll Hans von Bülow auf einer Orchesterprobe in München gesagt haben. Cosima: "Abends sang R. etwas aus Tristan und sagte: Eine eigentümliche Farbe hat dieser Tristan, es ist alles wie violett, lila."138 Daß Wagners Musiktheater also koloristische Aspekte besitzt, ist nicht von der Hand zu weisen, kein Versuch, diese zu illustrieren, galt bislang als illegitim. Warum soll das nicht auch für jenes Fluidum gelten, aus dem die Musik emportaucht und das nur Pamphletisten als Blackout-Schaltung versachlichen?139 Konstruktive Unschärferelationen lassen sich bereits aus den Berichten ablesen, die noch um meßbare Angaben bemüht waren. Neben Wagner selbst, der seine Saalbeleuchtung "notwendig soweit vermindert" wissen wollte, "daß während des Aktes das Textbuch unmöglich nachzulesen sein kann"140, verzeichnete etwa das Deutsche Theaterlexikon 1889: "Während des Spiels wird im Zuschauerraum das Gas immer auf 3/ 4 gedreht"141, ein "Gläubiger" meinte hingegen 1896, "vor der Aufführung [sei es] drei Viertel dunkel", während der Aufführung "stockdunkel". 142 Dem Eindruck "völlige[r] Dunkelheit"143 scheint recht bald der des "Halbdunkel[s]"144, den Gefühlen der Erregung die der Besänftigung gegenüber gestanden zu haben. Während Mark Twain sich von einem "solemn gloom"145 umschlossen fühlte, fand Fontane es "stockduster". 146 Manfred Semper litt an der "absolute[n] Verfinsterung"147, Golther ließ sich vom "schwache[n] Dämmerlicht"148 inspirieren, Lindau glaubte sich zunächst in einem "Kellerraum"149 verirrt zu haben, meinte jedoch später, daß der "helle Schimmer der Bühne" so in den Zuschauerraum hineingespiegelt hätte, als sei die dortige Nacht vom "Licht[...] des Mondes"150 erhellt gewesen. Im Bereich 134 [Wagner, 1998a], S. 65. Von Nietzsche stammt übrigens auch folgende Assoziation, die sich, das ergibt ihr Kontext, mittelbar auf Wagner beziehen dürfte: "Nachtwach, schlafsehnsüchtig – hell röthlich braun." Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988k], S. 580 135 [Baumgart, 1982], S. 58 136 [Marcuse, 1973], S. 142 137 Zitiert in: [Baudelaire, 1979], S. 113 138 TB vom 3. 6. 1878. [Wagner, 1977], S. 106 139 Die Überlagerung von funktionaler und emotionaler Tiefenschärfe hat Richard Klein einmal in folgende schöne Wendung übersetzt: "Ein Wahlspruch von ihm [Wagner] könnte geradezu lauten: 'Die blaue Blume, das machen wir, das nehmen wir in Produktion'." [Klein, 1999], S. 209 140 Über den Gebrauch des Textbuches. [Wagner, o. J. e], S. 160 141 Zitiert in: [Baumann, 1988], S. 131 142 Zitiert in: [Baumann, 1980], S. 260. (Hervorhebung von der Verf. J. D.) 143 Zitiert in: [Baumann, 1988], S. 310 144 Zitiert in: [Baumann, 1980], S. 259 145 [Twain, 1923], S. 212 146 Zitiert in: [Baumann, 1980], S. 259 147 Zitiert in: [Baumann, 1988], S. 222 148 [Golther, o. J.], S. 72 149 [Lindau, 1877], S. 14 150 Ebd., S. 15 208 der Grautöne beginnt das Licht plötzlich zu verfließen, benachbarte Farbfrequenzen verschieben sich und werden zu Widersprüchen, und das 'Bayreuther Dunkel' erscheint als ein kreatürliches Lichtspektrum, innerhalb dessen "vollständig verfinstert"151 um einiges dunkler wirken kann als "fast vollständig verfinstert"152, weil eben auch den emotionalen Rezeptoren einmal ihr Evaluationsrecht eingeräumt wird. Daß man wegen des Lichteinzugs weder das Textbuch noch "factisch [...] die Hand vor den Augen sehen"153 konnte, läßt auf eine Dunkelheit schließen, die heller gewesen sein dürfte als die, die durch Frenzel überliefert ist: Man habe nicht einmal genau erkennen können, sagt dieser, "wie viele Kronleuchter im Saal vorhanden waren"154, und das ist bemerkenswert. Denn bekanntlich gab es ja in Bayreuth gar keine Kronleuchter. Doch zu beckmessern scheint so überflüssig wie unergiebig. Um was geht es hier im eigentlichen? Um die Nacht als Auftrittsplattform des Individuums! Ist der Lichteinzug in Bayreuth oft als Repressalie und Fanal eines Entmündigungsprozesses kolportiert worden, so ließe sich leichterdings behaupten, daß das Gegenteil zutreffender ist. Mit dem Einbruch der Nacht in den Zuschauerraum wurden nicht nur schlagartig alle äußerlichen Standesunterschiede egalisiert, die absolutistische Lichtquelle demontiert. Reziprok wurde ein neuer Freiraum deklariert. Verlieren festgefügte Bindungen, Hemmungen und Sanktionen in der Dunkelheit ihren Zwang, so konnte die Nacht auch in Bayreuth zum Katalysator der Ichsuche werden. Wir werden gleich noch einmal darauf zurückkommen nur soviel an dieser Stelle: Wagner hatte in seinen theoretischen Schriften die Subjektivierung der Kunstproduktion angekündigt; in seinem Publikum sah er mitnichten die anonymisierte Masse, sondern eine mündige Gemeinschaft, innerhalb derer in letzter Konsequenz jedem Einzelnen ein Erkenntnisauftrag zukam. Die Dunkelheit ist bei ihm der Umschlagplatz, an dem die individuelle Traumfähigkeit des namenlosen Subjekts in Anschlag gebracht werden konnte. 155 Mehr noch, erst die Verdunklung trieb jene Atmosphäre hervor, durch die sich das Musikdrama als Traumprodukt vieler Träumer realisieren ließ. "Das Erlebnis 'Wagner' [...] wirkt nicht rein als Kunst, es wirkt persönlich"156, im Grunde meint das: Das Erlebnis 'Wagner' wirkt persönlich, und erst deshalb kann das Kunstwerk entstehen. Mag der Subjektivismus in bezug auf den Verdunklungseffekt in Bayreuth also auch gelegentlich unergiebig oder sogar zügellos (gewesen) sein, man sollte ihm nicht spotten. In Anlehnung an Wagners ästhetische Grundsätze entfremdet nämlich nur das objektive und von außen kommende Urteil den Rezipienten von jenem Kunsttraum, dessen Koproduzent er bei genauem Hinsehen sein durfte. Es geht um das, was Wagner in Oper und Drama das "Gefühlsverständnis"157 genannt hat. Das "verhängnißvolle Warum?"158 151 [Hanslick, 1885], S. 228 152 [Pohl, 1883b], S. 268 153 [Lindau, 1877], S. 9 154 [Baumann, 1988], S. 129 155 Es sei hier auf Phänomen und Terminus der 'Bürgerlichen Dämmerung' verwiesen, die die Meteorologie als jenen Tagesabschnitt bezeichnet, in dem das Lesen der Zeitung im Freien noch möglich ist! 156 [Huch, 1911], S. 214f. 157 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 276 209 sollte aufgegeben, die 'Erkenntnis durch Wissen' weiterentwickelt werden zu einer 'Erkenntnis durch Glauben'. Insofern dürfte die Tatsache, daß das 'Bayreuther Dunkel' von Anfang an als variables Licht wahrgenommen und diskutiert worden ist, ein Zeugnis der traumgleichen, "mitwirksame[n] Einbildungskraft"159 und "imaginative[n] Beweglichkeit"160 sein, die nötig war, um sich überhaupt auf den Traum von der Kunst einzulassen. Wagner ist nachweislich nicht der Erfinder des regulierbaren Saallichts gewesen – dies soll bereits im 17. Jahrhundert in der italienischen Oper existiert haben. Doch daß es bei ihm einer theatergeschichtlichen Zäsur gleichkam, mag belegen, daß die Dunkelheit hier das erste Mal dramaturgisch eingebunden und die Zuschauer mit sich selbst konfrontiert waren. Selbst deren Irritationen könnte man bereits ein Signum der Imagination nennen. Und je intensiver die Bayreuther Nacht schließlich erlebt und je buchstäblicher ihr Farbwert bestimmt wurde, desto klarer läßt sich die Bereitschaft zum Traumbild erkennen, welches gemäß der Beethoven-Schrift als Katalysator der Kunst fungiert. Ob 'mondhell' oder 'stockdunkel', es war und es ist geradewegs immer so dunkel in Bayreuth, wie die "selbstschöpferische[...] Freiwilligkeit"161 des einzelnen Träumers es erfordert. Notabene: Diejenigen sahen am wenigsten, die Wagner Willkür vorwarfen; die jedoch, die sich eher zu Wagners Bewunderern zählten oder die zumindest den Freiheitsanspruch der Kunst billigen konnten, gingen von einer transparenten Nacht aus. Daß ein Routinier wie Glasenapp eine seiner frühen Bemerkungen über "die Dunkelheit" des Zuschauerraums ersetzte durch das Postulat, in Bayreuth habe es sich doch um ein "Halbdunkel"162 gehandelt, und daß auch Lindau die "völlige Dunkelheit" zugunsten eines "graulichen [das meint: aschgrauen] Zwielicht[s]"163 korrigiert wissen wollte, mag darauf hinweisen, daß der Wandel in der Wahrnehmung der Lichtwerte zusammenfällt mit einer Genese der Imaginationsbereitschaft. 164 <Physik als Metaphysik? Anmerkungen zur Technifizierung der Nacht> Eine Gegenfrage noch, es fiel das Wort 'Freiwilligkeit': Wie freiwillig aber kann ein Immersionsprozeß sein, der durch Simulation erzeugt wird? Die Nacht, nicht den Tag, nennt man die Mutter der Träume – im Sonnenlicht eines Hochsommermittages hätte weder die Fackelverlöschung des Tristan noch die Regenbogenbrücke des Rheingold noch der im 'rosig dichten Duft' liegende Venusberg Tannhäusers noch Wotans Abschied auf den Plan 158 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 152 159 Über Schauspieler und Sänger. [Wagner, 1873i], S. 234 160 [Borchmeyer, 1982], S. 52 161 Mittheilung an meine Freunde. [Wagner, 1872d], S. 302 162 Zitiert in: [Baumann, 1980], S. 18 163 [Lindau, 1877], S. 28 164 Es ist in der Forschung gelegentlich zu kurz gekommen, aber bereits für den Parsifal hatte Wagner daran gedacht, mehrere Abstufungen des Sallichtes parallel zur Handlung einstellen zu lassen (sic)! Cosima hat festgehalten, "welche Erfindung er gemacht hätte, nach dem Erglühen des Blutes würde er den Vorhang schließen, dunkel im Zuschauerraum werden lassen und die Musik also bis zum Schluß spielen." TB vom 22. 12. 1881. [Wagner, 1977], S. 855. Der Gedanke wurde später auf den ersten und zweiten Auszug ausgedehnt, Einzelheiten dazu sind in Julius Knieses Klavierauszug zu finden, es geht um Zwischenwerte wie "Dämmer", "ganz allmälig dunkler", "Hell Tag", "Volle Nacht im Zuschauerraum" und dergleichen mehr. Zitiert in: [Baumann, 1980], S. 261 210 gerufen werden können. Selbst Brünnhildes Erweckung wäre strukturell entstellt, würde sie nicht als Transsubstantiation gezeigt, durch die das Licht aus der Nacht emaniert. Sollte Bayreuth also wirklich zur Projektionsfläche von 'Wahrtraum-Gestalten' werden, so war die Dunkelheit für Wagners Programm eine Conditio sine qua non, ohne die die Heranbildung der Träume gar nicht kultivierbar gewesen wäre. Dramaturgie war gerade hier unerläßlich. Und doch: Gerade hier ist sie Wagner vorgeworfen worden. Die Idee des gestaltenden Lichts erschien vielen doppelbödig. Was unterstellte man ihm? Man unterstellte ihm Maschinenästhetik. Eine Nacht, durch Gaszähler hervorgebracht, so hieß es, könne keineswegs echt sein, schon gar nicht mythisch. Das Effektmaterial, das eine Beleuchterloge produziere, habe nichts und wieder nichts mit dem Sternenzelt zu tun. Wer sich physikalischer Schaltkreise bedienen müsse, um Metaphysisches freizusetzen, dessen Utopien wären ab ovo verdächtig. Vor allem setze die Erregung der Träume den Zwang zum Schlaf voraus, und das erinnere nun einmal – man vergleiche es nur mit Brünnhildes Schicksal – eher an eine Strafe als an eine Erlösung: "Hierher auf den Berg/ banne ich dich;/ in wehrlosen Schlaf/ schließe ich dich". 165 Ohne den Widersinn zu problematisieren, der sich auch schon hinter dem Vorwurf der Hypnose und der Auffassung verborgen hatte, daß physische und psychische Ruhestellungen ohne Einwilligung der Probanden insinuierbar seien, erzeugte das künstliche 'Bayreuther Dunkel' Beklemmungen. 166 Man fürchtete sich vor der eigenen Duldungsstarre. Wagners Dramaturgie sei am Ende Propaganda, propagierte man, die das Individuelle nur totalitär gestatte. Die Beleuchtungstechnik im Festspielhaus wurde zum Kristallisationspunkt für all jene Protestgebärden, die einen Widerspruch dahinter vermuteten, daß sich die Aufklärung bei Wagner im Dunkeln vollzog. Gewiß, es ist verbürgt, daß die Grals-Lämpchen für die Uraufführung des Parsifal von Siemens geliefert wurden. Das Sinnliche und das Sachliche scheinen hier in einer Weise aufeinanderzutreffen, daß man nicht mehr nur von Kalkül, Kostenplan und Hybridbildung sprechen möchte, sondern von einer Monstrosität. Die Diskrepanz zwischen Sein und Schein, Schlummer und Schaltbrett wird sich für Wagners Festspieldramaturgie nicht ausräumen lassen, ebensowenig wie sie sich für die blaue Grotte von Capri, die König Ludwig II. im Garten von Linderhof re-installiert hatte, ausräumen läßt. Doch nun zur Gegenfrage der Gegenfrage: Muß sie das überhaupt? Ist die Einheit von Ideologie und Maschinerie in sich schon verwerflich? Für Ludwig mag es noch eine Ersatzhandlung gewesen sein, für Wagner war es Abbild und Urbild in einem – das Theater. Denn nur hier konnte er enthüllen, daß sich die Wahrheit allein im Schein kenntlich hält. Die Traumbilder, die sich aus dem 'Bayreuther Dunkel' ableiten sollten, sind folglich kein Grenzfall dessen, was glaubwürdig ist, sondern ein Musterfall dessen, was die Bühne als Institution nach Wagner überhaupt (noch) vermochte. Kultur hat Natur nötig. Natur aber auch Kultur. Die romantische Brechung ist eine geistesgeschichtliche Zäsur, die zu kaschieren oder gar aufzuheben unmöglich 165 Walküre, 3, 2. [Wagner, 1997b], S. 94 166 Vgl. mit dem Abschnitt <Schlaf versus Hypnose> in Kap. II.3 211 ist.167 "Man entgeht nicht der Technik, indem man die Physik verlernt"168, schrieb Max Bense. Insofern ist gerade das 'Festspielhaus der Zukunft' der Ort, an dem sich zeigt, daß theatrale Bildideen und technomorphe Bildfindungen sich gar nicht ohne einander denken lassen. Vom "»mystischen Abgrund«"169 hatte Wagner in bezug auf seinen Bayreuther Orchestergraben gesprochen, dasselbe Objekt bezeichnete er im selben Aufsatz aber auch als "technischen Herd".170 Das sind Synonymbildungen, wiewohl das eine zunächst rein theatral, das andere rein fabrikatorisch erscheint. Doch das Technische und das Theatrale changieren und irisieren. Um es mit dem Vokabular der Beleuchtungstechnik zu sagen: Die Farben sind hier höchstens so klar auseinanderzuhalten wie die Kolorite in einer Perlmuttmuschel. Und doch würde niemand bestreiten wollen, daß der farbliche Reiz einer solchen Muschel eben gerade in ihrer Uneindeutigkeit liegt. 171 'Theater' und 'Technik' mögen also zwei ungleiche Schwestern sein, aber Verwandte bleiben sie doch. Ist die Geschichte der Bühnentechnik im Zusammenhang mit der Bayreuther Inszenierungsgeschichte bislang auch kaum erforscht, so müßte gerade Wagners Licht- und Effekttechnik als Bestandteil der Werkaussage interpretiert werden: Richard Wagners Verhältnis zur Technik im allgemeinen und zu jener Bühnentechnik, die seinen Intentionen von einem Gesamtkunstwerk erst zum Leben verhelfen konnte, ergab künstlerische, dramaturgische und bühnenpraktische Differenzierungen. 172 Friedrich Kittler hat darauf hingewiesen, daß selbst die 'unendliche Melodie' und das mit ihr zusammenhängende "Auf- und Abblenden szenischer Halluzinationen" bloß deshalb ausagiert werden konnte, weil Bayreuth schon "eine neue, technische Sonne"173 zur Verfügung gestanden habe. Eduard Hanslick: "Vor Erfindung des elektrischen Lichts konnten Wagner's Nibelungen ebensowenig componirt werden, als ohne die Harfe oder Baßtuba."174 Erwin Falkenberg faßt den Sachverhalt folgendermaßen zusammen: Jede werktreue Bühnendarstellung [...] hat bei Wagner [...] die metaphysisch-ästhetische Eingangsidee des Lichtes in die szenische zu übersetzen, wo sie uns gefaßt als das, was wir Beleuchtung nennen, entgegentritt.175 Wer demnach die Dunkelheit von der Verdunklung trennen möchte, der fordert, daß die Realität des Theaters ohne Realisierung auskommen müsse. Wagner hingegen meinte: "»Die Motte fliegt in das Licht, weil die Natur unvorhersichtig ist; nun käme es für die 167 Es sei erinnert an die Formulierung Nietzsches: Wagner "ist" Romantik. Zitiert in: [Nietzsche-Förster, 1915], S. 180 168 [Bense, 1946], S. 48 169 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 402 170 Ebd., S. 401 171 Die Gedanken zu dem Themenkomplex 'Theater und Technik' habe ich kürzlich ausgeführt in [Dombois, 2006], und zwar auch dort anhand einiger Wagner-Passagen. 172 [Baumann, 1980], S. 8 173 [Kittler, 1989], S. 1 174 [Hanslick, 1885], S. 249 175 [Falkenberg, 1939], S. 7 212 Menschheit darauf an, dieses künstliche Licht auszulöschen«". 176 Der Einzug des Saallichts im Bayreuther Zuschauerraum war der Deus ex machina, durch den das Moment der Katharsis gleich an den Anfang des Dramas gerückt werden konnte, um dieses zu generieren. Das 'Bayreuther Dunkel' sollte die Kluft zwischen Glauben und Wissen überbrücken. Hebbel hätte es so gesagt: "Im Schlaf: Identität zwischen Vorstellen und Sein."177 Wagners dramaturgische Maximen sahen für die Zuschauer nicht den traumlosen Fafner-, sondern den traumlösenden Erda-Schlaf vor. <Die Nacht als Schlafenszeit: Vom Wegschauen> "Mein Schlaf ist Träumen,/ mein Träumen Sinnen,/ mein Sinnen Walten des Wissens."178 Genau wie Erda sollte das Publikum im Dunkeln hellsehen, das Imaginäre freisetzen, inmitten einer medialen Tektonik nagelfeste Gewißheiten zirkulieren können – in Bayreuth ist selbst "der Zuschauer anschauenswerth, es ist kein Zweifel."179 Schauen wir also hin, und zwar genau! Der Auftritt dieses Publikums ist zu Recht ein "Grundschema des Wagnerschen Denkens"180 genannt worden, tatsächlich scheint sich Wagners Hang zur Verdichtung und wohl auch zum Rebus hier am deutlichsten zu zeigen und am schwierigsten auflösen zu lassen. "[W]enn wir über die von Wagner angestrebte Haltung seines Publikums ins Reine zu kommen suchen", sagte Joachim Herz einmal, so gibt es "heute Nüsse zu knacken". 181 Das Problem liegt nicht in Wagners dialektischem Strukturgesetz, sondern in der Konsequenz, mit der er Gegensätzliches auf einen Punkt zu verengen suchte. Die Nacht gilt als Schlafenszeit. Nimmt man das 'Bayreuther Dunkel' als Repräsentanten dieser Nacht wie auch die "intime Theilnahme"182 des Einzelnen daran ernst, so wäre es nur rabulistisch, würde man nicht einräumen, daß der Schlaf Mittel und Zweck in einem ist. Hatte noch Mozart die Vorstellung, daß die Oper eine Kunstform sei, 'dabey man nicht schlafen dürfe und sollte man die ganze Nacht durch nichts geschlafen haben', so erwartete Wagner "väterlich"183 (also mit einem Anteil Unnachgiebigkeit) die umgekehrte Leistungsbereitschaft. Nicht nur die Kunstproduktion, sondern vor allem die Kunstrezeption müsse am Ende einem "Traumlebe[n]"184 gleichen. Erst wenn die "selige"185, "ideale"186, "erlösende[...] Traum-Welt reinster Erkenntniß"187, die "Weihe der Weltentrückung"188, die "Sphäre der Wunderträume"189, die "Wahrträume[...] des nie 176 Zitiert in: [Glasenapp, 1911], S. 358 177 [Hebbel, 1966], S. 445 178 Siegfried, 3, 1. [Wagner, 1998b], S. 95 179 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 432 180 [Kunze, 1983], S. 133 181 [Fricke, 1906], S. I (des Reprogr. Nachdrucks) 182 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 151 183 Zitiert in: [Baumann, 1980], S. 259 184 Einblick in das Opernwesen. [Wagner, 1873f], S. 340 185 Über die Bestimmung der Oper. [Wagner, 1873h], S. 168 186 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 389 187 Religion und Kunst. [Wagner, 1883d], S. 320 188 Das Bühnenweihfestspiel in Bayreuth. [Wagner, 1883], S. 395 213 Erlebten"190 erreicht wären, ja wenn "alle Erscheinungsformen der Welt uns wie im ahnungsvollen Traum zerfließen"191 und "ein dämmerndes Wähnen"192 unsere Wirklichkeitserfahrung bestimme, entstünde ein legitimer Kunstanspruch. Retardation also – Einholen des Atems – osmotischer Druck nach Innen. Der Appell scheint eindeutig, wenn auch nicht unbedingt logisch in bezug auf die Umstände. Doch Wagner ging es nicht um Logizität, schon gar nicht um Naturalismus. Realiter schien ihm "der Geist der Somnolenz" jedes "künstlerische[...] Wahrgefühl"193 zu beleidigen. "Schläfrigkeit"194 und ein "ermüdete[s] Hirn" machten nichts als "zerstreuungssüchtig"195 und seien in keinem Fall das Rechte für einen Festspielzuschauer. Nichts schien ihm demoralisierender als ein "gähnende[s] Publikum".196 Der Applaus dürfe nicht die einzige "Schicklichkeitsbezeichnung der Uneingeschlafenheit"197 sein, hatte er bei Gelegenheit notiert, und die "Einschläferung [des] Volksgeistes"198 galt ihm schon längst als eine für das Theaterwesen hochgefährliche Stimmung. Er meinte natürlich das Gegenteil der "Lethargie"199 – Aktionismus, Bildertreiben, "höchste Anregung"200, im Schlafen nur das Wache: Die "Theilname des Publikums [...] muß eine thätige, energische, – nicht schlaffe [...] sein".201 Er wollte das Gegenteil des Gegenteils. Der "Zustand von Entrücktheit"202 ging für ihn nahtlos über in den "Zustand von Ekstase"203, wiewohl dies vorderhand nicht dasselbe ist. Borchmeyer hat sich gerettet, indem er dafür die Wendung "andersartige[...] Wahrnehmungsgesetze"204 erfand. Wagner selbst konnte es am Ende bloß wie folgt beschreiben: "Das Wesen der dramatischen Kunst zeigt sich [...] als ein völlig irrationales; es ist nicht zu fassen, als vermöge einer völligen Umwendung der Natur des Betrachters"205 (vgl. Abb. 55). Allein durch vernunftbegabte Vernunftlosigkeit könne dem Publikum noch zum "wohlthätigen Gefühle [...] eines bisher ungekannten Auffassungsvermögens"206 verholfen werden. "Rettung ins Ungenaue"207, so nannte Ulrich Schreiber dies Vorgehen vor kurzem. Nike Wagner: "[E]in 'klarer Fall' 189 Über das Schauspielerwesen. [Wagner, 1873c], S. 310 190 Einblick in das Opernwesen. [Wagner, 1873f], S. 339 191 Religion und Kunst. [Wagner, 1883d], S. 319 192 Einblick in das Opernwesen. [Wagner, 1873f], S. 339 193 Ebd., S. 332 194 Ebd., S. 331 195 Vorwort zur Herausgabe der Dichtung 'Der Ring des Nibelungen'. [Wagner, 1872g], S. 389 196 Organisation eines deutschen National-Theaters. [Wagner, 1871b], S. 345 197 Einblick in das Opernwesen. [Wagner, 1873f], S. 331. Übrigens macht [Glasenapp, 1912], S. 37 aus der "Schicklichkeitsbezeichnung" eine "Schicklichkeitsbezeigung" – es ist ein gutes Beispiel für die zahllosen Verschlimmbesserungen, die er in seiner Wagner-Biographie vorgenommen hat und die leider bis heute kursieren. 198 Deutsche Kunst und Deutsche Politik. [Wagner, 1873e], S. 68 199 Über das Dichten und Komponiren. [Wagner, 1883f], S. 198 200 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 152 201 Organisation eines deutschen National-Theaters. [Wagner, 1871b], S. 328 202 Über Schauspieler und Sänger. [Wagner, 1873i], S. 197 203 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 152 204 [Borchmeyer, 1982], S. 108 205 Über die Bestimmung der Oper. [Wagner, 1873h], S. 172 206 Vorwort zur Herausgabe der Dichtung 'Der Ring des Nibelungen'. [Wagner, 1872g], S. 389 207 [Schreiber, 2002], S. 513 214 [wäre] künstlerisch unergiebig"208 gewesen. Doch daß es hier nicht um Spiegelfechtereien, sondern um seriöse Komplikationen ging, mittels derer eine elaborierte Daseinsform in Kraft gesetzt werden sollte, mag sich daran zeigen, daß Wagner nicht ausschließlich für seine Künstler, sondern auch für seine Zuschauer eine Erziehungsanstalt geplant hatte.209 Geplant, aber nicht eröffnet. Das Projekt kam nicht zustande, und das hatte nicht nur etwas mit einer allzu schwerfälligen Organisation zu tun. Wagners Ansprüche dürften in sich unvermittelbar gewesen sein, insofern sie ja auf der Idee des Selbststudiums fußten. 210 Ohnehin ist jede theoretische Maßgabe ein Freibrief, und Freibriefe lassen sich vor Schwarmgeisterei oder Trivialisierung nicht bewahren. Selbst Wilhelm Marr, der nachweislich zu Wagners Adepten gehörte, gestand nach Ablauf der ersten Festspiele: "Hand auf's Herz! – hatten wir Alle in Bayreuth die nothwendige Sammlung, Muße und Stimmung, um wirklich zu prüfen? - Nein."211 Zu kompakt war Wagners Verhaltenskodex, zu enigmatisch die Novitäten, die mit Strapazen verwechselt wurden. Paul Lindau: Alles [...] ist in der Theorie gewiß sehr geistvoll und berechtigt und in der pedantischen Durchführung zum Mindesten ein interessanter Versuch. [...] Einstweilen aber wirken diese Neuerungen noch befremdend und zerstreuend, und die von Wagner beabsichtigte Wirkung: den Theilnehmern an dem Bühnenfestspiel schon jetzt die Wohlthaten dieser Reform zu gönnen, wird voraussichtlich nicht ganz erzielt werden.212 Die Theorie wurde demnach porös, mußte vielleicht auch porös werden, sobald sie sich an der Realität abrieb (vgl. Abb. 56). Doch Wagners "Wille[...] zur zauberischen Illusion"213 blieb – natürlich – ungebrochen. Zu fragen wäre deshalb nur, auf welche Art und Weise seinen Direktiven doch noch auf die Spur zu kommen ist, wenn weder das Studium seiner theoretischen Schriften noch das der zeitgenössischen Berichte zu verbindlichen Aussagen führt. Nun, vielleicht ist von allen 'anschauenswerthen' Zuschauern Wagner selbst der anschauenswerteste! Viel ist bislang über das Bayreuther Publikum spekuliert und publiziert worden, zu wenig jedoch darüber, daß auch Wagner ein Konsument seiner Opern war und nicht nur deren Produzent. Dabei schaute er mit aller Sicherheit so, wie zu schauen nötig war. Er war sich selbst ein Intimus, in bezug auf sein Werk so schmiegsam wie sein Werk in bezug auf ihn. Der Mann, der die Träume entwarf, träumte sie auch. Zwar spottete er, "dann und wann 208 [Wagner, 1998a], S. 28 209 Siehe: Bericht über eine deutsche Musikschule. [Wagner, 1873b], S. 193f. 210 Ein Erzieher war Wagner auch kompositionstechnisch nicht. Es ist bemerkenswert, aber weder hat er selbst eine Schule begründet noch Schüler ausgebildet, sieht man ab von der Handvoll Dirigenten und den Gefolgsleuten seiner 'Nibelungen-Kanzlei', die sich seinem Werk zu seinen Lebenszeiten verschrieben hatten. Man muß es wohl so sagen: Der einflußreichste Komponist des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist eine singuläre Erscheinung geblieben. 