Sendungsbroschüre

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Information zur Sendung
vom 12. August 2010
(Wiederholung vom 23. April 2009)
Dem Tumor auf der Spur
Neues aus der Krebsforschung
In jeder Wohnung, an jedem
Arbeitsplatz sind wir Nacht für
Nacht künstlichen Lichtquellen
ausgesetzt. Ein Leben ohne sie
ist undenkbar. Doch seit einigen
Jahren hat der Krebsforscher
Professor Richard Stevens einen
schrecklichen Verdacht. Das
nächtliche Kunstlicht könnte bei
Menschen Krebs auslösen, da
unser Hormonhaushalt durch
Licht empfindlich gestört wird,
so der Krebsforscher. Odysso
zeigt, welche Art von Licht unsere
Gesundheit besonders gefährdet.
Allgegenwärtig: Künstliches Licht ist ein fester Bestandteil unseres Alltags
Inhalt
S. 2 Kosten-Nutzen-Analyse in der Krebstherapie
S. 4 Impfen gegen Krebs
S. 6 Gefährliches Kunstlicht
S. 8 Lymphknoten metastasieren nicht
S. 10Adressen & Links
Kosten-Nutzen-Analyse in der Krebstherapie
von Frank Wittig
Seit knapp zehn Jahren drängt eine neue Generation von Krebsmedikamenten in die
Behandlung: Zielgerichtete Therapie nennen die Hersteller ihre neuen Substanzen und
wollen damit sagen, dass hier nicht wie bei der herkömmlichen Chemotherapie der
ganze Körper mit einer Giftdusche behandelt wird, sondern dass ganz gezielt nur die
Krebszellen angegriffen werden. Leider sind die Behandlungserfolge dieser Substanzen gering – die Kosten für das Gesundheitssystem dagegen erheblich.
Außerdem können die Nebenwirkungen zum Teil noch
gravierender sein als bei der herkömmlichen Chemotherapie. Dass schon die eine große Belastung sind,
weiß Heike L. aus Salzgitter. Sie hatte 2002 nach einer
operativen Entfernung ihres Eileiterkrebses zur Sicherheit eine klassische Chemotherapie gemacht: „Ich
habe im Bett gelegen, konnte wirklich nur vom Bett
bis zur Toilette gehen. Ich hatte Gliederschmerzen, unruhige Beine – also die Beine haben gezappelt. Und ich
hatte wahnsinnige Schmerzen in den Beinen. Also das
sind Schmerzen, die sind unbeschreiblich.“
Möglicherweise hat Heike L. von ihrer ersten, klassischen, Chemotherapie aber wenigstens profitiert
und Jahre ohne Beschwerden gewonnen.
Heike L. beim Ausritt mit der Stute Kaschaya
Bei den meisten Patienten wirken die
neuen Krebsmedikamente überhaupt nicht
Im Moment geht es Heike L. so gut, dass sie mit ihrer
Stute Kaschaya ausreiten kann. Die Frage ist allerdings, wie lange noch. Denn in ihrem Unterleib haben
sich Krebsmetastasen ausgebreitet. Nach der Krebsoperation und einer zusätzlichen Chemotherapie hatte
sie fünfeinhalb Jahre Ruhe. Vor einem Jahr wurde
dann der schlimme Rückfall entdeckt: das Rezidiv.
Heike L. erinnert sich noch an ihre erste Reaktion damals: „Als ich diese Diagnose bekommen habe, eben
auch mit dem Vorwissen, dass es bei einem Rezidiv –
und gerade bei einem so ausgeprägten Rezidiv – keinerlei Heilungsmöglichkeiten gibt, hatte ich für mich
beschlossen, dass ich keine Chemotherapie mehr
machen möchte. Eben wegen der Nebenwirkungen.
Bei der ersten Chemotherapie waren diese die Hölle.“
Bei den neuen Krebsmedikamenten ist das die absolute Ausnahme. Ganz präzise sollen sie – so die Hersteller – nur auf Krebszellen wirken. Der Schönheitsfehler: Bei den meisten Patienten wirken sie
überhaupt nicht. Die plagen sich nur mit den teils
schweren Nebenwirkungen. Professor Wolf-Dieter
Ludwig ist Krebsmediziner und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte. Er kennt
die Studien zu den neuen Medikamenten. Seine Einschätzung: „Wir haben bisher nur sehr wenige Substanzen, die tatsächlich einen Fortschritt für die Patienten bedeuten. Wir haben gleichzeitig eine
Kostenexplosion aufgrund der sehr hohen Kosten für
diese neuen Arzneimittel, die unser Gesundheitssystem in Zukunft stark belasten werden.“
Er nennt Tarceva gegen Krebs der Bauchspeicheldrüse. Laut Hersteller ein großer Fortschritt. Aber, so
Prof. Ludwig: „In der Studie, die zur Zulassung geführt
hat, ist die Verlängerung des Überlebens gerade mal
in der Größenordnung von zehn bis zwölf Tagen. Die
Lebensqualität wird durch diesen Wirkstoff nicht verbessert. Und dieser Wirkstoff hat natürlich unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die in der Studie
deutlich stärker waren als die Nebenwirkungen des
herkömmlichen Zytostatikums.“ Besonders bitter:
Die Behandlung mit diesen Mitteln gleicht einem
Glücksspiel. Die Chancen auf den Gewinn: oft nur
etwa eins zu zehn.
