Leseprobe - Römerhof Verlag

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Mary Lavater-Sloman
William Shakespeare
Gefährte der Königin
Inhalt
Ich erinnere mich
Gottfried Honegger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 007
Anstatt der Vorrede eine Erinnerung
Mary Lavater-Sloman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 010
Gefährte der Königin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 018
Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Daten der Hauptpersonen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhalt der Kapitel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bildnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Originalausgabe erschien erstmals 1977 unter dem Titel
»Gefährte der Königin. Elisabeth I., Edward Earl of Oxford und
das Geheimnis um Shakespeare« in der Artemis Verlags-AG,
Zürich. Der vorliegende Text wurde von der Originalausgabe
übernommen, Rechtschreibfehler korrigiert.
Erste Auflage Herbst 2014
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2014 by Römerhof Verlag, Zürich
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www.roemerhof-verlag.ch
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
Papier: Schleipen Werkdruck, bläulichweiß, 80 g/m², 1.75
ISBN 978-3-905894-25-7
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Anstatt der Vorrede eine Erinnerung
In meinem fünfzehnten Lebensjahr saß ich einmal, wie so oft,
meinem Großvater, dem Mentor meiner Jugend, in seinem Studierzimmer am großen Tisch gegenüber. Er befand sich hinter
einer Bastion aus Shakespeare-Bänden, die übereinander um
ihn her gestapelt waren, ein Band geöffnet unter seinen Händen,
zwei oder drei aufgeschlagen, die Seiten mit Beschwerern festgehalten.
»Großvater, suchst du immer noch nach dem Mann, der sich
Shakespeare nannte?«
»Das tue ich, aber ich werde ebensowenig finden wie die
vielen, die der Lösung des Rätsels nachforschten oder leidenschaftlich für den Shakespeare aus Stratford gekämpft haben.«
»Warum dann suchen? Shakespeare wird, wer immer er war,
Shakespeare bleiben. Name ist Schall und Rauch.«
Mein Großvater mußte lachen: »Was du nicht alles weißt!
Natürlich kommt es vor allem auf das Werk an, aber weißt du,
der Mann, den die Welt seit mehr als dreihundert Jahren mit
Homer und Dante, später mit Goethe, vergleicht, tritt aus seinen
Werken als ein ganz anderer hervor als der kleine Mann aus dem
Städtchen Stratford und als der zweitrangige Schauspieler, den
niemand besonders zu beachten schien; die Nachrichten, die
wir über ihn haben, sind spärlicher und bedeutungsloser als die
der Minnesänger, von denen man auch nicht viel weiß. Mir tut
der große Unbekannte leid, der seinen Weltruhm nicht gefunden hat. Wen hat man nicht schon genannt als den ›wahren
Shakespeare‹!«
»Neulich habe ich dir die Titel der Bücher aufschreiben
müssen, die du schon erhalten hast und noch suchst, die sämtlich von diesem Thema handeln, soll ich sie dir noch einmal
vorlesen?«
»Ja, tue das. Wo habe ich den Zettel hingelegt? Ich wollte
ankreuzen …« Er fuhr mit seinen alten Händen nervös hin und
her.
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»In den ›Hamlet‹, Großvater.«
»Richtig, da ist er, also lies vor, aber laß die Verfasser fort.«
Ich schnarrte herunter: »›Who was Shakespeare?‹, ›Geheimnis um Shakespeare‹, ›Der Shakespeare-Mythus‹, ›Die Shakespeare-Bacon-Theorie‹, ›Christopher Marlowe als Shakespeare
gefunden‹, ›Die Lösung der Shakespeare-Frage‹, ›Is it Shakespeare?‹, ›Sous le Masque de William Shakespeare‹, ›Bacon versus
Shakespeare‹, ›Her Majesty The Queen Elisabeth‹, ›Lady Pembroke‹, ›Die größte Mystifikation der Weltliteratur‹, ›The Poacher
of Stratford‹, ›The Great Shakespeare-Forgery‹, ›Der falsche
Shakespeare‹.«
»Hör auf! Genug, mein Herz, ich werde nicht alles das lesen,
es genügt, daß wir aus dieser Unzahl erkennen, daß die Frage
nach dem Mann hinter dem Namen bestand und immer noch
besteht! Keiner der Suchenden hat umhin gekonnt zu fühlen,
daß sämtliche Werke von autobiographischen Geständnissen
strotzen. Ich möchte ihn nennen, ihn anreden können, diesen
hochadligen Mann, der vertraut war mit den Hofsitten, der Kriegführung zu Meer und zu Lande, mit Politik und Jurisprudenz,
der Griechisch, Latein, Französisch, Italienisch beherrschte, zur
Falkenjagd ritt, Bären und Wildsauen jagte, Tennis spielte und
alle Tänze kannte, der …« Er hielt erschöpft inne.
»Und Fußball spielte!«
»Nein …«
»Doch, Großvater, ich bin gerade bei der ›Komödie der Irrungen‹, da benutzt der eine ›Dromio‹ den Fußball als Vergleich.«
»Wirklich? Da hast du den Band, lies mir die Stelle vor.«
Ich blätterte, fand die Zeilen und las sie, stolz auf meinen
Fund, laut vor:
»Bin ich so rund mit Euch …
Daß Ihr mich wie ’nen Fußball schlagt und stoßt?
Hin und zurück nach Lust schlägt mich ein jeder,
Soll das noch lange währn, so näht mich erst in Leder.«1
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»Interessant! Nun will ich dir aber etwas vorlesen. Den
Schluß von ›Hamlet‹, du kennst ihn; ich denke, du läßt die hineingeflickte Szene mit Fortinbras und der englischen Gesandtschaft auch beiseite; die ungebildeten Schauspieler haben
damals allerlei angerichtet.«
Ich hatte den Band hervorgezogen und reichte ihn über den
Tisch.
