Serie - Deutsches Ärzteblatt

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M E D I Z I N
AKTUELL
Serie: Diabetische Neuropathie
Gerhard Reichel1
Bernhard Neundörfer2
Pathogenese und Therapie
der peripheren diabetischen
Polyneuropathien
Chronische distale sensomotorisch-vegetative Polyneuropathien treten sowohl beim Diabetes mellitus Typ I als auch beim
Typ II mit einer Häufigkeit von 20 bis 50 Prozent auf. Die gemeinsame pathogenetische Schiene dieser Polyneuropathien
ist ohne Zweifel die Hyperglykämie. Sie wird als Ursache einer Aktivierung des Polyolstoffwechsels mit nachfolgender
energetischer Erschöpfung der Nervenzelle, der vermehrten
Proteinglykosylierung mit resultierender endoneuraler Hypoxie sowie des gesteigerten oxidativen Stresses angesehen.
Aus den Kenntnissen über die Pathogenese dieser Polyneuropathien werden therapeutische Konsequenzen abgeleitet,
die bislang unterschiedliche klinische Relevanz erlangten.
ür die verschiedenen Formen xische Medikamente (Nitrofurantoin, (6). Grundsätzlich besteht eine positider diabetischen Nervenkrank- Barbiturate, Zytostatika) Ursachen ve Korrelation der Polyneuropaheiten sind in unterschiedli- einer chronischen distalen Neuropa- thiehäufigkeit mit der Diabetesdauer
chem Maße metabolische, vas- thie. Alle anderen Ursachen machen (Grafik 1). Allerdings sind bei über 20
kuläre und mechanische Faktoren be- jeweils weniger als ein Prozent aus Prozent der über 50jährigen Diabetideutsam. Insbesondere die
ker schon bei oder kurz
Grafik 1
Mononeuro- und Radikulopanach Entdeckung des Diathien haben bei Diabetikern
betes klinisch manifeRelative PNP-Häufigkeit
ihr eigenes Gepräge. Ihre Paste Polyneuropathien fest(%)
60
thogenese kann mechanische
zustellen, ein Umstand,
Faktoren (zum Beispiel Karder die Schwierigkeipaltunnel-Syndrom), aber auch
ten bei der Festlegung
40
vaskuläre Störungen des Hirndes
Manifestationszeitstammes wie Okulomotoripunktes eines Typ-II-Diausparese einschließen. Auch
betes und/oder andere im
20
die proximale diabetische
höheren Alter zunehmenAmyotrophie wird überwiede neuropathische Ein0
gend als Folge lokaler Durchflüsse widerspiegelt. Moblutungsstörungen am Plexus
dulierende Faktoren wie
lumbalis interpretiert.
Malabsorption und Ma≥ 50
Weit über 90 Prozent der
kroangiopathie geben der
diabetischen
Neuropathien
Polyneuropathie beim Typ40 - 49
sind aber den chronischen diII-Diabetes ein besondestalen symmetrischen sensores Gepräge, worauf wei30 - 39
motorisch-vegetativen diabetiter unten noch eingegan≥ 15
schen Neuropathien (cdNP)
gen wird.
Lebensalter
≤ 29
5 - 14
in Jahren
zuzuordnen. Im vorliegenden
≤4
Beitrag soll deshalb nur auf
Diabetesdauer
in Jahren
diese Form der diabetischen
Hyperglykämie
Neuropathien
eingegangen
als Hauptfaktor
werden. Eine Neuropathie bei Die Häufigkeit klinisch manifester cdPNP bei 789 Diabetikern, bezogen auf
Die Bedeutung der
Diabetes muß nicht eine dia- Lebensalter und Diabetesdauer (aus Reichel G: Diabetes und Nerv, Jena 1989)
Hyperglykämie als Hauptbetische Neuropathie (im Sinfaktor für die Auslösung peripherer
ne einer diabetesspezifischen Patho- 1
Neurologische Abteilung (Chefarzt: Prof.
