Erstbeurteilung von Unfallopfern in den Bergen R.Zinnecker, F.Elsensohn Offizielle Empfehlung der ICAR MEDCOM Allgemeine Überlegungen • Abgelegenes Unfallgebiet – lange Anmarsch und Transportzeiten • Ausrüstung: muss getragen werden technische Möglichkeiten sind limitiert • Wetter und Umweltbedingungen sind oft schwierig oder gefährlich • Nacht oder eingeschränkte Sicht Allgemeine Überlegungen • Eingeschränkte Behandlungsmöglichkeiten (Medikamente, Infusionen, Sauerstoff) • Allgemein gültige med. Standards sind manchmal nicht erreichbar • Bergretter sind oft Ersthelfer • Notärzte sind nicht immer verfügbar • Anweisungen für Behandlungsprioritäten über Funk/Telefon • Wenig Einsatzerfahrung der Bergretter • Sprachbarriere Helikopter • Großer Nutzen für Opfer und Retter wenn verfügbar • Nur verfügbar bei guten Flugbedingungen • Im Allgemeinen nicht verfügbar in der Nacht • Sollten immer mit speziell ausgebildeter Crew besetzt sein • Gute Kooperation und stabile Funkverbindung sind Voraussetzung für Sicherheit und Erfolg Sicherheit für Retter und Opfer • Sicherheit für Retter ist oberste Priorität • Bei weiterer Befahr am Unfallort muss der Patient sofort an eine sichere Stelle gebracht werden (Bergung vor Behandlung) • Ist der Patient einmal an einer sicheren Stelle, muss er vor weiteren Verletzungen geschützt werden Erstbeurteilung an der Unfallstelle • Bin ich, mein Team und das Unfallopfer sicher? • Beurteilung des Unfallmechanismus (was ist passiert)? • Gibt es weitere Verletzte? • Kann ich oder mein Team die gestellten Anforderungen erfüllen? Brauche ich weitere Unterstützung? • Stelle dich vor! • Frage den Patienten nach dem Hauptschmerz! Unfallmechanismus 1. Wie ist der Unfall geschehen, was hat ihn ausgelöst? 2. Mit welchem Verletzungsmuster muss ich rechnen 3. Welche Gefahren für den Patienten drohen aus dem Verletzungsmuster (Schock, Atmung, Unterkühlung … 4 Schritte zur Beurteilung eines Verletzten 1. Erstuntersuchung und sofortiges Erkennen lebensbedrohlicher Zustände (BAKU) 2. Unverzügliche Einleitung lebensrettender Maßnahmen (BLS) 3. Entscheidung über weiteres Vorgehen, Kommunikation mit Einsatzzentrale (Notruf), Transport 4. Zweite Beurteilung zur Feststellung weiterer Verletzungen Die Beurteilung eines Patienten ist ein dynamischer Prozess (dauernde Beobachtung und Überwachung) Notfallcheck halte die Reihenfolge genau ein!! B Bewusstsein Ist der Patient ansprechbar, Bewusstseinskontrolle A Atmung Sind die Atemwege frei, atmet der Patient? K Kreislauf Hat der Patient einen Kreislauf (Puls) U Umwelt Unterkühlung, Blitzschlag, Ertrinken Dokumentiere die Unfallzeit, Ergebnisse der Erstuntersuchung und Behandlungsschritte Ersteinschätzung und Sofortmaßnahmen • • • • • • Schütze den Patienten vor weiteren Gefahren Mache die Atemwege frei und schütze die HWS Überprüfe die Atmung des Patienten Achte auf Schockzeichen Behandle gefährliche Blutungen Überwache den Bewusstseinszustand des Patienten • Schütze die Wirbelsäule (Lagerung) • stelle Verletzungen der Arme und Beine ruhig • Gib dem Patienten ein Gefühl der Sicherheit Ersteinschätzung und wichtige Aktionen Behandle die lebensbedrohlichen