Ein Vergleich zwischen dem Regierungssystem der EU (Kommission und Rat) und dem schweizerischen Regierungssystem Masterarbeit im Fach Allgemeine Staatslehre Vorgelegt von: ANDREAS MILDNER Studierendennummer 03-201-217 Brunngasse 15, 3011 Bern [email protected] cand. MLaw, 7. Semester Eingereicht bei: Prof. THOMAS FLEINER Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Fribourg Route d’Englisberg 7, 1763 Granges-Paccot [email protected] Thema erhalten am: 28. August 2008 Arbeit eingereicht am: 11. September 2008 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. I von 23 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis....................................................................................................................I Gesetzestexte- und Literaturverzeichnis ........................................................................... II 1. Gesetzestexte und Gesetzestextsammlungen..........................................................II 2. Sekundärliteratur.....................................................................................................II Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................................III I. Einleitung ......................................................................................................................... 1 II. Ein Vergleich der Regierungssysteme ......................................................................... 2 A. Verfassung und Verfassungsänderung ....................................................................... 2 1. Die verfassungsgebenden Gewalten ...................................................................... 2 2. Verfassungsänderungen .......................................................................................... 3 B. Die Organe ................................................................................................................... 4 1. Die Räte ................................................................................................................... 4 a. Der Europäische Rat ........................................................................................................4 b. Der (Minister-)Rat ...........................................................................................................5 2. Die Kommission....................................................................................................... 6 3. (Minister-)Rat und Kommission ............................................................................. 7 a. Das Vorschlagsrecht der Kommission ...........................................................................8 b. Die (gemeinsame) Rechtsetzung.....................................................................................8 C. Subsidiarität und Föderalismus................................................................................... 9 1. Subsidiarität: Die Verteilung der Kompetenzen.................................................. 10 2. Föderalismus und Mitbestimmung ....................................................................... 12 III. Kritische Schlussbetrachtung ..................................................................................... 13 1. Die Regierungssysteme ......................................................................................... 13 2. Mehr Demokratie, mehr Europa wagen? ............................................................ 15 © Andreas Mildner, Bern, September 2008 I Gesetzestexte- und Literaturverzeichnis Die untenstehenden Werke werden mit dem/den Nachnamen des Autors/der Autoren und der Seitenzahl oder dem Artikel und der (den) Randnummer(n) zitiert. Bei mehreren Publikationen desselben Autors folgt ein präzisierender Zusatz. Zahlenangaben ohne nähere Bezeichnung verweisen auf die entsprechende(n) Seite(n) des zitierten Werkes. Gesetzesartikel oder Ausschnitte daraus werden mit der Artikelnummer in arabischen Ziffern zitiert, innerhalb der Artikel mit den Absätzen in römischen Ziffern und innerhalb der Absätze mit den Unterabsätzen, Sätzen oder Buchstaben nach einem Schrägstrich. Absätze werden auch als solche bezeichnet, wenn (in den europäischen Gesetzestexten) eine entsprechende Numerierung fehlt. Die Internetadressen wurden letztmalig überprüft am 10. September 2008. 1. Gesetzestexte und Gesetzestextsammlungen BIAGGINI GIOVANNI/EHRENZELLER BERNHARD, Öffentliches Recht. Studienausgabe, 3. Aufl., Zürich et al. 2007. BIEBER ROLAND [Hg.], Europarecht, 17. Aufl., Baden-Baden 2005. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vom 18. April 1999 (SR 101, Stand am 1. Januar 2008), abrufbar unter <http://www.admin.ch/ch/d/sr/c101.html>. EUROPÄISCHE UNION, Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. Nr. C 321E, vom 29.12.2006, S. 1 bis 180, abrufbar unter <http://eurlex.europa.eu/de/treaties/index.htm>. EUROPÄISCHE UNION, Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. Nr. C 115, vom 9.5.2008, S. 1 bis 199, abrufbar unter <http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/index.htm>. EUROPÄISCHE UNION, Vertrag über eine Verfassung für Europa, ABl. Nr. C 310, vom 16.12.2004, S. 1 bis 191, abrufbar unter <http://eurlex.europa.eu/de/treaties/index.htm>. KADDOUS CHRISTINE/PICOD FABRICE (Hg.), Union européenne. Communauté européenne. Recueil de textes, 4. Aufl., Bern 2006. KHAN DANIEL-ERASMUS (Hg.), EUV. Vertrag über die Europäische Union. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (…), 6. Aufl., München 2008. 2. Sekundärliteratur FLEINER THOMAS/BASTA FLEINER LIDIJA R., Allgemeine Staatslehre. Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin et al. 2004. HÄFELIN ULRICH/HALLER WALTER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht. Die neue Bundesverfassung, 6. Aufl., Zürich et al. 2005. JACQUÉ JEAN PAUL, Droit institutionnel de l’Union européenne, 4. Aufl., Paris 2006. STREINZ RUDOLF , Europarecht, 8. Aufl., Heidelberg et al. 2008. ZIPPELIUS REINHOLD, Allgemeine Staatslehre, 15. Aufl., München 2007. II Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. III von 23 Abkürzungsverzeichnis ABl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Lissabon 2007) Aufl. Auflage BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vom 18. April 1999 (SR 101) bzw. beziehungsweise d.h. das heisst dies. dieselben [Autoren] EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Rom 1957) et al. et alii (= und andere) EU Europäische Union EUV(L) Vertrag über die Europäische Union (Lissabon 2007) EUV(M) Vertrag über die Europäische Union (Maastricht 1992) EVV Vertrag über eine Verfassung für Europa (Rom 2004) f(f). (fort)folgende GASP Gemeinsame [europäische] Aussen- und Sicherheitspolitik Hg. Herausgeber i.V.m. in Verbindung mit Rz. Randziffer(n) s. siehe S. Seite(n) sog. sogenannt-e(r) SR Systematische Sammlung des [schweizerischen] Bundesrechts u.a. unter anderem (anderen) usw. und so weiter vgl. vergleiche z.B. zum Beispiel © Andreas Mildner, Bern, September 2008 III Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 1 von 23 I. Einleitung Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, zwei Regierungssysteme mit- einander zu vergleichen, das Regierungssystem eines Staatenverbundes, der Europäischen Union1 mit dem eines Bundesstaates, der Schweiz. Ein solcher Vergleich, will er den Vorgaben dieser Arbeit hinsichtlich Umfang und Frist genügen, muss sich beschränken. Deshalb liegt das Schwergewicht bei den Organen der EU auf der Europäischen Kommission und dem Rat.2 Wo sollte ein solcher Vergleich ansetzen, wenn nicht bei den entscheidenden, die Macht verfassenden und verteilenden Regelwerken der beiden Staatenoder Staatsgebilde?3 Im Fall der EU also bei den Europäischen Verträgen, im Fall der Schweiz bei der Bundesverfassung. Dabei sind die Europäischen Verträge inhaltlich stärker im Wandel begriffen als die Bundesverfassung der Schweiz. Was das Staatengebilde Europa angeht, ist es ein weiter Weg von den noch gültigen, wenn auch ergänzten und angepassten Gründungsverträgen von 1957 und dem Vertrag über die Europäische Union von 1992 über den verworfenen Europäischen Verfassungsvertrag von 2004 bis zu den Lissabonner Verträgen von 2007, die darauf warten, in Kraft gesetzt zu werden. Man könnte durchaus die Meinung vertreten, der Europäische Staatenbund nähere sich einem föderalistischen Aufbau an.4 Nicht zuletzt ist der abgelehnte Vertrag über eine Verfassung für Europa von 2004 nachweislich in das Lissabonner Vertragswerk eingeflossen,5 obwohl die Lissabonner Verträge äusserlich als Nachfolger der Römer und Maastrichter Verträge daherkommen. Aber auch der Bundesstaat Schweiz geht seinen föderalistischen Verfassungsweg weiter, zum Beispiel mit dem zum 1. Januar 2008 in Kraft gesetzten Artikel 43a („Grundsätze für die Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben“). In diesem Sinn hält sich diese Arbeit in erster Linie an die Verfassungsund Vertragstexte und berücksichtigt die Ergänzungen zu den Europäischen Ver- 1 2 3 4 5 FLEINER/BASTA FLEINER, 19. Beim Rat ist allerdings zu unterscheiden zwischen dem Europäischen Rat und dem (Minister-)Rat. Deswegen wird von beiden Räten zu reden sein. Vgl. dazu FLEINER/BASTA FLEINER, 359 ff.; ZIPPELIUS, § 8 II, S. 41 ff. Vgl. dazu FLEINER/BASTA FLEINER, 548; JACQUÉ, Rz. 127 ff.; ZIPPELIUS, § 8 II/2, S. 43 f. Vgl. z.B. Art. 11 EUV(L) mit I-47 EVV; Art. 16 EUV(L) mit I-23 und I-24 EVV; Art. 18 EUV(L) mit I-28 EVV. Es finden sich zahlreiche weitere Beispiele. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 1 trägen (z.B. die Protokolle) oder die schweizerischen Bundestexte auf Gesetzesund Verordnungsstufe nicht und die Sekundärliteratur nur in sehr beschränktem Umfang. Auf europäischer Seite fliessen nebst den geltenden Verträgen auch die abgelehnten und die zukünftigen ein. Der Aufbau der vorliegenden Arbeit ist dreiteilig. Nach einer Einleitung (I.), die das Thema umreisst und eingrenzt, folgt ein vergleichender Teil (II.), wiederum in drei Teilen. Nach einem Blick auf die verfassungsgebenden Gewalten und die Möglichkeiten der Verfassungsänderungen (A.) eine Gegenüberstellung der verschiedenen Organe (B.) und eine vergleichende Betrachtung der beiden Themenbereiche Subsidiarität und Föderalismus (C.), die für beide Staatsgebilde, die Europäische Union und die Schweiz, und somit für beide Regierungssysteme von zentraler Bedeutung sind. Abschliessend (III.) eine kritische und gegen Ende auch persönlich gefärbte Analyse. II. Ein Vergleich der Regierungssysteme A. Verfassung und Verfassungsänderung Einen ersten Ansatz für einen Vergleich der Regierungssysteme bietet ein Vergleich der verfassungsgebenden Gewalten und der Möglichkeiten der Verfassungsänderungen. 6,7 1. Die verfassungsgebenden Gewalten Die EU-Verträge sind von oben nach unten verfasst: Die Staatsoberhäupter „(…) haben beschlossen, eine Europäische Gemeinschaft [bzw. Union] zu gründen.“8 Oder in einer ähnlichen Formulierung: „Durch diesen Vertrag gründen die Hohen Vertragsparteien [gemeint die Staatsoberhäupter und ihre Bevollmächtigten] untereinander eine Europäische Gemeinschaft [bzw. Union] (…).“9 Anders 6 7 8 9 Vgl. dazu FLEINER/BASTA FLEINER, 547 ff.; ZIPPELIUS, § 9 III/2, S. 49 ff. Verkürzend und vereinfachend ist nachfolgend von Verfassungen die Rede, auch wenn die Europäischen Verträge, im Gegensatz zur Schweizerischen Bundesverfassung, eben gerade blosse Verträge und keine Verfassungen sein wollen (mit Ausnahme des ausdrücklich so bezeichneten, aber abgelehnten Verfassungsvertrags von 2004), obwohl sie durchaus und vermehrt Ähnlichkeit mit Verfassungen aufweisen (vgl. z.B. die Verankerung der Grundrechte in der entsprechenden Charta von 2000 bzw. 2007, die Art. 6 EUV(L) rechtlich mit den Verträgen für gleichrangig erklärt). Einleitungen zum EGV bzw. zum EUV(M). Art. 1 EGV bzw. Art. 1 EUV(M); Art. 1 EUV(L). 