»Mein guter kleiner Amenuensis, also Hamlet hat Gift geschluckt, er liegt sterbend in den Armen seines Freundes Horatio und flüstert ihm zu:
›O Gott! – Welch ein verletzter Name, Freund,
Bleibt alles so verhüllt, wird nach mir leben.
Wenn du mich je in deinem Herzen trugst,
Verbanne noch dich von der Seligkeit
Und atm in dieser herben Welt mit Müh,
Um mein Geschick zu melden, [denn] Todesruh ist
Schweigen.‹«2
Großvater ließ das Buch sinken, er schien mich vergessen zu
haben. »Großvater«, sagte ich leise, »heißt es denn nicht: ›Der
Rest ist Schweigern‹?«
»Ja, mein Herz, aber an dieser Stelle darf man sagen: ›Hier
irrt Schlegel.‹ Es handelt sich ja nicht um einen Rest oder Überrest, sondern um das englische Wort ›rest‹ – Ruhe, wie zum
Beispiel: ›to take a rest‹, sich ausruhen. Nach den Worten: ›um
mein Geschick zu melden‹, sollte es logisch weiterheißen: ›denn
Todesruh ist Schweigen‹. Du mußt einmal beachten, was dann
kommt: Horatio sagt ergriffen:
›Da bricht ein edles Herz, good night, sweet prince,
Und Engelscharen singen dich zur Ruh.‹
Übrigens sagt Schlegel: ›mein Fürst‹ und Shakespeare ohne höfische Ergebenheit: ›Sweet prince‹, als wären Hamlet und Horatio Verwandte.3 Genug für heute, du mußt nach Hause gehen.«
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Als ich ihm einen Kuß auf die Schläfe gegeben und er mir mit
seiner verkrümmten Hand die Wange geklopft hatte, sagte er:
»Nur noch eins, da es mir gerade einfällt: Wir schreiben
jetzt 1906, vor drei Jahren ist von einem Doktor aus Cambridge,
Walter Begley, ein Buch erschienen mit dem Titel: ›Is it Shakespeare?‹, ich habe es mir kommen lassen; in diesem geistreichen
Werk wird neben den bekannten Anwärtern auf den geheimnisvollen Dichter als bester Kandidat ein ›Edward de Vere‹
genannt, siebzehnter Earl of Oxford. Leider ist der Bericht nicht
ausführlich genug, immerhin wird gesagt, daß Oxford dem
höchsten Adel angehörte, erblicher ›Lord Great Chamberlain of
the Realm‹ war und Elisabeths Vetter; dann folgt nur noch eine
gedrängte Beschreibung seines Charakters und seiner Talente.
Oxford könnte wahrhaftig der ›wahre Shakespeare‹ gewesen sein
– so scheint es mir. Begley zieht leider keine Schlußfolgerung.«
»Findet man diesen Earl nicht in den großen Nachschlagewerken?«
»Ich habe bei allem Suchen nichts Weiteres über ihn gelesen.«
»Lasse es mich versuchen, Großvater; unser Lehrer für englische Geschichte erwähnt immer wieder einen ›Dictionary of
National Biography‹, dort finde ich vielleicht deinen Kandidaten
›Oxford‹.«
»Gut, suche und finde! Und dann schreibe seine Geschichte,
da ›Horatio‹ ja die Welt im Stich gelassen hat.«
Er schmunzelte mich liebevoll-ironisch an, und dabei blieb
es, denn ich fand auch nichts, da der »Dictionary« auf unserer
Stadtbibliothek nicht vorhanden war.
Nein, es »blieb eigentlich nicht dabei«, doch sollte eine lange Zeit
vergehn, bis ich den Namen Oxford nicht zu hören bekam, aber
bis er mir vor Augen lag. Nach zwanzig Jahren, während eines
Umzugs, von denen es mehrere in meinem Leben gab, schenkte
mir jemand, ich weiß nicht mehr, wer es war, eine Broschüre;
ich hatte keine Zeit, sie zu lesen, kaum daß ich das Titelblatt
ansah, und da stand es doch: »Shakespeare, Identified in Edward
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de Vere, Seventeenth Earl of Oxford« – nichts rührte sich in mir.
Ich schob das Heft irgendwo zwischen meine Bücher, wo es
fortan unbeachtet stand, bis sich, beinahe fünfzig Jahre später,
wiederum ein Umzug ereignete, diesmal vom sonnigen Süden
unseres Landes in den Norden. Es war der Februar des Jahres
1972, ein naßkalter, nebliger Monat, und im Süden blühten
schon die Kamelien und Mimosen, und der See war wohl wie
immer ein griechischer Traum. Mir war elend zumute, hier
würde ich nie mehr die Feder zur Hand nehmen.
Ich stand in einem halbbewohnbaren Raum, ein Heft in
der Hand, das ich ohne Wissen hin und her drehte, ich blätterte auch darin, bis ich, wie gezwungen, auf die Schrift niedersah, lesend und plötzlich einatmend – denn ein Wort lag unter
meinen Augen: »The Earl of Oxford!« Ich klappte das Büchlein
zu, den Titel suchend. Da stand: »Shakespeare Identified, by
Thomas Looney«, darunter das Bild eines schönen, hochmütigen Renaissance-Fürsten. »Ein erforschter Lebenslauf«, wie es in
der kurzen Zusammenfassung aus dem Jahre 1923 hieß.
Nun begann die Suche nach dem in der Broschüre genannten Werk von Thomas Looney. Es vergingen Monate mit Hinund Herschreiben nach Amerika, England, Deutschland, mit
Suchen auf den Schweizer Bibliotheken – nichts. Nichts. Das
Buch schien verschollen und vergessen.
