EWR17Einleitung

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Hermann Mückler
Einleitung
Ozeanien ist ein Kontinent der Superlative und der Extreme. Zwischen den wirtschaftlich
prosperierenden Gebieten Ost- und Südostasiens und dem amerikanischen Doppelkontinent
gelegen, ist die Region von strategischer, verkehrstechnischer und wirtschaftspolitischer
Bedeutung. Aus europäischer Sicht vermeintlich peripher, ist Ozeanien als Kreuzungs- und
Treffpunkt unterschiedlichster geopolitischer Interessen spätestens im 20. Jahrhundert
in den Blickpunkt der globalen Aufmerksamkeit gerückt, was sich in den Schlagworten
vom prognostizierten, aber durch die Asienkrise verzögerten »Pazifischen Jahrhundert«
und ähnlichen geographisch verorteten Prognose-Parolen niederschlug. Der eigentliche
Kernbereich der Region spielt in den Überlegungen von Wirtschaftsstrategen manchmal
nur eine nachrangige Rolle, obwohl die Großregion im Zentrum, die Pazifische Inselwelt,
eng und in vielschichtiger Weise mit den benachbarten kontinentalen Randregionen, den
so genannten Pacific Rim States, verflochten ist. Das hat nicht zuletzt für die betroffenen
Staaten Ozeaniens gravierende Auswirkungen.
Das vorliegende Buch soll genau jene Lücke schließen, die viele Werke zum Pazifik
bzw. zum Asiatisch-Pazifischen Raum aufweisen: Diese thematisieren die Pazifische
Inselwelt überwiegend im Kontext der Wechselbeziehungen zu den Rändern, was aufgrund der ethnisch-kulturellen und linguistischen Vielfalt des Zentrums unverständlich
erscheint. Der entdeckte und vermutete Ressourcenreichtum, die geostrategische Bedeutung und letztlich die Vielzahl der Kleinstaaten als Stimmengeber in internationalen
Institutionen sind von nicht unerheblicher Bedeutung für die Zukunft des Planeten. Für
Historiker, Ethnologen und Archäologen sowie Sprachwissenschaftler war die Region schon immer interessant. Die Dichte an unterschiedlichen Ethnien und Sprachen,
insbesondere in Melanesien, sucht weltweit ihresgleichen. Kultur- und Sozialanthropologen haben viele zentrale Theorien zur kulturellen Entwicklung des Menschen auf
Fallbeispielen aufgebaut, die aus Ozeanien stammen. Die historische Entwicklung der
unterschiedlichen ozeanischen Kulturen vor dem Hintergrund europäischer Entdeckung
und Kolonisation konnte durch die Tatsache, dass Ozeanien die letzte Weltregion war,
die von den Europäern überwiegend im 18. und 19. Jahrhundert entdeckt, beschrieben
und kolonisiert wurde, besonders genau und detailliert verfolgt werden. Wir haben daher
auch von Historikern zu den Pazifischen Inselkulturen umfangreiches Material, das es
ermöglicht, den Wandel schriftloser, getreideloser und (im modernen Sinn) staatenloser,
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häufig sehr kleiner, klan- und stammmäßig organisierter traditioneller Gesellschaften
zu modernen Nationalstaaten zu verfolgen und dabei die Aspekte des Kulturwandels,
der Akkulturation und Transkulturation besonders exakt herauszuarbeiten. Die Auswahl
der Beiträge dieses Bandes trägt diesen Umständen Rechnung und versucht, mit einer
breiten Perspektive, welche die historische Entwicklung als Ausgangspunkt für eine
Dokumentation des Wandels nimmt, gegenwärtige Phänomene in ihren Ursachen und
Konsequenzen zu erklären.
Der Begriff Ozeanien sowie die einleitenden Zeilen verdeutlichen, dass man
geographische und terminologische Abgrenzungen machen muss. Die folgenden Ausführungen dienen dazu, grundsätzliche Begriffe und Definitionen abzuklären und die
Dimension(en) einer Region fassbar zu machen, die mit keiner anderen auf diesem
Globus vergleichbar ist. Die Bezeichnung »Ozeanien« leitet sich vom griechischen
Wort ōkeanós, lateinisch oceanus, Bezeichnung für Weltmeer, ab. Der Begriff geht auf
den Franzosen René-Primevère Lesson zurück, der als Arzt und Naturforscher seinen
Landsmann Louis-Isidore Dupperey auf dessen Weltreise 1822 bis 1825 begleitet hat.