genese) sein. Neben dem Diabetes Dr. Gerhard Reichel) der Paracelsus Klinik und viszeraler Nervenschäden wird
heute nicht mehr bezweifelt. Das hasind in Europa Alkoholabusus, Mal- Zwickau
absorption, Neoplasmen, Periarteri- 2 Neurologische Klinik und Poliklinik (Direk- ben auch die jüngst veröffentlichten
itis nodosa, hereditäre motorisch-sen- tor: Prof. Dr. med. Bernhard Neundörfer) der Ergebnisse der DCCT-Studie (Diabetes Control and Complications Trial)
sible Polyneuropathien und neuroto- Universität Erlangen-Nürnberg
F
Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 15, 12. April 1996 (41)
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(2) bewiesen. In der Studie wurde der
Einfluß der intensivierten InsulinTherapie (ICT) in der Primär- und Sekundärprävention untersucht. Gegenüber der konventionell behandelten Gruppe wurden durch ICT das
Auftreten einer Neuropathie nach
fünf Jahren um 69 Prozent, das Fortschreiten um 57 Prozent vermindert.
Manche Fragen der Pathogenese der
cdNP sind aber noch offen, wohl auch
deshalb, weil nach wie vor keines der
verfügbaren Tiermodelle voll die beim
Diabetiker auftretenden Nervenveränderungen reproduziert. Dies trifft
insbesondere für die Neuropathie bei
Typ-II-Diabetes zu.
matischer Proteinglykosylierung, endoneuraler Hypoxie, freien Radikalen und Axontransportstörungen vermutet. Darüber hinaus werden immunologische Störungen für das Entstehen der cdNP verantwortlich gemacht. Antikörper gegen GlutamatDecarboxlase und gegen sympatische
Ganglien wurden nachgewiesen.
Sorbitol-MyoinositolNa1/K1-ATPase-Hypothese
Die Hyperglykämie führt zur
Aktivierung des Polyolstoffwechsels
als alternativem Weg der Glukosever-
ATPase zieht eine zunehmende energetische Erschöpfung der Nervenzellen nach sich.
Erstes Zeichen dafür ist die
Störung der elektrischen Erregungsleitung, die sich klinisch in der Amplituden-/Flächenreduktion der Nervenund Muskelsummenpotentiale nach
elektrischer Stimulation und in der
Minderung der Nervenleitgeschwindigkeiten zeigt. Einen gleichsinnigen
negativen Effekt auf die ATPase-Aktivität haben die beim Diabetes vermehrt vorliegenden Ketonkörper, die
Schlüsselenzyme (Pyruvat- und Ketoglutarat-Dehydrogenase) der aeroben Glykolyse in den Mitochondrien
Grafik 2
Insulinmangel
Insulinresistenz
Stoffwechselführung
Myoinositol
Hyperglykämie
Aminoguanidin
Thioctsäure
Abnahme des
Myoinositolgehaltes
Proteinglykierung
Gamma-Linolensäure
Erhöhte Aktivität
des Polyol Pathway
Aldose-ReduktaseHemmer
Endoneurale
Hypoxie
Geminderter
Abtransport
Kapillarpathologie
Makroangiopathie
Freie O2-Radikale
Geminderte
Na/K-ATPase
Thioctsäure
Störung der
Erregungsleitung
Axonale
Strukturveränderungen
Die Pathogenese der cdPNP und die therapeutischen Einflußmöglichkeiten (verändert nach Low PA et al.: Nerve microenvironment in diabetic neuropathy 1987)
Die im folgenden beschriebenen
pathogenetischen Hypothesen sind
als Einzelschritte in der Herausbildung der cdNP in der Diskussion.
Zum einen sind es biochemische Befunde, die eine Sorbitol-MyoinositolNa1/K1-ATPase-Hypothese begründet haben. Zum anderen werden axonale Strukturveränderungen als Folge komplexer Prozesse mit nichtenzyA-964
stoffwechselung. Die Aktivität der
Aldosereduktase ist erhöht. Es resultiert eine intraneurale Sorbitolakkumulation. Die erhöhte Sorbitolkonzentration im Nerv führt sekundär zur
Myoinositoldepletion. Myoinositol ist
Bestandteil der für die Nervenfunktion entscheidenden membranständigen Na1/K1-ATPase. Die resultierende Funktionsstörung der Na1/K1-
(42) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 15, 12. April 1996
hemmen. Die energetische Erschöpfung verstärkt sich schließlich im Sinne eines Circulus vitiosus selbst. Die
Myoinositoldepletion mindert die
Na1/K1-ATPase-Aktivität, wodurch
wiederum eine weitere Abnahme der
nervalen Myoinositolaufnahme induziert wird.