Während dieser Zeit des Hoffens und Wartens las ich wieder
einmal den ganzen Shakespeare durch: Epen, Lustspiele,
Dramen, Sonette, in Spannung die Spuren suchend, die auf
einen Earl of Oxford hinwiesen, einen der höchsten Adligen
aus Königin Elisabeths nächster Umgebung. Noch bevor das
gesuchte Werk Looneys bei mir eintraf – oder nie eintreffen
würde –, glaubte ich, die Hinweise darüber gefunden zu haben,
daß Oxford, dieser erstaunliche Mann aus der Broschüre, der
Welt unter dem Pseudonym »Shakespeare« den unermeßlichen
Reichtum seiner Gedanken geschenkt habe.
Durfte ich dieser Broschüre eines Privatmannes glauben,
der Looney gelesen hatte, wenn die Literaturforscher der schwierigsten Spezialgebiete, Shakespeare betreffend, sich kaum mit
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dem ungelösten Rätsel seines Privatlebens befaßten? Wer es
je gewagt hatte, an dieses Rädchen zu rühren, hatte jeweils, im
Laufe der Jahrhunderte, eine ganze Maschinerie in Gang gesetzt,
deren Geräusch die ernsthaften Töne der Wissenschaftler zu
stören drohte, ja, darf man sich überhaupt mit Shakespeares
Leben befassen – zum Beispiel ihm einen fürstlichen Rang
zuschreiben, nur weil aus den Werken die eingehendsten Kenntnisse des höfischen Lebens hervorsprudeln, aber dann bedrängt
den Suchenden doch wieder die Frage, ob denn ein Mann aus
dem einfachsten Volk, das noch zum Teil aus Analphabeten
bestand, ein Genie sein konnte, das als das gewaltigste neben
Homer und Dante genannt wurde? Ein Mann, der fern dem
Strom von neuem Wissen, neuen Sitten und gepflegter Sprache
aufgewachsen war?
Gewiß, es kann ein überragendes Genie aus jeder Klasse
eines Volkes hervorgehen, aber seine Ausdrucksweise, seine Sprache, seine Metaphern bleiben dem Wurzelgrund seiner Herkunft
verbunden. Von Goethe stammt das Wort: »Jeder Schriftsteller
schildert sich in seinen Werken – auch wider Willen – selbst.«
Nun erscheinen aber in den Werken des Stratforders gerade die Menschen aus seinem kleinbürgerlichen Stand in einer
Unkenntnis dargestellt, die blind ist für die Würde auch des geringsten Mannes, während Königinnen, Könige und der höchste Adel in selbstverständlicher Unbefangenheit mit unzähligen
Einzelheiten beschrieben werden, wie es nur einem Manne von
fürstlicher Abstammung und Erziehung möglich sein kann.
Die zahlreichen Gelehrten, die Shakespeare ausgelegt und
immer neu interpretiert haben, brauchen seine Lebensgeschichte nur nebenbei; die Werke allein bieten unwiderlegbare
Tatsachen zur Kenntnis des weitgespannten und starken Geistes des Dichters.
Was bedeutet dagegen ein Alltagsleben, welches sind die
Gründe zu einem Pseudonym, wenn man ein solches für den
Namen Shakespeare annehmen will? Viele Große aus der Literaturgeschichte haben einen Decknamen gewählt. Um nur einige
zu nennen: Ossian – James Macpherson; Voltaire – François
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Marie Arouet; Novalis – Graf Friedrich Leopold von Hardenberg; Jean Paul – Friedrich Richter; George Sand – Aurore Dupin,
Baronne Dudevant; Jeremias Gotthelf – Albert Bitzius; Mark
Twain – S. L. Clemens; Carmen Silva – Königin von Rumänien.
Das Leben berühmter Verfasser mag für die wissenschaftliche Forschung von nebensächlicher Bedeutung sein, aber für
den Laien sind die schweren Werke der Literaturgeschichte oft
erst verständlich, wenn das Leben der Schriftsteller die Erklärung gibt.
Was mochte Looney über diese Frage denken? Würde jemals
der Tag kommen, da man mir endlich sein Werk brachte? Es
kam der Tag! Wie irgendein Paket schnürte ich eines auf, nahm
den Inhalt heraus, ein Buch. Ich las den Titel: Looney! »Shakespeare, Identified in Edward de Vere, Earl of Oxford.«
Aus Amerika zu mir gekommen! Ich sah zum Bild meines
Großvaters hinüber, das in meiner Nähe hing … Dein Wunsch
ist erfüllt, Oxfords Leben liegt vor mir, nicht als »Lebensgeschichte«, aber – wie ich beim Blättern sah – in einem gründlichen Forschungsergebnis zugunsten Oxfords als des Mannes
unter dem Pseudonym Shakespeare. Du hast im Scherz gesagt,
ich solle Oxfords Geschichte erzählen; ich will es tun, in Hinweisen und Möglichkeiten …
Eine Arbeit von Jahren stand mir bevor, aber kaum hatte ich
mich in Looneys geistreiche Darlegungen vertieft, als plötzlich
von verschiedenen Seiten unerwartete Hilfe zu mir kam. Einesteils durch neu erschienene Bücher, die mich hätten abschrecken können, aber das Gegenteil bewirkten, und dann – als eine
unschätzbare Gabe: Die Jugendgedichte Edward de Veres, des
Earl of Oxford, gesandt von der Genfer Stadtbibliothek.
Prachtvolle Gedichte, fast alle mit Oxfords Namen unterzeichnet oder mit dem Wort »Ignoto« überschrieben.4 Ich las
sie wieder und wieder und stutzte über Ausdrücke, Zeilen und
Verse, die mir genau gleich oder ähnlich aus Shakespeares
Werken vertraut waren. Bei Looney fand ich wiederum andere
Beispiele dafür, daß anscheinend die gleiche Hand die Gedichte
und das große Gesamtwerk schrieb. Außerdem stand mir unter
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den neu erworbenen Büchern das Werk von Dorothy und ihrem
Sohn Charlton Ogburn zur Verfügung, die ebenfalls für Oxford
kämpften. Aber die größte Unterstützung fand ich in Shakespeares Werken selber.
