28 Internet World BUSINESS E-COMMERCE 18. März 2013 6/13 PRICING-STRATEGIEN Der Preis ist heiß Das Internet hat den Preiskampf im Handel vehement verschärft. Aber lassen sich Produkte online wirklich nur über den Preis verkaufen? INTERNET WORLD Business hat sich bei Handelsexperten umgehört reise, so scheint es, sind das einzige Marketingwerkzeug der Moderne. Nicht mehr mit Produktinnovationen und Serviceangeboten profilieren sich Hersteller und der Handel, sondern nur noch mit möglichst niedrigen Zahlen vor und hinter dem Komma. Im zunehmenden PreisDumping wird es für die Händler immer schwerer, sich zu positionieren. Nicht zuletzt Media Markt und Saturn führten mit der schweren Geburt ihrer E-CommerceStrategie allzu deutlich vor Augen, wie schwierig nicht nur eine transparente Kundenkommunikation, sondern ebenso eine vernünftige und abgestimmte Preispolitik ist. So haben bei Saturn mangelnde Preisabsprachen etwa dazu geführt, dass Online vorgeprescht wurde und der Webshop günstigere Preise angeboten hat als der stationäre Handel. Die Folge: Vertrauensverlust bei den „Geiz-ist-geil-Kunden“ und Tausende von Kunden, die in der Filiale die Online-Preise einforderten. „Als Online für Media Markt und Saturn noch kein Thema war, haben diese ein viel besseres Preisimage gehabt als ihre tatsächliche Preispositionierung war“, erläutert Andreas Enders, Experte für Handelsunternehmen bei der Strategieberatung OC&C. „Das lag vor allem daran, dass der Elektronikhändler auf regionales Pricing gesetzt hat. In Paderborn gab es zum Beispiel andere Preise als in Stuttgart oder Flensburg. Mit dem Internet war das vorbei.“ Zustimmung erhält der Experte von Peter Kenning, Inhaber des Lehrstuhls Negative Preisspirale: Im Web wird vor allem über den Preis verkauft Foto: Fotolia / Piai P Perspektivwechsel online herstellerdominierter Markt ist. Letztgenannte haben alle eigene Filialen, eigene Point of Sales. Darüber hinaus hat die Bekleidungsindustrie kein Interesse daran, dass Amazon und Co. deren Produkte günstiger anbieten als sie selbst. Wie ernst es der Textilund Bekleidungsindustrie damit ist, hat Adidas vorgemacht. Der Sportgigant aus Herzogenaurach verlangt seit 1. Januar 2013 seinen Handelspartnern ab, Produkte nur noch über von Adidas genehmigte Websites zu vertreiben. Amazon und eBay, auf denen Händler gemeinhin besonders preisaggressiv auftreten, gehören nicht dazu. Die Buchbranche als zweite Größe hat ebenso kein Pricing-Problem, da Bücher der Buchpreisbindung unterliegen. Für den Buchkunden mag „Preise wie bei Amazon“ gut in den Ohren klingen, Fakt ist aber, dass jeder Buchhändler, ob jetzt on- oder offline, der Buchpreisbindung unterliegt – auch in Sachen E-Books. Die Elektronikbranche wiederum hat – siehe Beispiel Media Markt und „Der Offline-Handel setzt sich Saturn – ein „sehr großes PricingProblem“, bekräftigt Enders. Die im Vorfeld oft zu wenig mit dem Frage, die sich deswegen stellt, ist, Online-Handel auseinander.“ ob die Preistransparenz immer durchs Internet erhöht wird und MORITZ KOCH ob sie zu einem Preisverfall führen Managing Director bei Commerce Plus muss. Für Peter Kenning gilt das nur für „undifferenzierte Prozogen. Die Fashion-Industrie hat laut dukte“. Kenning sagt: „Preistransparenz Enders keine Pricing-Probleme, da die setzt voraus, dass Produkte vergleichbar Bekleidungsbranche ein marken- oder sind, und das Internet hat die Fähigkeit der shop vertreten, versucht genau die Fehler zu vermeiden, die Media Markt und Saturn gemacht haben. Und dazu gehört vor allem die „Synchronisierung zwischen zentraler Preis- und Sortimentsstrategie und der dezentralen Preis- und Sortimentsstrategie des einzelnen Expert-Gesellschafters“, sagt Koch. Aber wie sieht sie nun genau aus, die intelligente Pricing-Strategie? Wie sollten Händler stationär und online darauf reagieren? Und gibt es überhaupt nennenswerte Alternativen und positive Beispiele? „Generell“, so Andreas Enders, „muss man zwiMedia-Markt-Kampagne: Die Elektronikfachmarktkette nutzt die schen Firmen und ihren Preistransparenz im Internet zur Eigenwerbung Branchen unterscheifür Marketing an der Zeppelin Universität den, da es diese unterschiedlich trifft.