211 [Marr, 1876], S. 622 212 [Lindau, 1877], S. 9f. 213 [Friedell, 1932], S. 370 215 [sei auch er] in ein kleines Theater [gegangen], um guten Schlaf zu gewinnen". 214 Doch der "clairvoyante[...] Zustand"215 war und blieb für ihn identifikatorisch: Sehen Sie, [...] genau so geht mir's! Meine inneren Lebensträume kann ich auch nur in der Sprache unserer Kunst – wie gleichnisweise – mitteilen; gerade aber wie der Somnambule zu seinen Aussagen verhalte ich mich zur Kunst: [...] Ganz bestimmt fühle ich [...], daß meine Kunst-Aussagen nicht der eigentliche Inhalt meines Lebenstraumes waren, wenn mir von außen mit rechter Zuversicht diese Kunst als das Wirkliche und Reale meines Wesens gewissermaßen aufgedrungen wird. Wenn dies endlich so weit geht, daß ganz und gar nur noch die formellen Eigenschaften meiner Kunst mir als jenes Wesentliche gegenübergehalten werden, so sehe ich endlich bis zur vollsten Evidenz die Grimasse des tollen Mißverständisses ein [...]. 216 Der Blick nach innen, den Nietzsche am Tag der Grundsteinlegung des Festspielhauses an ihm beobachtet hatte, war keine rhetorische Finte. Dieser Blick war selbst tief innerlich und entspricht einem methodischen Zug des Wagnerschen Werks, das Räume eröffnet, damit sie mit Visus gefüllt werden.217 Schauen wir also, was Wagner sah, als er sich selbst zuschaute. Erstes Fallbeispiel, Dresden, 20. Oktober 1842, Uraufführung Rienzi: Ich befand mich mit Minna, meiner Schwester Klara und der Familie Heine in einer Parterreloge, und wenn ich mir meinen Zustand während dieses Abends zurückrufen will, kann ich mir ihn nicht anders als mit allen Eigenschaften eines Traumes behaftet vergegenwärtigen. Eigentliche Freude oder Ergriffenheit empfand ich gar nicht; meinem Werke fühlte ich mich ganz fremd gegenüber; wogegen die dichtgefüllten Zuschauerräume mich wahrhaft ängstigten, so daß ich nicht einen Blick auf die Masse des Publikums zu werfen vermochte und die Nähe desselben nur wie ein elementarisches Ereignis – ungefähr wie einen anhaltenden Gewitterregen – empfand, gegen welches ich mich im verborgensten Winkel meiner Loge wie unter einem Wetterdach schützte. Den Applaus bemerkte ich nie [...].218 Ein 'Zustand', dem des 'Traumes' vergleichbar, sagt Wagner, sei das Zuschauen – das scheint zunächst weder neu noch sonderlich präzise. Doch interessanterweise beginnt er hier auch von 'Eigenschaften' zu sprechen, vielleicht spürte er, welches Niveau an Klarheit überhaupt erforderlich war, um die hermetische Unklarheit des Traumes erklärbar machen zu können: Vereinzelung, somatische Apathie, Dispens vom eigenen Ich sowie eine gewisse emotionale Aussteifung, das sind für ihn die Bedingungen, unter denen er (immerhin) einen seiner größten Premieren-Erfolge erlebt hatte. Zweites Fallbeispiel, München, Frühling 1865, Tristan-Proben, Hoftheater: 214 Brief Richard Wagners vom 21. 12. 1861 an Minna Wagner. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b], S. 240f. Seltsamerweise schreibt Wagner in einem weiteren Brief an Minna eine Woche später genau dasselbe noch einmal: "Manchmal bin ich auch in die kleinen Theater gegangen, um mir guten Schlaf zu verschaffen." Brief Richard Wagners vom 28. 12. 1861 an Minna Wagner. Ebd., S. 244 215 Brief Richard Wagners vom Dez. 1857 an Marie von Sayn-Wittgenstein. [<Wagner, Richard - Briefe>, 2000], S. 95 216 Ebd., S. 94f. 217 Friedrich Kittler hat ähnliches für das Motiv des Hineinhorchens untersucht und nannte das Phänomen "akustische[...] Halluzination". [Kittler, 1987], S. 99 218 Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 244. ('Minna', 'Klara' und 'Heine' im Original hervorgehoben.) 216 Nachdem ich während [...] des ersten und zweiten Aktes stets wie mit dem Ohr, so mit dem Auge auf das Gespannte an meinen Darstellern gehaftet hatte, wendete ich mit dem Beginne des dritten Aktes [...] mich unwillkürlich gänzlich ab, um auf meinem Stuhle mit halbgeschlossenen Augen bewegungslos mich in mich zu versenken. In der ersten Theaterprobe schien Schnorr [von Carolsfeld] die ungewohnte Andauer meiner scheinbaren vollständigen Theilnahmslosigkeit, da ich mich im Verlauf der ganzen ungeheuren Scene, selbst bei den heftigsten Accenten des Sängers nie nach ihm wendete, ja nur überhaupt mich regte, innerlich befangen gemacht zu haben, denn als ich endlich [...] mich erhob [...], da [...] sprachen wir über diesen dritten Akt [nie] mehr ein ernstes Wort. 219 Wieder dieselbe Entrückung, wieder die Indolenz gegenüber äußeren Einflüssen, dazu ein beredtes Schweigen. Phänomenologisch gleicht diese Art der 'Versenkung' der auratischen Gestimmheit, durch die Wagner schon öfter zuvor hindurchgegangen war (La Spezia!), um ein Werk zu erzeugen, das reziprok auf dieselbe Gestimmheit angewiesen ist, um real werden zu können. Doch mehr noch, seine Beschreibung ist hier erfrischend konkret: Jene Anteilnahme, die erst durch 'Theilnahmslosigkeit' hervorgebracht werden kann, vermittelte sich zum einen über 'halbgeschlossene Augen', zum anderen über eine physische Erstarrung, und die Doppeleinheit dieser Topoi ist nun wieder programmatisch für Bayreuth und führt ins Zentrum dessen zurück, um was es uns geht. Es ist ein Traum, aber kein tiefer. Es ist ein Wachen, aber kein vernehmliches. Es ist ein Halbschlafmoment – und als solches möglicherweise "der einzige Weg zur Kundgebung dieser Empfängniß an den Laien".220 Planvolle Erblindung auf der einen Seite, die 'fesselnden Bande' des Schlafs auf der anderen: Konnte Wagner den gordischen Knoten, den er selbst geknüpft hatte, letztlich auch nicht lösen, die 'Wahrträume' des einzelnen Zuschauers nicht selber träumen, so scheint es, als habe er für Bayreuth doch zwei Handlungsrequisiten vorgesehen, die die Erzeugung seiner Gegenwelt generieren halfen. Die Motive sind mächtig, für die Festspieldramaturgie sind sie zentral, im folgenden darum eine Materialzusammenstellung. Zur Augenmetaphorik: Das "unsichtbare Theater"221 war in der Tat weder eine Aporie noch eine Schildbürgerei. Wagners Überlegungen in diesem Punkt verbanden Sinnbildliches und Affekthaftes. Apophantisch hatte er die "Neutralisation des Sehens"222, die "Depotenzirung des nur für die reale Erscheinung geübten Sehvermögens"223 sowie die "gänzliche Ablenkung des Gesichtes von der Wahrnehmung jeder [...] Realität"224 gefordert. Der Lichteinzug im Zuschauerraum fabrizierte und sekundierte seine ästhetischen Absichten, deren Scheitelpunkt stellte der Gedanke dar, daß derjenige, der wirklich träumen will, auch die Augen verschließen muß. Ein Zufall dürfte es von daher nicht gewesen sein, daß sogar die Lampen im Bayreuther Zuschauerraum einmal als "schläferige 219 BB vom 3. 5. [1868]. [Wagner, 1988b], S. 166 220 Staat und Religion. [Wagner, 1873j], S. 30 221 TB vom 23. 9. 1878. [Wagner, 1977], S. 181 222 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 400 223 Über das Dichten und Komponiren. [Wagner, 1883f], S. 192 224 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 400 217 Augen"225 bezeichnet worden sind, wie Baumann überliefert. In der Beethoven-Schrift hatte Wagner es theoretisch angekündigt: "[V]erstehen, ohne [...] zu sehen"226 sei die einzig gültige Form des Erkennens. Als Nietzsche dann zum Tristan nach Bayreuth kommen wollte, riet er diesem sofort, die Brille abzunehmen und sich auf nichts zu verlassen, was man nur sehen könne. Der Tristan bietet dem Auge "fast gar nichts".227 Zu Malwida von Meysenbug soll er 1876 gesagt haben (und zwar indem er ihr die Hände vor das Opernglas legte): "»Sehen Sie nicht zu viel hin! Hören Sie zu!«"228 Selbst das wachsame Auge Bernard Shaws fand das "listen without looking"229 in Bayreuth adäquater. Romain Rolland: "[D]ie beste Art einer Wagner-Vorstellung zu folgen ist, sie mit geschlossenen Augen zu hören"230 Nietzsche: "[W]o einmal die dionysische Gewalt der Musik in den Zuhörer einschlägt, umflort sich das Auge". 231 Freilich, an dieser Stelle ist auch ein Anteil Spott unüberhörbar, auf jeden Fall der Spott Nietzsches, vielleicht auch der Shaws. Dahinter mag sich der Gassenhauer verbergen, daß Bayreuth allein deshalb dazu nötigte wegzuschauen, weil die optische Umsetzung der Musikdramen nachhaltig mißlungen war. Ernstzunehmende Anlässe, die "Augen zuzumachen"232 muß es tatsächlich einige gegeben haben, Wagner selbst hat daran keine Zweifel gelassen ("Wenn ich nur so einen Kerl mit geflügeltem Helm sehe, wird mir übel."233) Doch im Grunde ist das nur eine Verlängerung jener 'Realität', die es ihm zufolge ohnehin hinter sich zu lassen galt: "[B]ei mir [würde] am Ende doch noch zu wenig zu sehen sein".234 Denn "wem die Götter nicht den Schein, sondern das Wesen der Welt sehen lassen wollten, dem schlossen sie die Augen".235 Nur der "amüsementbedürftige Journal-Cavalier sitzt da; seine Sehkraft bleibt eine ganz reale: er gewahrt nichts, gar nichts, während uns die Zeit der Entrücktheit aus allem Dem, was Jener einzig sieht, zu kurz, zu flüchtig war."236 "So sehr aber Wagner großartiger Visionär sei, [...] so wenig sei er doch eigentlicher Augenmensch"237 gewesen, hat Emil Preetorius resümiert; er scheint die Bestandteile des bekannten, urromantischen Widerspruchs damit für Wagner sehr schön voneinander sondiert zu haben, ohne sie doch auseinanderzureißen. Doch wie steht es dann mit folgender Aussage? Sie transportiert auch etwas Prototypisches, stammt von Hans von Wolzogen und dessen Zeitzeugenschaft sollte man ebensowenig unterschätzen: "Und wie war doch gerade bei Wagner Alles Auge, Alles Sehen, Alles-Schau! [...] »Habt ihr Augen! Habt ihr Augen?« [...] ruft er fragend und klagend noch in seinem letzten Aufsatze vom 31. Januar 225 Zitiert in: [Baumann, 1980], S. 261 226 Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 95 227 Über die Benennung 'Musikdrama'. [Wagner, 1873g], S. 365 228 Zitiert in: [Rolland, 1925], S. 87 229 [Shaw, 1932], S. 155 230 [Rolland, 1925], S. 87 231 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 188 232 [Gebhardt/ Zingerle, 1998], S. 171 233 TB vom 6. 9. 1880. [Wagner, 1977], S. 594 234 Über die Benennung 'Musikdrama'. [Wagner, 1873g], S. 364 235 Über das Dichten und Komponiren. [Wagner, 1883f], S. 189 236 Ebd., S. 195 237 [Preetorius, 1933], S. 347 218 [1883]".238 – Es ist natürlich eine Wiederholungsfigur. Und zwar die Wiederholungsfigur jener flottierenden Idee des 'Gegenteils vom Gegenteil', die für Wagner struktur- und persönlichkeitsbildend war. Nein, es ist keine "Naturwidrigkeit", daß das Theater Wagners sich "ausschließlich an den inneren Menschen" wendet, sich aber gleichwohl an "dem leiblichen Auge sichtbar abarbeiten"239 mußte. Denn: "Wir reden zu viel, – selbst auch hören zu viel, und – sehen zu wenig"240, das bezieht sich selbstverständlich nicht mehr auf die sichtbare Welt. Auf "Sehkraft" beruft sich zwar der "menschliche[...] Lebensblick"241, auf "Sichtbarkeit" die "ersichtlich gewordene[n] Thaten der Musik".242 Aber das Sehen meint bei Wagner in letzter Instanz immer das Wegsehen. Sehen im Schlaf oder Sehen im Traum. Sehen als Wiedererkennen des Unsichtbaren, eine Parallele zur "Übertragung des Unaussprechlichen". 243 Nietzsche trifft es am besten, wenn er in der Geburt der Tragödie schreibt, daß die "Sehkraft [...] nicht nur eine Flächenkraft sei".244 Die Erregung des Gesichtssinns liegt bei Wagner nicht in der Möglichkeit, die Welt zu erkennen, sondern darin, diese zu durchschauen. So sehr das Äußere den Blick auch anziehen mag, dieser selbst stößt sich am Widerstand der sichtbaren Welt ab, um – aus dem Inneren kommend – ins Innere zurückzukehren. Das ist der "hellsehend machende[...] Zauber"245 Bayreuths. Das dramaturgische Fundament des Bayreuther Zuschauerraums ist oft geschmäht worden, kaum seltener wurde Wagner der Suggestion verdächtigt, weil dieser Raum "für nichts Anderes berechnet ist, als darin zu schauen". 246 Vielleicht konnte dies nur geschehen, weil die Ergänzung: "zu schauen, und zwar dort hin, wohin seine [des Zuschauers] Stelle ihn weist"247 für gewöhnlich unterschlagen wird. Stichwort 'seine Stelle': Kommen wir zum zweiten Topos, dem der Erstarrung, der das lokal begrenzte Prinzip der 'Erblindung' auf eine größere Zirkumferenz überträgt. Regungslosigkeit, Aussteifung, Gestenarmut, motorische Insuffizienz (Applausverbot!) – man könnte sagen, Wagners Dramaturgie habe für den Zuschauer in Bayreuth eine Art äußere Gelatinierung vorgesehen, die zum Impuls innerer Dynamik werden sollte. "[B]ewegungslos", so hatte er es formuliert, habe er selbst im Münchener Theater auf seinem "Stuhle" gesessen, um sich in sich "zu versenken". 248 Es ging um eine Form konzentrierter Hingabe, die Körperlichkeit nicht als Supremat von Leidenschaften begriff. "Nach einer Aufführung des König Lear durch Ludwig Devrient", erinnerte er sich in seiner Schrift Über Schauspieler und Sänger, sei 238 [Wolzogen, 1883], S. 5 239 [Kipke, 1889], S. 332 240 Entwürfe. Gedanken. Fragmente. [Wagner, 1885], S. 110 241 Mittheilung an meine Freunde. [Wagner, 1872d], S. 325 242 Über die Benennung 'Musikdrama'. [Wagner, 1873g], S. 364. (Im Original hervorgehoben.) 243 Staat und Religion. [Wagner, 1873j], S. 29 244 Geburt der Tragödie. [Nietzsche, 1988e], S. 140 245 Zukunftsmusik. [Wagner, 1873k], S. 162 246 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 401 247 Ebd., S. 401f. (Hervorhebung von der Verf. J. D.) 248 BB vom 3. 5. [1868]. [Wagner, 1988b], S. 166 219 das Berliner Publikum nach dem Schlusse des letzten Aktes noch eine Zeit lang auf seine Plätze festgebannt versammelt [geblieben], [...] kaum flüsternd, schweigend, fast regungslos, ungefähr wie durch einen Zauber gebunden [...]. 249 Das kam für ihn einem ekstatischen Ereignis gleich, welches sich – als "höchste[s] Stadium der Wirkung des Erhabenen"250 – nur mehr paradoxal vermitteln ließ: größtmögliche Geistesgegenwart in der kleinstmöglichen Manege. Bayreuth verstand sich demzufolge als Ort, der einen engen Rahmen nur deshalb vorgab, damit dieser gesprengt werden könne. Romain Rolland beschrieb die dortige Situation so: "[M]an verfiel in einen Zustand schmerzlicher und köstlicher Erstarrung". 251 Mark Twain: This audience reminds me of nothing I have ever seen and of nothing I have read about except the city in the aravian tale where all the inhabitants have been turned to brass and the traveler finds them after centuries mute, motionless, and still retaining the attitudes which they last knew in life. 252 Twain allerdings mag hier die Wirkung ohne ihre Ursache beurteilt haben. Im selben Zusammenhang könnte man ebensogut an das Schicksal Brünnhildes denken. Auch sie ist erstarrt, das Kontinuum ihres Lebens für Jahre unterbrochen (ihre Strafe dauert bekanntlich genau so lange, wie jener Knabe Lebensalter zählt, durch den sie erweckt wird). Auch sie fällt mit dem Erwachen zunächst in die Vergangenheit zurück. Aber doch ist ihr Schlaf das Signum einer Metamorphose. Erstarrung gilt in Wagners Koordinatensystem als Auslöser hochdynamischer Prozesse. Er, Wagner selbst, schilderte einmal den HalbschlafZustand, "da ist es, als ob ich von Glas wäre, nämlich ich habe das Bewußtsein von allen Funktionen, welche in meinem Leibe vorgehen, welche sonst doch unbewußt geschehen sollen."253 In einem ganz ähnlichen Sinn mußte auch sein Publikum zur Membran werden, jeder einzelne Zuschauer von sich absehen, damit er träumend zu sich kommen konnte. Man muß steinern sein, um gläsern werden zu können. Und selbst diesem Hilfsmittel war schließlich noch einmal ein Hilfsmittel beigeordnet. Ein Korrelat der asketischen Erstarrung in Bayreuth ist die Saalbestuhlung des Festspielhauses. Jene spartanischen, "unbequemen, harten Holzstühle"254, die nicht nur aus akustischen oder soziopolitischen Gründen bislang noch jede Renovierung des Bayreuther Zuschauerraums überstanden haben255, gehören zu Wagners Festspieldramaturgie, wie andernorts ein Königssessel zur Inthronisation gehört. Sicher, auf den ersten Blick wäre eine Parketteinrichtung, die der Lounge ähnelt, wieder mehr dazu angetan, dem 249 Über Schauspieler und Sänger. [Wagner, 1873i], S. 194 250 Ebd. 251 [Rolland, 1925], S. 67 252 [Twain, 1923], S. 225. (Das Wort 'aravian' ist kein Setzfehler, sondern eine Transliteration des arabischen Wortes für 'arabian'.) 253 TB vom 4. 2. 1879. [Wagner, 1977], S. 303 254 [Gebhardt/ Zingerle, 1998], S. 129 255 Um die "kultisch-ernste Atmosphäre auch in ihren äußeren Bedingungen aufrechtzuerhalten [...,] verzichtet [die Festspielleitung] auf eine Verbesserung des Komforts im Zuschauerraum des Festspielhauses ebenso wie auf dessen modische Ausgestaltung." Ebd., S. 130 220 Publikum zur Somnolenz zu verhelfen als Stuhlbänke, die den Schlummer fast verhindern. Aber es ging nicht um Verzärtelung und geht nicht um Abendfrieden, selbst die Pythia soll auf einem einfachen Holzschemel gesessen haben. Wenn Bayreuth eine Werkstatt ist, dann vor allen Dingen auch in bezug auf seine Zuschauer. Wie die Wala sollte jeder einzelne ein Sitzschläfer sein – träumend, sinnend, wissend; der (Halb-)Schlaf ist die Zeit der Gewissenskontrolle. Oder ein Sitzschläfer wie Hagen: "Schläfst du, Hagen, mein Sohn?"256 Ja, er schläft. Aber trotzdem sitzt er "zur Wacht". 257 Nicht der tiefe, erst der flache Schlaf, der dem Erwachen am nächsten ist, gibt die Träume frei. Insofern sah Wagners Logistik für Bayreuth ein Bestuhlungssystem vor, das architektonisch sowohl als Voraussetzung wie auch als Entsprechung der 'Wahrträume' fungieren konnte. "Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen."258 Was ist also das 'Anschauenswerthe' am anschauenswerten Zuschauer? Daß er wegschaut. Wohin? In sich hinein. Die Schleier reißen auf. "So wird denn das wirkliche Drama durch Nichts von Außen her mehr beeinflußt"259 In Bayreuth ist das Szenario des Halbschlafs zu einer neuen Form des Sehens geworden, die Nacht zum Erkenntnisraum, in dem die Chiffren des Alltags transzendiert, die Umstellung der Panoramen vollzogen, die Zeichen der Verwandlung decodiert werden können. Über den Traum sagte Wagner, er liefere "Möglichkeiten ohne Grenzen"260 – das heißt, der Traum ist kreativ. Sein Bilderangebot definiert das Bildhafte neu, seine Kantenlosigkeit zersetzt die Vorstellung des Räumlichen, seine schaumartige Dichte hintertreibt die getriebene Zeit. Das aber ist natürlich gleichbedeutend mit der Subversion des herkömmlichen Theatergedankens. Wagners gesammelte theoretische und dramaturgische Bemühungen sahen ihr Ziel darin, die Imaginationskraft des Zuschauers so weit zu stimulieren, daß sich dessen 'Wahrträume' wie von selbst vor jene Linse setzen konnten, die ihm die eigene Realität noch als etwas Verbindliches zeigte. Es ist die Emanation der Kunst aus dem Vakuum des Traums. Wagner: Der "erwartungsvolle Wille der Zuhörer ist nun das erste ermöglichende Moment für das Kunstwerk".261 Der Zuschauer ist nicht mehr nur der Empfänger des Bühnengeschehens, sondern dessen Produzent. Anders ausgedrückt: In Bayreuth wird der Zuschauer zum Erwecker des Musikdramas. Und ist diese Anverwandlung auch oft beschrieben worden – ähnliche Faszination hat sonst wohl nur das antike und das Shakespearsche Publikum hervorgerufen –, im Spiegel des Schlafmotivs scheint sich dessen Bedeutung noch einmal zusammenzuziehen. Der Zuschauer und das von ihm Geschaute agieren bei Wagner gewissermaßen unter demselben Metapherndruck. Es wurde schon erwähnt, aber ein Zufall dürfte es keinesfalls sein, daß die Erweckung der Walküre zu einem Sinnbild des 256 Götterdämmerung, 2, 1. [Wagner, 1997a], S. 49 257 Götterdämmerung 1, 2. Ebd., S. 35. Notabene: "R. hat Hagen's Arie komponiert; er sagt: »Du bist mir dabei in deinem Schlafe eingefallen; ich wußte nicht, sollt ich ihn lautlos sprechen lassen oder nicht, da fiel mir dein Traumreden ein, und ich wußte, daß ich Hagen leidenschaftlich sich ausdrücken lassen konnte, was viel besser ist.«" TB vom 27. 6. 1871. [Wagner, 1976a], S. 406 258 Zarathustra. [Nietzsche, 1988a], S. 34 259 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 254 260 TB vom 15. 7. 1880. [Wagner, 1977], S. 570 261 Oper und Drama. [Wagner, 1872f], S. 242 221 Wagnerschen Werks stilisiert wurde und daß auch laut der Statistik von Gebhardt/ Zingerle noch heute die meisten Festspielbesucher auf die Szene rekurrieren, "in der Siegfried Brünnhilde [weckt]."262 Im Klartext: Hatte Wagner in seinen musikästhetischen Schriften den Künstler als denjenigen beschrieben, der mittels der Träume erwacht und erweckt, so verzahnt sich hier nun die Theorie blickdicht mit der Festspieldramaturgie. Nietzsche hatte es so formuliert: "In der einen Hälfte unseres Daseins sind wir Künstler – als Träumende."263 Als Produzent des Kunstwerks wird der Zuschauer bei Wagner in erster Instanz selbst zum Künstler – "entweder, Publikum und Künstler passen zusammen, oder sie passen gar nicht zu einander."264 In zweiter Instanz übernimmt er die Rolle dessen, der träumt, um für alle zu erwachen.265 Der Träumer wird am Ende durch seinen eigenen Schlaf erweckt. III.2 Der Tau des Schlafes <»Ideale Fernsicht«: Das Traumbild der Bühne> Romain Rolland schrieb in seinem Bayreuth-Bericht, den Werken Wagners habe er "Tempel als Rahmen, den unbegrenzten Horizont unseres Geists als Dekoration und unsere Träume als Sänger"266 gewünscht – es scheint, Wagner hat sich, uns und seinen Werken diesen Wunsch selbst erfüllt, und zwar lange bevor er geäußert wurde. Wäre man zu einer Faustformel gezwungen, so ließe sich behaupten, daß er in Bayreuth nichts weniger zu visualisieren gesucht hat als die Manifestation des Imaginären, eingerechnet des Widerspruchs, daß das Imaginäre per definitionem nicht manifestierbar ist. Möglichkeitsund Wirklichkeitssinn schließen sich vorderhand aus. Um was geht es? Es geht um den Schluß- und Kronenstein des Festspielprogramms, um die Aufführung der Musikdramen und den Niederschlag jenes 'Wahrträumens', das die Zuschauer erst in den Stand von Koproduzenten versetzt hatte. Wagner nannte deren Produkt das "erschaute[...] Traumbild"267, an anderer Stelle die "im Schweben erhaltene [...] Traumerscheinung"268 – es ist das äußerlich erscheinende Anschauungsvermögen des Publikums oder das "in die Wirklichkeit hinausgesetzte Bild unserer eigenen inneren Einbildungskraft"269, wie Heinrich Porges dies in Anlehnung an Wagners Festspielidee für das Shakespearsche Theater bezeichnete. Die Atmosphäre ist fest und gleichermaßen gasförmig. 'Wirklichkeit' 262 [Gebhardt/ Zingerle, 1998], S. 174 263 Nachgelassene Fragmente. [Nietzsche, 1988j], S. 213 264 Publikum in Zeit und Raum. [Wagner, 1883c], S. 125 265 Vgl. mit dem Abschnitt <Nur der Wachende schläft, nur der Träumende erwacht> in Kap. II.2 266 [Rolland, 1925], S. 67 267 Aphorismen. [Wagner, o. J. a], S. 279. Der Begriff 'Traumbild' taucht natürlich (sic) auch auf in: Beethoven. [Wagner, 1873a], S. 94, S. 118 sowie in Wagners 'Braunem Buch', vgl.: BB [zwischen 3. und 19. 7. 1870]. [Wagner, 1988b], S. 210 268 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 402 269 [Porges, 1877], S. 8 222 auf der einen Seite, 'Einbildungskaft' auf der anderen, Produktionsdramaturgie und Theatertheorie, Fabrikation und Vision. Wagner brachte auch hier wieder jene unvergleichliche Melange, die zwischen der Kreatürlichkeit des Bühnenspektakels und der Marklosigkeit der Träume keine Niveauveränderung implizierte. Der Traum verfügt in sich als Darstellungsmittel über das Bild, das Theater ebenfalls, sehr wohl existierte demnach eine gemeinsame Naht. Beziehungsweise ging Wagner für alle Belange, die im Einzugsgebiet des Schlafs lagen, ohnehin von einem erweiterten Materialbegriff aus. Der ästhetische Impetus, der dem Schicksal Sentas im Fliegenden Holländer unterlegt ist, mag dafür eine Parabel sein. "An der Wand im Hintergrunde das Bild eines bleichen Mannes"270, heißt es dort gleich zu Beginn des 2. Aktes, "im träumerischen Anschauen"271 dieses Bildes finden wir Senta in sich versunken ("Willst du dein ganzes junges Leben verträumen vor dem Konterfei?"272). In Anschauung eines Bildes also, in sich versunken – das sind genaugenommen diametrale Bewegungsrichtungen, und natürlich ist hier die Crux, daß das Mädchen das infragekommende Porträt gar nicht genau anschaut, geschweige denn inspiziert. Sie hängt ihm nur nach, sie sieht in es hinein. Und träumt dann die Traumerzählung Eriks "wie in magnetischem Schlaf"273, um so am Ende den Holländer herbeizuzwingen wie sonst bloß noch Hagen den Siegfried in die Gibichungen-Halle herbeizuzwingen versteht. Das reale Bild in seinem realen Rahmen ist dabei lediglich das Sprungbrett jener Visionskraft, die das Antlitz des Dargestellten in der Ferne sucht und erkennt, um dieses durchschauen zu können, wenn es als fleischgewordener Traum in den Nahbereich eintritt. "Da sieht man, was ein Bild doch kann!"274 Wagner erklärte Cosima, als Künstler werfe er selbst immer nur wieder "das Traumbild auf". 275 Nichts anderes tut Senta. Und nicht mehr, aber auch nicht weniger ist in Bayreuth für den zu sehen, der sehen will: Habe ich in meiner Schrift über Beethoven den Grund davon erklären können, aus welchem uns schließlich, durch die Gewalt der Umstimmung des ganzen Sensitoriums bei hinreißenden Aufführungen idealer Musikwerke, der gerügte Übelstand, wie durch Neutralisation des Sehens, unmerklich gemacht werden kann, so handelt es sich dagegen bei einer dramatischen Darstellung eben darum, das Sehen selbst zur genauen Wahrnehmung eines Bildes zu bestimmen, welches nur durch die gänzliche Ablenkung des Gesichtes von der Wahrnehmung jeder dazwischenliegenden Realität, wie sie dem technischen Apparate zur Hervorbringung des Bildes eigen ist, geschehen kann.276 Der beste Begriff für dieses 'Sehen des Gesehenen' ist wahrscheinlich immer noch der der 'Projektion'. Die Zentralperspektive reicht in Bayreuth zunächst nach innen, wo als Echolot der 'Wahrträume' ein Sehstrahl erzeugt wird. Dieser Sehstrahl drängt unablässig vom Dunkeln ins Helle, und zwar dem Fluchtpunkt der Bühne zu. Dort trifft er auf den 270 Der fliegende Holländer, 2, 1. [Wagner, 1953], S. 22 271 Ebd. 272 Ebd., S. 23 273 Ebd., S. 29 274 Ebd., S. 23 275 TB vom 13. 