DIE ARBEIT MIT DER SEXUELLEN ROLLE IM MONODRAMA – EIN BALANCEAKT ZWISCHEN INTIMITÄTSSCHUTZ UND OFFENHEIT Master Thesis zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Science“ im Universitätslehrgang Psychotherapie Fachspezifikum Psychodrama von Dr. Clemens Hammer Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Donauuniversität Krems Wien, Juni 2016 1 EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich, Clemens Hammer, geboren am 26.07.1975 in Neunkirchen erkläre, 1. dass ich meine Masterthesis selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfen bedient habe, 2. dass ich meine Masterthesis bisher weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe, 3. dass ich, falls die Arbeit mein Unternehmen betrifft, meinen Arbeitgeber über Titel, Form und Inhalt der Masterthesis unterrichtet und sein Einverständnis eingeholt habe. Wien, 13.06.2016 Ort, Datum ...................................................... Unterschrift 2 Danksagung Viele Menschen haben mir geholfen, mich mit dem Thema „Sexualität“ auseinanderzusetzen. Allen voran danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen von der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, mit denen ich seit vielen Jahren im Bereich der sexuellen Bildung und Sexualberatung zusammenarbeite. Namentlich möchte ich besonders Sabine Ziegelwanger hervorheben. Mit ihr habe ich Projekte etablieren dürfen, ewige Diskurse über die professionelle Haltung geführt und weibliche Sichtweisen auf sexuelle Themen erfahren. Wir sind nicht nur kollegial, sondern auch freundschaftlich verbunden. Außerdem möchte ich Sandra Gathmann für ihre hilfreiche Unterstützung im Bereich der Sexualtherapie danken. Mit ihr konnte ich mich im Rahmen der Österreichischen Gesellschaft für Sexualwissenschaften über sexuelle Identitäten und Diversity im beraterischen und therapeutischen Kontext unterhalten sowie den Austausch während der gemeinsamen Fortbildungen in systemischer Sexualtherapie bei Ulrich Clement pflegen. Dank gilt auch einigen Psychodramatikerinnen und Psychodramatikern. Allen voran Sonja Hintermeier, die mich von Anfang meiner Therapieausbildung an begleitet und das Coaching Praxissupervisorin meiner Roswitha Masterthese Riepl, die übernommen mich bei der hat sowie Entwicklung meiner einer psychodramatischen Sicht auf Sexualität unterstützte und eine wichtige Hilfe für den Umgang mit erotischen Impulsen auf der Begegnungsbühne war. Besonderer Dank gilt auch Helmut Haselbacher, der in meiner Lehrtherapie mein „romantisches Liebesideal“ in Frage stellte sowie Hildegard Pruckner, die mit ihrer kritischen Bemerkung einen wichtigen Umdenkprozess bezüglich meiner Themenwahl einleitete. Mein erster Entwurf sah vor, das Hauptaugenmerk auf therapeutische Techniken und Interventionen zu sexuellen Fragestellungen zu entwickeln. Sie warf die Frage auf, ob denn bei Sex die Technik das Entscheidende sei… Margot Hammer, Martin Hofer und Cai Mosich danke ich dafür, meine Texte immer wieder auf Lesbarkeit zu überprüfen. Sie haben mich stets ermutigt, „dran zu bleiben“. 3 Vorwort Liebe_r Leser_In, liebe*r Leser*in, in den modernen Sozial- und Sexualwissenschaften wird die Verwendung einer gendergerechten Sprache vorausgesetzt. Aus mehreren Varianten sticht die modernste Form dadurch hervor, dass sie nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Transidente und Intersex-Personen berücksichtigt. Die zuletzt dargestellte Form der Anrede – liebe_r Leser_in, liebe*r Leser*in – macht sämtliche Geschlechter und Geschlechtsidentitäten sichtbar. Sie ist jedoch ungewohnt zu schreiben, wenig flüssig zu lesen und im Gesprochenen schwer deutlich zu machen; auch entspricht sie nicht der deutschen Grammatik. Daher werde ich aufgrund der besseren Lesbarkeit weder diese Variante noch das Binnen-I verwenden. Stattdessen möchte ich Frauen wie Männer in meinem Text ausweisen und hoffe sehr, dass sich in den zukünftigen Jahren bessere Schreibweisen etablieren werden, die keine Geschlechter und Geschlechtsidentitäten ausgrenzen werden. Abstract Ausgangspunkt dieser Masterthese ist eine Betrachtung von Sexualität aus psychodramatischer Sicht. Der Sexualitätsbegriff wird dabei breit definiert: Der Mensch wird als sexuelles Wesen verstanden; dessen sexuelles Handeln mit Motiven und Sinnaspekten in Verbindung gebracht. Grundlage für diese Sichtweise ist aktuelle sexualwissenschaftliche Literatur, welche entlang eines humanistischen Menschenbildes untersucht und für das Psychodrama anhand der Rollentheorie aufbereitet wird. Die individuelle Sexualität eines Menschen lässt sich somit als sexuelle Rolle beschreiben. Der Umgang mit ihr wird anhand von Fallbeispielen aus dem Monodrama demonstriert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Arbeit auf der Begegnungsbühne. Die Herausforderung stellt dabei insbesondere die Achtung des Schutzes der Intimität bei 4 gleichzeitiger Möglichkeit zur Offenheit sowohl von Klientinnen und Klienten als auch von Psychotherapeutinnen und –therapeuten dar. Stichwörter: Sexualität, Psychodrama, Rollentheorie, Monodrama, Begegnungsbühne The subject of this Master Thesis is the exploration of sexuality from a psychodramatic point of view. Sexuality is defined in a broader sense: Clients are regarded as sexual beings whose sexual behaviours are connected to motives and core values of life in general. This perspective is based on the current literature of sexology, which is reviewed from the point of view of the humanistic anthropological paradigm and which I want to apply to the role theory of Psychodrama. My aim is to demonstrate that the individual sexuality can be described as a sexual role. The therapeutic approach to this role theory will be discussed by presenting case studies from individual therapies. The emphasis lies on the work on the stage of encounter. The biggest challenge of this approach is to protect and respect the intimacy in the setting but at the same time offering the possibility of an open dialogue about sexual contents to the clients as well as to the therapists. Key words: Sexuality, Psychodrama, Role Theory, Individual Therapy, Stage of encounter. 5 Inhaltsverzeichnis Danksagung .................................................................................................................................... 3 Vorwort ............................................................................................................................................ 4 Abstract ........................................................................................................................................... 4 1. Einleitung .................................................................................................................................. 10 1.1. Forschungsstand im Psychodrama ............................................................................................ 11 1.2. Forschungsfrage ........................................................................................................................... 13 1.3. Forschungsansatz und Aufbau der Arbeit ................................................................................. 13 2. Grundlagen ............................................................................................................................... 15 2.1. Das aktuelle Sexualitätsverständnis im Spiegel des humanistischen Menschenbildes .... 15 2.1.1. Der Mensch – ein sexuelles Wesen ................................................................................... 16 2.1.2. Sinnaspekte – Motive sexuellen Handelns ........................................................................ 17 2.1.2.1. Lustaspekt ........................................................................................................................... 19 2.1.2.2. Beziehungsaspekt .............................................................................................................. 20 2.1.2.3. Identitätsaspekt................................................................................................................... 21 2.1.2.4. Fruchtbarkeits- und Fortpflanzungsaspekt ..................................................................... 21 2.1.2.5. weitere Sinnaspekte........................................................................................................... 21 2.1.3. Das erotische Profil der systemischen Sexualtherapie ................................................... 22 2.1.3.1. Die Erfahrungen ................................................................................................................. 23 2.1.3.2. Phantasien und Wünsche ................................................................................................. 23 2.1.3.3. Der aktuell gelebte Sex ..................................................................................................... 24 2.1.3.4. Die erotischen Fähigkeiten ............................................................................................... 26 2.1.3.5. Das erotische Profil im Paarkontext ................................................................................ 27 2.2. Das erotische Profil aus rollentheoretischer Sicht ................................................................... 28 2.2.1. Merkmale des Rollenbegriffs ............................................................................................... 29 2.2.2. Jede Rolle ist gesellschaftlich vermittelt – Die sexuelle Sozialisation ........................... 30 2.2.2.1. Verhandlungsmoral als Idealkonstrukt ............................................................................ 32 2.2.2.2. Das romantische Liebesideal ........................................................................................... 33 2.2.2.3. Heteronormativität .............................................................................................................. 36 2.2.2.4. Leistungsaspekte: Neue sexuelle Mythen ...................................................................... 39 6 2.2.2.5. Die Pro-Sex-Norm .............................................................................................................. 40 2.2.3. Jede Rolle ist individuell gestaltet ....................................................................................... 41 2.2.3.1. Sexualität zwischen Rollengestaltung und Rollenkonserve ........................................ 42 2.2.4. Jede Rolle ist von Kontexten abhängig .............................................................................. 43 2.2.4.1. Kulturelle Skripte ................................................................................................................ 43 2.2.4.2. Intrapsychische Skripte ..................................................................................................... 44 2.2.4.3. Interpersonelle Skripte ....................................................................................................... 44 2.2.4.4. Skripte in der systemischen Sexualtherapie .................................................................. 45 2.2.5. Rollenentwicklung ist ein lebenslanger Prozess ............................................................... 46 2.2.5.1. Biographie – Entwicklung von Sexualität und sexueller Identität aus rollentheoretischer Sicht .................................................................................................................. 46 2.2.5.2. Rollenanteile der psychosomatischen Rollenebene – Lustempfinden als angeborene Fähigkeit ...................................................................................................................... 47 2.2.5.3. Wünsche und Phantasien – Anteile der psychodramatischen Rollenebene ............ 48 2.2.5.4. Rollenanteile der soziodramatischen Rollenebene – Voraussetzung für das Ausverhandeln sexueller Handlungen........................................................................................... 51 2.2.5.5. Rollenanteile und Rollenkompetenzen im Erwachsenenalter ..................................... 55 3. Die Gestaltung der Begegnungsbühne bei der Bearbeitung sexualitätsbezogener Problemlagen im Monodrama..................................................................................................... 59 3.1. Einleitung: Warum das Setting des Monodramas? ................................................................. 59 3.2. Die Begegnungsbühne im Monodrama ..................................................................................... 61 3.3. Grundüberlegungen zur Gestaltung der Begegnungsbühne bei der Arbeit mit der sexuellen Rolle ...................................................................................................................................... 63 3.3.1. Zur Haltung von Psychodramatikerinnen und Psychodramatikern zum Themenfeld Sexualität ........................................................................................................................................... 63 3.3.3.1. sexuelle und reproduktive Menschenrechte als Wertebasis ....................................... 65 3.3.3.2. Diversity-Ansatz .................................................................................................................. 66 3.3.3.3. Neutralitätsprinzip............................................................................................................... 66 3.3.3.4. Ressourcenorientierung .................................................................................................... 67 3.3.2. gleichgeschlechtliche oder gegengeschlechtliche therapeutische Beziehung ............ 68 3.3.3. Das Etablieren einer geeigneten Sprache ......................................................................... 69 3.3.3.1. Fragen nach einer Partnerschaft unter Berücksichtigung möglicher nichtheterosexueller Begehrensformen ................................................................................................. 71 7 3.3.3.2. Unterstützung der Klientinnen und Klienten bei der Entwicklung einer adäquaten sexualitätsbezogenen Sprache durch Konkretisierung............................................................... 72 3.3.3.3. Konkretisierungen unter Berücksichtigung von Intimitätsgrenzen .............................. 73 3.3.3.4. Die sprachliche Abstimmung in der psychotherapeutischen Beziehung ................... 74 3.4. Erstkontakt und Erstgespräch ..................................................................................................... 75 3.4.1. Unterschiedliche Medien der Kontaktaufnahme ............................................................... 75 3.4.2. Anliegen rund um Sexualität als Vorstellungsgrund......................................................... 78 3.4.1.1. Sexuelle Funktionsstörungen ........................................................................................... 78 3.4.1.2. psychische und körperliche Erkrankungen, die das Sexualleben beeinflussen ....... 81 3.4.1.3. Die sexuelle Identität und ihr Einfluss auf die gelebte Sexualität ............................... 84 3.4.3. Wenn sexuelle Probleme kein Vorstellungsgrund sind ................................................... 87 3.5. Die Arbeit auf der Spielbühne ..................................................................................................... 90 3.5.1. Das erotische Ressourcogramm ......................................................................................... 90 3.5.2. Die Arbeit mit der Erregungskurve ...................................................................................... 91 3.5.3. Die Arbeit mit Sinnaspekten................................................................................................. 92 3.5.4. Das Benennen der sexuellen Rolle .................................................................................... 94 3.5.5. Dialoge mit der Lust und mit Geschlechtsorganen........................................................... 94 3.5.6. Erotische Handlungen auf der Spiel-Aktionsbühne .......................................................... 96 3.6. Die Arbeit auf der inneren Bühne ............................................................................................... 97 3.6.1. Umgang mit kulturellen Skripten ......................................................................................... 98 3.6.1.1. Kulturelle Skripte in Form von inneren Glaubenssätzen .............................................. 98 3.6.1.2. Heteronormativität und monosexuelle Ordnung ............................................................ 99 3.6.1.3. Einflussfaktoren auf kulturelle Skripte ........................................................................... 100 3.6.1.4. kulturell vorgegebene sexuelle Abläufe ........................................................................ 101 3.6.2. Umgang mit intrapsychischen Skripten ............................................................................ 102 3.6.2.1. Die Differenzierung von Phantasien und Wünschen .................................................. 103 3.6.2.2. sexuelle Wünsche ............................................................................................................ 104 3.6.2.3. sexuelle Wünsche im biographischen Zusammenhang ............................................. 105 3.6.3. Umgang mit interpersonellen Skripten ............................................................................. 106 3.6.3.1. Die Stellung des Kondoms in interpersonellen sexuellen Skripten .......................... 106 3.6.3.2. Variationen interpersoneller Skripte .............................................................................. 108 8 3.6.4. Das ideale sexuelle Szenario und das Worst Case Szenario ...................................... 110 3.7. Erotik auf der Begegnungsbühne „pur“ ................................................................................... 112 3.7.1. Setting ................................................................................................................................... 113 3.7.2. Sharing .................................................................................................................................. 