Predigt - Nydegg

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Sonntag, 2.3.2014, Tag der Kranken, Predigt zu Markus 1,40-45 heilend berührt
Nydeggkirche Bern,
Markus Niederhäuser
Jesus, der Christus hat gewaltig gewirkt durch sein Wort, doch auch
durch seine Tat. Bereits ganz am Anfang des Evangeliums hören wir
von Heilungen, die durch IHN geschehen konnten.
Ich lese Ihnen aus dem 1. Kapitel des Markusevangeliums:
40 Und es kommt ein Aussätziger zu ihm, fällt auf die Knie, bittet ihn und sagt:
Wenn du willst, kannst du mich rein machen. 41 Und er fühlte Mitleid, streckte
seine Hand aus, berührte ihn und sagt zu ihm: Ich will es, sei rein! 42 Und
sogleich wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein. 43 Und er fuhr ihn an
und schickte ihn auf der Stelle weg, 44 und er sagt zu ihm: Sieh zu, dass du
niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester, und bring für
deine Reinigung dar, was Mose angeordnet hat – ihnen zum Zeugnis.
45 Der aber ging weg und fing an, es überall kundzutun und die Sache bekannt
zu machen, so dass Jesus sich kaum mehr in einer Stadt sehen lassen konnte,
sondern draussen an abgelegenen Orten blieb. Und sie kamen zu ihm von
überall her.
Als erstes eine Frage, liebe Gemeinde:
Was tun wir, wenn wir in Not sind und dringend Hilfe brauchen? –
Wir wenden uns einem anderen zu, suchen seine Nähe. Wir wenden uns
an die Partnerin, den Ehemann, an eine Freundin, vielleicht an einen
Arzt.
Und wenn die Not drängend ist – wenden wir uns an Tel. 143 oder 144
oder einfach an die nächst beste Person, in der Hoffnung, sie könne uns
helfen. – Nun gibt es eine Not, in der dies den Menschen versagt ist:
die Krankheit des Aussatzes. Wer vom Aussatz befallen ist, wird aus der
Gemeinschaft ausgestossen, wird gezwungen, auf Distanz zu gehen.
Von weitem muss der Erkrankte auf sich aufmerksam machen und
andere warnen, dass sie ihm nur ja nicht zu nahe kommen. So war es
der Brauch zur Zeit Jesu. So war es festgeschrieben in den heiligen
Gesetzen, die das Leben der Gemeinschaft regelten. Wer vom Aussatz
befallen wurde, traf ein hartes Schicksal. Nicht nur, dass er an dieser
furchtbaren Krankheit litt, er musste alleine mit ihr fertig werden, wurde
gemieden, ausgestossen aus der Gesellschaft, eben aus-gesetzt.
Im 3. Buch Mose heisst es: Es soll der Aussätzige, der die Krankheit an sich
hat, zerrissene Kleider tragen, die Haare frei flattern lassen und den Bart
verhüllen, und er soll so rufen: „Unrein, unrein!“ Solange er die Krankheit an
sich hat, bleibt er unrein. Er ist unrein; abgesondert soll er wohnen, seine
Wohnstätte soll ausserhalb des Lagers sein. (3. Mose 13,45-46)
Diese Regeln galten auch für den Mann, der Jesus in unserer
Geschichte entgegenkommt. Doch der hält sich, wie wir hören, nicht an
die Vorschriften! Er wagt es, die Bestimmungen des Mose in der Tora zu
übertreten. –
Natürlich hatte man ihm eingehämmert, dass sein Aussatz die Strafe
Gottes war. (4. Mose 12,9ff). Natürlich hatte man ihm beigebracht, sich
selber wie eine ansteckende Gefahr zu betrachten.
Natürlich wusste er, dass er verpflichtet war, jeder entgegen kommenden
Person von weitem zuzubrüllen: „Unrein, unrein!“, so dass man vor ihm
die Flucht ergreifen konnte. Aber diesmal flieht er nicht. Er weiss: jetzt
geht es ums Ganze. Dieses eine Mal getraut er sich in die Nähe eines
anderen und geht ihn um Hilfe an.