6. 1882. [Wagner, 1977], S. 960 276 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 400 223 Prospekt auf, hilft somit das Musikdrama zu konstituieren und wird schließlich, von diesem angereichert, an seine Quelle zurückgespiegelt. Durch den Visionsradius des Zuschauers und dessen Auge, das schöpferisch ist "wie das Auge des Träumenden, [das] nichts erblickt, was ohne Bedeutung wäre"277, kann das Schauen deckungsgleich werden mit dem Erschauten. Im vollendeten Drama [werden] die vollen Gestalten des erschauten Traumbildes, die andre Welt, wie durch die Laterna magica vor uns hin projizirt, leibhaftig, wie beim Geistersehen die Gestalten aller Zeiten und Räume deutlich vor uns. Musik ist das Licht dieser Laterne. 278 Einen "Traum der Träume"279 hat Hofmannsthal die moderne Bühne und deren Möglichkeiten genannt, eine Architektur aus Licht, welche durch Blicke modelliert wird. In diesem Sinn sollten auch aus der nachtdunklen Umhüllung Bayreuths bunte, leuchtende, fließende Bilder auftauchen, von einem Rahmen gehalten, aber in sich schwebend, der Musik gleichbedeutend. "Musik [müßte] das Sehen so begeistern können, daß es die Musik in Gestalten sähe"280 – gemeint sind damit die "Wahrtraum-Gestalten".281 George Bernard Shaw hat diese rudimentäre Form der Projektionstechnologie als "pictorial visions"282 identifiziert und von einer "pictorial stage"283 gesprochen. Schon Eduard Hanslick hatte während der Bayreuther Aufführungen den Eindruck, daß manche "Scenen [...] fast wie Transparentbilder [wirkten]".284 Wagners Traumfabrikation also die Umsetzung einer kinematographischen Phantasie zu nennen, das scheint heute geradezu ein Gemeinplatz zu sein. Und doch, prüft man die Forschungslage, so ist es unbegreiflich, aber wahr, daß das Thema noch immer auf eine sorgfältige Darstellung wartet. Längst wird Wagners Werk in Beziehung gesetzt zu den Neuen Medien, zu Biofeedback-Methoden und dem visionären Raum-, Farb- und Zeitkalkül des Data-Space. Aber weder ist seine musikalische Organisation systematisch mit den Schnittechniken des Films noch seine Theaterästhetik mit der Bildtheorie des Kinos verglichen worden. 285 Selbst Adornos Aussagen bleiben in diesem Punkt global gesehen verschwommen, wiewohl sie lokal ungemein scharfsinnig waren (im "Kunstwerk der Zukunft [...] ereignet sich die Geburt des Films aus dem Geiste der Musik"286). Friedrich Kittlers Resümee, daß Wagners Amerika-Pläne eine Verbindung zu Hollywood ergäben, ist unterhaltsam, führt aber in der Tat viel zu weit weg. Dabei liegt manches vor der Haustür. 277 [Hofmannsthal, 1979], S. 490 278 Aphorismen. [Wagner, o. J. a], S. 279 279 [Hofmannsthal, 1979], S. 490 280 Aphorismen. [Wagner, o. J. a], S. 279 281 Über das Opern-Dichten und Komponiren im Besonderen. [Wagner, 1883g], S. 227 282 [Shaw, 1932], S. 155 283 Ebd., 154 284 [Hanslick, 1885], S. 228 285 Einzig Richard Klein scheint sich bislang dieses Mangels bewußt zu sein und hat denn auch mit der musikdramaturgischen Analyse des Walkürenritts in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now einen ersten Anlauf unternommen, diesen zu beheben. Siehe: [Klein, 2001d] 286 [Adorno, 1971], S. 102 224 Ein Topos wäre zum Beispiel das 'flache Bild', das Wagner in Bayreuth durch architektonische und dekorationstechnische Machinationen herstellen wollte. Hatte er spekuliert, daß schon die Helden des antiken Theaters "sich auf der Bühne wirklich nur in der Fläche zu erkennen geben, während der von der Orchestra ausgehende und geleitete Zauber alle nur erdenklichen Richtungen"287 ausfülle, so galt es, die "ätherische Fläche"288 zu erzeugen, die das eine mit dem anderen verbindet. Praktisch bedeutete das für Bayreuth: keine plastischen Aufbauten, sondern illusionistisch bemalte Prospekte, Verzicht auf Gassen, durch die sich nur der Eindruck gestaffelter und/ oder zerschnittener Bilder ergeben hätte, ein Bühnenfall von immerhin 3 Grad289, der die Sänger von der Hinterbühne latent an die Rampe herandrückte. Aus umgekehrter Richtung sollte der Schalldeckel über dem Orchestergraben die Schwelle zwischen Parkett und Bühne so weit nivellieren, daß der Blick des Publikums ohne ab- oder umgelenkt zu werden sofort auf die vierte Wand auftreffen und diese dann 'ausmalen' konnte. Die Fläche, die den Bühnenrahmen ausfüllt, wird damit zum planen Darstellungsraum – eine Petitesse ist es offenbar nicht zu erwähnen, daß dieser Widerspruch den Kriterien einer Leinwand nahekommt. Ähnlich filmisch sind auch die Effekte, die sich aus dem berühmten doppelten Proszenium ergaben, das architektonisch eine Ergänzung des Schalldeckels in Richtung des Zuschauerraums darstellt und bereits für den ersten Münchener Entwurf des Festspielhauses von Semper erfunden worden war. In nuce handelt es sich hierbei um die Etablierung der vierten Wand. Zunächst scheint auch das eine für Wagners Metaphernhaushalt überraschende Wendung. Gerade die nachgiebige, flüssige Qualität der Träume, durch die sich verschiedene Realitätsstufen ineinanderblenden ließen, müßte doch eher spielbestimmend sein für eine Umgebung, die auf Interaktion ausgelegt war. Aber bereits das Verdeck über dem 'mystischen Abgrund' sollte laut Wagners Maßgaben "die Realität von der Idealität"290 abtrennen. Das Traumbild konnte nur in mäßiger Entfernung zur Wirklichkeit virulent werden, denn natürlich mußte es vor allem ein Gegenbild etablieren. Wagner inokulierte von daher die Ferne in die Nähe. Das Hinschauen und das Wegschauen – beides im Motiv der Entrückung enthalten – wurden nun auch bühnentechnisch relevant. Konkret handelte es sich um eine Verdopplung des gewöhnlichen Bühnenrahmens, wodurch eine optische Verjüngung erreicht und der Blick des Zuschauers auf die Bühne noch besser kanalisiert werden konnte: Die Dekoration dieses vorderen Bühnenprosceniums ist in den Motiven, Ordonnanzen und Verhältnissen derjenigen des hinteren Bühnenprosceniums vollkommen gleich, aber in den wirklichen Größenverhältnissen davon verschieden, woraus eine perspektivische Täuschung entsteht, weil das Auge die thatsächlichen Größenverschiedenheiten nicht von den perspektivischen zu unterscheiden vermag. Eine Illusion, die nach Befinden und nach Umständen durch alle erdenklichen Beleuchtungskünste noch gehoben und modifiziert werden kann. So wird die beabsichtigte Vernichtung des Maßstabes der Entfernungen und somit die Trennung der 287 Über Schauspieler und Sänger. [Wagner, 1873i], S. 235f. 288 Das Kunstwerk der Zukunft. [Wagner, 1872c], S. 186 289 Die Neigung entspricht 0,5 m pro 1 m Bühnentiefe. 290 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 401 225 idealen Bühnenwelt von der Realität der Zuschauerwelt vervollständigt. Hierzu kommt noch der wichtige Vortheil, daß die darstellenden Künstler, wenn sie an den Bühnenrand hervortreten, das irdische Maß der Größe scheinbar überschreiten, weil das Auge die Größe nicht nach dem wahren, sondern nach dem verjüngten Maßstabe des kleineren inneren Prosceniums zu messen geneigt ist. Man erreicht damit ähnliches wie dasjenige, wonach die griechischen Tragiker strebten, indem sie die Personen, denen sie ihre heroischen Rollen anvertrauten, durch Masken, Kothurne und andere Mittel über das menschliche Maß hinaus vergrößerten. 291 In Wagners eigenen Worten: [Der mystische Abgrund] schloß [...] nach vorn durch ein erweitertes zweites Proscenium ab, aus dessen Wirkung [sich] in seinem Verhältnisse zu dem dahinter liegenden engeren Proscenium [...] alsbald die wundervolle Täuschung eines scheinbaren Fernerrückens der eigentlichen Scene [ergab], welche darin besteht, daß der Zuschauer den scenischen Vorgang sich weit entrückt wähnt, ihn nun aber doch mit der Deutlichkeit der wirklichen Nähe wahrnimmt; woraus dann die fernere Täuschung erfolgt, daß ihm die auf der Szene auftretenden Personen in vergrößerter, übermenschlicher Gestalt erscheinen. 292 Das szenische Geheimnis des Traumbildes wurde gerade durch dessen Hervorhebung gewahrt. Ähnlich wie bei der Technik des Close-Ups im Film konnte hier eine Intimität erreicht werden, die trotz allem 'unwirklich' blieb. Die Traumfiguren treten auf und treten ab und sind doch gleichzeitig immateriell. Der Tau des Schlafes ist zum Greifen nahe, aber bei der ersten Berührung muß er zerrinnen. Heinrich Habel hat angemerkt, daß im Festspielhaus sogar noch eine dritte und vierte motivische Wiederholung des Proszeniums existiert, durch die dieser Effekt noch weiter verstärkt werden konnte. Zum einen wurde das Auditorium durch das "Einziehen paralleler Scherwände mit Säulen am inneren Ende und Gebälken [...] zur Keilform reduziert". 293 Zum anderen hatte man das "vorderste Scherwandpaar [...] als einziges über dem Gebälk bis zur Decke hin fortgesetzt und nach Art der Proszenien durch einen Querbalken unter der Decke nebst vermittelnden Zwickelvoluten miteinander verbunden". 294 Das Ergebnis war und ist die maximale Integration des Zuschauers; Wagner sagte, daß sich "das Publikum, auf jedem von ihm eingenommenem Platze, in die proscenische Perspektive selbst einfügte[...]."295 Die Bühnentäuschung wird zur Wahrheit, weil sie als Illusion in den Traum des Zuschauers eingesetzt wird. Jeder einzelne ist nun in seinen eigenen Träumen enthalten. Dazu noch einmal Wagner: Zwischen ihm [dem Zuschauer] und dem zu erschauenden Bilde befindet sich nichts deutlich Wahrnehmbares, sondern nur eine, zwischen den beiden Proscenien durch architektonische Vermittelung gleichsam im Schweben erhaltene Entfernung, welche das durch sie ihm entrückte Bild in der Unnahbarkeit einer Traumerscheinung zeigt, während die aus dem 'mystischen Abgrunde' geisterhaft erklingende Musik, gleich den, unter dem Sitze der Pythia dem 291 [Semper, 1906], S. 109f. 292 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 401 293 [Habel, 1970], S. 314f. 294 [Habel, 1985], S. 401 295 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 403 226 heiligen Urschooße Gaia's entsteigenden Dämpfen, ihn in jenen begeisterten Zustand des Hellsehens versetzt, in welchem das scenische Bild ihm jetzt zum wahrhaftigsten Abbilde des Lebens selbst wird. 296 Die "richtige"297, "wundervolle"298, "sinnvollste"299, "ideale"300, "erhabene Täuschung"301, von der Wagner überall sprach und die er auch als "ideale Fernsicht"302 titulierte, was ist das also? – Der Traum. Was aber ist der Traum? Der Traum ist die Musik.303 <Das Auge, das sich wechselnd öffnet und schließt: Der Wagner-Vorhang> Kommen wir zum Schluß, der auch ein Anfang sein könnte: Kommen wir zum Theatervorhang, jenem Utensil, das theatergeschichtlich weder als Requisit noch als Dekoration, weder als Maschinenwerk noch als Akteur definierbar ist und das der Inbegriff von allem zu sein scheint, was dazwischen liegt – auch in Bayreuth das einzige, das sich aus Sicht der Bühne knapp vor der vierten Wand und aus Sicht des Zuschauerraums knapp hinter der Rampe befindet und das doch weder der einen noch der anderen Welt ganz angehört. Was würde ein Vorhang sagen, der selbst einmal in einem Theaterstück einen Auftritt bekäme? Er würde sagen: "Warum schrieb noch keiner von ihnen über mich, über das ewige alte Lied des Vorhangfallens und Aufgehens?"304 Vor allem würde er sagen: Ich verlange: Aenderung, Besserung, Fortschritt! [...] In Bayreuth hat man einen Versuch gemacht Dich anders einzurichten. Dein College dort war in der Mitte auseinander geschnitten, und die beiden Theile rauschten nun beim Beginn des Actes von der Mitte her, wo sie ineinanderflossen, wie eine Doppel-Portière, nach beiden Seiten zu weg und legten so die Bühne frei. Ebenso wurde beim Actschluß die Bühne wieder gedeckt. [...] Richard Wagner, der es in Bayreuth mit diesem Vorhang versuchte, fühlte eben auch nur, daß es mit dem alten nicht mehr ginge [...]. 305 Lassen wir daneben auch die Fakten sprechen. In der Tat hat Wagner für Bayreuth nicht nur mit unterschiedlichen Portalschleiern, Zwischenvorhängen und dem berühmten "steam curtain"306, wie Shaw es nannte, experimentiert. Für den großen Spielvorhang hat er einen ganz neuen Zugmechanismus erfunden. Dieser ist unter dem Namen 'WagnerVorhang' in die Geschichte der Bühnentechnik eingegangen, unterliegt technisch heute der DIN-Normung307, und es ist mehr als eine Randnotiz wert, daß dies bislang der 296 Ebd., S. 402 297 Brief Richard Wagners vom 27. 12. 1868 an Hans von Bülow. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1916], S. 271 298 Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. [Wagner, 1873d], S. 401 299 Ebd., S. 339 300 Einblick in das Opernwesen. [Wagner, 1873f], S. 339 301 Über Schauspieler und Sänger. [Wagner, 1873i], S. 265 302 Ebd., S. 233 303 Vgl. mit dem Abschnitt <'Beethoven'-Schrift und Traumbegriff> in Kap. II.2 304 [Hoxar, 1882], S. 195 305 Ebd., S. 203f. 306 [Shaw, 1932], S. 155. Vgl. auch Hanslicks Bemerkung zum Einsatz der Bühnendämpfe in Bayreuth in Anm. 64 dieses Kapitels. 307 Siehe: [<Deutsches Institut für Normung>, 1970] 227 einzige Fall ist, wie Urs Mehlin bemerkt hat, bei dem der Name eines Komponisten für die Bezeichnung eines Bühnenhilfsmittels gebraucht wurde. 308 Konkret bestand die Neuerung in der Art und Weise, wie der Vorhang gerafft wird. Wagner hatte den Vorhangschal in der Mitte teilen lassen; die 'Doppel-Portière' hing nun zu beiden Seiten des Bühnenrahmens in langen Seilen und konnte während der Öffnung seitlich so gehoben werden, daß sie das ganze Portalfenster freigab (vgl. Abb. 57). Im wesentlichen sind das zwei sich überlagernde Bewegungen, die proportional aufeinander abgestimmt waren – aus bühnenpraktischer Sicht schon deshalb spektakulär, wenn man an die Belastung der Winden denkt, die durch die Gewichtszunahme der Stoffe bei der Auffahrt entstehen mußte. Genauer und stilistisch betrachtet brachte Wagner damit auf der einen Seite die Kombination des sogenannten 'Deutschen' und des 'Französischen Zuges' (der eine ein lediglich auf- und abbeweglicher, der andere ein teil- und hebbarer Vorhang, der ausschließlich nach der Öffnung auch hochziehbar war). Auf der anderen Seite perfektionierte er den 'Italienischen Zug', der zwar in der Anlage der Rafftechnik des Wagner-Vorhangs entsprach, der sich aber nicht wie dieser ganz hinter dem Portal verbergen ließ. Es war 'so alt und war doch so neu': Wagner hat sich offenbar auch hier über das Bestehende hinweggesetzt, indem er es der eigenen Illusionswirkung subordinierte. Wer das als einen biographischen oder gar musikhistorischen Kommentar lesen mag, liegt womöglich nicht ganz falsch. Doch weiter. Das eigentliche Ereignis lag in der ästhetischen Neubestimmung. Wagner ist der erste gewesen, der nicht nur die Anlage des Theatergebäudes, den Verdunklungsmechanismus, die Bühnendämpfe oder die Applausordnung dramaturgisch eingesetzt und rubriziert hatte. Die Vorhangregie wurde bei ihm selbst zu einem Teil des Musikdramas. Zum vor-ersten Teil des "vor-erste[n] Spiel[s]"309, um präzise zu sein. Zu jenem Teil nämlich, welcher der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik sowohl zeitlich wie auch räumlich vorgeordnet war. Sollte das Bühnengeschehen dem Traumbild gleichen, das auf der vierten Wand figürlich wurde, so mußte der Vorhang für diese Projektion notwendig zum Katalysator werden, der das Bildertreiben freigeben und auch wieder in sich verschließen konnte. Sieht man also genau hin, so ist in Bayreuth als erstes und als letztes der Vorhang 'anschauenswerth': In Wagners Zugmechanismus erkennt man den Automatismus eines Auges. Der Vorhang ist "ein ganz eigen Ding", hat Emil Pirchan gesagt, wie "ein Schleier, der vom Traume trennt". 310 Ja, dieser Schleier, der vom Traume trennt, er ist das Augenlid, das sich in der vertikalen Raffung des Wagner-Vorhangs auf und ab bewegt. Die Bühnenöffnung wird "wie von einer halben Irisblende freigegeben"311, schrieb Baumann. GregorDellin nannte die Einrichtung "Bayreuther Linse".312 Metaphern der Optik, um das Sehen und die "organische Angliederung"313 zu beschreiben. Denn sollte die Anschauung des 308 Siehe: [Mehlin, 1969], S. 36 309 [Mann, 1974b], S. 518 310 [Pirchan, 1938], S. 258 311 [Baumann, 1980], S. 151 312 [Gregor-Dellin, 1980], S. 718 313 [Appia, 1902], S. 203 228 Publikums in Bayreuth bereits schöpferisch sein, so galt dies auch für das Traumbild der Bühne: Verlöschung des Saallichts – Einsetzen der Musik – Vorhangzug – Beginn des Wahrtraums – das Musikdrama schaut zurück. Nietzsche: Der Blick, mit welchem uns das geheimnissvolle Auge der Tragödie anschaut, ist kein erschlaffender und gliederbindender Zauber. Obschon sie Ruhe verlangt, so lange sie uns ansieht; – denn die Kunst ist nicht für den Kampf selber da, sondern für die Ruhepausen vorher und inmitten desselben, für jene Minuten, da man zurückblickend und vorahnend das Symbolische versteht, da mit dem Gefühl einer leisen Müdigkeit ein erquickender Traum uns naht. 314 Vielleicht ist es auch hier wieder ein Zeichen jener individuellen Genese, die schon bei der Beurteilung des 'Bayreuther Dunkels' zu Divergenzen und in toto auch zu Märchenbildung geführt hatte, über das Aussehen des originalen Bayreuther Vorhangs von 1876 ist jedenfalls lange Zeit spekuliert worden. Besonders die Farbe war strittig, 'Augenfarbe' möchte man fast sagen. Die Irisblende mag tatsächlich irisiert haben, ein kleines, schimmerndes, durchwässertes Medaillon. Mündlichen Überlieferungen zufolge war der Vorhang horizontal gestreift oder aber von hellgelblichem Ton mit vertikalen, pompejanischen roten Streifen und hohem, rot-goldenen Brokat-Sockel. Wilhelm Mohr hingegen will einen uni-farbenden, "rothe[n]"315 Vorhang erkannt haben. Adolphe Jullien: "[P]as de rideau rouge; un velum grisâtre".316 Otto Brückwald berichtete von einem "wirklich bemalten Stoff in Falten hängend". 317 Überlassen wir Adolphe Appia das letzte Wort in der Sache, von ihm stammt die behutsamste und zuverlässigste Darstellung: Als Wagner sein Festspielhaus errichtete, öffnete sich der Vorhang unserer sämtlichen Theater in senkrechter Richtung. Heute dünkt uns der nach beiden Seiten sich teilende Bayreuther Vorhang eine von selbst verständliche Einrichtung; doch mußte diese Vorrichtung erst ersonnen und praktisch durchgeführt werden. In unseren gewöhnlichen Theatersälen ist überall umher so viel Stoff zu sehen, daß der Vorhang nur ein Stück Stoff mehr ist, weiter nichts. In Bayreuth verhält es sich anders. [...] Mit sicherem Instinkte hat [...] Wagner einen sehr steifen Stoff gewählt und hat den mächtigen Faltenlinien noch größeren Schwung verliehen, indem er den unteren Rand noch steifer ausführen ließ. Dann ließ er den Vorhang in einem weichen, dunklen Farbentone malen, der demjenigen der Saalwände etwa entspricht. Wiederum ist der harmonische Eindruck vollkommen, und das Auge bleibt vollauf befriedigt. Nicht so aber der große Meister. Ihm fehlte noch etwas. Ihm fehlte noch ein verbindende Linie zwischen den Zuschauern und dem Schaustück. In dem Augenblicke, da der Vorhang sich teilt, durfte ersterer keinen plötzlichen Ruck empfinden; sanft sollte sein Auge hinaus gleiten in die Welt des Traumes. Was ersann sich also Wagner? Eine wa[a]gerechte Linie zog er unten, quer über den Vorhang - eine Art hoher Borte; diese Linie ruft beim Zuschauer den Eindruck hervor, als bezeichne sie die Manneshöhe auf der Bühne. Unterstützt wird ihre Wirkung durch die Linie, welche den Sockel der beiden Seiten des Bühnenrahmens andeutet. Während des Orchestervorspiels hat der Zuschauer diese Linie vor Augen; unbewußt gewöhnt er sich an den von ihr angedeuteten Maßstab. Jetzt teilt sich der Vorhang; und da nun die Darsteller bedeutend zurück bleiben gegen die Höhe dieses durch die Horizontallinie gegebenen Maßstabes, so 314 Richard Wagner in Bayreuth. [Nietzsche, 1988n], S. 451 315 [Mohr, 1876], S. 31 316 [Jullien, 1886], S. 219 317 [Brückwald, 1877], S. 68 229 findet ganz unwillkürlich ein Fernrücken des Bildes statt, durch welches der Eindruck eines Traumbildes sich nur verstärkt. So dient denn der Vorhang dazu, die gesuchte Verbindung herzustellen. 318 Eine Kunst der Schwelle. Der Vorhang wird zu einer beweglichen Leinwand, er entbirgt, was wir ohne ihn überhaupt nicht sehen würden. Im Halbschlaf war ehedem in La Spezia der Anfang des Opus magnum imaginiert worden, in Bayreuth, viele Jahre später, wurde das Bild manifest: "Grünliche Dämmerung", "nächtliche[r] Grund"319, tiefliegende Klänge in Es-Dur, schlafend das Gold auf dem Grunde des Rheins – es ist die Einheit von Schöpfer und Geschöpftem. Dann: "Volles Wogen der Wassertiefe"320, plötzlich zieht der Vorhang auf, das Lid schlägt hoch, das Publikum erwacht zum Träumen: "Lugt, Schwestern!/ Die Weckerin lacht in den Grund. [...] Durch den grünen Schwall/ den wonnigen Schläfer sie grüßt. [...] Jetzt küßt sie sein Auge, daß er es öffne;/ schaut, es lächelt/ in lichtem Schein."321 – dies ist die Einheit von Schauendem und Geschautem (vgl. Abb. 58). Und in der Mitte der Regenbogenhaut werden im Spiegelreflex jene theatralen Püppchen erkennbar, die winzig als Spitze unseres Sehstrahls und überlebensgroß als Widerschein unserer Träume wirken und die von Stund an auf der Pupille der Wagnerschen Bühne ausagieren werden, was immer wir in ihnen zu sehen glauben. Ihr Geschick weiter zu verfolgen, wäre vielleicht noch einen Gedanken wert. ________ 318 [Appia, 1902], S. 201 319 Rheingold, 1. [Wagner, 1999c], S. 7 320 Ebd. 321 Rheingold, 1. [Wagner, 1999c], S. 19 230 Rückblick: Zusammenfassung (Abstract) Zuletzt sind und bleiben wir der Musik gut, wie wir dem Mondlicht gut bleiben. Beide wollen ja nicht die Sonne verdrängen, – sie wollen nur, so gut sie es können, unsere Nächte erhellen. Aber nichtwahr? scherzen und lachen dürfen wird trotzdem über sie? Ein Wenig wenigstens? Und von Zeit zu Zeit? Ueber den Mann im Monde! (Friedrich Nietzsche)1 Setzt man sich mit den Musikdramen Richard Wagners auseinander, so wird bei genauerem Hinsehen klar, daß diese im mindesten so viele 'Nacht-Geweihte' wie 'Tagknechte' engagiert halten: Schläfer und Schlafsüchtige, Träumer und Visionäre, Somnambule und Halluzinanten jeder Couleur und Bestimmung, die die nach vorne stürzende Handlung arretieren und umleiten, um diese auf einer Metaebene fortzusetzen. Was zunächst episodisch erscheint, ist ein fundamental produktiver Widerspruch. Davon ausgehend, möchte die vorliegende Arbeit die vielfältigen dramaturgischen und ästhetischen Bedingungen freilegen, die Wagners szenischer Konzeption voranstanden. Sowohl die Materialfülle wie auch die Tatsache, daß dem dramaturgischen Schlafmotiv in Wagners Werk bislang keinerlei Würdigung zuteil wurde, ließen eine dreifache Argumentation sinnvoll erscheinen: Der Schlaf wird untersucht als Affekt in Wagners Biographie, als Metapher in Wagners Kunst- und Musikästhetik und als Allegorie in Wagners Festspieldramaturgie. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem biographischen Szenarium. Hierbei gilt es zuerst, mit einem landläufigen Mißverständnis aufzuräumen. Wagners renitente Vorliebe für Schlafröcke und Diwandecken, für Hausjacken aus Eiderdaunen, für weiche, fließende Stoffe, dämmernde Zimmer und zeltartige Interieurs wurde bisher als Form eines unkontrollierten Luxusanspruchs begriffen. Es kann jedoch gezeigt werden, daß die Requisiten des Schlafs viel eher eine Aura der Künstlichkeit generierten, die Wagners Verständnis zufolge gleichbedeutend war mit einer Vorstufe seiner Kunstproduktion. Eingedenk dessen, daß Wagners physiologische Konstitution latent durch insomnische und neurasthenische Schübe erschüttert wurde, ging es nicht um Fetischismus, sondern um Stimulation. Der 'Stoffbegriff' wird in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Die Textur der Kleidung muß als Auslöser jener Autosuggestion verstanden werden, aus der Wagner die Stoffe seines Werkes evolvierte. Dem ersten Kapitel beigeordnet ist eine Auseinandersetzung mit Wagners Träumen. Dabei geht es nicht um Traumdeutung. Diese ist zwar in der Wagner-Forschung kultiviert worden. Ein tragfähiges Fundament aber ist dafür genaugenommen nicht vorhanden; das Wagnersche Traummaterial stand bislang nur unsortiert und ausschnitthaft zur Verfügung. 1 Menschliches, Allzumenschliches. [Nietzsche, 1988h], S. 623 231 Aus diesem Grund wird hiermit das erste Mal eine vollständige Kartierung der Wagnerschen Träume unternommen. Ein Register wird vorgelegt, das alle erreich- bzw. erkennbaren Träume Wagners aus den Quellen herausfiltert und chronologisch systematisiert. Ganz in diesem Sinne wird auch in weiterer Folge nur das Verfahren des Träumens bei Wagner untersucht, welches als ein Teil des Schlafmotivs erscheint. Zwischen diesem und jenem sind dramaturgische Interferenzmuster erkennbar, die konstitutiv werden für ein Werk, das zu Recht immer wieder als 'traumhaft' bezeichnet worden ist. