TERRE S c h w e i z DES FEMMES Positionspapier «kosmetische Operationen im Genitalbereich» TERRE DES FEMMES Schweiz ist eine NGO, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen wendet. Sie setzt sich ein für ein selbstbestimmtes Leben aller Frauen und Mädchen – ungeachtet ihrer konfessionellen, politischen, ethnischen und nationalen Zugehörigkeit oder sexuellen Orientierung. Sie treibt die Gleichstellung der Geschlechter voran und bekämpft geschlechtsspezifische Gewalt in der Schweiz. Dazu unterstützt sie Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt, bildet und begleitet Fachpersonen, erarbeitet Sensibilisierungs- und Präventionsmassnahmen und leistet politische Arbeit. Ziel ist ein partnerschaftliches und gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis, frei von körperlicher, psychischer oder sexueller Diskriminierung. TERRE S c h w e i z DES FEMMES Standstrasse 32 3014 Bern +41 (0)31 311 38 79 [email protected] www.terre-des-femmes.ch PC 30-38394-5 Positionspapier zu kosmetischen Operationen im Genitalbereich Verschiedene westeuropäische Länder haben in den letzten Jahren eigene Gesetzesartikel zur Strafbarkeit von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM1) erlassen. So auch die Schweiz, deren Artikel 124 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) seit 1. Juli 2012 in Kraft ist. Diese Verbote, gedacht zum Schutz der körperlichen Integrität von Migrantinnen, bergen angesichts der steigenden Zahlen «westlicher» Frauen, die sich aus rein ästhetischen oder luststeigernden Gründen Operationen im Genitalbereich unterziehen, Probleme. Wenn FGM erwachsene Frauen betrifft, sprechen die westlichen Staaten diesen durch das Verbot die Fähigkeit zur Einwilligung in FGM per se ab, weil sie davon ausgehen, dass der gesellschaftliche Druck einen freien Willen diesbezüglich gar nicht ermögliche. Umgekehrt können «westliche» Frauen in eine medizinisch nicht notwendige, operative Veränderung ihrer Genitalien einwilligen, obwohl sie damit ebenfalls einem gesellschaftlichen Ideal nachstreben und daher der freie Wille gleichsam hinterfragt werden muss. TERRE DES FEMMES Schweiz wehrt sich gegen solche kulturell verzerrten Wertungen und sieht als konsequente Lösung einzig ein Verbot aller nicht medizinisch indizierten Genitaloperationen.2 Female Genital Mutilation Ausgenommen davon sind Geschlechtsumwandlungen von Personen im einwilligungsfähigen Alter, ein Positionspapier zum Thema Transsexualität (LGBTI insgesamt) ist in Planung. Zur Frage 1 TERRE DES FEMMES Schweiz ist sich bewusst, dass auch Männer einem gewissen Druck unterliegen, was Aussehen und Funktionalität ihrer Genitalien betrifft und hält nicht medizinisch indizierte Operationen auch dort für höchst problematisch. Dennoch lässt sich die Argumentation aus verschiedenen Gründen nicht analog auf den Vergleich zwischen kosmetischen Operationen im männlichen Genitalbereich und der männlichen Beschneidung übertragen. Die Debatte um ein Verbot der Knabenbeschneidung, die zurzeit in Deutschland und auch in der Schweiz heftig geführt wird, dreht sich lediglich um die Frage, ob die Knabenbeschneidung verboten werden soll. Davon, dass auch erwachsene Männer betroffen sein sollen, ist nicht die Rede. Mit ihrer gültigen Einwilligung sollen erwachsene Männer also weiterhin beschnitten werden können. Dies im Unterschied zur Situation bei den Frauen, die nach den westlichen Strafgesetzartikeln auch als mündige und urteilsfähige Personen nicht rechtsgültig in eine Beschneidung einwilligen können. Genau diese Unmöglichkeit, als erwachsene Frau in die Beschneidung einwilligen zu können, hat aber zur Forderung von TERRE DES FEMMES Schweiz nach einem Verbot kosmetischer Operationen geführt. 