2 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 3 von 23 hingegen und näher an der Schweizerischen Bundesverfassung im EVV: „Geleitet von dem Willen der Bürgerinnen und Bürger und der Staaten Europas, ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten, begründet diese Verfassung die Europäische Union (…).“10 Denn in der BV heisst es, von unten nach oben: „Das Schweizervolk und die Kantone (…) geben sich folgende Verfassung (…).“11 2. Verfassungsänderungen Artikel 48 EUV(M) beschreibt ein einziges, einfaches Verfahren zur Ände- rung der Verträge: Die Regierung jedes Mitgliedstaates oder die Kommission kann dem Rat Entwürfe zur Änderung vorlegen. (Wer mit „Regierung“ gemeint ist, geht nicht klar hervor.) Artikel 48 EUV(L), der die Artikel IV-443 und IV-444 EVV erweitert, unterscheidet zwischen einem ordentlichen und einem vereinfachten Verfahren. Im ordentlichen Verfahren beschliesst der Europäische Rat mit einfacher Mehrheit, ob er einen Konvent aus Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission einberufen will oder nicht. Das vereinfachte Verfahren bezieht sich nur auf bestimmte Teile der Verträge.12 Dort beschliesst der Europäische Rat einstimmig über die Änderung, oder einstimmig darüber, ob er den Rat bezüglich bestimmter Änderungen befugt, mit qualifizierter Mehrheit bestimmte Änderungen zu beschliessen. Hauptunterschied zwischen den Artikeln 48 EUV(M) und 48 EUV(L) ist, dass künftig auch das Europäische Parlament, das der Rat zuvor nur anzuhören hatte, Entwürfe zur Änderung vorlegen kann. In 48 EUV(M) steht dieses Recht nur der Regierung jedes Mitgliedstaates oder der Kommission zu. Artikel 48 VII/3 EUV(L)13 gibt den nationalen Parlamenten im vereinfachten Verfahren die Möglichkeit, beschränkt Einfluss zu nehmen. Alle Mitgliedstaaten müssen die Änderungen gemäss ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifizieren, damit sie in Kraft treten.14 Die Schweizerische Bundesverfassung kennt die Verfahren der Total- und der Teilrevision.15 Seit 2003 können nicht nur die beiden Räte, National- oder 10 11 12 13 14 15 Art. I-1 EVV. BV, Präambel. Art. 48 VI und VII EUV(L); Art. IV-444 EVV. Vgl. Art. IV-444 III EVV. Art. 48 III EUV(M); Art. 48 IV/2 und 48 VI/2 EUV(L); Art. IV-443 III/2 EVV. Art. 138 ff. BV; Art. 192 f. BV. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 3 Ständerat, sondern 100’000 Stimmberechtigte eine Revision vorschlagen. 16 Die Bundesversammlung kann eine Total- oder eine Teilrevision beschliessen.17 Das letzte Wort haben Volk und Stände; in jedem Fall aber hat das Volk das letzte Wort.18 Die erforderlichen Mehrheiten beschreibt Artikel 142 BV: Bei Volksabstimmungen gilt die Mehrheit der Stimmenden, bei Standesabstimmungen gilt die Mehrheit der Stände, wobei das Volksmehr über die Standesstimme des Kantons entscheidet. B. Die Organe Artikel 7 EGV und 13 EUV(L) bestimmen die Organe der Gemeinschaft bzw. der Union.19 Die BV beschreibt die Bundesbehörden im fünften Titel, verzichtet jedoch darauf, sämtliche Behörden in einem Artikel zusammenfassend aufzuzählen. 1. Die Räte a. Der Europäische Rat Der sich hauptsächlich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zusammensetzende Europäische Rat gibt die für die Entwicklung der Union erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen fest.20 Er bestimmt die Grundsätze und die allgemeinen Leitlinien der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik.21 Er wird nicht gesetzgeberisch tätig. 22 Es gehören dem Europäischen Rat auch der Präsident der Kommission an, und zukünftig ein hauptamtlicher Präsident des Europäischen Rates.23 Die Bundesverfassung kennt kein dem Europäischen Rat direkt vergleichbares Gremium. Die Aufgaben und Funktionen des Europäischen Rates sind verteilt. Der Bundesrat bestimmt die Ziele seiner Regierungspolitik.24 Gleichzeitig übt die Bundesversammlung die Oberaufsicht über den Bundesrat aus, kann dem 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Art. 138 I BV; Art. 139(neu) I BV; Art. 139(alt) I BV. Art. 193 II BV; Art. 194 I BV. Art. 140 I/a BV; Art. 140 II/a bis c BV; Art. 193 II BV. Vgl. Art. I-19 EVV; zum Folgenden s. auch STREINZ, Rz. 259 ff. Art. 4 I EUV(M); Art. 15 EUV(L); s. auch JACQUÉ, Rz. 533 ff.; STREINZ, Rz. 319 ff. Art. 13 I EUV(M); Art. 22 I EUV(L). Art. 15 I EUV(L); vgl. Art. I-21 I EVV. Art. 15 II, V und VI EUV(L); vgl. Art. I-21 II und I-22 EVV. Art. 180 I BV. 4 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 5 von 23 Bundesrat Aufträge erteilen und beteiligt sich an der Gestaltung der Aussenpolitik.25 Wollte man für die Europäische Union einen föderalen Aufbau gleich dem der Schweiz annehmen, liesse sich der national gewählte Europäische Rat formal (nicht funktional) mit dem kantonal gewählten Ständerat vergleichen.26 b. Der (Minister-)Rat Die Artikel 202 bis 208 EGV geben Auskunft über die Kompetenzen des Rates, seine Zusammensetzung und die Arten seiner Beschlussfassung. Der Rat ist das oberste Entscheidungsgremium der Europäischen Union und besteht aus den Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene.27 Die Zusammensetzung des Rates bestimmt sich je nach Funktion;28 zukünftig beschliesst, mit Ausnahmen, der Europäische Rat darüber.29 Der Rat beschliesst mit einfacher oder mit qualifizierter Mehrheit, wobei die Stimmen der Mitglieder je nach Grösse des vertretenen Landes unterschiedliches Gewicht besitzen.30 Artikel 16 I EUV(L) schreibt die gesetzgeberische Funktion fest, die der Rat zukünftig zusammen mit dem Europäischen Parlament ausübt. 31 Der Rat überträgt der Kommission die nötigen Befugnisse zur Durchführung der beschlossenen Vorschriften, sofern er diese Befugnisse nicht selbst ausübt. 