Anatomie Institut für Zellbiologie im Zentrum Anatomie Direktor: Prof. Dr. Ernst Ungewickell Tel.: 0511/532-6744 • E-Mail: [email protected] • www.mh-hannover.de/institute/zellbiologie/ Forschungsprofil Die Aufnahme von rezeptorgebundenen Nährstoffen und Signalmolekülen sowie ihr gerichteter Transport zwischen zellulären Kompartimenten sind für die Homöostase eukaryotischer Zellen von elementarer Bedeutung. Dieser Transport ist unter Anderem bei der Aufnahme von Partikeln und deren Prozessierung im Rahmen der Immunabwehr sowie der Rückresorption von Plasmabestandteilen im proximalen Tubulus der Niere bedeutsam. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses der Abteilung stehen: 1) die Aufklärung der molekularen Mechanismen bei Clathrin-abhängigen Transportprozessen; 2) die Entwicklung nanobiotechnologischer Ansätze zur Nutzung von Clathrinnetzwerken auf Oberflächen; 3) Untersuchungen der Funktion von „lipid rafts“ bei Beladung und Transport von MHC-Molekülen; 4) Aufklärung der Funktion von Clathrin und Adaptoren bei der Phagozytose; 5) zellbiologische Charakterisierung von Umbauprozessen nach Implantation von unterschiedlichen Biomaterialien sowie moduliert durch die einwirkenden mechanischen Stimuli; 6) Untersuchungen zur Funktion von Amphiphysinen in den Epithelzellen des proximalen Tubulus der Niere. Zur Bearbeitung unserer Fragestellungen werden biochemische, molekularbiologische sowie moderne fluoreszenzmikroskopische und elektronenmikroskopische Methoden eingesetzt. Forschungsprojekte Untersuchung von Clathrin - abhängigen Prozessen auf Oberflächen Die Bildung von Clathrin-bedeckten Vesikeln ist in eukaryotischen Zellen ein konservierter Prozess, der für den Hauptteil der rezeptorvermittelten Endozytose und den Transport zwischen Zellorganellen essentiell ist. Neben Rezeptoren und Frachtmolekülen finden auch Viren und Bakterien über die Clathrin-vermittelte Endozytose ihren Weg in die Zelle. Clathrin ist ein sehr gut charakterisiertes Makromolekül, das in allen eukaryotischen Zellen nachweisbar ist. Es setzt sich aus drei großen, sogenannten „schweren“ und drei wesentlich kleineren „leichten Ketten“ zusammen. Die schweren Ketten bilden stabile Trimere (Triskelia). Die Triskelia sind in der Lage, sich in Lösung in Käfige zusammenzulagern, die in ihrer Geometrie den sogenannten Buckminster-Fullerenen entsprechen. Clathrin bindet über Adaptoren wie z.B. Epsin an die innere Seite der Zellmembran. Epsin besitzt Epsin-N-Terminal Homology-Domäne (ENTH-Domäne), über die es Phosphatidylinositol 4,5-Phosphat-haltige Membranen binden kann. Dabei treibt Epsin eine amphiphatische Helix wie einen Keil zwischen die Phospholipide und bewirkt dadurch eine Krümmung der Membran. C-Terminal von der ENTHDomäne gelegen befinden sich unter Anderem zwei Bindungsmotive für Clathrin. Clathringitter kommen in lebenden Zellen an flachen und sich einstülpenden Membranabschnitten (sich bildende Vesikel) vor. In eukaryotischen Zellen ist neben Clathrin und Adaptoren eine Vielzahl akzessorischer Proteine an der Entstehung von Transportvesikeln beteiligt. In den letzten zehn Jahren wurden die Eigenschaften von Membran krümmenden Proteinen und ihre Funktion in der Vesikelbildung eingehend erforscht. Die Erkenntnisse auf diesem Gebiet stellten die Rolle des Clathrins als treibende Kraft bei der Krümmung der Membran und somit der Bildung der Vesikel immer mehr in Frage. Hinzu kamen theoretische Berechnungen, nach deren Ergebnis die Energie des sich zusammenlagernden Clathrins nicht ausreicht, um flache Membranen in Vesikel zu verformen. Neuere Computersimulationen widersprechen allerdings diesen Berechnungen. 