114 3.7.3. Umgang mit eigenen erotischen Impulsen ...................................................................... 114 3.7.4. Sexualisierungen auf der psychotherapeutischen Begegnungsbühne Grenzverletzungen ......................................................................................................................... 115 4. Diskussion .............................................................................................................................. 118 5. Resümee und Ausblick ......................................................................................................... 124 6. Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 125 9 1. Einleitung Im Laufe meiner Tätigkeit als Sexualberater und –pädagoge wurde mir bewusst, dass das Thema Sexualität mit unterschiedlichsten, teils widersprüchlichen Werten, Phantasien und Vorstellungen verknüpft ist. Im Alltagsverständnis meint Sexualität „Genitalität“ – also im engeren Sinne das Sexualverhalten. In sexualwissenschaftlichem Sinne aber ist ein deutlich breiteres Verständnis des Begriffs üblich (vgl. Sielert, 2005, S.37f.). Da Sexualität „zu viel und zu Widersprüchliches“ umfasst, ist „entscheidend, was ein jeweiliger Kulturkreis – und im wissenschaftlichen Zusammenhang eine Gruppe von Personen, die sich forschend mit Sexualität auseinandersetzt, als Bedeutungskern definiert“ (ibid.). Für die Arbeit als humanistisch geprägte Psychodramatikerinnen und Psychodramatiker müsste sich ein Sexualitätsbegriff demnach in das Menschenbild und in die Persönlichkeitstheorien des Psychodramas einfügen. Einem definierten Sexualitätsverständnis liegt eine spezifische Sexualmoral zugrunde, welche die psychotherapeutische Haltung bestimmt. Ich gehe davon aus, dass sich dieses wesentlich von z.B. einem (sexual-)medizinischen oder biologischen Verständnis unterscheidet. Definitiv unterscheidet es sich aber von den jeweiligen privaten Einstellungen und Vorstellungen von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Aus meiner Sicht ist es hilfreich, wenn nicht sogar ethisch notwendig, eine schulspezifische, professionelle Haltung mit ihren zugrunde liegenden Werten und Normen zu entwickeln und diese gegebenenfalls sowohl Klientinnen und Klienten als auch Kolleginnen und Kollegen gegenüber transparent zu machen. Auf diesen Grundlagen baut die konkrete psychotherapeutische Arbeit auf. Das Psychodrama ist in seiner ursprünglichen Form ein Gruppentherapieverfahren, bei dem szenisch gearbeitet wird. Sexuelle Szenen darzustellen, noch dazu in einer „Halböffentlichkeit“ – der Gruppe, gilt jedoch als ausgesprochen obszön. Daher raten Falko von Ameln, Ruth Gerstmann und Josef Kramer davon ab, sexuelle Inhalte auf die Bühne zu bringen (vgl. von Ameln, Gerstmann & Kramer 2009, S.268 ff.). Jutta Fürst und Hannes Krall betonen, dass eine „einfache Reinszenierung einer privaten sexuellen Handlung oder Begegnung […] auf der psychodramatischen Bühne nichts zu suchen 10 [hat]“ (Fürst & Krall, 2012, S.34) und weisen auf die Sinnhaftigkeit von Symbolisierungen und Metaphern auf der Spielbühne hin (vgl. ibid.). Aus Erfahrung mit Fortbildungsgruppen im Bereich der sexuellen Bildung zeigt sich regelmäßig folgendes Bild: Die Einzelnen wählen schon im Vorfeld die Teilnahme an jenen Veranstaltungen aus, sind also bereit, sich mit Sexualität auseinanderzusetzen. Aufgabe der Leiterin und des Leiters ist aber dennoch, darauf aufmerksam zu machen, dass niemand Persönliches preisgeben muss und betonen die Wichtigkeit, die eigene Schamgrenze zu beachten. Unter diesen Rahmenbedingungen gelingt es sehr gut, einige Aspekte von Sexualität zu bearbeiten. Die Erfahrung lehrt aber zugleich, dass der Austausch persönlicher, intimer Erlebnisse fast immer zu zweit stattfindet (eventuell sogar „nur“ in den Pausen) – und dies unter Ausschluss der Leitenden. Daraus folgt, dass es für die meisten Menschen eines vertraulichen Rahmens bedarf, um persönliche Anliegen rund um Sexualität aufgreifen zu können. Daher bietet sich das Monodrama an. Der Begriff „Monodrama“ ist die in Österreich verwendete Bezeichnung für die Anwendung von Psychodrama im Einzelsetting, wie sie erstmals von Barbara Erlacher-Farkas und Christian Jorda ausführlich beschrieben wurde (Erlacher-Farkas & Jorda, 1996). 1.1. Forschungsstand im Psychodrama In der psychodramatischen Fachliteratur im deutschsprachigen Raum sind zum Thema Sexualität einige Publikationen erschienen. Ein wesentlicher Meilenstein ist die Masterthesis von Wolfgang Hofer (2013), der das etablierte sexualtherapeutische Verfahren des Hamburger Modells, welches auf Arbeiten von William Masters und Virginia Johnson, Helene Singer-Kaplan, etc. basiert, mit der PsychodramaPsychotherapie verbindet. Der Fokus, ganz in der Tradition dieses Verfahrens, liegt in der Arbeit mit (Liebes)paaren. Es wird also vor allem der Bedeutung der Paarsexualität Rechnung getragen. Dem einzeltherapeutischen Setting widmet er einen untergeordneten Teil in der Masterthesis, greift dies aber in einer früheren Publikation auf (Hofer, 1996). Sabine Kistler (2015) 11 beschreibt einige psycho- und sexualtherapeutische Techniken, die auf der von Hofer erarbeiteten PsychodramaSexualtherapie aufbaut. Schuldig blieben die Arbeiten aber Antworten zu folgendem Fragenkomplex: Welches Sexualitätsverständnis haben humanistisch geprägte Psychodramatikerinnen bzw. Psychodramatiker? Welche Haltung nehmen sie ein? Auf welcher ethischen Basis handeln sie? Erste Hinweise dazu liefern Fürst und Krall (2012, S.25ff.), deren Arbeit sich unter anderem mit der Definition von Sexualität beschäftigt und erste Impulse für psychodramatische Arrangements setzt. Sonja Hintermeier (2012, S.72ff.) geht noch einen Schritt weiter und skizziert Verbindungen von Sexualitätsvorstellungen mit Persönlichkeitsstrukturen bzw. deren Störungen. Diese und weitere Fachartikel finden sich im Themenheft „Sexualität, Erotik, Intimität“ der Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, welches 2012 von Christian Stadler, Sabine Spitzer-Prohaska und Sabine Kern herausgegeben wurde. Mit leidbringenden bzw. leidvollen Facetten menschlicher Sexualität wie dem Ausüben oder Erleben von sexueller Gewalt oder sexuellem Missbrauch beschäftigen sich die Arbeiten von Jonni Brem (2004) und Hildegard Knapp (2011): Brem beschreibt die Arbeit mit Sexualtätern. Knapp beschäftigt sich mit geschlechtsspezifischen Verarbeitungsweisen traumatischer Erlebnisse. Zahlreiche Beispiele beziehen sich auch auf sexuelle Gewalterfahrungen. Da bei diesen Fällen aber die Gewaltausübung bzw. die Traumatisierung im Vordergrund stehen, nicht die Sexualität selbst, werden sexuelle Gewalt/Missbrauch bzw. Opfererfahrungen in dieser Masterthese bewusst ausgeklammert. Außerdem würde dieser Themenkomplex den Rahmen dieser Arbeit deutlich sprengen. 12 1.2. Forschungsfrage Die Fragestellung für diese Masterthese lautet: Wie fügt sich das aktuelle sexualwissenschaftliche Verständnis von Sexualität (mit Betonung der psychischen und soziokulturellen Aspekte) in das Menschenbild des humanistischen Psychodramas ein? Was bedeutet dies für die Haltung der Psychotherapeutin bzw. des Psychotherapeuten und die Gestaltung der Begegnungsbühne in der Einzelpsychotherapie (Monodrama)? Anmerkung: Die Sexualwissenschaft (auch Sexualforschung, Sexologie) ist multidisziplinär. Sexualforschung erfolgt in verschiedenen medizinischen, biologischen, psychologischen, pädagogischen, sozialen und soziokulturellen Disziplinen (vgl. Wikipedia). Der Autor beschränkt sich auf den aktuellen Forschungsstand aus den Bereichen Psychologie und Psychotherapie, Pädagogik und Soziologie. 1.3. Forschungsansatz und Aufbau der Arbeit Die Masterthese versteht sich als themengeleiteter Praxisbericht. In Kapitel 2 werden aktuelle sexualwissenschaftliche Werke (Buddeberg, 2005, Kluge, 2008, Lautmann, 2002, Schmidt, 2011, Sielert, 2005 und 2008, Sigusch, 2005, Starke, 2008, u.a.) hinsichtlich eines möglichst differenzierten Sexualitätsverständnisses erforscht (Kapitel 2.1.) und schließlich mit der Rollentheorie in Verbindung gebracht (Kapitel 2.2.). Eine zentrale Stellung nehmen dabei die Publikationen von Ulrich Clement (1994, 2009, 2010, 2011) ein. Er entwickelte eine völlig neuartige Form der Sexualtherapie, die nicht mehr in der Tradition des Hamburger Modells steht. Insbesondere sein Fokus auf das erotische Potenzial und damit auf die erotischen Ressourcen von Klientinnen und Klienten sowie die Arbeit mit sexuellen Skripten sind beim Psychodrama gut anschlussfähig. In Kapitel 3 wird auf die konkrete Arbeit mit sexuellen Themen im Monodrama eingegangen. Dabei liegt der Fokus 13 auf der psychotherapeutischen Beziehungsgestaltung, die in der Fachliteratur als Begegnungsbühne bezeichnet wird (vgl. Pruckner, 2001 & 2012, S.239ff., Schacht & Pruckner, 2010, S.239ff.). Nach Grundüberlegungen zu Beziehungsgestaltung und psychotherapeutischer Haltung werden insgesamt 6 Klienten und 4 Klientinnen vorgestellt, auf die im weiteren Verlauf immer wieder Bezug genommen wird. Deren Problemschilderungen beziehen sich auf verschiedene Aspekte der sexuellen Rolle, die ich in drei Kategorien unterteilt habe: Störungen der Sexualfunktion, Auswirkungen auf die sexuelle Rolle durch psychische und physische Erkrankungen sowie Schwierigkeiten in Bezug auf die sexuelle Identität. Die beiden letzten Klientinnen kamen ohne Anliegen rund um Sexualität in Psychotherapie. Sie wurden deshalb ausgewählt, weil sich anhand dieser Fallbeispiele zeigen lässt, wie Erotik und Sexualität in psychotherapeutischen Prozessen Platz finden können. Fragen rund um Sexualität sind häufig, kommen aber häufig nicht so einfach zur Sprache. Das Schlusskapitel widmet sich dem Umgang mit erotischen Impulsen und Sexualisierungen auf der Begegnungsbühne. Dieses Kapitel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, bietet sich aber als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen an. 14 2. Grundlagen 2.1. Das aktuelle Sexualitätsverständnis im Spiegel des humanistischen Menschenbildes Die Psychodrama-Psychotherapie ist in Österreich humanistisch ausgerichtet (vgl. Schacht & Hutter, 2014, S.200). In humanistischen Psychotherapierichtungen wird der Mensch als potenziell mündiges Subjekt gesehen, „das in seinen biopsychosozialen, ökologischen und biographischen Vernetzungen bewusst erleben, wahlfrei und sozial verantwortlich handeln und über seine gesamte Lebensspanne hinweg seine Existenz in seinen sozialen Bezügen aktiv und kreativ gestalten kann“ (Eberwein, 2014, S.18). Werner Eberwein schreibt weiter: „Wir [sehen] den Menschen […] als aktiven Gestalter seiner Existenz. Das bedeutet, dass er sich in seinem Bewusstsein und seinem Handeln auf Ziele hin ausrichten kann, die wiederum auf sinnorientierte Werte hin ausgerichtet sind“ (ibid., S.28). In der Psychodramaliteratur wird der Mensch entsprechend dieser Vorstellungen als homo creator, ein aktiver Gestalter seiner Welt, als homo interagens, der als Akteur in Relation zur Mit- und Umwelt handelt, als homo ludens, der Spielräume nützt sowie als homo symbolicus, der seinem Leben Bedeutung und Sinn verleiht, interpretiert (vgl. Buer, 2004, S.39f.). Besonders dem Spiel und damit der Szene und dem szenischen Verstehen wird im Psychodrama eine hohe Bedeutung beigemessen. Durch den szenischen Ansatz wird es möglich, „Komplexität zuzulassen, sie aber gleichzeitig bearbeitbar zu machen“ (Hutter & Schacht, 2014, S.184). Christoph Hutter und Michael Schacht unterstreichen, dass es „Morenos erklärtes Ziel ist […], dieses „ganze lebendige soziale Aggregat“, das er „Szene“, „Augenblick“ oder „Lage“ nennt, zur Grundlage seiner Arbeit zu machen“ (ibid.). 15 2.1.1. Der Mensch – ein sexuelles Wesen In aktuellen sexualwissenschaftlichen Diskursen wird der Mensch als sexuelles Wesen bezeichnet ohne auf diesen Ausdruck genauer einzugehen (vgl. Sielert, 2008, S.42, Buddeberg, 2005, S.105 et. al.). Dieser Begriff scheint selbsterklärend zu sein. Die WHO verwendet stattdessen „das sexuelle Sein“ und führt bereits in ihrer Definition zur sexuellen Gesundheit von 1975 aus: „Sexuelle Gesundheit ist die Integration der somatischen, emotionalen, intellektuellen und sozialen Aspekte sexuellen Seins auf eine Weise, die positiv bereichert und Persönlichkeit, Kommunikation und Liebe stärkt. Grundlegend für dieses Konzept sind das Recht auf sexuelle Information und das Recht auf Lust. […] Die Vorstellung sexueller Gesundheit impliziert also eine positive Einstellung zur menschlichen Sexualität und der Zweck sexueller Gesundheitspflege sollte nicht nur Beratung und Betreuung bei Fortpflanzung und sexuell übertragbaren Krankheiten sein, sondern die Verbesserung der Lebensqualität und persönlicher Beziehungen“ (WHO, 1975 zit. nach der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung). Diese Definition von sexueller Gesundheit und „sexuellem Sein“ bleibt zwar unpräzise, legt aber den Grundstein für ein komplexes Denksystem, das weit mehr als den Sexualakt umfasst. Somit ist anzunehmen, dass das „sexuelle Wesen“ als Charakteristikum gilt, das allen Menschen eigen ist. So gesehen ist der Mensch ein sexuelles Wesen wie er auch beispielsweise ein soziales oder kulturelles Wesen ist; oder wie Uwe Sielert es ausdrückt: „Sexualität durchdringt den Menschen in seiner Persönlichkeit und bestimmt zwischenmenschliche Beziehungen“ (Sielert, 1993 zit. nach Fürst & Krall, 2012, S.27). Auch die Psychodramatikerin Sonja Hintermeier geht davon aus, dass sich „im sexuellen Handeln die Persönlichkeit eines Menschen […] zeigt“ (Hintermeier, 2012, S.72). Eng verknüpft mit dem Begriff „sexuelles Wesen“ und teilweise synonym verwendet wird der Begriff „sexuelle Identität“. Wolfgang Hofer schreibt beispielsweise, dass „Sexualität ein zentraler Teil der menschlichen Identität ist“ (Hofer, 2013, S.8). 16 Im engeren Sinne wird „sexuelle Identität“ folgendermaßen definiert: „Die sexuelle Identität ist das grundlegende Selbstverständnis der Menschen davon, wer sie als geschlechtliche Wesen sind – wie sie sich selbst wahrnehmen und wie sie von anderen wahrgenommen werden (wollen). Sie umfasst das biologische, das soziale und auch das psychische Geschlecht sowie die sexuelle Orientierung1“ (Timmermanns, 2008, S.261). Das biologische Geschlecht (sex) beinhaltet das genetische, gonadale2 und anatomische Geschlecht; das soziale Geschlecht (gender) meint die kulturellen Normen und Zuschreibungen an einen Mann oder eine Frau; das psychische Geschlecht (oder die Geschlechtsidentität) bezeichnet die innere Überzeugung eines Menschen, sich dem einen oder anderen Geschlecht (oder beiden) zugehörig zu fühlen und die sexuelle (Partner)orientierung beschreibt, ob sich das Begehren an eine Frau, einen Mann oder an beide richtet (vgl. ibid., S.261 f., vgl. Kluge, 2008, S.71 ff.). Das sexuelle Wesen ist zwar nicht ident mit der sexuellen Identität, aber derart eng mit dem Menschen als Geschlechtswesen verwoben, dass es keinen Sinn macht, diese beiden Aspekte menschlicher Existenz zu trennen. Sexualität ist unmittelbar an das Geschlecht gebunden. 2.1.2. Sinnaspekte – Motive sexuellen Handelns Im sexuellen Handeln drücken sich nicht nur die Persönlichkeit eines Menschen aus, sondern auch verschiedene Motive. Ich vermute, dass dies auch Jakob Levi Moreno bewusst war, wenn man das Beispiel eines kulturellen Paaratoms betrachtet (vgl. von Ameln, Gerstmann & Kramer, 2009, S.221). Dem damaligen Zeitgeist entsprechend verortete er allerdings die sexuelle Rolle auf der psychosomatischen – und damit auf der 1 Der Identitätsbegriff hat in erster Linie mit einer Selbstdefinition zu tun. Identitätsstiftende Elemente können beispielhaft die Geschlechts-, die Generationen-, die Kultur-, die Professionszugehörigkeit sein. Die sexuelle Orientierung bezieht sich auf ein begehrenswertes Gegenüber, ist also nicht immer gleichbedeutend mit einer Eigendefinition. So zeigen sich häufig Widersprüche zwischen sexuellem Handeln und sexueller Identität (vgl. Kap. 2.2.1.4.) 2 Gonaden = Eierstöcke bzw. Hoden 17 biologischen Ebene (vgl. Hutter & Schwehm, 2012, S.318). Dies deckt sich mit Vorstellungen der Psychoanalyse, die auch heute Grundlage vieler weit verbreiteter Sexualtherapiemodelle ist. Laut der klassischen Psychoanalyse ist die Libido ein Trieb, der ständig – biologisch begründet – aus sich heraus Spannung erzeugt, stärker wird und auf Abfuhr und Entladung drängt (vgl. Buddeberg, 2005, S.32). Die sexuelle Motivation ist somit biologisch vorgegeben. Da das Sexuelle in seiner Reinform nicht definierbar ist (vgl. Lautmann, 2002, S.19ff.), weil es sich stets auch um ein Kulturprodukt handelt, müsste man in der Rückschau die gesellschaftlichen Verhältnisse einbeziehen (vgl. Schmidt, 2011, S.55). 1906, als Freud den Begriff der Libido eingeführt hat, war Sexualität mit einer Kultur des Patriarchats verwoben, in welcher der Geschlechtstrieb grundsätzlich dem Mann zugeordnet war und alle sexuellen Ausprägungen abseits des Vaginalverkehrs zwischen Mann und Frau (in einer Ehe) als amoralisch galten und auch verboten waren. Dies wirkte dann so, als wäre „diese Libido […] eine sich ständig erneuernde Triebenergie, die durch gesellschaftliche Einflüsse gebändigt und geformt werden muss“ (Uzler, 2007, S.4). Dies ist die Grundlage dafür, sexuelle Varianten als Perversionen zu sehen und einem funktionierenden heterosexuellen Vaginalverkehr verschiedene sexuelle Funktionsstörungen gegenüberzustellen. Die Forschungen von William Masters und Virginia Johnson in den 1960er Jahren zum „sexuellen Reaktionszyklus“ (vgl. Hofer, 2013, S.11ff.) haben zu einer weiteren Vertiefung des Glaubens an eine „richtige“, „funktionierende“, „reife“ Sexualität geführt, welche sich in uns als kollektiver Mythos eingebrannt hat. In aktuell geschlechtsgerechteren Zeiten kam es zu einem wesentlichen Paradigmenwechsel in der Sexualforschung, weil die meisten Techniken, Praktiken und sexuellen Identitäten pluralisiert und gesellschaftlich lebbar geworden sind. Daher sind viele „Perversionen“ aus dem Dunstkreis der Pathologie verschwunden. Volkmar Sigusch spricht von Neosexualitäten und Neogeschlechtern (Sigusch, 2005). Daher wird nach und nach das Triebmodell – auch als Dampfkesseltheorie bezeichnet (vgl. Buddeberg, 2005, S.32) – durch ein neues Verständnis von sexueller Motivation ersetzt. 