1 Gemeinderat Sebastian Hansen Waldbüttelbrunn, 27. April 2016 An das Landratsamt Würzburg - Kommunalaufsicht – z.Hd. Frau Gerlach Zeppelinstraße 15 97074 Würzburg Kommunalaufsichtsbeschwerde wegen eines Vorfalls in der Gemeinderatssitzung des Gemeinderats Waldbüttelbrunn am 25.04.2016 Sehr geehrte Frau Gerlach, sehr geehrter Herr Piecha, aufgrund eines Vorfalls im Gemeinderat Waldbüttelbrunn, dessen Mitglied ich bin, bitte ich Sie in Ihrer Eigenschaft als Vertreter der Kommunalaufsichtsbehörde um die Beantwortung einiger Fragen. Den Fragen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In der Gemeinderatssitzung der Gemeinde Waldbüttelbrunn am 25. April 2016 trug ich ein rotes T-Shirt mit dem Aufdruck „Gegen Nazis“ (vgl. Foto des Shirts in der Anlage) und darüber eine neutrale Kapuzenjacke. Im Verlauf der Sitzung (öffentlicher Teil) öffnete ich wegen der Wärme im Raum zunächst die Kapuzenjacke und zog sie einige Minuten später komplett aus. Etwa 15 bis 20 Minuten später forderte Bürgermeister Schmidt mich ohne erkennbaren Anlass und ohne Begründung auf, die Kapuzenjacke wieder anzuziehen oder das T-Shirt auszuziehen. Auf meine Frage nach dem Grund der Aufforderung erklärte er, dass politische Meinungsäußerungen im Gemeinderat verboten seien. Er begründete dies damit, dass dies in der Geschäftsordnung und in der Gemeindeordnung stehe. Auf meine Frage, ob die Aufforderung, die Kapuzenjacke wieder anzuziehen, gerade in seiner Eigenschaft als Mitglied der SPD sein Ernst sei, äußerte er sich in etwa wie folgt: „Du fliegst raus, Sebastian Hansen, Kommunalaufsichtsbeschwerde an das LRA Würzburg vom 27. April 2016 2 wenn …“. Ich wollte, ohne dass mir ausdrücklich das Wort erteilt worden wäre, dem direkt zu entgegnen und mich gegen die Androhung des Ausschusses aus der Sitzung wenden; allerdings ordnete Bürgermeister Schmidt an, dass ich nicht reden dürfe, weil er mir das Wort nicht erteilt habe, was ich anschließend mit dem Wort „lächerlich“ kommentierte. Um jedoch einen vollständigen Eklat zu vermeiden, zog ich die Kapuzenjacke umgehend wieder an. Dabei zupfte ich die Kapuze zurecht und bewegte (ohne irgendeine Absicht) den Kopf. Daraufhin drohte mir Bürgermeister Schmidt erneut an, mich des Saales zu verweisen. Kurz danach äußerte sich Gemeinderat Vogel (CSU), ohne dass ihm das Wort erteilt worden wäre und ohne dass Bürgermeister Schmidt ihn deswegen gemaßregelt hätte, dass ich so (also mit Pullover) doch schöner aussähe. Ich entgegnete, dass ich Fragen der Ästhetik nicht bewerten würde. Daraufhin äußerte Bürgermeister Schmidt in etwa: „Noch ein Wort…..“ und drohte mir damit der Sache nach erneut den Ausschluss aus der Sitzung an. Diese Schilderung beruht auf meinem kurz nach der Sitzung niedergeschriebenen Gedächtnisprotokoll. Der genaue Wortlaut kann mithilfe der Tonbänder, auf denen die Sitzung mitgeschnitten wurde, nachvollzogen werden. Da ich selbst auf die Tonbänder keinen Zugriff habe (dies hat Bürgermeister Schmidt schon bei einer anderen Gelegenheit verweigert – in diesem Zusammenhang frage ich Sie: zu Recht?), bitte ich darum, die Tonbänder bei der Gemeinde Waldbüttelbrunn zeitnah anzufordern, beizuziehen und soweit erforderlich deren Inhalt in dieses Verfahren einzuführen. Auf der Grundlage dieses Sachverhalts und unter