Sendung vom 12.08.2010
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Wie bei Torisel gegen Nierenkrebs. Laut Zulassungsstudie profitieren nur neun Prozent der behandelten
Patienten. Die Kosten liegen bei 57.000 Euro pro Jahr
und Patient. Oder Vectibix gegen Darmkrebs: Das
Medikament wirkt nicht einmal bei jedem zehnten
behandelten Patienten. Kostet: 75.000 Euro pro Jahr
und Patient. Und weil die meisten Behandlungen
Nieten sind, kostet ein Erfolg das Gesundheitssystem
eigentlich Hunderttausende Euro. So viel wie für ein
Haus – für ein paar Monate Leben?
Nur 9 Prozent der behandelten Patienten
profitieren von Torisel
Die Bestandsaufnahme zur neuen, „zielgerichteten
Krebstherapie“ ist bitter. Dennoch greifen Hunderttausende Patienten jedes Jahr nach diesem Strohhalm. Auch wenn die Aussichten auf Erfolg bescheiden sind, die Nebenwirkungen gewonnene Lebenswochen auffressen und gigantische Kosten entstehen.
Unverzeihlich ist aber, dass die millionenfach anfallenden Daten aus den Behandlungen nicht ausgewertet werden. Es gibt kein zentrales Register, in dem
Erfolge und Misserfolge, Wirkungen und Nebenwirkungen systematisch erfasst werden, um für Patienten wenigstens den besten Umgang mit den Substanzen zu ermitteln.
“... von 95 Prozent der Patienten kennen
wir die Daten nicht systematisch ...“
Dirk Jäger leitet das Tumor-Kompetenzzentrum in Heidelberg. Auch er sagt uns: Die neuen Medikamente
helfen nur selten, und wenn nur wenig: „Wenn wir
beispielsweise die Situation bei Dickdarmkrebs anschauen, dann ist das durchschnittliche Überleben der
Patienten in einer fortgeschrittenen Situation ohne
Therapie etwa acht bis neun Monate. Mit der herkömmlichen Chemotherapie sind es ungefähr um die
20 Monate. Durch den Einsatz der neuen, zusätzlichen,
modernen Substanzen – zum Beispiel Antikörper –
sind es wahrscheinlich einige wenige Monate mehr.“
Das kritisiert auch Prof. Dirk Jäger, Leiter des nationalen Tumor-Kompetenzzentrums in Heidelberg: „Von
95 Prozent der Patienten kennen wir die Daten nicht
systematisch. Und da sind wir in Deutschland sicher in
einer katastrophalen Situation. Wir brauchen dringend eine neue Struktur, eine Registerstruktur, die es
uns erlaubt, tatsächlich auch Verlaufsbeurteilungen
von unseren behandelten Patienten zu erheben.“
Heike L. wollte nach der Rückkehr ihres Tumors eigentlich keine Chemotherapie mehr machen. Aber:
„Ich habe mich dann entschieden, dennoch eine Chemotherapie zu machen. Ärzte haben mir dazu geraten, auch Bekannte. Es baut sich ein ungeheuerer
Druck auf, etwas zu tun. Aber mit den Nebenwirkungen, die ich hatte, kann ich eigentlich die Hälfte
der Zeit streichen.“
Heike L. hat sich entschieden: Sie will sich nicht mehr
auf Teufel-komm-raus ans Leben klammern: „Die Frage ist auch, ob mir ein Monat länger überleben, ob mir
das wichtiger ist als die Lebensqualität. Also für mich
ist es eher sinnvoll, den Tagen Leben zu geben, als dem
Leben Tage.“ Draußen in der freien Natur, unterwegs
mit ihrer Stute Kaschaya und Hund Ludwig, das sind
wertvolle Tage, die Heike L. noch genießen möchte.