Zustände zuerst und überwache den Patienten dauernd Falls nicht ausreichend behandelbar sofortiger Abtransport Transport ist eine Form der Behandlung Überwachung des Patienten • Nach Erstversorgung die wichtigste medizinische Funktion des Bergretters • Technische Überwachung abhängig von Verfügbarkeit, Wetterbedingungen und Ausbildung der Retter • Technische Geräte können ausfallen (Zusammenbruch der Batterien, eingefrorene Displays bei Außentemp. <-20°C) Dokumentiere: Unfallzeit, Befunde der Erstuntersuchung und die laufenden Beobachtungen Bedingungen, Schwierigkeiten des Abtransports müssen in die Planung der Behandlung einbezogen werden Sofortmaßnahmen – Entscheidung Transport • Erkenne und Behandle zuerst die lebensbedrohlichen Störungen (BAKU) • Verliere keine Zeit bei lebensbedrohlichen Verletzungen – rascher Transport (load and go) • Laufende Kommunikation mit: Einsatzleiter – Notarzt – Leitstelle • Fordere früh genug Unterstützung an (Selbstüberschätzung !!!) • Organisiere sofort eine Rettungskette • Genaue Übergabe der dokumentierten Befunde an das nachfolgende Team Untersuchung auf weitere Verletzungen • Die meisten Verletzten haben keine schweren Verletzungen • Die meisten Verletzten können Auskunft über ihre Verletzungen geben • Eine „gute“ Kommunikation mit dem Patienten ist sehr wichtig • Schütze den Patienten vor Auskühlung während der Untersuchung (kein unnötiges Ausziehen) • Eine komplette Untersuchung kann durch Witterungs- oder durch andere Einflüsse erschwert werden (Gefahr am Unfallort, Nässe, Wind …) • Eine komplette Untersuchung darf nicht die rasche Bergung und/oder den Transport verzögern • Keine Diagnose sondern Beschreibung der Verletzungen Untersuchungsgang bei verletzten Patienten -TraumacheckFotos oder Videos müssten noch gemacht werden Herangehen an den Verletzten • Keinen weiteren Schäden oder Gefahren aussetzen (durch Übersteigen, selbst ausrutschen, Akja oder Trage sichern, lockeres Material - Klettergurt, durch Abnehmen des Rucksacks….) • Untersuchung beginnt immer am Kopf des verletzten Untersuchungsgang • Erweckbarkeit? – Wache Patienten atmen und haben einen Kreislauf – Ansprechen, Schmerzreiz setzen • Ansprechbarkeit? – Patient wach aber „weggetreten“ – Keine vernünftige verbale Antwort, (Patient geschreckt, nach Bewusstlosigkeit, nach Epilepsie, Drogen – Alkohol, Blutzuckerentgleisung, Unterkühlung, Hyperventilation) Bewusstloser Patient ohne Atmung Reanimationsbeginn Bewusstloser Patient mit Atmung • Grobe Orientierung bez. offensichtlicher Verletzungen oder Fehlstellungen, offene Verletzungen, Blutungsquellen Kopfverletzungen • Stabile Seitenlagerung (Seite je nach Gelände oder offensichtlichen Verletzungen) • Sicherung der Atemwege • Regelmässige Kontrolle der Atmung und ggf. Kreislauf (Puls) Untersuchung des wachen ansprechbaren Patienten • Kontaktaufnahme – Persönliche Vorstellung – Vertrauensbasis – Sicherheitsgefühl aufbauen • Während der Untersuchung das „Kommando übernehmen“ – Keine Störungen durch Aussenstehende zulassen • Offensichtliche stark blutende Verletzungen haben Vorrang der Behandlung • Auf Wärmeerhalt achten, allerdings Patienten vor