Bezugnahme auf die mir bekannte Regelung in Art. 53 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 GO und auf die wortgleiche Vorschrift in § 25 Abs. 8 der Geschäftsordnung für den Gemeinderat Waldbüttelbrunn bitte ich um Beantwortung folgender Fragen: 1. Ist die Behauptung von Bürgermeister Schmidt richtig, dass in der Geschäftsordnung des Gemeinderats Waldbüttelbrunn eine Vorschrift enthalten ist, die den Mitgliedern des Gemeinderats im Rahmen der Sitzung politische Meinungsäußerungen als solche verbietet? Mir ist trotz Durchsicht der Geschäftsordnung keine derartige Bestimmung geläufig, bitte aber trotzdem angesichts der gegenteiligen Behauptung von Bürgermeister Schmidt um Beantwortung der Frage. 2. Ist die Behauptung von Bürgermeister Schmidt richtig, dass in der bayerischen Gemeindeordnung eine Vorschrift enthalten ist, die Mitgliedern des Gemeinderats im Rahmen der Sitzung politische Meinungsäußerungen als solche verbietet? 3. Ist es korrekt, dass Bürgermeister Schmidt mir den Ausschluss aus der Sitzung angedroht hat, ohne dass er darauf hingewiesen hat, dass einem solchen Sebastian Hansen, Kommunalaufsichtsbeschwerde an das LRA Würzburg vom 27. April 2016 3 4. 5. 6. 7. Ausschluss der Gemeinderat zustimmen muss? In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass der Bürgermeister nach dem Konzept des Art. 53 Abs. 1 Satz 3 GO nicht aus eigener Machtvollkommenheit handeln darf, wörtlich aber gesagt hat: „Ich schmeiß dich raus …“, ohne diese Androhung hinsichtlich der erforderlichen Zustimmung des Gemeinderates einzuschränken. Ist die Begründung von Bürgermeister Schmidt für die Androhung des Ausschlusses aus der Sitzung, politische Meinungsäußerungen von Mitgliedern des Gemeinderats im Rahmen der Sitzung seien verboten, korrekt, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er als Begründung weder angeführt hat, dass ich mit dem bloßen Tragen dieses T-Shirts die Ordnung störe noch dass ich sie gar erheblich störe noch dass ich sie fortgesetzt störe? Hat Bürgermeister Schmidt korrekt gehandelt, indem er mir erneut den Ausschluss angedroht hat, weil ich mir die Kapuzenkacke zurechtgezupft und dabei den Kopf bewegt habe? Ist es korrekt, dass Bürgermeister Schmidt mir erneut den Ausschluss androht hat, weil ich mich gegenüber Gemeinderat Vogel dahingehend geäußert habe, dass ich Fragen der Ästhetik nicht bewerte? Hierbei betone ich, dass dies eine in normalem Ton gehaltene Antwort auf die Äußerung von GR Vogel war, die dieser mir auch in keiner Weise übel genommen hat (zumindest war dies nicht einmal ansatzweise erkennbar) und die den Sitzungsablauf nicht im Mindesten gestört hat. Ist es korrekt und insbesondere mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar, dass Bürgermeister Schmidt mich dann, wenn ich mich (im vorliegenden Fall auf seine direkte Ansprache an mich) äußere, ohne dass er mir ausdrücklich das Wort erteilt hat, sofort rügt, diese Rüge aber bei vergleichbaren Äußerungen anderer Mitglieder des GR (im konkreten Fall GR Vogel) unterlässt? Sollten Sie eine oder mehrere dieser Fragen verneinen, bitte ich zusätzlich darum, Bürgermeister Schmidt im Rahmen Ihrer Kommunalaufsicht dahingehend zu beraten, künftig sein Handeln den rechtlichen Vorgaben anzupassen. 