Unverzeihlich: Millionenfach anfallende Daten aus den Behandlungen werden bislang nicht ausgewertet
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Impfen gegen Krebs
von Frank Wittig
Dass Krebs eine der gefährlichsten Erkrankungen ist, zeigen schon die Zahlen: Alleine
in Deutschland erkranken jedes Jahr 400.000 Menschen an Krebs. Trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung wurde bislang noch keine optimale Waffe gegen den Krebs
gefunden. Das Beste wäre, wenn der Körper den Krebs selbst bekämpfen könnte – mit
Hilfe des Immunsystems. Da aber dieses ausgeklügelte und höchst effektive Verteidigungssystem nicht auf Krebs optimiert ist, hilft man nach. Und zwar mit einer Impfung. Die
vorbeugende Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs wird bereits eingesetzt. Jetzt aber
soll eine Impfung das Tumorwachstum aufhalten und bereits an Krebs erkrankte Menschen
vor einem Rückfall bewahren. Diese Strategie ist nicht ganz neu, aber bisher hat sie
nicht gut funktioniert. Der Verdacht: Die Impfstoffe waren nicht präzise genug. Jetzt
haben Wissenschaftler eine neue Methode entwickelt, die Hoffnungen weckt.
Vielleicht hat er schon davon profitiert: Gerhard G.
ist auf dem Weg zur Nachsorgeuntersuchung in der
Tübinger Uniklinik. Ein schwerer Weg. Sein Nierenkrebs wurde zwar wegoperiert, die Angst aber bleibt.
Gerhard G. hat sich im Rahmen einer Pilotstudie impfen lassen. Mit einem Medikament, das noch nicht
auf dem Markt ist. Er hofft, dass so die Wahrscheinlichkeit, erneut an Krebs zu erkranken, gesenkt wird.
Die besonders gute Verträglichkeit war mit ein Grund,
weshalb er sich zur Teilnahme an der Studie entschlossen hat: „Zumal diese Impftherapie ja keine Bestrahlung und auch keine Chemotherapie ist, schien
sie mir auch sehr verträglich für die Gesundheit. Es
war zwar eine Studie, das wurde mir gesagt, aber ich
war gerne bereit da mitzumachen.“
genannte Peptide, die nur für Krebszellen charakteristisch sind. Genau hier greift die Impfstrategie an.
Mit Hilfe der Impfung soll ein Problem gelöst werden,
das für alle Krebsarten gilt: Krebszellen fallen dem Immunsystem normalerweise gar nicht auf. Weil sie von
Körperzellen abstammen, hält das Immunsystem sie
für bekannt und ungefährlich. Doch tragen die Krebszellen an ihrer Oberfläche kleine Eiweißmoleküle, so-
Ausgangspunkt für den Impfstoff ist chirurgisch entferntes Krebsgewebe. In unserem Fall war es Nierenkrebs. In den Labors von Immatics steht das Beste
und Teuerste was Labortechnik heute zu bieten hat.
Damit gelingt es den Tübinger Wissenschaftlern, die
für diese Krebsart charakteristischen Peptide aus
Die Forscher der Tübinger Biotechfirma Immatics
sind außergewöhnlich erfolgreich im Aufspüren dieser Krebspeptide. Möglicherweise eine neue Waffe
gegen Krebs, sagt Dr. Harpreet Singh, der wissenschaftliche Direktor von Immatics: „Mit unserer Technologie ist es uns gelungen, Tausende neuer Peptide
zu identifizieren und davon Dutzende, die auch charakteristisch sind für eine Tumorart. Und wenn wir
diese nun in Reinstform, also chemisch synthetisiert,
dem Immunsystem wieder anbieten, dann gibt es
eine Chance, dass das Immunsystem spezifisch gegen den Krebs aktiviert wird.“
Sendung vom 12.08.2010
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dem Gemisch der aufgelösten Krebszellen herauszufiltern. Doch damit nicht genug. Die winzigen Peptide werden in ihre Einzelteile zerlegt. Schritt für
Schritt. Zehntausend Molekülspektren in einem
Messlauf mit dem Massenspektrometer. Bis der Bauplan für die Krebspeptide exakt bekannt ist. Auf die
Analyse des Bauplans folgt der Nachbau: Die benötigten Bausteine, Aminosäuren, liegen in kleinen
Fläschchen als Rohmaterial vor.
Jedes Krebspeptid nachbauen
Die Chemikerin Sonja Mauch kann am Peptidsynthesizer jedes Krebspeptid nachbauen. Anlass zu der
Hoffnung, im Kampf gegen Krebs einen entscheidenden Schritt voran zu kommen. Dr. Harpreet Singh
erläutert, warum er und seine Mitarbeiter hoffen,
mit ihrer Form der Impfung bessere Ergebnisse zu
bekommen als andere Forschergruppen bei früheren
Versuchen: „Das Besondere ist, dass wir zehn oder sogar mehr verschiedene Peptide einsetzen. Im Idealfall wird nicht nur eine Immunzelle aktiviert, sondern
verschiedenste, die gleichzeitig den Tumor angreifen.