Untersuchung nicht einpacken evt. Wärmepackung am Oberkörper anlegen (mehrfaches Zu – und Abdecken führt zu vermehrtem Wärmeverlust) Ansprechbarer Patient - Kopf • Orientiert? (Name, Geb. Datum, Tag, Ort) • Blick ins Gesicht – Blutungen, Prellmarken • Augen – Symmetrisches Augenöffnen – Pupillen • Mund öffnen – Zunge zeigen – Blutungen, Zungenbiss, Zähne …. Ansprechbarer Patient - Kopf • • • • Zahnschluss - schmerzhaft Blutungen aus den Ohren Prellmarken am Kopf suchen Danach Kopfbedeckung aufsetzen da Wärmeverlust über Kopf v.a. bei Kindern sehr groß Ansprechbarer Patient - Hals • Schmerzen am Hals – Schluckakt • Schmerzen am Genick • Kopfbewegung schmerzhaft? • Höhe der Schmerzen? (Übergang Kopf – Nacken oder Übergang Kopf – Brustwirbelsäule) Ansprechbarer Patient - Stamm • Griff auf Schlüsselbeine • Druck auf Brustkorb mit flacher Hand • Hände beidseits auflegen und gegen leichten Gegendruck einatmen und ausatmen lassen – Schonatmung, assymetrische Atmung, schmerzen bei Atmung, Husten mit evt. Blutbeimengungen – Unnatürliche Atemgeräusche? Ansprechbarer Patient - Stamm • Bauch mit flacher Hand und leichtem Druck abtasten – 4 Quadranten (oben links, oben rechts, unten links, unten rechts) – In bekleidetem Zustand sehr schwer zu beurteilen Ansprechbarer Patient - Stamm • Becken – Hüftschmerzen • Offensichtliche Beinfehlstellung – fixiert? – (typisch einwärts gedrehtes, verkürztes, angewinkeltes Bein bei Hüftluxation) • Druck von außen nach innen auf beide Beckenschaufeln (wie wenn man ein Buch schließt) Ansprechbarer Patient - Stamm • Wirbelsäulenschmerzen? • Vorne die Höhe angeben lassen • Die Schmerzen gehen nicht mit dem Verletzungsschweregrad einher • Abtasten des Stammes und Befragung des Berührungsempfindens. (Ausfälle meist symmetrisch. • Spontane Beweglichkeit der Arme und Beine prüfen • Bei Ausfällen Höhe markieren und Uhrzeit festhalten Ansprechbarer Patient – Untere Extremität • • • • • Blick auf offensichtliche Fehlstellungen Zerrissene Kleidung, Blutungen? Abtasten Oberschenkel - Knie Unterschenkel Beweglichkeit Gefühl??? Ansprechbarer Patient – Obere Extremitäten • • • • Blick auf offensichtliche Fehlstellungen Zerrissene Kleidung, Blutungen? Schonhaltungen? (z.B.Schulterluxation) Abtasten Schulter, Oberarm, Ellenbogen, Unterarm • Beweglichkeit • Gefühl??? Weiteres Vorgehen • Lagerung und Schienung der erhobenen Verletzungen • Wärmehaushalt und Wärmezufuhr sichern • Entsprechende Alarmierung • Weitere Einsatzkräfte anfordern • Transport zur weiteren Diagnostik und Versorgung. Mit etwas Übung kann und soll solch ein Untersuchungsgang in unter 1 Minute durchzuführen sein Lawinenunfall • • • • • Rasche aber schonende Bergung Prüfe auf Freie Atemwege Prüfe die Atemwege – Atmung – Kreislauf Überprüfe die Kerntemperatur Dokumentiere Verschüttungszeitpunkt und Bergungszeit • Untersuche den Patienten auf weitere Verletzungen Unterkühlung Unterkühlung Gr I PATIENT wach, Kältezittern KT: 35-32°C Unterkühlung Gr II Patient verlangsamt, kein Kältezittern; KT: 32-28°C Unterkühlung Gr III Patient bewußtlos; KT:28-24 °C Unterkühlung Gr IV Herz-Kreislaufstillstand; KT:< 24°C • • • Jeder Verletzte