2 der geschlechtsangleichenden Operationen bei intersexuellen Kindern vgl. unser Positionspapier zu weiblicher Genitalverstümmelung. TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich» 3 4 Begriffe und Zahlen Unter kosmetischen Operationen im Genitalbereich3 versteht TERRE DES FEMMES Schweiz eine nicht medizinisch indizierte Veränderung der Genitalien. Beliebteste kosmetische Operation im Genitalbereich ist die Labioplastik. Dabei werden die inneren Schamlippen verkleinert, seltener auch die äusseren entweder verkleinert oder durch Einspritzen von Eigenfett oder Hyaluronsäure vergrössert. Des Weiteren werden Vaginalverjüngungen angeboten, bei denen, meist nach Dehnung durch Geburten, die Vagina gestrafft wird. Dafür gibt es verschiedene Methoden: Durch Laser kann das Gewebe zu einer Erneuerung und damit Straffung angeregt werden, ebenso werden Unterspritzungen des Scheidengewebes durch Eigenfett oder die Straffung der Vaginalmuskeln als Vaginalverjüngungen angeboten. Eine andere kosmetische Operation im Genitalbereich betrifft den GPunkt: Durch Unterspritzung mit Eigenfett oder Hyaluronsäure soll dieser umstrittene Bereich, an dem angeblich die meisten Nervenenden zusammen kommen, erhöht und damit bei der Penetration leichter erregbar werden. Eine Verlagerung der Klitoris Richtung Vaginaleingang schliesslich Umgangssprachlich auch als „Schönheitsoperationen“ bekannt. Weil dieser Begriff im Vergleich mit Weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) jedoch eine verharmlosende Wertung enthält, verwenden wir den etwas weniger wertenden Begriff „kosmetische Operationen im Genitalbereich“. 3 soll ebenfalls die Erregung durch Penetration steigern.4 Auch die Hymenrekonstruktion, also die Wiederherstellung des Jungfernhäutchens, wird zu den kosmetischen Operationen im Genitalbereich gezählt. Aufgrund des grossen kulturellen Stellenwertes des Hymens verfasst TERRE DES FEMMES Schweiz dazu ein eigenes Positionspapier. Es ist schwierig, Zahlen zu kosmetischen Operationen im Genitalbereich zu finden. In Deutschland haben die Genitaloperationen unter den kosmetischen Operationen bei Frauen in den letzten Jahren stark zugenommen5, was die folgenden Zahlen, die von der Gesellschaft für ästhetische Chirurgie Deutschland publiziert wurden, bezeugen. Waren die Genitaloperationen 2003 unter den beliebtesten Schönheitsoperationen noch gar nicht aufgeführt6, so belegen sie in der Jahresstatistik 2009 mit 1454 Operationen Platz 13 und 2010 bereits den siebten Platz.7 Diese Zunahme bewog die Gesellschaft dazu, 2011 erstmals eine Pressemitteilung zum Thema zu veröffentlichen. Preissig Simone, in: Ada Borkenhagen / Elmar Brähler (Hg.), Intimmodifikationen. Giessen 2010, S. 92 ff. 5 http://www.gacd.de/presse/pressemappe-2010/ pressetext/#statistik, aufgerufen am 1.03.2012 6 http://www.gacd.de/presse/pressemitteilungen/2003/9/3/, aufgerufen am 1.03.2012 7 http://www.gacd.de/fileadmin/user_upload/pdf/ presse2011/Presseinformation_Jahresstatistik_Schoenheitsoperationen.pdf, aufgerufen am 1.03.2012 4 TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich» 5 Für die Schweiz konnten keine konkreten Zahlen gefunden werden, der Trend dürfte aber in eine ähnliche Richtung gehen. Die Organisation ACREDIS, ein unabhängiges Beratungszentrum für plastische Chirurgie mit Sitz in Zürich, verzeichnete einen starken Anstieg an Beratungsanfragen in Bezug auf die beliebteste Genitaloperation, die Labioplastik (Verkleinerung der inneren Schamlippen). Dort stiegen die Anfragen von einer im Jahr 2007 auf 60 Anfragen 2009, und bereits in den ersten drei Monaten des Jahres 2010 traten 37 Frauen bezüglich einer Labioplastik an ACREDIS heran.8 Das Schönheitsideal einer Standardvulva Bei der Standard-Vulva, dem bei uns herrschenden Schönheitsideal, sind nur die äusseren Schamlippen sichtbar. Sie schliessen die inneren ein, die dadurch nicht mehr sichtbar sind. Damit sieht der Genitalbereich von aussen «sauber» und «schön» aus und erinnert an die Genitalien eines Mädchens, denn die inneren Schamlippen fangen erst mit der Pubertät an, über die äusseren hinauszuwachsen, und signalisieren damit Geschlechtsreife.9 http://www.acredis.com/sites/default/files/news_ docs/2010-06-08_PM_MARKTDATEN_intimchirurgie-CH.pdf, aufgerufen am 1.03.2012 9 http://sggg.ch/files/fckupload/file/Expertenbriefe/ deutsch/Expertenbrief-39_Nicht_med_indiziert_vul8 Gründe für die Herausbildung des Schönheitsideals Operationen im Genitalbereich sind sowohl ästhetisch als auch durch eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit motiviert. Der ästhetische Aspekt kann vorwiegend auf zwei gesellschaftliche Entwicklungen zurückgeführt werden: Einerseits kam die Intimrasur auf, wodurch die Genitalien sichtbar wurden. Andererseits trug die Pornographie dazu bei, ein Schönheitsideal zu entwickeln. Der Trend zur Intimrasur ist kein neues gesellschaftliches Phänomen. Schon im antiken Griechenland sind die Frauen als Statuen oft mit enthaartem Intimbereich abgebildet. Erklärungsversuche heute oder damals gibt es viele und einander entgegengesetzte: Während die eine Seite argumentiert, dass die rasierte Scham die wahre weibliche Befreiung bedeute, propagiert die andere Seite genau das Gegenteil, nämlich dass sich Frauen damit wieder einem Trend unterwerfen in Bezug auf ihre Sexualität und schlimmer, dass die Frauen dadurch ins Mädchenhafte zurückgedrängt werden. Unabhängig davon, ob die eine oder andere Haltung eingenommen wird, ist es eine Tatsache, dass durch die Intimrasur die weiblichen Genitalien sichtbar und vo-vag%20_Eingriffe.pdf, unter 1.1, aufgerufen am 08.06.2012 TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich» 6 damit vergleichbar werden. In Folge dessen entwickelte sich durch entsprechende Abbildungen in Zeitschriften und Werbung ein Schönheitsideal in Bezug auf die weiblichen Genitalien. So sind beispielsweise in Werbungen, die Frauen in Unterwäsche abbilden, kaum Schamlippen in Form einer Wölbung zwischen den Beinen sichtbar. gilt damit als Ausdruck einer befreiten und selbstbestimmen Sexualität. Es ist jedoch keineswegs selbstverständlich und natürlich, dass jeder Körper jederzeit ein hohes Mass an Lust und Befriedigung empfinden kann. Medien und Filme suggerieren, dass dies ein Defekt sei, und dass mit medizinischer Hilfe solche „Mängel“ behoben werden könnten und müssten. Diese Herausbildung eines Schönheitsideals wird verstärkt durch den vereinfachten Zugang zur Pornographie mit Auf- Warum sind kosmetische Operationen kommen des Internets. Anonym und ohne im Genitalbereich negativ? Aufwand sind pornographische Bilder für TERRE DES FEMMES Schweiz steht dem alle zugänglich. Diese offene Präsenz von Trend von kosmetischen Operationen im Bildern des freigelegten Genitalbereichs Intimbereich aus verschiedenen Gründen führte dazu, dass sich das Bild einer „Stan- kritisch gegenüber: dard-Vulva“ entwickelte. An dieser Norm messen sich Frauen nun und werden daran Medizinische Risiken gemessen. Der Wunsch, „normal“ zu sein, Zunächst einmal werden