Nach wie vor ist es schwierig, die
beschriebenen Störungen mit den
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strukturellen Veränderungen bei der rungen auch schon bei oder kurz nach
Neuropathie in Zusammenhang zu Manifestation des Diabetes auftrebringen. Im Tierexperiment ist eine ten, und zwar nicht nur als
Korrelation pathologischer elektro- elektroneurophysiologische Abweineurographischer Befunde mit einer chungen, sondern als klinisch manifeAblösung der terminalen Myelin- ste, vorwiegend somatische Neuropaschleifen vom Axon am Ranvier- thie. Elektroneurographisch zeigen
schen Schnürring nachgewiesen wor- sich dabei eine Betonung der Nervenden. Diese Entkopplung hat eine Re- leitgeschwindigkeitsminderung an
duktion der nodalen Natriumper- den motorischen Fasern sowie Vermeabilität zur Folge, wodurch die Er- änderungen der Form und Amplituregungsleitungsstörungen
erklärt sind. Möglicherweise stellt
Therapieschema
diese Entkopplung eine Vorstufe zur paranodalen und schließ1. Optimierung der Stoffwechselführung
lich segmentalen Entmarkung
– kontinuierliche subkutane
dar.
Insulininfusion?
Nichtenzymatische
Proteinglykosylierung
– intensivierte konventionelle
Insulintherapie?
– Insulin bei bisher mit Antidiabetika
geführten Diabetikern?
Prozent der Diabetiker ohne Makroangiopathie (7). Es ist daher denkbar, daß ein Teil der Neuropathien
bei Typ-II-Diabetes pathogenetisch
auch mit der Makroangiopathie verknüpft ist. Im Zusammenhang mit
Veränderungen der endoneuralen
Kapillaren werden auch Störungen
des
Metabolismus
essentieller
Fettsäuren diskutiert. Eine Förderung der Thrombozytenaggregation
und der Vasokonstriktion soll
die Folge sein.
Neurotrophie-Defizit
und axonaler Transport
Die axonalen Strukturveränderungen, die sich tierexperimentell und in Suralisbioptaten
bei cdNP zeigen, werden als Folge einer Axontransportstörung
und eines Defizits an neurotrophen Faktoren angesehen. Insbesondere soll der Nervenwachstumsfaktor (NGF) bei diabetischen Tieren verringert sein
und somit das Regenerationspotential eines geschädigten Neurons negativ beeinflussen. Der
axonale Transport, der sowohl
anterograde als auch retrograde
Komponenten einschließt, hält
die Funktion und Struktur der
Nervenzelle und ihrer Fasern
aufrecht. Tierexperimentell wurden verschiedene Störungen des
axonalen Transports beim Diabetes nachgewiesen, die wesentlich zur axonalen Degeneration
beitragen sollen.
Bei hohen Glukosekonzentrationen entstehen durch nicht– Antidiabetika bei bisher diätetisch
enzymatische Glykosylierung an
geführten Diabetikern?
den Aminogruppen körpereige2. Beseitigung von neurotoxischen
ner Proteine reversible VerbinEinflüssen und von Begleiterkrankungen
dungen, aus denen durch oxida– Alkohol?
tive Prozesse irreversible „ad– neurotoxische Medikamente?
vanced glycosylated endprod(Nitrofurane, Zytostatika, Chloroquin,
ucts“ (AGE) entstehen. Die
Gold, INH, ...)
physikalischen und chemischen
– Lösungsmittel, Schwermetalle,
Eigenschaften der Proteine verAcrylamid, Insektizide, Fungizide?
ändern sich entscheidend, wo– Störungen der Schilddrüse, Niere,
durch sowohl Enzyme als auch
intestinalen Resorption?