“ in Friedrichshafen: „In einem Multikanal- Von den meisten Strategieberatungen system sind Preisdifferenzierungen sehr werden in Deutschland zur Pricing-Straschwer durchzuhalten; das akzeptiert der tegie die drei großen Beispielbranchen BeKunde nicht.“ kleidung, Bücher und Elektronik herange- Synchronisierung Moritz Koch von der E-CommerceAgentur Commerce Plus, die unter anderem Telefónica Germany, Jack Wolfskin, Liebeskind Berlin und den Elektronikhändler Expert auf der Kundenliste hat, weiß aus langjähriger Erfahrung: Stationäre Händler, die in den E-Commerce eintreten, „brauchen ein bis drei Jahre, um dort erfolgreich anzukommen“. Expert, seit einem Jahr mit einem Web- ‚intimen Dualisierung‘ zu relativ günstigen Kosten.“ Im Klartext: Produkte, die individualisiert und konfiguriert sind, sind nicht mehr so einfach miteinander zu vergleichen. Damit ist auch die Preistransparenz geringer. Dieser Weg ist nicht neu, er wird „seit Jahren vom klassischen Handel beschritten und manifestiert sich in der Zunahme der Eigenmarken, wie man das vor allem im Lebensmitteleinzelhandel sieht“, meint Kenning. Rewe, Spar, Lidl und Co. setzen allesamt auf Eigenprodukte und pushen diese in den Markt, da sie es ermöglichen, sich vom Wettbewerb abzuheben – und zudem lukrativ sind. LEH-Eigenmarken, eigene Marken des Lebensmitteleinzelhandels, machen bis zu 20 Prozent vom Umsatz aus. Diesen Weg scheint nun ein deutscher E-Commerce Player zu gehen: Zalando. Mit Kiomi wird erstmals unter eigener Domain eine weitere Eigenmarke in den Markt gedrückt. Der Grund dafür ist klar: Es lassen sich deutliche höhere Margen erzielen als mit Drittprodukten. „Es hört sich banal an, aber Händler, die Waren on- und offline vertreiben, müssen sich den eigenen Markt und Wettbewerb anschauen. Dabei muss ein stationärer Händler, der in den Online-Handel eintritt, einen Perspektivwechsel vollziehen: „Das Internet hat die Fähigkeit der intimen Dualisierung zu relativ günstigen Kosten.“ PETER KENNING Zeppelin Universität, Friedrichshafen In dem Moment, wo dieser im E-Commerce mitmischen will, sind seine Wettbewerber Online-Händler“, sagt Moritz Koch von Commerce Plus. Hier werden seiner Einschätzung nach oft die ersten Fehler gemacht, weil sich der stationäre Händler im Vorfeld zu wenig mit dem Online-Handel auseinandergesetzt hat. Nach „Analyse“ und „Preisstrategie“ folgt der dritte Schritt, die „klare Entscheidung“, ob der Händler „in einen Preiswettbewerb treten will oder Kundenbindung anstrebt“, so Koch. Plusanschluss.de ist für Electronic Partner der Versuch, über Service Geld zu verdienen E-COMMERCE 29 auf Serviceleistungen gesetzt werden, die wiederum einen Teil des Umsatzverlusts im Verkauf kompensieren“, erklärt Andreas Enders. 4. Das Potenzial, welches Eigenmarken haben, ist – mit wenigen Ausnahmen (siehe LEH) – in Deutschland noch nicht voll erkannt. Alle Ansätze haben den Vorteil, dass „sie eine eigene Preisbarkeit beinhalten, sich damit unabhängig vom Wettbewerb machen und damit dem OnlineOffline-Spiel entgehen“, meint Experte Enders. Was für den einen „Services“ sind, sind für den anderen „Mehrwerte“. Kenning unterscheidet grundlegend zwischen den strategischen Ansätzen Kiomi: Mit der neuen Eigenmarke bewegt sich Zalando preislich der Preisführer- oder Qualitätsführeraußerhalb jeder Konkurrenz – und stärkt damit die Marge schaft. „Es gibt Unternehmen, die Händler, die in den Preiswettbewerb eintreten, bewusst Preisführer sein wollen und die Preise bewirken selten eine langfristige Kundenbindung, entsprechend treiben. Wer als Qualitätsführer meint der E-Commerce-Experte. Der Service sei höhere Preise hat, kann dies nur über Differenzieschlecht, das Shoppen bringe keinen Spaß und die rung erreichen“, sagt Peter Kenning. Das könne Produkte seien nicht selten von zweifelhafter Her- kurz-, mittel- oder langfristig sein. Die Preisdiffekunft. Commerce Plus verfolgt den Ansatz, dass renzierung könne vertikal oder horizontal Händler, die sich als Anbieter des Vertrauens geschehen. Zum Beispiel, dass nur bestimmten positionieren und es