Er führte den Begriff Ozeanien ein, um die Tatsache der großen Wasserflächen gegenüber den kleinen Landflächen herauszustreichen und dem Wasservolumen von rund 700
Millionen Kubikkilometern Rechnung zu tragen. Welche Gebiete zählen zu Ozeanien?
In manchen Quellen wird Australien zu Ozeanien hinzugezählt, was aus mehreren Gründen nur bedingt sinnvoll ist. Besiedlungsgeschichtlich, anthropologisch, ethnologisch
und linguistisch sind die pazifischen Inselwelten und Australien zu verschieden, um
sinnvollerweise als Einheit verstanden werden zu können. Im engeren Sinn – und damit
auch Gegenstand dieses Buches – wird mit Ozeanien jene pazifische Region bezeichnet,
die aus den Teilregionen Melanesien (griech. »melos« = schwarz, Schwarzinselwelt),
Mikronesien (Kleininselwelt) und Polynesien (Vielinselwelt) besteht. Ozeanien erstreckt
sich räumlich zwischen Australien, den Philippinen und Teilen Südost- und Ostasiens
im Westen und dem ame­rikanischen Doppelkontinent im Osten, weiters von den Molukken im Westen (die Grenz­ziehung wird häufig unterschiedlich angegeben; entweder
unmittelbar westlich oder östlich der zu Indonesien gehörenden Insel Halmahera)
bis zur Osterinsel (Rapa Nui) bzw. den vor Südamerika liegenden Juan-FernandezInseln im Osten, sowie von Midway im Norden bis Macquarie Island im Süden. Alle
innerhalb dieses Bereiches gelegenen Inseln zählen zu Ozeanien. Dieser ist jedoch kein
Kontinent im geologischen Sinn, da nur einige im westlichen Teil gelegene Inseln aus
kontinentaler Erdkruste des einstigen Kontinents Gondwana bestehen. Die Mehrzahl der
Inseln Ozeaniens sind vulkanischen Ursprungs, die ihre Herkunft durch einen sichtbaren
Vulkankrater offenbaren oder nahe an die Meeresoberfläche reichen und auf der Spitze
ein Korallenriff oder Kalksteinfelsen ausgebildet haben. Die niederen so genannten
Koralleninseln gelten plakativ als die ›klassischen‹ Südseeinseln, tatsächlich sind die
meisten Inseln aber Mischformen, die z.B. durch eine Vulkaninsel mit Korallengürtel
und von Höhlen durchsetzten Kalksteinfelsen gekennzeichnet sind. Ozeanien wird
vor allem aufgrund seiner identitätsstiftenden kulturellen Gemeinsamkeiten, die vom
prominentesten Verfechter regionaler Identifikation und Kooperation namens Epeili
Hau’ofa (1994) als »Our Sea of Islands« für die Bewohner der Region transparent
gemacht wurden, als (sechster) Kontinent bezeichnet. Diese Gemeinsamkeiten werden
aber gleichzeitig durch clusterartig zusammengefasste kulturelle Unterschiedlichkeiten
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ergänzt, was zur auch heute noch verwendeten und oben angeführten Dreiteilung geführt
hat. Diese stammt vom französischen Entdecker und Seefahrer Dumont d’Urville, der in
einem Vortrag in der Geographischen Gesellschaft von Paris 1832 die Bezeichnungen
in ihrer heutigen Bedeutung erstmals verwendet hatte. Unser Bild der »Südsee«, wie sie
auch häufig verklärend und geographisch etwas unscharf bezeichnet wird, ist von den
Beschreibungen der Entdecker, Seefahrer und Missionare sowie von den Sichtweisen
der Historiker, Geographen und Ethnologen geprägt, die Objekte und Erzählungen der
Reisenden entsprechend dem damaligen Theoriestand und damaligen gesellschaftlichen
Wertvorstellungen ausgewertet haben.