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den ästhetischen Schriften Wagners. Die biographische Spannung zwischen dem Wachen, dem Schlafen und dem Träumen übersetzt sich in dessen Kunst- und Musiktheorie. Die Bilder einer Gesellschaft, deren ermüdende soziale und politische Machinationen nur mehr auf eine 'Erweckung' hoffen ließen, begegneten, wie belegt werden kann, der Vorstellung, daß der prototypische Künstler zu einem Träumenden werden solle, der 'ruhen' muß, um für alle zu erwachen. Schlaf und Traum können hier also dechiffriert werden als Ressourcen utopistischen Bildertreibens. In einer ausführlichen Analyse insbesondere der Beethoven-Festschrift von 1870, mit der Wagner den Traum im Schopenhauerschen Sinn als ein der Musik äquivalentes Phänomen vorstellt, wird gezeigt, daß Halbschlafmomente und somnambule Zwischenzustände als Antrieb eines höheren Erwachens begriffen wurden. In der Rezeptionsgeschichte freilich hat man gerade diese Wagnersche These zu Ungunsten ihres Urhebers überdehnt. Die andauernde Debatte darum, inwieweit Wagners Musik hypnotisch sei, schlägt sich los von der Annahme, daß Musik eine Heilkunst sein könne. Homöopathikum oder Narkotikum, Schlaf oder Tod, Rekonvaleszenz oder Dekadenz: Die Positionen werden vorgestellt, diskutiert und eingeordnet. Das dritte und letzte Kapitel ist der Festspieldramaturgie gewidmet, mit der Wagner seine Theorien selbst in die Praxis überführt hat. Bayreuth, die Apotheose, wurde zur ersten Traumfabrik. Künstliche Verdunklungen und nächtliche Illuminationen, Dämmerungssehen im Zuschauerraum, der Halbschlaf des Publikums, aus dem die 'Wahrträume' freigesetzt werden sollten – Wagner inszeniert das Inszenieren und delegiert die dramaturgische Spannung ins Parkett. Der Zuschauer soll dabei zum Künstler, der Konsument zum Ko-Produzenten werden. Detailliert wird deshalb an dieser Stelle das Bild des Auges besprochen, das sich verschließen muß, um jene 'musischen' Bilder projizieren zu können, die das Musikdrama erst auf den Plan rufen. Die Protagonisten der Wagnerschen Werke erscheinen als energetische Manifestationen der Träume. Schlaf, das vergessene Motiv, wird zum Katalysator der Kunst. ________ 232 Register der Träume Richard Wagners Anhang zu Kap. I.3 ...man sollte immer seine Träume gleich notieren. (Richard Wagner)1 Das vorliegende Register verzeichnet alle in der Primärliteratur erwähnten bzw. erkennbaren Träume Richard Wagners 2 und stellt den Versuch dar, diese chronologisch zu erfassen. Da es sich bei Träumen jedoch um poetologisches Material handelt, dessen man nie wirklich habhaft werden kann, zumindest nicht mit wissenschaftlichen Mitteln – die Spannkraft zwischen subjektiver Erfahrung und objektiver Erkenntnis droht an jeder Stelle in den Widerspruch umzuschlagen -, unterliegt die Beweisführung hier einigen Sonderregeln. Zur Orientierung darum vorab folgende Bemerkungen: Sämtliche Einträge im Traumregister unterliegen der Ordnung 'Nummer', 'Datum', 'Quelle' des Traums, wobei sich die Zahlen in den Quellenangaben auf die entsprechenden Seitenzahlen ihrer Publikationen beziehen. In all den Fällen, in denen ein Traum in mehreren Quellen gleichzeitig Erwähnung gefunden hat, habe ich dies unter einer Inventarnummer als Mehrfachnennung verzeichnet (z. B. bei den Registernummern 5, 24, 25, 314). Einträge hingegen, die für mehrere aufeinander folgende Traumnummern dieselbe Quellenangabe aufweisen, machen deutlich, daß einer Nacht bzw. auch einem Tag unterschiedliche Träume zugehören – beispielsweise bleiben die Angaben für die Nummern 335-342 dieses Registers konstant, Cosima jedoch berichtet, daß Wagner am 17. Mai 1879 "mindestens 8 unruhige Träume" auf einmal gehabt habe. 8 Träume also, die sich zwar nicht näher bestimmen lassen, die aber dennoch so unterschiedlich gewesen sein dürften, daß es sich per se verbietet, sie innerhalb einer Generalzählung zu standardisieren und/ oder sie allein unter dem Datum ihrer Erwähnung zu einem Eintrag zusammenzuziehen. Einen weiteren Sonderstatus beanspruchen jene Träume, die Cosima als "regelmäßig wiederkehrend[...]", "beständig" oder "stehend[...]" beschreibt (vgl. etwa die Registernummern 102, 123, 517, 518, 521): Obschon sie in manchen Fällen viele Monate, wenn nicht sogar Jahre betreffen, können diese Träume hier nur einmal genannt und beziffert werden, da eine spezifische Datierung nicht einmal Wagner selbst möglich gewesen ist. Träume, die im Rahmen der vorliegenden Zählung zeitlich überhaupt nicht zu fixieren waren, stehen am Ende des Registers; keineswegs soll das aber suggerieren, daß sie sich nicht auch auf sehr frühe Jahre beziehen könnten. 1 TB vom 24. 3. 1872. [Wagner, 1976a], S. 504 2 Die Bedingungen, unter denen ich hier von 'Vollständigkeit' ausgehe, habe ich im Abschnitt <Am Rande des Schlafs: Zu einem Register der Träume Richard Wagners> in Kap. I.3 expliziert. 235 Wagners traumartige Zustände habe ich, trotz augenscheinlicher Definitionsprobleme und auf Grund jener Entscheidungen, die ich schon im Haupttext erläutert habe, als selbständige Träume begriffen und auch genau so dem Register eingeordnet. Es schien wichtig, gerade hier keine Trennung vorzunehmen in einem Bereich, in dem selbst Wagner nichts hätte trennen wollen oder können. Dennoch sollte die Sonderstellung übersinnlicher Eindrücke und Einflüsse natürlich erhalten bleiben – ich habe sie über Fußnoteneinträge kenntlich gemacht. Die Abkürzungen der benutzten Literaturquellen schlüsseln sich auf wie folgt, deren vollständige Angaben erschließen sich über das Literaturverzeichnis: Ann. I, II I: Richard Wagner: Annalen 1846-1867. [Wagner, 1988a], II: Richard Wagner: Annalen 1864-1868. [Wagner, 1976b] BB Richard Wagner: Das Braune Buch. [Wagner, 1988b] Br. CW/ Lud. Briefwechsel Cosima Wagner/ Ludwig II. [<Wagner, Cosima Briefe>, 1996] Br. RW/ FL Briefwechsel Richard Wagner/ Franz Liszt. [<Wagner, Richard Briefe>, 1988a] Bur. Die Sammlung Burrell. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1953] CW an DvB Briefe Cosima Wagners an Daniela von Bülow. [<Wagner, Cosima Briefe>, 1933] EW Briefe Richard Wagners an und Erinnerungen von Eliza Wille. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1935] FamBr. Familienbriefe Richard Wagners. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1907b] Gla. I, II, V, VI I: Biographie Richard Wagners von Carl Friedrich Glasenapp [Glasenapp, 1905a], II: Biographie Richard Wagners von Carl Friedrich Glasenapp [Glasenapp, 1910], V: Biographie Richard Wagners von Carl Friedrich Glasenapp [Glasenapp, 1912], VI: Biographie Richard Wagners von Carl Friedrich Glasenapp [Glasenapp, 1911] 236 Bd. 1. Bd. 2. Bd. 5. Bd. 6. ML Richard Wagner: Mein Leben. [Wagner, 1976c] RW an MM Briefe Richard Wagners an Mathilde Maier. [<Wagner, Richard Briefe>, 1930] RW an MW/ OW Briefe Richard Wagners an Mathilde und Otto Wesendonk. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1915] RW an MiW I, II I: Briefe Richard Wagners an Minna Wagner. Bd. 1. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], II: Briefe Richard Wagners an Minna Wagner. Bd. 2. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908b] RW an TA Briefe Richard Wagners an Theodor Apel. [<Wagner, Richard Briefe>, 1910] RW an Uh./ Fi./ Hei. Briefe Richard Wagners an Theodor Uhlig, Wilhelm Fischer, Ferdinand Heine. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1912] SB VII VII: Richard Wagner: Sämtliche Briefe Bd. 7. März 1855-März 1856. [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988b] TB I, II I: Cosima Wagner: Die Tagebücher 1. 1869-1877. [Wagner, 1976a], II: Cosima Wagner: Die Tagebücher 2. 1878-1883. [Wagner, 1977] 237 Nr. Datum des Traums ........................ Quelle des Traums 1. 2. 3. 4. 'In den Kinderjahren'..................... TB I: 392 Vermutl. um Okt. 1821................. TB II: 2483 Vermutl. Sommer 1822 ................. ML: 15 'Bis in die spätesten Knabenjahre' ............................................. ML: 19 'In den ersten Jünglingsjahren'/ Um 1827 ...................................... EW: 84, TB II: 683, ML: 37 Spätsommer 1832 .......................... ML: 69f.4 Um Nov. 1832 ............................. RW an TA: 4 10./ 11. Dez. 1833 ........................ FamBr: 9 Frühsommer 1835 ......................... Bur.: 46 Mai 1836 ...................................... Bur.: 70 Juni 1836 ...................................... Bur.: 85 18. Juni 1836 ................................ Bur.: 95 24. Nov. 1836............................... ML: 1425 Um 1838 ...................................... Gla. I: 504 7./ 8. Jan. 1839 ............................. Gla. II: 51f. 20. Okt. 1842 ............................... ML: 244f.6 Sept. 1847 ..................................... RW an MiW I: 36 Sept. 1847 ..................................... RW an MiW I: 36 Zw. 31. Mai u. 2. Juni 1849 .......... ML: 4307 Hochsommer 1849........................ ML: 4398 Zw. 1850 u. 1872 ......................... TB I: 902 Feb. 1851...................................... Br. RW/ FL: 163 Juli 1853 ....................................... RW an MiW I: 93f. 5. Sept. 1853 ................................. ML: 511f.9, Ann. I: 122 Zw. 13. u. 15. März 1855 ............. RW an MiW I: 148, SB VII:5210 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 3 Die Zeitangabe lautet hier im Wortlaut Wagners: "[I]n Eisleben einen Traum gehabt (als Knabe von 7 Jah- ren)". Halten wir uns an die Information 'Eisleben' dann hat aber entweder Wagner selbst oder Cosima in ihren Aufzeichnungen geirrt: In seiner Eislebener Zeit war Richard Wagner bereits 8 Jahre alt. Auch [Muller, o. J.], S. 146 übernimmt den Fehler kommentarlos. 4 "ein tückischer Dämon" 5 "eine Vision" 6 "[...] meinen Zustand während dieses Abends [...] kann ich mir [...] nicht anders als mit allen Eigenschaften eines Traumes behaftet vergegenwärtigen." 7 "im halbwachen Zustande" 8 "Träumerei" 9 "eine Art von somnambulem Zustand" 238 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. Um 1856 ...................................... RW an Uh./Fi./Hei.: 337 Juni 1856 ...................................... RW an MiW I: 230 24./ 25. Juni 1856 ......................... RW an MiW I: 233f. 24./ 25. Juni 1856 ......................... RW an MiW I: 234f. Feb. 1857...................................... Br. RW/ FL: 507 6./ 7. April 1858 ........................... Bur.: 490 16./ 17. Aug. 1858........................ RW an MW/OW: 107 22./ 23. Aug. 1858........................ RW an MW/OW: 109 Nov. 1858 .................................... RW an MiW II: 6 Um Anfang 1859 .......................... ML: 595 März 1859..................................... RW an MW/OW: 81 April 1860..................................... RW an MW/OW: 294 Nov. 1860 .................................... ML: 64111 Aug. 1861 ..................................... RW an MiW II: 194 21./ 22. Nov. 1861 ....................... RW an MiW II: 231 21./ 22. Nov. 1861 ....................... RW an MiW II: 231 Juni 1862 ...................................... ML: 70012 Juni 1862 ...................................... RW an MM: 14 20. Juni 1862 ................................ RW an MM: 15 Hochsommer 1862........................ ML: 70113 20./ 21. Dez. 1862 ........................ RW an MW/OW: 408f. Vermutl. um April 1864 ................ EW: 68 4./ 5. April 1864 ........................... RW an MM: 149 Vermutl. 31. Dez. 1864/ 1. Jan. 1865 ................................... Ann. II: 760 Jan. 1865....................................... Ann. II: 760 Um 16. Aug. 1865 ........................ BB: 35 Um 20. Aug. 1865 ........................ BB: 45 Um 25. Aug. 1865 ........................ BB: 51 Um 28. Okt. 1865 ........................ BB: 95 Zw. 2. u. 6. Dez. 1865 .................. Ann. II: 762 22./ 23. Mai 1866 ......................... Ann. II: 762 24./ 25. März 1867 ....................... Ann. II: 764 14./ 15. Mai 1867 ......................... Br. CW/ Lud.: 363 10 In der Leipziger Gesamtausgabe der Briefe Wagners wird dieser Traum unter dem Datum "15. III. 1855" nachgewiesen, vgl.: [<Wagner, Richard - Briefe>, 1988b], S. 50, Wagner selbst scheint sich unsicher gewesen zu sein und notierte den "(14?) März 1855", vgl.: [<Wagner, Richard - Briefe>, 1908a], S. 146 11 "Fieberparoxismen", "eine Ausgeburt meiner Fieberphantasien" 12 "im Halbschlummer" 13 "eine[...] ekstatische[....] Entrücktheit" 239 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 19. Sept. 1867 ............................... BB: 108 26./ 27. Sept. 1867........................ BB 108 6./ 7. Jan. 1869 ............................. TB I: 26f. 21./ 22. Feb. 1869 ........................ TB I: 61 23./ 24. Feb. 1869 ........................ TB I: 62 24./ 25. Feb. 1869 ........................ TB I: 63 3./ 4. März 1869 ........................... TB I: 66 19./ 20. April 1869 ....................... TB I: 87 5./ 6. Mai 1869............................. TB I: 93 26./ 27. Juni 1869 ......................... TB I: 117 11./ 12. Juli 1869 .......................... TB I: 126 18./ 19. Sept. 1869........................ TB I: 152f. 10./ 11. Nov. 1869 ....................... TB I: 168 4./ 5. Dez. 1869............................ TB I: 176 18./ 19. Jan. 1870 ......................... TB I: 189 5./ 6. Feb. 1870 ............................ TB I: 196 14./ 15. Feb. 1870 ........................ TB I: 198 24./ 25. April 1870 ....................... TB I: 223 1./ 2. Aug. 1870 ........................... TB I: 263f. 23./ 24. Sept. 1870........................ TB I: 290 24./ 25. Sept. 1870........................ TB I: 289f. 4./ 5. Okt. 1870............................ TB I: 295 17./ 18. Okt. 1870 ........................ TB I: 301 19./ 20. Okt. 1870 ........................ TB I: 301 24./ 25. Okt. 1870 ........................ TB I: 303f. 29./ 30. Nov. 1870 ....................... TB I: 317f. 2./ 3. Jan. 1871 ............................. TB I: 336 9./ 10. Feb. 1871 .......................... TB I: 354 4./ 5. März 1871 ........................... TB I: 367 12./ 13. März 1871 ....................... TB I: 369 15./ 16. März 1871 ....................... TB I: 370 17./ 18. März 1871 ....................... TB I: 371 April 1871..................................... TB I: 468 10./ 11. Juli 1871 .......................... TB I: 412f. Um 15. Juli 1871 .......................... TB I: 418 20./ 21. Juli 1871 .......................... TB I: 418 21./ 22. Juli 1871 .......................... TB I: 419 21./ 22. Juli 1871 .......................... TB I: 419 24./ 25. Juli 1871 .......................... TB I: 420 240 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 10./ 11. Aug. 1871........................ TB I: 426 25./ 26. Aug. 1871........................ TB I: 430 13./ 14. Sept. 1871........................ TB I: 438f. 13./ 14. Sept. 1871........................ TB I: 439 Nov. 1871 .................................... TB I: 462 Nov. 1871 .................................... TB I: 463 19./ 20. Dez. 1871 ........................ TB I: 469 19./ 20. Jan. 1872 ......................... TB I: 482 25./ 26. Jan. 1872 ......................... TB I: 489 25./ 26. Feb. 1872 ........................ TB I: 494 27./ 28. Feb. 1872 ........................ TB I: 495 29. Feb./ 1. März 1872 ................. TB I: 495 23./ 24. März 1872 ....................... TB I: 504 10./ 11. April 1872 ....................... TB I: 509 14./ 15. April 1872 ....................... TB I: 511 15./ 16. April 1872 ....................... TB I: 511 21./ 22. Mai 1872 ......................... TB I: 522 22./ 23. Mai 1872 ......................... TB I: 523 13./ 14. Juni 1872 ......................... TB I: 534 29./ 30. Juni 1872 ......................... TB I: 541 17./ 18. Juli 1872 .......................... TB I: 549 8./ 9. Aug. 1872 ........................... TB I: 559 12./ 13. Aug. 1872........................ TB I: 560 25./ 26. Sept. 1872........................ TB I: 576f. 25./ 26. Sept. 1872........................ TB I: 577 25./ 26. Sept. 1872........................ TB I: 577 19./ 20. Nov. 1872 ....................... TB I: 599 28./ 29. Nov. 1872 ....................... TB I: 603 9./ 10. Dez. 1872.......................... TB I: 61014 20./ 21. Dez. 1872 ........................ TB I: 614 21./ 22. Dez. 1872 ........................ TB I: 614 Dez. 1872 ..................................... TB I: 617 26./ 27. Dez. 1872 ........................ TB I: 618 5./ 6. Jan. 1873 ............................. TB I: 624 28./ 29. Jan. 1873 ......................... TB I: 634 Vermutl. 24./ 25. März 1873......... TB I: 660 27./ 28. März 1873 ....................... TB I: 662 29./ 30. März 1873 ....................... TB I: 664 14 "Cauchemars" 241 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 4./ 5. April 1873 ........................... TB I: 667 7./ 8. April 1873 ........................... TB I: 668 10./ 11. Mai 1873 ......................... TB I: 681 10./ 11. Mai 1873 ......................... TB I: 681 14./ 15. Mai 1873 ......................... TB I: 683 14./ 15. Mai 1873 ......................... TB I: 683 21./ 22. Mai 1873 ......................... TB I: 687 22./ 23. Mai 1873 ......................... TB I: 687 30. Juni/ 1. Juli 1873..................... TB I: 701 8./ 9. Juli 1873.............................. TB I: 704 19./ 20. Juli 1873 .......................... TB I: 707 24./ 25. Juli 1873 .......................... TB I: 709 8./ 9. Sept. 1873 ........................... TB I: 724 1./ 2. Okt. 1873............................ TB I: 734 3./ 4. Okt. 1873............................ TB I: 734 14./ 15. Okt. 1873 ........................ TB I: 740 4./ 5. Nov. 1873 ........................... TB I: 748 7./ 8. Nov. 1873 ........................... TB I: 749 21./ 22. Nov. 1873 ....................... TB I: 755 23./ 24. Nov. 1873 ....................... TB I: 756 27./ 28. Nov. 1873 ....................... TB I: 757 14./ 15. Jan. 1874 ......................... TB I: 781f. 16./ 17. Jan. 1874 ......................... TB I: 782 16./ 17. Jan. 1874 ......................... TB I: 782 7./ 8. Feb. 1874 ............................ TB I: 791 17./ 18. Feb. 1874 ........................ TB I: 793 19./ 20. Feb. 1874 ........................ TB I: 794 28. Feb./ 1. März 1874 ................. TB I: 796 28. Feb./ 1. März 1874 ................. TB I: 796 4./ 5. März 1874 ........................... TB I: 798 Um 18. April 1874........................ TB I: 813 Um 18. April 1874........................ TB I: 813 5./ 6. Mai 1874............................. TB I: 815 6./ 7. Mai 1874............................. TB I: 815 8./ 9. Mai 1874............................. TB I: 81715 13./ 14. Mai 1874 ......................... TB I: 819 14./ 15. Mai 1874 ......................... TB I: 820 31. Mai/ 1. Juni 1874.................... TB I: 824 15 "Halluzinationen" 242 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187. 188. 189. 190. 191. 192. 193. 194. 195. 196. 197. 198. 199. 200. 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 6. Juni 1874 .................................. TB I: 826 10./ 11. Juni 1874 ......................... TB I: 827 7./ 8. Juli 1874.............................. TB I: 835 17./ 18. Juli 1874 .......................... TB I: 838 23./ 24. Juli 1874 .......................... TB I: 840 21./ 22. Aug. 1874........................ TB I: 846 22./ 23. Aug. 1874........................ TB I: 846 7./ 8. Sept. 1874 ........................... TB I: 851 24./ 25. Sept. 1874........................ TB I: 853 26./ 27. Sept. 1874........................ TB I: 854 28./ 29. Okt. 1874 ........................ TB I: 863 28./ 29. Okt. 1874 ........................ TB I: 863 3./ 4. Nov. 1874 ........................... TB I: 865 16./ 17. Nov. 1874 ....................... TB I: 870 Vermutl. um Nov. 1874................ TB I: 871 14./ 15. Dez. 1874 ........................ TB I: 877 17./ 18. Dez. 1874 ........................ TB I: 878 18./ 19. Dez. 1874 ........................ TB I: 878 1./ 2. Jan. 1875 ............................. TB I: 885 19./ 20. Jan. 1875 ......................... TB I: 889f. 20. Jan. 1875 ................................. TB I: 89016 23./ 24. Jan. 1875 ......................... TB I: 890 23./ 24. Jan. 1875 ......................... TB I: 890 31. Jan./ 1. Feb. 1875.................... TB I: 892 1./ 2. Feb. 1875 ............................ TB I: 892 1./ 2. Feb. 1875 ............................ TB I: 893 8./ 9. Feb. 1875 ............................ TB I: 894 27./ 28. März 1875 ....................... TB I: 905 2./ 3. April 1875 ........................... TB I: 907 7./ 8. April 1875 ........................... TB I: 908 27./ 28. April 1875 ....................... TB I: 914 13./ 14. Mai 1875 ......................... TB I: 916f. 22./ 23. Juni 1875 ......................... TB I: 925 2./ 3. Okt. 1875............................ TB I: 939 8./ 9. Okt. 1875............................ TB I: 941 10./ 11. Okt. 1875 ........................ TB I: 942 16./ 17. Okt. 1875 ........................ TB I: 943 3./ 4. Nov. 1875 ........................... TB I: 947 16 "Er [...] wacht auf mit dem Bilde des zusammengefahrenen [Hundes] Rus!" 243 212. 213. 214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225. 226. 227. 228. 229. 230. 231. 232. 233. 234. 235. 236. 237. 238. 239. 240. 241. 242. 243. 244. 245. 246. 247. Ende Nov. 1875............................ TB I: 951 22./ 23. Dez. 1875 ........................ TB I: 954f. 25./ 26. Dez. 1875 ........................ TB I: 955 26./ 27. Dez. 1875 ........................ TB I: 955 29./ 30. Dez. 1875 ........................ TB I: 956 Um Anfang Jan. 1876.................... TB I: 961 5./ 6. Jan. 1876 ............................. TB I: 963 8./ 9. Jan. 1876 ............................. TB I: 964 6./ 7. Feb. 1876 ............................ TB I: 968f. 30./ 31. März 1876 ....................... TB I: 978 3./ 4. Mai 1876............................. TB I: 985 27./ 28. Juni 1876 ......................... TB I: 99317 20./ 21. Okt. 1876 ........................ TB I: 1009 20./ 21. Okt. 1876 ........................ TB I: 1009 6./ 7. Jan. 1877 ............................. TB I: 1023 19./ 20. Jan. 1877 ......................... TB I: 1025 17./ 18. Feb. 1877 ........................ TB I: 1032 4./ 5. April 1877 ........................... TB I: 1042 22. Mai 1877................................. Gla. V: 35618 11./ 12. Juli 1877 .......................... TB I: 1058 13./ 14. Juli 1877 .......................... TB I: 1060 9./ 10. Aug. 1877.......................... TB I: 1065 26./ 27. Aug. 1877........................ TB I: 1068 30./ 31. Aug. 1877........................ TB I: 1069 1./ 2. Sept. 1877 ........................... TB I: 1070 21./ 22. Okt. 1877 ........................ TB I: 1078 8./ 9. Nov. 1877 ........................... TB I: 1083f. 15./ 16. Nov. 1877 ....................... TB I: 1086 16./ 17. Nov. 1877 ....................... TB I: 1086 26./ 27. Nov. 1877 ....................... TB I: 1089 1./ 2. Dez. 1877............................ TB I: 1090f. 17./ 18. Dez. 1877 ........................ TB I: 1097 23./ 24. Dez. 1877 ........................ TB I: 1099 25./ 26. Dez. 1877 ........................ TB I: 1100 3./ 4. Jan. 1878 ............................. TB II: 33 4./ 5. Jan. 1878 ............................. TB II: 34 17 Zwischen diesem und dem nächsten Traum lagen Eröffnung und Verlauf der ersten Bayreuther Festspiele! Soweit zu sehen ist, existiert also leider keine einzige Meldung über Träume aus diesem Zeitraum. 18 "völlig traumhafter[...] Zustand" 244 248. 249. 250. 251. 252. 253. 254. 255. 256. 257. 258. 259. 260. 261. 262. 263. 264. 265. 266. 267. 268. 269. 270. 271. 272. 273. 274. 275. 276. 277. 278. 279. 280. 281. 282. 283. 284. 285. 286. 9./ 10. Jan. 1878 ........................... TB II: 35 16. Jan. 1878 ................................. TB II: 37 20./ 21. Jan. 1878 ......................... TB II: 38 7./ 8. Feb. 1878 ............................ TB II: 44 8./ 9. Feb. 1878 ............................ TB II: 44 14./ 15. Feb. 1878 ........................ TB II: 46 13./ 14. März 1878 ....................... TB II: 58 15./ 16. März 1878 ....................... TB II: 60f. 16./ 17. März 1878 ....................... TB II: 62 28./ 29. März 1878 ....................... TB II: 72 31. März/ 1. April 1878 ................ TB II: 75 1./ 2. April 1878 ........................... TB II: 77 22./ 23. April 1878 ....................... TB II: 86 23./ 24. April 1878 ....................... TB II: 86 6./ 7. Mai 1878............................. TB II: 91 30./ 31. Mai 1878 ......................... TB II: 103 2./ 3. Juni 1878............................. TB II: 105 17./ 18. Juni 1878 ......................... TB II: 119 20./ 21. Juni 1878 ......................... TB II: 120 22. Juni 1878 ................................ TB II: 121f. 25./ 26. Juni 1878 ......................... TB II: 124 26./ 27. Juni 1878 ......................... TB II: 125 28./ 29. Juni 1878 ......................... TB II: 127 2./ 3. Juli 1878.............................. TB II: 129 4./ 5. Juli 1878.............................. TB II: 132 8./ 9. Juli 1878.............................. TB II: 134 10./ 11. Juli 1878 .......................... TB II: 135 23./ 24. Juli 1878 .......................... TB II: 145 1./ 2. Aug. 1878 ........................... TB II: 152 9./ 10. Aug. 1878.......................... TB II: 157 13./ 14. Aug. 1878........................ TB II: 158f. 17./ 18. Aug. 1878........................ TB II: 162 4./ 5. Sept. 1878 ........................... TB II: 169 5./ 6. Sept. 1878 ........................... TB II: 169 9./ 10. Sept. 1878 ......................... TB II: 173 10./ 11. Sept. 1878........................ TB II: 174 26./ 27. Sept. 1878........................ TB II: 184 3./ 4. Okt. 1878............................ TB II: 190 12. Okt. 1878 ............................... TB II: 198 245 287. 288. 289. 290. 291. 292. 293. 294. 295. 296. 297. 298. 299. 300. 301. 302. 303. 304. 305. 306. 307. 308. 309. 310. 311. 312. 313. 314. 315. 316. 317. 318. 319. 320. 321. 322. 323. 12. Okt. 1878 ............................... TB II: 198 18./ 19. Okt. 1878 ........................ TB II: 203 18./ 19. Okt. 1878 ........................ TB II: 203 20./ 21. Okt. 1878 ........................ TB II: 205 25. Okt. 1878 ............................... TB II: 209 29./ 30. Okt. 1878 ........................ TB II: 213 31. Okt./ 1. Nov. 1878................. TB II: 215 5./ 6. Nov. 1878 ........................... TB II: 219 9./ 10. Nov. 1878 ......................... TB II: 223 11./ 12. Nov. 1878 ....................... TB II: 227 12./ 13. Nov. 1878 ....................... TB II: 228 21./ 22. Nov. 1878 ....................... TB II: 237 23./ 24. Nov. 1878 ....................... TB II: 239 24./ 25. Nov. 1878 ....................... TB II: 239 26./ 27. Nov. 1878 ....................... TB II: 242 6./ 7. Dez. 1878............................ TB II: 251 14./ 15. Dez. 1878 ........................ TB II: 259 15./ 16. Dez. 1878 ........................ TB II: 260f. 18./ 19. Dez. 1878 ........................ TB II: 264 23./ 24. Dez. 1878 ........................ TB II: 269 (23./ 24. Dez. 1878....................... TB II: 269) 19 26./ 27. Dez. 1878 ........................ TB II: 273 26./ 27. Dez. 1878 ........................ TB II: 273 Um 1879 ...................................... TB II: 426 2./ 3. Jan. 1879 ............................. TB II: 282f. 9./ 10. Jan. 1879 ........................... TB II: 287 10./ 11. Jan. 1879 ......................... TB II: 288 11./ 12. Jan. 1879 ......................... TB II: 288, TB II: 304 11./ 12. Jan. 1879 ......................... TB II: 288 15./ 16. Jan. 1879 ......................... TB II: 292 29./ 30. Jan. 1879 ......................... TB II: 299 Feb. 1879...................................... TB II: 303 3./ 4. Feb. 1879 ............................ TB II: 303 15./ 16. Feb. 1879 ........................ TB II: 305 21./ 22. Feb. 1879 ........................ TB II: 308f. 22./ 23. Feb. 1879 ........................ TB II: 308f. 27./ 28. Feb. 1879 ........................ TB II: 309 19 Von Wagner revidiert als Erfindung. Vgl.: TB vom 25. 12. 1878. [Wagner, 1977], S. 270. Wir belassen den Eintrag aber in der laufenden Zählung, insofern hier mit repräsentativen Traumbildern gespielt wurde. 246 324. 325. 326. 327. 328. 329. 330. 331. 332. 333. 334. 335. 336. 337. 338. 339. 340. 341. 342. 343. 344. 345. 346. 347. 348. 349. 350. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 357. 358. 359. 360. 361. 362. 20./ 21. März 1879 ....................... TB II: 318 25./ 26. März 1879 ....................... TB II: 322 18./ 19. April 1879 ....................... TB II: 333 18./ 19. April 1879 ....................... TB II: 333 4./ 5. Mai 1879............................. TB II: 342 4./ 5. Mai 1879............................. TB II: 342 5./ 6. Mai 1879............................. TB II: 343 7./ 8. Mai 1879............................. TB II: 345 9./ 10. Mai 1879 ........................... TB II: 346 9./ 10. Mai 1879 ........................... TB II: 346 16./ 17. Mai 1879 ......................... TB II: 350 17. Mai 1879................................. TB II: 351 17. Mai 1879................................. TB II: 351 17. Mai 1879................................. TB II: 351 17. Mai 1879................................. TB II: 351 17. Mai 1879................................. TB II: 351 17. Mai 1879................................. TB II: 351 17. Mai 1879................................. TB II: 351 17. Mai 1879................................. TB II: 351 28./ 29. Mai 1879 ......................... TB II: 356 3./ 4. Juni 1879............................. TB II: 359 12./ 13. Juni 1879 ......................... TB II: 364 13./ 14. Juni 1879 ......................... TB II: 365 23./ 24. Juni 1879 ......................... TB II: 371 26./ 27. Juni 1879 ......................... TB II: 372 27./ 28. Juni 1879 ......................... TB II: 373f. 2./ 3. Juli 1879.............................. TB II: 376 20./ 21. Juli 1879 .......................... TB II: 385 31. Juli/ 1. Aug. 1879 ................... TB II: 391 8./ 9. Aug. 1879 ........................... TB II: 395 10./ 11. Aug. 1879........................ TB II: 397 11./ 12. Aug. 1879........................ TB II: 397 3./ 4. Sept. 1879 ........................... TB II: 403f. 9. Sept. 1879 ................................. TB II: 406 14./ 15. Sept. 1879........................ TB II: 409 Mitte/ Ende Sept. 1879................. TB II: 425 1./ 2. Okt. 1879............................ TB II: 419 26./ 27. Okt. 1879 ........................ TB II: 431 7./ 8. Nov. 1879 ........................... TB II: 438 247 363. 364. 365. 366. 367. 368. 369. 370. 371. 372. 373. 374. 375. 376. 377. 378. 379. 380. 381. 382. 383. 384. 385. 386. 387. 388. 389. 390. 391. 392. 393. 394. 395. 396. 397. 24./ 25. Nov. 1879 ....................... TB II: 448 26./ 27. Nov. 1879 ....................... TB II: 451 30. Nov./ 1. Dez. 1879 ................. TB II: 455 1./ 2. Dez. 1879............................ TB II: 456 2./ 3. Dez. 1879............................ TB II: 45720 3./ 4. Dez. 1879............................ TB II: 457 5. Dez. 1879 ................................. TB II: 45821 6./ 7. Dez. 1879............................ TB II: 45822 14./ 15. Dez. 1879 ........................ TB II: 460 20./ 21. Dez. 1879 ........................ TB II: 463 22./ 23. Dez. 1879 ........................ TB II: 464 22./ 23. Dez. 1879 ........................ TB II: 464 22./ 23. Dez. 1879 ........................ TB II: 464 13./ 14. Jan. 1880 ......................... TB II: 476 28./ 29. Jan. 1880 ......................... TB II: 485 28./ 29. Jan. 1880 ......................... TB II: 485 6./ 7. Feb. 1880 ............................ TB II: 489 8./ 9. Feb. 1880 ............................ TB II: 48923 7./ 8. März 1880 ........................... TB II: 500 15./ 16. März 1880 ....................... TB II: 504f. 20./ 21. März 1880 ....................... TB II: 508 2./ 3. April 1880 ........................... TB II: 515 3./ 4. April 1880 ........................... TB II: 517 9./ 10. April 1880 ......................... TB II: 519 10./ 11. April 1880 ....................... TB II: 519 19./ 20. April 1880 ....................... TB II: 523 27./ 28. April 1880 ....................... TB II: 526 4./ 5. Mai 1880............................. TB II: 529 4./ 5. Mai 1880............................. TB II: 529 13./ 14. Mai 1880 ......................... TB II: 532 16./ 17. Juni 1880 ......................... TB II: 546 1./ 2. Juli 1880.............................. TB II: 560f. 7./ 8. Juli 1880.............................. TB II: 565 15. Juli 1880.................................. TB II: 570 Anfang Aug. 1880 ......................... TB II: 579 20 "»Thénardier«-artige Erscheinungen" 21 "ein Zustand von halb Wachen und halb Träumen" 22 "kleine Halluzinationen" 23 "vieles Phantasieren" 248 398. 399. 400. 401. 402. 403. 404. 405. 406. 407. 408. 409. 410. 411. 412. 413. 414. 415. 416. 417. 418. 419. 420. 421. 422. 423. 424. 425. 426. 427. 428. 429. 430. 431. Zw. 17. u. 19. Aug. 1880 .............. CW an DvB: 103, TB II: 58424 25./ 26. Aug. 1880........................ TB II: 587 26./ 27. Aug. 1880........................ TB II: 587f. 27./ 28. Aug. 1880........................ TB II: 588 27./ 28. Aug. 1880........................ TB II: 588 1./ 2. Sept. 1880 ........................... TB II: 591 6./ 7. Sept. 1880 ........................... TB II: 596 23./ 24. Sept. 1880........................ TB II: 604 Anfang Okt. 1880 ......................... TB II: 609 Anfang Okt. 1880 ......................... TB II: 609 13./ 14. Okt. 1880 ........................ TB II: 611 15./ 16. Okt. 1880 ........................ TB II: 612 22./ 23. Okt. 1880 ........................ TB II: 613f. 7. Nov. 1880................................. TB II: 617 7./ 8. Nov. 1880 ........................... TB II: 618 12./ 13. Nov. 1880 ....................... TB II: 62025 20./ 21. Nov. 1880 ....................... TB II: 623 1./ 2. Dez. 1880............................ TB II: 629 2./ 3. Dez. 1880............................ TB II: 630 29./ 30. Dez. 1880 ........................ TB II: 650 10./ 11. Jan. 1881 ......................... TB II: 663 16./ 17. Jan. 1881 ......................... TB II: 667 24./ 25. Jan. 1881 ......................... TB II: 674f. 25./ 26. Jan. 1881 ......................... TB II: 675 30./ 31. Jan. 1881 ......................... TB II: 679f. Vermutl. um Anfang Feb. 1881 ..... TB II: 682 14./ 15. Feb. 1881 ........................ TB II: 691 25./ 26. Feb. 1881 ........................ TB II: 701 22./ 23. März 1881 ....................... TB II: 715 3./ 4. April 1881 ........................... TB II: 721 6./ 7. April 1881 ........................... TB II: 723 9./ 10. April 1881 ......................... TB II: 725 11./ 12. April 1881 ....................... TB II: 726 16./ 17. April 1881 ....................... CW an DvB: 199 24 Die Datumsquelle dieses Traumes bleibt uneindeutig, Cosima verzeichnet denselben Trauminhalt vermut- lich aus Unachtsamkeit (die ganze Familie ist auf Italienreise) unter zwei verschiedenen Daten. Am 19. August 1880 schrieb sie in ihr Tagebuch, "R." habe "beängstigende Träume über die Kinder" gehabt, in einem Brief an ihre Tochter Daniela berichtete sie allerdings schon einen Tag früher von "wildeste[n] Träume[n] von den Kindern und von Unglück, das diesen widerfährt." 25 "wilde, unruhige Nacht, er ruft aus" 249 432. 433. 434. 435. 436. 437. 438. 439. 440. 441. 442. 443. 444. 445. 446. 447. 448. 449. 450. 451. 452. 453. 454. 455. 456. 457. 458. 459. 460. 461. 462. 463. 464. 465. 466. 467. 21./ 22. April 1881 ....................... TB II: 729 27./ 28. April 1881 ....................... TB II: 731, CW an DvB: 211 7./ 8. Mai 1881............................. TB II: 736 13./ 14. Mai 1881 ......................... TB II: 738 16./ 17. Mai 1881 ......................... TB II: 738f. 20./ 21. Mai 1881 ......................... TB II: 740 29./ 30. Mai 1881 ......................... TB II: 74326 6./ 7. Juni 1881............................. TB II: 745 19./ 20. Juli 1881 .......................... TB II: 766 19./ 20. Juli 1881 .......................... TB II: 766 18./ 19. Aug. 1881........................ TB II: 782 1./ 2. Okt. 1881............................ TB II: 802 4./ 5. Okt. 1881............................ TB II: 803 4./ 5. Okt. 1881............................ TB II: 803 13./ 14. Nov. 1881 ....................... TB II: 824f. 20./ 21. Nov. 1881 ....................... CW an DvB: 24427 26./ 27. Nov. 1881 ....................... TB II: 832 14./ 15. Dez. 1881 ........................ TB II: 848 31. Dez./ 1. Jan. 1882 ................... TB II: 863 3./ 4. Jan. 1882 ............................. TB II: 865 2./ 3. Feb. 1882 ............................ TB II: 886 6./ 7. Feb. 1882 ............................ TB II: 886 20./ 21. Feb. 1882 ........................ TB II: 89528 25./ 26. Feb. 1882 ........................ TB II: 898 25./ 26. Feb. 1882 ........................ TB II: 898 6./ 7. März 1882 ........................... TB II: 905 9./ 10. März 1882 ......................... TB II: 908 4./ 5. April 1882 ........................... TB II: 924 3./ 4. Mai 1882............................. TB II: 941 30./ 31. Mai 1882 ......................... TB II: 950 14. Juni 1882 ................................ TB II: 960 15./ 16. Juni 1882 ......................... TB II: 961f. 15./ 16. Juni 1882 ......................... TB II: 961f. 26./ 27. Juni 1882 ......................... TB II: 970 27./ 28. Juni 1882 ......................... TB II: 971 4. Juli 1882 ................................... TB II: 975 26 "Öfters wacht R. auf, rufend" 27 Cosima schreibt in einem Brief vom 21. November 1881 an Daniela: "[W]ir [...] hatten Alle wilde gespen- stische Träume". Ich gehe hier davon aus, daß die Angabe 'Alle' Wagner miteinschließt. 28 "im halbwachen Zustand" 250 468. 469. 470. 471. 472. 473. 474. 475. 476. 477. 478. 479. 480. 481. 482. 483. 484. 485. 486. 487. 488. 489. 490. 491. 492. 493. 494. 495. 496. 497. 498. 499. 8./ 9. Juli 1882.............................. TB II: 976 16./ 17. Juli 1882 .......................... TB II: 98029 21./ 22. Juli 1882 .......................... TB II: 98230 25./ 26. Juli 1882 .......................... TB II: 984 29./ 30. Juli 1882 .......................... TB II: 98531 7./ 8. Sept. 1882 ........................... TB II: 999 14./ 15. Sept. 1882........................ TB II: 100232 18./ 19. Sept. 1882........................ TB II: 1004 18./ 19. Sept. 1882........................ TB II: 1004 26./ 27. Sept. 1882........................ TB II: 1007 27./ 28. Sept. 1882........................ TB II: 1008 1./ 2. Okt. 1882............................ TB II: 1013 12./ 13. Okt. 1882 ........................ TB II: 1022 23./ 24. Okt. 1882 ........................ TB II: 1030 25./ 26. Okt. 1882 ........................ TB II: 1032 25./ 26. Okt. 1882 ........................ TB II: 1032 27./ 28. Okt. 1882 ........................ TB II: 1034 28./ 29. Okt. 1882 ........................ TB II: 1035 30./ 31. Okt. 1882 ........................ TB II: 1036 6./ 7. Nov. 1882 ........................... TB II: 1040 12./ 13. Nov. 1882 ....................... TB II: 104533 14./ 15. Nov. 1882 ....................... TB II: 1048 26./ 27. Nov. 1882 ....................... TB II: 1057f. 12./ 13. Dez. 1882 ........................ TB II: 1068 14./ 15. Dez. 1882 ........................ TB II: 1070 17./ 18. Dez. 1882 ........................ TB II: 1073 18./ 19. Dez. 1882 ........................ TB II: 107634 20./ 21. Dez. 1882 ........................ TB II: 107635 29./ 30. Dez. 1882 ........................ TB II: 1081 4./ 5. Jan. 1883 ............................. TB II: 1086 5./ 6. Jan. 1883 ............................. TB II: 108736 10./ 11. Jan. 1883 ......................... TB II: 1089 29 "spricht fast ununterbrochen die Nacht" 30 "viel gesprochen im Schlaf" 31 "spricht sehr sehr viel im Schlaf" 32 "schläft, aber unruhig und viel laut redend" 33 "an seine drei cauchemars gedacht" 34 "viel [gesprochen im Schlaf]" 35 "etwas gesprochen im Schlaf" 36 "halb schlafend, halb wachend" 251 500. 501. 502. 503. 504. 505. 506. 507. 508. 509. 510. 511. 512. 513. 514. 515. 516. 517. 518. 519. 520. 521. 522. 523. 524. 525. 526. 527. 15./ 16. Jan. 1883 ......................... TB II: 1092 17./ 18. Jan. 1883 ......................... TB II: 1094 17./ 18. Jan. 1883 ......................... TB II: 1094 19./ 20. Jan. 1883 ......................... TB II: 1095f. 21./ 22. Jan. 1883 ......................... TB II: 109737 26./ 27. Jan. 1883 ......................... TB II: 1101 31. Jan./ 1. Feb. 1883.................... TB II: 110438 3./ 4. Feb. 1883 ............................ TB II: 1106 6. Feb. 1883 .................................. TB II: 110839 9./ 10. Feb. 1883 .......................... TB II: 1110 10./ 11. Feb. 1883 ........................ TB II: 1111 Vermutl. 11./ 12. Feb. 1883.......... Gla. VI: 769 11./ 12. od. 12./ 13. Feb. 1883 ..... TB II: 111440 o. D. ............................................. ML: 14 o. D. ............................................. ML: 64241 o. D. ............................................. TB I: 79f. o. D. ............................................. TB I: 490 o. D. ............................................. TB I: 577 o. D. ............................................. TB I: 715 o. D. ............................................. TB I: 923 o. D. ............................................. TB II: 627 o. D. ............................................. TB II: 830 o. D. ............................................. TB II: 848 o. D. ............................................. TB II: 966 o. D. ............................................. TB II: 966 o. D. ............................................. TB II: 966 o. D .............................................. TB II: 966 o. D. ............................................. TB II: 966 ________ 37 "beinahe die ganze Nacht über spricht er" 38 "viel lautes Sprechen [in der Nacht]" 39 "beim Einschlafen" 40 Notabene: Dieser Eintrag, der nicht mehr von Cosima, sondern bereits von Daniela von Bülow vorgenom- men wurde, verzeichnet den vermutlich letzten Traum Wagners aus der Nacht vor seinem Tod. 41 "eitel-hochmütige Phantasmen" 252 Abbildungen Abb. 1: "Mir wurde es in diesem Augenblick wie durch eine Vision klar, daß sich mein ganzes Wesen wie in zwei übereinander fließenden Strömungen befand, welche in ganz verschiedener Richtung mich dahinzögen: die obere, der Sonne zugewendete, riß mich wie einen Träumenden fort, während die untere in tiefem unverständlichem Bangen meine Natur gefesselt hielt" Mein Leben. [Wagner, 1976c], S. 142. Szenenbild Richard und Minna Wagner aus Richard Wagner, een filmbiographie. Dt., 1913 Abb. 2: "Auf, aus der Träume/ wonnigem Trug!/ Erwache, Mann, und erwäge!" Szenenbild Wotan und Fricka. Rheingold, 2. Theater Bonn. 1997 253 Abb. 3: Wagner-Wotan. Szenenbild aus Rheingold, 4. Meininger Theater. 2001 255 Abb. 4: Wagner-Büste: der schlafende Fafner. Szenenbild aus Siegfried, 2. Meininger Theater. 2001 Abb. 5: Kundry: "Fragt nicht weiter!/ Ich bin müde." Szenenbild aus Hans Jürgen Syberbergs Parsifal-Film. 1982 257 Abb. 6: Das "sprechend ähnliche Porträt Wagners (im geblümten Schlafrock)". 1840/42 Abb. 7: Wagner in seinem "alten venezianischen Sammetschlafrock". 1862 259 Abb. 8: Wagner und der nach [Weber, 1993a], S. 97 "schwarze samtene Hausrock mit kontrastierenden gesteppten Aufschlägen und das hier zum ersten Mal sichtbare Samtbarett". 1867 Abb. 9: Wagner, Schlafrock, Barett. 1867 261 Abb. 10: War ihm "der schwarze Atlasflaus zu kühl, so hing der Meister seinen großen Pelz um." [Perl, 1883], S. 37 – die nach [Weber, 1993a], S. 97 "auffällige Kleidung nun bewußt eingesetzt". 1871 Abb. 11: .."dithyrambische[s] Gelage" mit Wagner im Schlafrock. [Wagner, 1976c], S. 205. Silvester 1840/41 263 Abb. 12: Der 'Atlas' im Schlafrock. Karikatur. 1877 Abb. 13: "Ein deutscher Mann im Schlafrock": Frou-Frou Wagner. Karikatur. 1877 265 Abb. 14: Das "wunderliche Gebiet der Stimulation". Karikatur. O. J. Abb. 15: "Geistermahnung". Szenenbild Sieglinde, Walküre, 1. Staatsoper Stuttgart. 1999 Abb. 16: Ein "reizendes Dämonium". Szenenbild aus Richard Wagner, een filmbiographie. Dt., 1913 267 Abb. 17: Das "angenehm Weichliche zieht man gern an"... Abb. 18: ...Szenenbilder aus Richard Wagner, een filmbiographie. Dt., 1913: erstaunliche Ähnlichkeiten zu... Abb. 19: ...jener Karikatur, die 1865 unter dem Titel Ein neuer Orpheus erschienen war. 269 Abb. 20: "Nur an einem Schmuck dieser Räume hatte ich sehr zu leiden: das waren die verschiedenen Porträts, namentlich der vornehmen Damen im Reifrock mit jugendlichen Gesichtern und weißen (gepuderten) Haaren... Abb. 21: ... Diese kamen mir durchaus als gespenstige Wesen vor, ... 271 Abb. 22: ...die mir, wenn ich allein im Zimmer war, lebendig zu werden schienen und mich mit höchster Furcht erfüllten. ... Abb. 23: ... Das einsame Schlafen in einem solchen abgelegenen großen Gemach, in dem altertümlichen Prachtbett, in der Nähe eines solchen unheimlichen Bildes, war mir entsetzlich; ... 273 Abb. 24: ...nie [verging] eine Nacht, ohne daß ich in Angstschweiß gebadet den schrecklichsten GespensterVisionen ausgesetzt war." Szenenbilder aus Richard Wagner, een filmbiographie. Dt., 1913 Abb. 25: Regeneration als Grundlage der Konzentration. Szenenbild aus Richard Wagner, een filmbiographie. Dt., 1913 275 Abb. 26: Wagners Arbeitszimmer: Tisch und Bett nicht getrennt. Eigenhändige Skizze Wagners für seine Wohnung in Penzing. 1863 Abb. 27: "»Ich bin kein gewöhnlicher Schlafrock [...] in mir schlägt das Herz des großen deutschen Reformators der deutschen Kunst; mich trägt Wagner«". [Spitzer, 1906], S. 48. Eigenhändige Skizze Wagners für einen Schlafrock. 1867 277 Abb. 28: Die Quantifizierung der Träume Wagners durch P. Muller Abb. 29: Deutsche Studententracht (1815) Abb. 30: Deutsches Burschenschaftskostüm (um 1830) Abb. 32: "Meister in Tönen eines [...] schläfrigen Glücks". Immer in Furcht [...], schickt Deutschland den Tannhäuser, um Frankreich einzuschläfern. Karikatur. 1861 279 Abb. 31: Wagner (1871) Abb. 33: "Der... Abb. 34: ...Schutzpatron... Abb. 35: ....des... Abb. 36: ...deutschen Reichs". Karikaturen. O. J. 281 Abb. 37: "Fast schien es schon, er wollt' sich regen". Der Deutsche Michel. Buchillustration. O. J. Abb. 38: Wagners Werke als Allheilmittel für den Deutschen Michel. Wagner sel. Erben. Karikatur. 1905 Abb. 39: 'Wie verändert sich plötzlich jene [...] Wildniss unserer ermüdeten Cultur'. Der 'Tannhäuser' in Berlin. Karikatur. O. J. 283 Abb. 40: Nachtaktives Tier: der "Geist des Meisters". Wagner se recueillant. Karikatur. 1891 Abb. 41: "Träume! Das ist das Allerbeste!" Der prototypische Künstler in Gestalt Hans von Bülows. Karikatur. 1865 285 Abb. 42: 'Heimkehr durch Abkehr' – "A huge drawer can be pulled out from the piano frame, at floor-level, and contains a bed. [...] »It has been found by actual use that this addition to a pianoforte does not in the least impair its qualities as a musical instrument.«" [Wright, 1962], S. 252. Verwandelbares Schlafzimmer-Piano. Konstruktionszeichnung. 1866 Abb. 43: Sonderanfertigung: das Bechstein-Kompositionsklavier Richard Wagners. 1867 287 Abb. 44: Vergessen: "»Auf Felsen hoch ihr Sitz;/ ein Feuer umbrennt den Saal«...?" Szenenbild Siegfried, Götterdämmerung, 1. Staatsoper Stuttgart. 2000 Abb. 45: Erinnern: "das herrlichste Weib: –/ auf hohem Felsen sie schläft, [...] erweckt' er die Braut,/ Brünnhilde wäre dann sein!" Szenenbild Siegfried, Götterdämmerung, 3. Staatsoper Stuttgart. 2000 289 Abb. 46: Ein Bühnenbild von Wagners Hand für den Lohengrin... Abb. 47: ...und darin a) "in der Mitte des Hintergrundes das reichgeschmückte Brautbett" [Wagner, 1952], S. 47... Abb. 48: ...und b) "an einem offenen Erkerfenster ein niedriges Ruhebett" [Wagner, 1952], S. 47. 291 Abb. 49: Bühneneinrichtung Cosima Wagners für den 1. Aufzug Tristan und Isolde... Abb. 50: ...und darin Isoldes Bett (Ansicht eines Innenraumes). 293 Abb. 51: Bühneneinrichtung Cosima Wagners für den 3. Aufzug Tristan und Isolde... Abb. 52: ...und darin Tristans Bett (Ansicht eines Außenraumes). 295 Abb. 53: 'Schicksalsfäden'. Nornenszene, Götterdämmerung, 1. Deutsche Oper Berlin. 1984/85.Wagners leitmotivische Musik als... Abb. 54: ...eine Form der Elektroenzephalographie. EEG-Diagramm 297 Abb. 55: "Das Wesen der dramatischen Kunst [...] ist nicht zu fassen, als vermöge einer völligen Umwandlung der Natur des Betrachters." Karikatur. O. J. Abb. 56: Platitüde, Parodie, Paradox, Passion, Pamphlet oder Programm? Postkarte aus dem Verkaufskontingent der Bayreuther Festspiele. Um 1997 Abb. 57: Das Auge, das sich wechselnd öffnet und schließt: der Wagner-Vorhang. Konstruktionszeichnung nach DIN-Norm 56920 299 Abb 58: "Lugt, Schwestern!/ Die Weckerin lacht in den Grund." – "Durch den grünen Schwall/ den wonnigen Schläfer sie grüßt." – "Jetzt küßt sie sein Auge, daß er es öffne;/ schaut, es lächelt/ in lichtem Schein". Szenenbild Rheintöchter. Rheingold, 1. Bayreuther Festspiele. 1953 301 Abbildungsverzeichnis Da im Verhältnis zum Zweck der vorliegenden Arbeit die Wiedergabe von Originalbildern, -blättern und fotografischen Vorlagen zu aufwendig oder ganz unmöglich gewesen wäre, bin ich hier auf Reproduktionen angewiesen, damit aber auch auf die Quellenangaben derer, die für diese Reproduktionen verantwortlich zeichnen. Zwangsläufig habe ich also auf die Richtig- und Vollständigkeit der bestehenden Nachweise vertraut. In all jenen Fällen, in denen ein Bild offensichtlich unvollständig oder widersprüchlich hergeleitet wurde, habe ich dies stillschweigend ergänzt bzw. berichtigt, soweit es möglich war. Für den Rest hoffe ich auf Nachsicht. Die Quellenangaben erschließen sich über das Literaturverzeichnis. Abb. 1: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Giuseppe Becce in der Rolle Richard Wagners, Manny Ziener als Minna Wagner. Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 2: Fotografie. Thilo Beu. Szenenbild aus der 2. Szene des Rheingold von Richard Wagner. Inszenierung des Theaters Bonn/ Siegfried Schönbohm, 1997 Abb. 3: Fotografie. Roland Reissig. Szenenbild aus der 4. Szene des Rheingold von Richard Wagner. Inszenierung des Meininger Theaters/ Christine Mielitz, 2001 Abb. 4: Fotografie. Roland Reissig. Szenenbild aus dem 2. Aufzug Siegfried von Richard Wagner. Inszenierung des Meininger Theaters/ Christine Mielitz, 2001 Abb. 5: Fotografie (Download). Ausschnitt aus dem Film Parsifal von Hans Jürgen Syberberg (Dtschl./ Fr., 1982, klass. NF, TMS Film München/ Bayerischer Rundfunk/ Gaumont Paris). Edith Clever in der Rolle der Kundry. Aus: http://www.syberberg.de/Syberberg4/EdithClever.html Abb. 6: Bleistift auf Papier. Ernst Benedikt Kietz. Paris 1840/ 1842. 