18 Gunter Schmidt spricht vom „Lustsucheprinzip“ (vgl. Schmidt, 2011, S.56ff.): „Kein Trieb treibt uns mehr zum Sex, sondern die Suche nach Reizen, Vergnügungen, thrills verlockt uns“ (ibid., S.163). Bei aller biologischer Grunddisposition von sexueller Motivation ist demnach das Augenmerk eher auf das Ziel und die Sinnhaftigkeit sexueller Handlungen ausgerichtet. Dies passt gut mit dem humanistischen Menschenbild zusammen, denn „der Mensch ist nicht nur kausal motiviert durch Ursachen, sondern auch final durch Absichten“ (Eberwein, 2004, S.23). Daher ist sexuelles Handeln nicht allein auf der psychosomatischen Ebene verankert, auch wenn der Körper im Handeln einbezogen ist. Sielert definiert Sexualität folgendermaßen: „Sexualität kann begriffen werden als allgemeine, auf Lust bezogene Lebensenergie, die sich des Körpers bedient, aus vielfältigen Quellen gespeist wird, ganz unterschiedliche Ausdrucksformen kennt und in verschiedenster Hinsicht sinnvoll ist“ (Sielert, 2005, S.41). Sielert hat vier wichtige Sinnaspekte für sexuelles Handeln differenziert (vgl. ibid., S.49ff.): 2.1.2.1. Lustaspekt Menschen handeln sexuell, weil sie dazu Lust haben und es Lust bringt. Lust hat einen eigenständigen Wert und ist eine wesentliche Triebkraft menschlichen Lebens (vgl. Starke, 2008, S.402; vgl. Sielert, 2005, S.50). Ulrich Clement meint, dass dem Begriff „Lust“ eine sehr allgemeine Bedeutung innewohnt, die sich wiederum differenzieren ließe in Interesse, Erregung, Motivation, Verlangen, etc. Er schlägt stattdessen den Begriff „sexuelles Begehren“ vor (vgl. Clement, 2011, S.47f.). Im Denkschema der Funktionsperspektive von Sexualität ist der Gegenspieler von Lust die Angst. Daher werden, zum Beispiel in der Psychodrama-Sexualtherapie (vgl. Hofer, 2013), Übungen angeboten, die diese Angst reduzieren und über Entspannung zu einer langsamen Annäherung zu Sinnlichkeit und Erotik führen soll. Im neueren Denkschema hingegen ist der Gegenspieler von Lust nicht automatisch die Angst, sondern die Unlust, die sich bis zur Aversion steigern kann (vgl. Clement, 2011, 19 S.47). Wichtige Sexualtherapeuten, die sich auf diesen Denkansatz stützen, sind David Schnarch (Schnarch, 2010) und Ulrich Clement, die eine gewisse Angst in sexuellen Handlungen als notwendige Voraussetzung für Leidenschaft sehen (vgl. Schnarch & Schmidt zit. nach Clement, 2011, S.25): „Mit der vollkommenen Entspannung werden die anderen emotionalen Amplituden der Erotik gleich mitgekappt“ (ibid.). Aus diesem Grund ist verständlich, warum „sexuelle Appetenzstörungen“ derzeit scheinbar im Vormarsch sind: Es wirkt Angst reduzierend, wenn in Liebesbeziehungen alles ausgehandelt wird und damit Sicherheit, Vertrauen und hohe Vorhersagbarkeit sexueller Handlungen entstehen. Schnarchs Ansicht nach ist also eine Appetenzstörung in erster Linie ein Hinweis auf zu starke Verschmelzung, auf zu viel Nähe (Schnarch zit. nach Hintermeier, 2012, S.73). Auch die sexuellen Funktionsstörungen werden in diesen beiden Denkansätzen unterschiedlich interpretiert. So können sie laut Hofer sekundär zu Luststörungen führen (vgl. Hofer, 2013, S.14). Nach Clement sind sie ein möglicher Ausdruck, eine Botschaft mangelnder sexueller Lust (vgl. Clement, 2011, S.60f.). Für die alltägliche psychotherapeutische Praxis sind beide Denkweisen relevant und es kommt darauf an, ob sexuelle Lustlosigkeit auf zu viel Angst oder auf zu wenig Reiz gründet. 2.1.2.2. Beziehungsaspekt Der Beziehungscharakter von Sexualität lässt sich nicht bestreiten. Der Großteil der sexuellen Handlungen, Phantasien und Wünsche sind, zumindest ab dem Jugendalter, Du-gerichtet, selbst in der Autoerotik. Dieses Gegenüber muss jedoch keine konkrete Person sein. Im engeren Sinn auf Paarsexualität bezogen stiftet und vertieft Sexualität Beziehungen und stellt einen Code zur Kommunikation der Intimität in der Bezogenheit von Ich und Du dar (vgl. Sielert, 2005, S.50). Kurt Starke drückt dies so aus: „Für die allermeisten ist sie ein starker Liebesbeweis, ein Geschehen, das der Liebe entspringt und sie fördert. […] An der Spitze der subjektiven Bedeutungshierarchie steht: der geliebten Person nah zu sein“ (Starke, 2008, S.403). 20 Clement betont eine weitere Facette des Beziehungsaspekts: „Für die meisten Paare ist Sex ein Ritual, das mehr umfasst, als nur den Sexualtrieb zu befriedigen. Sex ist nicht nur Spaß. Das sexuelle Ritual bekräftigt, dass die Beziehung beständig ist“ (Clement, 2009, S.130). Dem zugeordnet ist der Kommunikationsaspekt. Er zeigt sich sowohl in verbaler als auch non-verbaler Gestalt „basierend auf Verständigung und Verständnis und getragen von Vertrauen ineinander“ (Starke, 2008, S.402). Er hat vor allem in Form des Zärtlichkeitsaustauschs einen hohen Rang, insbesondere bei Liebenden (vgl. ibid.). 2.1.2.3. Identitätsaspekt „Sexualität ermöglicht das Geben und Nehmen von Selbstbestätigung als Bedingung für Selbstliebe und als Voraussetzung, auch andere in ihrem Selbst zu achten“ (Sielert, 2005, S.51). Frauen und Männer werden im sexuellen Tun und Begehren in ihrer Weiblichkeit bzw. Männlichkeit bestätigt. „Im Idealfall sieht sich der Mensch als Ganzes in seiner Existenz bekräftigt“ (Starke, 2008, S.402). 2.1.2.4. Fruchtbarkeits- und Fortpflanzungsaspekt Sexualität kann das Leben auf allen Ebenen befruchten – dieser Aspekt meint mehr als physische Fortpflanzung und kann auch unabhängig von ihr gegeben sein: „Die Tatsache, dass die Frau fruchtbar ist und der Mann ein Kind zeugen kann, [spielt] bewusst oder unbewusst eine überragende Rolle. Dieses vitale körperliche Vermögen ist in seiner Bedeutung für die Sexualität lange unterschätzt worden“ (Starke, 2008, S.402). 2.1.2.5. weitere Sinnaspekte Bringen diese verschiedenen Sinnaspekte manchmal schon Ambivalenzen mit sich (z.B. Abenteuerlust versus Beziehungsbedürfnis), lassen sich für die Psychotherapie wichtige weitere Bedeutungen (gelebter und nicht-gelebter) Sexualität zuordnen. Starke (vgl. 2008, S.401ff.) ergänzt zum Beispiel die Sinnaspekte durch weitere Funktionen, wie er sie nennt: unter anderen die Spaßfunktion – teilweise banalisiert, die 21 Entspannungsfunktion und die Kompensationsfunktion, die dazu dient, Nicht-sexuelles durch Sexuelles auszugleichen. Aber Sex kann auch eine Tauschfunktion haben (Sex wird gegen Sex getauscht), oder als Leistung und Gegenleistung, als Belohnung oder Strafe verwendet werden, etc. Zuletzt muss darauf hingewiesen werden, dass es auch sinnvoll sein kann, keinen Sex zu haben. Beispielsweise, weil niemand zur Verfügung steht, weil die Angst vor Nähe zu groß, die persönliche Autonomie wichtiger ist, beruflicher oder privater Stress im Vordergrund stehen, die Partnerschaft unbefriedigend oder keine sexuelle Lust vorhanden ist. 2.1.3. Das erotische Profil der systemischen Sexualtherapie Im sexuellen Handeln drücken sich „das sexuelle Wesen“ und verschiedene Handlungsmotive aus. Um diese Komplexität sexuellen Handelns zu erfassen, braucht es eine Struktur, mit der Psychotherapeutinnen und –therapeuten arbeiten können. Clement (2009, 2011) bietet diese Struktur an, indem er von einem individuellen erotischen Profil (andere Begriffe: sexuelles Profil, sexuelles Spektrum) spricht. Dieser Begriff stammt aus der von ihm entwickelten systemischen Sexualtherapie. Das sexuelle Profil eines Menschen setzt sich demnach aus seinen Erfahrungen, aus den Phantasien und Wünschen, aus den erotischen Fähigkeiten und dem aktuell gelebten Sex zusammen (vgl. ibid., 2009, S.76). Dieses Modell dient in erster Linie dazu, Bedürfnisse, Vorlieben und Abneigungen eines Menschen herauszuarbeiten. Es ist biographisch und dynamisch zu verstehen: Während die Vergangenheit die Vorstellungen und Einstellungen zu Erotik prägen, weisen die Wünsche und Phantasien in eine mögliche Zukunft. Im aktuell gelebten Sex verschränken sich beide. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten sind als erotische Ressourcen eines Menschen zu verstehen. 22 2.1.3.1. Die Erfahrungen Jede Person hat ihre eigene sexuelle Biographie und entwickelt im Laufe des Lebens individuelle Vorlieben, Abneigungen und Bedürfnisse (vgl. Clement, 2011, S.65). „Sexuelle Erregung ist immer an Erinnerung und Erfahrung gebunden – außer beim ersten Mal… Und selbst beim ersten Mal ist unsere Erregung angereichert durch Erzählungen anderer, Bücher, Zeitschriften und Filme.“ (ibid., 2009, S.78) Diese Erzählungen anderer treffen in der Jugendzeit3 aber nicht auf ein „unbeschriebenes Blatt“. Vielmehr treffen sie auf Beziehungs-, Liebes-, Nähe- und Körpererfahrungen der Kindheit; auf Erinnerungen daran, wie die Bezugspersonen miteinander Beziehungen gelebt haben; was mitgeteilt und tabuisiert wurde. John Money spricht von „love maps“, also Liebeslandkarten (vgl. Money zit. nach Schmidt, 2011, S.100), die Soziologen John H. Gagnon und William Simon von sexuellen Skripten4 (vgl. Simon und Gagnon zit. nach ibid.). Das Besondere an den Skripten liegt darin, dass sie im Laufe des Lebens, „vor allem in der Adoleszenz und in neuen Beziehungen modifiziert, umgeschrieben und fortgeschrieben werden können, sie sind lebenslang in Arbeit“ (Schmidt, 2011, S.101). 2.1.3.2. Phantasien und Wünsche „Fantasien sind traumartige Vorstellungen, was alles möglich wäre. […] Sie leben zunächst nicht von der Absicht, danach zu handeln“ (Clement, 2009, S.96). Sie gründen teilweise auf Erfahrungen, richten sich aber vor allem an zukünftige Möglichkeiten. Im 3 Die ersten sexuellen Kontakte finden in der Regel in der Jugendzeit statt: Laut BZgA haben mit 14 Jahren etwa 8% aller Jugendlichen ihre ersten Koituserfahrungen erlebt, zwischen 16 und 17 Jahren ist der Median von 50% erreicht, d.h. die Hälfte aller Jugendlichen haben die ersten sexuellen Kontakte bereits hinter sich, die andere noch vor sich. Dies hat sich in den letzten 30 Jahren kaum verändert. Der Unterschied zwischen Mädchen und Burschen in Bezug auf „das erste Mal“ ist sehr gering (vgl. BZgA, 2010). 4 Diese Masterthesis wird sich auf die sexuellen Skripte konzentrieren. Einerseits, weil dieser Begriff im deutschen Sprachraum bekannter ist, andererseits, weil sie als Drehbücher verstanden werden können, die für das Psychodrama plausibel verwendet werden können. 23 Reich der Phantasie führt eine Frau, ein Mann nur selbst Regie. Alles unterliegt ausschließlich der eigenen Kontrolle: „In dieser Vorstellungswelt lässt sich Unvereinbares zusammenbringen. Wir handeln in unserer Fantasie losgelöst von Schwerkraft und Schmerzen, von körperlichen Notwendigkeiten, körperlichen Fähigkeiten und gesellschaftlichen Rücksichten. […] Die einzige Grenze liegt in der Begrenztheit der Fantasie selbst“ (ibid., S.104). Zu den Phantasien gehören auch alle Praktiken und Handlungen, die jemand nie in die Tat umzusetzen gedenkt. Sie sind aus der sexuellen Erregbarkeit nicht wegzudenken und können „politisch unkorrekt“ sein. Sie werden häufig für sich behalten, weil die Gefahr droht, das Gegenüber könnte diese Phantasien mit konkreten Handlungsabsichten verwechseln. Clement betont, dass Phantasien privat sind, also nur die oder der Phantasierende darüber bestimmt, was sie oder er davon mitteilt. „Wünsche dagegen drängen nach Verwirklichung. Sie sind ´realistische´ und absichtsvolle Fantasien. […] Wünsche sind näher am Handeln. […] In erotischen Wünschen drücken sich Sehnsüchte, Erwartungen und auch konkrete Handlungsabsichten aus“ (Clement, 2009, S.96). Wünsche sind flexibel, sie können sich ins Reich der Phantasie verlagern oder aber drängender werden. Unerfüllte Wünsche neigen dazu, immer stärker zu drängen. Geht ein erotischer Wunsch in Erfüllung, stellt sich bald ein neuer Wunsch ein. Wünsche sind demnach wichtige Treiber in erotischen Entwicklungsprozessen. 2.1.3.3. Der aktuell gelebte Sex Weder die erotische Vergangenheit, noch Phantasien und Wünsche sind grundsätzlich monogam. Dies steht im Widerspruch zu den Wünschen der meisten Personen nach einer monogamen Paarsexualität. Monogamie im Bereich der aktuell gelebten Sexualität ist daher vor allem eine Frage von Entscheidungen, von Regeln und Abmachungen. Sie wird aber relativ flexibel interpretiert. In früheren Zeiten beispielsweise, als Selbstbefriedigung als schwer tabuisierter Bereich der Sexualität galt, war diese deutlich seltener ein Teil des sexuellen Profils und wurde in erster Linie als Ersatzhandlung 24 verstanden (die häufiger von Männern genutzt wurde). In heutigen sexuellen Verhältnissen wird Selbstbefriedigung von vielen nicht mehr als Treuebruch, sondern als selbstverständlicher und selbstbestimmter Teil der persönlichen Sexualität verstanden: „Als einzige Sexualpraxis ist [die Selbstbefriedigung] im Verlauf des 20. Jahrhunderts nicht nur von einer verpönten und verfolgten zu einer von Männern wie Frauen geschätzten Selbstpraktik geworden, sondern hat insgesamt auch quantitativ an Bedeutung gewonnen“ „[Selbstbefriedigungserfahrungen] erreichen (Sigusch, bei den 2005, jüngeren S.8). Frauen- generationen fast das gleiche Niveau wie bei Männern“ (Starke, 2008, S.406). Daher setzt sich der aktuell gelebte Sex nach Clement aus den Bereichen Paarsexualität (Sex mit dem fixen Partner/ der fixen Partnerin), Selbstbefriedigung (Sex mit sich selbst) und Sex mit gegebenenfalls anderen Sexualpartnerinnen und -partnern zusammen (vgl. Clement, 2009, S.76). Ein relativ neues Phänomen, das sehr unterschiedlich in Bezug auf Treuevorstellungen bewertet wird, ist die virtuelle Dimension der Sexualität (vgl. Döring, 2010, S.271ff.). Für Jugendliche und jüngere Erwachsene ist das Gebrauchen des Internets für erotische Begegnungen sowie für explizite sexuelle Handlungen ein selbstverständlicher Anteil des erotischen Profils. Dabei werden sowohl pornographisches Material als auch sexuell konnotierte Chats genutzt. Auch ein Austausch von Nacktbildern oder sexuelle Interaktionen vor laufender Kamera finden statt. Dabei werden „echte“ Gefühle durch die virtuelle Kommunikation produziert, denn „schließlich ist auch die computervermittelte Kommunikation ein komplexes soziales Geschehen, das entsprechende kognitive und emotionale Beteiligung (…) erfordert“ (Döring zit. nach Spitzer-Prohazka, 2010, S.299). Während wesentlich mehr Männer als Frauen Internetpornographie nutzen, werden soziale Netzwerke, Singlebörsen und mobile Dating-Apps (Facebook, websingles, Tinder, gayromeo, etc.) sowie Online-Partnervermittlungsagenturen (Parship, elitePartner, etc.) von beiden Geschlechtern gleichermaßen verwendet. Cybersex bietet für einige Menschen die Chance zu „mehr, anderem und besserem Sex“ (Döring, 2010, S.277), für andere stellen diese internetvermittelten erotischen Begegnungen die einzig 25 möglichen dar. Für Viele sind sie inzwischen eine wesentliche Hilfe für die Anbahnung einer sexuellen Begegnung im physischen Raum geworden. Aus meiner Sicht ist es daher unerlässlich, diese Dimension in der psychotherapeutischen Arbeit mit Menschen im Blickfeld zu haben. 2.1.3.4. Die erotischen Fähigkeiten Mit erotischen Fähigkeiten sind vor allem soziale Kompetenzen eines Menschen gemeint. Denn – um ein Beispiel Clements zu nennen – „zu Impotenz führt eine Erektionsstörung erst dann, wenn ein Mann sie als ein relevantes Ereignis für sein Selbstverständnis als Mann gelten lässt und sich in seiner sexuellen Aktivität beeinträchtigen lässt“ (Clement, 2011, S.44). Daher sind entlang der Ressourcenorientierung sexuelle Techniken und Praktiken wenig von Belang. Ebenso sind Zahlen, Daten und Fakten, ob, unter welchen Umständen und wie oft „es“ Paare in der Regel „tun“, also die leidige Frage, was „normal“ ist, völlig irrelevant.5 Wesentlicher sind folgende Fragen: Wie gut kann sich jemand auf die eigene Lust einlassen? Sich auf das Gegenüber einlassen? Grenzen setzen? Sich einfühlen? Worte verwenden? Ausverhandeln? Zärtlich sein und Zärtlichkeit aushalten? Verführen? Initiieren? Genießen? Schmidt sagt dazu in Hinblick auf gegenwärtige Beziehungsmodelle: „Beide Partner [müssen] vielfältige Talente entwickeln, um das Sich-Wohlfühlen – zumindest eine Zeit lang – zu gewährleisten, vor allem die Fähigkeit, Intimität zu leben und auszuhalten“ (Schmidt, 2011, S.29). 5 Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass solche Daten, gut und unterstützend eingesetzt, sexuelle Mythen entkräften können. Daher sind für Psychotherapeutinnen und –therapeuten entsprechende Studien interessant. 26 2.1.3.5. Das erotische Profil im Paarkontext Begegnen einander Verhandlungsprozesse: zwei Die Personen auf individuellen erotische Vorlieben Weise, und so beginnen Abneigungen werden miteinander abgeglichen und auf Kompatibilität überprüft. „Der Reiz erster Begegnungen liegt darin, dass zunächst unklar ist, welche Facetten des Begehrens kompatibel, welche inkompatibel, welche im Beziehungsspiel zum „weiter so“ oder zum „so nicht“ oder „anders weiter“ führen“ (Clement, 2011, S.63). Wird zu Beginn einer Beziehung das Besondere des Gegenübers wahrgenommen und eine Andersartigkeit als Ergänzung erlebt, entstehen mit der Zeit Handlungsroutinen, bestimmte sexuelle Rituale, die einige sexuelle Aspekte einschließen, andere aber exkommunizieren. Damit entsteht mit fortschreitender Dauer einer Partnerschaft eine spezifische Paarkultur. Das Begehren des Anfangs nimmt üblicherweise ab, weil Handlungskonserven eine Befriedigungsgewissheit innewohnt und die Unsicherheit sowie die damit verbundene Auf- und Erregung sinken (vgl. ibid., S.64ff.): „In dem Maß, wie die Beziehung fester wird, folgt auch die Sexualität nicht mehr allein spontanen Impulsen“ (Clement, 2009, S.66). Die exkommunizierten Anteile des individuellen erotischen Profils können im positiven Fall als reizvoll erlebt werden, häufig werden sie aber als Bedrohung oder als mangelnde Erfüllung der eigenen Wünsche verstanden. In länger andauernden sexuellen Liebesbeziehungen ist dies ein wesentlicher Faktor zur Ausbildung einer sexuellen Komfortzone (vgl. Clement, 2009, S.21), in der hauptsächlich sexuell Etabliertes stattfinden darf aus Angst, die/ den anderen zu verstören bzw. seinen/ ihren Erwartungen nicht zu entsprechen. Allerdings sind sexuelle Handlungsroutinen ein wichtiger Teil vieler Partnerschaften, denn es geht „um den Vollzug einer bedeutungsvollen symbolischen Handlung. Wiederholungs-Rituale haben die wichtige soziale Funktion, Kontinuität zu bestätigen“ (Clement, 2011, S.72). Aus psychodramatischer Sicht können diese Handlungsroutinen auch als Rollenkonserven bezeichnet werden. Diese haben die wichtige Funktion, in Form von 27 Ritualen Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten. Als rigide Rollenkonserven aber bergen sie die Gefahr, die Spontanität der Beteiligten zu blockieren. Dies wird individuell manchmal als sexuelle Zufriedenheit, im schlechteren Falle als sexuelle Langeweile, bisweilen auch als Mangel an sexueller Lust und Befriedigung erlebt – im Extremfall führt dies zum Erliegen von sexuellen (Paar)handlungen insgesamt. 