SEHEPUNKTE - Druckversion: Rezension von: Monkey Trials and

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sehepunkte 9 (2009), Nr. 10
Peter J. Bowler: Monkey Trials and Gorilla Sermons
Peter Bowler ist Wissenschaftshistorikern durch seine ebenso zahl- wie einflussreichen Publikationen zur
Geschichte der Evolutionstheorien wohl bekannt. Auch das Thema des sich wandelnden Verhältnisses
zwischen Evolutionsidee und religiösem Glauben ist kein Neuland für den Autor. In diesem Buch richtet er
sich vornehmlich an Studierende. Es soll einen gut verständlichen und mit Genuss lesbaren Überblick bieten
und auf vertiefende Literatur verweisen. Neue Einsichten finden sich insbesondere in die amerikanische
Debatte des frühen 20. Jahrhunderts, die in der Geschichtsschreibung gerne durch das Spektakel des Scopes
(monkey) trial von 1925 überschattet wird. Der Prozess warf das Gesetz in Bezug auf die Evolution in die
Waagschale, das in Tennessee wie in anderen Bundesstaaten verbot, an staatlichen Schulen eine der Bibel
widersprechende Theorie zu lehren. Bowler setzt sich dagegen stärker mit den liberalen Spielarten des
Christentums in U.S.-Kirchen auseinander. Diese waren in Europa etwa durch die gorilla sermons des
späteren Bischofs von Birmingham, Ernest William Barnes, ruhmvoll vertreten.
Bowler möchte also aufzeigen, dass sich das Verhältnis von christlichem Glauben und Evolutionsideen für
keine Epoche auf eine binäre Gegenüberstellung reduzieren lässt. Er arbeitet daher die Breite des Spektrums
an Haltungen gegenüber der Evolution von Glaubensvertretern heraus und prüft andererseits die
bekanntesten Evolutionsbiologen auf ihre Einstellung gegenüber der Religion. Damit richtet er sich auch an
jene, die sich an den gegenwärtigen Kontroversen beteiligen. Bowler bezieht denn auch persönlich Stellung,
indem er sich als Skeptiker zu erkennen gibt. Wie der Wissenschaftsphilosoph Michael Ruse vertraut er aber
nicht auf den Konfrontationskurs, wenn die Wissenschaft mit Strömungen wie jenem des amerikanischen
Intelligent Design und deren Forderungen konfrontiert ist: "Evolution is not necessarily atheistic, and
creationism is not the only alternative open to the Christian" (4). Gleichzeitig ist er nicht von Stephen Jay
Goulds Argument überzeugt, dass die Religion und die Evolutionsbiologie friedlich und ungestört
nebeneinander leben könnten, weil sie unterschiedliche Bereiche - Werte und Fakten - beträfen (Rocks of
Ages 1999). Bowler betont völlig richtig, dass beide Anspruch auf die Definitionsmacht bezüglich der
Entstehung und der Natur des Kosmos - inklusive des Menschen - erheben.
Das Buch ist chronologisch aufgebaut. Es beginnt mit jenem Kontext, in welchen Charles Darwin sein
Meisterwerk entlassen würde. In der seit dem 17. Jahrhundert florierenden Tradition der Naturtheologie
wurde die Erforschung der natürlichen Welt als Erhellung der von Gott geschaffenen Ordnung verstanden.
Gottes Macht, Weisheit und Güte schienen besonders offenbar in der Perfektion, mit der jedes Lebewesen an
seine Umstände angepasst war (argument from design). Selbst in der bereits enorm ausgedehnten
Erdgeschichte der Geologen der Zeit hielt sich die Vorstellung, die Lebewesen seien wiederholt durch
Schöpfungen an die von Katastrophen heimgesuchte und veränderte physische Welt angepasst worden.
Darwin würde diese Anpassungen, die er als keineswegs perfekt erkannte, als das Resultat von natürlichen
Prozessen beschreiben. Das scheinbar so klar von einer schöpfenden Intelligenz zeugende Design wurde auf
das Zusammenwirken von zufällig entstehender organismischer Variation und differentiellem
Fortpflanzungserfolg in spezifischen Umwelten 'reduziert'.
Der Skeptizismus, Materialismus und mitunter Atheismus der Aufklärung hatte bereits vor Darwin
Transformationstheorien den Weg bereitet. Diese gingen jedoch nicht von einer gemeinsamen Abstammung
der Arten aus. Vielmehr wurde angenommen, dass die niedrigsten Lebewesen durch spontane Zeugung
entstünden und danach eine vorgegebene fortschrittliche Entwicklung hin zum Menschen durchliefen. Manche
etwas weniger radikale Denker verbanden solche Modelle mit der Vorstellung, Gott habe sich zumindest
insofern an der Welt beteiligt, dass er diese Entwicklungsgesetze festgelegt habe.
16.08.2011 16:00
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Darwins Zeitgenossen benutzten seine Theorie im Kampf gegen die institutionalisierte Religion - am
bekanntesten Thomas Henry Huxley in England und Ernst Haeckel in Deutschland - aber es gab weiterhin
Kompromissversuche. Diese funktionierten in erster Linie über das Prinzip des Forschritts. Während Darwins
Buch On the Origin of Species (1859) der Evolutionsidee zum Durchbruch verhalf, fand seine VariabilitätsSelektionstheorie weniger Anklang. Alternative Evolutionsmechanismen wie die Vererbung erworbener
Eigenschaften waren viel besser dazu geeignet, zielgerichteten Forschritt in der Evolution zu begründen.
