SWR2 OPER

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SWR2 OPER
Moderationsmanuskript von Reinhard Ermen
Willibald Gluck, Bearbeitung Richard Wagner:
„Iphigenia in Aulis“
Sonntag, 29.06.14, 20.03 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
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Vor 300 Jahren wurde Christoph Willibald Gluck geboren; um es ganz genau zu sagen:
Stichtag ist der 2. Juli. Das beschert uns ein veritables Jubiläumsjahr und in SWR2 einen
thematischen Schwerpunkt, den wir heute mit „Iphigenia in Aulis“ eröffnen. Bevor ich Ihnen
mehr dazu sage, hier noch ein Hinweis: In der kommenden Woche wird es eine
Musikstundenreihe zu Gluck geben. Jeweils ab 09.05 Uhr, von Montag bis Freitag erwartet
Sie Karl Böhmer mit grundsätzlichen Erkenntnissen zu diesem Meister. „Antiker Schmerz,
griechische Thränen“, mit dieser schönen Sentenz hat er seine Erläuterungen über
„Christoph Willibald Gluck, ein(en) Europäer der Oper“ überschrieben. Und gleich an dieser
Stelle noch ein Hinweis: Heute in einer Woche wird es einen Opernstammtisch zu Gluck
geben. Doch nun zu „Iphigenia“, zu hören in einer CD-Neuproduktion unter der Leitung von
Christoph Spering.
Im Grunde genommen gibt es für die Oper heute zwei Komponisten. Wir senden nämlich
eine, bzw. die Fassung von Richard Wagner. Glucks (französisches) Original von 1774
erlebte am 24. Februar 1847 in Dresden eine Deutsche Neugeburt. Wagner, der damals
Hofkapellmeister in Dresden war, hob „Iphigenia“ am Dirigentenpult selber aus der Taufe.
Was er mit dem Stück gemacht hatte, schilderte er einige Jahre später in einem Brief. „Ich
habe seinerzeit“, schreibt er an Breitkopf & Härtel:
„Ich habe seinerzeit diese Bearbeitung ausgeführt, und zwar in der Art, dass ich zunächst
den Text an den wichtigsten Stellen änderte, den französischen Zopf aus ihm entfernte, die
Hauptszenen in concise Berührung mit einander setzte, den altmodischen Putz abnahm, das
Wesentliche und wahrhaft Schöne dagegen in das wirkungsvollste Licht setzte, die
abgerissenen einzelnen Stücke durch dramatisch belebte Ritornelle mit einander verband,
und endlich statt des läppischen alten Schlusses einen ganz neuen – der Euripideischen
‚Iphigenia‘ entsprechenden – verfasste.“ (Zitatende)
Diese Aufzählung lässt sich noch dahingehend ergänzen, dass Wagner darüber hinaus die
Instrumentation behutsam erweiterte und nicht nur in den Schluss des dritten Aktes
erneuernd eingriff. Er hat das Werk gestrafft, um nicht zu sagen gekürzt. Aus insgesamt 55
Nummern blieben 30 über, die aber aus Wagners Perspektive organischer miteinander
verbunden waren, weshalb er gelegentlich auch Überleitungen hinzufügte. Im eben zitierten
Brief war von „Ritornellen“ die Rede. Kurzum: Glucks Werk ist in den Umrissen natürlich
deutlich zu erkennen, doch Wagner hat es in seinem Sinne umgebaut. Das war keinesfalls
willkürlich, sondern durchaus angemessen. Wagner sah sich schließlich als Erbe und
Vollender einer Tradition, die Gluck begründet hatte. Gemeint ist eine Ästhetik, nach der die
Musik primär ein Mittel, eine Funktion des Dramas ist, und nicht umgekehrt. Durch Gluck
fühlte sich Wagner bestätigt, seine Änderungen machen ihn gleichsam zum Ahnherrn seiner
selbst. Sie, meine Damen und Herren werden es merken, dass diese Neufassung
ausgesprochen stimmig daherkommt. – Die Besetzung:
Iphigenia: Camilla Nylund
Klytämnestra: Michelle Breedt
Achilles: Christian Elsner
Agamemnon: Oliver Zwarg
Kalchas: Raimund Nolte
Artemis: Mirjam Engel
Patroklus: Richard Logiewa
Arcas: Thilo Dahlmann
Anführer: Richard Logiewa
Chorus Musicus Köln
Das Neue Orchester
Leitung: Christoph Spering
2
Die Geschichte greift eine Schlüsselsituation des Trojanischen Krieges auf, noch ehe dessen
heiße Phase begonnen hat. Die griechische Flotte in Aulis kann nicht gegen Troja auslaufen,
weil die Göttin Diana, bzw. Artemis den dafür notwendigen Wind verweigert. Agamemnon,
einer der Heerführer und in diesem Fall verantwortlich für die Schiffe, hatte Jahre zuvor im
heiligen Hein der Diana einen Hirsch erlegt und sich zudem gebrüstet, ein besserer Jäger als
die Göttin selbst zu sein. Die Götter kämpfen bekanntlich in der griechischen Mythologie mit,
sie führen Stellvertreterkriege gegeneinander, die Menschheit und ihre Repräsentanten, die
Helden und Priester müssen damit umgehen. In diesem Fall verlangt die grausame Diana
zur Sühne, als Opfer für günstigen Wind das Opfer von Agamemnons Tochter Iphigenia. Das
ist die Situation zu Beginn. Wie ein Fatum aus weiter Ferne trägt die Ouvertüre diese
mythologische Zumutung in die Gegenwart der Handlung. Agamemnon wird das Motiv in
seiner Eingangsarie aufnehmen.