die medizinidem Durchschnitt zu entsprechen resp. die schen Gefahren von Intimoperationen in Überzeugung, dies sei eben gerade nicht der Werbung der anbietenden Chirurgen der Fall, ist in vielen Fällen Motivation, sich heruntergespielt. Der ganze Genitalbeeiner Operation zu unterziehen.10 reich ist äusserst empfindlich. Bei der KliDemgegenüber basiert der Wunsch toris handelt es sich um ein Organ, und nach einer verbesserten Funktionalität der zwar um dasjenige, auf dem die sexuelle Genitalien auf der Vorstellung, dass das Empfindsamkeit beruht. Sie kann mit dem Sexualleben jederzeit perfekt funktionie- männlichen Penis verglichen werden. Entren müsse. Der Sex muss dem optimalen, sprechend tiefgreifend sind die Folgen persönlichen Lustempfinden dienen und einer misslungenen Operation. Häufigs10 te Komplikationen sind dabei Infektionen http://topdocumentaryfilms.com/perfect-vagina/, aufgerufen am 08.06.2012 sowie http://www.acresowie zurückbleibende Narben, die beim dis.com/schoenheitsoperationen/erfahrungen/2011Geschlechtsverkehr hinderlich sind oder 03-22-schamlippenreduktion, aufgerufen am 08.06.2012 TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich» 7 schmerzen, da das Narbengewebe weniger dehnbar und weich ist als ursprüngliches Gewebe. Im schlimmsten Fall droht ein Sensibilitätsverlust, ist doch aufgrund der hohen Anzahl sensibler Nerven im Genitalbereich die Gefahr gross, dass solche bei einer Operation beschädigt werden.11 Bei jungen Frauen, die allenfalls noch Geburten vor sich haben, ist die Funktionalität zusätzlich gefährdet. Statements wie „Eine kleine Schönheitsoperation, ein problemloser schönheitschirurgischer Eingriff. Aber mit enorm großer Wirkung.“12 oder „Kleine operative Eingriffe können Ihnen den Weg in ein erfüllteres Leben eröffnen. Vielleicht intensiver denn je“13 verharmlosen das Ausmass einer solchen Operation massiv. Die Medizin macht zudem Versprechungen, die sie gar nicht halten kann. So werden etwa Erhöhungen der Lust durch Aufspritzen des G-Punktes versprochen. Dabei ist die Existenz dieses Punktes in der Wissenschaft stark umstritten. Aufgrund solcher Darstellungen muss man davon ausgehen, dass im Vorfeld der Operationen nicht genügend über die Risiken aufgeklärt wird. Dazu kommt, dass verlässliche Langzeitstudien http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/ neuro-psychiatrische_krankheiten/article/534924/ voellig-normal-wenn-kleinen-schamlippen-grossenhinausragen.html, aufgerufen am 26.06.2012 12 http://www.femmestyle.ch/schoenheitschirurgie/ genitaloperation/index.html, aufgerufen am 08.06.2012 13 http://www.sensualmedics.com/de/service/luststattfrust.html, aufgerufen am 08.06.2012 11 zu Operationen im Genitalbereich fehlen, so dass auch die längerfristigen gesundheitlichen Risiken nicht geklärt sind. Mit dem Anpreisen von Operationen als einfache Lösung werden zudem oft tiefer greifende Probleme medikalisiert, da sexuelle Befriedigung nicht ausschliesslich in einer simplen körperlichen Ursache-WirkungBeziehung funktioniert. Einschränkung der Selbstbestimmung Was die ästhetische Motivation für eine Operation betrifft, so stört sich TERRE DES FEMMES Schweiz daran, dass sich in diesem Bereich ein unrealistisches ästhetisches Ideal gebildet hat und dieses als erstrebenswert erachtet wird. Von Natur aus besteht eine grosse ästhetische Vielfalt an weiblichen Genitalien.14 Den Frauen wird aber suggeriert, dass es eine Norm gebe und sie einen Grossteil ihrer Energie in die Veränderung ihres Körpers stecken müssten, um dem Ideal zu entsprechen und damit Anerkennung zu erlangen (siehe dazu das Positionspapier zum Thema Sexismus). Das oft vorgebrachte Argument, die Operation sei zum Besten der Frauen, da sie ihr Selbstwertgefühl vergrössere, greift zu http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/ neuro-psychiatrische_krankheiten/article/534924/ voellig-normal-wenn-kleinen-schamlippen-grossenhinausragen.html, oder http://www.dontpaniconline.com/magazine/radar/the-great-wall-of-vagina, beide aufgerufen am 26.06.2012 14 TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich» 8 kurz. Zwar kann dieses durch eine Operation kurzfristig gesteigert werden; dass ein entsprechendes Aussehen aber überhaupt nötig ist, um Wertschätzung und gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren, verletzt die Menschenrechte der Selbstbestimmung, der freien Entfaltung und der Würde der Frau. Auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird tangiert, indem der Druck Frauen dazu bringt, sich selbst zu verletzen. Konkreter formuliert sind diese Rechte in CEDAW, dem UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau aus dem Jahr 1979, das das Recht auf Schutz der Gesundheit sowie die Beseitigung von sozialen und kulturellen Verhaltensmustern, die auf stereotypen Rollenverteilungen beruhen, statuiert. Mit der Durchführung von kosmetischen Operationen verschärft sich das Problem des Schönheitsideals zusätzlich: Je mehr Frauen operiert sind, desto mehr wird dieses Ideal tatsächlich zur Norm und entsprechend vergrössert sich der Druck auf nichtoperierte Frauen. Profit für eine ganze Branche Von weiblichen Schönheitsidealen profitiert eine ganze Branche: Die Schönheitsindustrie erzielt Milliardenumsätze auf Kosten der Frauen, indem sie mithilft, unrealistische Ideale aufrecht zu erhalten, um den Frauen anschliessend die eigenen Produkte als Lösung des «Problems» anzubieten. Dies beginnt bei den dekorativen Kosmetika, deren schweizweiter Jahresumsatz mit 369 Millionen CHF rund doppelt so gross ist wie der schweizweite Jahresumsatz für Körperreinigungsprodukte15, und endet bei der tiefgreifendsten und irreversibelsten Form der «Verbesserung», den Schönheitsoperationen im Genitalbereich. Aber nicht nur das ästhetische Ideal ist stossend, sondern auch das funktionelle. Orgasmus durch Penetration als Norm Die Werbung für kosmetische Operationen erklärt die Steigerung der weiblichen Orgasmusfähigkeit zu ihrem Ziel. Damit meint sie den Orgasmus durch Penetration, beispielsweise aufgrund eines durch Erhöhung bei der Penetration leichter erregbaren G-Punktes, oder einer Klitorisverlagerung näher zum Vaginaleingang. Der Orgasmus durch Penetration wird damit zu einer Norm gemacht, obwohl dies nicht von jedem weiblichen Körper mühelos erreicht werden kann.16 Diese Normbildung wird begünstigt durch den Umstand, dass Zahlen für das Jahr 2010: http://www.skw-cds. ch/Zahlen-Fakten.183.0.html, aufgerufen am 19.06.2012 16 Dies wird auch nicht immer gewollt, da die Penetration als Symbol männlicher Herrschaft verstanden werden kann, kommt dem Mann doch bei der Penetration die aktive, der Frau hingegen die passive Rolle zu. 15 TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich» 9 weibliche Befriedigung weniger sichtbar ist als männliche und daher auch nicht messbar ist. In Folge dieser Normbildung erscheint der weibliche Körper als fehlerhaft, wenn er nicht durch Penetration zum Orgasmus kommt. Die Schönheitschirurgie bietet dabei die Operation als Lösung für diesen „Defekt“ an, anstatt die weiblichen Befriedigungsmöglichkeiten neben der klar sichtbaren, durch Penetration entstehenden männlichen Erektion