Warum Donald Trump wählen? Wenn in einem Monat in den USA gewählt wird, haben die Nordamerikaner einen anderthalb Jahre währenden Wahlkampf hinter sich gebracht. Aufgedreht durch die Deregulierung von politischen Großspenden und abgedreht durch die Polarisierung der beiden großen Parteien, ist es eine Herausforderung, die wirklich wichtigen Töne im Wahlkampf zu hören. Besonders aus europäischer Perspektive ist amerikanische Politik meistens irritierend vertraut und doch unverständlich – schon Barack Obama wäre in Deutschland nach einer Umfrage mit 77 Prozent gewählt worden. In Amerika dagegen gab es ein richtiges Rennen, obwohl die potentielle Vize-Kandidatin der Republikaner Sarah Palin hieß. Dass die Stichwahl zwischen dem ehemaligen Reality-TV-Tycoon Trump und der erfahrenen ehemaligen Außenministerin Clinton nicht ganz eindeutig für Letztere ausfällt, ist aus unserer europäischen Perspektive schwer nachvollziehbar. Das heißt aber nicht, dass sie keinen Sinn macht: Die Republikaner sind keine Einzelpartei, sondern ein Sammelbecken von konservativen Föderalisten. Es gibt auch noch weitere Parteien wie die Libertären und die Grünen, trotzdem zwingt das Korsett des Wahlsystems die USA zum epischen Zweikampf zwischen Republikanern und Demokraten. Und die TeaParty-Bewegung hat die konservative Plattform übernommen. Was würde aber in Deutschland passieren, wenn schon gesammelt im konservativen Lager über die Spitzenkandidatin für den kommenden Bundeswahlkampf abgestimmt werden würde? Ist es unwahrscheinlich, dass die Hälfte des bürgerlich-konservativen Lagers gerade für einen radikaleren Kurs zu haben wären? Eben. Und zusammen mit der AfD stellt diese Gruppe im konservativen Lager auch bei uns die Mehrheit. Vielleicht ist es nur der Mehrstimmigkeit unseres Wahlsystems zu verdanken, dass wir kein durch die AfD geführtes konservatives Lager haben. Das konservative Lager wählt aus mehreren Gründen Trump. Der Artikel The Flight 93 Election, der im konservativen Teil der sozialen Medien in den USA viral ging, zieht eine Parallele zwischen der aktuellen Politik und dem von Terroristen übernommenen 9/11-Flug, der als einziger nicht sein Ziel erreichte, weil Passagiere das Cockpit stürmten und das Flugzeug auf einem Feld abstürzte. Der gefühlten Entführung des Landes durch ‚das Establishment’ wollen die Konservativen mit einem Cockpitsturm durch Trump begegnen, auch wenn sie damit bewusst riskieren, dass das Land abstürzt: 2016 is the Flight 93 election: charge the cockpit or you die. You may die anyway. You—or the leader of your party—may make it into the cockpit and not know how to fly or land the plane. There are no guarantees. Except one: if you don’t try, death is certain. Wie kann dieses radikale Bild Amerikas so viele Menschen ansprechen, obwohl das Land doch so reich ist? Es ist wegen der Ungleichheit im Land. In einer digitalisierten globalen Welt sind die Gewinne größer, der Wettbewerb härter und die Nischen kleiner geworden. Auch wenn Freihandel und Digitalisierung Reichtum bringen – er kommt nicht bei allen an. Schlimmer, ein Teil der Menschen hat dadurch konkrete Nachteile. Diese Menschen haben über Jahrzehnte eine Entmachtung erlebt: Die Neoliberalen nahmen die Rechte und das soziale Fallnetz und verschärften durch Freihandel den Wettbewerb. Diese – auch politische – Ohnmacht hat eine Schicht von abgehängten Menschen radikalisiert. Das Aufbegehren, also die Wirksamkeit