ADHS und Schule 5. Bad Rodacher Schultag – 17.11.2010 Markus Karr und Mandy Spannenkrebs Zappelphilipp er gaukelt / und schaukelt / er trappelt / und zappelt / auf dem Stuhle hin und her …… Hans Guck in die Luft Wenn der Hans zur Schule ging, stets sein Blick am Himmel hing. Nach den Dächern, Wolken, Schwalben schaut er aufwärts allenthalben: Vor die eignen Füße dicht. Ja, da sah der Bursche nicht ........... Geschichte • • Begriffswandel, Synonyme, Begriffe – Minimal cerebral disease (MCD) – Minimal brain disorder (MBD) – Minimal brain dysfunction Ab den 60er Jahren wird Methylphenidat als Ritalin vermarktet • Schon 1859: „Solche Kinder haben etwas Ruheloses, sie sind in ewiger Bewegung, höchst flüchtig in ihren Neigungen, unstet in ihren Bewegungen, schwer zum Sitzen zu bringen, langsam in der Erlernung des Positiven, aber oft blendend durch rasche und dreiste Antworten“ (Heinrich Neumann) Psychopharmaka-Verkäufe (Methylphenidat) Erwerb von Methylphenidat durch Apotheken in Form von Fertigarzneimitteln Quelle: BfArM, Bundesopiumstelle Häufigkeit-Prävalenz-weltweit • Review über 102 Studien weltweit (Polanczyk et al. 2007; Banaschewski et al. 2010) – ADHD insgesamt • 5,3% – ADHD in der Kindheit • 6,5% – ADHD in der Adoleszens • 2,7% – HKS bei Schulkindern • 1,5% • Zahlen recht stabil • Auch über Ländergrenzen hinweg • Bei gleichen Diagnosekriterien ADHS? – auffällig? Diagnose 100% 13% Gesamt 100 % aufmerksamkeitsgestört (Lehrer, DSM IV) 13 % ADHS (nach Expertenurteil, DSM IV) 5% 5% Lauth, Schlottke 2002 „meine“ Klasse (hier 24 Schüler) "Die Schulklassengröße ist seit Jahren zu hoch für die quirligen heutigen Kinder und Jugendlichen und müsste bei gleichzeitiger Veränderung der Lehr- und Lernformen nicht auf 28, sondern auf 20 reduziert werden.“ Hartmut von Hentig (Frankfurter Rundschau, 10.10.2008): MPH, ADHS und Schule Anteil (in %) der Empfänger von MPH nach Alter und Beobachtungsjahr (Zahlen der AOK und KV Hessen (aus Deutschem Ärzteblatt; 06.01.2003; Ferber et al.) Kernsymptome Aufmerksamkeit Motorische Unruhe Impulsivität Aufmerksamkeitsstörung... ...zeigt sich z.B. in • • • • • • • Unstrukturierter Arbeitsweise Häufiges vergessen und verlieren von Gegenständen Unachtsamkeit Bemalten Arbeitsmitteln Zerknautschten Arbeitsmitteln Abgekauten Stiften Vergessen eigentlich für das Kind bedeutsamer Ereignisse und Dinge oder in • Vielen Flüchtigkeitsfehlern • unbeendeten Tätigkeiten, unvollständig ausgeführten Aufträgen • Der Schwierigkeit die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten • Hoher Ablenkbarkeit durch äußere Reize Hyperaktivität... ... zeigt sich z. B. in Hyperkinese Überdurchschnittlich verstärktem Bewegungsdrang Zappeln mit Händen und Füßen unruhigem spielen „wie aufgezogen sein“ ununterbrochenem Sprechen Exzessivem Herumlaufen oder Klettern in unpassenden Situationen Hyperaktivität Ständig wechselnde Beschäftigungen Impulsivität... ... zeigt sich z.B. in Kognitiver Impulsivität • Nicht abwarten können • Vorschnell antworten bevor die Frage zu ende gestellt wurde • Aufgaben lösen bevor diese genau verstanden wurde Sozialer/analoger Impulsivität • Schnell frustriert • Überschießende Reaktionen • Aggressivität • Plötzliche Handlungen • Häufig Störung des Sozialverhaltens • Unterbricht andere, stört andere Zusätzliche Kriterien • Zeitdauer: • Beeinträchtigung: • Beginn: • Ausschluss: • Schweregrad: • Auftreten : mindestens 6 Monate Sozialverhalten und Leistungsvermögen vor dem 7. Lebensjahr durch keine andere Störung, Ursache erklärbar keine Variante normaler Situationsübergreifend Diagnosestellung • Klinisch – – – – – • Komorbiditäten – • z.B. FBB-HKS, Connersbögen Ausschlussdiagnostik (somatisch) – – – • Andere psychiatrische Krankheiten Fragebogen – • Anamnese Exploration Verhaltensbeobachtung Entwicklungsalter Familienanamense Sehen Hören Schilddrüse Psychologische Leistungsdiagnostik – – – Intelligenz Teilleistungsschwächen Exekutive Funktionen (komplexe Lernstörungen) Klinik entscheidet Diagnosesysteme (WHO, APA) ICD-10-Diagnosen Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung / Hyperkinetische Störung F90.0 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens F90.1 Isolierte Aufmerksamkeitsstörung F98.8 DSM-IV-Diagnosen ADS: vorwiegend unaufmerksamer Subtyp 314.0 ADHS: vorwiegend hyperaktiver/impulsiver Subtyp 314.01 ADHS: kombinierter Subtyp 314.01 Fragebögen • Ausführlicher Fragebogen an Eltern zu allgemeiner Entwicklung und als Screening zu allen möglichen psychischen Störungen • Spezielle Fragebögen zu HKS an Eltern, Lehrer, Erzieher und mögliche andere Bezugspersonen des Kindes • Ab 11 Jahren Selbsteinschätzung durch das Kind Schulbeobachtung • Stony Brook Code – An zwei unterschiedlichen Tagen – 1x beiden ersten Stunden – 1x beiden letzten Stunden – 11 verschiedene Verhaltensweisen werden beobachtet – 3 Verhaltensweisen der Lehrer – Zum teil „timed“ zum teil „non timed“ „Zielkind“ wird systematisch mit so vielen Kindern wie möglich in seinem sozialen Kontext verglichen Diagnostik • Jedes Kind mit ADHS hat ..................... • Nicht jedes Kind mit ............ hat ADHS Fehldiagnosen • Normal – Unterschiedliche Normvorstellungen – Unterschiedliche Situationen mit unterschiedlichem Anforderungsprofil (z.B. Kindergarten-Schule) • Andere erklärende psychiatrische Erkrankung – – – – Anpassungsstörungen Depression PTSD Lernstörungen etc. • Nicht situationsübergreifend • Nicht messbar klinische Bewertung Die positive Seite: • • • • • • • • • Neugier Risikobereitschaft Sponatanität Energie Kreativität Fantasie rasche Auffassungsgabe Gerechtigkeitssinn u.a. Kennen Sie noch andere positive Verhaltensweisen? Elternbefragung zu Problembereichen (GEK-ADHS-Studie 2008/Anteil der Kinder mit deutlichen oder massiven Problemen) Schwierigkeiten für Familie (weltweite Befragung von Eltern von ADHS-Kindern, M. Weiss 2009) • Verbringen mehr Zeit mit dem ADHS-Kind • Berichten über mehr Streitigkeiten unter Familienangehörigen • Meiden bestimmte Orte • Hatten Fehltage am Arbeitsplatz 40% 41% 39% 28% 2. und 3. Krankheit • Stigma • „Familienkrankheit“ (Belastung der Eltern) • häufig für Behandlung bedeutsamer als primäre Störung (ADHS) 1. und 2. und 3. Krankheit Teufelskreise • • • • • • • Leistungsschwierigkeiten Konflikte im sozialen Miteinander Selbstwertproblematik Leistungsängste Soziale Isolation Depressive Entwicklung Kontraphobisches bzw. kompensatorisch oppositionelles Verhalten Verlauf vom Kindes- und Jugendalter ins Erwachsenenalter