Ein Blick auf den Globus verdeutlicht die superlativen geographischen Dimensionen
und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Denken und Handeln der Bewohner dieser Region. Ozeanien liegt im Pazifischen Ozean. Dieser ist als geographisches
Gliederungskriterium die größte globale Einheit, geprägt von einer Wasserfläche, die
ca. 166 Millionen Quadratkilometer ohne seine Nebenmeere umfasst. Er macht damit
rund 35 Prozent der gesamten Erdoberfläche oder die Hälfte der Meeresfläche der Erde
und mehr als die Fläche aller Kontinente zusammen aus. In diesem Meer befinden sich
die weltweit größte Meerestiefe und der größte Abstand eines Punktes zu den jeweils
nächsten Landflächen, der so genannte Point Nemo zwischen Neuseeland und Chile. Die
über 7.500 Inseln Ozeaniens umfassen zusammen eine Landfläche von fast 1,3 Millionen
Quadratkilometern und sind über ein Meeresgebiet von etwa 70 Millionen Quadratkilometern verstreut. Etwa 2.100 Inseln sind bewohnt, insgesamt leben knapp 15 Millionen
Menschen in Ozeanien. Ein konstitutives Element der Orientierung der Inselbewohner
ist der Umstand, dass Inseln nur eine begrenzte demographische Tragfähigkeit und eng
gesteckte Anbaumöglichkeiten für Nutzpflanzen aufweisen. Die Ressource »Land« ist
teilweise extrem rar und wird entsprechend hoch bewertet. Nahezu alle traditionellen
Gesellschaften der Region orientieren sich daher in ihrer Abstammung, physischen
und psychischen Verortung sowie bei traditionellen religiösen Praktiken an Land als
identitätsstiftende Kategorie. Inseln stellen generell aufgrund ihrer Abgeschlossenheit
und Kleinheit für die Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen eine entscheidende
Limitierung dar. Kognitive Kategorien der Orientierung und Identitätsbildung sind durch
die speziellen geographischen bzw. topographischen Gegebenheiten in Ozeanien daher
besonders beeinflusst. Der Aspekt Entfernung und Entfernungsüberwindung spielt für
das soziale und gesellschaftliche Miteinander von Menschen benachbarter, aber auch
weit entfernter Inseln eine zentrale Rolle. Traditioneller Bootsbau, Seefahrtstechniken,
Navigation und religiöse Bräuche als Garanten sicherer Seereisen bildeten lange Zeit
Kernbereiche des Denkens und Handelns der Gesellschaften und hatten hohen identitätsstiftenden Charakter für die Bewohner der Inseln.
Ein Beispiel soll die Kategorie »Entfernung« und damit die Extreme, welche die
Region kennzeichnen, verdeutlichen. Der Staat Kiribati (sprich: »Kiribas«) ist durch
drei Inselgruppen geprägt: die in nord-südlicher Richtung verlaufenden Gilbert Islands
im Westen des Staates, die in west-östlicher Richtung liegenden unbewohnten Phoenix
Islands im Zentrum und schließlich die nördlichen und südlichen, ebenfalls unbewohnten
Line Islands, die den östlichen Rand von Kiribati markieren. Das Staatsgebiet, welches
sich aus den Inseln und den jeweiligen um die Landflächen gezogenen Seerechtsgrenzen
zusammensetzt, hat eine West-Ost-Ausdehnung von rund 5.000 Kilometern. Das ent-
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spräche in Europa in etwa der Entfernung von Irland bis zum Ural, oder in Amerika der
Distanz von der West- zur Ostküste. Dieser gigantischen Wasserfläche, die das völkerrechtlich anerkannte Staatsgebiet auf 5,2 Millionen Quadratkilometer anwachsen lässt,
stehen vergleichsweise kleine Landflächen gegenüber. So haben alle Inseln von Kiribati
zusammengenommen eine Landfläche von 810,5 Quadratkilometern, was kleiner ist als
die Fläche des deutschen Bundeslands Berlin (892 Quadratkilometer). Extrem großen
Wasserflächen und beeindruckenden Entfernungen zwischen den einzelnen Inseln und
Inselgruppen stehen extrem kleine Siedlungs- und Nutzungsflächen auf diesen selbst
gegenüber.