schaffen, dies von ihrem sta- Gruppen wie Studenten, Working Moms, Fußballtionären Geschäftsfeld auf das Geschäftsfeld fans etc. bestimmte Preise auch in Form von CouOnline zu transportieren, dem Kunden damit die pons angeboten werden. Jedoch entbindet all das Möglichkeit geben, „aus der Preisspirale auszutre- nicht von der Aufgabe einer vernünftigen Komten“. Damit könne, so Koch, „der Händler nicht den munikation. Warum ein Produkt teurer ist, muss erklärt werden. Sei es, weil die Lieferung besonPreis, sondern den Service aggressiver bewerben“. ders schnell ist – hierfür zahlt der Kunde gerne –, Raus aus der Online-Preisfalle Die Beratungsstrategen von OC&C beobachten hinsichtlich der PricingStrategie vier Ansätze, von denen sich in Deutschland noch keine als Erfolgsmodell durchgesetzt hat; somit gibt es noch viel Luft nach oben: 1. Die Entkoppelung von Online und Offline. Das funktioniert nur bei Sortimentsbereichen, bei denen der Kunde auf eine schnelle Verfügbarkeit setzt, beispielsweise ein Handyladegerät. Für dieses ist der Kunde auch bereit, zwei Euro Aufschlag zu zahlen, solange er es sofort mitnehmen kann. Bei einem Kühlschrank, TV-Gerät oder einem Fahrrad wäre ein Aufpreis von 20 Prozent nicht durchsetzbar. 2. Man setzt auf die High-Low-Preisstrategie, das heißt wenige Artikel, die die Preiswahrnehmung des Konsumenten stark beeinflussen. Aggressive Preisaktionen auf Werbeartikel, teilweise durch Hersteller finanziert, können den Online-Preis kurzfristig unterbieten. Preisaktionen bilden damit ein gutes Instrument, um über eine sogenannte High-Low-Preisstrategie eine günstige Preiswahrnehmung beim Kunden zu erzeugen. „Der Schnäppchencharakter“, sagt Andreas Enders, „erhöht die Kundenfrequenz in der Filiale, häufig verbunden mit der Hoffnung, dass Kunden auch in anderen Sortimentsbereichen einkaufen. Gleichzeitig ziehen sie allerdings insbesondere illoyale Kunden an, die nur wegen des Preises und nur für den Aktionszeitraum kaufen. Auch wenn Preisaktionen ebenso von Online-Anbietern genutzt werden können, führen sie vor allem zu Preisintransparenz auf Angebotsprodukte.“ Dieser Ansatz wird aktuell von Media Markt und Saturn versucht. 3. Umstellung des Geschäftsmodells: Hier entwickelt sich die Filiale weg vom reinen VerkaufsShop hin zu einem erweiterten Profil, das vor allem für mehr Service, Wartung, Einrichtungsleistungen oder einen Lieferdienst steht. Best Buy in den USA zählt hier als Vorreiter, allerdings besteht in den USA auch eine viel höhere Bereitschaft, für Serviceleistungen zu zahlen, als in Deutschland. Dennoch benötigt auch der stationäre Handel in Deutschland eine Veränderung des Grundgedankens bezüglich seiner Verkaufsflächen im stationären Handel. „Es muss stärker „Die Elektronikbranche hat – anders als Buch und Mode – ein sehr großes Pricing-Problem.“ ANDREAS ENDERS Handelsexperte bei OC&C sei es, weil eine bestimmte Funktionalität oder anderes im Vordergrund stehen. Oder sei es, weil es ein Unternehmen, wie zum Beispiel Manufaktum, geschafft hat, sich hoch zu positionieren und stark vom Wettbewerb zu differenzieren. „Als Multichannel-System liefert Manufaktum auch über das Internet Produkte, die man woanders nicht bekommt“, so Peter Kenning. Das können weder Media Markt noch Saturn von sich behaupten. Aber neben dem Ausbau ihrer Serviceleistungen (Aufbau-/Einbauservice, Montage, Installation, Datenrettung, Kaffeevollautomatenwartung) bietet Saturn seit Kurzem die Möglichkeit an, gebrauchte Geräte gegen Einkaufsgutscheine einzutauschen. Der Elektronik■ konzern investiert in Kundenbindung. SANDRA GOETZ Auswahlkriterien für Webshops Welche drei Faktoren sind Ihnen am wichtigsten? Preis des Produkts 78 % Versandkosten 57 % Lieferzeit/Bestand 37 % Zahlungsverfahren 35 % Kundenbewertungen 30 % Bekanntheitsgrad/Image 17 % Geld-zurück-Garantie 13 % Gütesiegel 11 % Kostenloser Rückversand 10 % Sonstiges 4% Der Preis des Produkts spielt für viele Verbraucher die wichtigste Rolle © INTERNET WORLD Business 6/13 Quelle: Ibi Research; Stand: 2. Halbjahr 2011; Basis: 977 Personen, die ein Produkt im Internet kaufen würden AUTHORIZED PARTNER