Und wir erhoffen uns dadurch, dass der Krebs effektiv
zurückgedrängt oder zumindest in seinem Wachstum eingeschränkt wird.“
fremd anerkennen. Oder der Körper kann die Tumorzellen als fremd erkennen und eliminieren, und kann
damit verschiedene Tumoren im ganzen Körper bekämpfen.“ Und so soll es dann funktionieren: Die Killerzellen erkennen die Krebszellen an ihren Peptiden.
Sie senden Porenbildner aus. Das sind Eiweiße, die
die Außenhülle der Krebszellen durchlöchern und ihnen den Garaus machen.
Gerhard G. ist erleichtert. Die Befunde bei seinem
Nachsorgetermin sind unauffällig. Niemand kann sagen, ob das schon ein Erfolg der Impfung ist. Auch
wenn er immerhin 16 mal die Spritzen mit den für
Nierenkrebs charakteristischen Krebspeptiden bekam. Insgesamt haben die ersten Studien ermutigende Ergebnisse erbracht, sagt Arnulf Stenzl: „Bei
diesen Studien hat sich gezeigt, dass zwar nur eine
relativ kleine Zahl von Patienten einen Rückgang des
Tumors zeigt, eine Verkleinerung der Metastasen.
Aber dass eine größere Anzahl von Patienten eine
stabile Phase erreicht. Das heißt: Die körpereigene
Abwehr hat den Tumor im Griff, er wächst nicht weiter. Und wenn wir diese Phase erreichen, dann können wir im Anschluss an die Impftherapie eine der
neueren Chemotherapien anwenden, und dadurch
sozusagen dem Tumor den letzten Rest geben.“
Noch ist die Therapie in einer
experimentellen Phase
Die Peptide werden wie bei einer normalen Impfung
in den Körper gespritzt. Das Ziel: sogenannte „dendritische“ Zellen des Immunsystems. Wichtige Schaltstellen, wenn das Immunsystem gegen einen Feind
scharf gemacht werden soll. Die Krebspeptide landen auf speziellen Rezeptoren auf der dendritischen
Zelle. Diesen Steckbrief des Feindes präsentiert die
dendritische Zelle einer anderen Zellart des Immunsystems: den Killerzellen. So erhalten die Killerzellen
die „Lizenz zum Töten“. Sie sollen mit den Krebspeptiden regelrecht auf die Krebszellen abgerichtet werden. Ausgestattet mit dem Einsatzbefehl vermehren
sie sich und nehmen den Kampf mit dem Krebs auf.
Oder – wie bei Gerhard G. – das Risiko verringern,
dass der Krebs nach der OP zurückkommt. Auch mit
nur einer Niere kann der Pfarrer fast wieder so leben
wie vor der Krankheit: „Ich arbeite wieder voll in
meinem Beruf. Da vergisst man – Gott sei Dank –
auch einen Teil der Krankheit wieder. Es wird halt
dann immer sehr spannend, wenn die Zeit zur Nachuntersuchung kommt. Aber ein Stück weit – ja, gewöhnen kann man sich daran nicht. Aber man genießt die Zwischenzeit dafür umso mehr.“
Bei dem Tübinger Urologen Professor Arnulf Stenzl
laufen Studien mit dem neuen Impfmittel. Er ist von
dem Konzept dieser Therapie überzeugt: „Mit der
Impftherapie, also mit der Stimulierung des Immunsystems, haben wir die Möglichkeit, die körpereigene
Abwehr dahin zu bringen, dass sie Tumorzellen als
Impfen gegen Krebs. Auch wenn die ersten Ergebnisse Anlass zur Hoffnung geben: Noch ist die neue
Therapie in einer experimentellen Phase. Es wird
noch Jahre dauern, bis die Wirkung zweifelsfrei erwiesen ist und die Impfung als normale Therapie
zugelassen wird.
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Gefährliches Kunstlicht
von Volker Ide
Brustkrebs ist in Deutschland, wie in ganz Europa und in Nordamerika, der häufigste
Krebs bei Frauen – er macht fast 30 Prozent der Krebserkrankungen aus. Das Erstaunliche: In den Industrieländern tritt Brustkrebs fünfmal häufiger auf als in weniger entwickelten Ländern. Genetische Unterschiede können nicht die Ursache sein. Denn wenn
Frauen aus China, Westafrika oder Thailand in ein Industrieland auswandern, nimmt
auch bei ihnen die Zahl der Brustkrebserkrankungen zu. Wissenschaftler suchen seit
vielen Jahren weltweit nach den Ursachen. Der amerikanische Krebsforscher Richard
Stevens hatte eine beunruhigenden Vermutung: Das viele künstliche Licht, das bei uns
die Nacht zum Tag macht, könnte ein Faktor sein. Denn das Kunstlicht bringt den Hormonhaushalt unseres Körpers gewaltig durcheinander.
