Hätten Sie's gewusst? Autonome Neuropathie Haben Sie schon von der diabetischen Neuropathie gehört? Ja natürlich, werden Sie sagen. Das ist doch, wenn man die Füsse nicht mehr spürt, wenn‘s kribbelt und brennt in den Beinen und es zu den gefürchteten Amputationen kommen kann. Das ist alles richtig und beschreibt die recht bekannte, sogenannte periphere Polyneuropathie. Aber was haben Verdauungsbeschwerden, Blutzuckerschwankungen und Kreislaufprobleme mit der Neuropathie zu tun? Zu diesen kann es kommen, wenn eine sogenannte autonome Neuropathie besteht. Das menschliche Nervensystem wird einerseits eingeteilt in ein sogenanntes somatisches oder willkürliches System. Mit dem motorischen Teil können wir willentlich Befehle an unsere Muskeln übermitteln und uns bewegen, und mit dem sensorischen Teil bewusst Informationen empfangen über Hitze oder Kälte, Schmerzen oder auch feinere Informationen wie Vibrationen oder die Lage unserer Körperteile im Raum etc. Daneben gibt es aber auch noch das sogenannte vegetative oder autonome Nervensystem. Es heißt so, weil es ohne unser bewusstes Zutun funktioniert. Es steuert viele Vorgänge im Körper, um die wir uns nicht bewusst kümmern müssen. So beispielsweise den Pulsanstieg bei Aufregung oder Anstrengung, die Darmbewegungen bei der Verdauung, oder die Kontrakturen der Muskulatur in der Wand der Blutgefäße, die nötig sind, um den Blutdruck stabil zu halten, wenn wir uns aufsetzen oder hinlegen. Wie bei so vielen Dingen merken wir also erst, wie wichtig das autonome Nervensystem ist, wenn es nicht mehr richtig funktioniert. Nicht immer ist aber die Unterscheidung ganz streng. Die Atmung wird beispielsweise autonom gesteuert und funktioniert auch im Schlaf tadellos weiter. Trotzdem können wir aber auch bewusst ein- und ausatmen oder auch den Atem anhalten. Bei der diabetischen Neuropathie kann auch das vegetative Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen werden. Je nachdem, welche Nerven betroffen sind, führt dies zu ganz unterschiedlichen Symptomen (siehe auch «d-journal» 217, 2012). Bei einer Störung der Darmtätigkeit kann sich die Verdauung verzögern, weil sich der Magen und der Darm langsamer entleeren. Dies kann zu Völlegefühl und Druckbeschwerden führen. Noch problematischer kann aber sein, dass nicht mehr gut vorhergesagt werden kann, wann der Zucker aus Speisen tatsächlich im Blut ankommt. Der herkömmliche Zeitabstand zwischen Insulinspritze und Mahlzeit kann dann nicht mehr funktionieren, und es kommt zu Unterzuckerungen, wenn das Insulin wirkt, bevor die Verdauung abgeschlossen ist, oder zu Blutzuckerspitzen, wenn der Zucker zu einem unerwarteten Zeitpunkt plötzlich doch noch im Blut ankommt. Wenn die Steuerung des Kreislaufs betroffen ist, kann durch die fehlende Pulsregulation die Leistungsfähigkeit eingeschränkt sein. Durch die fehlende Steuerung der Gefässwandmuskulatur wird der Blutdruck instabil, und es kann zu plötzlichen Blutdruckabstürzen, vor allem bei Lagewechsel, kommen. Dies äussert sich in Form von Schwindelbeschwerden und Schwarzwerden vor den Augen beim Aufsitzen/Aufstehen oder auch spontan. Auch das Schwitzen der Haut wird über autonome Nerven gesteuert. Eine Störung hier führt dazu, dass viele Diabetiker unter zu trockener Haut leiden. Ein Problem, das gerade im Alter sowieso schon recht verbreitet ist. Seltener kann es im Rahmen dieser Fehlsteuerung aber auch einmal zu vermehrtem Schwitzen kommen. So wie diese Beispiele können noch viele andere Vorgänge betroffen sein, die über autonome Nerven reguliert werden. Auch Erektionsprobleme können beispielsweise ihre Ursache in einer diabetischen Neuropathie haben. Die Therapie muss je nach betroffenem Gebiet unterschiedlich erfolgen und gestaltet sich oft schwierig. Besser ist es natürlich, den Zucker möglichst gut einzustellen und damit die Neuropathie zu vermeiden oder zumindest lange hinauszuzögern. Dr. med. Dirk Kappeler