als eigenständige Form stehen zu lassen.17 Kosmetische Operationen im Genitalbereich versus weibliche Genitalverstümmelung FGM18 Schliesslich gilt es, das westliche Entsetzen über weibliche Genitalverstümmelung in einen Bezug zur Praxis von kosmetischen Operationen im Genitalbereich zu stellen. Der Hauptunterschied zwischen weiblicher Genitalverstümmelungen und kosmetischen Operationen im Genitalbereich liegt in der Einwilligung in letztere. FGM hingegen wird grösstenteils an Babys oder Kindern durchgeführt, die sich nicht wehren können und keine Einwilligung zum Eingriff gegeben haben. Zudem sind er Borkenhagen Ada, in: Intimmodifikationen, Ada Borkenhagen / Elmar Brähler (Hg.). Giessen 2010, S. 107. 18 Vgl. dazu auch das Positionspapier zu weiblicher Genitalverstümmelung von TERRE DES FEMMES Schweiz. 17 wachsene Frauen aus von FGM betroffenen Gemeinschaften, in denen Beschneidung eine gewichtige soziale Norm darstellt und die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft determiniert, ungleich stärkerem Druck ausgesetzt als «westliche» Frauen in Bezug auf kosmetische Operationen. Trotz dieser Unterschiede gibt es Parallelen zwischen den kosmetischen Operationen im Genitalbereich und FGM. Bei der Exzision beispielsweise, einer der vier Formen weiblicher Genitalverstümmelung, werden die inneren Schamlippen entfernt und damit von aussen unsichtbar, was genau dem Schönheitsideal entspricht, das Patientinnen anstreben, die sich einer Schamlippenverkleinerung unterziehen. Auch einige Schönheitschirurgen scheinen sich möglicher Parallelen bewusst zu sein und fühlen sich dazu verpflichtet, sich explizit von FGM zu distanzieren.19 Auch die gesundheitlichen Risiken von FGM, die bei der Bekämpfung von FGM jeweils als schlagendes Gegenargument aufgeführt werden, sind bei kosmetischen Operationen im Genitabereich gegeben. Dies je länger je mehr, geht der Trend doch dahin, dass FGM immer mehr auch im klinisch sauberen Umfeld von Spitälern durchgeführt wird. Es ist also rein medizinisch nicht leicht zu rechtfertigen, kosmetische Operationen zu Vgl. dazu www.intim-op.eu, aufgerufen am 08.06.2012 19 TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich» 10 akzeptieren, während man FGM als unzivilisiert bezeichnet. Zudem ist das Argument der Einwilligung nur beschränkt stichhaltig. In einer Gesellschaft, in der Frauen weiterhin zu einem viel grösseren Anteil als Männer über ihr Äusseres beurteilt werden und von klein auf darauf getrimmt werden, dass die Schönheit ihr wichtigstes Kapital sei, muss die Freiwilligkeit in Bezug auf eine so wichtige „freie“ Entscheidung wie eine Genitaloperation, auch wenn es sich um urteilsfähige Frauen handelt, hinterfragt werden. Frauen, die sich einer kosmetischen Operationen im Genitalbereich unterziehen unterliegen «nur» dem gesellschaftlichen Zwang des makellosen Idealkörpers, dem Prototyp Frau. Von «Freiwilligkeit» zu sprechen ist an sich schon problematisch. Es geht bspw. in den Medien nicht um Vielfalt von Frauenkörpern und Individuen. «Fremdzwänge» werden in der Überzeugung des Individuums in Eigenzwänge umgewandelt. Das Individuum verändert seinen Körper und lässt ihn verändern, um in der Gruppe bestehen zu können, dabei zu sein, «in» zu sein und seine Zugehörigkeit zu einer speziellen Gemeinschaft zu kennzeichnen.20 Schliesslich haben beide Praktiken gemein, dass Frau Kern, Vanessa – Nino: Unversehrte Genitalien sind keine Selbstverständlichkeit. In: Transdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung (Hg.): Female Genital Cutting. Die Schwierigkeit sich zu positionieren. Berlin 