„Andere Kollegen dachten: Das ist doch verrückt, wie
kann Licht eine so schreckliche Krankheit wie Brustkrebs hervorrufen? Aber im Laufe der Jahre interessierten sich immer mehr Leute dafür, wie Licht unseren Alltag, unseren Schlafrhythmus und unser
Hormonsystem verändern kann. Eben für alles, was
im Zusammenhang mit der Zunahme von Brustkrebs
stehen könnte. Inzwischen ist aus meiner Idee mehr
geworden: Ein begründeter Verdacht, dem nachgegangen werden muss“, erklärt der Wissenschaftler.
Es scheint, dass jenseits der Zapfen und Stäbchen, die
in unseren Augen das Sehen ermöglichen, weitere
Rezeptoren existieren, die offensichtlich über den
Außenreiz Licht einen starken Einfluss auf unsere innere Uhr haben. Und damit auf die Produktion von
Melatonin: „Melatonin ist ein kleines Molekül, das im
Gehirn entsteht. Es beeinflusst andere Hormone.
Melatonin und Brustkrebs hängen so zusammen:
Zum einen verlangsamt Melatonin das Wachstum
von Tumoren. Zum anderen hemmt es die Produktion
von Östrogenen. Wird weniger Melatonin gebildet,
steigt also der Östrogenpegel. Und wir wissen, dass
Östrogene eine wichtige Rolle bei der Entstehung
von Brustkrebs spielen“, so der Krebsforscher.
Tatsächlich: Blinde Frauen erkranken
weniger häufig an Brustkrebs
Wenn die Hypothese von Professor Richard Stevens
stimmt, müssten blinde Menschen weniger Krebs
Der amerikanische Krebsforscher Richard Stevens
bekommen. Und tatsächlich fanden Forscher heraus,
dass blinde Frauen beispielsweise weniger häufiger
an Brustkrebs erkranken als Sehende. An der Medizinischen Hochschule von Harvard stieß Professor Stevens auf weitere Hinweise. Dort lagern Daten von
120.000 Krankenschwestern, die jedes Jahr Fragebögen zu ihrer Gesundheit ausfüllen. Vor allem bei
Nachtschichten sind Krankenschwestern viel künstlichem Licht ausgesetzt. Stimmt die Hypothese von
Professor Stevens, wäre ein erhöhtes Krebsrisiko die
Folge. Und tatsächlich, auch hier ist das Ergebnis eindeutig: Je öfter die Krankenschwestern nachts arbeiten, desto häufiger erkranken sie an Brustkrebs.
Und eine Blutproben-Analyse von Krankenschwestern zeigte es ganz deutlich: Nachtschwestern haben deutlich weniger Melatonin, und mehr Brustkrebs fördernde Östrogene im Blut.
Viel Kunstlicht während der Nacht bedeutet also weniger Melatonin und ein erhöhtes Krebsrisiko. Was
lange nur die Hypothese eines amerikanischen Professors war, scheint sich jetzt zu bestätigen. Im OktoSendung vom 12.08.2010
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ber 2007 hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), bestimmte Formen von
Schichtarbeit als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Am Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Sozialhygiene der Uniklinik Köln wurden rund
30 weltweite Studien zum Thema Schichtarbeit und
Krebs ausgewertet – mit bemerkenswerten Ergebnissen. Die Kölner Wissenschafter interessieren sich
hierbei vor allem für den Zusammenhang zwischen
externen Zeitgebern, insbesondere dem Licht, und
der Möglichkeit, Krebs zu bekommen.
Die Studie ergab ein erhöhtes Krebsrisiko
bei Flug- und Schichtpersonal
Ein zentrales Ergebnis dieser so genannten MetaAnalysen (Auswertungen von Studienergebnissen
zur gleichen Fragestellung) ist, dass sich bei den beiden untersuchten Studiengruppen, nämlich Flugpersonal und Schichtpersonal, eine statistisch signifikante Risikoerhöhung für Krebs zeigt. „Auch wenn
die Erhöhung des Risikos nicht zu vergleichen ist mit
beispielsweise der Risikoerhöhung beim Rauchen“,
wie der Arbeitsmediziner am Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Sozialhygiene, Dr. Thomas
Erren, betont. Bei Flugpersonal stellte sich ein um 70
Prozent höheres Brustkrebsrisiko heraus, für Prostatakrebs stieg das Risiko um 40 Prozent. „Ähnliche Ergebnisse erhielten wir bei Schichtpersonal“, erklärt
Privatdozent Thomas Erren. Die Erforschung der Hintergründe für das gestiegene Krebsrisiko bei Schichtarbeit ist relativ neu.