Es ist wahrhaftig, wie Goethe es ausdrückte, daß jeder
Schriftsteller wider Willen sich selber schildert. Wie oft hat auch
die Wissenschaft betont, daß Shakespeares Werke, vor allem der
»Hamlet«, autobiographisch durchblutet sind.
So will ich denn Edward de Veres Lebensgeschichte erzählen, wie sie aus Epen, Lustspielen, Dramen und Sonetten hervorleuchtet: ein Leben zwischen Höhen und Tiefen, zwischen
Verdienst und Schuld, zwischen Erkenntnis des eigenen Könnens und todessüchtiger Selbstverachtung. Bei meinem Versuch wird es sich von selbst ergeben, daß die Darstellung wie für
ein Theaterstück Szene an Szene reiht, wie Verse und Prosa sie
als gelebt erraten lassen. Der Name Shakespeare wird darüber
nicht verlorengehen, doch prüfe der Leser Taten und Wirkung
eines hochgenialen Dichters, der seines fürstlichen Standes
wegen unter fremdem Namen schreiben mußte und so der
Vergessenheit anheimfiel.
Es ist verlockend, »Beweise« aufzustellen, doch sind nur
»Hinweise« erlaubt: to take or to leave – anzunehmen oder zu
verwerfen.
Mary Lavater-Sloman
im Mai 1977
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Herzen nah im Weiten schienen;
Denn nicht Raum war, und doch Ferne
Zwischen Täuberich und seiner Queen:
Allen Wunder außer ihnen.95
Bei dem Wiedersehen Elisabeths mit Edward war kein Höfling
und keine Ehrendame anwesend, denn der Moment, wo die
Schuldigen zusammentrafen, erforderte so viel guten Willen,
daß nur im Alleinsein eine neue Brücke geschlagen werden
konnte. Doch riet die Königin ihrem »Dichter«, da der Hof ihn
zurzeit verurteilte, sich auf eines seiner Landgüter zurückzuziehen, aber er müsse schreiben! Skizzen zu »Othello« lägen ja
schon seit Paris in seiner Geheimschatulle.
Oxford hatte sie vor Elisabeth geöffnet, um ihr diese Skizzen
zu zeigen.
»Was ist das, Edward, was zuoberst liegt? Ein Gedicht?«
»Ja, ein Sonett. In Italien habe ich Petrarca mit Genuß gelesen und mich in Sonetten versucht. Unsern jungen Leuten im
›Savoy‹ habe ich geraten, das Sonett für ihre poetischen Gefühlsausbrüche zu benutzen. Nicht immer nur Allegorien, aus der
griechischen Götterwelt geschöpft. Spenser hat mir zugerufen,
dann müsse ich ihnen eine Laura verschaffen! Und Philip Sidney: ›Wir dürfen ja unsere Königin anbeten!‹«
»Da hast du etwas angerichtet«, sagte Elisabeth. »Jetzt werden
sie Sonette schmieden, Edward! Mit den poetischsten Übertreibungen, und ich, das Opfer, soll alles glauben!«
»Ihr habt Spenser und Sidney Euer gnädiges Interesse gezeigt,
jetzt fühlen sie sich beschwingt, beide sind sehr talentiert, aber
das junge Unkraut schießt neben diesen echten Blüten auf.«
»Es sind junge Kerlchen, unbeschriebene Blätter, aber sie
können noch werden.« Im Reden griff Elisabeth nach dem Sonett: »Darf ich es lesen?«
»Ich möchte es Euch vorlesen.« Edward strich den Bogen
glatt und las:
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»Oft rief ich dich als meine Muse an,
Und du hast so viel Kraft dem Lied geschenkt,
Daß manche Feder es mir nachgetan
Und nun zu deinem Preis zu dichten denkt.
Dein Auge lehrt ja selbst den Stummen singen,
Macht träge Dumpfheit schwebend und beredt,
Beflügelt neu des schon Beschwingten Schwingen,
Gibt seiner Anmut Kraft und Majestät.
Doch stolzer sei auf meiner Lieder Spiel,
Aus dir geboren, ziehn sie deine Pfade;
In andrer Werk verschönst du nur den Stil,
Begnadest Kunst mit deiner Schönheit Gnade;
Doch meine Kunst bist du, die mich erhebt,
So hoch, wie Weisheit über Dumpfheit schwebt.«96
Edward sah die Königin fragend an: Hatte er das alles sagen
dürfen?
»Ich will mit Freuden deine Muse sein, aber du mußt dich
unserer Arbeit als deinem Lebenszweck widmen!« Und mit ihrem
humorvoll-ironischen Lächeln: »Möglichst darauf verzichten, dir
einen Harem zu gründen, my turk!«97
Sie lachten zusammen, während Oxford die Notizen zum
»Othello« hervornahm und sie Elisabeth reichte. Die Königin
überflog die zwei Seiten und sagte dann so besorgt, als seien des
Mauren und der jungen Venezianerin Schicksal eine Wahrheit,
an der sie teilnehmen müsse:
»Sag mir, wie soll sich dieser Eifersuchtskonflikt lösen?«
»Ich bin für ein versöhnendes Ende, wie ich es mit Anne
erlebt habe.«
»Zu wenig dramatisch, Lieber! Unser Publikum braucht das
Tragische, es will erschüttert oder empört sein, um befriedigt in
das banale Alltagsleben zurückkehren zu können.«98
»Und wie wäre Euer Schluß?«
»Der Tod der beiden Liebenden: Er tötet sie in seiner blinden Wut und dann, als er ihre Unschuld erfährt, sich selber.«
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»… Ein richtiger Einwand, aber er entspricht nicht der Wahrscheinlichkeit … zum Glück! Ein solcher Doppelmord ist doch
eine große Seltenheit.«
»Von ›Wahrscheinlichkeit‹ und ›Wirklichkeit‹ wollen die
einfachen Leute gar nichts wissen!«
»Ich will Euren klugen Ratschlag bedenken … im Grunde
liebe ich das Dramatische genau so wie die ›einfachen Leute‹!«
Er schwieg mit einem Seufzer der Resignation: »Und doch ist das
›alltägliche Leben‹, so wie Ihr und wie ich es leben, nicht ohne
Dramen – woher nähme die Bühne sonst die Dramen?«
»Ich weiß, woran du denkst; da will ich dir etwas melden,
was dir, aber auch mir, Beruhigung bringen kann. Sir Knyvet
war bei mir – den Arm in der Schlinge –, er hat nicht gesagt, wo
er sich verletzt hat, mir nur seinen Entschluß bekanntgegeben,
seine Nichte Anne Vavasor zu sich zu nehmen, ich glaube nach
Schottland. Ihr Kind werde er, der unverheiratete Mann, adoptieren, es wird seinen Namen tragen und soll ihn als seinen
echten Vater ansehen, nur dürftest du nie Ansprüche auf das
Kind machen!«
»Das wird für die arme Anne das Beste sein, und doch werde
ich meine Schuld bis an mein Lebensende mit mir tragen.