Er kann dieses Opfer nicht vollziehen, er streubt sich dagegen und hat auch schon eine List
ersonnen. Iphigenia ist unterwegs nach Aulis. Der Vater will sie davon abhalten, nach Aulis
zu kommen. Ihr sollte deshalb ausgerichtet werden, dass Achilles, der Verlobte von
Iphigenia, ihr untreu geworden sei. Gleichzeitig verspricht er dem drängenden Volk und dem
Priester Kalchas, er werde Iphigenia opfern, sobald sie in Aulis eintreffe. Die Nachricht, die
Arcas überbringen sollte, hat Iphigenia in Mykene allerdings nicht erreicht. Sie war bereits
unterwegs, denn in Aulis soll sie eigentlich Achilles heiraten. Ja der Jubel, mit dem das Volk
die Ankunft von Mutter und Tochter, von Klytämnestra und Iphigenia begrüßt, beendet alle
Illusionen Agamemnons. Erst in Aulis wird ihnen die Nachricht von der (angeblichen)
Untreue des Achilles überbracht. Achilles dagegen ahnt nichts von dem Komplott. Er
versichert Iphigenia seine Unschuld. Das Duett, die erregende Szene zweier Liebender, die
sich wieder näherkommen und sich auch hymnisch versöhnen, bildet das Aktfinale.
Christoph Willibald Gluck und Richard Wagner: „Iphigenia in Aulis“, der erste Akt.
„Iphigenia in Aulis“, 1. Akt = 42‘43
SWR2 Opernabend, Sie hören „Iphigenia in Aulis“ von Christoph Willibald Gluck in der
Neufassung von Richard Wagner. Wir senden eine Aufnahme der Plattenindustrie mit
Christoph Spering und seinen Ensembles, nämlich dem Chorus Musicus Köln und dem
Neuen Orchester. Iphigenia ist Camilla Nylund, Achilles ist Christian Elsner. Als Agamemnon
ist Oliver Zwarg zu hören, und in der Rolle der Klytämnestra Michelle Breedt.
Kein Zweifel, das ist eine Oper von Gluck! Sein zeremonial-empfindsamer Tonfall ist
allgegenwärtig. Wagners Eingriffe geben sich organisch, er hat diese Bearbeitung aus einer
wahlverwandten Zuneigung vorgenommen. Als er seine Fassung anfertigte, war er eigentlich
mit dem eigenen „Lohengrin“ beschäftigt. So kann man es im offiziellen Werkverzeichnis
nachlesen, das die neue Gesamtausgabe begleitet. Die Nähe ist partiell auch deutlich
hörbar, wobei zu fragen ist, ob „Iphigenia“ nun nach Wagner klingt, weil er (Wagner) das
Stück eben bearbeitet, oder ob „Lohengrin“ gelegentlich nach „Iphigenia“ klingt, weil die
Romantische Oper selbstverständlich auch aus deren Tradition kommt. Beides ist
wahrscheinlich richtig. In vielen großen Chorstellen mit Solisteneinsätzen ist diese Nähe
jedenfalls greifbar. Manchmal machen sich auch Wagners Schlusswendungen und
Überleitungen überdeutlich bemerkbar. Die deutsche Übersetzung verstärkt solche
Eindrücke zusehends. Ja, an manchen Höhepunkten, wie etwa das Schlussduett des ersten
Aktes, bekommt „Iphigenia“ durchaus biedermeierliche Züge. Das 19. Jahrhundert schlägt
durch. Nicht immer geht das auf Wagners Konto. Glucks liedhafte Melodik läuft dann einfach
in ein anderes Bett. Das ist ja das Besondere an diesem Komponisten, dass seine Ästhetik
in ihrer Universalität auch über so etwas wie über eine zeitlose Anschmiegsamkeit verfügt.
3
Der zweite Akt beginnt mit den Hochzeitsvorbereitungen. Iphigenia und Achilles ahnen nicht,
dass die Braut anders verplant ist, denn das Opfer für Diana muss vollzogen werden.