Doch für Thomas Erren ein ausreichender Grund,
etwa in der Arbeitswelt bereits heute Änderungen
einzuführen: „Das heißt: Ungeachtet der gesicherten
Ursachenkette, die wir momentan noch nicht kennen, gibt es auf jeden Fall einen Faktor, den wir bereits jetzt beeinflussen können: Licht.“ Er schlägt daher vor, die Licht-Dunkel-Verhältnisse für Schichtarbeiter dem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus anzunähern, um die inneren Uhren schneller auf
Nachtarbeit umzustellen. Das könnte einer vermuteten Bildung von Krebs möglicherweise vorbeugen.
Die nächtliche „Lichtbeschallung“ ist also ein Risiko
für unsere Gesundheit. Doch wer jetzt denkt, er
könnte mit Melatonin-Tabletten sein Defizit ausgleichen, sei gewarnt. Denn, so der Arbeitsmediziner
Thomas Erren: „Aus meiner Sicht ist Melatonin mit
hoher Wahrscheinlichkeit eine Schlüsselsubstanz.
Aber eben nicht ausschließlich für diese Phänomene.
Die Wechselwirkung etwa im Körper, auch mit anderen Substanzen, sind aus meiner Sicht viel zu wenig
verstanden, als dass man Melatonin an dieser Stelle
womöglich einsetzen kann.“
Was man auf jeden Fall für die nächtliche
Lichthygiene tun kann
Etwas kann man allerdings auf jeden Fall für die
nächtliche Lichthygiene tun: Nicht bei laufendem
Fernseher einschlafen, oder das Gerät am besten
ganz aus dem Schlafzimmer verbannen. Und auch
die Nachttischlampe sollte vor dem Einschlafen ausgeschaltet werden.
Lichthygiene: die Nachttischlampe vor dem Einschlafen ausschalten
Die Ursache liegt vermutlich in der Art
der Lichtquelle. Amerikanische Wissenschaftler um Professor Stevens fanden
nämlich heraus: Vor allem blaues Licht,
das in den meisten künstlichen Lichtquellen vorkommt, unterdrückt die Melatoninproduktion. Rot dagegen nicht.
Doch ob das Licht allein die Wurzel des
Übels ist, können die Wissenschaftler
noch nicht endgültig sagen. Eine Rolle in
der Krebsentwicklung kann auch die Art
der Nahrung, die der Schichtarbeiter
abends zu sich nimmt, spielen.
Sendung vom 12.08.2010
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Lymphknoten metastasieren nicht
von Markus Hubenschmid
Es ist ein hundert Jahre alter Standard in der Krebstherapie. Findet der Arzt einen bösartigen Tumor, dann entfernt er meistens auch die Lymphknoten. Denn die Lymphknoten stehen im Verdacht, Metastasen zu bilden und neue Krebsgeschwüre zu produzieren. Doch
dieser Verdacht wird jetzt von
Medizinern des Tumorregister
München in Frage gestellt. Ihre
These: Metastasen, also Tochtergeschwülste, sind nicht an
der Streuung weiterer Krebs
Bei einem bösartigen Tumor werden meistens auch die Lymphknoten entfernt
zellen beteiligt.
Doch was bedeutet dieser Befund aus den Krebsregisterdaten für die Operationspraxis? Und welchen
Nutzen haben beispielsweise Brustkrebs-Patientinnen überhaupt, wenn ihnen bei einer Tumor-Erkrankung routinemäßig Lymphknoten entfernt werden? Wir treffen Ivanka Klaus, eine lebensfrohe und
aktive Frau. Dass sie eine schwere Krankheit hat, sieht
man ihr nicht an. Doch in ihrem letzten Urlaub ertastete die Krankenschwester einen Knoten in der
Brust. Die traurige Diagnose: Brustkrebs. „Zuerst war
ich sehr schockiert. Ich habe vor mir einen Berg gesehen, vor mir das Ende der Welt gesehen und ich dachte, so das war’s jetzt.“ Doch Ivanka Klaus hatte Glück
im Unglück, der Tumor in der Brust hatte noch nicht
gestreut. Die drei Lymphknoten, die man ihr zur Kontrolle entfernte, waren noch nicht von Metastasen
befallen. Ein Befund, der große Erleicheterung für sie
bedeutete.