Unsere Welt, die von allem weiß, wird es mir nie vergeben. Und
Ihr, Elisabeth?«
»Dieser Vormittag soll dir zeigen, daß ich dir vergeben habe.
Laß uns nun von unserm gemeinsamen Schaffen reden, es könnte
für meine Absichten wichtig werden. Ich weiß ja, du willst die
Geschichte Englands am Bild unserer Könige, an ihren segensreichen und an ihren verhängnisvoll-schlechten Taten, bearbeiten. ›Heinrich V.‹ hast du schon geschrieben und ihn selber
dargestellt, aber die übrige Königsgeschichte! Sie zu schreiben,
wie unser endlich erschienener Historiker Holinshed es getan
und veröffentlicht hat, nützt dem Volk nichts, es kann ja nicht
lesen, jedenfalls nichts Gelehrtes, aber von der Bühne herunter, von guten Schauspielern dargestellt, wird unsere Landesgeschichte in die Hörer eindringen, das werden sie nie vergessen
und ihr Land lieben lernen. Edward, dieses ›Verstehen‹ oder nur
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diese ›Teilnahme‹ brauchen wir, es wird der Tag kommen, da sie
bereit sein müssen, ihre Insel zu verteidigen.«
»Unsere Inselbewohner besitzen einen ausgeprägten Volkscharakter, aber darin habt Ihr recht: unsere Männer sollten, falls
die drohende Invasion Wahrheit wird, wissen, um was sie kämpfen, um welche Vergangenheit und um welche Zukunft. Eine
wimmelnde Herde, die blind dem Leithammel folgt, setzt sich
nicht zur Wehr, jeder Einzelne muß Sieger sein wollen.«
»Ja, falls es einmal zur Verteidigung der Insel kommt, und es
wird dazu kommen, ich weiß es so gut wie du und der ganze Adel!
Deshalb sollst du, Edward, das gedankenlose Volk lehren! Aber
wir wollen vom hohen Roß heruntersteigen: es steht dir noch
eine ganz andere Aufgabe bevor, eine Pflicht, die du annehmen
oder ablehnen darfst. Frage jetzt nichts, komme morgen vormittag wieder zu mir.«
An welchen Auftrag mochte Elisabeth denken? Oxford sprach
seine Besorgnis vor Anne aus; sie war sogleich voller Mißtrauen:
Die Königin würde ihn ihr bald ganz entziehen, sie fühle, daß sie
nicht auf der geistigen Höhe dieser Freundschaft stehe.
»Ach, Edward, Liebster! Bald werde ich nichts mehr für dich
sein, deine Wissenschaften verstehe ich nicht, dichten kann ich
nicht, lesen und schreiben wird mir mühsam, ich bitte dich,
nimm dir die Zeit, mich zu belehren, ich bin noch jung genug.«
»Du geliebtes Herz, für meine Liebesfreuden weißt du genug, und wenn ich sehe, welch gute Mutter du bist, so bleibt mir
nichts zu wünschen übrig, außer …«
»Daß ich dir nun bald den Sohn schenke, ich bete jeden Tag
dafür.«
»Ja, tue das fleißig, mein Herz.«
Sie war und blieb ein Kind; es wäre nutzlos und auch nicht
gut, ihr zu erklären, daß das Geschlecht des Kindes, das sie trug,
schon längst bestimmt war und alles Beten nichts mehr ändern
konnte. Er küßte sie und sagte: »Ich hoffe von ganzem Herzen
mit dir!«
Am nächsten Vormittag fand Edward die Königin wiederum
allein, aber bevor sie noch ihr ernsthaftes Gespräch begonnen
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hatten, klopfte es an der Türe, sie öffnete sich, und herein trat ein
Knabe von sieben oder acht Jahren. Oxford erhob sich in Überraschung und ging dem Kind einige Schritte entgegen … welch ein
wunderschöner Knabe!
Der Kleine war schüchtern stehengeblieben, doch dank dem
Lächeln und dem freundlichen Blick des fremden Herrn lief er
ihm entgegen, faßte seine Hand und zog ihn zur Königin.