Agamemnon hat sich der Macht der Tatsachen gebeugt. Statt zum Traualtar wird sie der
rachelüsternen Göttin zugeführt. Eine entsprechende Warnung des Arcas schreckt die
Hochzeitsgesellschaft auf. Das Leid der Mutter Klytämnestra ist unendlich. Iphigenia
schwankt. Sie wäre bereit, dem Vater zu gehorchen. Achilles wehrt sich mit allen Kräften
gegen das Opfer. Aber selbst der unnachgiebige Agamemnon vermag die Tochter nicht zu
töten. Der Kampf mit sich selbst, zerreißt ihn fast. Schlussendlich befiehlt er Arcas, mit
Klytämnestra und Iphigenia nach Tauris zu entfliehen.
Christoph Willibald Gluck und Richard Wagner: „Iphigenia in Aulis“, der zweite Akt.
„Iphigenia in Aulis“, 2. Akt = 34‘00“
SWR2 Opernabend, Sie hören „Iphigenia in Aulis“ von Christoph Willibald Gluck in der
Neufassung von Richard Wagner. Wir senden eine Aufnahme der Plattenindustrie mit
Christoph Spering und seinen Ensembles, nämlich dem Chorus Musicus Köln und dem
Neuen Orchester. Iphigenia ist Camilla Nylund, Achilles ist Christian Elsner. Als Agamemnon
ist Oliver Zwarg zu hören, und in der Rolle der Klytämnestra Michelle Breedt.
Die von Agamemnon angeordnete Flucht nach Tauris ist unmöglich. Die Griechen, die den
Wind brauchen und damit auch das Opfer wollen, umstellen sein Zelt. Doch jetzt begibt sich
Iphigenia ganz bewusst in die Rolle des Opfers. Weder der Verlobte, noch die verzweifelte
Mutter können sie davon abhalten. Im zweiten Bild, am Meeresstrand, am Opferplatz macht
Wagner dann eine bedeutende Änderung. Eingangs haben wir seinen Brief zitiert, in dem
(sinngemäß) von dem ‚läppischen alten Schluss‘ die Rede war. Bei Gluck verkündet ja in
letzter Sekunde der Priester Kalchas das glückliche Ende, demzufolge die Göttin durch
Iphigenias Reinheit und ihren Mut besänftigt sei. Bei Wagner kommt es zu einer fast schon
barock anmutenden Lösung. Diana selbst tritt auf und verkündigt, dass sie zufriedengestellt
sei. Sie verspricht den notwendigen Wind und nimmt Iphigenia auf einer Wolke mit sich. Für
die neue Schlusswendung hat Wagner einiges mehr an eigener Musik hinzufügen müssen.
Die abschließende Verklärung klingt dementsprechend. Anders gesagt: „Lohengrin“ ist mit
einem Mal wieder ganz nah!
Wir erlauben uns, diesem schönen Ende, das die Zurückbleibenden in eine zuversichtliche
Ratlosigkeit taucht, eine weitere Schlussfindung hinzuzufügen. Christoph Spering hat für
seine Gesamtaufnahme, sozusagen als Anhang, nochmals die Ouvertüre angehängt;
diesmal mit einem Konzertschluss, den Wagner für eine Aufführung 1854 in Zürich
komponierte. Mit der Ouvertüre begann diese Oper selbstredend, mit der wunderbaren
Ouvertüre schließt sie hier im Radio, wobei der Schluss dieser Musik, also die letzten
anderthalb Minuten ganz aus der Feder Wagners stammen.
Christoph Willibald Gluck und Richard Wagner: „Iphigenia in Aulis“, der dritte Akt und die
Ouvertüre mit dem Zürcher Konzertschluss.
„Iphigenia in Aulis“, 3. Akt = 37‘09
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SWR2 Opernabend. Das war „Iphigenia in Aulis“ von Christoph Willibald Gluck in der
Deutschen Fassung von Richard Wagner.
Die Ausführenden waren:
Iphigenia: Camilla Nylund
Klytämnestra: Michelle Breedt
Achilles: Christian Elsner
Agamemnon: Oliver Zwarg
Kalchas: Raimund Nolte
Artemis: Mirjam Engel
Patroklus: Richard Logiewa
Arcas: Thilo Dahlmann
Anführer: Richard Logiewa
Chorus Musicus Köln
Das Neue Orchester
Leitung: Christoph Spering
Diese Aufnahme entstand im April 2013 im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks Köln
als Produktion von Deutschlandradio, dem WDR und OEHMS CLASSICS, wo die „Iphigenia“
auch als CD erschienen ist. Außerdem möchte ich Sie nochmals darauf hinweisen, dass in
der kommenden Woche die SWR2 Musikstunden Christoph Willibald Gluck gewidmet sind.
Am kommenden Sonntag gibt es ab 20.03 Uhr einen ‚SWR2 Opernstammtisch‘ zu Gluck, an
dem auch Christoph Spering teilnehmen wird. Außerdem sind dabei: Silke Leopold und
Jürgen Kesting. Die Gesprächsleitung hat Reinhard Ermen, der auch als Redakteur für diese
Sendung verantwortlich zeichnet.
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