2.2. Das erotische Profil aus rollentheoretischer Sicht Sexualität und damit das erotische Profil einer Person lassen sich aus rollentheoretischer Sicht betrachten (vgl. Fürst & Krall, 2012, S.29). Die von Karoline Hochreiter systematisierte Rollentheorie ist ein zentraler Baustein sämtlicher psychodramatischer Überlegungen (vgl. Hochreiter, 2004, S.128ff.): So werden alle Menschen als Rollenspielerinnen und Rollenspieler gesehen, denen ein bestimmtes Repertoire an Rollen zur Verfügung steht. Da Sexualität für praktisch alle Menschen ein relevanter Bereich des Lebens ist, bietet es sich an, diese als sexuelle Rolle zu beschreiben. Aus Morenos Sicht ist Rolle in erster Linie ein Handlungsbegriff, seine Rollentheorie eine Handlungstheorie, denn Rolle wird als aktuelle und greifbare Form in einer spezifischen Situation definiert, an der andere Personen oder Dinge beteiligt sind (vgl. Moreno zit. nach ibid., S.128f.). Die sexuelle Rolle würde analog dazu als sexuelles Handeln verstanden werden können. Moreno betrachtete die sexuelle Rolle – entlang der Rollenkategorien – als eine somatische Rolle (vgl. Hutter & Schwehm, 2012, S.318). Damit setzte er sie anderen existenziellen Vorgaben der Körperlichkeit wie Essen, Schlafen und Atmen gleich (vgl. Hochreiter, 2004, S.135). Da aber im Unterschied zu anderen somatischen Rollen der Verzicht auf sexuelles Handeln durchaus mit dem Leben vereinbar ist, ist diese Zuordnung nicht haltbar. Clement weist darauf hin, dass sexuelles Handeln für sich genommen völlig banal und sinnentleert ist (vgl. Clement, 1994, S.256). Sinnvoll wird gelebte Sexualität erst durch Bedeutungen, die ihr zugeschrieben werden. Betrachtet man die sexuelle Rolle, so kann sie daher nicht allein den somatischen Rollen zugeordnet werden. Erst durch die Implikationen aus psychischen, sozialen und 28 transzendenten Anteilen wird der somatische Anteil einer sexuellen Rolle mit Bedeutung gefüllt und für den Menschen und damit auch für die Psychotherapie interessant. Der somatische Anteil zeigt sich nicht nur im explizit Genitalen, sondern erfasst den gesamten Körper. Rüdiger Lautmann führt beispielhaft aus: „Der Körper handelt beispielsweise, wenn er Geschlechtsmerkmale vorweist, wenn er seine erotischen Vorzüge präsentiert, wenn er Zustände des Erregtseins markiert“ (Lautmann, 2002, S.27, vgl. S.44ff.). Dies erklärt auch, dass selbst ohne Körperkontakt über Mimik und Gestik eine erotische Atmosphäre hergestellt werden kann, worauf insbesondere in der psychotherapeutischen Beziehung geachtet werden muss. Die psychischen Anteile zeigen sich beispielsweise in Phantasien, Wünschen, Träumen und mit Sexualität verbundenen Gefühlen. Sexuelles Handeln ist per definitionem schon an ein Gegenüber geknüpft und damit sozial, und ethische sowie religiöse Werthaltungen und auch spirituelle Bezüge, wie sie typisch für die transzendenten Rollen sind, beeinflussen das Sexualleben enorm. Die sexuelle Rolle als eine komplexe, alle Rollenkategorien einbeziehende Handlung zu betrachten, hat einige Konsequenzen für die Arbeit als Psychodramatikerin und Psychodramatiker. Zum Einen lassen sich verschiedene Akzentuierungen in den Problemerzählungen von Klientinnen und Klienten ausmachen, wodurch sich auch diverse Interventionsmöglichkeiten ergeben. Zum Anderen bietet sich dadurch die Möglichkeit, nicht notwendigerweise den besonders körpernahen und schambesetzten (und häufig non-verbalen) somatischen Anteil der sexuellen Rolle zu fokussieren. 2.2.1. Merkmale des Rollenbegriffs Jede Rolle weist bestimmte Eigenschaften auf (vgl. Hochreiter, 2004, S.129ff.): - Jede Rolle ist gesellschaftlich vermittelt und individuell gestaltet - Rolle ist von Kontexten abhängig - Rolle ist ein inter-aktionaler Begriff - Rolle ist eine interpersonelle Erfahrung - Rollenentwicklung ist ein lebenslanger Prozess 29 - Rollenhandeln ist ganzheitliches Handeln - Eine Rolle wird verkörpert Auch die sexuelle Rolle weist diese Merkmale auf: Grundlage sexueller Handlungen ist die jeweilige Sexualkultur, in der Menschen aufwachsen. Die jeweilige sexuelle Handlung wird aber den persönlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechend variiert. Damit eine sexuelle Interaktion stattfinden kann, braucht es einen erotischen Kontext. Dieser wird durch bestimmte Marker definiert, an dem die beteiligten Personen als Role giver und Role receiver beteiligt sind. Sexualität verändert sich mit neuen Erfahrungen ein Leben lang. Clement macht die erotische Entwicklung zur Grundlage seines Therapieansatzes (vgl. Clement, 2011, S.50f.). Einige Merkmale sollen in Folge vertiefend betrachtet werden. 2.2.2. Jede Rolle ist gesellschaftlich vermittelt – Die sexuelle Sozialisation Eine wesentliche Facette der Rollentheorie stellt die Verschränkung von Individuum und Gesellschaft dar, denn jede Rolle wird als Fusion von privaten und kollektiven Elementen verstanden (vgl. Hochreiter, 2004, S.129). Dies zeigt sich auch in der sexuellen Rolle: „Menschliches Sexualverhalten folgt zunächst bewusst oder unbewusst den Sexualnormen der Gesellschaft, der jemand angehört“ (Kluge, 2008, S.70). Die westlichen Industrienationen sind gegenwärtig gekennzeichnet durch einen Diversitätsdiskurs, einen erhöhten Erlaubnis- und Möglichkeitsraum für sexuelle Handlungen im Vergleich zu früheren Generationen, einer Parallelisierung verschiedenster Identitäten sowie einer Enttabuisierung und Entdramatisierung (Manche sprechen auch von Banalisierung) des Sexuellen (vgl. Schmidt, 2011, S.63ff., Sigusch, 2005, S.39). Somit wird der Eindruck erweckt, Sexualität sei beliebig. Jedoch orientieren sich Menschen an verschiedenen „[Sexual]formen, die jede Generation neu ausbildet und zuerst in spezifischen Milieus heimisch werden“ (vgl. Lautmann, 2002, S.175). Diese Sexualformen stehen den Individuen als sogenannte kulturelle Skripte/ kulturelle Szenarien zur Verfügung. Diese sind „Anleitungen zum Handeln auf der Ebene des kollektiven Lebens“ (ibid., S.182). 30 Diese Skripte sind schon vor dem ersten sexuellen Kontakt mit anderen vorhanden. Sie speisen sich aus den Erzählungen anderer, aus „Liebesfilmen“, „Liebesromanen“, Aufklärungsbroschüren oder auch pornographischem Material. Heute stehen mehr gesellschaftlich akzeptierte Varianten zur Verfügung, die vor allem von jüngeren Generationen „konfliktfreier“ genutzt werden können, denn „jede Generation gedeiht in einem eigenen soziokulturellen Kontext, lebt in unterschiedlichen Kommunikationsräumen und erfährt im Kindes- und Jugendalter eine spezifische Sozialisation“ (Starke, 2008, S.399). Daraus folgt, dass Menschen höheren und vor allem hohen Alters eine deutlich restriktivere, tabuisiertere, aber auch aufgrund der Verbote mitunter „leidenschaftlichere“ Sexualität leben konnten, weil ein Teil ihrer Sexualisation6 auch mit einer Rebellion gegen die herrschende Prüderie in Zusammenhang stand. Ein gewisser Nervenkitzel begünstigt sexuelle Leidenschaft. Jüngere Menschen hingegen – ganz im Sinne einer Sexualdemokratie – können verschiedene sexuelle Erlebnisräume inklusive der weit verbreiteten Selbstbefriedigung nutzen oder auch nicht, ohne politisch, gesellschaftskonform oder rebellisch sein zu müssen, ohne jeglichen Gefühls von Schmutzigem, Bösem und Verbotenem. Unterstützt wird die Differenzierung der Sexualität meines Erachtens durch neue Kommunikationswege – in erster Linie das Internet – die es erst ermöglichen, in verschiedenen Subkulturen scheinbar kompatible Partnerinnen und Partner zu finden. Trotz der Vielfalt an Möglichkeiten, die sexuelle Rolle zu gestalten, gibt es doch einige kulturelle Leitfiguren, die sich in der großen Mehrheit der gegenwärtigen Gesellschaft durchgesetzt haben. Diese Leitfiguren enthalten Werte und Normen, die in den folgenden Kapiteln diskutiert werden. Sie können als axiologische Dimension (vgl. Hochreiter, 2014, S.110f.) der sexuellen Rolle bezeichnet werden, stehen im Hintergrund sexueller Handlungen und beziehen sich auf verschiedene Handlungsebenen. Für die oder den Einzelnen stehen sie als kollektive soziokulturelle Stereotype zur Verfügung (vgl. Zeintlinger-Hochreiter zit. nach Stadler & Kern, 2010, 6 Sexualisation ist der Fachterminus für sexuelle Sozialisation 31 S.137). In der sexualwissenschaftlichen Literatur entsprechen diese den kulturellen sexuellen Skripten (vgl. Kap. 2.2.4.1.). 2.2.2.1. Verhandlungsmoral als Idealkonstrukt Schmidt hat den Begriff „Verhandlungsmoral“ unter Paaren als bedeutende Grundlage sexual- und psychotherapeutischer Prozesse ins Spiel gebracht: „Zwei Diskurse bestimmen die heutigen sexuellen Verhältnisse in den westlichen Industriestaaten. Zum einen der liberale Diskurs der 1960er und 1970er – die sexuelle Revolution – der sexuelle Tabus hinwegfegte, sexuelles Handeln und sexuelle Normen enttraditionalisierte und pluralisierte. Zum anderen der Selbstbestimmungsdiskurs der 1980er Jahre, der […] männliche Dominanz und männliche Definitionen auf dem [freien Liebesmarkt] kontrollierte, sexuelle Rechte, Chancen und Optionen geschlechtsgerechter machte“ (Schmidt, 2011, S.10). Diese Emanzipationsbewegungen, die zuerst von Frauen und später auch von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen getragen wurden und sich gegenwärtig in den Queer- und Transidentitätsdiskursen niederschlagen, brachte neben einer Sensibilisierung gegenüber sexuellem Zwang und Übergriffen „einen neuen Sexualkodex hervor, einen Kodex, der nicht alte Verbote neu installieren, sondern der den sexuellen Umgang friedlicher, kommunikativer, berechenbarer, rationaler verhandelbar, herrschfreier machen oder regeln will“ (ibid.). Diese Verhandlungsmoral setzt allmählich in breiten Teilen der Bevölkerung die „alte Sexualmoral“ außer Kraft. Nicht mehr der sexuelle Akt wird prinzipiell als moralisch gut (ehelicher Sex, der auf Fortpflanzung abzielt) oder schlecht (Masturbation, vor- und außerehelicher Sex, Homosexualität, Oralverkehr, etc.) bewertet, „sondern die Art und Weise ihres Zustandekommens. […] Sie hat klare liberale Züge“ (Schmidt, 2011, S.11). Die Verhandlungsmoral setzt auch alte sexuelle Automatismen außer Kraft. Ein Kuss muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass jemand von den Beteiligten mehr möchte, Petting wird allmählich als eine eigenständige sexuelle Praktik verstanden und nicht 32 mehr nur als Vorspiel für Vaginalverkehr. Schritt für Schritt muss die sexuelle Interaktion ausverhandelt werden, wenn sie als moralisch einwandfrei gelten soll (vgl. ibid., S.13). Clement meint, alles ist inzwischen erlaubt. Tabu sind nur noch inzestuöse Verhältnisse, Gewalt und sexuelle Gewalt an Kindern: „Was normal, was natürlich, was männlich, was weiblich, was angemessen ist – all das entscheiden nur und nur die Handelnden selbst.“ (Clement, 2011, S.14). Jedoch gibt Schmidt zu bedenken, dass es sich bei der Verhandlungsmoral um ein Idealkonstrukt handelt, welches nur so lange moralisch ist, „solange gleich starke, das heißt ökonomisch, emotional oder sonstwie nicht erpressbare Partner beteiligt sind“ (Schmidt, 2011, S.16). Aus rollentheoretischer Sicht lässt sich Folgendes feststellen: Die Verhandlungsmoral ist die wesentliche Leitfigur für selbstbestimmte, gleichberechtigte Partnerschaften. Sie bezieht sich damit vor allem auf die sozialen Anteile der sexuellen Rolle mit dem übergeordneten Wertekodex der Freiwilligkeit, des Achtens auf das Wohlgefühl und idealerweise der symmetrischen Befriedigung der Beteiligten. Sie ist damit stärker auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten, verlangt aber hohe Handlungskompetenzen: zu wählen, Grenzen zu achten und gegensätzliche Bedürfnisse zu berücksichtigen. Dies gelingt erst auf dem dritten Niveau der soziodramatischen Rollenebene (vgl. Fürst & Krall, 2012, S.29). 2.2.2.2. Das romantische Liebesideal Eng verknüpft mit der Verhandlungsmoral ist die Idee des romantischen Liebesideals, denn „über allem thront die Liebe […] als eine einzigartige Kostbarkeit“ (Sigusch, 2005, S.8). Die gültige, meist nicht hinterfragte „Norm der Kernsexualität wird […] grundiert von der Vorstellung einer romantischen Liebe, wonach Liebe und Sexualität zusammengehören“ (Lautmann, 2008, S.213). Damit ist die romantische Liebe der Inbegriff des transzendenten Anteils der sexuellen Rolle. Sehnsüchte, Vorstellungen, Phantasien und Wünsche fast aller Menschen sind vom Liebesideal durchdrungen. Sie hat damit klare Bezüge zu den psychischen und sozialen Anteilen der sexuellen Rolle. 33 Tatsächlich wurde das romantische Liebesideal erst Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Aufstieg des Bürgertums konzipiert und etablierte sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts als vorherrschender Grund für eine Eheschließung (vgl. Bartholomäus, 2008, S.161, Sigusch, 2005, S.13f.). Damit war gelebte Paarsexualität nicht mehr nur als Ehepflicht und zum Zwecke der Fortpflanzung zu verstehen, sondern diente vor allem als Instrument der Liebe. Ich bin davon überzeugt, dass diese Entwicklung durch die Verbreitung der Anti-Baby-Pille (Mitte der 1960er- Jahre) stark vorangetrieben wurde, um schließlich im Rahmen von Emanzipations- und Pluralisierungsprozessen auch die Ehe als Institution abzulösen. Diese ist heute ebenso als Option zu verstehen wie andere Beziehungsformen, denn „beim Sex kommt es nicht mehr auf das Verheiratetsein der Eheleute, sondern auf die emotionale Qualität ihrer Beziehung an“ (Bartholomäus, 2008, S.182). In den Sexualwissenschaften wird dieses Phänomen der wechselseitigen, auf Liebe basierenden Partnerschaft als „reine Beziehung“ bezeichnet (vgl. Giddens zit. nach Schmidt, 2011, S.28.). Diese ist unabhängig vom Familienstand und vom Geschlecht der Partnerin bzw. des Partners und zeichnet sich dadurch aus, dass sie nur um ihrer selbst willen eingegangen wird. Es handelt sich um Beziehungen, die unabhängig von ökonomischen oder sozialen Zwängen sind: „Natürlich gibt es in diesen Beziehungen auch Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, füreinander da zu sein; aber diese ist nicht mehr als Ehepflicht vorgegeben, sondern freiwillig“ (Schmidt, 2011, S.29). Eine reine Beziehung ist jederzeit kündbar, denn „es geht nicht mehr nur um den Wunsch nach Dauer per se, sondern nach Dauer bei emotionaler, intimer und (seltener) sexueller Intensität“ (ibid., S.33). Ferner fordert das romantische Liebesideal, die Basis der reinen Beziehung, die Exklusivität der sexuellen Aktivitäten (abgesehen von der Selbstbefriedigung) (vgl. Lautmann, 2008, S.335). Allerdings ist „sexuelle Treue nicht an eine Institution (Ehe) oder per se an eine Person gebunden, sondern an das Gefühl zu dieser Person. Treueforderungen und 34 -verpflichtungen gelten nur, solange die Beziehung als intakt und emotional befriedigend erlebt wird“ (Schmidt, 2011, S.31). Das romantische Liebesideal hat vielfältige Konsequenzen in Bezug auf gelebte Sexualität. Zum Einen muss Sex in aller Regel stattfinden, um zu bestätigen, dass die Partner einander lieben und die Partnerschaft noch intakt ist (vgl. Clement, 2009, S.122). Dies mag mit ein Grund dafür sein, warum „länger als drei Monate keinen gemeinsamen Sex gehabt zu haben, […] insbesondere für Männer beunruhigend [ist]. […] Bleibt der Sex in Form des Geschlechtsverkehrs aus, dann sind auch Frauen beunruhigt, nicht nur wegen sich selber, sondern in Sorge um ihren Mann“ (Starke, 2008, S.405). Dieses Ergebnis bezieht sich auf heterosexuelle Paare, gilt aber vermutlich in ähnlicher Weise für homosexuelle Paare. Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Praxis mit gleichgeschlechtlich empfindenden Männern lassen zumindest diesen Schluss zu. Bisweilen scheint das Sexualleben als Gradmesser für das Wohlergehen der Partnerschaft sogar eine noch höhere Bedeutung zu haben, wenngleich der „Sex unter Schwulen genauso oft oder noch öfter eingeschlafen ist wie unter Heterosexuellen“ (Lautmann, 2005). Zum Anderen muss der Sex gemeinsam ausgehandelt werden und für beide befriedigend sein. Dies nimmt ihm teilweise sein erregendes Element (vgl. Schnarch zit. nach Clement, 2011, S.25). Rollentheoretisch gesprochen hat damit eine scheinbar hohe soziodramatische Kompetenz einen intensitätsmindernden Effekt auf die psychodramatische und letztlich auch psychosomatische Rollenebene der sexuellen Rolle. Da Sex ohne Bedürfnis weitgehend abgelehnt wird, stellt sich ein scheinbar neues, in den Medien regelmäßig rezipiertes Phänomen ein: die Sehnsucht nach dem sexuellen Verlangen, die „sexuelle Appetenzstörung“. Das Prekäre daran: Durch die Gleichschaltung von Liebe und Sex wird „Begehren“ mit „Lieben“ gleichgesetzt. Dadurch entsteht für viele Menschen großes Leid, denn Begehren folgt einer ganz eigenen Logik: „Der Eigensinn von Bindung liegt in stabilen, zuverlässigen, eindeutigen und dauerhaften Verhaltensweisen. Diese Verhaltensweisen schaffen das als tragend erlebte Gefühl von emotionaler Heimat, von Vertrauen und Zugehörigkeit. Das 35 sexuelle Begehren dagegen […] zielt auf sexuelle Befriedigung. Solange die Befriedigung ungewiss ist, solange die Partner einander nicht haben, solange der Kontext der sexuellen Begegnungen riskant ist, solange wird das Begehren intensiver erlebt. Sobald die Befriedigung aber zuverlässig wird, […] lässt das Begehren meist nach“ (Clement, 2011, S.59). Für Psychotherapeutinnen und –therapeuten sei noch angemerkt, dass die Norm der romantischen Liebe dazu verführen könnte, Sex nur dann als gut zu bewerten, wenn sie dieses Kriterium erfüllt, womit sie der Mehrheit der Menschen entsprächen: „Viele ethische Konzepte – keineswegs nur religiöse – verweigern [Sex ohne Liebe] die Legitimation. […] Ohne Liebe wird die Sexualität als oberflächliche Beziehung abgelehnt“ (Glück et. al. zit. nach Lautmann, 2008, S.335). Besonders in der Arbeit mit Menschen mit bestimmten Migrationshintergründen ist dies wichtig zu hinterfragen, denn in anderen Kulturen ist die Norm der Ehe, die nicht unbedingt der Liebe entspringt (Stichwort: arrangierte Ehe), als Ort der sexuellen Begegnung, weit verbreitet und beispielsweise Werte wie „Loyalität, Verpflichtung, Versorgung und Elternschaft“ ein höheres Gut als die „romantische Liebe“. Aber auch alternative innere Konzepte von Klientinnen und Klienten wie das Ausleben von einmaligen (anonymen) sexuellen Kontakten, Freundschaften mit gelegentlichem Sex, Sex als Gegenleistung für Status und Sicherheit, Prostitutionserfahrungen, etc., werden leicht entwertet und bedürfen der regelmäßigen Eigenreflexion und Inter- bzw. Supervision. 