»Edward, da hast du deine Aufgabe! Ich sehe schon, sie wird
dir leichtfallen; er ist mein Mündel und lebt bei deinem Schwiegervater.«
»Was soll ich mit ihm anfangen, wer ist er?«
»Der junge Earl of Southampton; ein Earl im Kindesalter, wie
du selbst es warst, seine Mutter ist dir bekannt, eine Witwe.«
»Diese Verehrungswürdige hat aber nicht wieder geheiratet
wie …«
»Höre, Edward, nimm den kleinen Henry zu dir aufs Land,
er muß unter männlichen Einfluß kommen, lehre ihn reiten,
fischen, jagen, gib ihm höfische Manieren, sei ihm ein Vater, wie
Arthur Golding einst ein Vater für dich war.«
»Es ist alles wie in meiner Knabenzeit, er findet auch bei mir
im Hause eine kleine Spielgefährtin. Willst du mit mir kommen,
Henry?«
»Wenn ich neben Euch reiten darf.«
»Das darfst du. In meinem Stall steht ein Pony, auf dem könntest du morgen mit mir nach Billesley-on-Avon reiten.«
Der kleine Earl war gar nicht zufrieden, daß seine Erzieherin ihn holte, aber ein Blick und ein Nicken von Oxford, und er
sprang davon.
Als Elisabeth mit Edward wieder alleine war, sagte sie zu
ihm, Lady Southampton habe zuerst nicht einwilligen wollen,
daß ihr Sohn gerade ihm, Oxford, gegeben würde. »Deine letzte
Eskapade hat ihr Bedenken verursacht, du könntest in dem
Heranwachsenden freie Sitten im Verkehr mit Frauen dulden.«
»Fürchtet Ihr das auch, meine hohe Gefährtin?«
»Nein. Nach der Lehre, die du hast hinnehmen müssen, nicht
mehr, aber mein Mündel wird ein bildschöner Jüngling werden
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und sich vor Frauenliebe nicht retten können, vergiß das nicht,
mein Lieber. Laß ihn nicht nur mit deiner Elisabeth spielen,
ziehe Knaben aus den umliegenden Adelshäusern heran, eine
Bande von wilden Buben wäre das Beste für ihn. Du übernimmst
eine ernsthafte Pflicht, Edward! Ich vertraue dir. Laß ihn auch bei
seinem Lehrgang an deinem Schriftstellerleben teilnehmen.«
Oxford freute sich seiner Aufgabe, aber wichtiger als diese
blieb ihm doch das Gespräch vom vorigen Tag mit Elisabeth, an
dem sie sein »Amt« als Dichter ihres Volkes wie eine weise Sibylle
vor ihm ausgebreitet hatte.
Nach dieser zweiten entscheidenden Stunde, die einen
weiteren Ansturm von Ideen in ihm zu entfesseln vermochte,
schien ihm sein idyllisches Leben mit Anne, dem Töchterchen
und Henry Wriothesley (ausgesprochen: Rithley), Earl of Southampton, mit Pächtern und Bauern, mit Gärtnern, Förstern und
Jägern auf diesem sehr großen Landbesitz wie ein leichtes Spiel,
bei dem die Kinder sich um den Vater drängen, nicht ahnend,
was sich in seinem Innern an Wichtigem vorbereitet.
Nur die Königin gab sich Rechenschaft von dem Reifeprozeß, den Edward durchlebte, deshalb wollte sie ihn zu dieser Zeit
öfters sehen. Er war als Verfasser von lyrischen Gedichten und
von Lustspielen schon bekannt, aber er sollte sich ernsthafterer
Arbeit widmen: dem Drama, nicht mehr selber mit seinen »Boys«
reisen oder sich von dem Ruf zur Kriegstätigkeit oder gar zu
Abenteuern auf den Ozeanen hinreißen lassen; von seinem kriegerischen Vetter, Francis de Vere, von Sir Walter Raleigh oder von
Gabriel Harvey! Die beiden ersteren hatte sie gern, aber Harvey
nicht; an ihn besaß sie eine ärgerliche Erinnerung. Dieser tüchtige, aber gänzlich unmusische Mann hatte sich, als er ihr vor
mehreren Jahren in Cambridge die Begrüßungsrede hielt, geradewegs an Oxford gewandt, der neben ihr saß. Wie hatte Harvey
doch gesagt? Der Earl solle seine dichterische Tätigkeit aufgeben
und nach dem Vorbild seiner Ahnen ein Kriegsheld werden! Am
Schluß dieses unerwünschten Ratschlags wagte der Mann auszurufen:
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»Euer Blick sprüht Feuer, Eure ganze Erscheinung ist die
eines Lanzenhelden, eines Speerschüttlers!«99
Dem Rat, das Schreiben zu lassen, war Edward zum Glück
nicht gefolgt, jetzt, in diesem Jahre 1582, schien es ihr, er sei ernsthaft bei ungenannten Arbeiten. Einmal würde er sie ihr vorlesen
– nur nicht drängen, ein Dichter im Schaffen war wie eine Mimose. Den jungen Dichter, Lyly, hatte Edward als Sekretär angenommen, der zugleich dem kleinen Henry als Lateinlehrer diente.
»Wenn dein ›Söhnchen‹ nach drei Jahren auf eine der Universitäten zieht, mußt du ihm einen gelehrten Begleiter mitgeben«,
sagte die Königin einmal zu ihrem Freund, als sie sich nach
der Entwicklung des jungen Wriothesley erkundigte, »und Lyly
könnte der Direktor deiner ›Boys‹ werden. Gut hast du sie gedrillt!
