Vorhabensbeschreibung Das journalistische Selbstverständnis der staatlichen und private Presse Ghanas im Vergleich Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den entwickelten Industriestaaten und den Schwellen- und Entwicklungsländern ist immens. So entfällt mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttonationaleinkommens auf die industrialisierten Staaten, obwohl sie nur ein Sechstel der globalen Bevölkerung stellen (eigene Berechnung nach The World Bank Group 2007). Währenddessen lebt ein Viertel der unterernährten Menschen im subsaharischen Afrika, obwohl dort lediglich ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt (eigene Berechnung nach The World Bank Group 2007, United Nations Statistics Division 2008). Diese Kluft zu reduzieren ist ein wichtiges Ziel der internationalen Politik, das beispielsweise in den Millenniumszielen der Vereinten Nationen von allen 192 Mitgliedsstaaten festgelegt wurde. Jedoch stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln eine erfolgreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung erreicht und die enorme Ungleichheit verringert werden kann. Bereits nach der Unabhängigkeit der ersten Staaten im subsaharischen Afrika kam in diesen Ländern während der 1960er Jahre die Diskussion auf, wie die Medien zu organisieren seien und berichten sollten um zur Entwicklung beizutragen. Nach diesem journalistischen Verständnis soll die Massenkommunikation nicht wie in den westlichen Industrieländern über möglichst aktuelle Ereignisse berichten, sondern in erster Linie die Bevölkerung zu bilden. Dadurch soll erreicht werden, dass die Menschen am ökonomischen, politischen und sozialen Prozessen teilnehmen können und somit das Potential der gesamten Gesellschaft im Entwicklungsprozess genutzt wird. Dieses journalistische Verständnis wird „Development Journalism“ oder Entwicklungsjournalismus genannt und unterscheidet sich folglich vom westlich geprägten Journalismus vor allem durch seine Zielsetzung zur Entwicklung beizutragen (vgl. Kunczik 1986: 262-264). Diese Magisterarbeit soll überprüfen, ob ein Unterschied im Journalismusverständnis zwischen den Medien in staatlichen und privaten Besitz im westafrikanischen Land Ghana besteht und inwiefern dieser von der Bevölkerung wahrgenommen wird. Die Eigentumsverhältnisse werden als zentrale Bruchstelle und Unterscheidungsmerkmal für das journalistische Selbstverständnis ausgewählt, da davon auszugehen ist, dass die jeweiligen Eigentümer unterschiedliche Interessen verfolgen. Während die Regierung als Eigentümer der staatlichen Presse eher politische Ziele verfolgten könnte, werden sich die privaten Zeitungen wohl stärker auf wirtschaftliche Ziele in Form von Gewinnen konzentrieren. Ghana eignet sich aus mehreren Gründen für diese Untersuchung. Seit 1992 kann die Republik Ghana als Demokratie bezeichnet werden. In diesem Jahr gab sich das Land eine neue Verfassung und es wurden bei den anschließenden Wahlen mehrere Parteien zugelassen. Die 1 Wahlen selbst wurden von internationalen Beobachtern als frei und fair gewertet. Der erste demokratische Regierungswechsel fand im Jahr 2000 nach gleichermaßen freien Wahlen statt (vgl. Schicho 2001: 205-208). Das gleiche gilt für die Wahlen im vergangenen Jahr. Freedom House stuft das Land ebenfalls als frei ein (vgl. Freedom House 2009). Da die ghanaische Verfassung zusammen mit Demokratie auch Medienfreiheit garantiert, hat sich seit 1992 eine freie Medienlandschaft etabliert. Diese braucht nach einer Studie zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen den Vergleich mit den etablierten westlichen Demokratien nicht zu scheuen. So liegt Ghana in der Rangliste auf Platz 31 und damit vor Frankreich, den USA, Spanien und Italien (vgl. Reporter ohne Grenzen 2009: 1-4). Gleichzeitig ist Ghana mit den typischen Problemen eines Entwicklungslandes konfrontiert. So sind beispielsweise nicht einmal zwei Drittel der