Abstimmung in der Stadt Zürich Kampf für ein besseres Wahlsystem von Adi Kälin / 7.1.2017, 09:00 Uhr Die 5-Prozent-Hürde bei den Wahlen in Zürichs Gemeinderat soll fallen. Dies verlangt eine Initiative, die von kleinen und mittleren Parteien unterstützt wird. Die Chancen sind aber eher gering. Die 5-Prozent-Hürde im Zürcher Wahlsystem hat in den letzten Jahren immer wieder zu reden gegeben – zuletzt und recht heftig nach den Gemeinderatswahlen 2014. Die EVP hätte zwar von ihrem Wähleranteil her Anrecht auf drei Sitze im Gemeinderat gehabt. Weil sie aber in keinem einzigen Wahlkreis 5 Prozent der Stimmen erreichte, wurde sie gar nicht zur Verteilung der Mandate zugelassen. Klar wurde dies erst nach einer Nachzählung im Kreis 9; schliesslich fehlten 31 Stimmen zum Quorum. Damit war nicht eine neue Kleinpartei an der 5-ProzentHürde gescheitert, sondern eine Partei, die seit Jahrzehnten in der städtischen Politik aktiv war. Die Sitze der EVP wurden verteilt: Je einen erhielten SP, SVP und AL. Hürde ist nicht von Pukelsheim Zusammen mit BDP, EDU, SD und Piraten hat die EVP kurz darauf die Initiative «Faires Wahlrecht für Züri» lanciert, deren Ziel es ist, die 5-Prozent-Hürde bei den kommunalen Wahlen abzuschaffen. Rechtlich ist dies durchaus möglich: Das kantonale Recht erlaubt den Parlamentsgemeinden, von den Bestimmungen für die Kantonsratswahlen abzuweichen. Zehn kleinere und mittlere Parteien unterstützen die Initiative, über die am 12. Februar abgestimmt wird. Die drei Grossen (SP, SVP und FDP) lehnen sie ab. Auch Gemeinderat und Stadtrat, in denen die drei grossen Parteien klare Mehrheiten haben, stellen sich gegen die geplante Änderung. Das Wahlverfahren, das für Kantons- und Gemeinderat gilt, ist noch nicht sehr alt. Es wurde eingeführt, nachdem das Bundesgericht 2002 das alte System als verfassungswidrig erklärt hatte. Das heutige Verfahren, das nach seinem Erfinder Friedrich Pukelsheim benannt ist, teilt den Parteien grundsätzlich so viele Ratssitze zu, wie ihnen von ihrem Wähleranteil her zustehen. Allerdings wird zu dieser Sitzverteilung nur zugelassen, wer in einem Wahlkreis mindestens fünf Prozent der Stimmen erreicht. Diese Sperrklausel stammt nicht von Pukelsheim selber, sondern wurde nachträglich vom Kantonsrat eingefügt. Es handle sich um «eine unter politischen Gesichtspunkten erfolgte Ergänzung», schrieb Pukelsheim später. Dass ein derartiges Quorum geschaffen werden könnte, hatte er aber schon früher nicht ausgeschlossen. Tatsächlich nämlich ist das sogenannte natürliche Quorum beim Pukelsheim-Verfahren sehr tief. Im Fall des Zürcher Gemeinderats genügen rund 0,42 Prozent der Stimmen, um einen Sitz zu ergattern. Die Tabelle unten zeigt, dass bei den letzten Wahlen sogar die EDU einen Sitz bekommen hätte, die nur gerade 0,51 Prozent der Stimmen erreichte. Sieben Mandate wären 2014 anders verteilt worden, wenn es die Hürde damals nicht gegeben hätte. 2010 wären es zwei Mandate gewesen, 2006 vier. «Atomisierung» des Rats Hier setzt denn auch die Kritik von SVP, FDP und SP an der Initiative an: Sie befürchten eine Zersplitterung der politischen Kräfte im Gemeinderat; der Stadtrat spricht in seiner Weisung sogar von «Atomisierung». Mit der 5-Prozent-Hürde sei gewährleistet, dass Vertreter jener Parteien gewählt würden, die über einen gewissen Rückhalt bei Wählerinnen und Wählern verfügten. Ohne Hürde werde der Ratsbetrieb viel komplizierter: Weil die Vertreter der kleinen Parteien ohne Fraktionsstärke nicht in Kommissionen sässen, müssten sie sich vermehrt mit parlamentarischen Vorstössen und Wortmeldungen im Rat Gehör verschaffen. Ein Nein im Jahr 2011 Gegen Änderung und Initiative spricht, dass 2011 eine Einzelinitiative abgelehnt worden ist, die zwar nicht auf die Abschaffung der 5-Prozent-Hürde zielte, sie aber auf 2 Prozent senken wollte. Das Stimmvolk sagte mit 64,9 Prozent Nein, obwohl der Gemeinderat damals noch für die Einzelinitiative eingetreten war. Die aktuelle Initiative hat er mit 69 zu 51 zur Ablehnung empfohlen. Auch die Gerichte haben sich immer wieder mit der 5-Prozent-Hürde befasst. 