Strukturproteine in ihren Funk– kardiale Insuffizienz?
tionen gestört werden.
Die Proteinglykosylierung
3. Thioctsäure 600 mg i.v. mindestens
soll ein wichtiger Schritt bei der
14 Tage lang, danach oral
Herausbildung der Mikroangio4. B-Vitamine (möglichst nur parenteral)
pathie und über diesen Weg sobei nachgewiesenem Mangel
wie auch unabhängig davon, zum
Beispiel über eine Phagozytose
5. Symptomatische Behandlung sensibler
von AGE der Myelinproteine,
Reizerscheinungen und vegetativer
zur segmentalen Entmarkung
Oxidations- und
Störungen
führen. Eine endoneurale HypoRadikalstreß
6. Psycho- und physiotherapeutische
xie kann offensichtlich über den
Betreuung
Bei der Umwandlung von
Weg der Mikroangiopathie, aber
Monosacchariden zu Endiolauch durch funktionelle StörunAnionen werden unter Einwirgen entstehen. Tierexperimentell kann eine Abnahme der endoneu- de der evozierten Muskelsummen- kung von Metallionen H2O2 und OH+
ralen Sauerstoffspannung durch er- potentiale. Häufig sind pathologi- freigesetzt. Peroxide und freie Radiniedrigte Perfusion bei erhöhtem Ge- sche Befunde nur an den Beinnerven kale sind chemisch hochaktiv und reafäßwiderstand nachgewiesen werden.
anzutreffen. Im höheren Alter be- gieren bevorzugt mit ungesättigten
Morphologische Untersuchun- steht auch eine statistische Bezie- Verbindungen, wie sie in Proteinen
gen am N. suralis ergaben bei Diabe- hung zwischen Polyneuropathie und und Phospholipiden vorkommen.
Diese Reaktionen führen zu
tikern eine erhöhte Zahl von Kapil- Makroangiopathie. 78,7 Prozent der
larverschlüssen.
Diabetiker mit Makroangiopathie Funktionseinbußen an EnzymproteiIm höheren Lebensalter können haben erniedrigte Nervenleitge- nen, Membranlipiden und an der
die peripheren neurogenen Verände- schwindigkeiten, dagegen nur 38,8 DNA. Normalerweise entgiftet der
Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 15, 12. April 1996 (45)
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AKTUELL
Organismus die Peroxide und Radikale enzymatisch (Katalase, Peroxidase und Superoxid-Dismutase) oder
durch Radikalfänger. Substanzen wie
Vitamin E, Glutathion und a-Liponsäure werden beim Reagieren mit
freien Radikalen selbst oxidiert und
können anschließend wieder in ihre
reduzierte Form zurückgeführt werden. Es ist tierexperimentell nachgewiesen, daß die antioxidativen
Schutzsysteme beim Diabetes in ihrer
Aktivität reduziert sind. Der daraus
resultierende vermehrte oxidative
Streß wird als eine Ursache der axonalen Degeneration angesehen.
Kausale Therapie
der cdPN
Aus den beschriebenen pathogenetischen Konzepten lassen sich verschiedene Therapieansätze ableiten
(Grafik 2). Als Basis einer Kausaltherapie gilt die Minimierung des ätiologischen Hauptfaktors Hyperglykämie. Obwohl die Wirkung einer optimalen Stoffwechselführung bei fortgeschrittener cdNP im Einzelfall nicht
immer überzeugend ist, hat die Mehrzahl der zu diesem Thema durchgeführten Untersuchungen bestätigt,
daß dadurch funktionelle Störungen
und Reizerscheinungen relativ rasch
gebessert werden können. Es kommt
auch zu einer langsamen Besserung
von Parametern, die wahrscheinlich
strukturellen Veränderungen anzulasten sind, und im Gegensatz zu Kontrollgruppen tritt keine weitere Verschlechterung ein (5).