Diese Hinwendung zu einem teleologischen Transformismus wurde durch eine liberalere Theologie gestützt,
die die Bibel nicht mehr wörtlich nahm und nicht mehr auf dem Sündenfall und der Erlösung bestand. Damit
wurde es möglich, die Entfaltung der lebenden Welt als fortschrittlich zu verstehen, gar durch den Einsatz
des Einzelnen angetrieben, analog der gesellschaftlichen Entwicklungen, wie sie die Vertreter des freien
Marktes wahrnahmen. Dabei konnte Forschritt wie bereits in den vordarwinschen Modellen als rein
naturalistisch bedingt oder von Gott vorgesehen verstanden werden.
Konservative Kräfte erkannten sofort, dass Darwins natürliche Selektion eine weit größere Herausforderung
für den christlichen Glauben darstellte und manche Theologen und gläubige Wissenschaftler machten daher
auf die Brutalität, die Sinn- und Ziellosigkeit einer Evolution aufmerksam, die von diesem Mechanismus
bestimmt war. Ihre Befürchtungen in Bezug auf die herausragende Stellung des Menschen in der Schöpfung
und auf die christliche Moral gewannen an Brisanz, als in der sogenannten modernen oder evolutionären
Synthese ab den 1930er-Jahren die Selektionstheorie zum Kernstück der Evolutionsbiologie wurde. Eine
Entwicklung, die auch den Einsichten in die Vererbungsprozesse in der neuen Wissenschaft der Genetik
geschuldet war. In Amerika war 'der Kompromiss Fortschritt' bereits zuvor sozusagen von der anderen Seite
gefährdet worden - durch das Erstarken der religiös konservativen Kräfte.
Sogar im neodarwinschen Paradigma blieb es jedoch möglich, den Evolutionsprozess als fortschrittlich, wenn
auch nicht zielgerichtet, und den Menschen als dessen höchstes Produkt zu verstehen. Dennoch ist mit
Selektionisten wie Richard Dawkins und Daniel Dennett schließlich eine neue Generation auf die Bühne
getreten, die wie Huxley und Haeckel zuvor die Ausschließlichkeit von christlichem Glauben und
Evolutionstheorie postulieren. Die Fronten verhärteten sich beidseitig. Bereits in den 1950er-Jahren wurde
der Kreationismus durch das Kernstück eines biblischen Literalismus wiederbelebt. Seither hat die Intelligent
Design Bewegung dafür gesorgt, dass kein friedliches Nebeneinander, sondern ein Konkurrenzkampf um
Einflussnahme insbesondere auf die Bildung das Verhältnis bestimmt.
Bowler betont, dass diese polarisierte Situation kaum historische Vorläufer habe. Sicher ist, dass die
jung-Erde Position in den hundertfünfzig Jahren vor der aktuellen Bewegung wenig Anhänger in den
gebildeten Schichten hatte. Bowler hofft, dass die liberaleren Traditionen in der Biologie und Theologie
wieder erstarken. Erste Zeichen könnte man darin sehen, dass die Reduktion der Evolution auf die
Selektionstheorie unter Beschuss geraten ist, insbesondere vom neuen Ansatz der evolutionary
developmental biology. Andererseits sehen heute manche Theologen gerade in der natürlichen Selektion die
Lösung, die Möglichkeit und Verantwortung der Schöpfung, sich frei zu entwickeln, zu begründen.
Bowler erreicht zumindest sein Ziel der Übersicht und Leserfreundlichkeit, mit der Einschränkung, dass der
Fokus auf Großbritannien und den U.S.A. liegt. Der Anspruch, beide Seiten - Religion und Wissenschaft darzustellen, führt zudem dazu, dass zahlreiche Aspekte seiner Ansicht der Geschichte der
Evolutionsbiologie (insbesondere der 'darwinschen Revolution') wiederholt werden, dabei aber die
unterschiedlichen Positionen innerhalb der Richtungen des christlichen Glaubens etwas zu kurz kommen und
oft an der Oberfläche bleiben. Auch dieses Buch des Autors ist eine Ideengeschichte, die wenig
epistemischen Gebrauch von kulturellen Kontexten macht. Ob Bowler sein ehrgeizigeres Vorhaben der
Einflussnahme auf die aktuellen Auseinandersetzungen zum Thema Evolution versus Religion gelingt, bleibt
fraglich. Er stellt selbst die Gefahr fest "[...] that liberal theologians and intellectuals debate in their ivory
tower while militant religion runs rampant in the everyday world" (218). Auch Monkey Trials & Gorilla
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Sermons dürfte beim Leserkreis weitgehend offene Türen einrennen.
Rezension über:
Peter J. Bowler: Monkey Trials and Gorilla Sermons. Evolution and Christianity from Darwin to Intelligent Design, Cambridge, MA
/ London: Harvard University Press 2007, vii + 256 S., ISBN 978-0-674-02615-5, USD 24,95
Rezension von:
Marianne Sommer
Professur für Wissenschaftsforschung, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
Empfohlene Zitierweise:
Marianne Sommer: Rezension von: Peter J. Bowler: Monkey Trials and Gorilla Sermons. Evolution and Christianity from Darwin to
Intelligent Design, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL:
http://www.sehepunkte.de/2009/10/17047.html
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16.08.2011 16:00
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