06.03.2017 NATURSCHUTZ UND NATURSCHUTZBIO LO GIE Warum Naturschutz betreiben? Florian Knaus 2 1 06.03.2017 WAS IST NATUR? 3 WAS IST NATUR? Meinungen: Gebiete, welche vom Menschen unangetastet sind (trad. Naturschützer) Mein Produktionsraum, meine Ressource (Landwirte) Die gesamte Planet, unser Kosmos, die Welt (Romantiker) Alles ausserhalb meines Hauses, das lebt (Optimisten) Eine gigantische Maschine, welche Regeln und Ordnungen folgt (Metaphysiker) Die schönen Orte draussen (Bon vivants) Gottes Schöpfung (Gläubige) Fa zit « Die Natur», von der so häufig per sonifizierend g esprochen wird, g ibt es nicht! J edem « seine» Na tur u nd somit « seinen» Natur schutz! 4 2 06.03.2017 http://sedac.ciesin.columbia.edu/data/set/wil dareas-v2-human-influence-index-geographic WISSENSCHAFTLICHER ANSATZ ZUR «NATUR» Human influence index 5 «NATUR» IM WANDEL DER ZEIT Vor der modernen Gesellschaft: Schutz des Menschen vor der Natur Industrialisierung Aufklärung Urbanisierung Individualisierung Entfremdung Romantisierung Moderne Gesellschaft: Schutz der Natur vor der Gesellschaft 6 3 06.03.2017 «NATUR» IN LITERATUR UND KUNST Descartes 1630: eine Maschine, ein System, das analysiert werden kann. Rousseau 1761: der Ursprung der Menschheit, ein göttlicher, spiritueller Ort Goethe 1820: Inspiration, Mysterium, Ort Gottes, das Gegenteil der hässlichen Städte Lovelock 1990: ein komplexer Superorganismus 7 NATUR UND KULTUR Bilder als Repräsentationsformen der Beziehung von Mensch zu Natur 8 4 06.03.2017 NATUR UND KULTUR 9 NATURVERSTÄNDNIS UND NATURSCHUTZ Heimatschutz (1900) Landschaften (1940) Lebensräume/Biotope (1970) Ökosysteme (1980) Prozesse (Prozessschutz, 1990) Biodiversität (1995) Ecosystem services (2000) (Pseudo-) Verwissenschaftlichung Arten (1930) Verlust der Verbindung Natur - Mensch Natürliche Monumente (1920) Ecosystem stewardship (2010) 10 5 06.03.2017 Sandbrook 2015 Oryx 49(4) WAS IST NATURSCHUTZ? Naturschutz Gesamtheit der Massnahmen zur Erhaltung wildlebender Ar ten, deren Lebensgemeinschaf ten, ihrer Lebensgrundlagen und der Landschaf t als Ganzes (=«der Natur») Praktische Seite: setzt um; entscheidet, was geschützt werden soll B ewegt sich im Umfeld von rechtlichen, politischen, ö konomischen, technischen R ahmenbedingungen Ver sucht, ver schiedene Meinungen und Interessen zu berücksichtigen Englisch: Conser vation «Actions that are intended to establish, improve or maintain good relations with nature» Oder (?): Conser vation is stopping people from doing what they want to do. 11 BEISPIELE FÜR NATURSCHUTZ 12 6 06.03.2017 WAS IST NATURSCHUTZBIOLOGIE Conservation biology (Naturschutzbiologie) A synthetic discipline that adresses the dynamics and problems of per turbed species, communities and ecosystems. S o u l é 1 9 8 5 Theoretische Seite: Befasst sich damit, wie etwas – basierend auf wissenschaftlich erforschten Zusammenhängen - geschützt werden kann 13 BEISPIEL FÜR NATURSCHUTZBIOLOGIE Aebischer et al. 2010: J Ornithology 151 Verstehen der Populationsdynamik des Uhus in der Schweiz 14 7 06.03.2017 NATURSCHUTZ Warum? 16 8 06.03.2017 GRÜNDE FÜR NATURSCHUTZ Ä s t h et i s c h e : Basis für ein sinnerfülltes Leben, Freude und Lebensqualität Schutz der Schönheit, Eigenheit und Diversität Ku l t u r el l e : Erhalten der Geschichte und Kultur der Menschheit Schutz von Bewirtschaftungsformen, Kulturlandschaf ten und Monumenten Spirituelle Zugänge Ö ko n o m i s c h e : Fundament des menschlichen Lebens und Wohls Schutz von Ressourcen (Genen, Arten, Ecosystem Ser vices, etc.; «natural capital») W i s s e n s c h a f t li c h e / ö ko l o g is c h e : Jede Art und jeder Lebensraum hat eine Rolle und Funktion in einem funktionierenden Ökosystem – Achtung: Zielvorstellungen bezüglich Ökosystemen gibt die Wissenschaf t nicht ab! Rechtliche: Praktisch jedes Land besitzt Gesetze zum Naturschutz Ethische/moralische: Nutzen/Optionen für zukünftige Generationen Jede Art, jedes Lebewesen hat ein Recht zu leben Die «Natur» um ihrer selbst willen schützen ??? 