Gesundheitszentrum am Steinenring - Praxis für ganzheitliche Medizin - Dres. med. Jugana u. Michael M. Loder, FMH Praxis-Information Du darfst! Über Pillen, den Willen und die Potenz Von Slavoj Zizek Die Wissenschaft greift immer stärker in unsere intimen Sphären ein von Kloning und Viagra wird schon heute unser gesamtes sexuelles Leben nachhaltig geprägt. Die neue Praxis des Klonens etwa raubt uns den schöpferischen Aspekt des Sex, die Zeugung, und führt uns auf die verborgene Wahrheit von Kants „Du kannst, denn du sollst!“ - nämlich gerade in ihre Umkehrung: "Du kannst nicht, denn du sollst nicht! " Das Argument derer, die gegen das Klonen sind, läuft doch darauf hinaus, dass wir es, zumindest am Menschen, nicht weiter versuchen sollten, weil man das eigentliche, das seelische Wesen des Menschen sowieso nie manipulieren kann - was nichts anderes ist als eine Variante von Wittgensteins „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. Dieses Paradoxon, dass nämlich etwas verboten wird, was ohnehin unmöglich ist, finden wir am reinsten in der Reaktion der katholischen Kirche auf die Möglichkeit des Klonens. Wenn sie wirklich an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, an die Einzigartigkeit der menschlichen Persönlichkeit; wenn sie überzeugt ist, dass wir mehr sind als das Ergebnis einer Interaktion zwischen unserem genetischem Code und unserer Umgebung: warum sollte man dann etwas gegen genetische Manipulationen haben? Diese können den Kern des menschlichen Wesens nicht berühren, sollten wir es also verbieten? Glauben womöglich die christlichen Gegner des Klonens insgeheim doch an die Macht der wissenschaftlichen Manipulation; daran, dass diese fähig ist, die Substanz der menschlichen Persönlichkeit anzugreifen? Das Problem dabei ist nicht die genetische Manipulation an sich, sondern die Tatsache, dass man, wenn man sie akzeptiert, signalisiert, dass der Mensch sich als eine biologische Maschine begreift und sich so seiner einzigartigen Würde beraubt. Aber warum, müsste man darauf erwidern, könnten wir nicht genetische Manipulation gutheissen und zugleich darauf insistieren, dass Menschen freie, verant- Steinenring 5 - 4051 Basel - Tel: 061 302 33 55 - Fax: 061 302 33 74 - www.doktor.ch/loder Gesundheitszentrum am Steinenring - Praxis für ganzheitliche Medizin - Dres. med. Jugana u. Michael M. Loder, FMH wortliche Handelnde sind? Warum reden christliche Gegner immer noch vom „unergründlichen Geheimnis der Empfängnis“, in das der Mensch sich nicht einmischen soll, so als würden wir mit unseren genetischen Forschungen an etwas rühren, das besser im Dunkel gelassen würde - als würden wir zugleich mit unseren Körpern unsere unsterbliche Seele klonen? Man könnte so tun, als würde der ganze dadurch verursachte Aufruhr nur der üblichen Reaktion folgen, die auf jede grosse technische Erfindung kommt, von der Industrialisierung bis zum Cyberspace: Dem moralischen Aufruhr und der Furcht folgt die „Normalisierung“ - die neue Erfindung wird langsam Teil unseres Lebens. Aber hier sind radikalere Dinge im Spiel, denn hier steht gerade der Kern der menschlichen Freiheit zur Diskussion: Entweder determiniert uns unser Genom, dann sind wir nur „biologische Maschinen“, und all das Gerede über ein Verbot des Klonens und der genetischen Manipulationen ist nur eine verzweifelte Strategie, um das Unvermeidliche zu vermeiden, um den Anschein von Freiheit zu erhalten durch die Einschränkung des Wissens und der darauf basierenden technologischen Fähigkeiten. Oder unser Genom determiniert uns nicht zur Gänze - dann, wiederholen wir es, gibt es keinen wirklichen Anlass zum Alarm, denn dann berührt die Manipulation unseres genetischen Codes nicht wirklich den Kern unserer persönlichen Identität. Diese zweite Möglichkeit, die direkte wissenschaftlich-medizinische Einwirkung auf unsere Sexualität, wird am besten exemplifiziert durch das unselige Viagra, die Potenzpille, die verspricht, die Fähigkeit zur männlichen Erektion rein biochemisch wiederherzustellen und dabei alle psychologischen Hemmungen links liegen lässt. Was werden die psychischen Effekte von Viagra sein, wenn dieses Medikament in der Tat erfüllt, was es verspricht? All jene, die beklagen, dass der Feminismus eine Bedrohung der Männlichkeit entfesselte (dass die Selbstgewissheit der Männer ernsthaft unterminiert wurde, nachdem sie die ganze Zeit attackiert sind von emanzipierten