Bevölkerung alphabetisiert und knapp ein Drittel müssen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen. Insgesamt landet Ghana auf Platz 142 von 179 untersuchten Staaten im aktuellen Weltentwicklungsbericht des UN-Entwicklungsprogramms (vgl. UNDP 2008, United Nations Statistics Division 2008). Gerade die Tatsache, dass ein Drittel der ghanaischen Bevölkerung Analphabeten sind, lässt die Wahl der Presse als Untersuchungsgegenstand fragwürdig erscheinen, da auch im Rundfunk staatliche und private Stationen nebeneinander existieren. Jedoch zieht die Ethnologin Jennifer Hasty nach ihrer Feldforschung in Ghana während der 1990er Jahre den Schluss: „Newspaper form the nexus of this news discourse in Ghana.“ (Hasty 2005: 2). Demnach sind Kioske in den größeren Städten allgegenwärtig und die Menschen unterhalten sich häufig über die neusten Schlagzeilen. Analphabeten erfahren von den Inhalten durch Bildberichterstattung oder ihnen werden die Artikel vorgelesen. Außerdem werden die wichtigsten Zeitungsartikel täglich im Fernsehen und Radio besprochen. Auf dem ghanaischen Pressemarkt gibt es mehr als 135 private Zeitungen, die jedoch oftmals finanzielle Schwierigkeiten haben. Aus diesem Grund herrscht eine große Fluktuation und Dynamik. Daneben existieren zwei Zeitungen, die sich in Besitz des Staates befinden: Daily Graphic und Ghanaian Times. Dabei ist der Daily Graphic die auflagenstärkste ghanaische Zeitung. Im Gegensatz zu anderen Disziplinen hat die Publizistik die Forschung über Afrika südlich der Sahara vernachlässigt. So hat sich seit den 1980ern die Ethnologie verstärkt der afrikanischen Medienkultur gewidmet, wodurch der größte Teil der Publikationen über Medien in Afrika ethnologischer Natur ist. Aus diesem Grund sollen in dieser Magisterarbeit sowohl die in der Publizistik vorherrschenden quantitativen Methoden der Inhaltsanalyse und standardisierten Befragung als auch die bevorzugte qualitative Methode des teilnehmenden Beobachtens aus der Ethnologie genutzt werden. Dabei wird sich teilweise am Vorgehen der Publizistikwissenschaftler Ulrich Saxer und René Grossenbacher (Grossenbacher 1988, Saxer/Grossenacher 1987) sowie der Ethnologen Jennifer Hasty (2005) und Frank Wittmann (2007) orientiert. 2 Die Arbeit beginnt nach der Einleitung mit den theoretischen Grundlagen. Dazu werden die verschiedenen existierenden journalistischen Formen und Typen präsentiert. Der Fokus liegt hierbei auf dem Unterschied zwischen dem Entwicklungsjournalismus und dem Journalismus westlicher Prägung. Darauf folgt der empirische Abschnitt. Er beginnt mit der generellen Darstellung des Presseund Medienwesens Ghanas und dessen Rahmenbedingungen. Dazu gehört ebenfalls eine kurze Präsentation der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen, kulturellen und historischen Gegebenheiten des Landes und ihrer Bedeutung für die Medien. Eine solche Skizzierung ist notwendig, da für den durchschnittlich gebildeten westlichen Leser die Staaten südlich der Sahara weitestgehend unbekannt sind, weshalb eine kurze Vorstellung der dortigen Lebensbedingungen zum Verständnis der Ergebnisse beiträgt. Danach folgen in jeweils drei Teilen Darstellung und Analyse der erhobenen Daten. Im ersten Teil wird die Produktion der Zeitung untersucht. Dazu soll ein mindestens vierwöchiges Praktikum bei mindestens einer ghanaischen Zeitung durchgeführt werden. Während dieses Praktikums soll durch teilnehmendes Beobachten die redaktionelle Arbeit der Journalisten analysiert werden. Um einen Vergleich zwischen den Inhalten der staatlichen und privaten Presse ziehen zu können, wird der Inhalt beider staatlichen Zeitungen sowie zweier privater Zeitungen mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht. Dabei wird nur der politische Teil der Zeitungen untersucht um eine Aussage über deren Tendenzen zu erhalten und vergleichen zu können. Die Analyse soll von der vorletzten Wahl 2004 bis heute reichen, wobei