Hyperaktivität Impulsivität Kognitive Auffälligkeiten vgl. Biedermann, Faraone 2000 ADHS und Folgerisiken • • • • • • • • • Unzureichende schulische Qualifikation Unterdurchschnittliches Einkommen Arbeitslosigkeit gestörte familiäre Beziehungen (Huss 2004) Schwierigkeiten mit stabilen Beziehungen (Huss 2004) Teenagerschwangerschaften (Harpin 2005) Erhöhte Delinquenz (Barkley 2003, Retz 2004) Beeinträchtigte Versorgung eigener Kinder (Huss 2004) Erhöhtes Risiko von Unfällen und traumatischen Verletzungen – Autounfälle (Biederman 2005, Barkley 2003) – Akzidentielle Vergiftungen (Biederman 2005, Barkley 2003) – Zahn- und Gesichtsverletzungen (Sabuncuolglu 2005) Auch sehr erfolgreiche Karrieren Dustin Hoffman Hermann Hesse Komplexe Ätiologie (frei nach Sonuga-Barke 2010) • Wir sprechen von einem Modell, in welchem viele Erb- und Umgebungsfaktoren während der frühen kindlichen Entwicklung interagieren • Führen zu neurobiologischen Dispositionen, die sich als Defizite in verschiedenen neuralen Netzwerken und neuropsycholgischen Funktionen niederschlagen • Diese werden wiederum moderiert durch Umgebungsfaktoren. Dabei spielt der Zeitpunkt der Exposition eine große Rolle • Es sich bei der ADHS um eine heterogene Gruppe von Krankheiten bzw. Beeinträchtigungen handelt Ätiologie • Verschiedene Betrachtungsebenen • Schaubild – Psychosoziale Bedingungen – Symptome – Neuropsychologie – Morphologie – Genetik therapierelevant Förderung exekutiver Funktionen Informationen Kontakt News Definition: exekutive Funktionen (EF) • komplexe kognitive Fähigkeit • „umbrella“ Begriff • Selbstregulation und Handlungssteuerung – – – – Inhibition / Impulskontrolle Arbeitsgedächtnis Kognitive Flexibilität Organisation / Planung Sitz des exekutiven Systems Gogtay et al. 2004 Förderung exekutiver Funktionen Home Informationen Kontakt News Mitarbeiter ZNL Freie Mitarbeiter Partner Wehrfritz Metzler-Stiftung Fex-Illustration Projekte Fex bei Wehrfritz Fex in bayerischen Grundschulen steht für „Förderung exekutiver Funktionen“. ist ein Spiel- und Lernprogramm, das vom Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) an der Universität Ulm gemeinsam mit der Wehrfritz GmbH und mit Unterstützung der Metzler-Stiftung entwickelt wird. In den kommenden Jahren werden die Spiele und Lernmaterialien im Austausch von Wissenschaftlern, Pädagogen und der Wehrfritz GmbH in ein pädagogisches Gesamtkonzept zum Training exekutiver Funktionen für Kindergärten, Grundschulen und Familien integriert. Materialien Broschüre Achtung! Fertig! Fex! 4 x Fex Fex Sportspiele Veröffentlichungen Publikationen Presse ZNL Unabsichtliche Selbstausbildung „Diese Selbstausbildung des Initiativwesens vollzieht sich …. im Spiel.“ (Karl Groos 1904) Förderung exekutiver Funktionen Home Mitarbeiter ZNL Freie Mitarbeiter Partner Wehrfritz Metzler-Stiftung Fex-Illustration Projekte Informationen Kontakt News Achtung! Fertig! Fex! – Prototyp Hier ist körperliche Aktivität gefragt! Trainiert werden exekutive Funktionen in Verbindung mit verschiedenen Laufspielen. Hier online bestellen Link Fex bei Wehrfritz Fex in bayerischen Grundschulen Materialien Broschüre Achtung! Fertig! Fex! 4 x Fex Fex Sportspiele Veröffentlichungen Publikationen Presse ZNL braucht es Pillen