Erfahrungsbericht Auslandssemester in Seoul (SNU) Wintersemester 2012/13 International Economics M. A. Seoul National University Vorbereitungen: Zunächst vielleicht ein paar Kleinigkeiten, die ich anfangs hilfreich fände. Die Wohnheime auf dem Campus sind eigentlich sehr zu empfehlen, weil man kurze Wege zur Uni hat, gut in die Gemeinde der Austauschstudenten eingebunden ist, günstige Verpflegungs- und (weniger günstige) Einkaufsmöglichkeiten hat und man unter Umständen mit einem Koreaner das Zimmer teilt (Nachteil: keine Gäste nach 22 Uhr auf dem Zimmer) und so schon mal einen Link ins Land hat. Der Nachteil allerdings ist, dass der Campus tatsächlich eine Kleinstadt ist und man nicht wirklich in Seoul wohnt, sondern auf einem an sich abgeschlossenen Areal im Süden der Stadt. Deshalb ist man für die meisten Freizeitgestaltungen auf den öffentlichen Nahverkehr Richtung Stadt angewiesen; falls jemand Wert darauf legt, tatsächlich städtisch zu wohnen, sollte er eine off-campus Unterbringung anstreben, die das Office of International Affairs (OIA) auch vermittelt. Die koreanischen Steckdosen können übrigens ohne Adapter genutzt werden. Die Zimmer in den Wohnheimen werden ohne Decke, Laken oder Kissen vermietet. Wir haben uns deshalb früh im Semester solcherart Dinge gekauft, wenig später hat das internationale Büro allerdings begonnen, Decken und Kissen zu verleihen. Waschmaschinen und Trockner gibt es in jedem der Wohnheimhäuser, der Gebrauch ist kostenlos. Es gibt auf jeder Etage eine Gemeinschaftsküche, die allerdings nur eine Spüle, einen Tisch, eine Herdplatte und eine Mikrowelle bietet. Selber kochen ist eben recht unüblich. Studium: Bezüglich der Sprachkurse für Koreanisch sollten Interessierte, die nebenbei auch noch studieren wollen, sich für den zweimal wöchentlich stattfindenden Abendkurs anmelden. Das 4-stündige und tägliche Vormittagsprogramm wurde von niemandem aus meinem Bekanntenkreis durchgestanden. Bezüglich des eigentlichen Studiums ist es an der Seoul National University nicht ganz leicht, zumindest, wenn es um VWL geht. Wird man als Austauschstudent angenommen, wird man automatisch der „Graduate School of International Studies“ (GSIS) zugewiesen, weil diese das Lehrprogram fast ausschließlich auf Englisch ausrichtet. Das Angebot an der eher politologischen GSIS ist breit und umfasst Internationale Beziehungen, z. T. Entwicklungspolitik, Regional Studies, allerdings auch BWL- und mitunter VWL -Kurse. Die Qualität der Kurse scheint insgesamt gut zu sein, ich habe allerdings nur wenige Kurse gefunden, die ich für Volkswirtschaftslehre interessant gefunden hab. Ich habe daher an der GSIS nur „International Political Economy“ bei Prof. Geun Lee belegt. Der Kurs war extrem arbeitsaufwendig (Mid-Term und Final Exam, dazu 2 Präsentationen und eine extrem aufwendige Pflichtlektüre zu der wöchentlich Reviews eingereicht werden mussten), bestand im Grunde, wie viele Kurse, zur einen Hälfte aus Vorlesung und zur anderen aus Seminar, war auf der anderen Seite aber auch extrem lehrreich und ein insgesamt hervorragender Kurs. Die weiteren Kurse, die ich besucht habe, habe ich am eigentlichen Department für VWL, welches der sozialwissenschaftlichen Fakultät zugeordnet ist, belegt. Die Anmeldung in diesen Kursen war etwas aufwendig, weil die Bürokräfte der sozialwissenschaftlichen Fakultät ausnahmslos kein Englisch gesprochen haben. Im Endeffekt war der Nettoaufwand für die Anmeldung aber gering. Im VWL Department habe ich dann einen Kurs zur Empirischen Wettbewerbsökonomie (Prof. Thomassen aus Norwegen) und einen zu Knowledge