in den Bergen gilt als unterkühlt bis durch Messung das Gegenteil bewiesen ist Gefahr der raschen Auskühlung von Verletzten während der Untersuchung ,Behandlung und Transport Eine permanente Überwachung der Körpertemperatur während der Behandlung und des Transports ist absolut notwendig Canyoning Unfälle • Auch leichte Verletzungen können lebensbedrohlich sein Unterkühlung verzögerte medizinische Behandlung verlängerte Bergedauer • Ertrinken von Verletzten ist die größte Gefahr • Bring den Verletzten an einen sicheren Ort kann sehr zeitraubend sein • Untersuchung und Überwachung ist oft nicht vollständig möglich fehlende Ausrüstung, eingeschränkte Funktion in Nässe und Kälte • Regelmäßige Neubeurteilung und laufende Überwachung des Patienten ist unbedingt notwendig medizinische Behandlungsmöglichkeiten sind eingeschränkt, Infusionen und Schienungen können sich lösen, allgemeine Verschlechterung des Patienten sind schwer festzustellen Spaltensturz und Einklemmung • Häufig Polytraumen, schwere Weichteilverletzungen durch Steigeisen • Unterkühlung und lokale Erfrierungen • Lange Anmarsch, Bergung und Transportzeiten • Untersuchung und Behandlung in engen Spalten oft unmöglich • Arzt an den Unfallort: medizinische Anweisungen und Verringerung zusätzlicher Verletzungen • Eingeschränkte Überwachungsmöglichkeit • Komplette Untersuchung nach Bergung Unfälle durch Blitze • Hohes Risiko für Verletzte und Retter während der Bergung • Unterschiedliche Ursachen der Verletzungen • Herz-Kreislaufstillstand ist häufig • Sofortiger Notfallcheck • Wenn möglich AED oder EKG • Weite Pupillen sind kein Zeichen für schlechten Erfolg der Reanimation • Permanente Überwachung: innere Verletzungen!! • Bei hoher Gefahr für die Retter muss diese solange ausgesetzt werden bis keine Gefahr mehr besteht Erkrankung durch Hitze (Hitzeschäden) • • • • • Hohe/lange körperliche Belastung in heißer oder mäßig heißer Umgebung Zusätzlicher Flüssigkeitsmangel kann zum Kreislaufschock führen Milde Symptome: Hitzekrämpfe, Schweißblasen, Kollaps Hitzeerschöpfung: Übelkeit, Kopfschmerzen, Unwohlsein Falls nicht behandelt: Hitzschlag: Versagen der Temperaturregulation, Kreislaufzusammenbruch Ein Hitzschlag ist lebensgefährlich Achte auf Hitzeschäden in warmer Umgebung Ruhe –Trinke – Iss – Kühle Höhenkrankheit (AMS) • • • • • AMS in Höhen über 2500 m Andere Symptome können AMS verschleiern Vorgeschichte ist wichtig (frühere AMS) Erfasse die Aufstiegsgeschwindigkeit Überprüfe den physischen und psychischen Zustand AMS: Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Appetitverlust, übermäßige Erschöpfung (Leistungsknick) HAPE: Kurzatmigkeit und Husten zusätzlich zu AMS HACE: Gangunsicherheit, Verwirrtheit, und Verschlechterung des psychischen Zustands zusätzlich zu AMS Gezieltes Erfragen der Symptome Zusammenfassung • Sicherheit für Retter und Verletzte hat oberste Priorität • Rasche Bergung kann der erste Schritt der Untersuchung und Behandlung sein • Notfallcheck muss anerkannten Richtlinien folgen • Untersuchung darf die Sofortbehandlung und Bergung nicht verzögern • Lebensbedrohliche Zustände müssen sofort erkannt und behandelt werden