für die Schule? Methylphenidat und Response • Gute Wirksamkeit (SIGN 2001, Banaschewski et al. 2006, NICE 2008) • Verbesserung von – – – – Kernsymptomen: Hypermotorik, Aufmerksamkeit, Impulsivität Vermindert aggressives Verhalten Verbessert soziale Interaktionen und Regelverhalten Peers: sind kooperativer, man hat mehr Spass, eher „bester Freund“ • Responseraten bei mindestens 70% (Effron et al. 1997) • Kumulativ bei mindestens 95% (ebd.) • aber: • Schlechtere Response – bei ADS (Aufmerksamkeitsstörung als Zielsymptom) – bei Komorbiditäten > 3 (Ghuman et al. 2007) • Am häufigsten: Sozial- und Verhaltensstörung, Angststörung Atomoxetin bei ADHS • • • • • • NA-Wiederaufnahmehemmer 1-2 Gaben am Tag Volle Wirkung nach 6 Wochen Mittel 2.Wahl wenn: Tics, Sucht, Angststörung NW: – GI-Beschwerden, Sedierung, verminderter Appetit – Vereinzelt Lebererkrankung – Suizidgedanken können zunehmen Wirkung - Differentialtherapeutische Überlegungen Efficiacy IR-stimulants LA-stimulants Atomoxetin effect sizes NNT ++ ++ ++ ++ + ++ efficiacy duration + ++ ++ compliance + ++? ++? dosing felxibility ++ + + abuse potential D-Amphetamin + +++ +? - - -- -- costs D. Coghill-2nd International congress on ADHD-Wien-2009 Psychotherapie Einteilung nach Behandlungsfokus kindzentriert elternzentriert schul- bzw. kindergartenzentriert übergreifende Methoden • • • • • • • • • Wissensvermittlung Förderung positiver Beziehungen Verbesserung der Kommunikation Verhaltensmodifikatorischer Techniken Veränderung von Umgebungsbedingungen Selbstmanagement und Selbstregulation Soziales Kompetenztraining Förderung exekutiver Funktionen Lernstrategien Schulzentrierte Interventionen Setting anpassen • geeigneter Sitzplatz • Kind aktiv einbinden • kürzere Lerneinheiten • Wechselnde didaktische Methoden • geeignete Lernpartner • Kernaufgabe klären • engere Zusammenarbeit mit den Eltern Tools nutzen • Verstärkerpläne • sofortige und differenzierte Rückmeldungen • Wertschätzung!! • Signalkarten • Rituale • vereinbarte Zeichen • Verträge über persönliche Ziele • Selbstinstruktionen • (Selbst-)Evaluation Denken Sie an Ihre Gesundheit • v.a. bei „lauten Störungen“, die schwer Verhaltensauffälligen • bei seelisch erkrankten Kindern, die so sehr mit sich selbst zu kämpfen haben ,dass sie einem geregelten Unterricht kaum folgen können Sie stellen die größte Belastung für Lehrer dar (U. Schaarschmidt 2005, Studie der Universität Potsdam) und sind in hohem Masse mitverantwortlich für •Burn out •Frühberentung Externalisierende Störungen internalisierende Störungen •ADHS •Oppositionelle Störungen •Sozial- und Verhaltensstörungen •Autistische Störungen •Borderlinestörungen •Psychotische Störungen •ADS •Depressive Störungen •Angststörungen •Zwangsstörungen •Traumastörungen •Essstörungen Literatur-Vorlagen • Banaschewski et al. 2010 – ADHD and Hyperkinetic Disorder. – Oxford Psychiatry Library • Eleonore Soei 2007 – ADHS – Aktueller Stand der Forschung. – Vortrag • Manfred Döpfner et al. 2006 – Wackelpeter und Trotzkopf. – PVU • Manfred Döpfner 2009 – Hyperkinetische Störungen (HKS) – Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörungen (ADHS). – Vortrag • Remo Largo, Martin Beglinger 2009 – Schülerjahre. Wie Kinder besser lernen. – Piperverlag