2005. Bulletin Bd. 28, S. 78-84. en ihre Genitalien verändern müssen, um einem gesellschaftlichen Ideal zu entsprechen. Das Problem der Vergleichbarkeit beider Praktiken stellt sich zudem in juristischer Hinsicht: Immer mehr westliche Staaten stellen FGM explizit mit einem eigenen Gesetzartikel unter Strafe. Obwohl auch kosmetische Operationen im Genitalbereich unter die entsprechenden Gesetzestexte subsumiert werden müssten, da beide Tätigkeiten unter die im Wortlaut beschriebenen Praktiken fallen, wollen die Gesetzgeber kosmetische Operationen von dem Verbot explizit ausnehmen.21 Dies stellt eine Diskriminierung dar, setzt man kosmetische Genitaloperationen einer Beschneidung einer Frau im einwilligungsfähigen Alter gegenüber. Um diese Ungleichbehandlung zu vermeiden, muss man konsequenterweise eine Einwilligungsmöglichkeit sowohl für kosmetische Operationen im Genitalbereich als auch für FGM akzeptieren oder aber Schönheitsoperationen völlig verbieten. Forderungen von TERRE DES FEMMES Schweiz Vor diesen Hintergründen sieht sich 20 Vgl. dazu die Parlamentsdebatte zum Art. 124 StGB: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/ n/4816/343958/d_n_4816_343958_344156.htm, aufgerufen am 08.06.2012 21 TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich» 11 TERRE DES FEMMES Schweiz gezwungen, parallel zum Verbot von FGM ein Verbot nicht medizinisch indizierter Operationen im Genitalbereich zu fordern. Es ist uns bewusst, dass ein Verbot den Druck auf die Frauen nicht mindert und auch keinen Beitrag zur Akzeptanz einer natürlichen weiblichen Sexualität leistet (genauso wie beim Verbot von FGM). Dennoch sehen wir ein Verbot als einzige mögliche Konsequenz in Bezug auf das Verbot von FGM. Damit lässt sich die Diskriminierung, die durch dieses Gesetz entstanden ist, wieder aufheben und zeigt, dass in unserer Gesellschaft die Unversehrtheit aller weiblichen Genitalien einen wichtigen Stellenwert hat. - Ein Werbeverbot für sämtliche Arten von Schönheitsoperationen im Genitalbereich. - Kosmetische Genitaloperationen dürfen nur durch eine Ärztin /einen Arzt für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie durchgeführt werden. - Vor jedem Eingriff muss eine psychosexuelle Beratung durch eine unabhängige Fachperson angeboten werden, um einseitige Beratung, die auf eine Operation hinzielt, zu vermeiden. - Vor jedem Eingriff müssen den Betroffenen Informationen über die medizinischen und psychologischen Risiken, über die Anatomie des weiblichen Sexualorgans, deren operative Verletzung und mögliche Folgen für die Sexualität mitgegeben werden. Parallel zum Verbot fordert TERRE DES FEMMES Schweiz, Massnahmen gegen die Bildung von Stereotypen ästhetischer und funktioneller Art, die die freie Entfaltung des (in diesem Fall weiblichen) Individuums - Operationen dürfen unabhängig von eibehindern.22 Zudem sollte die Aufklärung ner Einwilligung der Eltern nicht an unter im Sexualunterricht auch das Thema Aus18-Jährigen durchgeführt werden. sehen der Genitalien /ästhetische Vielfalt der Genitalien inkl. der Ästhetik der Genita- - Es dürfen für die Operation nur ausgewählte medizinische Methoden angelien in Pornos behandeln und den Trend zu wandt werden, zu deren Erfolgschancen Schönheitsoperationen thematisieren. wissenschaftliche Langzeitstudien besteBis zur Umsetzung eines Verbots forhen. dert TERRE DES FEMMES Schweiz folgende Bern, Juli 2012 Massnahmen: Siehe dazu unser Positionspapier zu Frauen in Medien, Wirtschaft & Werbung 22 TERRE DES FEMMES Schweiz | Positionspapier «Kosmetische Operationen im Genitalbereich»