Ähnlich verhält es sich auch für andere Staaten, insbesondere Mikronesiens und
Polynesiens. Hinzu kommt, dass auf niederen Koralleninseln die Wasserversorgung nur
ungenügend durch wasserspeichernde Hohlräume, so genannte »Linsen«, im Korallenkalk garantiert ist und drohende Zyklone und Tsunamis eine dauernde Gefahr darstellen.
Für die Menschen der Region hieß das, dass sie Mechanismen entwickeln mussten, um
in dieser lebensfeindlichen Umwelt dauerhaft überleben zu können. Gerade auf den
mikronesischen Inseln kam daher einer Form des »Besuchstourismus« zwischen den
Inseln besondere Bedeutung zu, denn das gegenseitige Besuchen unter dem Vorwand
traditionellen Gabentauschs, aber auch das Aufrechterhalten von Tributverhältnissen sowie
von Handels- und Heiratskontakten diente letztlich dazu, sich im Rahmen von Gegenversicherungsverträgen abzusichern und für den Notfall vorzusorgen. Im schlimmsten Fall
konnte man so nach Verwüstung und Unbewohnbarkeit der eigenen Insel bei Nachbarn
für eine begrenzte Zeit Unterschlupf finden, bis die eigene Insel wieder bewohnbar war
und Süßwasser sowie Pflanzen wieder ausreichend zur Verfügung standen.
Brauchbare Strategien für das Überleben auf den Inseln gefunden zu haben, die
sich über Jahrhunderte bewährten, war und ist für die Inselbewohner Quelle des Stolzes.
Sie sind gleichzeitig ein zentrales Element der identitätsstiftenden kulturellen Gemeinsamkeiten, die verbindend auch zwischen Menschen aus weit voneinander entfernt
liegenden Gegenden wirken. Der bereits erwähnte Epeli Hau’ofa, als Sohn einer tonganischen Missionarsfamilie im früheren British Papua geboren, hat wiederholt appelliert,
dass man bei der Bewertung und Beurteilung der Region und ihrer Menschen andere
Maßstäbe anlegen müsse. Die Größe von Land- und Wasserflächen allein kann es nicht
sein. Er verweist auf das umfangreiche kulturelle Erbe, welches die Gesellschaften aller
drei Teilregionen kennzeichnet: »When those who hail from continents [...] when they
see a Polynesian or Micronesian island they naturally pronounce it small or tiny. Their
calculation is based entirely on the extent of the land surfaces they see. But if we look
at the myths, legends, and oral traditions, and the cosmologies of the people of Oceania, it becomes evident that they did not conceive of their world in such microscopic
proportions. Their universe comrised not only land surfaces, but the surrounding ocean
as far as they could traverse and exploit it, the underworld with its fire-controlling and
earth-shaking denizens, and the heavens above with their hierarchies of powerful gods
and named stars and constellations that people could count on to guide their ways across
the seas. Their world was anything but tiny.« (Hau’ofa 1994:152)
Bewusst ist diese Sichtweise der vorangegangenen zahlenbefrachteten Charakterisierung als Ergänzung und Gegenbild beigestellt. Die Beschäftigung mit Ozeanien als einer
Kulturregion verlangt einen Perspektivenwechsel oder zumindest die Auseinandersetzung
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mit mehreren, manchmal sehr unterschiedlichen Perspektiven. So sehen wir westlich
geprägte Menschen Inseln häufig als Orte der Isolation. Pazifische Inselbewohner sahen
und sehen sie eher als (Netzwerk-)Knoten in einem dichten Geflecht von Wegen zwischen den Inseln. Inseln sind in diesem Zusammenhang zwar auch Oasen vergleichbar,
die in der Wüste des Ozeans Rettung, Süßwasser und Schutz bedeuten, aber sie sind
auch lebendige Bestandteile eines größeren Ganzen, eines Netzwerkes, welches über
die lokale Orientierung hinaus regionale Kooperation schon aus historischen Zeiten
kennt. Natürlich gab und gibt es dort, wie überall sonst, zahlreiche partikulare Interessen
und damit verbunden Konflikte, die mit Härte ausgetragen wurden, Kriege und Grausamkeiten, die in vorkolonialer Zeit Bevölkerungen ganzer Inseln ausgelöscht haben,
aber es gab auch die andere Seite: Kooperation und das Wissen um den Umstand, dass
nur gemeinsames Agieren allen in der relativ lebensfeindlichen Umwelt ein Überleben
garantieren kann.