32 Er kann die Kommission auffordern, ihm Vorschläge zu unterbreiten.33 Weitere Aufgaben erfüllt der Rat in der GASP: Er nimmt gemeinsame Aktionen und Standpunkte an, trifft die erforderlichen Entscheidungen auf der Grundlage der vom Europäischen Rat vorgegebenen Leitlinien und empfiehlt dem Europäischen Rat seinerseits Strategien.34 Ein Ausschuss, bestehend aus ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten, bereitet die Geschäfte des Rates vor und führt die ihm übertragenen Aufgaben aus.35 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 Art. 169 BV; Art. 171 BV; Art. 166 I BV. Vgl. Art. 150 III BV. Art. 203 EGV; vgl. Art. 13 III EUV(M) für die GASP; s. auch JACQUÉ, 429 ff.; STREINZ, Rz. 281 ff. Das ergibt sich aus Art. 203 I EGV; Art. 16 IV EUV(L) verdeutlicht; vgl. Art. I-24 I bis III EVV. Art. 236 AEUV; vgl. Art. I-24 IV EVV. Art. 205 EGV; Art. 16 IV und V EUV(L); Art. 238 AEUV. Vgl. Art. I-23 I EVV. Art. 202 dritter Gedankenstrich EGV. Art. 208 EGV; Art. 241 AEUV; vgl. Art. 14 IV EUV(M) für die GASP; Art. 30 EUV(L), mit Einschränkung; vgl. auch III-299 und III-345 EVV. Art. 14 und 15 EUV(M); Art. 28 und 29 EUV(L); Art. 13 III EUV(M); Art. 26 II EUV(L). Art. 207 I EGV; Art. 240 AEUV; vgl. auch Art. 36 EUV(M) und 71 AEUV. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 5 Funktional wäre der (Minister-)Rat am ehesten mit der Bundesversammlung zu vergleichen, die (unter Vorbehalt der Rechte von Volk und Ständen) die oberste Gewalt im Bund ausübt.36 Als Gesetzgeberin hat die Bundesversammlung jedoch keine Durchführungsbefugnisse.37 Sie nimmt an der Gestaltung der Aussenpolitik teil und beaufsichtigt sie.38 Dem Bundesrat kann sie Aufträge erteilen. 39 Der Ausschuss ständiger Vertreter ist den Parlamentarischen Kommissionen ähnlich.40 Auch die Parlamentarischen Kommissionen können Ausführungsbefugnisse übertragen bekommen.41 2. Die Kommission Die Kommission ist das wichtigste ausführende Organ der Europäischen Union, dessen Mitglieder ausschliesslich und in voller Unabhängigkeit für die Union tätig sind.42 Sie gewährleistet ein ordnungsgemässes Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, sorgt für die Anwendung des Vertrags und aller daraus hervorgehenden Bestimmungen und trifft die entsprechenden Entscheidungen. 43 Der [Europäische] Rat44 benennt den Präsidenten der Kommission und entscheidet über die Zusammensetzung (ein Kommissionsmitglied pro Mitgliedstaat;45 die Mitgliedstaaten schlagen die Persönlichkeiten vor), jedoch nur der Präsident bedarf einzeln der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Über die restlichen Kommissionsmitglieder befindet das Parlament als Kollegium.46 Unter der politischen Führung des Präsidenten handelt die Kommission nach dem Kollegialitätsprinzip.47 Sie entscheidet mit der Mehrheit ihrer Mitglieder.48 Der Europäische Gerichtshof enthebt fehlbare Mitglieder oder solche, die ihrer Aufgabe nicht mehr genügen, auf Antrag des Rates oder der Kommission ihres Amtes. 49 Auch der 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 Art. 148 I BV. Vgl. Art. 164 BV; Art. 165 BV. Art. 166 I BV. Art. 171 BV. Art. 153 BV. Art. 153 III BV. Art. 213 II EGV; Art. 245 AEUV; s. auch JACQUÉ, Rz. 556 ff.; STREINZ, Rz. 331 ff. Art. 211 EGV; ausführlicher Art. 17 I EUV(L). Vgl. Art. 214 II EGV: „Der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt (…).“ Ausdrücklich in Art. 17 VII EUV(L). Zukünftig findet die Auswahl nach einem Rotationsprinzip statt: vgl. Art. 17 V EUV(L) und 244 AEUV. Art. 214 EGV; Art. 17 VII EUV(L). Art. 217 I EGV; Art. 17 VI EUV(L), mit erweiterter Präsidialkompetenz. Art. 219/1 EGV; Art. 250/1 AEUV. Art. 216 EGV; Art. 247 AEUV. 6 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 7 von 23 Präsident der Kommission, nach Billigung des Kommissionskollegiums, kann ein Mitglied zum Rücktritt auffordern.50 Ein Misstrauensantrag des Europäischen Parlaments kann bei entsprechenden Mehrheiten dazu führen, dass die Kommission geschlossen ihr Amt niederlegen muss.51 Kaum ein anderes Organ der Europäischen Union findet eine so weitgehende Entsprechung im Schweizerischen Regierungssystem wie die Europäische Kommission im Bundesrat. Wie die Kommission, so ist der Bundesrat die oberste vollziehende Behörde, an deren Spitze ein (allerdings von der Bundesversammlung direkt gewählter) Bundespräsident steht.52 Auch der Bundesrat ist dem Kollegialitätsprinzip verpflichtet.53 Auch er setzt Recht, soweit ihn Verfassung oder Gesetz dazu ermächtigen. 54 Wie die Kommission erarbeitet der Bundesrat den Finanzplan und sorgt für eine ordnungsgemässe Haushaltführung.55 (Das Europäische Parlament beschliesst in Zusammenarbeit mit dem Rat den Haushaltsplan und erteilt auf Empfehlung des Rats der Kommission Entlastung, ähnlich wie die Bundesversammlung die Bundesausgaben beschliesst und die Staatsrechnung abnimmt.56) Wie der Bundesrat ist die Kommission wesentlich für die Aussenbeziehungen der Europäischen Union zuständig.57 Im Unterschied zur Kommission hat der Bundespräsident keine umfassenden Kompetenzen; die Bundesversammlung wählt alle Bundesräte einzeln und direkt,58 und es gibt keine Möglichkeit, ausser dem politischen und medialen Druck, Bundesräte verbindlich zum Rücktritt aufzufordern oder ihnen das Misstrauen auszusprechen.59 3. (Minister-)Rat und Kommission Der (Minister-)Rat und die Kommission arbeiten häufig im Gespann. Zum Beispiel sorgen sie gemeinsam für Kohärenz in der Aussenpolitik und in den Bereichen der sog. verstärkten Zusammenarbeit.60 Zentral für die Arbeitsweise der 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 Art. 217 IV EGV; Art. 17 VI/2 EUV(L). Art. 201 EGV; Art. 234 AEUV; vgl. auch Art. 17 VIII EUV(L). Art. 174 BV; Art. 182 II BV; Art. 176 I BV. Art. 177 I BV. Art. 182 I BV; Art. 202 dritter Gedankenstrich EGV; ausdrücklich Art. 290 AEUV. Art. 183 BV; Art. 272 und 274 EGV; vgl. Art. 314 und 317 AEUV. Art. 276 EGV; vgl. Art. 319 AEUV; Art. 167 BV. Art. 184 BV; Art. 133 II und III EGV; Art. 300 I EGV; vgl. Art. 207 III AEUV; vgl. Art. 218 III AEUV (geändert). Art. 175 II BV. Vgl. FLEINER/BASTA FLEINER, 466. Art. 3/2 EUV(M); vgl. Art. 21 III/2 EUV(L); Art. 45 EUV(M); vgl. Art. 334 AEUV. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 7 Europäischen Union sind das Vorschlagsrecht der Kommission und, in Verbindung damit, die (gemeinsame) Rechtsetzung. a. Das Vorschlagsrecht der Kommission Obwohl erst der EUV(L) das Vorschlagsrecht ausdrücklich verankert (und dabei den entsprechenden Artikel des EVV übernimmt), gibt es kaum einen Bereich, in dem die Kommission dieses Recht nicht schon vorher innegehabt hätte, unabhängig davon ob es sich um einfache Rechtsetzungsakte auf Verordnungsstufe oder um Akte der Gesetzgebung handelt.61 (Der AEUV nimmt das Vorschlagsrecht etwas zurück zugunsten einer vorgängigen Anhörung des Europäischen Parlaments.62) Dem Vorschlagsrecht der Kommission entspricht das Initiativrecht des Bundesrates.63 b. Die (gemeinsame) Rechtsetzung Mit Ausnahmen beschliesst der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig.64 Selbst in den sog. Verfahren der Mitentscheidung und der Zusammenarbeit, die das Europäische Parlament stärker in den Entscheidungsprozess einbeziehen,65 ist ein Vorschlag der Kommission der Auslöser.66 Artikel 289 AEUV unterscheidet zwischen einem ordentlichen und einem besonderen Gesetzgebungsverfahren. Das ordentliche Verfahren entspricht dem Verfahren der Mitentscheidung, beim besonderen Verfahren fällt das Vorschlagsrecht weg, und Europäisches Parlament und Rat entscheiden ohne Kommission. Ähnlich im Schweizerischen Regierungssystem: Dem Bundesrat, jedem Ratsmitglied, jeder parlamentarischen Kommission und jedem Kanton steht das 61 62 63 64 65 66 Art. 17 II EUV(L); Art. I-26 II EVV; vgl. im EUV den Art. 40a II, im EGV die Art. 11 II (beide zur verstärkten Zusammenarbeit), 13 I (Massnahmen gegen Diskriminierung), 14 III (Binnenmarkt), 19 II (Wahlrecht), 22 II (Fortentwicklung der Union), 26 (Zolltarife), 37 II/3 (Agrarpolitik), 45 II (Ausnahmen vom Niederlassungsrecht), 49 II (Dienstleistungen), 52 I (Liberalisierung), 57 II und 59 und 60 II/2 (Kapitalverkehr und Sanktionen) usw. Die Formel „auf Vorschlag der Kommission“ findet sich in EUV und EGV über achtzig Mal. Die Formel „auf Vorschlag der Kommission“ taucht im AEUV nur über sechzig Mal auf, dafür erscheint „nach Anhörung des Europäischen Parlaments“ etwa an fünfzig Stellen. Art. 181 BV. Art. 250 I EGV; vgl. Art. 292 und 293 AEUV. Art. 192 II EGV räumt dem Europäischen Parlament immerhin das Recht ein, die Kommission aufzufordern, Vorschläge zu unterbreiten; vgl. Art. 289 IV AEUV. Art. 251 und 252 EGV; vgl. Art. 294 AEUV. 8 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 9 von 23 Initiativrecht zu.67 Die Bundesversammlung oder, bei Delegation, der Bundesrat, setzt Recht.68 C. Subsidiarität und Föderalismus Wo staatliche Gebilde sich zu einem übergeordneten Staatsgebilde zu- sammenschliessen, d.h. wo aus mehr oder weniger von einander unabhängigen Einheiten Teile eines Ganzen werden sollen (wie im Fall der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft), wird die Verteilung der Kompetenzen und damit die Teilung der Macht zum zentralen Thema. Die Staatsoberhäupter der unabhängigen Staaten, aus denen die Europäische Union besteht, waren entschlossen, „den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben,“ „den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas, in der die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden, weiterzuführen,“ und „weitere Schritte [zu unternehmen], die getan werden müssen, um die europäische Integration voranzutreiben (…).“69 Diese Staatsoberhäupter hatten den „festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen“70 und die „Gewissheit, dass die Völker Europas, stolz auf ihre nationale Identität und Geschichte, entschlossen sind, die alten Gegensätze zu überwinden und immer enger vereint ihr Schicksal gemeinsam zu gestalten (…).“71 Wie sind Einheit und Vielfalt,72 Subsidiarität und Föderalismus in den Europäischen Verträgen und in der Schweizerischen Bundesverfassung ausgestaltet?73 Hier zeigt sich der grösste Unterschied zwischen einer eigentlichen Verfassung wie der Schweizerischen Bundesverfassung und Verträgen, die mit einer Bundesverfassung Ähnlichkeiten aufweisen, aber keine Verfassungen sind. Der Schweizerische Bund sondert gewissermassen Kompetenzen ab, von oben nach 67 68 69 70 71 72 73 Art. 160 BV; Art. 181 BV. Art. 163 und 164 BV; Art. 182 I BV. EUV(M), Einleitung, II, XIII und XIV; identisch in EUV(L). EGV, Einleitung, II; identisch in AUEV. EVV, Präambel, IV. Vgl. EVV, Präambel, V: „in Vielfalt geeint“. Zu Föderalismus, Subsidiarität und Kompetenzverteilung: FLEINER/BASTA FLEINER, 543 ff.; STREINZ, Rz. 147 ff. und 498 f.; JACQUÉ, Rz. 182 ff. und 213 ff.; ZIPPELIUS, § 31, S. 238 ff. und § 40 V/2, S. 319 ff. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 9 unten, garantiert die kantonale Souveränität und behält sich gewisse Rechte vor. Die Europäische Union bekommt von ihren Mitgliedstaaten Rechte übertragen, zieht also Kompetenzen an, von unten nach oben, und übt diese ihr übertragenen Rechte überstaatlich („supranational“) aus. 1. Subsidiarität: Die Verteilung der Kompetenzen Die Organe der Europäischen Union „üben ihre Befugnisse nach Massgabe und im Sinne der Verträge (…) aus.“74 Artikel 2 EUV(M) zählt die Ziele der Union auf und nimmt zum Schluss auf das in Artikel 5 EGV bestimmte Subsidiaritätsprinzip Bezug.75 In Artikel 5 EGV heisst es: „Die Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig.“76 In den nicht in ihre ausschliessliche Zuständigkeit fallenden Bereichen wird die Gemeinschaft nur tätig, „sofern und soweit“ einzelstaatliche Massnahmen nicht ausreichen, um die Ziele zu erreichen, und nur in dem dafür erforderlichen Mass.77 Zusammen mit den Artikeln 2, 3 und 4 EGV ergibt sich ein ziemlich vollständiges Bild davon, in welchen Bereichen grundsätzlich mit gemeinschaftlichen, d.h. überstaatlichen gesetzlichen Regelungen zu rechnen ist. Das Recht der Europäischen Gemeinschaft (Union) geht überwiegend dem nationalem Recht vor.78 Nicht zuletzt sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleichtern und alle die Ziele gefährdenden Massnahmen zu unterlassen.79 Doch verbleibt für die Umsetzung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts (Unionsrechts) ein gewisser Auslegungsraum. Unmissverständlich formulierte hingegen der EVV: „Die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten.“80 Artikel 5 EUV(L) übernimmt die Formulierung des entsprechenden Artikels im EVV und spricht von Subsidiarität und Verhältnismässigkeit, aufbauend auf dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung.81 Die Union wird dem- 74 75 76 77 78 79 80 81 Art. 5 EUV(M). Art. 2 II EUV(M). Art. 5 I EGV. Art. 5 II und III EGV. Zum Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht s. STREINZ, Rz. 190 ff. Art. 10 EGV; vgl. Art. 4 III EUV(L). Art. I-6 EVV. Art. 5 EUV(L); vgl. Art. I-11 EVV. 10 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 11 von 23 nach „in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.“82 Auch hier verbleibt Raum für Auslegungen, doch grenzt der Artikel besser als Art. 5 EGV die beiden Rechtskreise, den der Union und den der nationalen Rechte, voneinander ab. Von den Zuständigkeiten der Union sprechen die Artikel 4 EUV(L) und 2 AEUV. „Arten und Bereiche der Zuständigkeit der Union“ heisst überhaupt der ganze Titel I des AEUV.83 Artikel 2 AEUV unterscheidet zwischen ausschliesslichen und geteilten Zuständigkeiten; in den Artikeln 3 und 4 AEUV folgen die Aufzählungen. Das schafft auf den ersten Blick klarere Verhältnisse als in EUV(M) und EGV. Präambel und Artikel 1 BV legen den Grundstein für die Kompetenzverteilung innerhalb der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Hier wie dort heisst es: „Das Schweizervolk und die Kantone (…).“ Darin spiegelt sich die Zweiteilung der Kompetenzen in Bundeskompetenzen einerseits und Kantons- und Gemeindekompetenzen anderseits. Artikel 3 bestimmt die Souveränität und die Rechte der Kantone: Einzig die Bundesverfassung und die dem Bund übertragenen Rechte setzen die Schranken. (Dagegen gewährleistet erst das kantonale Recht auf einer unteren Stufe die Gemeindeautonomie.84 Der Bund beachtet lediglich die Auswirkungen seines Handelns und nimmt auf besondere regionale Gebiete Rücksicht. 85 Man könnte zu den schweizerischen Gemeinden auf europäischer Ebene eine gewisse Entsprechung in den Regionen und dem Ausschuss der Regionen finden, den das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission in bestimmten Fällen anhören.86) Artikel 5a formuliert, ähnlich wie die Artikel 2 II EUV(M) und 5 EGV: „Bei der Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben ist der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten.“ 82 83 84 85 86 Art. 5 III EUV(L). Vgl. Art. 1 I AEUV: „Dieser Vertrag regelt die Arbeitsweise der Union und legt die Bereiche, die Abgrenzung und die Einzelheiten der Ausübung ihrer Zuständigkeiten fest.“ Art. 50 I BV. Art. 50 II und III BV. Vgl. Art. 265 EGV; Art. 307 AEUV. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 11 Der ganze dritte Titel der BV widmet sich dem Verhältnis von Bund, Kantonen und Gemeinden. Der Bund erfüllt die Aufgaben, die ihm die Bundesverfassung zuweist,87 die Kantone bestimmen die Aufgaben selbst, die sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen.88 Artikel 43a, erst seit dem 1. Januar 2008 in Kraft, führt Art. 5a aus und schreibt die Grundsätze für die Zuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben fest, zunächst ganz im Sinn der Artikel 5 II EGV und 5 III EUV(L),89 danach, im Unterschied zu den EU-Verträgen, streng nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip: Wer den Nutzen hat, trägt die Kosten; wer die Kosten trägt, bestimmt über die Leistung.90 Zum Zusammenwirken mit dem Bund sind die Kantone verpflichtet: Laut Artikel 44 I BV unterstützen Bund und Kantone einander und arbeiten zusammen. Ähnlich verlangt es Art. 10 EGV von den europäischen Mitgliedstaaten verlangt. Die Kantone setzen das Bundesrecht um, wie es Verfassung und Bundesgesetze vorschreiben;91 Bundesrecht geht dem „entgegenstehenden“ kantonalen Recht vor.92 Das ganze zweite Kapitel im dritten Titel der Bundesverfassung handelt von den Zuständigkeiten, von den ausschliesslichen, mit „ist (sind) Sache des Bundes“ bestimmten, und den geteilten. Einem dem Artikel 308 EGV bzw. künftig 352 AEUV vergleichbaren Mechanismus zur Ergänzung der Kompetenzen, der es der EU erlaubt, ausserhalb der in den Verträgen vorgesehenen Befugnisse tätig zu werden (mit Einschränkungen und unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips),93 kennt die Schweizerische Bundesverfassung nicht direkt. Möglich wäre es, den zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Artikel 48a BV damit zu vergleichen, wodurch der Bund interkantonale Verträge für allgemein verbindlich erklären kann. 2. Föderalismus und Mitbestimmung Während die Schweizerische Bundesverfassung die Souveränität der Kan- tone garantiert, sich bestimmte Aufgaben vorbehält und dadurch einen föderalen Bundesstaat schafft, bringen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre 87 88 89 90 91 92 93 Art. 42 I BV. Art. 43 BV. Art. 43a I BV. Art. 43a II und III BV. Art. 46 I BV. Art. 49 I BV. Vgl. auch Art. 5 und 6 AEUV zur Koordinierung oder Ergänzung der Massnahmen der Mitgliedstaaten. 