33 x 26 cm. Aus: [Bory, 1938], S. 74 Abb. 7: Öl auf Leinwand. Cäsar Willich. Biebrich/ Rhein 1862. 35 x 26 cm. Aus: [Geck, 1970], Farbtafel II, S. 25 Abb. 8: Fotografie. Kat.Nr. B aus der Serie A - D. Vermutlich retouschierter Abzug von Kat.Nr. A. Jules Bonnet. Tribschen Herbst 1867. Aus: [Geck, 1970], Abb. 19 B, o. S. Abb. 9: Fotografie. Kat.Nr. C aus der Serie A - D. L. Pierson. Paris Ende Oktober/ Anfang November 1867. Aus: [Geck, 1970], Abb. 20 C, o. S. 303 Abb. 10: Fotografie. Kat.Nr. C aus der Serie A - F. Franz Hanfstaengl. München Dezember 1871. Aus: [Geck, 1970], Abb. 22 C, o. S. Abb. 11: Bleistift auf Papier. Ernst Benedikt Kietz. Paris 1841. Aus: [Gregor-Dellin, 1982], S. 57 Abb. 12: Karikatur (Ausschnitt). Der 'Atlas' in der Musik. Puck. 1877. Aus: [Kusche, 1967], S. 18 Abb. 13: Karikatur. Frou-Frou-Wagner. F. Grätz. Der Floh. Wien 24. 6. 1877. Historisches Museum der Stadt Wien. Aus: [Voss, 1975], Abb. 250, o. S. Abb. 14: Karikatur. Unbekannter Urheber. Aus: [Fuchs/ Kreowski, 1907], o. S. [Inneneinband] Abb. 15: Fotografie. Szenenbild aus dem 1. Aufzug der Walküre von Richard Wagner/ Ausschnitt aus der DVD-Produktion (Ltg. János Darvas/ Thorsten Fricke, 2003). Inszenierung der Staatsoper Stuttgart/ Christof Nel, 1999 Abb. 16: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Giuseppe Becce in der Rolle Richard Wagners. Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 17: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Giuseppe Becce in der Rolle Richard Wagners. Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 18: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Giuseppe Becce in der Rolle Richard Wagners. Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 19: Karikatur (Ausschnitt, gespiegelt). Ein neuer Orpheus. Münchener Punsch. 10. 12. 1865. Aus: [Bory, 1938], S. 152 Abb. 20: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 21: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 22: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 23: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam 304 Abb. 24: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 25: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Giuseppe Becce in der Rolle Richard Wagners. Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam Abb. 26: Zeichnung (Ausschnitt). Skizze Richard Wagners für seine Wohnung in Penzing bei Wien, Wienstraße 221. Beilage aus dem Brief Richard Wagners vom 25. 5. 1863 an Mathilde Maier. Aus: [<Wagner, Richard - Briefe>, 1930], o. S. (100f.) Abb. 27: Zeichnung. Skizze Richard Wagners für einen Schlafrock. Beilage aus dem Brief Richard Wagners vom 1. 2. 1867 an Bertha Goldwag. Aus: [Kusche, 1967], S. 69 Abb. 28: Tabelle. Aus: [Muller, o. J.], S. 21 Abb. 29: Stich (Ausschnitt). Unbekannter Urheber. Aus dem Privatarchiv der Theaterkunst GmbH Berlin Abb. 30: Stich (Ausschnitt). Unbekannter Urheber. Aus: [Krause, 1979], S. 93 Abb. 31: Fotografie (Ausschnitt). Kat.Nr. C aus der Serie A - F. Franz Hanfstaengl. München Dezember 1871. Aus: [Geck, 1970], Abb. 22 C, o. S. Abb. 32: Karikatur. Immer in Furcht wegen seiner Rheinprovinzen, schickt Deutschland den Tannhäuser, um Frankreich einzuschläfern. Cham/ Charivari. Paris 1861. Aus: [Hakel, 1963], S. 101 Abb. 33: Karikatur. [Der Deutsche Michel]. Frühling. Unbekannter Urheber. Aus: [Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, 1972], S. 104 Abb. 34: Karikatur. [Der Deutsche Michel]. Sommer. Unbekannter Urheber. Aus: [Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, 1972], S. 104 Abb. 35: Karikatur. [Der Deutsche Michel]. Herbst. Unbekannter Urheber. Aus: [Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, 1972], S. 104 Abb. 36: Karikatur (Ausschnitt). [Michel]. Unbekannter Urheber. Aus: [Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, 1972], S. 111 Abb. 37: Buchillustration. Unbekannter Urheber. Aus: [Böttcher/ Gysi/ Schubert, o. J.], S. 289 Abb. 38: Karikatur (Ausschnitt). Wagner sel. Erben. Münchener Jugend. 1905. Aus: [Fuchs/ Kreowski, 1907], Abb. 219, S. 207 Abb. 39: Karikatur (Ausschnitt). Der Tannhäuser in Berlin. Avant, pendant et après. Atelier L. Tetzel. Kladderadatsch. 1856. Aus: [Fuchs/ Kreowski, 1907], o. S. [Beilage] Abb. 40: Karikatur. Wagner se recueillant. (Croquis inédit de J. Blass). J. Blass. 1891. Aus: [Grand-Carteret, o. J.], S. 42 305 Abb. 41: Karikatur. Folgen des 'ungewöhnlichen Maßes'. Hanns v. Bülow nach Dirigierung einer Probe von 'Tristan und Idolde'. Münchener Punsch. 1865. Aus: [Fuchs/ Kreowski, 1907], Abb. 44, S. 38 Abb. 42: Konstruktionszeichnung. Verwandelbares Schlafzimmer-Piano. Charles Hess, Cincinnati (Ohio). US-Patent 56413, 17. 7. 1866. Aus: [Masuch, 2000], o. S. Abb. 43: Retuschierte Fotografie. Wagners Klavier. Das Bechstein-Kompositionsklavier Richard Wagners, eine Schenkung König Ludwigs II. von Bayern, Sonderanfertigung aus dem Jahr 1867. Unbekannter Urheber. Vorlage aus dem Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth Abb. 44: Fotografie. Szenenbild aus dem 1. Aufzug der Götterdämmerung von Richard Wagner/ Ausschnitt aus der DVD-Produktion (Ltg. Hans Hulscher, 2004). Inszenierung der Staatsoper Stuttgart/ Peter Konwitschny, 2000 Abb. 45: Fotografie. Szenenbild aus dem 3. Aufzug der Götterdämmerung von Richard Wagner/ Ausschnitt aus der DVD-Produktion (Ltg. Hans Hulscher, 2004). Inszenierung der Staatsoper Stuttgart/ Peter Konwitschny, 2000 Abb. 46: Skizze Richard Wagners für das Bühnenbild des 3. Aktes Lohengrin. Weimarer Inszenierung, 1850. Aus: Szenische Vorschriften für die Aufführung des 'Lohengrin'. [Wagner, o. J. d], S. 71 Abb. 47: Skizze Richard Wagners für das Bühnenbild des 3. Aktes Lohengrin (Ausschnitt). Weimarer Inszenierung 1850. Aus: Szenische Vorschriften für die Aufführung des 'Lohengrin'. [Wagner, o. J. d], S. 71 Abb. 48: Skizze Richard Wagners für das Bühnenbild des 3. Aktes Lohengrin (Ausschnitt). Weimarer Inszenierung 1850. Aus: Szenische Vorschriften für die Aufführung des 'Lohengrin'. [Wagner, o. J. d], S. 71 Abb. 49: Skizze aus dem Klavierauszug Cosima Wagners (1906) für das Bühnenbild des 1. Aktes Tristan und Isolde. Bayreuther Inszenierung 1886-1906. Aus: [Mack, 1976], Tafel 86, o. S. Abb. 50: Skizze aus dem Klavierauszug Cosima Wagners (1906) für das Bühnenbild des 1. Aktes Tristan und Isolde (Ausschnitt). Bayreuther Inszenierung 1886-1906. Aus: [Mack, 1976], Tafel 86, o. S. Abb. 51: Skizze aus dem Klavierauszug Cosima Wagners (1906) für das Bühnenbild des 3. Aktes Tristan und Isolde. Bayreuther Inszenierung 1886-1906. Aus: [Mack, 1976], Tafel 87, o. S. Abb. 52: Skizze aus dem Klavierauszug Cosima Wagners (1906) für das Bühnenbild des 3. Aktes Tristan und Isolde (Ausschnitt). Bayreuther Inszenierung 1886-1906. Aus: [Mack, 1976], Tafel 87, o. S. Abb. 53: Fotografie. Bernd Uhlig. Szenenbild aus dem Nornen-Vorspiel der Götterdämmerung von Richard Wagner. Inszenierung der Deutschen Oper Berlin/ Götz Friedrich, 1984/1985 306 Abb. 54: Zeichnung/ Diagramm. Unbekannter Urheber. Darstellung eines typischen EEG-Kurvenmusters für einen Petit-mal-Anfall. Aus: [Borck, 2005], S. 207 Abb. 55: Karikatur. Überwältigt. G. Doré. Aus: [Fuchs/ Kreowski, 1907], S. 11 Abb. 56: Postkarte. Erschienen bei: Edition Schultz & Stellmacher. D-95444 Bayreuth Abb. 57: Konstruktionszeichnung. Wagner-Vorhang (Raff-Vorhang). Aus: [Unruh, 1969], S. 374 Abb. 58: Fotografie. Unbekannter Urheber. Szenenbild aus der 1. Szene des Rheingold von Richard Wagner. Inszenierung der Bayreuther Festspiele/ Wieland Wagner, 1953. Aus: [Mack, 1976], Tafel 344, o. S. Deckblatt: Abb. links: Fotografie. Szenenbild aus dem 2. Aufzug Siegfried von Richard Wagner/ Ausschnitt aus der DVD-Produktion (Ltg. Hans Hulscher, 2002/03). Inszenierung der Staatsoper Stuttgart/ Jossi Wieler und Sergio Morabito, 1999 Abb. rechts: Fotografie. Ausschnitt aus dem Film Richard Wagner, een filmbiographie von Carl Froelich (Dtschl., 1913, 35mm, Messters Projektion GmbH). Giuseppe Becce in der Rolle Richard Wagners. Unveröffentlichtes Bildmaterial. Vorlage aus dem Archiv des Filmmuseums Amsterdam ________ 307 308 Literaturverzeichnis Das vorliegende Literaturverzeichnis komplettiert sowohl die im Fußnotenapparat des Haupttextes genannten Quellen wie auch jene des Abbildungsverzeichnisses und des Traumregisters. Zur Lesart deshalb noch einmal einige grundsätzliche Hinweise. Das Thema dieser Arbeit erschließt nicht nur inhaltlich ein Randgebiet, auch formal liegt es an der Peripherie dessen, auf was sich die Wagner-Forschung bislang konzentriert hat. Damit ist verbunden, daß viele Publikationen zu Rate gezogen werden mußten, die vom wissenschaftlichen Tagesbetrieb nicht immer allzu sorgfältig behandelt wurden – naturgemäß schleift sich die Prägnanz der Ränder am ehesten ab. So weit dies möglich und sinnvoll schien, war es darum ein Anliegen, Ungenauigkeiten in bezug auf Quelldaten zu glätten, weitergeschriebene Fehler rückgängig zu machen und Originalausgaben wieder in Anschlag zu bringen, letzteres vor allem in Hinsicht auf Briefwechsel und Druckwerke aus dem weiteren Freundes- und Mitarbeiterkreis Wagners in Bayreuth. Wo also nicht anders vermerkt, wurden gerade weniger geläufige Publikationen in der ersten Ausgabe konsultiert. Abweichungen von dieser Regel erschließen sich über die Auflagenzahlen, die dem Erscheinungsjahr eines Bandes je beigeordnet sind. Quer zu dieser Vorgehensweise steht selbstverständlich der Gebrauch kritischer Werk- und Studienausgaben. Neben Einträgen wie [Wagner, 1873] sind auch solche wie [Wagner, 2004] möglich, und das mag auf den ersten Blick irritierend wirken. Auf den zweiten jedoch dürfte ersichtlich werden, daß ein jüngeres Erscheinungsdatum zuzeiten mehr mit einem alten Buch zu tun haben kann als sich das von den Buchdeckeln ablesen läßt. Aus der Logistik meines Fußnotenapparates ergibt sich, daß die standardübliche, alphabetische Sortierung des Literaturverzeichnisses auch auf die Differenzierung von Erscheinungsdaten übergreift. Hat ein einzelner Autor oder haben mehrere Autoren desselben Namens mehrere Publikationen im selben Jahr veröffentlicht, so werden die entsprechenden Bände hier durch Minuskeln voneinander unterschieden, welche den jeweiligen Jahresangaben nachgestellt sind. Hinter [Wagner, 1999a] und [Wagner, 1999b] verbergen sich z. B. Friedelind und Nike, hinter [Mann, 1974a], [Mann, 1974b] und [Mann, 1974c] drei unterschiedliche Aufsätze Thomas Manns aus der Frankfurter Werkausgabe. Typographisch mag es nicht die eleganteste Lösung sein, aber innerhalb dieses Systems ließ sich nicht verbergen, daß das ABC über weit mehr als nur 3 Buchstaben verfügt – für Wagner und vor allem für Nietzsche, der ausschließlich über die Münchener Studienausgabe zitiert wird, treten Wendungen wie [Nietzsche, 1988a] gleichberechtigt neben solchen wie [Nietzsche, 1988n] auf. Für Publikation ohne Erscheinungsdatum haben sich sogar Formeln wie [Wagner, o. J. a] oder [Wagner, o. J. f] ihr Recht verschafft. Doch um bibliophile Distinktion brauchte es hier nicht zu gehen, viel eher um Transparenz und Gebrauchsfertigkeit. Einer alten Anekdote zufolge ist über keinen Menschen 309 nächst Jesus und Napoleon so viel geschrieben worden wie über Wagner. In dieser Hinsicht sollten die Hilfestellungen des vorliegenden Verzeichnisses die Recherchearbeit erleichtern. Ein Buch zu finden muß das Ziel sein, nicht bloß es zu suchen. Das impliziert, daß überwuchernde Quelleninformationen gelegentlich komprimiert wurden, etwa wo die gleichzeitige Nennung von Nummern-, Serien- und Bandangaben ähnliches mehrmals bezeichnet (z. B. bei Zeitungskolumnen und/ oder alten Zeitschriftenbeiträgen, die in Sammelbänden untergebracht sind). Bei Publikationen mit mehreren Herausgebern sind nur die ersten drei namentlich erwähnt; die übrigen Beteiligten bleiben hinter dem Vermerk 'et al.' verborgen, was keiner Wertung entspricht. Daß Briefausgaben von den übrigen Werken eines Autors getrennt aufgeführt werden, geht ebenfalls auf infrastrukturelle Überlegungen zurück. Tritt der Fall ein, daß ein Briefwechsel nicht selbständig erschienen und statt dessen einer anderen Publikation eingelagert ist (z. B. die Korrespondenz Richard Wagners mit Lorenz von Düfflipp in [Petzet/ Petzet, 1970] ), so ließen sich Doppelnennungen nicht vermeiden (für diesen Fall siehe etwa unter 'Wagner' und 'Petzet'). Sicher wären Querverweise eine Alternative gewesen, doch die Differenzierung von Zeichen kann auch unmittelbar ins Rätsel umschlagen, dem vorliegenden Verzeichnis wäre dadurch ein Metatext zugewachsen und mit ihm eine Art zu sprechen, die mir so unschön wie unangebracht schien. Letzte Notiz: Alle Korrespondenzen Cosimas sind gemäß den offiziellen Bandangaben unter dem Namen 'Cosima Wagner' abgelegt. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß viele ihrer Briefe aus einer Zeit stammen, da sie noch 'Cosima von Bülow' hieß, vor allem auf die Schreiben an König Ludwig II. von Bayern trifft dies zu. Allein, biographische Unruhen sollten sich grundsätzlich nicht auf ein Literaturverzeichnis übertragen, selbst wenn sie historisch aussagekräftig sind. Hierfür ist der Fußnotenapparat das stabilere Auffangbecken. Adams Leeming, David/ Adams Leeming, Margaret: Encyclopedia of Creation myths. Santa Barbara (Calif.) 1994 Adorno, Theodor W.: Ernest Newman, The Life of Richard Wagner, Vol. III: 1859-1866. New York: Alfred A. Knopf 1941. In: Tiedemann, Rolf/ Schultz, Kurt (Hrsg.): Theodor W. Adorno. Gesammelte Schriften. Bd. 19 (Musikalische Schriften VI). Frankfurt a. M. 1984, S. 400-403 Adorno, Theodor W.: Versuch über Wagner. In: Adorno, Gretel/ Tiedemann, Rolf (Hrsg.): Theodor W. Adorno. Gesammelte Schriften. Bd. 13 (Die musikalischen Monographien). Frankfurt a. M. 1971, S. 7-148; S. 497-508 Appia, Adolphe: Die Musik und die Inszenierung. München 1899 Appia, Adolphe: Der Saal des Prinzregenten-Theaters. Eine technische Betrachtung. In: Die Gesellschaft. Bd. 3. 15/ 16 (1902), S. 198-204 310 Ariès, Philippe/ Duby, Georges (Hrsg.): Geschichte des privaten Lebens. 4. Bd.: Von der Revolution zum Großen Krieg. Bearb. von Michelle Perrot. Übersetzung aus dem Franz. von Holger Fliessbach und Gabriele Krüger-Wirrer. Frankfurt a. M. 1992 Aristophanes: Die Vögel. In: Newiger, Hans-Joachim (Hrsg.): Aristophanes. Sämtliche Komödien. Übersetzung aus dem Altgriech. von Hans-Joachim Newiger und Peter Rau. München 1976, S. 289-359 Arnim, Ludwig Achim von (Hrsg.): Tröst-Einsamkeit, alte und neue Sagen und Wahrsagungen, Geschichte und Geschichten. Heidelberg 1808 (Reprogr. Nachdr.: Darmstadt 1962) Bagliani, Agostino Paravicini/ Stabile, Giorgio (Hrsg.): Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Stuttgart 1989 Balz, Horst: Art. çpnoV. In: Friedrich, Gerhard (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Bd. 8. Stuttgart 1969, S. 545-556 Baudelaire, Charles: Richard Wagner und der 'Tannhäuser' in Paris (1861). In: Mack, Dietrich (Hrsg.): Richard Wagner. Tannhäuser. Frankfurt a. M. 1979, S. 107-152 Bauer, Oswald Georg: »Ich habe nicht geglaubt, daß Sie es zustande bringen werden.« Die Geschichte der Bayreuther Festspiele. In: Philips Classics Productions (Hrsg.): Wagner in Bayreuth. Eine Dokumentation. Baarn 1992, S. 45-87 Bauernfeld, Eduard von: Die reiche Erbin. Lustspiel in 2 Acten. Berlin 1876 (Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik. Bd. 3.1) Baumann, Carl-Friedrich: Bühnentechnik im Festspielhaus Bayreuth. München 1980 (Neunzehntes Jahrhundert. Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung. Bd. 9) Baumann, Carl-Friedrich: Licht im Theater: Von der Argand-Lampe bis zum GlühlampenScheinwerfer. Stuttgart 1988 Baumgart, Reinhard: Kampf dem eigenen Schatten. Zu Wagner nach Bayreuth – ein Rückblick. In: Umbach, Klaus (Hrsg.): Richard Wagner. Ein deutsches Ärgernis. Hamburg 1982, S. 53-73 Baumgart, Reinhard: Wahnfried. Bilder einer Ehe. München 1987 Bayerdörfer, Hans-Peter: Träume – Richard Wagner in der Theatertheorie von Mallarmé bis Meyerhold. In: Richard Wagner – 1883-1983. Die Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert. Gesammelte Beiträge des Salzburger Symposions vom 3. - 6. 3. 1983. Stuttgart 1984, S. 319-350 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik. Bd. 129) Béguin, Albert: Traumwelt und Romantik. Versuch über die romantische Seele in Deutschland und in der Dichtung Frankreichs. Hrsg. von Peter Grotzer. Übersetzung aus dem Franz. von Jürg Peter Walser. Bern 1972 Bekker, Paul: Wagner. Das Leben im Werke. Berlin 1924 311 Bense, Max: Der geistige Mensch und die Technik. In: Bense, Max: Ueber Leibnitz. Jena 1946, S. 26-48 Beradt, Charlotte: Das Dritte Reich des Traums. Frankfurt a. M. 1994 Berkéwicz, Ulla: Der Golem in Bayreuth. Ein Musiktheaterspiel. Frankfurt a. M. 1999 Bermbach, Udo: Bayreuther und andere Festspiele. Zu einer säkularisierten Form des Gemeinschaftslebens. In: Stolt, Peter/ Grünberg, Wolfgang/ Suhr, Ulrike (Hrsg.): Kulte, Kulturen, Gottesdienste. Öffentliche Inszenierungen des Lebens. Göttingen 1996, S. 106-114 Bloch, Ernst: Paradoxa und Pastorale bei Wagner. In: Bloch, Ernst: Literarische Aufsätze. Frankfurt a. M. 1965, S. 294-332 Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt a. M. 1959 Böhm, Gottfried von: Ludwig II. König von Bayern. Sein Leben und seine Zeit. Berlin 1922 Böttcher, Kurt/ Gysi, Klaus/ Schubert, J. (Hrsg.): Unsterblicher Volkswitz. Adolf Glassbrenners Werk in Auswahl. Bd. 2. Berlin o. J. Bonnier, Charles: Die Extase. In: Bayreuther Blätter. 14 (1891), S. 222-229 Borchardt-Wustmann: Art. Michel. In: Borchardt-Wustmann: Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund nach Sinn und Ursprung erläutert. Bearb. von Georg Schoppe. Leipzig 61925, S. 323-324 Borchmeyer, Dieter: Das Theater Richard Wagners. Idee - Dichtung - Wirkung. Stuttgart 1982 Borck, Cornelius: Hirnströme. Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie. Göttingen 2005 Bory, Robert: Richard Wagner. Sein Leben und sein Werk in Bildern. Frauenfeld 1938 Brecht, Bertolt: Hypnose und moralische Hemmungen. In: Hecht, Werner/ Knopf, Jan/ Mittenzwei, Werner et al. (Hrsg.): Bertolt Brecht. Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 22.1. Frankfurt a. M. 1993a, S. 173 Brecht, Bertolt: Der Messingkauf. In: Hecht, Werner/ Knopf, Jan/ Mittenzwei, Werner et al. (Hrsg.): Bertolt Brecht. Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 22.2. Frankfurt a. M. 1993b, S. 695-869 Brückwald, Otto: Vortrag des Herrn Hofbaumeisters Brückwald über das Festspielhaus in Bayreuth. In: Protokolle des Sächsischen Ingenieur- und Architekten-Vereins. Dresden 1977, S. 61- 82 Brüggemann, Axel: Das deutsche Treppenhaus. In: Welt am Sonntag. 27. 7. 2003, S. 41 Buck, A. de: De Godsdienstige Opvatting van den Slaap. In: Mededeelingen en Verhandelingen van het Vooraziatisch-Egyptisch Gezelschap 'Ex Oriente Lux'. 4 (1939), S. 5-32 Büchsenschütz, Bernhard: Traum und Traumdeutung im Alterthume. Berlin 1868 312 Bühning, Eleonore: Vom Gral zum Kral in hundertzwanzig Umdrehungen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 27. 7. 2004, S. 31 Büscher, Barbara: Brain Operas. Gehirnwellen, Biofeedback und neue Technologien in künstlerischen Anordnungen. In: Kaleidoskopien. 3 (2000), S. 23-47 Catalani, Carla: Het Bed. 5000 jaar waken en slapen. Bussum 1968 Chamberlain, Houston Stewart: Richard Wagner. München 31904 Chandler, Simon B.: Shakespeare and Sleep. In: Bulletin of the History of Medicine. 29 (1955), S. 255-260 Coenen, Lothar: Art. kaqeêdw. In: Coenen, Lothar/ Beyreuther, Erich/ Bietenhard, Hans (Hrsg.): Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Bd. 3. Wuppertal 31972, S. 1230-1232 Cox Miller, Patricia: Dreams in Late Antiquity. Studies in the Imagination of a Culture. Princeton (New Jersey) 1994 Dahlhaus, Carl: Richard Wagners Musikdramen. München 21988 Dahlhaus, Carl/ Miller, Norbert (Hrsg.): Beziehungszauber. Musik in der modernen Dichtung. München 1988 (Dichtung und Sprache. Bd. 7) Dannenfeldt, Karl H.: Sleep: Theory and Practice in the Late Renaissance. In: Journal of the history of medicine and allied sciences. 41.4 (1986), S. 415-441 <Deutsches Institut für Normung>: Aufzugsarten von Spielvorhängen. §1.2.3.2 der DINNorm 56920, Blatt 3. O. O. Juli 1970 Devrient, Eduard: Aus seinen Tagebüchern. Bd. 1. Berlin-Dresden 1836-1852. Hrsg. von Rolf Kabel. Weimar 1964a Devrient, Eduard: Aus seinen Tagebüchern. Bd. 2. Karlsruhe 1852-1870. Hrsg. von Rolf Kabel. Weimar 1964b Dieterich, A.: Schlafszenen auf der attischen Bühne. In: Rheinisches Museum für Philologie. 46 (1891), S. 25-46 <Doepler>: 75 Jahre leben, schaffen, streben. Eines Malermannes letzte Skizze von Carl Emil Doepler dem Älteren. Berlin 1900 Dombois, Johanna: Scheinschwangerschaften. Neue Technologien im klassischen Musiktheater – Nahaufnahmen. In: Lettre International. 72 (Frühjahr 2006), S. 86-91 Donington, Robert: Wagner's 'Ring' and its Symbols. The Music and the Myth. London 1963 Dorn, Heinrich: Musikalischer Bericht aus Riga, Ostern 1837 bis Ostern 1838. In: Neue Zeitschrift für Musik. 9.7 (24. Juli 1838), S. 28-30 313 <Duden>: Art. Schlaf. In: Duden. Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Günther Drosdowski, Paul Grebe et al. Mannheim 1963, S. 606 (Der Duden in 10 Bänden. Bd. 7) Eggebrecht, Hans Heinrich: Zur Geschichte der Beethoven-Rezeption. Laaber 21994 (Spektrum der Musik. Bd. 2) Eisinger, Ralf: Richard Wagner. Idee und Dramaturgie des allegorischen Traumbildes. Diss. Ludwig-Maximilians-Universität zu München. München 1987 Falkenberg, Erwin: Die Bedeutung des Lichtes und der Farbe im Gesamtkunstwerk Richard Wagners. Diss. Universität zu Rostock. Berlin 1939 Fliedner, Hans Jürgen C.: Architektur und Erlebnis: Das Festspielhaus Bayreuth. Coburg 1999 Franken, Franz Hermann: Die Krankheiten großer Komponisten. Bd. 3: Paganini, Wagner, Bizet, Mahler, Roger. Wilhelmshaven 1991 (Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Bd. 114) Freud, Sigmund: Die Traumdeutung/ Über den Traum. In: Bonaparte, Marie/ Freud, Anna/ Bibring E. et al. (Hrsg.): Sigmund Freud, Gesammelte Werke. Bd. II/III. London 1942 Fricke, Richard: Bayreuth vor dreißig Jahren. Erinnerungen an Wahnfried und aus dem Festspielhaus. Dresden 1906 (Reprogr. Nachdr. unter dem Titel: 1876. Richard Wagner auf der Probe. Das Bayreuther Tagebuch des Ballettmeisters und Hilfsregisseurs Richard Fricke. Mit einem Nachwort versehen von Joachim Herz. Stuttgart 1983/ Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik. Bd. 128) Friedell, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg. Bd. 3. München 1932 Fuchs, Eduard/ Kreowski, Ernst: Richard Wagner in der Karikatur. Berlin 1907 Gebhardt, Winfried/ Zingerle, Arnold: Pilgerfahrt ins Ich. Die Bayreuther Richard-WagnerFestspiele und ihr Publikum. Eine kultursoziologische Studie. Konstanz 1998 Geck, Martin: Die Bildnisse Richard Wagners. München 1970 (Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 9) Geck, Martin: Ludwig van Beethoven. Reinbek bei Hamburg 31998 Geitel, Klaus: Judith und der hölzerne Parsifal. Merkwürdiges aus Bayreuth. In: Berliner Morgenpost. 1. 8. 1999, S. 23 Geitel, Klaus: Wagners Werk als BigMac? Nein, danke! In: Berliner Morgenpost. 7. 10. 2004, S. 10 Gessmann, G. W.: Magnetismus und Hypnotismus. Wien 21895 Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Erster Band (18131843). Leipzig 41905a 314 Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Zweiter Band (18431853). Leipzig 51910 Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Dritter Band (18531864). Leipzig 41905b Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Vierter Band (18641872). Leipzig 41908 Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Fünfter Band (18721877). Leipzig 51912 Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Sechster Band (18771883). Leipzig 31911 Glassbrenner, Adolf: Michel. In: Böttcher, Kurt/ Gysi, Klaus/ Schubert, J. (Hrsg.): Unsterblicher Volkswitz. Adolf Glassbrenners Werk in Auswahl. Bd. 2. Berlin o. J., S. 394-395 Gleichmann, Peter Reinhart: Einige soziale Wandlungen des Schlafens. In: Zeitschrift für Soziologie. 9 (Juli 1980), S. 236-250 Golther, Wolfgang: Bayreuth. Berlin o. J. [1904] (Das Theater, Bd. 2) Grand-Carteret, John: Richard Wagner en Caricatures. Paris o. J. [1891] Gregor-Dellin, Martin (Hrsg.): Richard Wagner. Eine Biographie in Bildern. München 1982 Gregor-Dellin, Martin: Richard Wagner. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert. München 1980 Gregor-Dellin, Martin: Wagner und kein Ende. Richard Wagner im Spiegel von Thomas Manns Prosawerk. Eine Studie. Bayreuth 21984 Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie. Hrsg. von Elard Hugo Meyer. Bd. 2. Berlin 41876 <Grimm>: Art. 1Schlaf. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 15. Leipzig 1899a, Sp. 263-270 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) <Grimm>: Art. 2Schlaf. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 15. Leipzig 1899b, Sp. 273 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) <Grimm>: Art. Schlafbegraben. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 15. Leipzig 1899c, Sp. 274 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) <Grimm>: Art. Schlafen. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 15. Leipzig 1899d, Sp. 275-288 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) <Grimm>: Art. Schlafrock. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 15. Leipzig 1899e, Sp. 307-308 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) <Grimm>: Art. Schlafwirkend. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 15. Leipzig 1899f, Sp. 314 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) 315 <Grimm>: Art. Träumer. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 21. Leipzig 1935a, Sp. 1495-1499 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) <Grimm>: Art. Traum. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 21. Leipzig 1935b, Sp. 1435-1471 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) <Grimm>: Art. Traumland. In: Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 21. Leipzig 1935c, Sp. 1516-1517 (Reprogr. Nachdr.: München 1999) Gutman, Robert William: Richard Wagner. Der Mensch. Sein Werk. Seine Zeit. Übersetzung aus dem Amerik. von Horst Leuchtmann. München 1970 Habel, Heinrich: Festspielhaus und Wahnfried. Geplante und ausgeführte Bauten Richard Wagners. München 1985 Habel, Heinrich: Die Idee des Festspielhauses. In: Petzet, Detta/ Petzet, Michael: Die Richard Wagner-Bühne König Ludwigs II. München - Bayreuth. München 1970 (Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 8), S. 297-316 Hakel, Hermann (Hrsg.): Richard der Einzige. Satire, Parodie, Karikatur. Wien 1963 Hammerschmidt-Hummel, Hildegard: Die Traumtheorien des 20. Jahrhunderts und die Träume der Figuren Shakespeares. Heidelberg 1992 Handke, Peter: Versuch über die Müdigkeit. Frankfurt a. M. 1987 Hanslick, Eduard: Musikalische Stationen. Berlin 51885 Hebbel, Friedrich: Tagebücher 1835-1847. In: Fricke, Gerhard/ Keller, Werner/ Pörnbacher, Karl (Hrsg.): Friedrich Hebbel. Werke. Bd. 4. München 1966 Hebbel, Friedrich: Tagebücher 1848-1863. In: Fricke, Gerhard/ Keller, Werner/ Pörnbacher, Karl (Hrsg.): Friedrich Hebbel. Werke. Bd. 5. München 1967 Heidrich, Hermann: Das Bett. Notizen zur Geschichte des Schlafens. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Bad Windsheim 1988 (Kleine Schriften des Fränkischen Freilandmuseums. Heft 9) Heine, Heinrich: Deutschland. Ein Wintermährchen. In: Windfuhr, Manfred (Hrsg.): Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Bd. 4. Bearb. von Winfried Woesler. Hamburg 1985, S. 89-157 Heine, Heinrich: Die Heimkehr (1823-1824). In: Windfuhr, Manfred (Hrsg.): Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Bd. 1.1. Bearb. von Pierre Grappin. Hamburg 1975, S. 204-333 Heinz, Rudolf: Wagner Ludwig Nacht Musik. Wien 1998 Heraklit: Fragmente. Hrsg. und Übersetzung aus dem Altgriech. von Bruno Snell. München 101989 316 Herrmann, Hans-Christian von: Brechts Routinen. Maschinen und Medien im epischen Theater. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances. Theater an der Schnittstelle zu digitalen Welten. Berlin 2001, S. 572-586 Hey, Friedrich Oskar: Der Traumglaube der Antike. Ein historischer Versuch. In: Programm des Kgl. Realgymnasiums München für das Schuljahr 1907/1908. München 1908, S. 1-40 Hey, Julius: Wie Wagner mit seinem Siegfried probte: Aus meinen Erinnerungen an die Bühnenfestspiele in Bayreuth 1875-76. In: Neue Deutsche Rundschau. 12 (1901), S. 485-517 Hildesheimer, Wolfgang: Mozart. Frankfurt a. M. 1977 Hoffmann, E. T. A.: Don Juan. In: E. T. A. Hoffmanns Sämtliche Werke. Historischkritische Ausgabe mit Einleitungen, Anmerkungen und Lesarten versehen von Carl Georg von Maassen. Bd. 1. München 1908, S. 87-103 Hofmannsthal, Hugo von: Die Bühne als Traumbild. In: Schoeller, Bernd/ Hirsch, Rudolf (Hrsg.): Hugo von Hofmannsthal. Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Reden und Aufsätze I: 1891-1913. Frankfurt a. M. 1979, S. 490-493 Homann, Heide: Art. Schlaf. In: Ritter, Joachim/ Gründer, Karlfried (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 8. Basel 1992, Sp. 1296-1299 Hopfner, Th.: Art. Traumdeutung. In: Wissowa, Georg (Hrsg.): Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. 12. Halbbd. Stuttgart 1937, Sp. 2233-2245 Horst, Michael: Bayreuther Festspiele: Konflikte unter dem Teppich. In: Berliner Morgenpost. 28. 7. 1998, S. 23 Hoxar, Wilhelm von: Der neue Vorhang. Eine Fantasie. In: Lewinsky, Josef (Hrsg.): Vor den Coulissen. Original-Blätter von Celebritäten des Theaters und der Musik. Bd. 2. Berlin 1882, S. 186-210 Huch, Friedrich: Enzio. Ein musikalischer Roman. München 1911 Jean Paul (d. i. Jean Paul Friedrich Richter): Dr. Katzenbergers Badereise. In: Miller, Norbert (Hrsg.): Jean Paul. Werke. Bd. 6. Darmstadt 1963, S. 77-363 Jean Paul (d. i. Jean Paul Friedrich Richter): Hesperus. In: Miller, Norbert (Hrsg.): Jean Paul. Werke. Bd. 1. Darmstadt 1960, S. 471-1236 Jolles, André: Art. Hypnos. In: Kroll, Wilhelm (Hrsg.): Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. 17. Halbbd. Stuttgart 1914, Sp. 323-329 Jullien, Adolphe: Richard Wagner. Sa vie et ses œuvres. Paris 1886 Kaden, Christian: Die Einheit von Leben und Werk Richard Wagners, oder: Über Schwierigkeiten, mit Wagner heute zu kommunizieren. In: Beiträge zur Musikwissenschaft. 21.2 (1979), S. 75-104 Kästner, Erich: Der kleine Grenzverkehr oder Georg und die Zwischenfälle. Zürich, o. J. 317 Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Kants gesammelte Schriften. Bd. 7. Berlin 1907/1917, S. 117334 (Reprogr. Nachdr.: Berlin 1968) Kant, Immanuel: Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Kants gesammelte Schriften. Bd. 2. Berlin 1905/1912a, S. 315-384 (Reprogr. Nachdr.: Berlin 1968) Kant, Immanuel: Versuch über die Krankheiten des Kopfes. In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Kants gesammelte Schriften. Bd. 2. Berlin 1905/1912b, S. 257-272 (Reprogr. Nachdr.: Berlin 1968) Kellermann, Berthold: Erinnerungen: ein Künstlerleben. Hrsg. von Sebastian Hansmann und Hellmut Kellermann. Erlenbach-Zürich 1932 Kerényi, Karoly: Der göttliche Arzt. Studien über Asklepios und seine Kultstätten. Zürich 1948 Kienzl, Wilhelm: Erinnerungen an Wagner (1879). In: Kienzl, Wilhelm: Aus Kunst und Leben. Gesammelte Aufsätze von Dr. Wilhelm Kienzl. Berlin 21904 Kierkegaard, Søren: Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates. Übersetzung aus dem Dänischen von Emanuel Hirsch und Rose Hirsch. Gütersloh 1984 Kieser, Dietrich Georg von: System des Tellurismus oder Thierischen Magnetismus. Bd. 2. Leipzig 1822 <Kietz>: Richard Wagner in den Jahren 1842-1849 und 1873-1875. Erinnerungen von Gustav Adolph Kietz. Aufgezeichnet von Marie Kietz. Dresden 1905 Kipke, C.: »Das unsichtbare Orchester«. Eine historisch-kritische Studie (1887). In: Bayreuther Blätter. 12 (1889), S. 324-347 Kittler, Friedrich: Opern im technischen Licht. In: Programmhefte der Bayreuther Festspiele. 7/ Tannhäuser (1989), S. 1-17 Kittler, Friedrich: Theater als Medienästhetik, exemplifiziert am Fall Richard Wagner. In: Leeker, Martina (Hrsg.): Maschinen, Medien, Performances. Theater an der Schnittstelle zu digitalen Welten. Berlin 2001, S. 562-571 Kittler, Friedrich: Weltatem. Über Wagners Medientechnologie. In: Kittler, Friedrich/ Schneider, Manfred/ Weber, Samuel (Hrsg.): Diskursanalysen 1. Medien. Opladen 1987, S. 94-107 Klein, Richard: Gebrochene Temporalität. Die Revolution der musikalischen Zeit im 'Ring des Nibelungen'. In: Klein, Richard (Hrsg.): Narben des Gesamtkunstwerks. Wagners 'Ring des Nibelungen'. München 2001a, S. 169-214 Klein, Richard: Das Programm des Hasses und die Unwiderstehlichkeit der Musik. Marc A. Weiners gespaltene Wagner-Welt. In: Merkur. 55 (2001b), S. 322-330 318 Klein, Richard: Der sichtbare und der unsichtbare Gott. Versuch über Wotan. In: Klein, Richard (Hrsg.): Narben des Gesamtkunstwerks. Wagners 'Ring des Nibelungen'. München 2001c, S. 103-132 Klein, Richard: Wagners plurale Moderne. Eine Konstruktion von Unvereinbarkeiten. In: Mahnkopf, Claus-Steffen (Hrsg.): Richard Wagner. Konstrukteur der Moderne. Stuttgart 1999, S. 185-225 Klein, Richard: Walkürenritt in Vietnam? Zu Francis Coppolas Wagner. In: Rolf, Ares/ Tadday, Ulrich (Hrsg.): Martin Geck. Festschrift zum 65. Geburtstag. Dortmund 2001d, S. 409-418 Kloppe, Wolfgang: Medizinhistorische Miniaturen. Realismus und Idealismus in Medizin und Naturphilosophie dargestellt an typischen Persönlichkeiten und Ideologien. Mannheim 1966 Klotz, Volker: Muse und Helios. Über epische Anfangsnöte und -weisen. In: Miller, Norbert (Hrsg.): Romananfänge. Versuch zu einer Poetik des Romans. Berlin 1965, S. 11-36 <Kniese>: Der Kampf zweier Welten um das Bayreuther Erbe. Julius Knieses Tagebuchblätter aus dem Jahre 1883. Leipzig 1931 Köhler, Joachim: »Der letzte der Titanen«. Richard Wagners Leben und Werk. München 2001 Kohut, Adolph: Der Meister von Bayreuth. Neues und Intimes aus dem Leben und Schaffen Richard Wagners. Berlin 1905 Kraft, Zdenko von: Das Festspielhaus in Bayreuth. Zur Geschichte seiner Idee, seines Werdegangs und seiner Vollendung. Bayreuth 31969 Kraus, Karl: Ein merkwürdiger Zwischenfall und seine natürliche Erklärung. (Versuch einer Traumanalyse). In: Kraus, Karl: Die Fackel. Nr. 697-705 (1925), S. 25-27 (Reprogr. Nachdr. durch den Verlag Zweitausendeins: Frankfurt a. M. o. J. [um 1980]. Bd. 9) Krause, Peter: O alte Burschenherrlichkeit. Die Studenten und ihr Brauchtum. Graz 1979 Kröplin, Eckart: Richard Wagner. Theatralisches Leben und lebendiges Theater. Leipzig 1989 Künzig, Bernd: Richard Wagner und das Kinematographische. Eggingen 1990 (Parerga. Bd. 1) Kuhlen, Franz-Josef: Zur Geschichte der Schmerz-, Schlaf- und Betäubungsmittel im Mittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 1983 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie. Bd. 19) Kunze, Stefan: Der Kunstbegriff Richard Wagners. Voraussetzungen und Folgerungen. Regensburg 1983 Kusche, Ludwig: Richard Wagner und die Putzmacherin oder Die Macht der Verleumdung. Wilhelmshaven 1967 Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913 319 Lemke-Matwey, Christine: Emanzipation in ekstatischen Zuckungen. »Das Weib der Zukunft«: Frauengestalten bei Richard Wagner – ein Bayreuther Symposion. In: Süddeutsche Zeitung. 21. 8. 1997, S. 13 Lenk, Elisabeth: Salto mortale in die Oper oder Hervorkonstruierter wirklicher Traum. In: Programmhefte der Bayreuther Festspiele. 2/ Lohengrin (1990). S. 28-40 Lévi-Strauss, Claude: Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte. Frankfurt a. M. 1971 Lévi-Strauss, Claude: Mythos und Musik. In: Lévi-Strauss, Claude: Mythos und Bedeutung. Fünf Radiovorträge. Gespräche mit Claude Lévi-Strauss. Hrsg. von Adelbert Reif. Frankfurt a. M. 1980, S. 57-67 Lichtenberg, Georg Christoph: Sudelbücher. Hrsg. von Franz H. Mautner. Frankfurt a. M. 1984 Lindau, Paul: Nüchterne Briefe aus Bayreuth. Breslau 81877 Lochin, Catherine: Art. Hypnos/ Somnus. In: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae. 5.1 (1990a), S. 591-609 Lochin, Catherine: Art. Hypnos/ Somnus. In: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae. 5.2 (1990b), S. 403-418 Loos, Paul Arthur: Richard Wagner. Vollendung und Tragik der deutschen Romantik. Bern 1952 Lucas, Lore: Die Festspiel-Idee Richard Wagners. Regensburg 1973 (Neunzehntes Jahrhundert. Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung. Bd. 2) Lucier, Alvin: »...Alphawellen sich selbst überlassen«. 'Music for Solo Performer' (1965). In: Lucier, Alvin: Reflexionen. Interviews. Notationen. Texte. Köln 1995, S. 47-59, 301 Luehrs-Kaiser, Kai: Die Rache der Fledermaus. In: Berliner Morgenpost. 4. 8. 2003, S. 9 McAlpine, Th. H.: Sleep, Divine and Human in the Old Testament. Sheffield 1987 (Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series 38) Mack, Dietrich: Der Bayreuther Inszenierungsstil 1876-1976. München 1976 Macnish, Robert: The philosophy of sleep. Glasgow 1830 Mann, Thomas: Leiden und Größe Richard Wagners. In: Thomas Mann. Gesammelte Werke in Dreizehn Bänden. Bd. 9. Frankfurt a. M. 21974a, S. 363-426 Mann, Thomas: Richard Wagner und der 'Ring des Nibelungen'. In: Thomas Mann. Gesammelte Werke in Dreizehn Bänden. Bd. 9. Frankfurt a. M. 21974b, S. 502-527 Mann, Thomas: Süßer Schlaf. In: Thomas Mann. Gesammelte Werke in Dreizehn Bänden. Bd. 11. Frankfurt a. M. 21974c, S. 333-339 320 Mann, Thomas: Tristan. In: Thomas Mann. Gesammelte Werke in Dreizehn Bänden. Bd. 8. Frankfurt a. M. 21974d, S. 216-262 Mann, Thomas: Der Zauberberg. In: Thomas Mann. Gesammelte Werke in Dreizehn Bänden. Bd. 3. Frankfurt a. M. 21974e Marcuse, Ludwig: Richard Wagner. Ein denkwürdiges Leben. Zürich 1973 Marr, Wilhelm: Bayreuther Festtagebuch. In: Die Gartenlaube. 1 (1876), S. 568-571; 2 (1876), S. 584-586; 3 (1876), S. 619-622 Masuch, Bettina (Hrsg.): Anna Viebrock. Bühnen/ Räume. damit die Zeit nicht stehenbleibt. Berlin 2000 Mayer, Andreas: »Mikroskopie der Psyche«. Die Anfänge der Psychoanalyse im Hypnose-Labor. Göttingen 2002 Mayer, Hans: Richard Wagner in Bayreuth 1876-1976. Stuttgart 1976 Mayer, Hans: Richard Wagners geistige Entwicklung. In: Sinn und Form. 3/4 (1953), S. 111162 Mehlin, Urs H.: Die Fachsprache des Theaters. Eine Untersuchung der Terminologie von Bühnentechnik, Schauspielkunst und Theaterorganisation. Düsseldorf 1969 Meier, Karl Alfred: Antike Inkubation und moderne Psychotherapie. Zürich 1949 Meier, Karl Alfred: Die Bedeutung des Traumes. Freiburg i. Br. 21975 Metken, Günter: Dunkelheit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 11. 9. 1998, S. 44 Meysenbug, Malwida von: Memoiren einer Idealistin und ihr Nachtrag: Der Lebensabend einer Idealistin. Bd. 2. Berlin 1927 Mohr, Wilhelm: Richard Wagner und das Kunstwerk der Zukunft im Lichte der Baireuther Aufführung betrachtet. Köln 1876 Morché, Pascal: »Laßt mich schlafen!« Zum dramaturgischen Motiv des Schlafs im Werk von Richard Wagner. In: Journal der Bayerischen Staatsoper. 4 (1989/90), S. 13-25 Müller, Antje: Interview: Christian Thielemann über Richard Wagner, über die Arbeit mit Regisseuren, über Vorbilder und Vorlieben. In: o_ton. Magazin_Deutsche Oper Berlin. 3 (2002/2003), S. 10-12 Muller, Philippe: Wagner par ses rêves. Bruxelles o. J. [1981] (Psychologie et Sciences Humaines. Bd. 105) Musil, Robert: Tagebücher. Bd. 1. Hrsg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 1983 Naegele, Verena: Ludwig II. und Richard Wagner. Real- und kulturpolitische Konsequenzen einer ungewöhnlichen Beziehung. Diss. Universität Zürich. Zürich 1995 321 Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hrsg.): Kunst der Bürgerlichen Revolution von 1830 bis 1848/49. Katalog der Ausstellung gleichen Namens im Schloß Charlottenburg Berlin 1972/73. Berlin 1972 <Neue Rundschau>: Über den Schlaf. Hrsg. von Martin Bauer. 3 (2002) Neumann, Angelo: Erinnerungen an Richard Wagner. Leipzig 51907 Newman, Ernest: The life of Richard Wagner. Volume One: 1813-1848. New York 61960a Newman, Ernest: The life of Richard Wagner. Volume Two: 1848-1860. New York 31960b Newman, Ernest: The life of Richard Wagner. Volume Three: 1859-1866. New York 31960c Newman, Ernest: The life of Richard Wagner. Volume Four: 1866-1883. New York 21960d Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra I-IV. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 4. München 21988a, S. 9-408 Nietzsche, Friedrich: Ecce homo. Wie man wird, was man ist. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 6. München 21988b, S. 255-374 Nietzsche, Friedrich: Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 6. München 21988c, S. 9-53 Nietzsche, Friedrich: Die fröhliche Wissenschaft. ('la gaya scienza'). In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 3. München 21988d, S. 343-651 Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie (1870). In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 1. München 21988e, S. 9-156 Nietzsche, Friedrich: Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 6. München 21988f, S. 55-161 Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. Erster Band. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 2. München 21988g, S. 9-366 Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. Zweiter Band. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 2. München 21988h, S. 367-704 Nietzsche, Friedrich: Morgenröthe. Gedanken über die moralischen Vorurtheile. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 3. München 21988i, S. 9-331 322 Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente 1869-1874. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 7. München 21988j, S. 9-837 Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente 1875-1879. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 8. München 21988k, S. 9-621 Nietzsche, Friedrich: Nietzsche contra Wagner. Aktenstücke eines Psychologen. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 6. München 21988l, S. 413-445 Nietzsche, Friedrich: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 1. München 21988m, S. 873-890 Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen. Viertes Stück: Richard Wagner in Bayreuth. In: Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg.): Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (KSA). Bd. 1. München 21988n, S. 429-510 Nietzsche-Förster, Elisabeth: Wagner und Nietzsche zur Zeit ihrer Freundschaft. Erinnerungsgabe zu Friedrich Nietzsches 70. Geburtstag den 15. Oktober 1914. München 1915 Noll, Marcus: An Anatomy of Sleep. Die Schlafbildlichkeit in den Dramen William Shakespeares. Diss. Christian-Albrecht-Universität zu Kiel. Würzburg 1994 (Kieler Beiträge zur Anglistik und Amerikanistik. Bd. 8) Novalis (d. i. Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg): Heinrich von Ofterdingen. In: Kluckhohn, Paul/ Samuel, Richard/ Ritter, Heinz et al. (Hrsg.): Novalis. Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Bd. 1. Stuttgart 31977, S. 193-334 Novalis (d. i. Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg): Vermischte Bemerkungen und Blüthenstaub. In: Kluckhohn, Paul/ Samuel, Richard (Hrsg.): Novalis. Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Bd. 2. Hrsg. von Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Darmstadt 31981, S. 412-470 Oepke, Alfred: Art. kaqeêdw. In: Kittel, Gerhard (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Bd. 3. Stuttgart 1938, S. 434-440 Panofsky, Walter: Wagner. Eine Bildbiographie. O. O. 1963 Perl, Henry (d. i. Henriette Perl): Richard Wagner in Venedig. Mosaikbilder aus seinen letzten Lebenstagen. Mit einem Vorworte und unter Benutzung der Beobachtung des Herrn Dr. Friedrich Keppler. Augsburg 1883 Petzet, Detta/ Petzet, Michael: Die Richard Wagner-Bühne König Ludwigs II. München – Bayreuth. München 1970 (Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 8) 323 Pirchan, Emil: Bühnenbrevier. Theatergeschichten, Kulissengeheimnisse, Kunstkuriosa aus allen Zeiten und Zonen. Wien 1938 Pohl, Richard: Bayreuther Festspiel-Briefe (1876) I-V. In: Pohl, Richard: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. Bd. 1 (Richard Wagner). Leipzig 1883b, S. 206-270 Porges, Heinrich: Das Bühnenfestspiel zu Bayreuth. Eine Studie über Richard Wagners 'Ring des Nibelungen'. München 21877 Porges, Heinrich: Die Bühnenproben zu den Bayreuther Festspielen des Jahres 1876. Leipzig 1896 Pourtalès, Guy de: Richard Wagner. Mensch und Meister. Übersetzung aus dem Franz. von Anton Mayer. Berlin o. J. Praeger, Ferdinand: Wagner, wie ich ihn kannte. Leipzig 1892 Preetorius, Emil: Visionär und Bildner. Zum Thema Richard Wagner. In: Melos. Zeitschrift für Musik. 12 (1933), S. 347-349 Price, S. R. F.: The Future of Dreams: From Freud to Artemidorus. In: Past & Present. 113 (1986), S. 3-37 Probst, Peter/ Wetz, Franz Josef: Art. Traum. In: Ritter, Joachim/ Gründer, Karlfried (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 10. Basel 1998, Sp. 1461-1473 Puschmann, Theodor: Richard Wagner. Eine psychiatrische Studie. Berlin 21873 Rabinbach, Anson: Motor Mensch. Kraft, Ermüdung und die Ursprünge der Moderne. Übersetzung aus dem Amerik. von Erik Michael Vogt. Wien 2001 (Wiener Schriften zur Historischen Kulturwissenschaft. Bd. 1) Radkau, Joachim: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler. München 1998 Rattner, Josef: Richard Wagner im Lichte der Tiefenpsychologie. In: Müller, Ulrich/ Wapnewski, Peter (Hrsg.): Richard-Wagner-Handbuch. Stuttgart 1986, S. 777-791 Rauhe, Hermann: Musik hilft heilen. München 1993a Rauhe, Hermann: Wie Musik helfend und heilend wirken kann. Musik und Therapie. In: Bubmann, Peter (Hrsg.): Menschenfreundliche Musik. Politische, therapeutische und religiöse Aspekte des Musikerlebens. O. O. 1993b, S. 128-144 Rauhe, Hermann: Wie wirkt Musik? Grundfragen der musikalischen und musiktherapeutischen Wirkungsforschung. In: Flender, Reinhard/ Rauhe, Hermann: Schlüssel zur Musik. Düsseldorf 1986, S. 19-29 Reich, Willi (Hrsg.): Gespräche mit Komponisten. Von Gluck bis zur Elektronik. Zürich 1965 Reimbold, Ernst-Thomas: Die Nacht im Mythos, Kultus, Volksglauben und in der transpersonalen Erfahrung. Eine religionsphänomenologische Untersuchung. Köln 1970 324 Reimers, Theresia E.: »Des Menschen wahrster Wahn wird ihm im Traume aufgetan.« Die Rolle des Unbewußten im Kunstschaffen Richard Wagners. In: Festspielnachrichten des Nordbayerischen Kuriers. 4 (1996), S. 4-16 Reinhardt, Hartmut: Richard Wagner und Schopenhauer. In: Müller, Ulrich/ Wapnewski, Peter (Hrsg.): Richard-Wagner-Handbuch. Stuttgart 1986, S. 101-113 Richter, Klaus Peter: Musik als Melodie der Weltanschauung. Was die Mitternacht dem Menschen sagt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 12. 8. 1998, S. N6 (Beilagenteil) Roch, Eckhard: Psychodrama. Richard Wagner im Symbol. Stuttgart 1995 <Roche>: Art. Schlaf. In: Roche Lexikon Medizin. Hrsg. von Hoffmann-LaRoche AG und Urban & Schwarzenberg. Wien 41998, S. 1502-1503 Röhrich, Lutz: Art. Schlaf, schlafen. In: Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 4. Freiburg 41994, S. 1346-1348 Rolland, Romain: Musiker von Heute. München 1925 Rosenboom, David: Biofeedback and the arts: results of early experiments. Vancouver 41976 Rosendorfer, Herbert: Bayreuth für Anfänger. München 21991 Rudolphi, Karl Asmund: Grundriss der Physiologie. Bd. 2, 1. Abth. Berlin 1823 Sauer, N. N.: Art. Hypnos. In: Roscher, Wilhelm Heinrich (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Bd. 1.2. Leipzig 1886/1890, Sp. 2846-2851 (Reprogr. Nachdr.: Hildesheim 1965) Schelenz, Hermann: Schlaf- und todbringende Mittel in Shakespeares Dramen. In: Klinischtherapeutische Wochenschrift. Nr. 35 (1912), Sp. 1019-1023; Nr. 36 (1912), Sp. 10421049; Nr. 37 (1912), Sp. 1079-1085 Schemann, Ludwig: Meine Erinnerungen an Richard Wagner. Stuttgart 1902 Schiller, Friedrich: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? In: Wiese, Benno von (Hrsg.): Schillers Werke. Bd. 20. Hrsg. von Helmut Koopmann und Benno von Wiese. Weimar 1962, S. 87-100 (Nationalausgabe) Schöpf, Karl: Der Schlaf aus medizinischer Sicht im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Diss. Ludwig-Maximilians-Universität München. München 1987 Schopenhauer, Arthur: Aphorismen zur Lebensweisheit. In: Hübscher, Arthur (Hrsg.): Arthur Schopenhauer. Sämtliche Werke. Bd. 5. Wiesbaden 21946a, S. 331-530 Schopenhauer, Arthur: Versuch über das Geistersehen und was damit zusammenhängt. In: Hübscher, Arthur (Hrsg.): Arthur Schopenhauer. Sämtliche Werke. Bd. 5. Wiesbaden 21946b, S. 239-329 Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. 1. Bd. In: Hübscher, Arthur (Hrsg.): Arthur Schopenhauer. Sämtliche Werke. Bd. 2. Wiesbaden 21949a 325 Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. 2. Bd. In: Hübscher, Arthur (Hrsg.): Arthur Schopenhauer. Sämtliche Werke. Bd. 3. Wiesbaden 21949b Schrader, Hans: Hypnos. Berlin 1926 (Winckelmannsprogramm der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin. Bd. 85) Schreiber, Ulrich: Opernführer für Fortgeschrittene. Die Geschichte des Musiktheaters. Bd. 2. Kassel 32002 Schreiber, Wolfgang: Christoph mag gar nicht so viel reden. Kunstraum melancholischer Besessenheit: Anna Viebrock fand die Bilder zu Marthalers 'Tristan und Isolde'. In: Süddeutsche Zeitung. 25. 7. 2005, S. 14 See, Klaus von: Das Nibelungenlied – ein Nationalepos? In: Heinzle, Joachim/ Waldschmidt, Anneliese (Hrsg.): Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1991, S. 43-110 Semper, Manfred: Das Münchener Festspielhaus. Gottfried Semper und Richard Wagner. Hamburg 1906 Shaw, George Bernard: The Perfect Wagnerite. In: Shaw, George Bernard: Major Critical Essays. London 1932, S. 153-279 Siemons, Mark: Nicht einschlafen! Wie China Wagners 'Ring' verdaut. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 10. 11. 2005, S. 35 Simrock, Karl: Handbuch der Deutschen Mythologie mit Einschluß der nordischen. Bonn 41874 Spahn, Claus: Flacher Atem, schwacher Puls. Die Bayreuther Festspiele liegen im Dämmerschlaf. Nur die Wagner-Familie ist hellwach. In: Die Zeit. 23. 7. 1998, S. 30 Spitzer, Daniel: Briefe Richard Wagners an eine Putzmacherin. Wien 1906 Steffens, Henrich: Caricaturen des Heiligsten. In zwei Theilen. Bd. 2. Leipzig 1821 Stegemann, Victor: Art. Sonne. In: Bächtold-Stäubli, Hanns (Hrsg.): Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Bd. 8. Berlin 1936/1937, Sp. 31-71 Stone, Max D.: Art. Creativity in Dreams. In: Carskadon, Mary A. (Hrsg.): Encyclopedia of Sleep and Dreaming. New York 1993, S. 149-151 Tappert, Wilhelm (Hrsg.): Wörterbuch der Unhöflichkeit. Richard Wagner im Spiegel der zeitgenössischen Kritik. München 21967 Thomson, James G. S. S.: Sleep: An Aspect of Jewish Anthropology. In: Vectus Testamentum. 