17 wikipedia.org ETHISCHE UND MORALISCHE WERTE Ethik (Wissenschaft): Die Aufgabe der Ethik ist es, Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und die Bewertung der Motive und Folgen aufzustellen. Die Ethik soll dem Menschen Hilfe für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Moral (Verhalten): Moral bezeichnet die faktischen Handlungsmuster, -Konventionen, Regeln oder -Prinzipien bestimmter Individuen, Gruppen oder Kulturen. Moral bezeichnet die subjektive Neigung, als richtig angesehene ethische Maximen zu befolgen. Im Hinblick auf den Naturschutz ist die Frage zentral: Welchen Lebewesen gebührt welche Behandlung, welcher Respekt und warum? Dies leitet sich ab aus der Antwort zur Frage, welche ethischen Werte wir welchen Lebewesen zuordnen und warum? 18 9 06.03.2017 WELCHE ETHISCHEN WERTE WEISEN WIR WELCHEN LEBEWESEN ZU UND WARUM? 19 ZENTRISMEN Anthropozentrismus (Menschen) Pathozentrismus (Höhere Tiere) Biozentrismus (Alle lebenden Organismen) Holismus (die gesamte Natur/Erde) 20 10 06.03.2017 FUNDAMENTALER HOLISMUS Alber t Schweizer (1875-1965) «Die Welt ist das grausige Schauspiel der Selbstentzweiung des Willens zum Leben. Ein Dasein setzt sich auf Kosten des anderen durch, eines zerstört das andere. Nur im denkenden Menschen ist der Wille zum Leben wissend geworden und will mit ihm solidarisch sein.» 21 INHÄRENTE UND INTRINSISCHE WERTE Ist ein Lebewesen ein philosophisches Objekt oder Subjekt? D.h.: gehört das Lebewesen zur «moralischen Gemeinschaf t», kann also moralisch handeln? Hat die «Natur» einen intrinsischen Wert? Eigenwert (inhärent): Wert für ein gutes und sinnvolles menschliches Leben Natur ist moralisches Objekt Selbstwert (intrinsisch): Wert ist unabhängig von der Mensch-NaturBeziehung Natur ist moralisches Subjekt «Intrinsischer Wert» würde bedeuten, dass die Natur einen Wert hat, der weit über menschliche Interessen und Bedürfnisse hinaus geht. Mensch und Natur wären gleichgestellt! Nicht umsetzbar in Realität! Konnte bis jetzt von Umweltethikern nicht bewiesen/hergeleitet werden! 22 11 06.03.2017 ETHISCHE WERTE «Die Natur um ihrer Selbst Willen schützen» ist kein gültiges Argument, da die Natur keinen Willen hat und wertefrei ist. Nur die Wertzuweisung des Menschen ermöglicht ethische Begründungen für Naturschutz. Wichtige ethische Begründungen verbleiben aber: Verantwortung gegenüber nächsten Generationen Aussterben von Arten nicht zulassen Leben über die eigenen Grundbedürfnisse hinaus ist fragwürdig Gemeinsame evolutionäre Geschichte aller Arten (inkl. Mensch) Mitsein mit der Natur, Mitgeschöpflichkeit und Empathie 23 Epple 2009: ONM 35, 121-150 «Es stellt sich die Frage, ob «der Mensch» als Spezies das Recht hat, seine von der Natur verliehene Freiheit so kurzsichtig auszuleben, dass er seine eigene Existenz und die der gesamten schuld- und wehrlosen Natur, aus der er selber herkommt, gefährdet.» Wolfgang Epple 24 12 06.03.2017 Worboys et al. 2005: Protected area management ZUSAMMENFASSUNG Werte der Natur Instrumental Ethisch/moralisch Relational Intrinsisch ? Nutzung Rechtlich Direkter Nutzen Indirekter Nutzen Existenz Kulturell Vermächtnis div. Ressourcen Ecosystem Services Spirituell Moralisch Ästhetisch 25 FAZIT Der Begriff «Natur» und die Vorstellungen dazu sind in jedem Menschen anders. Er ist aufgeladen mit gesellschaftlichen, normativen, ethischen, ästhetischen und anderen Werten und Wertzuweisungen. Die mit der Natur verbundenen Emotionen und Intuitionen sollten genutzt werden, um Interesse und Motivation für den Naturschutz zu gewinnen. Zahlen und wissenschaftliche Theorien eignen sich weniger. Konflikte rund um den Naturschutz verlaufen nicht zwischen «Natur und Mensch», sondern zwischen Menschen unterschiedlicher Interessen und Ansichten zur «Natur» Die Wissenschaft - als wertefreies System - sollte NICHT als Grundlage für die Naturschutzbewegung benutzt werden! 26 13 06.03.2017 Reichholf 2016: Naturschutz. Krise und Zukunft. Edition unseld SV. Suhrkamp, Berlin. «Nur die Naturschützer glauben, sie müssten so tun, als ginge es bei der Erhaltung vom Aussterben bedrohter Arten um die Rettung der ganzen Welt. Doch das ehrliche Bekenntnis «Wir wollen das! Wir wollen nicht, dass all diese einzigar tigen Ar ten aussterben!» bringt dem Naturschutz gewiss weit mehr Verständnis ein, als all jene Weltuntergansszenarien, die klingen, als seien sie der Of fenbarung des Johannes entsprungen.» Josef H. Reichholf 27 14