Ausgehend von der Hypothese
der erhöhten Aktivität des PolyolStoffwechsels wurde die Anwendung
von Aldose-Reduktase-Inhibitoren
vorgeschlagen. Entsprechende Präparate sind in einigen Ländern zugelassen. In den vorliegenden Doppelblindstudien wurden aber nur minimale Effekte nachgewiesen, so daß eine breite Anwendung der Aldose-Reduktase-Hemmer derzeit nicht gerechtfertigt ist. Myoinositol-Mangel
ist bei experimentellen diabetischen
Nervenstörungen nachgewiesen. Der
Nutzen einer Substitution wurde aber
noch nicht erwiesen.
Gamma-Linolensäure kompensiert den Delta-6-Desaturasemangel
A-966
im Nerven und kann dadurch den ge- ker auftreten kann, ist bei einem solstörten Metabolismus der essentiellen chen Nachweis die Vitamingabe indiFettsäuren korregieren. Sie ist Vor- ziert. Vitamine müssen dann mögläufer des Prostazyklins und führt auf lichst parenteral appliziert werden.
diesem Wege zur Erweiterung der terGangliosid-Gemische aus Rinminalen Strombahn, Verbesserung derhirn verbessern im Tierexperider nutritiven Mikrozirkulation und ment bei parenteraler Gabe die RegeVermeidung der neuronalen Hypo- neration geschädigter Nervenfasern.
xie. Die bislang vorliegenden klini- Ein entsprechendes Präparat wurde
schen Studien lassen vielversprechen- in Deutschland 1989 nach dem Aufde therapeutische Effekte erkennen.
treten von sechs Guillain-BarréAminoguanidin inhibiert die Bil- Strohl-Syndromen während der Bedung von AGE. Unter Aminogua- handlung vom Markt genommen. Alnidin normalisiert sich bei diabeti- le Untersuchungen zur kausalen meschen Ratten die Nervenleitgeschwin- dikamentösen Behandlung der cdNP
digkeit, und paranodale Demyelini- sind wegen des chronischen, nicht
sierung und axonale Atrophie treten vorhersagbaren Verlaufs der Erkrangeringer auf. Klinische Erfahrungen kung erschwert. Nebenerkrankunliegen mit diesem Präparat noch nicht gen, neurotoxische Einflüsse und sevor. Letzteres gilt auch für Uridin und kundäre Nervenschäden (zum BeiAcetyl-L-Carnitin.
spiel urämische Neuropathie bei diaa-Liponsäure wurde bereits vor betischer Nephropathie, Malassimila35 Jahren in die Therapie der cdNP tion bei diabetischer Enteropathie)
eingeführt. Tierexperimentell wurde variieren das klinische Bild und lasdie Wirkung der Thioctsäure als Ra- sen im Einzelfall das Bedingungsdikalfänger
bei
gefüge für Entsteder Verhinderung
hen, Fortschreider AGE-Bildung In der Serie
ten oder Unterund – als Koen- „Diabetische Neuropathien“
halten einer Neuzym des Pyruvat- sind bisher erschienen:
ropathie undurchund Ketoglutarat- (1) Editorial „Diabetische Neuropaschaubar werden.
DehydrogenaseDarüber hinaus
thie – Einführung in die Thematik
Komplexes – bei
ist nach wie vor
der Serie“, Gries F A: Dt. Ärztebl
der Verminderung
nicht
entschie1996; 93: A-678 [Heft 11]
der Ketonkörperden, welche Zielbildung nachge- (2) Ziegler D, Gries F A: “Klassifikati- symptome für die
on, Epidemiologie, Prognose
wiesen.