4 (1955), S. 421-433 Twain, Mark: At the Shrine of St. Wagner. In: Twain, Mark: What Is Man? And Other Essays. New York 1923, S. 209-227 (Definitive Edition. The Writings of Mark Twain. Bd. 26) 326 Ullmann, Walther Hans: Warum kennen wir Richard Wagner nur in Samt und Seide? Richard Wagner und seiner Ärzte. In: Die Medizinische Welt. Nr. 31 (1962/ 2. Halbbd.), S. 16291633 Unruh, Walther: Theatertechnik. Berlin 1969 Vaget, Hans Rudolph: Germanistik und Wagner-Kritik. Anmerkungen zu den Wagner-Studien von Peter Wapnewski. In: Orbis litterarum. 37 (1982), S. 185-195 Voss, Egon (Bearb.): Richard Wagner. Dokumentarbiographie. Wien 1975 Voss, Egon: Richard Wagner und die Instrumentalmusik. Wagners symphonischer Ehrgeiz. Wilhelmshaven 1977 (Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Bd. 12) Wagner, Cosima: Die Tagebücher. Bd. 1: 1869-1877. Hrsg. von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack. München 1976a Wagner, Cosima: Die Tagebücher. Bd. 2: 1878-1883. Hrsg. von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack. München 1977 <Wagner, Cosima - Briefe>: Brief Cosima Wagners vom 23. Februar 1879 an Richard Wagner. Unveröffentlichte Handschrift. Vorlage aus dem Nationalarchiv der RichardWagner-Stiftung, Signatur Hs 81/ V/ 3. Bayreuth [1879] <Wagner, Cosima - Briefe>: Die Briefe Cosima Wagners an Friedrich Nietzsche. 1. Teil: 1869-1871. Hrsg. von Erhart Thierbach. Weimar 1938 <Wagner, Cosima - Briefe>: Die Briefe Cosima Wagners an Friedrich Nietzsche. 2. Teil: 1871-1877. Hrsg. von Erhart Thierbach. Weimar 1940 <Wagner, Cosima - Briefe>: Briefe: eine erstaunliche Korrespondenz. Cosima Wagner und Ludwig II. von Bayern. Hrsg. von Martha Schad. Bergisch-Gladbach 1996 <Wagner, Cosima - Briefe>: Cosima Wagner – Richard Strauss. Ein Briefwechsel. Hrsg. von Franz Trenner. Tutzing 1978 (Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft. Bd. 2) <Wagner, Cosima - Briefe>: Cosima Wagners Briefe an ihre Tochter Daniela von Bülow 18661885 nebst 5 Briefen Richard Wagners. Hrsg. von Max Freiherrn von Waldberg. Stuttgart 1933 Wagner, Friedelind: Nacht über Bayreuth. Berlin 1999a Wagner, Nike: An des Wahnes Faden. Richard Wagners Nachwelt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 7. 8. 1999b, S. I-II (Beilagenteil) Wagner, Nike: Über Wagner. Von Musikern, Dichtern und Liebhabern. Eine Anthologie. Stuttgart 1995 Wagner, Nike: Wagner Theater. Frankfurt a. M. 1998a 327 Wagner, Richard: Annalen. 1846-1867. In: Wagner, Richard: Das Braune Buch. Tagebuchaufzeichnungen 1865 bis 1882. Hrsg. von Joachim Bergfeld. München 1988a, S. 110-147 Wagner, Richard: Annalen. 1864-1868. In: Wagner, Richard: Mein Leben. Hrsg. von Martin Gregor-Dellin. München 1976b, S. 757-769 Wagner, Richard: <Aphorismen>. In: Wagner, Richard: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Bd. 12. Leipzig 5o. J. a, S. 270-280 Wagner, Richard: Autobiographische Skizze. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 1. Leipzig 1871a, S. 7-24 Wagner, Richard: Beethoven. (1870). In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 9. Leipzig 1873a, S. 75-151 Wagner, Richard: Bemerkungen zur Aufführung der Oper: 'Der fliegende Holländer'. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 5. Leipzig 1872a, S. 205216 Wagner, Richard: Bericht an seine Majestät den König Ludwig II. von Bayern über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 8. Leipzig 1873b, S. 159-219 Wagner, Richard: Das Braune Buch. Tagebuchaufzeichnungen 1865 bis 1882. Hrsg. von Joachim Bergfeld. München 1988b Wagner, Richard: Brief über das Schauspielerwesen an einen Schauspieler. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 9. Leipzig 1873c, S. 307-313 Wagner, Richard: Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. Nebst einem Berichte über die Grundsteinlegung desselben. (An Frau Marie von Schleinitz.) In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 9. Leipzig 1873d, S. 384-408 Wagner, Richard: Das Bühnenweihfestspiel in Bayreuth 1882. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 10. Leipzig 1883a, S. 381-395 Wagner, Richard: Deutsche Kunst und Deutsche Politik. (1867.) In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 8. Leipzig 1873e, S. 39-157 Wagner, Richard: Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 9. Leipzig 1873f, S. 314-340 Wagner, Richard: Entwürfe. Gedanken. Fragmente. Aus nachgelassenen Papieren zusammengestellt. Leipzig 1885 Wagner, Richard: Entwurf zur Organisation eines deutschen National-Theaters für das Königreich Sachsen. (1849.) In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 2. Leipzig 1871b, S. 307-359 328 Wagner, Richard: Epilogischer Bericht über die Umstände und Schicksale, welche die Ausführung des Bühnenfestspiels 'Der Ring des Nibelungen' bis zur Veröffentlichung der Dichtung desselben begleiteten. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 6. Leipzig 1872b, S. 365-384 Wagner, Richard: »Erkenne Dich selbst.« (Ausführungen zu 'Religion und Kunst'). In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 10. Leipzig 1883b, S. 338-350 Wagner, Richard: Der fliegende Holländer. Hrsg. von Wilhelm Zentner. Stuttgart 1953 Wagner, Richard: Der Künstler und die Öffentlichkeit. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 1. Leipzig 1871c, S. 223-230 Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 3. Leipzig 1872c, S. 51-210 Wagner, Richard: Lohengrin. Hrsg. von Wilhelm Zentner. Stuttgart 1952 Wagner, Richard: Mein Leben. Hrsg. von Martin Gregor-Dellin. München 1976c Wagner, Richard: Die Meistersinger von Nürnberg. Hrsg. von Wilhelm Zentner. Stuttgart 1984a Wagner, Richard: Eine Mittheilung an meine Freunde (1851.) In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 4. Leipzig 1872d, S. 285-418 Wagner, Richard: Oper und Drama, erster Theil: Die Oper und das Wesen der Musik. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 3. Leipzig 1872e, S. 269-394 Wagner, Richard: Oper und Drama, zweiter und dritter Theil: Das Schauspiel und das Wesen der dramatischen Dichtkunst./ Dichtkunst und Tonkunst im Drama der Zukunft. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 4. Leipzig 1872f, S. 3-284 Wagner, Richard: Parsifal. Hrsg. von Wilhelm Zentner. Stuttgart 1950 Wagner, Richard: Das Publikum in Zeit und Raum. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 10. Leipzig 1883c, S. 123-137 Wagner, Richard: Religion und Kunst. (1880). In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 10. Leipzig 1883d, S. 273-324 Wagner, Richard: Die Revolution. (1849). In: Wagner, Richard: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Bd. 12. Leipzig 5o. J. b, S. 243-249 Wagner, Richard: Rienzi. Der letzte der Tribunen. Hrsg. von Wilhelm Zentner. Stuttgart o. J. c Wagner, Richard: Der Ring des Nibelungen. Dritter Tag: Götterdämmerung. Hrsg. von Egon Voss. Stuttgart 1997a Wagner, Richard: Der Ring des Nibelungen. Erster Tag: Die Walküre. Hrsg. von Egon Voss. Stuttgart 1997b 329 Wagner, Richard: Der Ring des Nibelungen. Vorabend: Das Rheingold. Hrsg. von Egon Voss. Stuttgart 1999c Wagner, Richard: Der Ring des Nibelungen. Zweiter Tag: Siegfried. Hrsg. von Egon Voss. Stuttgart 1998b Wagner, Richard: Ein Rückblick auf die Bühnenfestspiele des Jahres 1876. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 10. Leipzig 1883e, S. 139-156 Wagner, Richard: Szenische Vorschriften für die Aufführung des 'Lohengrin' in Weimar 1850. In: Wagner, Richard: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Bd. 16. Leipzig 5o. J. d, S. 6373 Wagner, Richard: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg. Hrsg. von Wilhelm Zentner. Stuttgart 1949 Wagner, Richard: Tristan und Isolde. Hrsg. von Wilhelm Zentner. Stuttgart 1984b Wagner, Richard: Über die Benennung 'Musikdrama'. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 9. Leipzig 1873g, S. 359-365 Wagner, Richard: Über die Bestimmung der Oper. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 9. Leipzig 1873h, S. 153-187 Wagner, Richard: Über das Dichten und Komponiren. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 10. Leipzig 1883f, S. 181-200 Wagner, Richard: Über den Gebrauch des Textbuches. In: Wagner, Richard: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Bd. 16. Leipzig 5o. J. e, S. 160 Wagner, Richard: Über das Opern-Dichten und Komponiren im Besonderen. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 10. Leipzig 1883g, S. 201-228 Wagner, Richard: Über Schauspieler und Sänger. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 9. Leipzig 1873i, S. 189-274 Wagner, Richard: Über Staat und Religion. (1863.) In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 8. Leipzig 1873j, S. 5-37 Wagner, Richard: Vorwort zur Herausgabe der Dichtung des Bühnenfestspieles 'Der Ring des Nibelungen'. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 6. Leipzig 1872g, S. 385-395 Wagner, Richard: »Was nützt diese Erkenntniß?« Ein Nachtrag zu: Religion und Kunst. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 10. Leipzig 1883h, S. 325337 Wagner, Richard: Werke, Schriften und Briefe. CD-ROM. Hrsg. von Sven Friedrich. Berlin 2004 (Digitale Bibliothek. Bd. 107) 330 Wagner, Richard: Die Wibelungen. (1848.) (Schlußworte). In: Wagner, Richard: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Bd. 12. Leipzig 5o. J. f, S. 227 Wagner, Richard: »Zukunftsmusik.« An einen französischen Freund (Fr. Villiot) als Vorwort zu einer Prosa-Übersetzung meiner Operndichtungen. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner. Bd. 7. Leipzig 1873k, S. 121-180 <Wagner, Richard - Briefe>: Bayreuther Briefe von Richard Wagner (1871-1883). Hrsg. von Carl Friedrich Glasenapp. Berlin 1907a <Wagner, Richard - Briefe>: Briefe an August Röckel von Richard Wagner. Eingeführt durch La Mara [d. i. Marie Lipsius]. Leipzig 1894 <Wagner, Richard - Briefe>: Die Briefe Richard Wagners an Judith Gautier-Mendès. Hrsg. von Willi Schuh. Übersetzung aus dem Frz. von Paul Amann. Erlenbach-Zürich 1936a <Wagner, Richard - Briefe>: Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonk. 1852-1870. Hrsg. von Wolfgang Golther. Berlin 21905 <Wagner, Richard - Briefe>: Familienbriefe von Richard Wagner 1832-1874. Hrsg. von Carl Friedrich Glasenapp. Berlin 1907b <Wagner, Richard - Briefe>: Franz Liszt – Richard Wagner. Briefwechsel. Hrsg. von Hanjo Kesting. Frankfurt a. M. 1988a <Wagner, Richard - Briefe>: Fünfzehn Briefe Richard Wagners mit Erinnerungen und Erläuterungen von Eliza Wille geb. Sloman. München 31935 (Schriften der Corona. Bd. 9) <Wagner, Richard - Briefe>: Genius und Welt. Briefe von Richard Wagner. Hrsg. von Malwida von Meysenbug. In: Cosmopolis. Internationale Revue. 8.3 (1896), S. 555-571 <Wagner, Richard - Briefe>: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel. Bd. 1. Hrsg. vom Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner. Bearb. von Otto Strobel. Karlsruhe i. B. 1936b <Wagner, Richard - Briefe>: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel. Bd. 2. Hrsg. vom Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner. Bearb. von Otto Strobel. Karlsruhe i. B. 1936c <Wagner, Richard - Briefe>: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel. Bd. 3. Hrsg. vom Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner. Bearb. von Otto Strobel. Karlsruhe i. B. 1936d <Wagner, Richard - Briefe>: König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel. Bd. 4 (Ergänzende Urkunden). Hrsg. vom Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner. Bearb. von Otto Strobel. Karlsruhe i. B. 1936e <Wagner, Richard - Briefe>: Korrespondenz Richard Wagners mit Lorenz von Düfflipp 18671877. In: Petzet, Detta/ Petzet, Michael: Die Richard Wagner-Bühne König Ludwigs II. 331 München - Bayreuth. München 1970, S. 775-828 (Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 8) <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner an Freunde und Zeitgenossen. Hrsg. von Erich Kloss. Berlin 31909 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner an Mathilde Maier (1862-1878). Hrsg. von Hans Scholz. Leipzig 21930 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner an Mathilde und Otto Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe. Hrsg. von Julius Kapp. Leipzig 1915 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe 1853-1871. Hrsg. von Wolfgang Golther. Berlin 31904 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner an Minna Wagner. Erster Band (1842-1858). Berlin 31908a <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner an Minna Wagner. Zweiter Band (18581863). Berlin 31908b <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner an seine Künstler. Zweiter Band der 'Bayreuther Briefe' (1872-1883). Hrsg. von Erich Kloss. Berlin 1908c <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner an Theodor Apel. Leipzig 1910 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner. Briefe an Hans Richter. Hrsg. von Ludwig Karpath. Berlin 1924 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner. Briefe an Hans von Bülow. Jena 1916 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner Briefe. Die Sammlung Burrell. Hrsg. von John Naglee Burk. Frankfurt a. M. 1953 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner. Sämtliche Briefe. Hrsg. im Auftrage der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth von Gertrud Strobel und Werner Wolf. Bd. 1 (Briefe der Jahre bis März 1842). Leipzig 1967 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner. Sämtliche Briefe. Hrsg. im Auftrage des Richard-Wagner-Familien-Archivs Bayreuth von Gertrud Strobel und Werner Wolf. Bd. 3 (Briefe der Jahre 1849-1851). Leipzig 1975 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner. Sämtliche Briefe. Hrsg. im Auftrage der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth von Gertrud Strobel und Werner Wolf. Bd. 5 (Briefe der Jahre September 1852 - Januar 1854). Leipzig 1993 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner. Sämtliche Briefe. Hrsg. im Auftrage der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth von Hans-Joachim Bauer und Johannes Forner. Bd. 7 (Briefe der Jahre März 1855 - März 1856). Leipzig 1988b 332 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner. Sämtliche Briefe. Hrsg. im Auftrage der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth von Klaus Burmeister und Johannes Forner. Bd. 9 (Briefe der Jahre August 1857 - August 1858). Leipzig 2000 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagner. Sämtliche Briefe. Hrsg. von der RichardWagner-Stiftung Bayreuth und Andreas Mielke, Editionsleitung Werner Breig, redaktionelle Mitarbeit Isabel Kraft. Bd. 14 (Briefe des Jahres 1862). Wiesbaden 2002 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagners Briefe an Frau Julie Ritter. Hrsg. von Siegmund von Hausegger. München 1920 <Wagner, Richard - Briefe>: Richard Wagners Briefe an Theodor Uhlig, Wilhelm Fischer, Ferdinand Heine. Leipzig 1912 Wagner, Siegfried: Erinnerungen. Stuttgart 1923 Wapnewski, Peter: Ein Mann wie Lessing täte uns not. In: Maaz, Wolfgang/ Wagner, Fritz (Hrsg.): Peter Wapnewski. Zuschreibungen. Gesammelte Schriften. Hildesheim 1994, S. 227255 (Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Mediävistik. Bd. 4) Wapnewski, Peter: Die Oper Richard Wagners als Dichtung. In: Müller, Ulrich/ Wapnewski, Peter (Hrsg.): Richard-Wagner-Handbuch. Stuttgart 1986, S. 223-329 Wapnewski, Peter: Richard Wagner. Die Szene und ihr Meister. München 21983 Wapnewski, Peter: Der traurige Gott. Richard Wagner in seinen Helden. München 21980 Wapnewski, Peter: Tristan der Held Richard Wagners. Berlin 1981 Wapnewski, Peter: Tristan und Isolt oder Die Endliche und die Unendliche Liebe. Festvortrag [vom 22. November 1998] zur Eröffnung des Zyklus 'Tristan und Isolde – Der Mythos von Liebe und Tod' des Berliner Philharmonischen Orchesters. In: Philharmonische Blätter. Sonderheft (1998/1999), S. 3-34 Wapnewski, Peter: Weißt du wie das wird...? Richard Wagner. Der 'Ring des Nibelungen'. Erzählt, erläutert und kommentiert. München 21996 Wappenschmidt, Heinz-Toni: Nibelungenlied und Historienmalerei im 19. Jahrhundert. Wege der Identitätsfindung. In: Heinzle, Joachim/ Waldschmidt, Anneliese (Hrsg.): Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1991, S. 219-250 Weber, Evelyn: Träume Richard Wagners. In: Neue Deutsche Hefte. 34 (1987), S. 58-75 Weber, Solveig: Das Bild Richard Wagners. Ikonographische Bestandsaufnahme eines Künstlerkults. Bd. 1 (Text). Diss. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. Mainz 1993a Weber, Solveig: Das Bild Richard Wagners. Ikonographische Bestandsaufnahme eines Künstlerkults. Bd. 2 (Katalog der Abbildungen). Diss. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. Mainz 1993b 333 Wedel, Gottschalk: Die deutsche Oper. In: Neue Zeitschrift für Musik. 48.6 (16. Juni 1837), S. 191-194 Weill, Kurt: Der Musiker Weill. In: Weill, Kurt: Musik und musikalisches Theater. Gesammelte Schriften. Mit einer Auswahl von Gesprächen und Interviews. Hrsg. von Stephen Hinton, Jürgen Schebera, Elmar Juchem. Mainz 2000, S. 68-72 Weingartner, Felix: Bayreuth (1876-1896.) Berlin 1897 Weinreich, Otto: Antike Heilungswunder. Untersuchungen zum Wunderglauben der Griechen und Römer. Gießen 1909 Weißheimer, Wendelin: Erlebnisse mit Richard Wagner, Franz Liszt und vielen anderen Zeitgenossen nebst deren Briefen. Stuttgart 21898 Werfel, Franz: Verdi. Roman der Oper. Berlin 1924 Wijsenbeek-Wijler, Henriette: Aristotle's Concept of Soul, Sleep, and Dreams. Amsterdam 1978 Winnefeld, Hermann: Hypnos. Ein archäologischer Versuch. Berlin 1886 Winterstein, Hans von: Schlaf und Traum. Berlin 1932 Wittern, Renate: Der Schlaf als medizinisches Problem am Beginn der Neuzeit. Med. Habil.Schrift. München 1978 Wittern, Renate: Sleep Theories in the Antiquity and in the Renaissance. In: Horne, J. A. (Hrsg): Sleep '88. Proceedings of the 9th European Congress on Sleep Research. Jerusalem, Sept. 1988. Stuttgart 1989, S. 11-22 Wittmer-Butsch, Maria Elisabeth: Zur Bedeutung von Schlaf und Traum im Mittelalter. Diss. Universität Zürich. Krems 1990 (Medium Aevum Quotidianum. Sonderbd.1) Wöhrle, Georg: Hypnos, der Allbezwinger. Eine Studie zum literarischen Bild des Schlafes in der griechischen Antike. Stuttgart 1995 (Palingenesia. Bd. 53) Wolff, Oskar Ludwig Bernhard: Naturgeschichte des Deutschen Studenten. Dortmund 1978 Wolzogen, Hans von: Erinnerungen an Richard Wagner. Ein Vortrag gehalten am 13. April 1883 im Wissenschaftlichen Club zu Wien. Wien 1883 <Zedler>: Art. Schlaf. In: Zedler, Johann Heinrich: Großes vollständiges Universal-Lexikon. Bd. 34. Leipzig 1742, Sp. 1679-1691 (Reprogr. Nachdr.: Graz 1961) Žižek, Slavoj: Der zweite Tod der Oper. Übersetzung aus dem Engl. von Hans-Hagen Hildebrandt. Berlin 2003 (Kulturwissenschaftliche Interventionen. Bd. 1) ________ 334 Danksagungen "Mit mir ists aufgestanden und schlafen gangen, das Projeckt." Dieser Satz stammt von Goethe, und er hat, auf die vorliegende Arbeit bezogen, sicherlich seine Berechtigung. Doch eben nicht ganz. Denn: Viel mehr Personal ist an einem Stückchen Oper beteiligt als nur die, die vorsingen. Möglicherweise ließe sich gerade hier, an dieser Stelle belegen, daß der Schlaf die täglichen, allzutäglichen Bedeutungsperspektiven in ihr Gegenteil verkehrt, sobald man sich nur einmal seiner Wirkung verschreibt! Ich möchte ihn mir also noch immer "nicht abgewöhnen", um mit Lichtenberg zu sprechen, komme zu den angenehmsten und nur formal letzten Seiten dieser Arbeit und will zurücktreten hinter all jene, denen mein Dank gilt. Zunächst zu einem Anonymus: Deutsche Oper Berlin – Mitte der 90er – Rheingold – Ende des III. Aufzugs, "Traulich und treu/ ist's nur in der Tiefe" – ein unbekannter Sitznachbar zu meiner Linken, er schläft, und zwar vernehmlich, und das auch schon seit II, 2. Doch es kommt, was kommen muß, der Schlußapplaus – nicht überraschend, nur für ihn zu plötzlich – da wacht er auf, schüttelt stracks den Kopf, deutet (und zwar nicht eben unheldenhaft) auf die Ferne, die vor uns liegt und spricht: "Ja wissen Sie, bei Wagner schläft nun einmal ohnehin alles." Bis zu diesem Moment wußte ich das natürlich nicht. Es blieb auch unentschieden, ob er damit die übrigen Zuschauer meinte oder Teile des Bühnenspektakels. Doch was ich ihm verdanke? – Das Thema dieser Arbeit. Denn schlagartig wurde mir klar, wie getreulich Wagners Werke jene Gesellschaft spiegeln, für oder gegen die sie geschrieben waren. Und daß gerade ein Unbekannter auf das Unbekannte verwies, scheint mir bis heute symbolhaft. Daß ich als nächstem Professor Peter Wapnewski danken darf, zeigt, daß der Schlaf wohl nicht nur die Entferntesten, sondern auch das Entfernteste miteinander in Verbindung bringt – die Geschichte des Niemand enthielt eine wissenschaftliche Aussage, vom Parkett in den Hörsaal, vom Parlando zum Rigorosum: Meinem Doktorvater danke ich von Herzen dafür, daß er Schliff nicht nur in das Material dieser Arbeit, sondern vor allem in das Handwerkszeug gebracht hat, mit dem diese hergestellt wurde. Daß etwa "ein zivilisierter Mensch das Wort 'unverzichtbar' nicht gebraucht, nein, das tut er einfach nicht", ist eine jener Mitteilungen Peter Wapnewskis, die mir, einmal gehört, immer un...entbehrlich bleiben werden. Professor Thomas Cramer und Professor Norbert Miller: Dem einen möchte ich wie dem anderen gleichermaßen ausdrücklich danken für die warmherzige Art und Weise, wie der Abschluß eines Promotionsverfahrens sichergestellt wurde, das zu aller Schrecken in (fast) keine Amtszeit mehr fiel. Wie wertvoll eine Rettung sein kann, die kurz vor dem Uferstrand erfolgt, sei hiermit angedeutet. 335 Zu sagen, daß der Dank, der meinem Mann Florian Dombois zusteht, sich nicht in Worte fassen läßt, brächte mich in die Nähe der Sentimentalität. Gewiß, nicht alles kann mit Wörtern gesagt werden. Doch ich vertraue darauf, daß diese zumindest für das Umschreiben erfunden wurden und versuche es mit folgendem: Nein, er hat nicht Korrektur gelesen, er hat keine Tipparbeiten übernommen, die Klarierung meiner Infrastruktur hat er auch nicht erledigt, ebensowenig wie er sich um den Erhalt eines Normallebens hätte kümmern sollen oder wollen. Was er getan hat, ist mehr, und es ist Wesentlicheres. Wenn man die vorliegende Arbeit gegen ein sehr helles Licht hielte, könnte man ermitteln, daß sich seine Hilfe einem Wasserzeichen ähnlich jeder einzelner meiner Seiten eingeprägt hat: Ich bin ihm tief dankbar für eine Form des Gegendrucks, ohne den ein Phänomen wie der Schlaf, der selbst eine Rückseite darstellt, nie hätte gedacht werden können. Des weiteren danke ich in order of appearence: Paul Turß (für seine fast professionelle Wortkargheit, hinter der sich jene Form der Anteilnahme verbarg, die sich um Sprache manchmal eben doch nicht mehr zu kümmern brauchte), Meike Gaedtke (für die wagneresque Idee, rund 300 Seiten Dissertation zum Zwecke der Korrektur rückwärts zu lesen – eine Bravourarie, die niemand anders als sie bis zum Anfang hätte durchhalten können, und ihr gebührt dafür, wie ich meine, ein kleines, ehrliches Bröckchen Gold vom Grunde des Rheins), Professor Gerd Rienäcker (für das 'vor-erste' Gutachten und die Vermittlung einer Lehrmeinung, die mir durch ihre perennierende Gedankenschärfe stets präsent bleiben wird), den Damen der Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden (für jenes, im Musiklesesaal der Stabi-Ost zum guten Ton gehörende berufsbedingte Flüstern, das längst zu einer Haltung geworden zu sein scheint und den Büchern wie den Lesern eine wissenschaftliche Liebenswürdigkeit angedeihen läßt, die ihresgleichen erst noch suchen muß), Elliott Eisenberg (für Unterrichtungen in soldatenhaftem Vorgehen), Ronnie Temme (für die Freigabe bislang unveröffentlichten Bildmaterials aus dem Filmmuseum Amsterdam), Ingrid Haase (für den Zutritt in ihr sonst unzugängliches Bildarchiv der Theaterkunst Berlin GmbH), Eckhardt Schweißhelm (für den Griff in die Trickkiste der Requisite des Staatstheaters Kassel und 'mehr Licht', als dieses noch lange nicht am Ende des Tunnels zu vermuten war), Günter Fischer vom Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung in Bayreuth (für sprungbereites Entgegenkommen), Werner Peters und Bernd Scheiffarth-Melide (für zackige Hilfe aus Nöten, die einem aus dem Baustellenlärm der Stadt Köln erwachsen können), Bernd Uhlig (für die zutrauliche Überlassung seines Fotomaterials der Götterdämmerung-Inszenierung von Götz Friedrich/ Deutsche Oper Berlin), Thilo Beu (für die pfeilschnelle Überlassung seines Fotomaterials der Rheingold-Inszenierung von Siegfried Schönbohm/ Theater Bonn), Roland Reißig (für die improvisierte Überlassung seines Fotomaterials der Rheingold-Inszenierung von Christine Mielitz/ Theater Meiningen), dem unbekannten Fensternachbarn von gegenüber (der, wie das Firmenschild ihn auswies, tatsächlich "Ghostwriter" war und der mir vormachte, wie zäh man eine Nacht durcharbeiten kann – mein Traum wäre es nun nur noch, einmal erleben zu dürfen, wie dieser Mann sich zu jenem verhalten würde, der damals in der Oper eingeschlafen war und alles vom Zaun gebrochen hatte), und last but truly not least danke ich Richard Klein (für eine Atmosphäre 336 der Wachheit, die expandierte und die für die vorliegende Arbeit, jedoch nicht nur für diese, von nachvollziehbarem Reiz sein mußte). Der Deutschen Oper Berlin, deren Förderkreis e.V. und dem Operndirektor a. D. Alard von Rohr schulde ich Dank für den Förderpreis und die damit zusammenhängenden Werkbeiträge, die meinem Dissertationsvorhaben 1998 zuerkannt wurden. ________ 337