8. Zusätzlich bitte ich um Beantwortung der Fragen, a) ob das bloße Tragen eines roten T-Shirts als solches mit der Aufschrift „Gegen Nazis“ und einem entsprechenden Piktogramm (vgl. Anlage) in der Gemeinderatssitzung vom 25. April 2016 eine erhebliche und fortgesetzte Störung der Ordnung im Sinne des Art. 53 Abs. 1 Satz 3 GO darstellt, dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich zuvor kein Mitglied des Gemeinderats dagegen gewendet hat und dieses T-Shirt Sebastian Hansen, Kommunalaufsichtsbeschwerde an das LRA Würzburg vom 27. April 2016 4 erst mit der Androhung des Ausschlusses durch Bürgermeister Schmidt überhaupt zum Thema wurde. b) Ob das bloße Tragen eines roten T-Shirts als solches mit der Aufschrift „Gegen Nazis“ und einem entsprechenden Piktogramm grundsätzlich eine erhebliche und fortgesetzte Störung der Ordnung im Sinne des Art. 53 Abs. 1 Satz 3 GO darstellt. Hierzu vertrete ich folgende Meinung, die ich zu überprüfen bitte: Nach der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 12.2.1988 – 7 B 123/87 – BayVBl 1988, 407-408 <nur LS 1 und Gründe>) ist es nicht zweifelhaft, dass ein Ratsmitglied auch während der Ratssitzungen nicht sein Recht zur freien Meinungsäußerung verliert. Dies steht ihm jedoch nur insoweit zu, als der ordnungsgemäße Ablauf der Sitzung für private Meinungsäußerungen Raum lässt. Wird durch eine dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterfallende Meinungsäußerung der ordnungsgemäße Ablauf der Sitzung gestört, so kann der Ratsvorsitzende eine solche Störung auf Grund der ihm nach der Gemeindeordnung zustehenden Leitungs- und Ordnungsfunktion unterbinden. Welchen privaten Meinungsäußerungen eines Ratsmitgliedes der Ratsvorsitzende zur Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung entgegentreten darf, lässt sich nur auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles beurteilen. In diesem Zusammenhang ist das Bundesverwaltungsgericht der Ansicht, dass durch das Tragen von Anstecknadeln und Plaketten o.ä. die Sitzungsordnung häufig nicht oder nur so geringfügig beeinträchtigt sein wird, dass mit Blick auf den hohen Rang des Grundrechts der freien Meinungsäußerung die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen nicht gerechtfertigt erscheint. Auf der Basis dieser Rechtsprechung und auf der Grundlage des dem Art. 53 Abs. 1 GO inhaltsgleichen § 41 ThürKO vertritt das VG Gera (U.v. 20.2.2013 – 2 k 267/12 Ge –ThürVBl 2013, 239-241) die Ansicht, dass ein Gemeinderatsmitglied um der Funktionsfähigkeit der gemeindlichen Selbstverwaltung willen Einschränkungen des ihm auch in Sitzungen des Gemeinderats grundsätzlich zustehenden Grundrechts aus Art. 5 GG hinnehmen muss, dass dies aber nicht der Fall ist, wenn ein zur NPD gehörendes Mitglied des Gemeinderats eine Jacke mit dem Label „Thor Steinar“ trägt, denn dieses von Teilen der Bevölkerung zum Erkennungsmerkmal rechtsextremer Gesinnung erhobene Label übermittelt zunächst keine ausdrückliche Botschaft, die einen rassistischen oder menschenverachtenden Bezug enthält. Sebastian Hansen, Kommunalaufsichtsbeschwerde an das LRA Würzburg vom 27. April 2016 5 Zu beachten ist auch das Urteil des VGH Baden-Württemberg (v. 4.3.1993 – 1 S 2349/92 – VBlBW 1993, 259-260), in dem die Meinung vertreten wird, dass ein Ausschluss aus der Sitzung