ThioctBewertung
eiund sozialmedizinische Bedeusäure verbessert
nes
Therapietung“. Dt. Ärztebl 1996; 93: Adie Glukoseutieffektes heranzu680–684 [Heft 11]
lisation und minziehen sind. Sensidert
dadurch
ble Reizerscheidie
Hyperglyknungen können
ämie. Eine klinische, doppelblind sich zum Beispiel „bessern“, wenn die
durchgeführte Studie mit a-Li- Nervenfaser ihre Erregungsleitung
ponsäure hat die Verbesserung neuro- vollständig einstellt. Das Taubheitspathischer Beschwerden belegt (9). In gefühl wird vom Patienten eher toleeiner weiteren, placebokontrollierten riert als die Parästhesien. Das oft geStudie wurde gezeigt, daß sich durch nutzte elektroneurographische Kritemehrmonatige orale a-Liponsäu- rium „Nervenleitgeschwindigkeit“ teretherapie auch eine positive Wir- stet nur die Geschwindigkeit der Erkung auf gestörte vegetative Funktio- regungsleitung der schnellsten, dicknen erzielen läßt. Weitere Untersu- bemarkten Fasern. Es ist wegen mögchungen sind notwendig
licher aktueller Stoffwechseleinflüsse
Vitamine der B-Gruppe wurden störanfällig und versagt bei Läsionen
nur in wenigen Studien – und dann dünner Fasern und bei axonalen Nermit unterschiedlichem Erfolg – auf ih- venschäden (3). In letzteren Fällen
re Wirkung bei der cdNP geprüft. Da sind eher Fläche und Amplitude der
als Begleit- oder Folgeerscheinung Muskel- oder Nervensummenpotenein Vitaminmangel bei bestimmten tiale nach elektrischer Reizung zur
Konstellationen auch beim Diabeti- Bewertung der Erregungsfunktion
(46) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 15, 12. April 1996
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AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT
der Nervenfasern geeignet. Die „Peripheral Nerve Society“ empfiehlt, zur
Beurteilung einer therapeutischen
Wirkung in kontrollierten Studien
drei Merkmale heranzuziehen: Die
Abnahme von Symptomen (zum
Beispiel verminderte Sensibilität,
Schmerz, orthostatische Hypotonie,
erektile Impotenz), die Besserung
neurologischer Defizite (zum Beispiel
quantitative sensorische Tests, autonome Funktionstests, Nervenleitungsgeschwindigkeit) und die Abnahme von Komplikationen (wie eingeschränkte Lebenserwartung, diabetisches Fußulkus, kardiale Komplikationen), wobei einschränkend das
letztgenannte Kriterium große Versuchsgruppen und lange Studiendauer erfordert.
Die kausale Therapie der cdNP
hat zum Ziel, mögliche Schädigungsfaktoren zu eliminieren; dazu gehört
nicht nur die Behandlung der Grundkrankheit, sondern auch die Beseitigung zusätzlicher neurotoxischer
Faktoren. So wird man dem Patienten
dringend Alkoholabstinenz nahelegen. Potentiell neurotoxische Medi-
kamente dürfen nicht verordnet
werden (zum Beispiel Nitrofurantoin
bei Niereninsuffizienz). Gelegentlich
bringt auch die Behandlung einer Begleiterkrankung, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der PNP
zu haben scheint, eine Besserung des
Beschwerdebildes (zum Beispiel Behebung einer kardialen Insuffizienz)
(siehe Textkasten Therapieschema).
Da bislang noch kein überzeugend
und rasch wirksames Therapieprinzip
für die cdNP etabliert wurde, verwenden wir das in der Tabelle dargestellte
Schema. Wir sind uns bewußt, daß es
in manchem Punkt einen Kompromiß
darstellt zwischen bewiesener Wirkung und Empirie.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1996; 93: A-963–968
[Heft 15]
Literatur
1. Baumgarten HG und Blottner D: Diabetische Polyneuropathie – Pathobiochemie
und Pathophysiologie. In: Althoff Ulrich
(Hrsg.): Der diabetische Problempatient
unter besonderer Berücksichtigung der
diabetischen Polyneuropathie. Frankfurt
am Main 1990, pmi, 14–27
„Mikropille“ und das Risiko für Herzinfarkt
und venöse Thromboembolien
Benutzerinnen von Kontrazeptiva der dritten Generation haben ein
geringeres Herzinfarktrisiko, verglichen mit Frauen, die orale Kontrazeptiva der zweiten Generation einnehmen. Ihr Risiko, ein venöses
thromboembolisches Ereignis zu erleben, ist jedoch erhöht.