16 Forschungsbericht 2011 Anatomie Um die Frage zu klären, ob Clathrin in der Lage ist, Membranen zu krümmen, haben wir ein in vitro System etabliert, in dem Clathrin über modifizierte Adaptoren und Lipide an Liposomen gebunden wird. Bei der Rekonstitution der Liposomen wurden den natürlichen Lipiden Nickel-chelierende Phospholipide beigefügt („DGS Ni-NTA“). Der Komplex aus Nickel und Nitriloessigsäure (Ni-NTA) ist in der Lage, spezifisch und hoch affin Imidazolseitengruppen der Aminosäure Histidin zu binden. Für die Rekrutierung des Clathrins an die Membran wurde ein Fragment des Epsins verwendet, das in der Lage ist Clathrin zu binden, aber keine ENTH-Domäne enhält (ΔENTH) und deshalb keine Membrankrümmungen verursachen kann. Das Epsin Fragment beginnt an seinem N-Terminus mit einer Folge von sechs Histidinen („H6“), und ist somit in der Lage, die Membran der Liposomen affin und spezifisch über Ni-NTA-Lipide zu binden. Die sukzessive Inkubation von Ni-NTA-haltigen Liposomen mit dem H6-ΔENTH Epsin und Clathrin bei 4˚C führte zur Ausbildung flacher, annähernd perfekt hexagonaler Gitter auf den Liposomen (Abbildung 1A in der Aufsicht und in Abbildung 1C im Schnitt). Wurde die Bindung von Clathrin allerdings bei 37˚C vorgenommen, bildeten sich Clathrin-bedeckte Membraneinstülpungen (Abbildung 1B Aufsicht & Abbildung 1D Schnitt). Die erste Schlussfolgerung aus diesen Experimenten ist, dass Clathrin in der Lage ist, Membran zu krümmen und so die Bildung von Vesikeln voranzutreiben. Somit konnte belegt werden, dass bei physiologischer Temperatur die Energie der Clathrinzusammenlagerung hinreichend für die Krümmung von Membranen in Vesikelform ist. Die Abhängigkeit der Krümmung zur Temperatur ist durch die Temperaturabhängigkeit der Elastizität der Membran zu erklären. Diese ist bei 4˚C deutlich erniedrigt, wodurch eine Membrankrümmung durch Clathrin offensichtlich unterbunden wird. Abb. 1: Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Clathrin-bedeckten Liposomen: A: Negativ kontrastiertes flaches Clathrin auf Liposomen. B: Negativ kontrastierte Clathrin-haltige Membranknospen. C. Ultradünnschnitt von Liposomen beschichtet mit flachem Clathringitter. D: Ultradünnschnitt von Liposomen mit Einschnürungen erzeugt mit Clathrin. E: Abgeschnürte, Clathrinbedeckte Vesikel. Forschungsbericht 2011 17 Anatomie In lebenden Zellen werden Clathrin-bedeckte Knospen (vergl. Abbildung 1D, Pfeilspitzen) durch die MechanoGTPase Dynamin freigesetzt. Dynamin bindet an den Hals der Knospen und katalysiert durch seine durch GTP-Hydrolyse getriebene Konformationsänderung die Abschnürung der Vesikel von der Donormembran. Tatsächlich konnten wir diesen Vorgang in vitro rekonstituieren. Durch die simultane Inkubation der H6-ΔENTH Epsin gebundenen Liposomen mit Clathrin, Dynamin und GTP bei 37˚C gelang es quantitativ Clathrin-bedeckte Vesikel freizusetzen. Somit ist es zum ersten Mal gelungen, die Bildung von Clathrinvesikeln vollständig in vitro nachzuvollziehen. Die Abbildung 1E zeigt einen Schnitt durch in vitro generierte Clathrin-umhüllte Vesikel. Weiterhin können nun die Mindestkomponenten und Bedingungen benannt werden, die für die Abschnürung dieser Vesikel von Membranen notwendig sind: Ein Clathrinbindender Membranadaptor, Clathrin, Dynamin, GTP und eine Temperatur von 22-37˚C. Bei der Charakterisierung des Adaptors H6-ΔENTH Epsin und Clathrins auf Liposomen haben wir außerdem herausgefunden, dass Epsin an geladene Oberflächen bindet und dabei seine Fähigkeit Clathrin zu binden und dessen Zusammenlagerung voran zu treiben behält. So gelingt es zum Beispiel, auf einer sehr flachen, geladenen Kohleoberfläche durch Beschichtung mit H6-ΔENTH Epsin und Clathrin ausgedehnte flache Clathringitter zu erzeugen (Abbildung 2). Abb. 2: Schematischer Querschnitt und Aufsicht auf ein Clathringitter. EM: Elektronenmikroskopische Aufsicht eines lipidfrei auf Kohle erzeugten Clathringitters. Das von uns etablierte in vitro System bietet die Möglichkeit, in weiterführenden Studien Adaptoren und akzessorische