Economics (Prof. Sanidas aus Griechenland) belegt. Den Wettbewerbskurs kann ich uneingeschränkt empfehlen, Prof. Thomassen ist jung, motiviert, studentenorientiert, arbeitet angewandt und gibt interessante Einblicke in forschungsrelevante Themen. Der Kurs von Herrn Sanidas ist eher etwas für ökonomische Freigeister, was an sich nicht dramatisch wäre, wäre Prof. Sanidas aus meiner Sicht nicht gleichzeitig auch etwas unberechenbar und weites gehend unorganisiert, was nicht jedem entgegenkommt und den Koreanern bekannt war, weshalb wir nur 3 Austauschstudenten und eine Koreanerin in dem Kurs waren. Insgesamt war das Lehrangebot auf Englisch im VWL Department aber extrem klein. Sanidas und Thomassen, die übrigens beide kein Koreanisch sprechen, waren die einzigen, die Kurse auf Englisch anboten. Die Koreanischen Profs, obgleich sie alle in den USA studiert haben, bieten ausschließlich koreanische Lehrveranstaltungen an. Englisch ist selbst für die Elitestudenten an der SNU zum Teil ein großes Problem. Die meisten haben riesige Wortschätze, sind aber das Sprechen nicht gewöhnt und meiden Englisch, wo sie es können. In den kommenden Semestern mag sich das Angebot englischsprachiger Lehrveranstaltungen allerdings etwas vergrößern, der Wirtschaftsnobelpreisträger Thomas J. Sargent wird ab 2013 an der SNU lehren. Leben in Seoul In den ersten Wochen ist Seoul einfach von erschlagender Größe. Die U-Bahnfahrten dauern gefühlt ewig und ohne U-Bahn, versucht man erst gar nicht weit zu kommen. Anfangs fiel es mir auch schwer, überhaupt Unterschiede in Architektur oder Struktur von Vierteln zu erkennen. Mit der Zeit wird das alles aber natürlich besser und auch die unübersichtlichsten U-Bahn-Stationen werden routinemäßig abgehandelt. Die schiere Größe der Stadt bleibt, man findet aber Rückzugsmöglichkeiten oder Naherholung zum Beispiel in den vielen Wanderwegen, die direkt hinterm Campus losgehen und deren umfassende Erkundung ewig dauern würde, aber stets mit tollen Blicken auf die Stadt belohnt. Die meiste Zeit haben wir, wenn nicht auf dem Campus, im nahen Stadtteil um die Seoul-NationalUniversity U-Bahn-Station verbracht (zu der man vom Campus allerdings einen Bus nimmt). In diesem Bereich findet man allerlei Restaurants, ein Kino, sogenannte PC Bangs, Bars und Kneipen und natürlich auch Super- sowie Elektromärkte. Für aufwendigere Einkäufe oder um in die Ausgehviertel (Hongik, Sinchon oder Gangnam) zu gelangen, fährt man allerdings eine Weile. Auch, wenn man zum Beispiel Fußball oder Baseball schauen will oder die touristischen Höhepunkte von Seoul besuchen möchte. Von denen gibt es übrigens eine ganze Reihe: Die zwar neu erbauten, aber von Grundriss und Architektur etc. historischen Paläste alter Dynastien finden sich im Stadtzentrum um die City Hall. Ebenso kann man hier das Buckchon Village, eine noch erhaltene historische Siedlung, besuchen, entlang der nahen alten Stadtmauer wandern oder sich Andang, eine kleine, wenn auch recht touristische Einkaufsstraße anschauen. Etwas südlich vom Zentrum sieht man stets den NTower, einen Fernsehturm, von dessen Aussichtsetage ein kostspieliger, aber hübscher Blick auf die Stadt zu erhaschen ist. Entlang des Han-Flusses gibt es zudem hübsche Parkanlagen Außerdem ist Seoul reich an Museen (z. B. zur zeitgenössischen Geschichte oder zum Koreakrieg). Insgesamt ist Seoul einfach doch eine vielseitige Stadt, die zu erkunden locker ein Semester in Anspruch nimmt. Die Größe von Seoul erweist sich auch schließlich trotz der früh schließenden U-Bahn (etwa um Mitternacht) als wenig problematisch, zumal Taxifahren