die Auswahl der Ausgaben durch den Zufall erfolgt und auch von der Verfügbarkeit der Zeitungsarchive abhängt. Mit diesen beiden Analysen soll überprüft werden, ob sich Arbeitsweise und Inhalte insofern voneinander unterscheiden, dass von verschiedenen journalistischen Vorstellungen ausgegangen werden kann. Jedoch reicht eine Betrachtung der Produktionsseite nicht aus. Auch die Wahrnehmung der Inhalte durch die Rezipienten ist bedeutsam, da jene gebildet bzw. aktuell informiert werden sollen. Insofern ist wichtig, ob sie selbst die Intentionen der Zeitungen wahrnehmen. Dazu soll eine quantitative Umfrage durchgeführt werden, die sich aus logistischen Gründen vor allen auf Accra beschränkt, unter Umständen jedoch auf eine weitere Stadt wie Kumasi oder Tamale ausgedehnt werden kann. Ein ersten Arbeitsentwurf für diesen Fragebogen findet sich beigefügt. Der zentrale Bestandteil dieser Befragung besteht darin, dass die Probanden zwei fiktive Artikel den jeweiligen in Ghana veröffentlichten Zeitungen zuordnen sollen. Die Artikel werden so geschrieben sein, dass sie möglichst exakt im Stile des Entwicklungsjournalismus' bzw. der westlichen Verständnisses geschrieben sind. Um den Fragebogen und das Stimulusmaterial zu verfeinern, soll wiederum mit Hilfe des teilnehmenden Beobachten das Verhalten der Menschen an Kiosken und der Zeitungskonsum an öffentlichen Plätzen und Bars analysiert werden. Dabei sollen auch Zeitungsverkäufer und -leser direkt offen befragt werden. Mit Hilfe dieser 3 qualitativen Methoden soll ein möglichst verlässlicher Fragebogen erstellt und der Eurozentrismus reduziert werden. Die so erhobenen Ergebnisse werden im Lichte der zuvor postulierten Hypothesen über das Jounalismusverständnis der beiden Zeitungsarten ausgewertet und bewertet, so dass am Ende eine Zusammenfassung dieser erfolgt. Insgesamt ist für die Datenerhebung ein Zeitraum von dreieinhalb Monaten von September bis Mitte Dezember 2009 vorgesehen. Davon entfallen vier bis acht Wochen auf das Praktikum. Eine Woche ist für die Bevölkerungsumfrage eingeplant und drei Wochen für Archivarbeit im Rahmen der Inhaltsanalyse. Die übrigen zwei Wochen dienen der Akklimatisierung und Vorbereitung. Die Datenauswertung wird in Deutschland stattfinden. 4 Literaturverzeichnis Freedom House (2009). Country Report: Ghana (2008). 19. Mai 2009, http://www.freedomhouse.org/template.cfm?page=22&country=7400&year=2008. Grossenbacher, René (1988). Journalismus in Entwicklungsländern: Medien als Träger des sozialen Wandels?. Köln: Böhlau. Hasty, Jennifer (2005). The Press and Political Culture in Ghana. Bloomington (Ind.), Indianapolis: Indiana University Press. Kunczik, Michael (1986). „Development Journalism“ - ein neuer Journalismustypus?. Publizistik, 31, 262-277. Reporter ohne Grenzen (2009). Rangliste der Pressefreiheit 2008 - Die Plätze. 19. Mai 2009, http://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/rte/docs/2008/TabelleIndex08.pdf. Saxer, Ulrich & Grossenbacher, René (1987). Medien und Entwicklungsprozess: eine empirische Studie im westafrikanischen Benin. Köln: Böhlau. Schicho, Walter (2001). Handbuch Afrika: In drei Bänden (Band 2: Westafrika und die Inseln im Pazifik). Frankfurt/Main: Brandes & Apsel Verlag. The World Bank Group (2007). Quick Query selected from World Development Indicators. 18. Mai 2009, http://ddp-ext.worldbank.org/ext/DDPQQ/member.do? method=getMembers&userid=1&queryId=135. UNDP (2008). Ghana: The Human Development Index - going beyond income. 19. Mai 2009, http://hdrstats.undp.org/2008/countries/country_fact_sheets/cty_fs_GHA.html. United Nations Statistics Division (2008). Millennium Development Goals Indicators: The official United Nations site for the MDG Indicators. 18. Mai 2009, http://mdgs.un.org/unsd/ mdg/Data.aspx. 5 Wittmann, Frank (2007). Medienkultur und Ethnographie: Ein transdisziplinärer Ansatz. Mit einer Fallstudie zu Senegal. Bielefeld: transcript. 6