12 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 13 von 23 zunächst ungeteilte Souveränität mit. Sie treten innerhalb der Union auf natürliche Weise als föderale Gliedstaaten auf. Viel stärker als die Schweizer Kantone, die sich seit der Bundesverfassung 1848 an eine geteilte Souveränität gewöhnt haben,94 sind die Mitgliedstaaten der Union darauf bedacht, sich ihren ursprünglichen Handlungsspielraum, ihre ursprüngliche Selbständigkeit möglichst umfassend gegenüber einer erstarkenden Zentralgewalt zu erhalten. Eine spezifische Form der föderalen Mitbestimmung innerhalb der Europäischen Union wäre in der sog. verstärkten Zusammenarbeit zu erkennen, zu der sich die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen und nach einem bestimmten Ermächtigungsverfahren zusammenschliessen können. Mit einer verstärkten Zusammenarbeit nehmen die Mitgliedstaaten selber Einfluss auf die Gestaltung der Union, ohne abzuwarten, bis die Union von sich aus tätig wird.95 Ähnlich ermöglicht die Bundesverfassung den Kantonen, miteinander Verträge zu schliessen, woran sich der Bund beteiligen kann.96 Der EUV(M) bezeichnet eine solche verstärkte Zusammenarbeit allerdings als „ultima ratio“.97 Würden sich die Mitgliedstaaten dazu entschliessen, müsste sich die Union eingestehen, dass sie die angestrebten Ziele auf regulärem Weg „in einem vertretbaren Zeitraum“ nicht erreicht hat. III. Kritische Schlussbetrachtung 1. Die Regierungssysteme Im Regierungssystem der Schweiz stehen sich Bundesrat und Parlament gegenüber, das Parlament bestehend aus den zwei Kammern, der grossen Kammer der Volksvertretung (Nationalrat) und der kleinen Kammer der Kantonsvertretung (Ständerat).98 Der Bundesrat als ausführende Gewalt, das Parlament (zusammen mit dem Volk als Opposition99) als gesetzgebende Gewalt. Das Parlament wählt den Bundesrat und beaufsichtigt ihn. Es kann den Bundesrat nicht zum Rücktritt zwingen, weder seine einzelnen Mitglieder noch das Kollegium. Einzig nach einer 94 95 96 97 98 99 Vgl. FLEINER/BASTA FLEINER, 465. Art. 43 bis 45 EUV(M); Art. 11 und 11a EGV; vgl. Art. 20 EUV(L); vgl. auch Art. 326 bis 332 AEUV. Art. 48 I und II BV. Vgl. Art. 43a EUV(M). Vgl. auch zum Folgenden FLEINER/BASTA FLEINER, 458 ff. DIES., 459 f. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 13 Gesamterneuerung des Nationalrates besteht die Möglichkeit, Bundesräte abzuwählen. Der Bundesrat kann nach Ermächtigung gesetzgeberisch tätig werden. Er kann die Gesetzgebung des Parlaments mit Entwürfen anstossen. Im Regierungssystem der Europäischen Union liegt die ausführende Gewalt überwiegend in den Händen der Kommission, aber auch beim (Minister-)Rat. Der (Minister-)Rat ist gleichzeitig Teil der gesetzgebenden Gewalt, zusammen mit der Kommission und dem Europäischen Parlament. Es stehen sich die ausführende und die gesetzgebende Gewalt nicht gegenüber. Sie sind miteinander verwoben.100 Das Europäische Parlament, immer unter einem föderalistischen Blick auf das System, als grosse Kammer der direkt gewählten Volksvertreter hat eine beschränkte Macht in der Gesetzgebung, die überwiegend bei der „kleinen Kammer“ der Regierungsvertreter der Mitgliederstaaten liegt. Die Kommission ist entscheidend am Gesetzgebungsverfahren beteiligt, weil sie nicht nur das Recht besitzt, mit Vorschlägen das Verfahren in Gang zu setzen, sondern weil das Verfahren überwiegend ohne einen Vorschlag ihrerseits nicht ausgelöst wird. Wie der Schweizerische Bundesrat kann die Kommission nach Ermächtigung Gesetze zur Durchführung der vom europäischen (Minister-)Rat gefassten Beschlüsse erlassen. Die Kommission ist dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament verpflichtet. Beide Organe können die Kommissare einzeln oder als Kollegium zum Rücktritt zwingen. Die Wahl in die Europäische Kommission ist nicht transparent wie die Wahl in den Bundesrat, weil sich nur der Kommissionspräsident einzeln dem Europäischen Parlament stellt und das Kommissionskollegium geschlossen die parlamentarische Zustimmung finden muss. Dabei wäre es wünschenswert, die Mitglieder der Kommission stärker demokratisch, d.h. parlamentarisch zu legitimieren, da sie eine beträchtliche Machtfülle auf sich vereinigen. Im Schweizerischen wie im Europäischen Regierungssystem gibt es kein eigentliches Staatsoberhaupt, sofern ein nicht eigentlich verfasstes Staatsgebilde wie die Europäische Union überhaupt ein Staatsoberhaupt haben kann. Für die Schweiz übernimmt weniger der Bundespräsident allein als vielmehr der Gesamtbundesrat die Rolle des Staatsoberhaupts. Für die Europäische Union wären es 100 Vgl. Art. 295 AEUV: „Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission beraten sich und regeln einvernehmlich die Einzelheiten ihrer Zusammenarbeit. Dazu können sie unter Wahrung der Verträge interinstitutionelle Vereinbarungen schließen, die auch bindenden Charakter haben können.“ 14 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 15 von 23 einerseits der Präsident der Kommission, der eine weitaus stärkere und unabhängigere Funktion hat als der Schweizerische Bundespräsident, anderseits aber auch der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs, der in gewisser Weise das oberste Leitungsgremium der Europäischen Union darstellt. Beide Regierungssysteme, das schweizerische wie das europäische, könnte man als parlamentarische, d.h. repräsentativ-demokratische Kollegial- oder Direktorialsysteme bezeichnen.101 Höchste leitende und ausführende Organe sind in beiden System Kollegien, in der Schweiz der Bundesrat, in der Europäischen Union die Kommission und der Europäische Rat. Das Europäische Parlament hat eher beratende Funktion und selten die Kompetenz, unabhängig und letztgültig zu entscheiden. Seine Stellung ist daher eine bedeutend schwächere als die des schweizerischen Parlaments. 