SPRACHENMIX IN DER FAMILIE MEHRSPRACHIG AUFWACHSEN 18.6.2011 | Karoline Kuhla In einer Welt, in der verschiedene Nationen und Kontinente immer weiter zusammenrücken, gibt es viele Kinder, deren Eltern aus verschiedenen Kulturen stammen. Nicht selten wachsen sie deshalb mit zwei verschiedenen Sprachen auf, einer Mutter- und einer Vatersprache. Manchmal sogar noch mit einer dritten. Der totale Stress – oder bringt das mehrsprachige Aufwachsen nur Vorteile? Karoline Kuhla hat mit zwei Jugendlichen gesprochen, die sich damit auskennen. Claudio Hinterhäuser, 18 Jahre, Schüler in Berlin: Manchmal hilft das Wörterbuch "Ich bin zweisprachig aufgewachsen, weil meine Mutter Deutsche ist und mein Vater Italiener. Obwohl sie auch Italienisch sprechen kann, hat meine Mutter immer Deutsch und mein Vater immer Italienisch mit mir gesprochen. Als ich noch klein war, habe ich meistens nicht auf Italienisch geantwortet, aber mein Vater hat es trotzdem mit mir gesprochen. Verstanden habe ich es auch und dann einfach auf Deutsch geantwortet – ich war einfach zu faul. Daran hat sich nicht so viel geändert: Wenn ich in Italien bin, spreche ich es schon, und hier auch, wenn es kein anderer verstehen soll. Aber sonst antworte ich meistens auf Deutsch. Wenn die ganze Familie zusammenkommt – ich habe einen älteren Bruder und eine ältere Schwester – dann geht es gemischt hin und her, auch wenn hauptsächlich Deutsch gesprochen wird. Italienisch geträumt oder gedacht habe ich nie. In Italien selbst habe ich trotzdem keine Probleme, mich zu verständigen, und ich verstehe auch alles. Nur manchmal fehlen mir Vokabeln für besondere Dinge – darin bin ich nicht ganz so gut wie jemand, der dort aufgewachsen ist. Jubeln für die deutsche Elf Ich fühle mich auf jeden Fall als Deutscher. Am besten ist das mit Fußball zu erklären: Wenn Italien gegen irgendjemanden spielt – und es nicht gerade Deutschland ist – dann bin ich immer für Italien. Daran kann man es ganz gut festmachen: Wenn Deutschland gegen Italien spielt, bin ich natürlich für Deutschland. Ich habe also schon eine stärkere Bindung zu Italien als zu anderen Ländern. Ein bisschen Heimatgefühl ist immer dabei. Hier in Berlin trifft man oft auf Italiener. Das ist lustig. Meistens sind es Jugendliche, die in Berlin feiern gehen wollen und in brüchigem Englisch fragen, wo sie hingehen könnten. Dann ist es schon cool, wenn man sagen kann: "Rede doch Italienisch mit mir!" Die freuen sich immer: "Berlin ist so schon so cool, aber jetzt ist es noch cooler!" Nach dem Abitur nächstes Jahr könnte ich mir vorstellen, noch mal zwei bis drei Monate nach Italien zu gehen, um wieder richtig reinzukommen. Ich habe dort auch Freunde und viel Familie. Ganz typisch italienisch: Da hat man dann halt so 20 bis 30 Cousins und Cousinen. Meine Kinder würde ich später auch zweisprachig aufwachsen lassen. Ich finde es nämlich auf jeden Fall sinnvoll und positiv, zweisprachig aufgewachsen zu sein. Anderen Leuten habe ich in diesem Bereich etwas voraus. Für mich ist es auch gut, dass ich das in meinen Lebenslauf schreiben kann." Simon Hanna, 19 Jahre, Student in Karlsruhe: Simon Hanna "Ich bin binational: Ich habe eine deutsche Mutter und einen ägyptischen Vater. In Ägypten, wo ich geboren und aufgewachsen bin, hat meine Mutter mit mir Deutsch