2014 fand das Bundesgericht, das Quorum sei haltbar und massvoll. Schon früher hatte es festgehalten, dass ein Quorum bis maximal zehn Prozent noch rechtmässig wäre. Es sei ein legitimes Interesse, einer Zersplitterung der Kräfte entgegenzuwirken. Diese könne nämlich nicht nur das Parlament schwächen, sondern auch dessen Stellung gegenüber Stadtrat und Verwaltung. FDP und SVP stimmten im Gemeinderat geschlossen gegen die Initiative, die SP war gespalten. Dieses Bild zeigte sich auch bei der SP-Delegiertenversammlung. 54 sagten Ja, 36 Nein zur Initiative. Wie dem Bericht in der Zeitung «P. S.» zu entnehmen ist, argumentierten die Gegner vor allem damit, dass die rot-grüne Seite im Gemeinderat durch die Abschaffung der 5-Prozent-Hürde geschwächt würde. Tatsächlich zeigen die Zahlen für 2014, dass mehrheitlich Kleinparteien von rechts Sitze gewonnen hätten. Allerdings hätten, wenn die 5-ProzentHürde schon damals abgeschafft gewesen wäre, vermutlich auch zusätzliche Gruppierungen des linken Spektrums kandidiert, um ihre Chancen zu nutzen. Ein klares Ja zur Initiative kommt von den Juso, die sogar offiziell im Abstimmungskomitee der Befürworter vertreten sind. «Der Gemeinderat wird bunter, nicht weniger effizient» ak. ⋅ Etwas haben die zehn Parteien, die am Freitag vor den Medien für ihre Initiative geworben haben, gemeinsam: Sie sind alle in einem Schweizer Parlament vertreten. Den Sprung in den Zürcher Gemeinderat schafften 2014 aber nur vier von ihnen, nämlich GP, GLP, CVP und AL. Ohne die 5-Prozent-Hürde wäre dies den andern wohl auch gelungen, die EVP hätte sogar gleich drei Sitze erhalten. Tatsächlich aber gingen die Stimmen, die für sie und ihre Mitstreiter von SD, BDP, Piraten und EDU abgegeben wurden, verloren – total gut 5,6 Prozent aller Stimmen. Dies sei ein eklatanter Verstoss gegen den Grundsatz, dass jede Stimme die gleiche Chance haben müsse, sagte Ernst Danner von der EVP. Die Initiative «Faires Wahlrecht für Züri» wolle diese Ungerechtigkeit beseitigen und die Vertretung der ganzen Bevölkerung im Gemeinderat sicherstellen. «Der Gemeinderat wird dadurch bunter, vielfältiger, aber keineswegs weniger effizient», sagte Danner. Markus Hungerbühler (cvp.) trat dem Argument entgegen, der Ratsbetrieb werde durch die kleinen Parteien gelähmt. Die paar «Einzelmasken» würden doch höchstens die Diskussion beleben, sicher aber nicht das ganze Parlament blockieren oder lahmlegen. Zudem könnten sie sich ja auch einer Fraktion anschliessen. Matthias Wiesmann (glp.) meinte, die Parteienvielfalt Zürichs würde ohne die 5-ProzentHürde deutlich grösser; dies bilde die Präferenzen der Bevölkerung auch besser ab. Auch Karin Rykart (gp.) trat den Befürchtungen über eine Zersplitterung der Kräfte entgegen. Die heutige Situation mit nur sieben Parteien und zwei fast gleich grossen Lagern sei ja nicht einfach positiv, im Gegenteil, das Ringen um Mehrheiten sei zäher geworden, da die Lager geschlossener aufträten. Zu Überraschungen komme es heute selten. Walter Wobmann (sd.) schliesslich fand, die 5-Prozent-Hürde sei doch nur wegen der Pfründenpolitik der grossen Parteien eingeführt worden – importiert aus Deutschland, wo eine solche Regelung durchaus sinnvoll sei. Dort gehe es ja darum, stabile Mehrheiten zu bilden, weil es sonst gleich zu Regierungskrisen komme. Bei uns sei man glücklicherweise daran gewöhnt, dass die Regierung ab und zu mit einer Vorlage scheitere. Eduard Guggenheim (al.) meinte, auch neue Parteien und neue Bewegungen sollten eine Chance erhalten, gewählt zu werden. «Frischer Wind im Parlament schadet nicht, auch wenn er im ersten Moment als störend empfunden werden kann.» Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG. Alle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverarbeitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung zu gewerblichen oder anderen Zwecken ohne vorherige ausdrückliche Erlaubnis von Neue Zürcher Zeitung ist nicht gestattet.