2. Mehr Demokratie, mehr Europa wagen? Auf allen politischen Ebenen der Schweiz, auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene hat „das Volk“, haben die Schweizer Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, direkten Einfluss zu nehmen. „Das Volk“ wählt, die Bürgerinnen und Bürger wählen die Personen, die sie vertreten. Bezogen auf die Europäische Union gibt es nur zwei Ebenen, die Ebene der Union und die Ebene der Mitgliedstaaten. (Die Europäischen Regionen haben nur beschränktes politisches Gewicht und sind nicht mit den Schweizerischen Gemeinden zu vergleichen.) „Das Volk“, d.h. die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten wählen ihre nationalen Parlamente und ihre Regierungs- oder Staatschefs und gleichzeitig unabhängig davon ein Europäisches Parlament, das zwar auch „Volksvertretung“ sein soll, aber nicht das der demokratischen Legitimierung entsprechende Gewicht im Gefüge des Regierungssystems auf der Ebene der Union verkörpert. Das Europäische Parlament ist dadurch zu weit weg von der Basis für seine Legitimation. Die Abgeordneten sind zu wenig nah an den Menschen, die sie vertreten sollen.102 Das „Europäische Volk“ ist in dieser Hinsicht nicht souverän.103 101 102 103 Vgl. FLEINER/BASTA FLEINER, 391 ff., 440 f. und 468 ff. Vgl. zum „europäischen Demos“ und zum sog. „demokratischen Defizit“ FLEINER/BASTA FLEINER, 548 f.; JACQUÉ, Rz. 103 ff.; STREINZ, Rz. 323 ff.; ZIPPELIUS, § 40 V/2, S. 319 ff. Vgl. zur schweizerischen „Vier-Fünftel-Demokratie“ FLEINER/BASTA FLEINER, 474. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 15 Anders sieht es hingegen aus, was das allgemeine Wahlrecht auf unterer europäischer Ebene betrifft. Artikel 19 I EGV104 bestimmt: „Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, hat in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats.“ Auf diese Weise könnte es tatsächlich gelingen, ein europäisch verwurzeltes politisches Bewusstsein schaffen,105 indem die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union die Möglichkeit haben, unabhängig von ihrer eigentlich Staatszugehörigkeit politisch mitzubestimmen und mitzugestalten, und zwar dort, wo sich ganz direkt Einfluss nehmen lässt, auf der kommunalen Ebene. Überhaupt ist in der Europäischen Union seit dem EVV, jedenfalls aber mit den Lissabonner Verträgen das Bedürfnis zu verspüren, näher an seine Bürgerinnen und Bürger heranzukommen. Titel II des EUV(L) enthält Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze. Darin finden sich die Artikel 10 EUV(L)106 zur repräsentativen Demokratie, Art. 11 I bis III EUV(L),107 der den Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit gibt, sich politisch (unverbindlich) zu äussern, und Art. 12 EUV(L),108 ohne direkten Vorläufer im EVV, der die nationalen Parlamente stärker in die Arbeit der Europäischen Union einbinden möchte. Ausserdem gibt es, ähnlich wie in der Schweizerischen Bundesverfassung, ein Petitionsrecht109 und, im Unterschied dazu, einen Bürgerbeauftragten.110 Artikel 11 IV EUV(L)111 schafft, ähnlich der schweizerischen Verfassungsinitiative,112 rechtlich jedoch weit weniger bindend, ein europäisches Initiativrecht, das eine Million Unionsbürgerinnen und Unionsbürger aus einer „erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten“ ergreifen können, um die Kommission aufzufordern, Vorschläge zu unterbreiten. Ob sich allerdings eine Million Bürgerinnen und Bürger über Landes- und Sprachgrenzen hinweg und aus unterschiedlichen politischen Traditionen 104 105 106 107 108 109 110 111 112 Vgl. Art. 22 AEUV. Zum „europäischen politischen Bewusstsein“ und den politischen Parteien „auf europäischer Ebene“ s. Art. 191 EGV; Art. I-46 IV EVV; Art. 10 IV EUV(L); vgl. Art. 137 BV. Vgl. Art. I-46 EVV. Vgl. Art. I-47 EVV. Vgl. auch Art. 5 III/2 EUV(L). Art. 21 und Art. 194 EGV; Art. 24 und 227 AEUV; Art. 33 BV. Art. 195 EGV; Art. 228 AEUV. Vgl. Art. I-47 IV EVV. Art. 139(neu) und Art. 139(alt) BV. 16 Ein Vergleich zwischen [den] Regierungssystem[en] der EU (…) und [der Schweiz]; S. 17 von 23 organisieren werden, um der Europäischen Union Impulse zu geben, bleibt vorerst dahingestellt. Der Artikel schmeckt nach politischer Utopie. Vielleicht ist es deshalb leicht gefallen, ihn einzufügen. Umso verständlicher, dass die Europäische Union nicht den Mut gefunden hat, ihren Bürgerinnen und Bürgern auch das (fakultative) Referendumsrecht einzuräumen, das nach Schweizerischem Muster113 durchaus in ähnlicher Weise wie das Initiativrecht auf europäischer Ebene denkbar gewesen wäre. Wenn schon politische Utopie, dann glaubhaft. Zu schweigen vom (obligatorischen) Referendum für Verfassungsänderungen114 bzw. Änderungen der Verträge. Kein Wunder, dass die Mitgliedstaaten die Lissabonner Verträge nur von ihren Parlamenten ratifizieren lassen wollen. (Mit Ausnahme von Irland, dessen Verfassung eine Volksabstimmung obligatorisch vorsieht, und das prompt abgelehnt hat.) Nicht nur eine Frage des politischen Mutes, sondern ein Ausdruck des Misstrauens gegenüber dem europäischen „Volk.“ Zum Schluss die eine Frage, die fast immer im Raum steht, wenn von der Schweiz und der Europäischen Union die Rede ist, obwohl zur Zeit auf der hiesigen politischen Bühne niemand diese Frage auszusprechen wagt, vor lauter Angst, bei den nächsten Wahlen Stimmen zu verlieren: Was wäre wenn die Schweiz der EU beiträte?115 Zunächst dürfte die Schweiz, meiner Ansicht nach, durchaus selbstbewusst davon ausgehen, dass ihre demokratischen Traditionen die Europäische Union beleben würden. Der Europäischen Union würde das halbdirekte demokratische Empfinden und Arbeiten der Schweiz gut tun. Und der Schweiz würde ein frischer politischer Impuls nicht schaden, auch auf die Gefahr hin, dass die politischen Institutionen auf die eine oder andere Weise umzugestalten wären. Vor allem aber, das wäre sicher der grösste Gewinn, könnte sie im europäischen Rahmen aktiv mitgestalten, statt „autonom nachzuvollziehen,“ könnte selbstbewusst auftreten, ohne die traditionell zum Bild und Selbstverständnis der Schweizer Diplomatie gehörigen leisen Töne zu vergessen (denn die leisen Töne können auch auf der Ebene der Europäischen Union sehr einflussreich und wirksam sein), und müsste sich nicht gleich ducken, wenn ihr einmal ein scharfer europäischer Wind ins Gesicht bläst. 113 114 115 Art. 141 BV. Art. 140 I/a und II a bis c BV. Vgl. HÄFELIN/HALLER, Rz. 199. © Andreas Mildner, Bern, September 2008 17