Und das, liebe Gemeinde, ist das erste Wunder, von dem uns das
Evangelium berichtet: Dass ein Ausgestossener den Mut hat,
Paragraphen und Vorschriften des Gesetzes zu vergessen und es
stattdessen wagt, auf Barmherzigkeit zu hoffen; dass er darauf vertraut,
dass ihn einer versteht. Mit der verzweifelten Hoffnung wirft er sich Jesus
zu Füssen: Wenn du willst, kannst du mich rein machen.
Und Jesus? Auch er müsste den Kontakt zu diesem Armseligen
vermeiden. Als Mann von Anstand und Respekt müsste er vor diesem
grausigen Haufen Mensch, der ihm da vor seinen Füssen landet,
zurückweichen. Wofür hat man schliesslich Gesetze? Die haben ihren
Sinn, sie versuchen doch die Gesellschaft vor der weiteren Ausbreitung
der Krankheit zu schützen!
Doch auch Jesus setzt sich über die Bestimmungen hinweg:
41 Und er fühlte Mitleid, streckte seine Hand aus und berührte ihn,
und er sagt zu ihm: Ich will es, sei rein!
42 Und sogleich wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein.
Immer wieder dürfen wir es an unserem Meister beobachten:
Wenn es um den Menschen geht, lässt er Konventionen, ja gar heilige
Vorschriften grosszügig ausser Acht. Er übertrat öffentlich das Gesetz,
weil er auf sein Herz hörte und dem Impuls der Menschlichkeit folgte.
In seiner Berührung hat er dem Aussätzigen seine Menschenwürde
zurückgegeben und holt ihn, der als verloren galt, in die Gemeinschaft
herein. Darin besteht das zweite Wunder.
Wenn wir die Wundererzählungen im NT verstehen wollen, müssen wir
ganz genau lesen, genau beobachten, was eigentlich geschieht. Was
Jesus tut, indem er den Kranken heilt, verdeutlicht die Art der Krankheit.
Die Symptome der Krankheit und die Symbolik des Heilungsvorgangs
entsprechen einander. Krankheiten der Haut, Ausschläge sind oftmals
psychosomatisch, eine Antwort auf mangelndes Angesprochen- und
Gestreicheltwerden. Die Haut ist ja das Organ, welches zwischen uns
und der Welt vermittelt. Wenn der notwendige menschliche Kontakt fehlt,
kann das Organ unserer Haut erkranken.
Jesus heilt diesen Mann, indem er auf seine dringende Bitte eingeht und
seine Hand nach ihm ausstreckt, Kontakt mit ihm aufnimmt. Heilung
geschieht, indem er den Unberührbaren berührt, ihn anfasst, ihn
festhält, wie man das Griechische auch übersetzen kann1.
Es ist eine heilende Berührung des ganzen Menschen, eine Berührung,
die nicht nur den Körper, sondern auch die Seele und den Geist dieses
Menschen mit einbezieht.
Was die Berührung einer menschlichen Hand auslösen kann, liebe
Gemeinde, das grenzt an ein Wunder. Ein Wunder ist es, wie
menschliche Nähe, Angst, Barrieren und Reserven überwindet.
Gerade so, wie Hände, die sich sorgfältig und heilend auf eine Wunde
legen, bewirken, dass sie zugeht.
Es gibt so viele Menschen, die ausgeschlossen sind, die einsam sind,
die nicht dazugehören. Ihre Sehnsucht nach Kontakt ist gross.
Und eigentlich gibt es ja nicht einfach hier: Gesunde und dort
Aussätzige. Ein jedes von uns hat vielleicht seine/ihre Art von „Aussatz“,
eine besondere wunde Stelle, derer er sich schämt/die ihr peinlich ist.
Wenn wir ehrlich sind: Hungern wir nicht alle selber, jede und jeder –
nach Berührung, nach Kontakt mit anderen?
Darum ist es gut, wenn wir einander unsere Hände reichen,
miteinander in Kontakt treten. Aneinander Anteil geben.
Und darum ist es gut, wenn wir uns immer wieder die Hand unseres
Herrn und Bruders vor Augen halten, Seine Hand, die er auch uns
entgegenstreckt. Es kann auch uns helfen, wenn wir das Gebet des
Ausgeschlossenen innerlich nachsprechen:
Wenn du willst, kannst du mich rein machen.
Und wenn wir dann hören dürfen: Ich will sei rein! Amen
von  anfassen, ergreifen, packen, festhalten, berühren
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