Welchen Nutzen haben die Patientinnen
von der Entfernung der Lymphknoten?
Viele Frauen haben weniger Glück. Ihnen werden zahlreiche Lymphknoten in der Achselhöhle entfernt. Ein
Eingriff, der zu erheblichen Beschwerden führen kann.
Deshalb ist jetzt unter Experten ein Diskussion über
den Nutzen der Lymphknoten-Entfernung entbrannt,
obwohl die Achselhöhle bei Brustkrebs schon seit ein
paar Jahren viel schonender operiert wird als früher.
Um herauszufinden, welches Vorgehen für Patientinnen mit Lymphknoten-Metastasen am besten ist,
besuchen wir zunächst das Tumorregister München
im Universitäts-Klinikum Großhadern. Dort hat die
Diskussion ihren Ausgang genommen. Die Professoren Jutta Engel und Dieter Hölzel kritisieren die bestehende Operationspraxis und halten die großzügige Entfernung der Lymphknoten für nicht mehr
zeitgemäß. „Wir gehen davon aus, dass heute etwa
20.000 Frauen jedes Jahr einen positiven Wächterlymphknoten haben und dann ist entsprechend der
Leitlinien weiter zu operieren. Von diesen 20.000 haben ungefähr 40 Prozent Einschränkungen der Armbeweglichkeit oder Lymphödeme“, so Prof. Hölzel.
Die Forscher haben sich ausführlich mit der Lymphknoten-Entfernung und der Metastasen-Bildung beschäftigt. Sie haben über 400.000 Patienten-Daten
und zahlreiche internationale Studien ausgewertet.
Prof. Dieter Hölzel erläutert das Ergebnis: „Wir halten
die Entfernung der Lymphknoten für eine Übertherapie, weil wir an den Tumorregister-Daten gesehen
haben, dass es keinen Einfluss auf das Überleben hat.
Der Standard ist, dass mindestens zehn Lymphknoten entfernt werden. Wenn wir jetzt die Hypothese
haben, dass diese Lymphknoten keine Fernmetastasen machen, dann ist deren Entfernung überflüssig.“
Sollte diese Hypothese tatsächlich stimmen, so wären befallene Lymphknoten keine Quelle von Metastasen und damit nicht an der weiteren Ausbreitung
des Tumorleidens beteiligt. Stattdessen würden sich
Sendung vom 12.08.2010
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Metastasen nur über die Blutbahn, durch Zellen des
Haupttumors im Körper ausbreiten. Eine gewagte
These: Stürzt ein Dogma der Krebsmedizin?
Unumstritten: Die Notwendigkeit, den
Wächter-Lymphknoten für Diagnosezwecke zu untersuchen
An der Universitäts-Frauenklinik Tübingen treffen
wir die Brustkrebsspezialistin Tanja Fehm. Was meint
sie zur These, dass von Lymphknoten, die von Tumorzellen befallen sind, keine Gefahr ausgehe? Prof. Tanja Fehm : „Also es ist in der Regel so, dass die Lymphknoten sicher nicht die Hauptursache von Metastasen
sind. Man versteht den Brustkrebs ja als eine systemische Erkrankung. Das heißt, obwohl wir ein lokales
Tumorgeschehen haben, wissen wir, dass die Mammakarzinome schon frühzeitig Tumorzellen in die
Blutlaufbahn abgeben, die dann möglicherweise
später auch die Metastasierung verursachen können.
Nichtsdestotrotz kann man nicht ausschließen, dass
Tumorzellen auch den Weg über die Lymphbahnen
und von da aus in den Blutkreislauf nehmen.“
Von Lymphknoten könnte also zumindest eine kleine
Metastasen-Gefahr ausgehen. Unumstritten bleibt
allerdings die Notwendigkeit, den sogenannten Wächter-Lymphknoten für Diagnosezwecke zu untersuchen. Das ist der am nächsten beim Tumor liegende
Knoten. Ist er von Tumorzellen befallen, so kommt es
zur kritisierten Entfernung von mindestens zehn
Lymphknoten in der Achsel. Doch warum operiert
man nicht nur tatsächlich befallene, sondern auch negative Knoten, wenn die großzügige Entfernung angeblich keinen Einfluss auf die Überlebenszeit hat?
Am Institut für Pathologie der Uniklinik Tübingen
werden entnommene Lymphknoten auf Tumorzellen
untersucht. Prof. Falko Fend ist Experte für die Ursachen und Verlaufsformen von Krebserkrankungen.