Heute ist vieles anders, würden fast alle pazifischen Inselbewohner unisono sagen,
und tatsächlich haben die modernen elektronischen und kommunikationstechnischen
Möglichkeiten die Inseln nachhaltig verändert. Begrenzte Möglichkeiten im Ausbildungsund Arbeitsbereich, gestiegene Konsumwünsche und Perspektivenlosigkeit aufgrund
der Entfernungen zu den potenziellen Märkten in einer zunehmend globalisierten Welt
machen die Menschen der pazifischen Inseln einerseits zu Verlierern und motivieren
damit Abwanderung durch Arbeitsmigration und Emigration, andererseits aber haben
die Herausforderungen der Gegenwart die Entwicklung von Gegenstrategien motiviert.
Formen regionaler Kooperation haben an Bedeutung gewonnen, um die politischen
Konflikte der Region unter Kontrolle zu halten und allerorts wird heute eine breite Diskussion um die Frage geführt, was als Tradition gilt oder gelten darf, um als integraler
Bestandteil gesellschaftlichen und politischen Handelns Formen moderner politischer
Repräsentation zu ergänzen. Dabei spielt die Frage eine große Rolle, inwieweit das, was
als »Tradition« definiert wird, von lokalen Eliten für den Machterhalt oder die Wiedererlangung ehemaliger Pfründe instrumentalisiert wird. Die Klein- und Kleinststaaten
Ozeaniens stehen heute vor einer Wende. Diese ist vor allem dadurch gekennzeichnet,
dass nach der Zeit der Kolonisierung nun auch die Zeit der Entkolonisierung weitgehend
abgeschlossen ist und vor allem politische Fehler und Versäumnisse heute immer weniger
fremden Verursachern zugeschrieben werden können, sondern die Suche nach Lösungen
im inneren und eigenen Bereich beginnen muss. Die Entwicklungen auf den Solomon
Islands und in Fidschi der vergangenen Jahre – beides Staaten, die heute als »failing
state« (Solomon Islands) bzw. als »weak state« (Fiji) bezeichnet werden können – zeigen,
dass es große Konfliktpotenziale oft entlang ethnischer Kriterien gibt, die einer Lösung
harren. Zum Verständnis der dynamischen und komplexen Zusammenhänge bedarf es
einer Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung, den Handlungsperspektiven
der Hauptakteure und den grundsätzlichen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen
Rahmenbedingungen.
Die Beiträge dieses Buches versuchen zumindest auf einige der wichtigsten
Kernaspekte Antworten zu liefern und exemplarisch anhand von Fallbeispielen die
herausragenden Entwicklungen zu skizzieren. Der vorliegende Band kann die Region
und ihre vielen Kulturen nicht handbuchartig umfassend beschreiben, aber er kann für
eine Weltregion und ihre spezifischen Eigenheiten sensibilisieren, um mittels eines
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multiperspektivischen Zugangs die spannende und inspirierende kulturelle Vielfalt
der Vergangenheit und Gegenwart Ozeaniens erahnen zu lassen. Die Verfasser der
einzelnen Beiträge haben dazu unterschiedliche Herangehensweisen gewählt, die der
Vielschichtigkeit der einzelnen Themen entsprechen; sie ermöglichen unterschiedliche
interpretatorische Zugänge. Vielleicht kann man es auch mit den Worten von Hau’ofa
(1994:152) ausdrücken, der meinte, es mache einen Unterschied, ob man in Bezug
auf Ozeanien von »islands in a far sea« spricht, oder von »a sea of islands«. Ersteres
verweist unterschwellig auf die Kleinheit und Abgeschiedenheit der Inseln, zweiteres
auf eine mehr holistische Perspektive, in der die Inseln in und mit der Totalität ihrer
Beziehungen assoziiert werden können. Vielleicht besteht die Quintessenz im Umgang
mit den vielschichtigen Gegebenheiten einer außerordentlichen Region, die letztlich nur
schwer fassbar ist, in genau dieser Ambivalenz, unterschiedliche Zugänge wählen zu
müssen, die alle ihre absolute Berechtigung haben.
Literatur
Hau’ofa, Epeli (1994): Our Sea of Islands. In: The Contemporary Pacific 6/1, Honolulu: 148–161
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