Dies sind die Ergebnisse von
zwei internationalen Fall-KontrollStudien, die aus fünf europäischen
Ländern zusammengetragen wurden. Das um das 1,5fache erhöhte
Risiko für venöse Thromboembolien
bei Frauen, deren Kontrazeptiva die
künstlichen Progesteronabkömmlinge Gestoden und Desogestrel enthalten, verglichen mit dem der Benutzerinnen von Mikropillen der
zweiten Generation, führte vor kurzer Zeit zu einer heftigen Diskussion
in der Fach- und Laienpresse über
die Verabreichung der entsprechenden Verhütungsmittel. Aufgrund
A-968
dieser Ergebnisse wurde in Deutschland die Verschreibung eingeschränkt: Frauen unter 30 Jahren,
die sich zum ersten Mal die „Pille“
rezeptieren lassen, sollen nun keine
Präparate der dritten Generation
mehr erhalten.
Frauen, die gar keine hormonellen Verhütungsmittel einnehmen, haben ein vierfach geringeres Thromboembolierisiko im generellen Vergleich zu Benutzerinnen von hormonellen Kontrazeptiva.
Beim Herzinfarkt schneiden die
„Pillen“ der dritten Generation jedoch besser ab:
Das Risiko ihrer Benutzerinnen
ist etwa identisch mit dem von Frauen, die nicht hormonell verhüten.
Mit der Einnahme von Kontrazeptiva der zweiten Generation erhöht
sich das Herzinfarktrisiko jedoch um
das Zwei- bis Dreifache. Diese Ergebnisse zeigen, daß Risiken und
(48) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 15, 12. April 1996
2. DCCT Research Group: The effect of intensive treatment of Diabetes on the development and progression of long-term
complications in Insulin-dependent Diabetes mellitus. N Engl J Med 1993; 329:
977–86
3. Dyck PJ: Detection characterization and
staging of polyneuropathy: assessed in diabetics. Muscle Nerve 1988; 11: 21–32
4. Low PA, Tuck RR, Takeuchi M: Nerve
microenvironment in diabetic neuropathy.
In: Diabetic neuropathy. Dyck PJ (Ed.), W
B Saunders Company. Philadelphia 1987,
266–278
5. Luft D: Medikamentöse Behandlung der
diabetischen Neuropathie. Möglichkeiten
und Grenzen. Internist. Prax. 1993; 33:
637–44
6. Neundörfer B: Die diabetische Polyneuropathie aus neurologischer Sicht. Internist
1984; 25: 613–19
7. Reichel G: Diabetes und Nerv. In: Diabetes mellitus. Bibergeil H (Hrsg.), Gustav
Fischer, Jena 1989, 513–36
8. Schmidt KH: Die Pathobiochemie der diabetischen Neuropathie – therapeutische
Ansätze. Vortrag auf Thioctsäure-Symposium. München, 1.–3. Juli 1994
9. Ziegler D, Gries FA: Diabetische Neuropathie: Pathogenetische Konzepte und potentiell therapeutische Konsequenzen.
Nervenheilkunde 1993; 12: 405–10
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Gerhard Reichel
Paracelsus Klinik
Werdauer Straße 68
08008 Zwickau
Nutzen verschiedener Typen von
oralen Kontrazeptiva nach Meinung
der Autoren gründlich abgewogen
werden müssen, damit Frauen sich
entsprechend informiert für eine bestimmte Verhütungsmethode entscheiden können.
Die Autoren geben jedoch auch
zu bedenken, daß Teile der Ergebnisse aus Zwischenanalysen gewonnen
wurden und daher mit Vorsicht interpretiert werden sollten.
silk
Spitzer WO, Lewis MA et al (on behalf
of the Transnational Research Group on
Oral Contraceptives and the Health of
Young Women): Third generation oral
contraceptives and risk of venous thromboembolic disorders: an international
case-control study. BMJ 1996, 312:
83–88.
Lewis MA, Spitzer WO et al (on behalf
of the Transnational Research Group on
Oral Contraceptives and the Health of
Young Women): Third generation oral
Contraceptives and risk of myocardial
infarction: an international case-controlstudy. BMJ 1996, 312: 88–91.
Prof W O Spitzer, Potsdam Institute of
Pharmacoepidemiology and Technology Assessment (PIPTA), Otto-ErichStraße 7, 14482 Potsdam
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