nur bei einem Verhalten ausgesprochen werden darf, das in besonders hohem Maße den Gang der Verhandlung stört, weil der Verweis aus dem Raum eine einschneidende Ordnungsmaßnahme darstellt, die zudem geeignet ist, die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat zu beeinflussen. (Vgl. zur Problematik gesamten auch Widtmann/Grasser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, Stand Dezember 2014, Art. 53 GO Rn. 5 und Rn. 9) Auf der Grundlage dieser rechtlichen Vorgaben vertrete ich die Meinung, dass ich in der Sitzung vom 25. April 2016 nicht die Ordnung fortgesetzt und erheblich im Sinne des Art. 53 Abs. 1 Satz 3 GO gestört habe und dass diese auch grundsätzlich nicht durch das Tragen des genannten T-Shirts gestört werden kann. Denn in der fraglichen Sitzung hat sich kein Mitglied des Gemeinderats an der Aufschrift meines S-Shirts gestört, die Sitzung lief unbehelligt weiter, nachdem ich meine Kapuzenjacke ausgezogen hatte und das T-Shirt sichtbar wurde. Aber auch grundsätzlich kann eine derartige politische Äußerung, die über alle Parteigrenzen hinweg politischer Konsens ist (kein Demokrat kann ernsthaft behaupten, er fühle sich durch die Aufschrift „Gegen Nazis“ gestört, weil er deren Inhalt nicht zustimmen könne) und nicht einmal ansatzweise einen rassistischen oder menschenverachtenden Bezug enthält, zu einer Störung der Ordnung im Gemeinderat führen. Zu beachten ist hierbei auch, dass die Sitzordnung im Gemeinderat Waldbüttelbrunn so gestaltet ist, dass ich mit dem Rücken zu den Zuschauern sitze und somit Personen, die sich im Zuschauerraum aufhalten, die Aufschrift auf meinem T-Shirt nicht sehen und damit keinen Anstoß daran nehmen können. In dieser Meinung bin ich umso mehr bestärkt, als durch den oben dargestellten grundrechtlichen Schutz nur in besonders hohem Maße den Gang der Verhandlung störende politische Meinungsäußerungen zu einem Ausschluss führen können, zumal die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat eng und kompliziert sind und deshalb die Gefahr bestehen könnte, dass ein voreiliger Ausschluss eines Gemeinderatsmitglieds eine entscheidende Auswirkung hinsichtlich noch vorzunehmender Abstimmungen haben könnte. Sebastian Hansen, Kommunalaufsichtsbeschwerde an das LRA Würzburg vom 27. April 2016 6 Sollten Sie der Meinung sein, dass ich mit dem Tragen des gegenständlichen TShirts die Ordnung im Gemeinderat Waldbüttelbrunn fortgesetzt erheblich gestört habe oder dass sie generell durch das Tragen eines solchen T-Shirts gestört wird, bitte ich um eine entsprechende ausführliche und nachvollziehbare Begründung, damit ich mein künftiges Verhalten im Umgang mit dieser Sache (auch hinsichtlich der Überlegung zu weiteren Schritten) hieran messen kann. Sollten Sie aber meiner Meinung folgen, bitte ich um eine entsprechende Mitteilung an Bürgermeister Schmidt im Rahmen kommunalaufsichtlichen Handelns, damit künftig meine Rechte im Gemeinderat nicht unzulässig eingeschränkt werden. Für Ihre Bemühungen und Ihre Antwort schon jetzt vielen Dank. Mit freundlichen Grüßen Sebastian Hansen Gemeinderat Anlage: Bild des T-Shirts Sebastian Hansen, Kommunalaufsichtsbeschwerde an das LRA Würzburg vom 27. April 2016 7 Sebastian Hansen, Kommunalaufsichtsbeschwerde an das LRA Würzburg vom 27. April 2016