Was sagt er zum Vorwurf der Übertherapie? Prof. Falko Fend: „Es ist sicher so, dass für einen Teil der Patientinnen dies eine Übertherapie darstellt. Aber wir
wissen von neueren Studien vor allem von Frauen,
die eine zusätzliche Chemotherapie zur Operation
erhalten haben, eine sogenannte adjuvante Chemotherapie, dass sie von der Lymphknoten-Entfernung
profitieren. Es sind vielleicht 10, 20 Prozent der
Frauen, die davon profitieren. Aber wir wissen eben
noch nicht welche dieser Frauen und man wird sicher
noch viel Arbeit investieren müssen, um herauszufinden, welche Frauen diese Lymphknoten-Entfernung
brauchen und bei welchen man eventuell darauf verzichten kann.“
Für Patientinnen gilt weiterhin: ist der
Wächterlymphknoten befallen, werden die
Achsellymphknoten entfernt
Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte sein, die
Therapie künftig noch stärker zu individualisieren.
Ob die Münchner Forscher dagegen Recht behalten mit ihrer These, soll eine von ihnen angestrebte, klinische Studie klären. Für die Patientinnen bedeutet das: Ist der Wächterlymphknoten
befallen, bleibt die Operation der Achsellymphknoten bis auf weiteres Standard.
Prof. Dieter Hölzel will seine Hypothese in einer Studie testen
Prof. Tanja Fehm: „Also ich denke, die LymphknotenEntfernung hat ja mehrere Aufgaben. Zum einen hat
sie die Aufgabe, dass man die Prognose der Patienten
besser einschätzen kann. Es ist ein deutlicher Unterschied, ob die Patientin nur einen befallenen Lymphknoten hat oder acht, oder neun. Weil das würde das
Therapiekonzept für die Patientin deutlich ändern.
Deshalb hat die Lymphknoten-Entfernung die wesentliche Aufgabe die Patientin von der Prognose
besser einschätzen zu können und das Therapiekonzept besser wählen zu können.“
Sendung vom 12.08.2010
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A d re s s e n
L i n ks
Tumorregister München (TRM)
[www.nct-heidelberg.de]
Munich Cancer Registry (MCR)
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) am
IBE / Klinikum Großhadern
Universitätsklinikum Heidelberg.
Marchioninistr. 15
D-81377 München
[www.immatics.net]
[www.tumorregister-muenchen.de]
Internetseite der immatics biotechnologies GmbH in
Tübingen.
PD. Dr. Thomas C. Erren
Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin
[www.faz.net]
und Sozialhygiene
Ein Dogma der Krebsmedizin fällt. Ein Bericht in der
Universitätsklinikum Köln
FAZ-online vom 7. Februar 2009.
Kerpener Straße 62, Haus 11 B
D-50924 Köln
[de.wikipedia.org/wiki/Metastase]
[cms.uk-koeln.de/arbeitsmedizin]
Informationen zu Metastasen bei der Online-Enzyklopädie
Wikipedia.
Prof. Dr. med. Tanja Fehm
Universitätsfrauenklinik Tübingen
Calwer Str. 7
D-72076 Tübingen
[www.uni-frauenklinik-tuebingen.de]
Ko n t a k t
Prof. Dr. Falko Fend
Südwestrundfunk (SWR)
Institut für Pathologie
FS-Wissenschaft und Bildung
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Redaktion Odysso
Liebermeisterstraße 8
76522 Baden-Baden
D-72076 Tübingen
E-Mail: [email protected]
[www.path.med.tum.de]
[www.swr.de/odysso/]
Unsere nächste Sendung kommt am 19. August 2010:
M A N N H AT ‘ S N I C HT L E I C HT
( Wi e d e r h o l u n g vo m 0 4 . 0 3 . 2 0 1 0 )
Männer sterben früher als Frauen, Männer bekommen mehr schwere
Krankheiten wie Diabetes, Arteriosklerose oder Krebs. Männer leider
häufiger an Burnout und Überarbeitung. Schon Jungs schneiden in der
Schule schwächer ab als Mädchen, brechen häufiger die Lehre ab oder
das Studium. Sie sind aggressiver und werden häufiger sozial auffällig.
Wo liegen die Gründe für all diese Probleme? Ist es die genetische Veranlagung oder das Testosteron? Besitzen Männer grundsätzlich weniger soziale Kompetenz? Macht der Stress
im Beruf sie krank? Liegt es am Lebenswandel der Männer, die zuviel arbeiten, rauchen, trinken und sich von
Fast-Food ernähren? Sind Männer also das „schwache Geschlecht“ ohne Selbstbeherrschung? Oder in Wirklichkeit der benachteiligte Teil der Menschen? Odysso hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht.
Sendung vom 12.08.2010
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