in Seoul relativ günstig ist und in Gruppen sogar günstiger als der öffentliche Nahverkehr sein kann. Kosten Die Lebenshaltungskosten, gerade wenn man in einem Wohnheimzimmer wohnt, sind in Korea schon etwas geringer als in Deutschland. Ein Essen in der Mensa kostet zwischen 2.500 und 4000 Won, was derzeit 1,70 € und 2,70 € entspricht. Die Wohnheim-Mensa hat zudem drei Mal am Tag jeweils für 2 Stunden geöffnet und deckt damit die Zeiten für Frühstück, Mittag und Abendessen ab. Der öffentliche Nahverkehr ist an sich auch etwas günstiger, allerdings gibt es kein Semesterticket mit quasi-Flat wie in Göttingen. Eigentlich alle haben irgendwann eine T-Money-Card, mit der man letztlich pro Fahrt einen Grundbetrag (800 Won = 55 Cent) und bei längeren Fahrten noch pro Kilometer etwas zusätzlich zahlt. Längere Fahrten außerhalb Seouls lassen sich in fast das ganze Land gut mit dem bestens ausgebauten Fernbussystem angehen. Die Fahrten kosten – je nach Größe und Ausstattung des Busses – bis zu 30.000 Won (etwa 20 Euro), womit man sogar fast überall ins Land reisen kann. Sonstiges Sonst möchte ich noch anfügen, dass es anfangs recht schwierig ist, wirklich in Kontakt mit Koreanern zu kommen. Wie bereits erwähnt, fällt den meisten Englisch sehr schwer. Es gibt allerdings ein Buddyprogramm, in dem sich koreanische Studenten um Austauschstudenten kümmern und unterm Semester verschiedenste Veranstaltungen organisieren. Die Teilnahme am Programm ist auf jeden Fall sinnvoll, unter anderem auch, weil man Ansprechpartner hat, die übersetzten oder mit der UniBürokratie helfen können. Ansonsten lernt man mit der Zeit Mitbewohner und Kommilitonen kennen. Eine Herausforderung ist die Sprachbarriere zuweilen, weil viele der kleineren Restaurants keine Karten auf Englisch haben und man im Grunde gezwungen ist, blind ein Gericht auszuwählen. Liebhabern weniger scharfen Essens kann das in Anbetracht der dann drohenden Chili-Paste schon etwas Stehvermögen abverlangen. Grundsätzlich habe ich stets die Erfahrung gemacht, dass einem das Office of International Affairs bei fast allen Dingen helfen kann. Mit einem Anruf auf Koreanisch bei den verantwortlichen Stellen sind die Angestellten hier einfach fixer als wenn man es mit Englisch auf eigene Faust probiert. Der Konflikt mit Nordkorea hat während meiner gesamten Zeit im Süden keine Rolle gespielt. Man kann sich online für das Evakuierungsprogramm der deutschen Botschaft in Seoul eintragen. Mein koreanischer Mitbewohner hatte für meine Bedenken bezüglich des Nordens allerdings nur Belustigung übrig. Niemand in Seoul scheint ernsthaft Angst vor dem Norden zu haben. Die koreanische Gesellschaft ist für unsere Begriffe noch sehr konservativ. Restriktive soziale Normen werden heute noch stark beachtet und führen zum Beispiel dazu, dass die Leute sich in der UBahn nur im Flüsterton unterhalten oder man in der Öffentlichkeit nicht isst. Auf der anderen Seite wird viel getrunken und je älter die Koreaner, desto rabiater ihr Drängeln in der U-Bahn. All diese Facetten dieser anderen Ordnung aber mit zu bekommen ist eine spannende Erfahrung. Fazit Jedem, der ernsthaft erwägt, ins Ausland zu gehen, kann ich Korea nur empfehlen. Korea ist ein spannendes Land, ähnlich entwickelt wie wir, aber kulturell vollkommen anders. Koreas Geschichte ist wirtschaftlich so dynamisch verlaufen, wie die fast keines anderen Landes und für VWLer von besonderem Interesse. Der Kontakt zu Koreanern ist anfangs vielleicht spärlich, aber Koreaner sind meist freundlich und hilfsbereit. Das Land lässt sich günstig bereisen und bietet tolle Ziele.