geredet, mein Vater mit mir Arabisch. Untereinander haben sie Englisch gesprochen. Deshalb bin ich praktisch mit drei Sprachen aufgewachsen. Deutsch und Arabisch spreche ich heute sehr gut, im Englischen bin ich fast so gut wie ein Native Speaker. Zurzeit fällt mir Deutsch ein wenig leichter, weil ich schon lange nicht mehr in Ägypten war. Da ist mein Arabisch etwas langsam geworden. Im Sommer lebe ich seit knapp zwei Jahren in Deutschland. Die Chancen für ein Studium sind viel besser, und ich mag auch die deutsche Kultur mehr als die ägyptische. Ich bin vom Gefühl her eher Deutscher als Ägypter. Von meiner Denkweise her, von dem, was ich machen will, bin ich sehr westlich und nicht so östlich geprägt. Im Augenblick mache ich die fachgebundene Hochschulreife an der Uni in Karlsruhe nach, weil der ägyptische Schulabschluss hier so nicht anerkannt wird. In der Schule habe ich früher natürlich immer Arabisch gesprochen, zu Hause eher Deutsch und Englisch. Aber Träumen tue ich zum Beispiel immer auf Deutsch. Und wenn ich denke, denke ich auch deutsch. Nur bei manchen Sachen – ich könnte gar nicht genau sagen, bei welchen – da denke ich dann kurz arabisch. Aufregen tue ich mich eher auf Deutsch, aber wenn ich Musik mache, dann passiert das auf Englisch. Hin und wieder habe ich schon Aussetzer. Dann fange ich einen Satz an und komme zu einem Wort, das ich gerade nur auf Englisch und nicht auf Deutsch weiß. Das ist eben ein Problem, wenn die einzelnen Sprachen nicht so ausgeprägt sind. Mit deutschen Fachbegriffen bin ich zum Beispiel nicht so gut. Da merkt man dann schon einen Unterschied. Ich habe auch versucht, Französisch zu lernen. Aber dadurch, dass ich die anderen drei Sprachen so nebenbei gelernt habe, keine Karteikarten mit Vokabeln auswendig lernen musste, fiel mir das schon schwer. Das Geburtsland bleibt Urlaubsland Bei uns zu Hause gibt es einen Sprachenmix. Gerade wenn wir alle zusammen an einem Tisch sitzen, fängt jeder an, in irgendeiner anderen Sprache zu reden. Meine Eltern verstehen jeweils die andere Sprache, sprechen sie aber nicht so gut. Meine Geschwister sind auch dreisprachig aufgewachsen – wir haben sprachlich und von der Denkweise jeder einen eigenen Schwerpunkt. Meine Schwester spricht zum Beispiel mehr Englisch, weil sie hauptsächlich amerikanische Freunde hat. Mein Bruder ist eher arabisch und ich bin eben am ehesten deutsch. Wir sind auch in politischen Punkten anderer Meinung – wenn es zum Beispiel um die Revolution in Ägypten geht. Meine Heimat ist Deutschland, in Ägypten ist es im Sommer viel zu heiß, das wird eher ein Urlaubsland für mich bleiben. Insgesamt finde ich es auf jeden Fall positiv, dreisprachig aufgewachsen zu sein: Man versteht viel mehr und vor allem bei der Jobsuche kann man mit mehr Sprachen punkten. Wenn ich eines Tages Kinder habe, würde ich sie auf jeden Fall auch mehrsprachig erziehen. Deutsch, wenn man in Deutschland lebt, und Englisch sollte man auf jeden Fall immer können. Ob es dann noch eine dritte Sprache geben muss, das weiß ich nicht. Aber zweisprachig sollte man auf jeden Fall sein. Karoline Kuhla schreibt für Magazine und Zeitungen und macht zurzeit ein Praktikum in der fluter.de-Redaktion. Sie lebt in Berlin. Fotos: Privat Entnommen aus: http://www.fluter.de/de/sprachen/erfahrungen/9446/