32 Auf Futtersuche Der kleine Streifenkiwi stochert im Erdreich nach Würmern und Insektenlarven. UNTERHALTUNG | INSELTIERE 33 und Schmetterlinge als solche gar nicht mehr auf den ersten Blick erkennen würde. Ein Vogel der nicht fliegen kann... Was sich noch alles auf einer abgelegenen Inselgruppe entwickelt kann, lässt sich erkennen, wenn man auf eine weitere Insel blickt. Wie oben bereits erwähnt, leben auf den meisten Inseln keine großen Landraubtiere. So ist das auch bei der Inselgruppe Neuseelands der Fall. Wenn keine bodenlebenden Fressfeinde vorhanden sind, müssen die Vögel nicht mehr fliegen, um sich in den Bäumen ein sicheres Plätzchen zu suchen. Auf dem Boden sind sie schließlich auch sicher. Ein Defekt in einem Gen reicht bereits aus, damit ein Vogel nicht mehr fliegen kann. Tritt so eine Mutation auf, ist das für einen Vogel auf dem Festland verheerend, nicht so auf Neuseeland. Dort haben die „mutierten“ Vögel keine Nachteile. Nein, sie haben sogar Vorteile. Denn obwohl keine bodenlebenden Fressfeinde vorhanden sind, gibt es sehr wohl fliegende Fressfeinde. Vögel, die sich vor allem auf dem Boden unter dichtem Gebüsch aufhalten, werden seltener gefressen. Sie haben einen deutlichen Selektionsvorteil. So verloren die Vögel Neuseelands mit der Zeit ihre Flugfähigkeit und bildeten völlig neue Arten. Der bekannteste Vertreter dieser Art ist der Kiwi. Auch auf den Galapagosinseln existieren flugunfähige Vögel, die aus eben demselben Grund entstanden sind. Eine weitere Folge, die aus dem Mangel von Fressfein- REIF FÜR DIE Insel Insel Auf entlegenen Inselgruppen kann man der Evolution bei ihrem Geschehen quasi zusehen. Außerdem wird die Entstehung bestimmter Tierarten auf Inseln begünstigt, die auf dem Festland wenige Überlebenschancen hätten. Mit allen Mitteln Die Finken wissen sich schnell zu helfen, um an ihr Fressen zu kommen. Das Paradebeispiel für Artbildung auf entlegenen Inseln stellen die Darwinfinken der Galapagos-Inseln dar. Zwar leben dort jede Menge Meeresvögel, aber unter den Landvögeln sind fast nur die Finken vertreten. Dafür aber in den unterschiedlichsten Variationen: Finken mit kurzen breiten Schnäbeln, Finken mit langen Schnäbeln und Finken mit mittellangen Schnäbeln. Jede dieser 13 Finkenarten, die einst aus einer einzigen Art entstanden sind, hat sich auf eine ganz bestimmte Nahrung spezialisiert. Grund für diese Spezialisierung ist die Vermeidung von innerartlicher Konkurrenz. Das am besten angepasste Individuum gewinnt den Kampf um die Nahrung, und das weniger gut angepasste Individuum geht leer aus und wird mit der Zeit verdrängt. Dieses Problem haben die Darwinfinken so gelöst, indem sich einige von ihnen auf eine andere Nahrung spezialisiert haben, zu einer anderen Tageszeit oder an einem anderen Ort auf Nahrungssuche gehen. Mit der Zeit haben sich daraus neue Finkenarten gebildet. Vögel mit kleinem Schnabel, wie der Geospiza fortis, können sich besser von weichen Samen ernähren. Hingegen ernähren sich Vögel mit einem großen Schnabel (Geospiza magnirostris) ausschließlich von harten Samen, da sie diese besonders gut knacken können. Inselbewohnende Tiere in Miniaturformat Außer dem Phänomen, dass sich auf einer Insel aus einer Art schnell 32-33 Inseltiere-neu.indd 32 Blindes Vertrauen Da der Drusenkopf auf seiner Inselkette keine Feinde hat, ist er besonders zahm. weitere Unterarten bilden können, gibt es noch weitere Besonderheiten bei den „Inselpopulationen“. Inseln stellen nur eine begrenzte Fläche zum Leben bereit, auf der sich die Tiere nicht bis ins Unendliche ausbreiten können. Damit dennoch genug Lebensraum für eine funktionierende Population vorhanden ist, sind auf den Inseln kleinere Verwandten unserer auf dem Festland großen Tiere entstanden. Während das Spitzberger-Ren der Arktis nur eine Höhe von etwa 65 Zentimeter hat, erreichen andere Rentierrassen des Festlands eine stolze Durchschnittshöhe von 110 Zentimeter. Eine weitere Miniaturspezies ist der Zwergelefant der Insel Borneo, der nicht großer als 1,50 Meter wird. Flugunfähige Insekten auf den Kerguelen Nicht weniger faszinierend ist die Entstehung von „flügellosen“ Fliegen und Schmetterlingen auf den Kerguelen. Die Inselgruppe liegt im Indischen Ozean, nördlich des Antarktischen Kontinents. Die dort herrschenden rauen Umweltbedingungen mit den tiefen Temperaturen und den starken kalten Westwinden („Roaring Forties“) machen den Selektionsdruck auf den Kerguelen aus. Durch den Wind wurden die Fliegen und Schmetterlinge mit ihren großen Flügeln auf die See hinausgetrieben. Fliegende Insekten, die aufgrund einer zufälligen Mutation verkümmerte Flügel hatten, waren deutlich im Vorteil. Sie waren die besser „angepassten“ Insekten. Im Laufe der Evolution bildeten sich die Flügel immer weiter zurück, da sie für die Fliegen und Schmetterlinge nutzlos geworden sind. Heute sind die Flügel nur noch rudimentär vorhanden, sodass man die Fliegen Fotos: Okapia Die Darwinfinken als Paradebeispiel den resultiert, ist der Verlust des Fluchtinstinkts. Die Tiere zeigen keine Scheu und werden schnell zahm. Dieses Verhalten kann besonders häufig auf den Galapagos-Inseln beobachtet werden. Die Drusenköpfe, auch Galapagos-Landleguane genannt, sind dafür geradezu ein Musterbeispiel. Sie sind so zutraulich, dass sie sich ohne weiteres von Menschen füttern lassen, obwohl sie keine Menschen kennen. Außerdem können die Landleguane der Galapagos-Inseln ihren Schwanz nicht abwerfen. Ihre Verwandten vom Festland haben diesen Mechanismus zum eigenen Schutz entwickelt. Wenn eine Echse von einem Fressfein verfolgt wird, wirft diese ihren Schwanz ab, und der Schwanz kringelt sich dann weiter auf dem Boden, um den Feind abzulenken. Da der Drusenkopf ursprünglich keine Fressfeinde hatte, die er mit einem abgeworfenen Schwanz verwirren musste, verfügt er nicht über diese Fähigkeit. Fazit: Die Evolution ist keineswegs eine abgeschlossene Geschichte, die man in Büchern nachlesen kann. Sie ist ein fester Bestandteil unseres Daseins, sie entwickelt sich ständig weiter, und man kann Ihr dabei sogar zusehen. 27.09.2007 17:21:50 Uhr 32-33 Inseltiere-neu.indd 33 27.09.2007 17:21:55 Uhr