2.2.2.3. Heteronormativität „Heteronormativität schreibt die heterosexuelle Beziehung als bessere, natürliche oder gottgewollte Lebensform vor“ (Timmermanns, 2008, S.264). Sie wird als soziale Norm angesehen, dem alle anderen Lebensentwürfe und Identitäten untergeordnet sind. In diesem Konzept sind die geschlechtliche Identität und die sexuelle Orientierung gleichgeschaltet. Das bedeutet, dass bei heteronormativen Betrachtungen Menschen als eindeutig weiblich bzw. männlich sowohl in ihrer Körperlichkeit, in ihrer 36 Selbstdefinition und in ihrem Verhalten sowie in Bezug auf ihre Geschlechtspartner und -partnerinnen als heterosexuell gesehen werden. Heteronorme Vorstellungen sind tief in unserer Kultur verankert und beziehen sich freilich nicht allein auf Sexualität, sondern haben weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Geschlechtsinszenierung, wie Hildegard Knapp (2010, 2011) ausführlich aufzeigt. Da aber Sexualität unmittelbar an das Geschlecht gebunden ist, durchdringen sie die gesamte sexuelle Rolle mit all ihren transzendenten, sozialen, psychischen und somatischen Anteilen. Das ist insofern bedeutsam, weil dies vielfache Auswirkungen auf die erotischen Inszenierungen aller Menschen hat: Über sexuelle Handlungen werden meistens auch Auf- und Abwertungen der Männlichkeit bzw. Weiblichkeit ausgedrückt. In geschlechtsspezifischen Zuschreibungen sind – gerade auch in der sexuellen Inszenierung – bestimmte Aufträge enthalten. Auch Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierung oder nicht-heterosexueller Identität können sich den Normen praktisch kaum entziehen. Diese sind durch die gesamte individuelle sexuelle Biographie hindurch inkorporiert. Das Gefühl des Andersseins, das sich insbesondere in der Pubertät manifestiert, führt schon früh zu einer Auseinandersetzung mit den vorgegebenen Normen. Die Diskrepanz zwischen innerer nicht-heterosexueller Identität und gesellschaftlichen heteronormen Vorgaben zeigt sich teilweise auch als Ablehnung der eigenen Person. Dieses Phänomen wird als internalisierte Homophobie (vgl. Knapp, 2010, S.100), Biphobie bzw. Transphobie bezeichnet. Aufgrund der historisch gewachsenen Vorurteile sowie Diskriminierungserfahrungen von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen (vgl. ibid., 2010, S.94ff.) suchen sich Klientinnen und Klienten entweder Psychotherapeuten bzw. -therapeutinnen, die sich selbst als gleichgeschlechtlich-empfindend deklarieren oder überprüfen zumindest deren Offenheit sexueller Orientierungen gegenüber. Daher bringen „homosexuelle PatientInnen […] ihre sexuelle Orientierung oft gleich zu Anfang in die Therapie ein. Sie beziehen die Reaktion des/der TherapeutIn auf ihr Outing dann in die Entscheidung mit ein, hier Therapie machen zu wollen/können“ (Schigl, 2012, 37 S.109). Ich teile die Ansicht Manuela Kleins, dass Psychotherapeutinnen und therapeuten bei der Frage nach Liebesbeziehungen im Erstgespräch möglichst offen formulieren sollten, um nicht heteronormierend zu wirken (vgl. Klein, 2012, S.16). Wichtig zu erwähnen ist hierbei, dass – unabhängig von der derzeit konkret gelebten Sexualität – auch Wünsche und Phantasien sich nicht ausschließlich auf dasselbe Geschlecht beziehen müssen. Und während Männer traditionell strenger als Frauen sich selbst und andere alternativ, also entweder homosexuell oder heterosexuell wahrnehmen, schwächt sich diese Ausschließlichkeit seit einiger Zeit ab (vgl. Starke, 2008, S.409). Bisexualität – nicht nur im Bereich der gelebten, sondern auch in der vorstellbaren Sexualität – ist allerdings schwer zu definieren und eindeutig fest zu machen. Studienergebnisse über die Verbreitung von bisexuellem Verhalten (bzw. Selbstdefinitionen) klaffen weit auseinander. Denn „für diese Neosexuellen [ist] charakteristisch […]: dass sie sich alten Festlegungen verweigern, dass sie die alten Identitäten überwinden wollen. Schließlich besteht die „Identität“ der Bisexuellen darin, keine Identität alter Art zu haben, nicht eine Ausschließlichkeit, sondern eine Einschließlichkeit sein zu wollen“ (Sigusch, 2005, S.107). Volkmar Sigusch schreibt über die Rahmenbedingungen weiter: „Es [ist] noch schwieriger, ein bisexuelles Leben zu leben als ein monosexuelles und monogames mit gelegentlichen Ein- und Ausbrüchen. Außerdem ist nach einigen Studien die „Biphobie“ […] größer als die Homophobie, weil es etwas Nichtetabliertes ist, das alle zu verwirren in der Lage ist“ (ibid., S.107f.). Schmidt schreibt in diesem Zusammenhang von der Macht der monosexuellen Ordnung, die der Heterosexualität übergeordnet ist: „Fast alle Zeitgenossen, Männer wie Frauen, Homosexuelle wie Heterosexuelle [sind] lebenslang und ausschließlich monosexuell, d.h. ihr Verlangen und ihre Liebe werden vom Geschlecht des Partners dominiert. […] Wenn ein Schwuler seinen Freunden erzählt, er habe lustvoll mit einer Frau geschlafen, oder ein Heteromann, er habe sich in einen Mann verliebt, dann herrscht im jeweiligen 38 Umfeld dieser Männer Aufregung und Bestürzung. Man fordert sie auf klar zu stellen, was sie sind“ (Schmidt, 2011, S.139). 2.2.2.4. Leistungsaspekte: Neue sexuelle Mythen Sexuelle Mythen beziehen sich vor allem auf die somatischen und psychischen Anteile der sexuellen Rolle und sind in erster Linie Vorgaben für die psychosomatische Rollenebene. Sexuelle Mythen sind Erzählungen unserer Leistungsgesellschaft, die von den Medien aufgegriffen und vermarktet werden: Auf dem Arbeits-, Wirtschafts- und „Heiratsmarkt“ sind Investitionen in sich selbst, Selbstoptimierung und Leistungsfähigkeit wichtige Eigenschaften eines Menschen, die sich auch im Sexuellen niederschlagen. „Fitness“, wenn man so sagen will, zählt auch im Sexuellen. Clement spricht z.B. vom Mythos der sexuellen Unfähigkeit, die sich als Orgasmus-, Erregungs-, Erektions- und Ejakulationsunfähigkeit zeigt: „Die einengende Funktion dieses Mythos liegt nicht darin, dass Erregung und Orgasmus zu beanstandende Erlebnismöglichkeiten wären. Sie liegt darin, dass er ausweglos auf das sexuelle Können fokussiert und das sexuelle Wollen außer Acht lässt“ (vgl. Clement, 2011, S.104). Potenzmittel wie Viagra, Levitra und Cialis werden daher mit hohem Profit beworben und verkauft. Mit Hilfe dieser Medikamente – ohne die Sinnhaftigkeit grundsätzlich in Abrede stellen zu wollen – wird die Leistungsfähigkeit von Männern damit „wiederhergestellt“. Für Frauen fehlt noch das sexuelle Wundermittel7. Diese funktionierende „Leistungssexualität“ wird der Jugend eher zugetraut als den reiferen Individuen unserer Gesellschaft. Nimmt man die Frequenz sexueller Paarhandlungen in den verschiedenen Altersgruppen als Referenzwert, scheint sich dieser Mythos auf den ersten Blick zu bestätigen: 7 Laut Zeitungsmeldungen vom 20.08.2015 (Spiegel, FAZ, Kronenzeitung, Heute) soll nun die Lustpille Flibanserin in den USA auf den Markt kommen. Die Wirkung ist umstritten. Interview vom 31.08.2015 in der NZZ: http://www.nzz.ch/lebensart/gesellschaft/lustpille-fuer-die-frau-1.18603091 39 „Bei großen interindividuellen Unterschieden sinken mit zunehmendem Alter sowohl das sexuelle Interesse wie auch die sexuelle Aktivität, speziell die Koitushäufigkeit. Dies ist nicht auf die Generationenzugehörigkeit und auch nicht in erster Linie auf das biologische Alter, sondern bei Singles vor allem auf die schwindenden Gelegenheiten und bei den Partnergebundenen auf die Beziehungsdauer zurückzuführen“ (Starke, 2008, S.411). Dies bedeutet auf den zweiten Blick, dass nicht in erster Linie das Lebensalter, sondern das Beziehungsalter für die sexuelle Aktivität eines Menschen ausschlaggebend ist. Ein alternativer Mythos, der die Qualität sexueller Begegnungen, die erotische Erfahrung und auch die „altersmilde Gelassenheit gegenüber der Veränderung der sexuellen Wünsche“ (Clement, 2009, S.250) als Referenzwerte heranzieht, ist nicht etabliert. Erst allmählich wird Sexualität im Alter in den Medien und damit in der Gesellschaft aufgegriffen. Mit Leistung sind auch Körpernormen verbunden: Schlank, fit, sportlich, jung sind die Zutaten erotischer Attraktivität. Dies veranlasst Menschen zum Aufsuchen von Fitnesscentern, das Einhalten strenger Diäten, etc. „Beide Geschlechter haben hart dafür zu arbeiten, um das gewünschte Aussehen zu erzielen; Frauen schon immer, Männer im zunehmenden Maße“ (vgl. Lautmann, 2005, S.48). Durch das Diktat zur Optimierung des eigenen Körpers werden zunehmend auch Schönheits- und Intimoperationen salonfähig. Medienkritiker geben dafür den Medien und insbesondere der Pornographie die Schuld. Meiner Meinung nach ist hingegen Pornographie überzeichneter Ausdruck heutiger Sexualitätsverhältnisse. Die Mythen „Sex macht Spaß“ (vgl. Clement, 2011, S.105), „Regelmäßiger Sex ist wichtig“ bzw. „Use it or lose it“ und „Sex ist gesund“ zielen darauf ab, dass Sex die Lebens-, Beziehungs- und Liebesqualität steigern. Es ist besser, Sex zu haben als keinen Sex zu haben. 2.2.2.5. Die Pro-Sex-Norm Die „Pro-Sex-Norm“ ist das Ergebnis oben geschildeter Mythen. Sie schließt unmittelbar an die WHO-Definition zur sexuellen Gesundheit an (siehe Kapitel 2.1.1.). Während eine 40 positive und wertschätzende Einstellung zu Sexualität für die Arbeit von Psychotherapeutinnen und -therapeuten unabdingbar ist, muss dies aber nicht für Klientinnen und Klienten zutreffen. Sex ist nicht immer gesund, macht nicht immer Spaß und lässt außer Acht, dass Erotik und sexuelles Begehren etwas höchst Persönliches ist, über das jeder Mensch selbst verfügen darf. Das impliziert auch, dass in einer freien Wahl auch auf das Ausleben von Sexualität verzichtet werden darf. „Selbst Abstinenz kann sexualmoralisch wieder zu Ehren kommen, […] diesmal aber als freiwillige, optionale Haltung“ (Schmidt, 2011, S.12). 2.2.3. Jede Rolle ist individuell gestaltet Auf Grundlage der gesellschaftlichen Normen gestaltet jede Person individuell ihre sexuellen Handlungen, denn „das Sexuelle ist […] nicht nur eine gesellschaftliche Uniformierung, sondern immer auch individuell und einzigartig und entsteht in dem ganz persönlichen Trieb-, Beziehungs- und Geschlechtsschicksal“ (Schmidt zit. nach Uzler, 2007, S.1). Dabei unterscheidet die Rollentheorie verschiedene Freiheitsgrade, wie stark Menschen ihre Handlungen an gesellschaftlichen Vorgaben orientieren. Im Rollenspiel (role playing) werden die Rollenerwartungen und die freie Rollengestaltung ausbalanciert, in der Rollenübernahme (role taking) werden in erster Linie die gesellschaftlichen Rollenvorgaben erfüllt. Es besteht ein geringer Freiheitsgrad der Gestaltung der Rolle. In der Rollengestaltung (role creating) ist die kreative Gestaltung einer Handlung am höchsten (vgl. Hochreiter, 2004, S.132). Wie hoch der Freiheitsgrad sexueller Handlungen ist, ist von mehreren Faktoren abhängig. Neben der Orientierung an Kulturmustern, die sehr rigide sein können, wird der Freiheitsgrad beeinflusst durch die persönliche sexuelle Biographie, durch sexuelle und nicht-sexuelle Motive, aber auch durch die Rollenerwartungen der Partnerin oder des Partners, die/ der selbst wieder eine spezifische Sexualisation und sexuelle Biographie durchlaufen hat. 41 2.2.3.1. Sexualität zwischen Rollengestaltung und Rollenkonserve Sabine Kern und Christian Stadler weisen darauf hin, dass eine freie Rollengestaltung erst dann möglich ist, wenn die gesellschaftlichen Rollenerwartungen voll integriert sind (vgl. Stadler & Kern, 2010, S.143). Daraus erklärt sich, dass zu Beginn der erotischen Karriere sexuelle Handlungen tendenziell stereotyp verlaufen – sowohl im biographischen Sinn (heterosexuelle Jugendliche neigen z.B. dazu, bei den ersten sexuellen Erfahrungen die Missionarsstellung zu wählen) als auch mit eventuell neuen Partnerinnen bzw. Partnern zu Beginn einer Beziehung. Clement spricht in diesem Zusammenhang vom Metaskript der Erotik: „Dieses Skript hat ein doppeltes Gesicht. Einerseits ist seine Struktur und Funktionsweise überindividuell. […] Gleichzeitig ist die mit dem Skript inszenierte Geschichte höchst individuell. Prozesstreiber dieses Austauschs ist die euphorisierende Wahrnehmung des anderen als einzigartig, als noch nie dagewesen, als nicht austauschbar“ (Clement, 2011, S.64). Mit anderen Worten heißt das, dass bei den ersten erotischen Begegnungen zwar stereotype Choreographien der sexuellen Interaktionen vorherrschen, jedoch dies als einzigartig erlebt wird. Dauern sexuelle Beziehungen an, besteht die Möglichkeit, kreativ die sexuelle Rolle neu zu gestalten, umzugestalten, mit dem Gegenüber abzugleichen, zu experimentieren. Es entsteht, psychodramatisch gesprochen, eine hohe Spontanitätslage, in der sich das sexuelle Begehren meist wie von selbst einstellt. Unterstützt wird dies durch die Unbestimmtheit der erotischen Zukunft des Paares: „Gerade zu Beginn sexueller Beziehungen ist jeder Geschlechtsakt Erkundung und Bestätigung zugleich, spielt also mit einer noch ungewissen Balance von Unsicherheit und Sicherheit“ (Clement, 2011, S.64). Moreno hielt Sexualität für eine Ausprägungsform der Spontanität (vgl. Moreno zit. nach Fürst & Krall, 2012, S.29). Dies wird aber der erotischen Entwicklung eines Paares nicht gerecht und beschreibt eher sexuelle Handlungen in der Aufbauphase einer Partnerschaft. Wie alle Handlungen neigt auch die sexuelle Rolle dazu, eine Rollenkonserve zu werden. Dies steht üblicherweise mit zunehmender Vertrautheit und Sicherheit des Paares in Zusammenhang. Daher plädiert Clement dafür, dass eine 42 erotische Entwicklung auch bedeutet, eine adäquate, der Partnerschaft angemessene Erotik zu entwickeln. Er betont, dass Erotik nicht nur spontanen Impulsen folgt, sondern vor allem eine Frage von Entscheidungen ist (vgl. Clement, 2009, S.18). 2.2.4. Jede Rolle ist von Kontexten abhängig „Rolle als spontaner konkreter Handlungsvollzug […] hat eine bestimmte Situation, in der sie entsteht“ (Hochreiter, 2004, S.130). Dies bedeutet für die sexuelle Rolle, dass sie ausschließlich oder vorrangig in einer erotischen Atmosphäre entsteht, an der in der Regel zwei Personen unter Ausschluss der Öffentlichkeit beteiligt sind. Dies führt zu einem Paradoxon in der Psychotherapie. Sexuelle Handlungen dürfen im psychotherapeutischen Kontext nicht stattfinden. Der Anspruch an den Intimitätsschutz ist ein derart hohes Gut, dass auch „Als-ob“- Handlungen auf der psychodramatischen Spiel-Aktionsbühne wahrscheinlich grenzverletzend erlebt werden. Um daher psychotherapeutisch mit der sexuellen Rolle arbeiten zu können, muss für eine entsprechende Rollendistanz gesorgt werden. Eine Möglichkeit, die Hintermeier vorschlägt, ist die Arbeit auf der inneren Bühne (vgl. Hintermeier, 2012, S.87f.). Die innere Bühne kann als Vorstellungswelt betrachtet werden. Hochreiter weist darauf hin, dass Rollen nicht losgelöst von Szenen und Stücken gedacht werden können (vgl. Hochreiter, 2004, S.137f.). Beschreibt jemand eine Szene der inneren Bühne, handelt es sich aus sexualwissenschaftlicher Sicht um ein sexuelles Skript. Sexuelle Skripte können als Drehbücher für erotische Szenen verstanden werden. Dabei unterscheiden die Soziologen Gagnon und Simon kulturelle, intrapsychische und interpersonelle Skripte (vgl. Lautmann, 2002, S.180ff.). 2.2.4.1. Kulturelle Skripte Kulturelle Skripte beschreiben die Sexualnormen, die in einer Kultur gelten. Diese sind selbst stets in Veränderung und Entwicklung. Sie sind die Drehbücher zu den im Kapitel 2.2.2. vorgestellten gesellschaftlichen Vorgaben. Wichtige kulturell vorgegebene Drehbücher sind beispielsweise „Kennenlernskripte“, „Liebesskripte“, Skripte zu weiblichen und männlichen Inszenierungen im sexuellen Kontext, etc. Mit den kulturellen 43 Skripten werden auch geschlechtsspezifische sexuelle Aufträge erteilt: Beispielsweise, dass Männer die Aufgabe haben, Frauen zu einem Orgasmus zu bringen oder „durchzuhalten“; Frauen zum Beispiel, „sich hinzugeben“ oder einen (vaginalen) Orgasmus zu haben. Ein wichtiges Skript beschreibt auch einen klaren, hierarchisch aufgebauten Handlungsablauf der sexuellen Interaktion: Vorspiel, vaginaler Geschlechtsakt, Orgasmus. Wie bereits im Kapitel 2.2.2.1. beschrieben, verändert sich mittlerweile langsam dieser „alte“ Automatismus. Kulturelle Skripte gelten nicht für alle in gleichem Maße, sondern sind den einzelnen Milieus angepasst. In der Arbeit mit Klientinnen und Klienten ist es daher hilfreich, milieuspezifische Vorgaben zu kennen. Einflüsse auf die kulturellen Skripte haben zum Beispiel der Bildungsgrad der Klientinnen und Klienten, die soziale und ethnische Herkunft, die Generationenzugehörigkeit, die sexuelle Partnerorientierung, etc. Besonders deutliche Unterschiede sind immer wieder für die Arbeit mit Frauen und Männern mit Migrationshintergründen zu berücksichtigen. Doch zugleich sind auch deren Skripte durch verschiedene Einflussfaktoren brüchig und vielfältig. 2.2.4.2. Intrapsychische Skripte „Intrapsychische Skripte beschreiben, wie die erotische und sexuelle Reaktion seelischkörperlich zustande kommt“ (Lautmann, 2002, S.182). Darin drücken sich nicht nur biographische Anteile, sondern auch Phantasien, Wünsche und zukunftsgerichtete Ziele aus (vgl. ibid., vgl. Schmidt, 2011, S.101). Das individuelle erotische Profil aus der systemischen Sexualtherapie lässt sich mithilfe dieser Skripte erfassen. 