Frauen, die frei sein wollten von der patriachalischen Herrschaft und volle sexuelle Befriedigung verlangten von ihrem männlichen Partner), all jenen öffnet Viagra einen einfachen Weg aus der stressigen Zwickmühle. Männer müssen nicht länger in Sorge sein; sie wissen, sie werden fähig sein, ihre Rolle ordentlich zu erfüllen. Feministinnen andererseits können verkünden, dass Viagra die männliche Potenz ihrer Mystik und Aura beraubt und Männer effektiv Frauen gleichstellt. Das mindeste, was man gegen dieses zweite Argument sagen kann, ist, dass es die Art und Weise simplifiziert, wie männliche Potenz funktioniert: Was ihr nämlich effektiv einen mythischen Status verleiht, ist die Drohung der Impotenz. In der sexuellen psychischen Ökonomie des Mannes ist der allgegenwärtige Schatten der Impotenz wesentlich: die Drohung, beim nächsten Geschlechtsverkehr könnte der Penis sich weigern zu erigieren. Das Paradox der Erektion ist, dass sie ganz und gar von mir abhängt, von meinem Geist, ich aber zugleich keine endgültige Kontrolle habe. Um es in den Begriffen von Adornos Vernunftkritik auszudrücken: Die Erektion ist einer der letzten Überreste ursprünglicher Spontaneität; etwas, das nicht gänzlich gemeistert Steinenring 5 - 4051 Basel - Tel: 061 302 33 55 - Fax: 061 302 33 74 - www.doktor.ch/loder Gesundheitszentrum am Steinenring - Praxis für ganzheitliche Medizin - Dres. med. Jugana u. Michael M. Loder, FMH werden kann durch rationell-instrumentale Prozeduren. Diese winzige Lücke dass es nie unmittelbar ein „Ich“ ist, das über die Erektion frei entscheiden kann -, ist wesentlich: Ein sexuell potenter Mann erregt Attraktion und Neid, nicht weil er es nach seinem Willen tun kann, sondern weil das unergründliche X, das jenseits bewusster Kontrolle über die Erektion entscheidet, kein Problem für ihn darstellt. Der wesentliche Punkt hier ist, zu unterscheiden zwischen dem Penis (das erigierbare Organ) und dem Phallus (dem Signifikanten der Potenz, der symbolischen Autorität, der symbolischen, nicht biologischen Dimension, die Autorität und Potenz verleiht). So wie ein Richter, der an sich ein wertloses Individuum sein mag, in dem Moment Autorität ausstrahlt, da er die Insignien anlegt, die ihm seine juristische Autorität verleihen, wenn er also nicht mehr für sich selbst spricht, sondern das Gesetz selbst durch ihn spricht genauso funktioniert die Potenz des einzelnen Mannes als ein Zeichen, dass eine andere symbolische Dimension durch ihn aktiv ist: der „Phallus“ bezeichnet die symbolischen Krücken, die meinen Penis mit Potenz eigener Art ausstatten. Aufgrund dieser Unterscheidung hat die Kastrationsangst nichts zu tun mit der Angst, den Penis zu verlieren. Was uns Angst macht, ist eher die Drohung, dass die Autorität des phallischen Signifikanten als fake enthüllt wird. Somit ist Viagra gerade das endgültige Werkzeug der Kastration: Wenn ein Mann die Pille schluckt, funktioniert sein Penis, aber er ist der phallischen Dimension symbolischer Potenz beraubt - der Mann, der dank Viagra imstande ist zu kopulieren, ist ein Mann mit Penis, aber ohne Phallus. Können wir uns also wirklich ausmalen, wie die Erektionspille in unserem sexuellen Leben wirkt? Um es ein wenig männlich-chauvihaft auszudrücken: Was bleibt von den Vorstellungen einer Frau, für einen Mann attraktiv zu sein, ihn effektiv zu erregen? Wie soll ein Mann wissen, wie nun sein wahrer Zustand eigentlich ist? Von einem sexuell unersättlichen Mann heisst es gewöhnlich, wenn die Lust ihn übermannt, er denke nicht mehr mit dem Kopf, sondern mit seinem Penis. Was aber geschieht, wenn der Kopf des Mannes ganz und gar die Führung übernimmt? Wird dann nicht der Zugang zu jener Dimension, die man als „emotionale Intelligenz“ bezeichnet, vielleicht endgültig behindert? Leicht kann man bejubeln, dass wir nicht länger unsere psychischen Traumata bekämpfen müssen, dass verborgene Ängste und Neigungen nicht länger unsere sexuelle Kapazität beeinträchtigen können. Aber diese verborgenen Ängste und Neigungen werden deshalb nicht verschwunden sein: Sie sind nur verlagert auf eine „andere Bühne“, wo sie freilich ihres hauptsächlichen Abflusses beraubt sind - und warten, bis sie explodieren können, gewalttätiger womöglich und (selbst)zerstörerischer. Der Autor ist Psychoanalytiker und Professor für Philosophie in Ljubljana. Steinenring 5 - 4051 Basel - Tel: 061 302 33 55 - Fax: 061 302 33 74 - www.doktor.ch/loder