Es gibt schon Bewunderer in der Stadt, die sie nach mir ›The
Queen’s Boys‹ nennen!«
»Ich bin stolz darauf; daß wir gemeinsam Dramen dichten,
weiß der ganze Hof.«
»Wie gefällt dir dieser Anthony Munday, der auch Dramen
dichtet und sich zum Direktor einer Schauspielertruppe gemacht
hat?«
»Ein kleiner Stern an Eurem Musenhimmel; ich sehe ihn oft
im ›Savoy‹, er läßt sich von mir beraten und nennt sich öffentlich:
›Oxford’s servant‹.«
»Hast du dich mit Philip Sidney versöhnt?«
»Ach, er haßt mich! Ihr wißt, daß er einmal in sehr jungen
Jahren meine Anne hätte heiraten sollen, sie war damals zwölfjährig, dann hat ihr Vater sie aber mir gegeben, das hat Philip nie
verziehen, und schließlich habe ich ihn neulich, als er schlecht
Tennis spielte, ›a puppy‹, einen Laffen, genannt, nun ist der
Teufel los!«
»Das hättest du nicht tun sollen! Er ist ein sehr kultivierter
junger Mann, der Bruder meiner geliebten Lady Pembroke und
Neffe meines guten Leicester, du solltest dich seiner annehmen, er ist beinahe so geistreich wie seine schöne Schwester. Ich
kann mich nicht selber um die vielen jungen Talente an meinem
Musenhof bekümmern!«
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Elisabeth hätte sich gern in den Jahren 1580 bis 1583 ihren musischen Interessen hingegeben, aber an drei Fäden ließ die Zeitgeschichte sie »wie eine Marionette tanzen«, so klagte sie einmal
vor Edward. Philipp von Spanien, der Erbauer einer Riesenflotte,
zupfte an dem einen Faden, die Niederlande mit ihren immer
neuen Rufen nach Hilfe am zweiten und Heinrich III. von Frankreich am dritten, als der Verbündete von Maria.
»Ich sollte dich viel öfter in meiner Nähe haben, Edward,
lasse deine ›Boys‹ nicht immer wieder nach Billesley reisen,
rufe sie nach London und gib ihnen ein Theater nach Mundays
Muster.«
»Nicht nach Mundays ›Muster‹, er hat seine Bretter unter
freiem Himmel aufschlagen lassen, nur seine dreistöckige Bühne hat ein Dach – eines der Bank-Side-Theater! Wir gehen manchmals als ganze Bande hin, um über die wüsten Spiele in grober
Volkssprache zu lachen. Und das Publikum! Wir dürften keine
unserer Damen dorthin führen!«
»Wo willst du denn ein Theater finden, das der Hofgesellschaft genehm ist, in das sogar ich gehen dürfte?«
»In Whitehall, wo der neue Adel sich Häuser bauen läßt, im
Westen der Stadt, wo Ihr gedenkt, zeitweilig den Hof hinzuverlegen, dort will ich ein vollständig gedecktes Theater erbauen.«
»O ja, für unsere Dramen! Was die Kosten anbetrifft, so wirst
du alle Unkosten zurückgewinnen. Wenn deine Expedition
zu den Bermudas gut verlaufen ist und du dort die versteckten
Ankerplätze der Spanier hast zerstören lassen, dann wird die
Admiralität dir den größten Teil deines Beitrags zurückzahlen,
dafür werde ich sorgen.«
»Geliebte! Das ist ja gerade das Schlimmste! Ich habe mich
mit fünftausend Pfund beteiligt,100 aufgrund von Raleighs Versprechen, wir würden dort ungeheure Schätze an Mineralien
erbeuten, nun gibt es aber auf diesen kleinen Felseninseln überhaupt kein Metall – Kalkstein, weiter nichts, kaum Tiere, weil
es nur eine Zufallsvegetation gibt. Dreihundert Inseln und Felszacken haben unsere Leute gezählt. Kuba und Mexiko sind nicht
fern. Die spanischen Kastelle anzugreifen, könnte aber nur mit
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Vernichtung unserer leichten Schiffe enden, schon gar bei den
furchtbaren Orkanen, die gerade dort toben. 101 Inmitten des
Felsenringes wären die Schiffe ziemlich gesichert, aber wie sollen
sie in den toten Mittelpunkt hineingelangen? Unsere Expedition
hat drei von den fünf Schiffen verloren. Mir ist, als hätte ich mein
Geld von einer der Felsspitzen in die kochenden Wogen geworfen! Ihr habt zum Glück nichts investiert.«
»Wahrhaftig ›zum Glück‹! Ich brauche mein eigenes Vermögen und den Staatsschatz zum Bau unserer Kriegsflotte. Drake,
Raleigh, Hatton und erst der Admiral Howard bedrängen mich,
kein Verzögern zu dulden, sie lechzen nach Angriffen auf spanische Häfen, in denen die Werften fieberhaft arbeiten, deine
Verluste tun mir leid; aber du bist ja unser reichster Mann.«
»Gewesen, geliebte Herrin! Wie schnell ungünstige Nachrichten sich verbreiten! Im ›Savoy‹ wußten sie schon von meinem großen Verlust.«102
»Bekümmert dich das?«
»Ich habe bemerken müssen, daß man mich schon als
gute Geldquelle abgeschrieben hat; ich dachte, ich hätte treue
Freunde, aber …«
»Nun werden die Kerle – those chaps – nicht mehr in Scharen
deine Haustüre belagern wie die ›Klienten‹ ihre reichen Gönner
im alten Rom. Benutze ihre Gemeinheit, um weniger Geld auszugeben, dein Schwiegervater hat darin recht, daß du auch an die
Zukunft denken mußt, jetzt, wo Anne wieder in Erwartung ist und
dir noch in diesem Jahr – vielleicht – einen Sohn schenken wird.«
»Das ist unsere große Hoffnung!«
Edward war exzentrisch, aber nicht unvernünftig, er sah es
ein: einige Sparsamkeit war zunächst geboten – kein Theaterbau, aber das durfte er sich erlauben, für den Winter 1582/83 das
neue Blackfriars-Theater zu mieten; noch zogen seine »Boys«
durch die nächsten Provinzen.
Auf einer dieser Reisen sollte sich in Oxfords Datenschnur
ein Knoten schlingen, von dem er zunächst nichts zu bemerken
vermochte. Bevor seine Truppe auszog, wohlversehen mit allerlei
kleineren Lustspielen, kam Anne nochmals mit einer Tochter
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nieder. Die Freude war nicht nur in Edwards Hause gedämpft;
Elisabeth und der ganze hohe Adel hätten so gern einen kleinen
achtzehnten Earl of Oxford zur Welt kommen sehen, um die gerade Linie fortzusetzen. Susan wurde das unerwünschte Mägdlein getauft.