2.2.4.3. Interpersonelle Skripte Interpersonelle Skripte ermöglichen ein Handeln in wechselseitiger Bezogenheit. „Der einzelne Akteur stellt sich auf die Erwartungen einer anderen Person ein, d.h. orientiert sein Verhalten an dem des Gegenübers“ (Lautmann, 2002, S.182). Die erotischen Profile der Beteiligten werden im Wechselspiel von Role giver und Role receiver ausgehandelt; es entsteht eine spezifische Paarkultur, die einen gemeinsam 44 kommunizierten Anteil enthält, aber niemals mit dem erotischen Profil eines Individuums deckungsgleich ist. 2.2.4.4. Skripte in der systemischen Sexualtherapie Die rollentheoretische Sichtweise, wonach die Aktivierung einer Rolle situationsabhängig ist, spiegelt sich in der systemischen Sichtweise von sexuellen Handlungen wider. Clement illustriert dies an einem Beispiel: „Sexuelles Verhalten wird vom Kontext, nicht von inneren Zuständen der Akteure geschaffen. Ein erigierter Penis ist zunächst einmal „sinn-los“, ist demnach auch nicht ohne weiteres als Ausdruck eines Wunsches oder emotionalen Zustandes seines Besitzers zu interpretieren. Vielmehr bekommt er seinen Sinn erst im Kontext eines Skripts, einer Szene8 also, in der Akteure Intentionen verfolgen und dementsprechend handeln“ (Clement, 1994, S.256). Im Unterschied zu den eher deskriptiv zu bezeichnenden Skripten, die Gagnon und Simon im Sinn hatten, interpretiert die systemische Sexualtherapie Skripte prozesshaft und daher veränderbar (vgl. ibid., S.257). Insbesondere dieser Skriptbegriff lässt sich auch mit dem Spontaneitäts- und Kreativitätszyklus (vgl. Schacht, 2009, S.65ff.) des Psychodramas in Einklang bringen: Die dramaturgische Figur der systemischen Therapie besteht aus dem Skriptentwurf, der Skriptdurchführung und der Skriptkonsequenz, welche wiederum an den Skriptentwurf rückgebunden wird und diesen über Bestätigung oder Ablehnung verändern kann (vgl. Clement, 1994, S.258). Kommt es zu einer Bestätigung des Skriptentwurfs entsteht nach dem Modell des Spontaneitäts- und Kreativitätszyklus eine Rollenkonserve. Wird diese als Einschränkung erlebt, beginnt die Suche nach neuen Handlungsentwürfen (systemisch: 8 In der systemischen Sexualtherapie scheinen Szene und Skript als Synonyme zu gelten. Für diese Arbeit ist von Bedeutung, Skripte als zugrundeliegendes Drehbuch einer Szene zu verstehen. Dieser Unterschied ist den verschiedenartigen Therapieansätzen geschuldet: Legt die systemische Psychotherapie den Schwerpunkt ihrer therapeutischen Arbeit auf das Schildern einer Szene, ist es im klassischen Psychodrama üblich, die Szene zu spielen (vgl. Stadler & Kern, 2010, S.223). 45 Skriptentwürfen), die womöglich zu neuen Handlungen und anderen Handlungskonsequenzen führen können. 2.2.5. Rollenentwicklung ist ein lebenslanger Prozess 2.2.5.1. Biographie – Entwicklung von Sexualität und sexueller Identität aus rollentheoretischer Sicht Ein wesentliches Merkmal jeder Rolle ist ihre Entwicklung über die gesamte Lebensspanne hinweg (vgl. Hochreiter, 2004, S.129). Das macht das psychotherapeutische Arbeiten mit der sexuellen Rolle und ihrer Weiterentwicklung erst möglich und schließt unmittelbar an Clements Vorstellung an, den Menschen als sexuelles Wesen zu sehen und das Augenmerk auf die erotische Entwicklung zu legen (vgl. Clement, 2011, S.51). Michael Schacht zufolge entwickeln Menschen im Laufe ihres Lebens Handlungskompetenzen, die sich auf verschiedenen Strukturniveaus abbilden lassen (vgl. Schacht, 2009, S.22ff.). Die erste ist die psychosomatische Rollenebene. Sie ist angeboren und bis zum Ende des ersten Lebensjahres handlungsleitend. Auf dieser baut die psychodramatische Rollenebene auf, die zwischen dem Ende des ersten Lebensjahres und dem 6. Lebensjahr handlungsbestimmend wird. Danach folgt die soziodramatische Rollenebene, die sich in vier aufeinander aufbauenden Niveaus bis in das Erwachsenenalter hinein entwickelt. Das Niveau 4 wird nicht von allen erreicht. Charakteristisch ist, dass alle schon ausgebildeten Strukturniveaus zeitgleich wirken (vgl. idem, 2003, S.280). Dies bedeutet in der Arbeit mit Erwachsenen, dass sexuelle Handlungen nicht nur – wie Moreno ursprünglich meinte – Handlungen auf der psychosomatischen Ebene sind, sondern alle Rollenebenen einbeziehen. Daher werden in den nächsten Abschnitten einerseits die sexuellen Entwicklungsschritte in der Kindheit und Jugendzeit aufgezeigt, andererseits die Rollenebenen konkreter sexueller Handlungen Erwachsener analysiert. Dies ist insofern relevant, weil Störungen in der Sexualität jede Rollenebene betreffen kann (vgl. Hofer, 46 2013, S.37). Je nach Anliegen der Klientin bzw. des Klienten können daher Interventionen auf der dem Anliegen adäquaten Rollenebene angeboten werden. Ein wichtiger Aspekt der folgenden Kapitel wird auch die sexuelle Identitätsentwicklung sein. Schacht zufolge ist die Identitätsentwicklung ein Prozess auf der soziodramatischen Rollenebene. Doch schließe ich mich Knapps Sichtweise an, dass die sexuelle Identität schon von Anfang an entwickelt wird (vgl. Knapp, 2011, S.13). Während Knapp in ihrer Arbeit das Augenmerk auf den Bereich „soziales Geschlecht“/ „Gender“ legt, wird hier die Sexualisation den Fokus bilden. 2.2.5.2. Rollenanteile der psychosomatischen Rollenebene – Lustempfinden als angeborene Fähigkeit Die psychosomatische Rollenebene ist die erste Handlungsebene, auf der ein Säugling agieren und interagieren kann. Auf dieser Ebene finden sich alle biologisch vorgegebenen Rollen eines Menschen. Sie umfassen somatische Funktionen wie die Fähigkeit, zu saugen, zu trinken oder zu schlafen. Auch sexuelle Funktionen wie beispielsweise die Erregbarkeit von Klitoris oder Penis sind von Anfang an vorhanden. Sexuelle Lust als zugrundeliegendes Gefühl ist zunächst noch nicht differenziert. Lust ist ein diffuser angeborener Affekt, der sich anfangs aus Entdeckungslust, Lust auf Aktivität, Körperkontakt, am Effekt und auf allgemein sinnliche Erfahrungen zusammensetzt (vgl. Schacht, 2003, S.50, ibid., S.55, ibid., S.72). Sexuelle Lust wird in den ersten Monaten eher zufällig, reagierend auf äußere Reize erlebt (vgl. Kluge, 2008, S.75f.). „Besonders beim Wickeln und Waschen des Säuglings bleibt nicht aus, dass die Eltern auch die Geschlechtsorgane berühren“ (Wanzeck-Sielert, 2008, S.365). Wesentlich ist das Bedürfnis des Säuglings, mit anderen in Beziehung zu treten (vgl. Schacht, 2003, S.48). Moreno selbst sieht in seiner Theorie den Menschen als soziales Wesen ohne andere Menschen gar nicht überlebensfähig und spricht vom sozialen Atom, das als kleinste Einheit mindestens zwei Personen umfassen muss (vgl. Stadler & Kern, 2010, S.177). An die primären Bezugspersonen richten sich auch Bedürfnisse nach Nähe, Zärtlichkeit und Intimität. Sielert spricht von „Hauthunger“ (vgl. 47 Sielert, 2005, S.45). In Bezug auf die Interaktion zwischen Eltern und Kind weist er auf Folgendes hin: „Viele Kinder bekommen […] die Erfahrung mit auf den Weg, dass es mit ihren Geschlechtsorganen etwas Besonderes auf sich hat. Beim Streicheln des Körpers wurden sie vielleicht öfter ausgelassen als die Nase oder die Rückenpartie; damit konnte leicht der Eindruck entstehen, dass sie weniger geliebt sind als alles andere an ihnen“ (ibid., S.102f.). Positiv betrachtet wird dem kleinen Kind (non-verbal) mitgeteilt, dass Geschlechtsorgane auch eines besonderen Schutzes bedürfen – etwas, das aus meiner Sicht letztlich mit der Intimitätsentwicklung zu tun hat. Auf der Hochphase der psychosomatischen Rollenebene, die Schacht bis zum Alter von 7-9 Monaten verortet, „[…] werden in ersten Ansätzen Mittel eingesetzt, um ein Ziel zu erreichen. Sobald dies geschieht, entwickelt sich eine neue Art von Erwartung. Ein Ergebnis wird […] mit einer speziellen Handlung gekoppelt“ (Schacht, 2003, S.59). Dies deckt sich mit Beobachtungen, dass ab der Mitte des ersten Lebensjahres sexuelles Handeln in Form von Masturbation schon strategisch angewendet wird (vgl. Kluge, 2008, S.76). Bezogen auf die sexuelle Identität ist dem Säugling auf der psychosomatischen Ebene das eigene Geschlecht noch nicht bewusst. Jedoch beginnen ab diesem Zeitpunkt die Entwicklung und die Erziehung hin zum psychischen Geschlecht, das dem anatomischen Geschlecht entsprechen soll (vgl. Knapp, 2011, S.11f.). 2.2.5.3. Wünsche und Phantasien – Anteile der psychodramatischen Rollenebene Die psychodramatische Rollenebene, die laut Schacht zwischen dem Ende des ersten und dem 6. Lebensjahr handlungsleitend wird (vgl. Schacht, 2003, S.88 und S.115) ist gekennzeichnet durch die Fähigkeit, Realität und Phantasie zunehmend zu trennen (vgl. ibid., S.46). Erst jetzt gelingt es dem Kind allmählich, sich etwas vorzustellen und in bescheidenem Ausmaß auch etwas zu planen. Kinder sind nun in der Lage, „Gefühle allein durch innere Vorstellungen [auszulösen]. Emotionen bekommen damit eine ganz entscheidende Rolle als Handlungsmotive. Ereignisse, die – 48 möglicherweise auf Grund von Erfahrungen und Erinnerung – in der Erwartung mit starken positiven Gefühlen verknüpft sind, werden zu Zielen, die das Kind zu erreichen sucht“ (ibid., S.134f.). Mädchen und Jungen „gehen auf Entdeckungsreise und erleben ganz bewusst und strategisch eingesetzt, dass Berührungen [an den Genitalien] lustvoll sein können“ (Wanzeck-Sielert, 2008, S.366). Auf dieser Handlungsebene „erlernt das Kind ganze emotionale Skripts samt damit verknüpfter Gefühlsregeln“ (Schacht, 2003, S.134). Dies gilt auch für sexuelle Skripte. Allerdings werden sexuelle Lustgefühle deutlich seltener besprochen als Angst, Freude, Zorn, Trauer oder auch Liebe. Da aber nicht nur sprachlich kommuniziert wird, werden die darauf bezogenen Reaktionen als erlaubendes Schmunzeln, Wohlwollen, Scham, Ablehnung, etc. registriert. Damit kommt es meines Erachtens zu einer Intimisierung und auch Tabuisierung von sexuellen Gefühlen. Der Preis dieses Prozesses ist häufig eine mangelnde sprachliche Ausdrückbarkeit insbesondere von erotischen Bedürfnissen und Wünschen. Erotische Bedürfnisse beziehen sich im Kleinkindalter zuerst auf die primären Bezugspersonen. Diese können aber nicht im erwachsenen Sinne beantwortet werden. Damit kommt es zu einer Trennung der Generationen (vgl. Schnack & Neutzling, 2006, S.24). Eltern zeigen aber als Vorbilder auf, wie intime Beziehungen gelebt werden (vgl. ibid., S.55). Sexuelle Bedürfnisse werden daher nun vermehrt unter Gleichaltrigen ausgelebt. Sie „erforschen in Doktorspielen, Vater-Mutter-Kind- und anderen Rollenspielen den eigenen Körper und den der anderen“ (Wanzeck-Sielert, 2008, S.366). Es ist die Zeit der Schau- und Zeigelust, die zum Einen sexuelles Begehren ausdrückt, zum Anderen auch die jeweils eigene Geschlechtlichkeit bestätigt. „Eine klare Trennung zwischen Homound Heterosexualität [scheint] für Kinder in ihrem praktischen Handeln nicht sehr bedeutsam zu sein“ (Tervooren zit. nach ibid., S.369). Auf die sexuelle Identitätsentwicklung bezieht sich ein wesentlicher Teil der Skripte, vor allem auf die Geschlechterrolle (gender), die ein Kind einnehmen muss. Knapp hat darauf hingewiesen, dass Interaktionen geschlechtsspezifisch codiert sind 49 (vgl. Knapp, 2011, S.12). Dies gilt insbesondere auch für den Umgang mit sexuellen Themen. Schon sehr früh werden Unterscheidungen in der Sexualerziehung zwischen Buben und Mädchen getroffen. Ich möchte zur Illustration ein paar Beispiele bringen, die ich aus meiner jahrelangen Arbeit im Bereich der Sexualpädagogik erfahren durfte: Buben erhalten eher Begriffe für ihre Genitalien als Mädchen. Viele Familien verwenden zwar eigene Wörter für die weiblichen Genitalien, sie werden aber nur innerhalb der Familie verstanden. Der Kitzler – als eigentliches Lustorgan der Frau – ist üblicherweise noch nie erwähnt worden. Sexuelle Lust wird Buben eher zugestanden. Wenn Mädchen im Kindergarten masturbieren, stehen immer wieder Befürchtungen im Raum, dass das Kind sexuelle Missbrauchserfahrungen erlebt haben könnte. In Ansätzen ist bereits ein Umdenken zu bemerken, dennoch: Bei Buben wird in der Regel ein sexueller Übergriff erst gar nicht in Erwägung gezogen. Denn bei Männern gilt Selbstbefriedigung als normal, als geschlechtstypisch. Meiner Meinung nach ist hier noch ein prekärer Aspekt zu beachten: die gesellschaftliche Konstruktion von weiblichen Opfern und männlichen Tätern. Bei Buben wird vor allem darauf geachtet, dass keine „zu weiblichen“ Handlungsweisen und Attribute gezeigt werden. Besonders eindrücklich war ein Erlebnis im Rahmen eines sexualpädagogischen Workshops für Eltern von Kindergartenkindern: Thema wurde, dass sich ein vierjähriger Bub gerne als Prinzessin verkleidet. Die Mutter nahm dies noch einigermaßen gelassen hin. Sie versuchte dies für sich als alterstypisches Rollenspiel zu erklären. Der Vater des Kindes hingegen war äußerst besorgt. Er nahm es regelmäßig in den Wald mit, um mit ihm Lianen zu schwingen und Cowboy- und Indianerspiele zu spielen. Dies sollte den Kleinen auf „andere Gedanken bringen“. Die Sorge des Vaters war, dass sein Sohn später „schwul“ werden könnte, obwohl das erotische Begehren sich in diesem Alter selten an ein „präferiertes“ Geschlecht wendet, sondern eher mit Verfügbarkeiten zu tun hat. Die Heteronormativität zeigt sich in diesem Beispiel deutlich, weil Heterosexualität und typisch männliches Verhalten bzw. sein Gegenteil – „weibliches“ Verhalten von Buben und Homosexualität – gleichgeschaltet sind. 50 2.2.5.4. Rollenanteile der soziodramatischen Rollenebene – Voraussetzung für das Ausverhandeln sexueller Handlungen Schacht zufolge beginnt mit dem Schuleintritt des Kindes die Entwicklung auf der soziodramatischen Rollenebene. Diese ist in vier Stufen aufgeteilt. Entwicklungsniveau 1, Alter 5 – 10 Jahre Freuds berühmte psychosexuelle Entwicklungstheorie ging davon aus, dass in dieser sogenannten „Latenzphase“ bis zum Eintritt der Pubertät Sexualität zugunsten intellektueller und sozialer Lernschritte in den Hintergrund rückt (vgl. Wanzeck-Sielert, 2008, S.367). Aus heutiger Sicht ist dem nicht so. Es scheint eher, dass Kinder in der Volkschulzeit die sie umgebenden soziokulturellen Skripte verinnerlicht haben. Die Tabuisierungen rund um Sexualität sind darin enthalten. Zudem dominieren Bedürfnisse nach Intimität. Scham ist das dazugehörende Gefühl, das diese Intimität schützt. „Die Zunahme von Schamepisoden […] und die Auseinandersetzung damit ist ein wichtiger Prozess der sexuellen Identitätsfindung“ (ibid., S.368). Es geht um die Entwicklung der „eigenen Intimitätsgrenzen und die der anderen“ (ibid.). Es fällt auf, dass sich Mädchen und Buben oft voneinander trennen, gleichgeschlechtliche Spielgefährtinnen und –gefährten bevorzugen und erste wichtige Freundschaften schließen. Dies ist nicht zwingend, aber häufig – und dient den Jungen und Mädchen auch dazu, die eigene Geschlechtsrolle stärker zu etablieren. Laut Schacht entwickelt ein Kind in diesem Lebensabschnitt eine wichtige Handlungskompetenz: Es begreift, dass zwei verschiedene Personen Situationen unterschiedlich erleben und subjektiv erzählen. Damit steht die Fähigkeit in Zusammenhang, eine eigene Geschichte konstruieren zu können. „Ähnlich wie Skripts geben auch Geschichten (Narrationen) einer Abfolge von Ereignissen Ordnung und Bedeutung“ (Schacht, 2003, S.132). 51 Entwicklungsniveau 2, Alter 10 – 15 Jahre Dieses Entwicklungsniveau umfasst die Präpubertät (etwa das Alter von 10 – 12) und den Beginn der Pubertät. Typisch für diese Zeit ist die sogenannte „Zwangsheterosexualität“. Am Übergang zur Pubertät lehnen Kinder üblicherweise andere sexuelle Lebensstile ab. „Die jeweiligen Mädchen- und Jungencliquen sind zunächst Lernorte für heterosexuelle Umgangsformen und bieten die Möglichkeit der Entwicklung eines eigenen Körperstils auf dem Kontinuum von Weiblichkeit und Männlichkeit“ (Wanzeck-Sielert, 2008, S.369f.). Somit wird mit heteronormativen und oft von Geschlechtsklischees durchzogenen interpersonellen Skripten experimentiert. Im Schutz der eigenen Geschlechtskohorte kommt es zu ersten zwischengeschlechtlichen erotischen Kontaktversuchen. Das berühmte „Willst Du mit mir gehen?“ zeigt sich hier zum Beispiel noch in einer spielerisch-experimentellen Art. Die Betonung der Geschlechtsstereotype wird dadurch verstärkt, dass es Jugendlichen auf dieser Stufe nicht nur möglich ist, sich in das Gegenüber einzufühlen, sondern auch zu begreifen, dass andere sich ebenfalls in sie einfühlen können. Sie können sich selbst von außen betrachten. Schacht nennt diese Fähigkeit „selbstreflexive, reziproke Perspektivenübernahme“ (Schacht, 2003, S.199). Damit gewinnt die Außenwirkung eine hohe Bedeutung. Die Aufnahme in die Peergroup ist in diesem Alter von höchster Priorität, das Erleben von Ausgrenzung mit einem Selbstwertverlust verbunden. In Bezug auf die sexuelle Identitätsentwicklung bedeutet dies, dass es für die meisten Jugendlichen ausgesprochen wichtig ist, als eindeutig männlich oder weiblich bestätigt zu werden. Ein wenig ist hier noch das Patriarchat zu spüren, das Männlichkeit höher bewertet als Weiblichkeit. In der Regel brauchen Burschen durch Gleichaltrige des eigenen Geschlechts die Anerkennung und Bestätigung, während Mädchen sich oft „aus den Augen der Männer“ sehen (vgl. Knapp, 2011, S.15). 