Der HIV-Test - Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e.V.

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8.Bayerisches Forum AIDS-Prävention
Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e.V. (LZG)
Ismaning, 14.-15. Juli 2009
HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen –
wechselseitige Beeinflussung
Dr. Ulrich Marcus
Robert-Koch-Institut
Fachgebiet HIV und andere sexuell und durch Blut übertragene Erreger
Die HIV-Infektion ist eine überwiegend sexuell übertragene Infektion. Die Beziehung von HIV
zu anderen sexuell übertragbaren Erregern ist durch Wechselwirkungen auf verschiedenen
Ebenen charakterisiert.
Ebene 1: Infektiosität von HIV und anderen STI bei Ko-Infektion
In vielen Fällen von HIV-STI-Ko-Infektionen ist die Infektiosität von HIV erhöht. Ursachen
dafür sind u.a. lokale und systemische Immunstimulation durch STI, Schleimhautläsionen
und –defekte die die natürliche Barrierefunktion beeinträchtigen, längere und schwerere STIErkrankungsverläufe bei beeinträchtigter Immunitätslage.
Ebene 2: Suszeptibilität für HIV und andere STI bei entsprechender Exposition
Das Vorliegen einer STI kann über verschiedene Mechanismen (Schleimhautläsionen, Konzentration HIV-empfänglicher Zellen, Korezeptorenexpression) dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit einer Infektion bei einer HIV-Exposition zu erhöhen.
Ebene 3: Erkrankungsdauer und –schwere von sexuell erworbenen Infektionen
Bei einer durch die HIV-Infektion beeinträchtigten Immunitätslage können Schwere und Dauer von Erkrankungsmanifestationen sexuell übertragbarer Infektionen zunehmen (v.a. HSV2, HPV, HHV-6 (KSHV), HBV, EBV, Syphilis(?))
Ebene 4: Ko-Prävalenz und Ko-Inzidenz von HIV und STI
Auf Grund des gemeinsamen Übertragungswegs konzentrieren sich HIV und viele STIs in
denselben Bevölkerungsgruppen. Ko-Epidemien sind daher häufig.
Ebene 5: Auswirkungen von HIV-Präventionsstrategien auf Epidemiologie von STI
Reduktion von Partnerzahlen und vermehrter Kondomgebrauch als Reaktion auf die Ausbreitung von HIV führten in vielen Ländern und Bevölkerungsgruppen auch zu einer Verminderung von STI. Selektiv auf HIV ausgerichtete Präventionsansätze (HIV-Serosorting, EKAF,
PrEP, ggf. Mikrobizide, Impfung) können durch verminderte Verwendung unspezifischer Präventionsstrategien (Partnerreduktion, Barrieremethoden) gegenteilige Auswirkungen auf die
Verbreitung von STI haben. Dies wird auch als „risk compensation“
bezeichnet.
HIV-STI-Wechselwirkungen im Zeitverlauf
Am Beispiel der Verhaltensänderungen bei MSM in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre sollen deren Auswirkungen auf die Epidemiologie von STI und HIV beschrieben werden.
Die epidemiologischen Beobachtungen und Befunde der Verhaltenssurveillance bei MSM in
Deutschland legen folgende Kette von Entwicklungen nahe:
Die Zahl der Sexualpartner und die Häufigkeit penetrierender Sexualpraktiken nimmt etwa ab
1993 nach einem durch HIV ausgelösten Rückgang allmählich wieder zu. Penetrierender
Analverkehr wird jedoch zunächst vorwiegend mit Kondom ausgeübt, bei Oralverkehr wird
auf Ejakulation im Mund in der Regel verzichtet.
Verlängerte Überlebenszeit und verbesserte Lebensqualität von HIV-Infizierten durch antiretrovirale Kombinationstherapie (seit 1996). Anzahl und Anteil sexuell aktiver HIV-positiver
MSM nehmen zu, ebenso aber auch die Anzahl und der Anteil Therapierter, und seit einigen
Jahren auch der erfolgreich Therapierten (VL unter der Nachweisgrenze).
Die Erfahrung von Stigmatisierung auf Grund des positiven HIV-Status fördert – primär in
Regionen mit hoher HIV-Prävalenz bei MSM - die Ausbildung eines RisikomanagementAnsatzes des „positiven HIV-Serosorting“ („Barebacking“). Diese erhält weiteren Schub
durch die zunehmende Verbreitung des Internet, welches als neues Kommunikationsmittel
die Suche nach Sexualpartnern mit bestimmten Eigenschaften (z.B. positiver HIV-Status)
erheblich erleichtert.
Durch die zunehmende Adaptation des HIV-Serosorting unter HIV-positiven MSM wiederersteht eine „Kerngruppe“ von Personen, die durch eine hohe Frequenz ungeschützter penetrierender Sexualkontakte und hohe Partnerzahlen charakterisiert ist. In dieser Kerngruppe
baut sich eine hohe Prävalenz und Inzidenz sexuell übertragbarer Infektionen auf.
Dies ermöglicht die Re-Etablierung einer endemischen Syphiliszirkulation und „Ausbrüche“
anderer STI (LGV, HCV). Fehlende Strukturierung und Beeinflussung der sich entwickelnden
Diskurse zur präventiven Rolle von HIV-Testung begünstigen die Adaptation von „negativem
Serosorting“ als einer Risikomanagementstrategie in Teilgruppen von MSM. Stigma-bedingt
erklärbare nicht-explizite Serostatuskommunikation, fehlerhafte Einschätzung des HIVSerostatus, begünstigt durch Irrtums-behaftete Risikoeinschätzungen (z.B. von strat. Positionierung), vermindern die Wirksamkeit von HIV-Serosorting. Erhöhte Prävalenz und Inzidenz
von STIs erhöhen die Übertragungswahrscheinlichkeit für HIV bei ungeschützten serodiskordanten Kontakten.
Konsequenzen für Präventionsstrategien
Unreflektierte HIV-Test-Propagierung kann in Gruppen mit hohen Partnerzahlen negative
Folgen nach sich ziehen und paradoxerweise zu einer Zunahme der HIV-Inzidenz beitragen.
Zusätzlich zu HIV-Testangeboten müssen
- Sexuelle Gesundheit allgemein stärker in den Vordergrund rücken (vorurteilsfrei auch bei
HIV-Positiven, z.B. Angebote zur anonymen Testung, Screening-Angebote)
- Kommunikationsfähigkeit über HIV und HIV-Status gestärkt und Stigmatisierung von HIV
abgebaut werden
- Strukturelle Risiken (z.B. hohe Partnerzahlen) verdeutlicht und nach Möglichkeit verringert werden (schwule Männer haben nicht „zu viel“ Sex, sondern höchstens „zu viele“
Sexpartner).
Ein früherer Einsatz antiretroviraler Therapie unter präventivem Aspekt und der Einsatz antiretroviraler Prophylaxe als PrEP oder Mikrobizid bedürfen eines sorgfältigen Monitorings und
der Kommunikation möglicher unerwünschter Effekte, z.B. auf STI-Inzidenz.
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