1. Einleitung Der Anteil chronisch verlaufender Entzündungsprozesse nimmt innerhalb medikamentös therapierbaren Erkrankungen immer mehr zu. Die gegenwärtige Therapie chronisch entzündlicher Erkrankungen ist zum Teil mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, da hochwirksame Arzneimittelgruppen wie z.B. Glucocorticoide in vielen Fällen die einzige Lösung zur Verbesserung des Krankheitsgeschehens darstellen, diese aber mit ihren bekannten Nebenwirkungsprofilen häufig an Grenzen der Einsetzbarkeit stoßen. So wurde in den letzten Jahren verstärkt nach neuartigen Wirkstoffen im Bereich der antiinflammatorischen Therapie gesucht. 1999 wurde Rofecoxib als erster Vertreter der selektiven COX-2-Inhibitoren für die Behandlung von Symptomen bei Reizzuständen degenerativer Gelenkerkrankungen (Arthrosen) zugelassen. Mit Leflunomid als Hemmer des Enzyms Dihydroorotatdehydrogenase wurde ein völlig neuer Wirkmechanismus in die Therapie der rheumatoiden Arthritis eingeführt. Die Blockade der Wirkung des Tumornekrosefaktors durch den chimären Antikörper Infliximab bzw. das Abfangen des frei zirkulierenden Trimers durch Etanercept vervollständigten die Ansatzmöglichkeiten für die Therapie der chronischen Verlaufsform der Entzündung erheblich. Die derzeitigen Erfolge bei Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Asthma bronchiale und Morbus Crohn zeigen aber, dass der Bedarf neuer Therapieansätze weiterhin vorhanden ist. So kann neben der Anwendung völlig neuer Arzneistoffe auch der Einsatz neuartiger Transportsysteme die Wirkung der entsprechenden Arzneimittel erhöhen. So genannte Drug Delivery Systeme (DDS) können die Wirkstoffe im Rahmen einer antiinflammatorischen Therapie direkt an den Ort des Krankheitsgeschehens heranbringen. Dadurch ist der erzielte Effekt deutlich verbessert und die Nebenwirkungen auf gesunde Zellen des Organismus werden dadurch verringert. Als Wirkstoff-Transportvehikel dieser DDS haben sich die in den 60er Jahren von Bangham entwickelten Liposomen etabliert [Bangham et al. (1965)]. Da diese als Vehikel für sowohl hydrophile als auch lipophile Arzneistoffe dienen können, wurden große Hoffnungen auf die Liposomen gesetzt. Problematisch gestaltete sich jedoch das gezielte Heranbringen der Liposomen an den Wirkort. Durch die Bindung unterschiedlichster Liganden auf der Liposomenoberfläche konnte eine gewisse Zielspezifität erreicht werden. Als besonders geeignet erschienen deshalb die in den 80er Jahren entwickelten Immunoliposomen, die Antikörper gegen bestimmte Zelloberflächenstrukturen enthielten. Durch die hohe Spezifität sowie Affinität der Antikörper zu ihren jeweiligen Antigenen sollte ein ortsspezifischer Arzneistofftransport möglich werden. In vielfältigen Untersuchungen der chronischen Entzündungsprozesse konnte durch Entdeckung und Charakterisierung verschiedenster am Prozess beteiligter Entzündungsrezeptoren und –mediatoren die Aufklärung der molekularbiologischen Mechanismen erreicht werden. Es konnte gezeigt werden, dass die Leukozyten rezeptorgesteuert am Endothel von entzündetem Gewebe binden und dort ins Gewebe emigrieren. Ein Meilenstein in dieser Entwicklung stellte die Identifizierung der Adhäsionsrezeptor-Familie der Selektine dar [Springer (1995)]. Sie vermitteln den initialen Kontakt zwischen Leukozyten und Gefäßendothel innerhalb des Entzündungsgebietes. Auf der Grundlage von ProteinKohlenhydrat-Bindungen kommt es dadurch zur rollenden Verlangsamung der Leukozyten. Dies ist der Beginn der komplexen Adhäsionskaskade der Leukozyten am aktivierten Endothel. Aufgrund dieser initialen und zentralen Funktion innerhalb des Entzündungsgeschehens stellen die vaskulären Selektine hervorragende Zielstrukturen für Drug Delivery Systeme im entzündeten Gewebe dar. Ihre Exprimierung erfolgt ausschließlich unter Entzündungsbedingungen am Gefäßendothel. Aus diesen Gründen bieten sich als Vehikel für einen 1. Einleitung 7 selektingerichteten Arzneistofftransport Immunoliposomen mit funktionalisierten Anti-ESelektin-Antikörpern an. Die therapeutische Wirkung setzt jedoch erst nach Freigabe des Arzneistoffes innerhalb der Zelle ein. Vorherige Bindungs- und Aufnahmeprozesse müssen deshalb quantitativ erfolgreich verlaufen. Die Stabilität der Transportvehikel muss bis dahin gewährleistet sein. Im Inneren der Zelle hingegen müssen die Immunoliposomen einem gewissen Zerfall unterliegen, da sonst ein intrazellulärer Abbau innerhalb der Lysosomen stattfindet. Dies würde einem Wirkverlust gleichkommen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit bestand deshalb in der Untersuchung der Wechselwirkungen von E-Selektin-gerichteten Immunoliposomen mit aktivierten Endothelzellen unter in vitro-Bedingungen. Die aktivierten Endothelzellen repräsentieren hierbei den zellulär veränderten Zustand in einer Entzündungsphase. Die Bindungsfähigkeit als erster Schritt für ein erfolgreiches Drug Delivery System, sowie die Internalisierung der Immunoliposomen sollten quantitativ ermittelt werden. Eine sterische Stabilisierung der Liposomen durch Polyethylenglykoleinheiten sollte während dieser Arbeiten berücksichtigt werden. Durch sie können effizient die Halbwertszeiten der Liposomen und damit die von ihnen ausgehende Wirkung enorm gesteigert werden. Anschließend sollte durch die pHSensitivität als liposomale Eigenschaft der Freigabeprozess im Zellinneren deutlich erhöht werden. Dadurch würde der Liposomeninhalt dem Zellmetabolismus zur Verfügung stehen und somit seine Wirkung entfalten können. Stabile Vehikelsysteme würden an dieser Stelle einen Therapieverlust verursachen, da der Inhalt der internalisierten Liposomen einem Abbau durch lysosomale Enzyme unterliegen würde. Die im Zytosol freigesetzten Arzneistoffe dürfen bis zur intrazellulären Freigabe keinerlei Veränderung erfahren haben. Der Beweis dafür sollte abschließend mittels Gentransfektion der aktivierten Gefäßendothelzellen durch sterisch stabilisierte pH-sensitive Immunoliposomen erbracht werden. Eine Umsetzung dieser Vorhaben würde die komplette Wirkung eines Drug Delivery Systems von der Anreicherung der Liposomen am Zielort bis hin zur intrazellulären Wirkung des Wirkstoffs simulieren und belegen. 1. Einleitung 8