Der junge Southampton rückte Edward nun noch näher. Bei
der Taufe ging er neben ihm, an der andern Seite seine Tochter Lizzy. Anne ruhte in Tränen im Wochenbett; sie hatte diese
Ehrung Henrys nicht gern, ihre Eifersucht vermochte sie nicht zu
überwinden.
Im Spätherbst dieses Jahres 1582 fanden sich die »Oxford
Boys« in der letzten ihrer Stationen, in Stratford-upon-Avon, ein.
An diesem kleinen, von langen Herbstregen versumpften Ort
erschienen nicht viele Zuschauer vor ihrer Bühne; sie war wie
immer im Hof des Posthauses aufgeschlagen, aber die Galerie
rechts und links der Bretter von Durchreisenden kaum besetzt,
und aus dem Städtchen war hauptsächlich die Jugend herangelaufen; unter ihr ein achtzehnjähriger Jüngling: William »Shagsper«, wie er soeben seinen Heiratskontrakt unterschrieben
hatte. Er liebte Gaukler und Spaßmacher und pflegte weit zu
wandern, um sie zu sehen und zu hören.
Jetzt, nach der ersten kühlen und feuchten Vorstellung,
höchst ungemütlich war sie gewesen, zog er mit Kameraden den
Schauspielern nach in das Zimmer des Posthauses, wo Warmbier
zu haben war. William kannte die »Servants« des Earl of Oxford
schon von Gastspielen in andern Poststationen. Irgendwo hatte
man ihm erzählt, der Earl in Person sei mit den Kerlen gereist und
hätte sie gedrillt wie neu angeheuerte Burschen auf den Schiffen.
Eben entdeckte der junge Ehemann »Shagsper« einen gutgekleideten Herrn, der die Getränke bestellte und die blaugefrorenen Schauspieler auf ihr warmes Quartier in London vertröstete.
War das der Earl? William faßte Mut und fragte einen der Leute,
ob der vornehme Herr ihr »Direktor Oxford« sei.
Ein höhnisches Lachen: »Du Kalb! Unser hoher Patron lebt
im Schloß der Königin! Dieser Herr dir gegenüber ist Mister Lyly,
Dichter und Sekretär Seiner Gnaden.«
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Schloß der Königin … mehr konnte der junge Mann nicht denken. »Habt Ihr die Königin einmal gesehen?«
»Von weitem, wenn wir am Hof spielen mußten.«
»Und der Earl?«
»Saß neben ihr.«
»Oh, erzählt mir von ihm!«
»Was soll ich erzählen? Er schreibt uns Entwürfe zu den Lustspielen, und wir tun hinzu, was uns durch den Kopf geht.«
»Aber er, der neben der Königin sitzen darf, wie lebt er?«
»Wie soll er leben? Gut natürlich, hat eine Frau und zwei Kinder.«
»Söhne?«
»Du Neugierfritze! Zwei Töchter hat er, die eine heißt Elisabeth nach der Königin, ihrer Patin, und die andere Susanna …
nein, jetzt ist genug gefragt; geh und sag dem Wirt, er solle uns
Honiggebäck bringen.«
»Könnt Ihr das alles bezahlen?«
»Die ›Boys‹ des Earl of Oxford können noch viel mehr bezahlen! Fort mit dir, du komischer Knabe, und bestelle, was ich dir
aufgetragen habe!«
»Ich bin kein Knabe, bin achtzehn und verheiratet, werde
bald Vater sein.« Nachdem William den Honigkuchen bestellt
hatte, hörte er noch eine Weile den Gesprächen am langen Tisch
zu … die Glücklichen, sie lebten in London. Der Name »Oxford«
fiel oft, und William verstand, daß der Earl seinen Leuten ein
Theater bauen wollte. Wenn er doch mitspielen dürfte! In einem
richtigen Theater und am Hofe! Er würde die Königin sehen und
den Earl. Vielleicht durfte man mit ihm reden.
So viel von William für das Jahresende 1582; im Mai 1583
wurde ihm, nach weniger als sechsmonatiger Ehe, eine Tochter
geboren, von seiner Frau, die acht Jahre älter war als er.
»Du mußt dem Kind einen Namen geben«, flüsterte die
Wöchnerin; die erschöpfte Frau vermochte kaum zu reden, und
er triumphierend:
»Susanna!«
»Warum gerade Susanna?«
»Weil mir der Name gefällt!«
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Mary Lavater-Sloman
Ein Leben im Gedicht
Edward de Vere,
der 17. Earl of Oxford
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Das Manuskript, an dem Mary Lavater-Sloman bis kurz vor ihrem Tod 1980 gearbeitet hatte, galt lange Zeit als verschollen –
bis es von ihren Enkelinnen zufällig entdeckt wurde: »Ein Leben
im Gedicht«. Auf der Grundlage ihrer Shakespeare-Biografie
»Gefährte der Königin« hat die Schriftstellerin ihre These – sie
sah im 17. Earl of Oxford den wahren Verfasser der Shakespear’schen Werke – weitergeführt und anhand vieler Gedichtbeispiele gestützt. In »Ein Leben im Gedicht« werden die Jugendgedichte Edward de Veres mit den Werken Shakespeares
verglichen und mit seinem Leben am Hof Elisabeth I. in Verbindung gebracht. So entsteht ein lebendiges Bild des Dichters
und seines weltberühmten Schaffens.
Der Autorin war es nicht vergönnt, ihr letztes Werk ihrem
Anspruch gemäß zu bearbeiten. Im Römerhof Verlag erscheint
deshalb »Ein Leben im Gedicht« im Original als E-Book. So erhält der Leser einen Einblick in die Quellenarbeit und Arbeitsweise Mary Lavater-Slomans.
Leseprobe unter www.roemerhof-verlag.ch
ISBN 978-3-905894-71-2
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