Proteine der Clathrin-vermittelten Endozytose unter kontrollierten Bedingungen zu charakterisieren und die Mechanismen ihrer Funktion zu untersuchen. Darüber hinaus ist die Rekonstitution Clathrin-bedeckter Vesikel in vitro, sowie die Beschichtung von Oberflächen mit regelmäßigen Clathringittern von biotechnologischer Bedeutung. Große und flache Netzwerke von Clathrin können auch auf Liposomen generiert werden (Abbildung 1A,C). Die Gitter zeigen hier zwar ebenfalls sporadisch Defekte auf, jedoch ist es aufgrund der lateralen Beweglichkeit des auf dem Lipid verankerten Adaptors Epsin denkbar, fehlerfreie, flache Gitter herzustellen, die von dem Liposom intakt gelöst werden können und als Molekularfilter oder Trägerstruktur verwendet werden können. Liposomen werden im Bereich der Medizin bereits erforscht, um sie für den Transport von Medikamenten und zur Generierung von Impfstoffen 18 Forschungsbericht 2011 Anatomie einzusetzen. In der Zukunft könnten Liposomen - basierte Systeme die Herstellung von komplexen Naturstoffen oder sogar Treibstoffen ermöglichen. Eine Anwendung für Clathrin in diesem Bereich wäre zum einen die Stabilisierung der Liposomen, die Formgebung und vor allem die Vergrößerung der Oberfläche durch regelmäßige Einstülpungen der Membran (siehe Abbildung 1B,D). Oberflächenabhängige Prozesse könnten so effizienter ablaufen. Die Beschichtung der Liposomenoberfläche böte neben der Stabilisierung auch die Möglichkeit, gezielt Enzyme in definiertem Abstand zur Membran und zueinander zu koordinieren. Außerdem kann das Clathrinnetzwerk eine Immobilisierung von formstabilen Liposomen erleichtern. Die auf Liposomen künstlich erzeugten Einstülpungen können in dem hier vorgestellten System außerdem einfach und effizient in uniforme (~80-90nm), Clathrin-bedeckte Vesikel abgeschnürt werden (Abbildung 1E). Dies könnte die Möglichkeit bieten, den Inhalt der Liposomen, von denen die Vesikel abgeschnürt werden, einheitlich und effizient zu „verpacken“. So könnten nicht nur Wirkstoffe inkorporiert werden, sondern ganze Enzymkomplexe. Das Verhältnis von Membranoberfläche pro Wirkstoff/ Enzymkomplex würde so deutlich verbessert werden. Die Beschichtung von Festphasenoberflächen mit regelmäßigen Clathringittern kann als vielfältige Basis für nanobiotechnologische und nanomedizinische Anwendungen von besonderem Wert sein. Modifizierte Clathringitter könnten z.B. bei der Beschichtung von Oberflächen zum Einsatz kommen, um deren Immunogenität zu verändern. Die Struktur des Clathrins macht es besonders leicht, ein bereits vorhandenes Clathringitter zu modifizieren. So besteht die Möglichkeit, die Clathrin leichten Ketten als „Ankerpunkte“ für Enzyme oder andere Moleküle zu nutzen (siehe Schema Abbildung 2). Im Gitter stehen N-, sowie der C-Terminale Segmente der leichten Ketten als unstrukturierte und daher flexible Bindungspartner, oder Anknüpfungspunkte zur Verfügung. Das Fusionsprotein aus GFP (Grün Fluoreszierendes Protein) und den leichten Ketten ist bereits seit langem im Gebrauch und inhibiert die Zusammenlagerung des Clathrins nicht. Auch eine Verwendung als „Biotemplate“ für die Architektur anorganischer Katalysatoren und Elektroden ist denkbar. Das hexagonale Clathringitter ermöglicht so z.B. die Festlegung des Abstandes zweier Interaktionspartner zueinander. Projektleitung: Ungewickell, Ernst (Prof. Dr. rer. nat.), Dannhauser, Philip N. (Dr. rer. nat.) Weitere Forschungsprojekte Molekularer Mechanismus der Fc-Rezeptor-vermittelten Phagozytose in Makrophagen Projektleitung: Bauerfeind, Rudolf (Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Brodsky, Frances ( Prof. DPhil), UCSF, USA Funktion der Mikrotubuli bei der sekundären Membranumhüllung von Herpes-Simplex-Virus Projektleitung: Bauerfeind, Rudolf (Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Sodeik, Beate (Prof. Dr. rer. nat.), Institut für Virologie; Förderung: DFG (SPP1175 - Dynamics of Cellular Membranes and their exploitation by viruses) Funktion von pUL51 bei der Genomverpackung des Cytomegalie-Virus Projektleitung: Bauerfeind, Rudolf (Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Messerle, Martin (Prof. Dr. rer. nat.), Institut für Virologie; Förderung: beim Kooperationspartner Lebendzellmikroskopie des Zelleintritts und der Morphogenese des Cytomegalie-Virus (CMV) Projektleitung: Bauerfeind, Rudolf (Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Koszinowski, Ulrich (Prof. Dr. Dr. h.c.), Max von Pettenkofer-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München; Förderung: beim Kooperationspartner Funktions-Ultrastrukturanalyse des Gelenkknorpels in verschiedenen Säugetierspecies Projektleitung: Brandes, Gudrun (Dr. med.); Förderung: REBIRTH Zellbiologie der mit einem resorbierbaren Magnesium-Gitter unterstützten Herzwand- und Gefäßimplantaten aus biologischen Materialien in Großtiermodellen Projektleitung: Brandes, Gudrun (Dr. med.); Kooperationspartner: Schilling, Tobias (Dr.med.), Haverich, Axel Forschungsbericht 2011 19 Anatomie (Prof. Dr.med.), HTTG; Förderung: DFG (SFB599 - Zukunftsfähige bioresorbierbare und permanente Implantate aus metallischen und keramischen Werkstoffen) Ultrastrukturelle Untersuchung zur Verbesserung der Reparatur oberflächlich lädierter Sehnen bei Pferden Projektleitung: Brandes, Gudrun (Dr. med.); Kooperationspartner: Jagodzinski, Michael (Prof. Dr. med. PhD), Klinik für Unfallchirurgie, Medizinische Hochschule Hannover; Geburek, Florian (Dr. med. vet.), Klinik für Pferde, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover; Förderung: TiHo (Az 33.9-42502-04-08/1622) Ultrastrukturelle Untersuchung von Myelozyten nach Stimulation mit GmCSF im murinen induzierbaren p14-Knockout-Modell Projektleitung: Brandes, Gudrun (Dr.med.); Kooperationspartner: Klein, Christoph (Prof. Dr. med. Dr. sci. nat.); Förderung: DFG (SFB566 durch Klein, Christoph) Ultrastruktur der Skelettmuskelfasern von Mäusen mit einer W4R-Mutation im Muslce LIM Protein Projektleitung: Brandes, Gudrun (Dr. med.); Kooperationspartner: Kraft, Theresa (Prof. Dr. rer. nat.), Institut für Molekular- und Zellphysiologie Bin 1 (Amphiphysin 2): Seine Rolle in Entwicklung und Funktion der Niere Projektleitung: Groos, Stephanie (Dr. med.); Kooperationspartner: Bargsten, Anna (Arzt), Dannhauser, Philip (Dr. rer.nat.), Wittrock, Inga Mayte Detergenzresistente Membranen als Modelle für "lipid rafts" Projektleitung: Lindner, Robert (Dr.rer.nat.), Szaroszyk, Malgorzata (M.Sc), Möller, Hanna (M.Sc) Originalpublikationen Brandes G., Khayami M., Peck C. T., Baumgartner W., Bugday H., Wewetzer K.. Cell surface expression of 27C7 by neonatal rat olfactory ensheathing cells in situ and in vitro is independent of axonal contact. 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Spider silk constructs enhance axonal regeneration and remyelination in long nerve defects in sheep. PLoS One; 2011;6(2):e16990 Wagener P., Brandes G., Schwenke A., Barcikowski S.. Impact of in situ polymer coating on particle dispersion into solid laser-generated nanocomposites. Phys.Chem.Chem.Phys.; 2011;13(11):5120-5126 Abstracts 2011 wurden 9 Abstracts publiziert. Rode K., Döhner K., Binz A., Glass M., Strive T., Bauerfeind R., Sodeik B.. Uncoupling uncoating of herpes simplex virus genomes from their nuclear import and gene expression. J.Virol.; 2011;85(9):4271-4283 Scheele U., Erdmann S., Ungewickell E. J., Felisberto-Rodrigues C., Ortiz-Lombardia M., Garrett R. A.. Chaperone role for proteins p618 and p892 in the extracellular tail development of Acidianus two-tailed virus. J.Virol.; 2011;85(10):4812-4821 20 Forschungsbericht 2011 Anatomie Forschungsbericht 2011 21 Anatomie 22 Forschungsbericht 2011