111087_006_64 07.04.2005 14:11 Uhr Seite 24 Aufbruch in die Neuzeit M 3 Studien Grundrisskonstruktion und Proportionsstudie des Renaissance-Architekten Franceso di Giorgio. Die neue Zeit erschien als Wiedergeburt der Antike, italienisch „rinascitá“, französisch „Renaissance“. Dieser Begriff hat sich für das neue Denken sowie die neue Kunst und Kultur eingebürgert, die sich von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis ins 16. Jahrhundert hinein in Europa ausbreiteten. Auch in der eigenen Ausbildung orientierten sich die Gelehrten an antiken Vorbildern. So sprach der römische Schriftsteller und Politiker Cicero im 1. Jahrhundert v. Chr. von „studia humanitatis“, das heißt von Fähigkeiten, die man erwerben muss, um sich zu einem Menschen im eigentlichen Sinn auszubilden. Dazu gehören Rhetorik, Geschichte, Dichtkunst, Philosophie und im weiteren Sinne auch die Naturwissenschaften. Eine derart umfassende Bildung erstrebten auch die Gelehrten der Renaissance. Sie bezeichneten sich selbst als „Humanisten“ und wollten das Ideal eines freien Menschen verwirklichen, der seine Fähigkeiten entfaltet und kirchliche Zwänge abstreift. Der Maler, Bildhauer und Architekt Michelangelo (1475-1564) schuf Kunstwerke, die bis heute als außergewöhnlich gelten. Leonardo da Vinci (1452-1519), der Maler der weltberühmten „Mona Lisa“, war zugleich Forscher und Erfinder. Seine Kenntnisse beruhten auf der genauen Beobachtung der Natur. In seinen Notizen finden sich Skizzen von Fluggeräten, Unterseebooten und Maschinengewehren, die er zu bauen beabsichtigte. Einer der bedeutendsten humanistischen Philosophen war der Gelehrte Erasmus von Rotterdam (1466-1536), der die Zeitgenossen durch sein universelles Wissen beeindruckte. Das neue humanistische Menschenbild der Renaissance setzte in Europa ungeheure geistige Kräfte frei. Sowohl in den Künsten als auch in den Naturwissenschaften kam es zu Entdeckungen, Erfindungen und Entwicklungen, die bis heute grundlegend sind. So verwendeten die Maler in ihren Bildern die Zentralperspektive und erzeugten eine neuartige, für uns heute selbstverständliche Raumwirkung. Genaue Studien der menschlichen Proportionen ermöglichten eine wirklichkeitsgetreue Darstellung der Figuren. Florenz als Stadt der Renaissance Eine Vorreiterrolle nahm dabei die Stadt Florenz in der Toskana ein. Dort förderte die vornehme Herrscherfamilie der Medici diese neuen Strömungen. Viele bedeutende Kunstwerke Europas befinden sich deshalb in dieser Stadt. Florenz und andere Handelsstädte wie Mailand und Venedig verdankten ihren Reichtum, ihre Macht und ihre Kultur dem Fleiß, dem Selbstvertrauen und der Gelehrsamkeit ihrer Bürger. Gerade diese Städte hatten aber auch enge Handelskontakte zur arabischen Welt und kamen so mit einer anderen Kultur in Kontakt. Vermittelt durch islamische Wissenschaftler, aber auch durch Gelehrte aus dem alten Oströmischen Reich öffnete sich für die Bewohner der italienischen Handelsstädte der Weg zu neuen Erkenntnissen. Allerdings blieben diese Strömungen zunächst auf einen kleinen Bereich von Gebildeten beschränkt. Ein „neues Weltbild“ Da die neuen Erkenntnisse oft im Widerspruch zu den Jahrhunderte alten mittelalterlichen Vorstellungen standen, fiel es der Kirche schwer, 24 111087_006_64 07.04.2005 1350 n. Chr. 1380 14:11 Uhr 1410 1440 Seite 25 1470 1500 1530 1560 1590 1620 1650 Santa Croce Bargello Dom M 4 Blick auf Florenz Die Kuppel des Doms erbaute der berühmte Renaissance-Architekt Filippo Brunelleschi (1376 -1445). M 5 Nikolaus Kopernikus (1473 -1543) stammte aus Thorn an der Weichsel. Er studierte in Krakau und in Italien Theologie, Jura, Mathematik, Medizin, Astronomie. sie zu akzeptieren. Dies lag auch daran, dass sich die neuen Wissenschaftler ganz anderer Methoden der Erkenntnisfindung bedienten. Ein Beispiel dafür war die Auseinandersetzung darüber, ob sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne dreht. Bereits in der Antike wurde die Ansicht vertreten, dass die Sonne im Mittelpunkt des Planetensystems stehe und sich die Erde um sie dreht. Im Lauf der Jahrhunderte setzte sich allerdings die Lehre des griechischen Astronomen Ptolemäus durch. Die Erde bildete demnach den Mittelpunkt des Universums, um die sich alle anderen Himmelskörper drehten. Seine Ansicht setzte sich vermutlich auch deshalb durch, weil einige Bibelstellen in diesem Sinne gedeutet werden konnten. Der Mensch als Krone der göttlichen Schöpfung musste demnach im Zentrum dieser Schöpfung leben. So wurde das ptolemäische Weltbild im Mittelalter zur unumstößlichen göttlichen Wahrheit. Daran zu zweifeln bedeutete, die gesamte christliche Lehre in Frage zu stellen. Als erster wagte dies der Astronom und Mathematiker Nikolaus Kopernikus (1473 -1543). Er unternahm systematische Himmelsbeobachtungen und stellte eigene Berechnungen an. Sein Ergebnis war, dass die Sonne im Mittelpunkt des Planetensystems stehen müsse. Noch konnte man das nach seinem Entdecker benannte kopernikanische Weltbild aber als reine Theorie abtun, da ein letzter Beweis fehlte. Diesen erbrachte der Italiener Galileo Galilei (1564-1642), der mithilfe eines neu entwickelten Fernrohrs die Erkenntnisse von Kopernikus durch Beobachtungen am Nachthimmel bestätigte. Nun reagierten die kirchlichen Autoritäten mit Gegenmaßnahmen. Die Schriften Galileis wurden als Ketzerei verboten, er selbst kam vor die Inquisition und wurde unter Androhung der Folter gezwungen, seine Aussagen zu widerrufen. Der Buchdruck sowie die einfache Nachprüfbarkeit von Galileis Beobachtungen trugen aber dazu bei, dass das kopernikanische Weltbild auf Dauer nicht unterdrückt werden konnte. Die Erkenntnisse eines einzelnen Menschen hatten so über die Autorität der mittelalterlichen Kirche gesiegt. 1992 hob die katholische Kirche das damalige Urteil gegen Galilei förmlich auf. 25