des eigenen Handelns zu spüren, ist dabei zwar bereits das Ziel; aber ein einfacher Denkzettel reicht nicht mehr – das „Establishment“ soll weg. Nicht umsonst sagen in Deutschland zwei Drittel der AfD-Wähler, dass sie nicht hinter den Positionen ihrer eben gewählten Partei stehen. Auch in Amerika ist Trump mit einer globalisierungsfeindlichen, populistischen Anti-Establishment-Rhetorik erfolgreich. Das Aufbegehren gegen die Globalisierung ist eines von zwei bewegenden Motivationen für das Erstarken der neuen Rechten. Denn der unglaubliche Wohlstand des Freihandels der letzten fünf Dekaden ist – in den USA noch stärker als in Europa – vor allem den Vermögenden zugekommen. Die Politik hat es verpasst, Globalisierung für alle zum Vorteil zu machen. Donald Trump spricht 2013 auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) in National Harbor, Maryland. Foto: Gage Skidmore, CC-by-SA 2.0 Ein weiterer Aspekt ist die Kultur. Eine vorher männlich und anglo-protestantisch geprägte Vorherrschaft hat zuerst Widerspruch erhalten, um sich dann im Meinungspluralismus der sozialen Medien zu zerstäuben. Es geht an die Privilegien der Wespen, also der weißen, anglo-sächsischen Protestanten, und führt zur subjektiv wahrgenommenen Benachteiligung. Black Lives Matter und die feministische Anti-Rape-Bewegung an amerikanischen Colleges sind sowohl Ausdruck des Fortschritts als auch der Dorn im Auge der konservativen Insekten. Dabei ist zu sehen, dass Amerika gerade im Hinblick auf Frauenrechte und Minderheitenschutz deutlich weiter ist als das europäische Festland. Positive Diskriminierung (also Quotenschutz für Minderheiten) sowie scharfe sexuelle Belästigungsgesetze sind seit Jahrzehnten Alltag. Der neue Kulturkampf, er geht um trigger warnings und safe spaces, um Sensibilisierungskurse gegenüber sexueller Gewalt. Solche Veränderungen bringen auch Konflikte und Übertreibungen mit sich. Wenige Videos zeigen das starke Polarisierungspotential so gut wie hier die Eskalation des Gespräches eines Deans mit seiner Studentin über adäquate Halloween-Kostüme. Im Grunde ist es diese ökonomische und kulturelle Ohnmacht, die zur Radikalisierung und damit zu Trump führt. Der Kern der Trump-Anhänger hat sicherlich beides erlebt. Diese Kränkung und das damit einhergehende Ohnmachtsgefühl verändern nicht nur den politischen Ton, sondern auch das Ziel. Der Diskurs bleibt auf einer emotionalen Ebene, weil er versucht, diese Kränkung zu tilgen. Das Ziel dabei ist das Brechen des Status Quo, also ultimative Rache. Das Cockpit soll gestürmt werden. Trump als Kandidat ohne politische Historie, dafür aber mit viel Chuzpe und großzügig interpretierbaren politischen Aktionsplänen ist da ein denkbar gut geeigneter Rammbock, aber ein zweifelhafter Pilot. Ob Trump ein Faschist ist, wie Fred Turner in der Zeit behauptet, sei dahingestellt. Eine Historie und Ideologie von völkischem Gedankengut, wie es beispielsweise in der AfD verbreitet wird, kann man Donald Trump nicht unterstellen: Noch 2001 registrierte er sich als demokratischer Wähler und spendete lange mehr Geld an die Partei seiner heutigen Konkurrentin. Viele behaupten, er würde sich während seiner Amtszeit mäßigen und im Wahlkampf geäußerte Forderungen stark relativieren. Aus europäischer Sicht wissen wir, wie gefährlich es ist, extremen Positionen Mäßigungspotential zu unterstellen. Wir sollten davon ausgehen, dass Trump auch das macht, was er sagt.