52 Entwicklungsniveau 3, Alter 15 – 20 Jahre In diesem Alter gehen die meisten Menschen erste sexuelle Beziehungen ein. Dabei geht es aber nicht vorrangig um Lust, sondern oft vor allem um die Bestätigung und Anerkennung als erotische Frau oder erotischer Mann: „Mehrheitlich stehen zu Beginn der sexuellen Karriere Teile des Identitätsaspekts im Vordergrund, vor allem […] die Frage der eigenen Bedeutung für andere und die Bedeutung anderer für die eigene Person“ (Sielert, 2005, S.52f.). Der erste Geschlechtsverkehr muss auch als Initiationsritual in die Erwachsenenwelt verstanden werden. Daher ist es für viele (vor allem Burschen) entscheidender, dass Geschlechtsverkehr stattfindet als sich in erster Linie darum zu sorgen, dass der Sex sonderlich gut ist. In Hinblick auf Handlungskompetenzen kann nun „eine Person […] aus der Perspektive einer unparteiischen 3. Person betrachtet werden. [Es] kann die Beziehung als solche von außen in den Blickwinkel genommen werden“ (Schacht, 2003, S.201). Damit können auch gegensätzliche Rollenerwartungen berücksichtigt werden. Schacht zufolge ist dies eine unerlässliche Voraussetzung für gelingende Paarsexualität (vgl. ibid., S.221). Fürst und Krall relativieren diese Sichtweise, geben aber Schacht insofern recht, wenn sie postulieren: „Die höchste Form – wenn man so sagen will – einer gemeinsamen Sexualität setzt […] voraus, dass beide Partner zu einem Rollenwechsel fähig sind und gleichzeitig sich selbst wahrnehmen und spüren können. Dies würde dem dritten Niveau in der Entwicklung der soziodramatischen Rollen entsprechen“ (Fürst & Krall, 2012, S.29). Auf Niveau 3 übernehmen Jugendliche die kollektiven Normen der sie umgebenden Kultur (vgl. Schacht, 2003, S.237). Daher ist es von hoher Bedeutung, zu welchem Milieu Jugendliche in diesem Alter gehören. Es lässt sich in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung feststellen, dass Mädchen und Burschen heute in ähnlichem Alter ihre partnerschaftliche Sexualität beginnen. In der Sexualwissenschaft wird dies als „Geschlechterangleichung im Sexuellen“ bezeichnet (Schmidt, 2011, S.106). 53 Folgende Phänomene lassen sich aus sexualpädagogischer Praxis beispielhaft beschreiben: Die Kontaktaufnahme ist nicht mehr das Monopol von Männern. Elternschaftsverhütung ist kein alleiniges Thema von Frauen mehr. Treue ist für beide Geschlechter gleich wichtig und Sexualität wird in jetzigen Jugendgenerationen deutlich stärker an eine Liebesbeziehung geknüpft als noch vor 30 oder 40 Jahren. In anderen Milieus, insbesondere solchen, in denen ein Jungfräulichkeitsgebot präsent ist, binden Männer seltener sexuelle Erlebnisse an Liebesbeziehungen und werden häufiger in einem früheren Alter sexuell aktiv. Frauen aus diesen Milieus lassen sich hingegen deutlich später auf partnerschaftliche Sexualität ein und koppeln diesen Zeitpunkt oft an eine Eheschließung (vgl. BZgA, 2011, 2015). In Bezug auf die sexuelle Identitätsentwicklung wird einer bzw. einem Jugendlichen erst auf Entwicklungsniveau 2 und 3 allmählich bewusst, welches Geschlecht sie oder er begehrt. Meistens – denn entsprechend der Vorstellung, wonach sexuelle Identität ein biographischer Entwurf ist (vgl. Timmermanns, 2008, S.263), ist auch die sexuelle Orientierung kein Merkmal, dass über die gesamte Lebenszeit bei allen Individuen gleich bleiben muss. Betrachtet man die gesamte Population, dann muss ohnedies eher von einer Vielzahl an Orientierungen auf dem Kontinuum zwischen Hetero- und Homosexualität ausgegangen werden (vgl. Schmidt, 2011, S.138 ff.). Entwicklungsniveau 4 Während die Übernahme kollektiver Normen auf Niveau 3 „noch relativ eng an den sozialen Kontext geknüpft“ ist (Schacht, 2004, S.237), zeichnet sich die letzte Entwicklungsstufe dadurch aus, sich von den vorgegebenen Normen distanzieren und eine systemübergreifende Perspektive einnehmen zu können (vgl. ibid., S.202). Das hat vielfältige Auswirkungen Beziehungsformen und auf Einstellungen all ihren zu Sexualität, widersprüchlichen und sexueller Identität, unterschiedlichsten Ausdrucksformen. Beispielhaft möchte ich noch einmal die sexuelle Partnerorientierung aufgreifen: Die immer noch heteronormative Gesellschaft führt dazu, dass viele Menschen erst im (jungen) Erwachsenenalter eine eventuelle nicht-heterosexuelle Identität mit allen 54 Facetten akzeptieren können. Denn erst auf Niveau 4 kann eine innere Distanz zu den Werten der umgebenden Kultur eingenommen werden. Ähnliches gilt auch zum Beispiel für Menschen mit Migrationshintergründen aus traditionellen Familien: In Jugendcliquen kommt es immer wieder zu regelrechten „Wertekämpfen“ zwischen liberalen Metaperspektive wird erst im Laufe der und traditionellen Lebensstilen. Eine späteren Entwicklung eingenommen – und manchen gelingt das nie. In der sexualwissenschaftlichen Fachliteratur wird die sexuelle Identitätsentwicklung als ein biographischer Entwurf gesehen (vgl. Timmermanns, 2008, S.263). Dies entspricht auch der Vorstellung in der Rollentheorie: „Identität wird gewonnen, indem sich ein Mensch in leibhaftem Wahrnehmen und Handeln auf dem Hintergrund seiner Geschichte über längere Zeit als der erkennt, der er ist (Identifikation) und indem er von den Menschen seines relevanten Kontextes auf dem Hintergrund gemeinsamer Geschichte als der gesehen wird, als den sie ihn sehen. Diese identitätsstiftenden und –erhaltenden Prozesse erfolgen immer wieder aufs Neue und sie schließen persönliche und gemeinsame Geschichte mit der dazugehörigen Zukunftsperspektive ein“ (Hochreiter, 2004, S.141). Daher ist die Vorstellung Clements, dass Paare über das Ausverhandeln ihrer jeweiligen erotischen Profile und dem Entstehen spezifischer Handlungsroutinen auch eine eigene Paaridentität entwickeln, höchst relevant (vgl. Clement, 2009, S.74). Diese Paaridentität schließt das Paar ein und definiert dieses unter Ausschluss der anderen (der Öffentlichkeit, der anderen Identitätsrollen wie die berufliche oder die Rolle des Freundes/ der Freundin, etc.). Sie spiegelt sich aber auch in der Frage „Wer bin ich als erotischer Mensch?“ wider. 2.2.5.5. Rollenanteile und Rollenkompetenzen im Erwachsenenalter In der sexuellen Rolle eines bzw. einer Erwachsenen ist die individuelle sexuelle Biographie ein prägender Faktor. Die psychosomatische Rollenebene zeigt sich dabei in zweifacher Hinsicht. Der biologische Anteil dieser Ebene – Erektion, Ejakulation, 55 Feuchtwerden der Scheide, etc. – und die Behandlung möglicher Funktionsstörungen ist ein wesentliches Aufgabengebiet der Sexualmedizin in den Disziplinen Gynäkologie, Endokrinologie, Urologie, Andrologie, Fortpflanzungsmedizin, usw. Auf dieser Ebene werden aber – für die psychotherapeutische Arbeit deutlich wesentlicher – vor allem Rhythmus, Spannung und Entspannung, Lust und Unlust reguliert. Diese Affekte sind stark an körperliche Empfindungen gekoppelt. Die „Streichelübungen“ des Hamburger Modells der Paartherapie (vgl. Hofer, 2013, S.30ff., S.92ff.) sowie bestimmte Masturbationsübungen wie die „Start-Stop-Methode“9 für Männer (vgl. Hanel, 2003, S.33) oder die Kontraktionsübung nach Kegel (vgl. ibid., S.84)10 sind Interventionen, die hauptsächlich auf der psychosomatischen Rollenebene ansetzen. Diese Techniken sind aber in der systemischen Sexualtherapie nicht sonderlich bedeutsam. Es wird – rollentheoretisch betrachtet – mit höheren Rollenebenen gearbeitet, insbesondere mit der psychodramatischen. Diese zeigt sich im Bereich von sexuellen Phantasien und Wünschen. „Wünsche können als für die psychodramatische Rollenebene charakteristische Form von Handlungsmotiven bezeichnet werden“ (Schacht, 2003, S.288). Über gute psychodramatische Handlungskompetenzen zu verfügen, bedeutet, dass Personen ihre Empfindungen mit Gefühlen in Verbindung bringen, diese mittels der Sprache äußern und schließlich Phantasien von Wünschen unterscheiden können. Die psychodramatische Rollenebene ist diejenige, in der erste Gefühlsskripte gelernt wurden. Das Fokussieren auf sexuelle Skripte in der psychotherapeutischen Arbeit bietet die Chance, sprachlich Erfassbares mit der Möglichkeit einer gewissen Distanzierung von körperlichen, meist schambesetzten Reaktionen zu verbinden. Die psychosomatische Ebene wird damit indirekt erreicht. 9 Diese Methode soll Männer für ihren „Point of no Return“ (= der Zeitpunkt, bei dem es in jedem Fall zu einem Samenerguss kommt) sensibilisieren. 10 Diese Übung zielt darauf ab, die Beckenbodenmuskulatur kennen zu lernen und beim Sex einsetzen zu können. 56 Interventionen auf dieser Ebene beziehen sich in erster Linie auf das Erkennen, Wahrnehmen und Würdigen eigener erotischer Bedürfnisse. Dies ist häufig ein längerer Prozess, und es zeigt sich regelmäßig in einer ersten Phase der Therapie, was die Klientin bzw. der Klient nicht (mehr) will (vgl. Clement, 2009, S.40ff.). Die eigenen erotischen Wünsche zu kennen und damit über gute intrapsychische sexuelle Skripte zu verfügen, ermöglicht es Menschen prinzipiell, auch ohne Perspektivenwechsel eine individuell befriedigende Sexualität zu leben (vgl. Fürst & Krall, 2012, S.29). Allerdings muss auch ein gewisses Set an kulturell vorgegebenen interpersonellen Skripten vorhanden sein. „Um Wünsche erfüllt zu bekommen, müssen sie anschlussfähig sein“ (Clement, 2009, S.98). Um zu einer erfüllenden Paarsexualität zu gelangen, braucht es daher für die meisten Menschen nicht nur kulturell vorgegebene interpersonelle Skripte, die eher als Handlungsstereotype zu verstehen sind, sondern individuell angepasste, die mit der Partnerin bzw. dem Partner abgeglichen werden müssen. Das Niveau 1 der soziodramatischen Rollenebene in erotischer Hinsicht gut integriert zu haben, bedeutet vor allem, ein Gespür für die eigenen und fremde Schamund Intimitätsgrenzen entwickelt zu haben. In der psychotherapeutischen Arbeit ist deshalb für einen ausreichenden Intimitätsschutz zu sorgen, um die persönliche Integrität einer Klientin bzw. eines Klienten nicht zu gefährden. Das Niveau 2 der soziodramatischen Rollenebene hat die Selbstbestätigung durch andere im Fokus. Sie zeigt sich beispielsweise in dem Bedürfnis der meisten Menschen, durch ihre Partner bzw. Partnerinnen als begehrenswert erlebt zu werden. Aus psychotherapeutischer Sicht ist der Aufbau eines erotischen Selbstwerts dann wichtig, wenn die Bestätigung durch den Partner bzw. die Partnerin zu einem perfekten Ziel wird und sexuelle Handlungen vorrangig partnervalidiert sind, eigene erotische Bedürfnisse aber außer Acht gelassen werden. Partnervalidierte sexuelle Handlungen sind solche, die ausschließlich die partnerschaftliche Bestätigung zum Ziel haben. Es werden nur diese Facetten des erotischen Profils gezeigt, die keine Angst vor einer möglichen Ablehnung auslösen (vgl. Clement, 2011, S.80ff.). 57 Das Niveau 3 der soziodramatischen Rollenebene befähigt Menschen dazu, eine Beziehung von außen zu betrachten und verschiedene, auch widersprüchliche Bedürfnisse auszuverhandeln. Besonders häufig zeigt sich in der Praxis, dass nicht ein vermeintlicher Selbstbezug und daraus resultierend eine mögliche Rücksichtslosigkeit in sexuellen Handlungen in einer Partnerschaft das Problem ist, sondern vor allem zu viel Rücksichtnahme auf die Partnerin oder den Partner und zu wenig Wertschätzung der eigenen erotischen Bedürfnisse. Das Niveau 4 zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es Menschen gelingt, sich selbst im Anderssein zu würdigen. Dieses Niveau könnte zum Leitsatz haben: „Ich bin wie ich bin und ich bin gut so, wie ich bin.“ Die persönliche Identität kann auf diesem Niveau in ihrer Widersprüchlichkeit angenommen werden. 58 3. Die Gestaltung der Begegnungsbühne bei der Bearbeitung sexualitätsbezogener Problemlagen im Monodrama 3.1. Einleitung: Warum das Setting des Monodramas? Die Psychodrama-Psychotherapie ist im Ursprung ein gruppentherapeutisches Verfahren. Dieses Setting ist für die Arbeit an sexuellen Themen allerdings heikel, weil der Intimitätsschutz der Beteiligten nicht ausreichend gewährleistet werden kann. Falko von Ameln, Ruth Gerstmann und Josef Kramer raten davon ab, sexuelle Inhalte im Rahmen der Gruppe auf die Bühne zu bringen (vgl. von Ameln, Gerstmann & Kramer, 2009, S.268ff.). Sie argumentieren dabei nicht nur mit der Gefährdung des Intimitätsschutzes von Protagonistinnen und Protagonisten, sondern auch mit jener von Hilfs-Ichs und Beobachtenden aus der Gruppe. Ich möchte hinzufügen, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten Gefahr laufen durch ein mögliches Eindringen in schambesetzte Themen von Klientinnen und Klienten das therapeutische Arbeitsverhältnis insgesamt aufs Spiel zu setzen. Ein weiteres Setting ist die Arbeit mit Paaren. Sexualtherapien verstehen sich häufig als Paartherapien. Dazu zählen das Hamburger Modell der Paartherapie (vgl. Hofer, 2013, S.27) sowie die systemische Sexualtherapie, die Clement auch als Paartherapie des Begehrens (vgl. Clement, 2011, S.47ff.) begreift. Hintergrund dafür ist die Tatsache, dass das Paar ein bedeutsamer Ort der sexuellen Inszenierung ist (vgl. Hauch zit. nach Hofer, 2013, S.27). Gerda Trinkel macht für die therapeutische Herangehensweise darauf aufmerksam, „den Focus der therapeutischen Arbeit auf die gemeinsame Beziehung des Paares zu legen. Der Problematik und dem Leid jedes einzelnen Partners darf also nicht zu große Aufmerksamkeit geschenkt werden“ (Trinkel, 2010, S.76). Sämtliche sexuelle Probleme und Störungen allein auf Paarebene zu bearbeiten, ist daher aus meiner Sicht nicht immer passend. Hier kommt das Monodrama, die in Österreich geläufige Bezeichnung für die Psychodrama-Einzeltherapie, ins Spiel. Die auf dem Hamburger Modell basierende Psychodrama-Sexualtherapie greift dies in ersten Überlegungen bereits auf (vgl. Hofer, 59 2013, S.81ff.): Hofer schlägt die Monodrama-Sexualtherapie für Alleinstehende vor. Bei gebundenen Menschen argumentiert er für eine Einzeltherapie, wenn deren Partnerinnen bzw. Partner der Sexualtherapie fernbleiben möchten und folgt damit vor allem praktischen Überlegungen. Ich bin der Meinung, dass das Monodrama für die Arbeit mit der sexuellen Rolle sehr gute Dienste leisten kann und bei manchen Fragestellungen dem Paarsetting überlegen ist. Argumentiert werden kann dies anhand folgender Überlegungen: Laut der systemischen Sexualtherapie ist das sexuelle Spektrum eines Paares nicht deckungsgleich mit dem erotischen Profil eines Individuums (vgl. Kap. 2.3.1.5.). In Rücksichtnahme auf die Partnerin bzw. den Partner werden eigene erotische Wünsche nicht gelebt. Das kann so weit gehen, dass erotische Bedürfnisse auch nicht mehr gespürt werden (vgl. Clement, 2011, S.74ff.). Das Monodrama bietet sich daher an, zum Einen schambesetzte erotische Bereiche in einem vertraulichen Rahmen besprechen zu können, zum Anderen Wünsche des Individuums herauszuarbeiten, ohne die Partnerin bzw. den Partner unmittelbar berücksichtigen zu müssen. Es ist hilfreich zu wissen, was man selbst will, bevor man es mit dem Gegenüber ausverhandelt. Auch Fragen zur eigenen sexuellen Identität sind nicht vorrangig mit der Partnerin oder dem Partner zu diskutieren, sondern erst für sich selbst zu beantworten. Außerdem stellt sich eine ethische Frage: Muss die Partnerin bzw. der Partner alles wissen? Entgegen des romantischen Liebesideals bin ich davon überzeugt, dass jeder Mensch das Recht darauf hat, auch erotische Geheimnisse vor dem Partner bzw. der Partnerin zu haben. Dies betrifft insbesondere erotische Phantasien (vgl. Clement, 2009, S.104). Doch selbst eine Affäre muss nicht immer offenbart werden, denn manchmal kann deren Verschweigen gegenüber der Partnerin oder dem Partner eine höhere Tugend sein als sie bzw. ihn damit zu konfrontieren (vgl. Clement, 2010, S.62, vgl. ibid., S.158ff.). Praktische Überlegungen spielen freilich auch eine Rolle: Einzeltherapien sind das bevorzugte Setting von Klientinnen und Klienten. Sie sind somit der Ort, an dem die sexuelle Rolle am häufigsten relevant wird. 60 3.2. Die Begegnungsbühne im Monodrama Der Umgang mit sexuellen Themen im Monodrama verlangt eine vertrauensvolle Atmosphäre. Um diese herzustellen, muss das Hauptaugenmerk auf die psychotherapeutische Beziehungsgestaltung gelegt werden. Ich lege daher in meiner therapeutischen Arbeit den Fokus auf das Geschehen auf der Begegnungsbühne, denn „Techniken und Methoden sind in der Sicht der meisten praktisch tätigen Psychotherapeuten […] ein notwendiges, jedoch dem Beziehungsgeschehen nachgeordnetes Handwerkszeug, das auf dem Hintergrund ethischer Standards, passend zur Situation, zum Leiden und zu den Personen eingesetzt wird“ (Bleckwedel zit. nach Fürst, 2004, S.283). Der Begriff „Begegnungsbühne“ entstammt dem von Hildegard Pruckner für das Monodrama entwickelten „Dreibühnenmodell“ (vgl. Pruckner zit. nach Schacht & Pruckner, 2010, S.240). Sie unterscheidet dabei die Begegnungsbühne, die Spielbühne (aktueller: Spiel-Aktionsbühne) und die soziale Bühne. Die Begegnungsbühne ist dabei der Ort, an welchem sich die therapeutische Beziehung entwickelt: „Das Beziehungsgeschehen zwischen TherapeutIn und KlientIn wird als spontankreativer zwischenmenschlicher Prozess auf der Begegnungsbühne gesehen, bei dem beide Beteiligten ihre jeweiligen Erwartungen aushandeln“ (Schacht & Hutter, 2014, S.209). Die Begegnungsbühne ist einerseits ein realer Ort der psychotherapeutischen Arbeit. Sie bildet „das Fundament und rein äußerlich [den] Rahmen einer Therapieeinheit“ (Pruckner, 2001, S.81). Andererseits ist sie auch ein Ort der psychotherapeutischen Beziehung und fokussiert die Inszenierungen von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit ihren Klientinnen und Klienten. Mit den Worten Schachts und Pruckners ausgedrückt: „Auf der Begegnungsbühne treffen sich in der Einzelpsychotherapie zwei Menschen als ProtagonistInnen. […] TherapeutIn und KlientIn gestalten das zwischenmenschliche Geschehen“ (Schacht & Pruckner, 2010, S.243). Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Sichtweise auf Psychotherapeutinnen und -therapeuten als Menschen, die nicht nur in ihren beruflichen, sondern auch in ihren 61 privaten Rollen den Klientinnen und Klienten begegnen. Bezogen auf die Arbeit an sexuellen Themen bedeutet dies unter anderem, dass auch Psychotherapeutinnen und -therapeuten mit ihren individuellen erotischen Profilen auf diejenigen der Klientinnen und Klienten treffen. „Die Begegnungsbühne ist bei jeder Arbeit auf der Spiel-Aktionsbühne mit dabei“ (Pruckner, 2012, S.250). Daher wird im Folgenden auch bei beispielhaften Interventionen auf der Spiel-Aktionsbühne vorrangig dem Aspekt der Begegnungsbühne Aufmerksamkeit geschenkt. Die Spiel-Aktionsbühne definiert sich als Arbeit am Thema der Klientinnen und Klienten. Sie beinhaltet somit sowohl typische Inszenierungen mit Sesseln oder Symbolen auf der Tischbühne als Repräsentantinnen für andere Personen, Gefühle oder Körperteile als auch die Arbeit mit den kulturellen, intrapsychischen und interpersonellen Skripten – Techniken also, die auf die Arbeit auf der inneren Bühne eines Menschen abzielen. Der Vollständigkeit halber seien auch Überlegungen für die Arbeit auf der sozialen Bühne erwähnt. Diese ist definiert als die Arbeit mit dem realen sozialen Atom (vgl. ibid., S.249). In Bezug auf die sexuelle Rolle von Klientinnen und Klienten wären dies reale Sexualpartnerinnen und -partner, meist gleichbedeutend mit Lebensgefährtinnen und -gefährten, Ehemännern oder Ehefrauen. Lädt man diese Personen in die Psychotherapie ein, wäre dies in Form eines Besuches oder aber als Übergang in eine Paartherapie vorstellbar. Es fallen mir derzeit kaum Situationen ein, die einen Besuch einer Partnerin bzw. eines Partners nötig machten und nicht ausgelagert werden könnten. Hofer meint in seiner Masterthese, dass Sexualtherapien häufig als Einzeltherapien beginnen (vgl. Hofer, 2013, S.81). Er lässt die Erweiterung zu einer Paartherapie allerdings offen. Besonders bei gebundenen Menschen argumentiert er damit, dass „der nicht anwesende Partner […] von Anfang an in die Therapie mit hinein genommen [wird] […] Durch das Soziale Atom ist er bereits Teil des Geschehens“ (ibid., S.82). 62 Was den Übergang von einer Einzel- zu einer Paartherapie betrifft, wie dies Hofer vorschlägt, bin ich sehr skeptisch. Selbstverständlich ist auch die Arbeit auf der sozialen Bühne „ohne Begegnungsbühne nicht denkbar“ (Pruckner, 2012, S.250). Dies bedeutet demnach, dass eine schon etablierte therapeutische Beziehung sich für eine dritte Person öffnen müsste. Was diese Öffnung der Einzel- zu einer Paartherapie für die Begegnungsbühne bedeutet, müsste noch eingehend erforscht werden. Insbesondere die tendenziell parteiische Haltung im Monodrama zugunsten einer grundsätzlichen Allparteilichkeit (Clement nennt dies das Neutralitätsprinzip), die in einer Paartherapie zu erwarten ist, würde die Psychotherapeutin bzw. den Psychotherapeuten vor eine große Herausforderung stellen. Daher müsste sich wahrscheinlich schon in der ersten oder den ersten Stunden entscheiden, welches Setting präferiert wird. 3.3. Grundüberlegungen zur Gestaltung der Begegnungsbühne bei der Arbeit mit der sexuellen Rolle 3.3.1. Zur Haltung von Psychodramatikerinnen und Psychodramatikern zum Themenfeld Sexualität Die Begegnungsbühne wird als Ort der Inszenierung der psychotherapeutischen Beziehung verstanden. In diesem Kapitel wird daher zuerst der Fokus auf die psychotherapeutische Haltung gelegt, denn auch Psychotherapeutinnen und therapeuten haben ein spezifisches erotisches Profil, das die Arbeit mit sexuellen Themen beeinflusst. Im Psychodrama, verstanden als humanistische Therapieform, macht sich „der […] Psychotherapeut […] selektiv transparent, d.h. er ist spürbar als reale Person, auch mit seinen Schwächen und Grenzen, aber gleichzeitig professionell klar abgegrenzt“ (Eberwein, 2014, S.37). Schacht und Pruckner betonen, dass die „therapeutische Sicht […] immer eine persönliche [ist], wenn auch durch Fachwissen und Erfahrung angereichert. Dies erfordert einen spielerischen Umgang mit den eigenen Auffassungen im Bewusstsein des Als-ob, was nicht 63 heißt, eigene Ansichten bei jedem Widerspruch aufzugeben“ (Schacht & Pruckner, 2010, S.243). Daher ist es notwendig, eine Balance zu schaffen zwischen den eigenen persönlichen Vor- und Einstellungen und der professionellen Haltung. Dies setzt voraus, dass Psychotherapeutinnen und -therapeuten sich ausreichend mit ihrer eigenen Sexualität und sexuellen Biographie auseinandergesetzt haben (vgl. Hofer, 1996, S.237). Buddeberg zählt beispielhaft auf, dass jemand „eigene Einstellungen zur Selbstbefriedigung, zum oralen Sex, zur Empfängnisverhütung, zu außerehelichen Beziehungen und anderen wichtigen Fragen der Sexualität kennt“ (Buddeberg, 2005, S.64). Aus meiner Sicht noch schwieriger ist es, die eigenen zugrundeliegenden Motive, Bedeutungen und Werte zu reflektieren, nach denen sexuelle Handlungen bewertet werden. Sie sind meist weniger deutlich zu fassen, prägen eher implizit die Sichtweise auf Sexualität. Hilfreich für die professionelle Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität ist ein Bezugsrahmen. Zur Verfügung steht dafür zum Einen das Gesetz: Von Bedeutung sind strafrechtliche und Jugendschutzbestimmungen sowie Gesetze, die dem Diskriminierungsschutz dienen. Daneben gibt es auch Gesetze, die sich explizit auf den Berufsstand der Psychotherapeutin bzw. des Psychotherapeuten beziehen. Die wichtigste Bestimmung im Kontext dieser Masterthese ist diejenige, dass jegliche sexuelle Handlung die psychotherapeutische Beziehung betreffend verboten ist (vgl. Bundesministerium für Gesundheit). Zum Anderen braucht es eine Art „Wertekatalog“, an dem man sich orientieren kann. Ferdinand Buer befasst sich mit der psychodramatischen Ethik (Buer, 2004, S.30ff.) und räumt ein, dass es die Entscheidung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ist, welche ethische Position sie vertreten: „Ihre persönliche Moralität kann von einer privaten Weltanschauung geprägt sein, aber auch von Religionen, denen sie angehören, therapeutischen Ansätzen, die sie begeistern, oder philosophischen Überlegungen, die sie überzeugen. Auf jeden Fall haben sie diese Position offen zu legen, nicht nur gegenüber ihrer 64 Profession und der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber ihren PatientInnen“ (Buer, 2004, S.52). Für mich sind die in den folgenden Abschnitten vorgestellten Denk- und Wertsysteme relevant und Grundlage vieler therapeutischer Überlegungen. 3.3.3.1. sexuelle und reproduktive Menschenrechte als Wertebasis Kompatibel mit der humanistischen Weltanschauung, die Werte wie (Wahl)freiheit in sozialer Verantwortung, Solidarität, Gerechtigkeitssinn, Pluralismus, Fürsorglichkeit und Demokratie vertritt (vgl. Buer, 2004, S.45, Eberwein, 2014, S.29), sind für mich die sexuellen und reproduktiven Menschenrechte, die sich aus der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UNO, 1948) ableiten. Diese wurden bei der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo erstmals formuliert und von der IPPF11 1995 verabschiedet. Im Wesentlichen sind in dieser Deklaration folgende Rechte verankert12: Personen haben das Recht, ihre persönliche Sexualität auf die Art und Weise zu leben, wie es ihnen entspricht, so lange niemand anderer ausgebeutet oder zu sexuellen Handlungen gezwungen wird. Sie haben das Recht auf Gesundheitsversorgung (das schließt die Psychotherapie ein), auf Verhütung, auf Informationen und auf den Schutz vor jeglicher Diskriminierung. Paare und Frauen haben das Recht, zu entscheiden, ob, wann und wie viele Kinder sie gebären wollen. In Österreich wie auch in den meisten EU-Ländern schließt dies auch die Möglichkeit ein, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. 11 Die IPPF (International Planned Parenthood Federation) ist ein Dachverband im Bereich der Familienplanung, zu der NGOs in derzeit 172 Ländern gehören. In Österreich gehört die ÖGF (Österreichische Gesellschaft für Familienplanung), in Deutschland z.B. Pro Familia zu den Mitgliedern. Weitere Informationen: http://www.ippf.org/, www.oegf.at, http://www.profamilia.de/ (2015-08-05) 12 Genaue Informationen finden Sie in den von der IPPF herausgegebenen Erklärung der sexuellen Rechte (IPPF, 2008, 2009). 65 3.3.3.2. Diversity-Ansatz Als Diversity-Ansatz wird eine Strömung bezeichnet, die sich ursprünglich aus den Diskursen der Frauen- und Homosexuellenbewegungen abIeitet und postuliert, dass Menschen nie nur im jeweiligen Geschlecht, sondern auch in ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihren körperlichen Merkmalen, ihrem Bildungsgrad, etc. wahrgenommen werden (vgl. Schigl, 2012, S.37ff.). Pruckner betont die Wichtigkeit dieser verschiedenen Aspekte für die Arbeit auf der Begegnungsbühne und verweist auf Arbeiten von Knapp, Magrutsch und Hutter (vgl. Schacht & Pruckner, 2010, S.244). Im Monodrama kann dies in einer Haltung der Vielfalt von Psychotherapeutinnen und -therapeuten auf der Begegnungsbühne zum Ausdruck kommen. Sinn davon ist unter anderem, heteronorme Vorgaben und Geschlechtsstereotype aufzuweichen. Brigitte Schigl äußert sich dazu folgendermaßen: „Auch wenn Zusammenhänge mit der Geschlechterkonstellation in der Therapie besprochen werden, sind solche Einordnungs- und Zuschreibungs-Prozesse wahrscheinlich nicht auflösbar, da sie zutiefst identitäts- und kulturverankert sind. Sie können aber gemeinsam angesprochen und metareflektiert werden und so zum Therapieerfolg beitragen“ (Schigl, 2012, S.119). Indem Psychotherapeutinnen und –therapeuten versuchen, verschiedene Lebensstile, Geschlechtsidentitäten, Begehrens- und Familienformen in der Arbeit mit Klientinnen und Klienten zu berücksichtigen, nehmen sie eine Haltung der Vielfalt, eine DiversityHaltung ein. 3.3.3.3. Neutralitätsprinzip Die Psychodrama-Psychotherapie versteht sich als prozessorientiertes Verfahren. Dies hat zur Konsequenz, dass Ambivalenzen in den Bedürfnissen der Klientinnen und Klienten ausgehalten werden müssen und auch mögliche klare Zielformulierungen in ihrer Mehrdeutigkeit überprüft werden sollten. Clement kritisiert an der klassischen Sexualtherapie, dass implizit eine „gute“ Sexualität, die „funktioniert“, auch das Leitziel von Sexualtherapeutinnen und –therapeuten darstellt. Mit anderen Worten soll der Sex 66 innerhalb einer Partnerschaft stattfinden, symmetrisch befriedigend, selbstbestimmt und spontan sein. Dies entspricht der Pro-Sex-Norm in der Gesellschaft (vgl. Clement, 2011, S.126ff.). Er plädiert daher für eine Neutralität gegenüber Veränderungswünschen der Klientinnen und Klienten. Er nennt dies Neutralitätsprinzip13. Auch Hofer warnt davor, „dass wir als Therapeuten […] in Versuchung geraten werden, perfekte Ziele in der Sexualtherapie zu entwickeln. Zum Beispiel: […] meine Klientin muss orgasmusfähig werden oder die Erektionsstörung muss sich beheben lassen, meine Klienten müssen zufrieden sein“ (Hofer, 2013, S.85). Nimmt man das Paradigma der Wahlfreiheit, ein wesentliches Kernelement der humanistischen Therapien, hinzu, müssen auch scheinbar weniger „wünschenswerte“ Ziele, die implizit in den Problemschilderungen mitschwingen, bedacht werden. Diese können beispielsweise lauten: letztlich keinen Sex haben zu wollen; ihn „hinzunehmen“, wie er ist; Sex aus der Partnerschaft auszulagern; in keinen Ausverhandlungsprozess mit der Partnerin oder dem Partner gelangen zu wollen; erotische Bedürfnisse aufzugeben; etc. Daher ist das Hauptziel der psychotherapeutischen Arbeit, Klientinnen und Klienten darin zu unterstützen, Entscheidungen im Bewusstsein der Konsequenzen treffen zu können. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit einer Entscheidung zur Nichtveränderung. 3.3.3.4. Ressourcenorientierung Entlang der Ressourcenorientierung der Psychodrama-Psychotherapie richtet sich die Arbeit hauptsächlich auf das erotische Potenzial, sexuelle Phantasien und Wünsche sowie auf die erotischen Fähigkeiten und die freie Wahl eines Menschen. Damit liegt das Augenmerk auf der Exploration und Bewusstwerdung des individuellen erotischen 13 Der zweite Aspekt, derjenige der Personenneutralität, ist im Monodrama im Unterschied zu einer Paartherapie nicht so streng zu sehen. Eine gewisse Parteilichkeit gegenüber den Anliegen der Klientin bzw. des Klienten in einer Einzeltherapie gilt als wünschenswert. 67 Profils von Klientinnen und Klienten, um schließlich ein Verlassen von rigiden Rollenkonserven bzw. eine Erweiterung des erotischen Rollenrepertoires zu ermöglichen. 3.3.2. gleichgeschlechtliche oder gegengeschlechtliche therapeutische Beziehung Schigl (2012) hat sich ausführlich mit der Frage beschäftigt, welche Rolle die Geschlechtszugehörigkeit in psychotherapeutischen Prozessen spielt. Folgt man ihren Ausführungen, bevorzugen Menschen anscheinend ein gleichgeschlechtliches Gegenüber, wenn es um sexuelle Probleme geht. Dies deckt sich mit meinen Erfahrungen in der psychotherapeutischen Praxis. Zusätzlich lässt sich Folgendes feststellen: Männer stellen sich eher auch mit einem explizit sexuellen Problem vor – sei es, dass es sich um eine sexuelle Funktions- oder Appetenzstörung handelt, sei es, dass es um den Umgang mit Erotik in der Partnerschaft geht. Frauen hingegen schildern eher Paarbeziehungsprobleme, die die erotische Dimension aber einschließen. Ob dies bei einer weiblichen Psychotherapeutin umgekehrt wäre, müsste noch untersucht werden. Denn nach Schigls Beschreibung scheint es sich um eine allgemeine Tendenz zu handeln. So schreibt sie: „Klientinnen thematisieren zwar Beziehungsprobleme, Sexualität aber oft nicht von sich aus; Klienten tun sich leichter, Sexualität anzusprechen; sie bagatellisieren eher problematische Aspekte von Beziehungen“ (Schigl, 2012, S.109). Sexualität ist durch geschlechtsspezifische Normierungen bei Männern und Frauen auf unterschiedliche Weise tabuisiert. Dies wirkt sich besonders stark im gegengeschlechtlichen Kontext aus: Für männliche Psychotherapeuten ist in der gegengeschlechtlichen Dyade das Sprechen über körpernahe Themen wie das Feuchtwerden der Scheide oder über Selbstbefriedigung schwieriger. Daher habe ich aus Rücksichtnahme auf Schamgefühle Interventionen, die die körperliche erotische Lust betreffen oder einen Rollenwechsel in Vulva oder Vagina bisher nicht durchgeführt. Interventionen, die die psychischen, sozialen und transzendenten Anteile der sexuellen 68 Rolle, in denen es um Wünsche, Vorstellungen, Bedeutungen, Identitätsaspekte und vor allem um die Einbettung der Erotik in Beziehungen geht, funktionieren hingegen gut. Bei Männern sind vor allem das Nachlassen der erotischen Potenz sowie ein vorzeitiger Samenerguss mit viel Scham verbunden; widerspricht dies doch der heteronormen Vorstellung und häufigen Selbstzuschreibung, ein Mann müsse immer wollen und vor allem „können“. Mit Männern in der gleichgeschlechtlichen Dyade sind körperbetonte Interventionen, das Thematisieren von sexuellen Praktiken und Techniken oder auch der Rollenwechsel in den Penis selbstverständlicher möglich. Sowohl Klient als auch Psychotherapeut sind scheinbar weniger befangen (vgl. Schigl, 2012, S.112, S.148). 3.3.3. Das Etablieren einer geeigneten Sprache Sexuelle Handlungen sind in erster Linie auf den Körper bezogene Handlungen. Im sexuellen Kontext wird über Mimik und Gestik ebenso ausverhandelt wie über körperliche Annäherung oder Distanzierung. Diese „Körpersprache“ stellt für viele Menschen eine hohe Kompetenz dar, von der ein besonderer Reiz ausgeht. Beim Flirten zum Beispiel ist oft das, was „nur mit den Augen gesagt wird“ bedeutsamer als das, was mit Worten ausgedrückt wird. Während also das Ausdrücken und Decodieren der „Körpersprache“ in erotischen Situationen eine hohe Kompetenz darstellt, wird es schwierig, wenn eine adäquate Sprachfähigkeit nötig ist: Worte werden zum Beispiel gebraucht, um Bedürfnisse, Phantasien und Wünsche anzusprechen sowie um Missverständnisse und Schwierigkeiten auszuräumen. Nicht zuletzt brauchen wir in der psychotherapeutischen Arbeit eine Sprache. Leider haben jahrhundertelange Tabuisierungen dazu beigetragen, dass kaum geeignetes Vokabular zur Verfügung steht. Zur Auswahl stehen (vgl. Buddeberg, 2005, S.58ff.): a) eine Fachsprache, die nüchtern, distanziert, medizinisch und teilweise unverständlich ist – man denke an Wörter wie Penis, Vulva, Klitoris, Geschlechtsverkehr, Koitus, Lubrikation, Erektion, Ejakulation 69 b) eine lieblich-blumig-verschleiernde Sprache: miteinander ins Bett gehen, miteinander schlafen, Liebe machen; entsprechende Wörter für Geschlechtsorgane wirken heute eher skurril: z.B. Luststab, das beste Stück, das Schmuckkästchen, der Schmetterling c) eine mehr oder weniger vulgäre Sprache: ficken, vögeln, bumsen, schnackseln, budern, blasen, lecken oder Schwanz, Muschi, Fotze, Beidl d) eine Kindersprache: z.B. „Spatzi“. Für die weiblichen Geschlechtsorgane stehen keine allgemein verständlichen Begriffe zur Verfügung, sie werden fast ausschließlich nur innerhalb einer Familie verwendet. e) die Alltagssprache, eine Sprache, die auf Neutralität und Verständlichkeit abzielt (vgl. Buddeberg, 2005, S.60): hierbei werden Begriffe wie die Pille, Regel, Hintern, Popo, etc. verwendet. Ausdrücke für Geschlechtsorgane oder Sex sind dagegen rar. Am ehesten können noch Scheide, Glied, Penis und „Sex haben“ verwendet werden. Aus meiner Sicht fungieren hier Psychotherapeutinnen und -therapeuten vorwiegend als Rollenvorbilder. Hilfreich ist eine Mischung aus Wörtern der Fach-, der Alltags- und der lieblich-blumig-verschleiernden Sprache, während Ausdrücke aus der Vulgärsprache nur besonderen Szenen, wo die Sprache eine bestimmte Atmosphäre ausdrückt, vorbehalten sein sollte. Claus Buddeberg betont, dass eine sprachliche Flexibilität für die Sexualberatung (und in logischer Konsequenz für die Psychotherapie) eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Bearbeitung sexueller Themen ist (vgl. ibid., S.60). Eine sprachliche Flexibilität drückt sich allerdings nicht nur in der Fähigkeit aus, verschiedene Sprachniveaus verwenden zu können. Eine sexualitätsbezogene Sprache kann potenziell enttabuisieren, aber auch potenziell Grenzen überschreiten. Daher hat sie eine Enttabuisierung unter Berücksichtigung von Scham- und Intimitätsgrenzen zum Ziel. Sie achtet auf eine sprachliche Abstimmung in der psychotherapeutischen Beziehung, berücksichtigt die sprachlichen Fähigkeiten sowie die Lage der Klientinnen und Klienten und ist situationsabhängig. Nicht zuletzt drücken sich in der Sprache auch 70 die Haltung zu Sexualität und der individuelle Stil der Psychotherapeutin bzw. des Psychotherapeuten aus. Ich vermute, dass das Fehlen einer passenden Sprache einer der Hauptgründe ist, warum Menschen in psychotherapeutischen Kontexten sexuelle Themen umgehen. Daher ist es auch verständlich, dass „die überwiegende Zahl der PatientInnen, die sexuelle Schwierigkeiten haben, […] ÄrztInnen [und PsychotherapeutInnen, Anm. d. Verf.] jedoch wegen anderer mehr oder weniger schwer wiegender Krankheiten [aufsuchen]. Sie erwähnen in ihren Beschwerdeschilderungen ihre sexuellen Probleme nicht. Hier muss die Initiative zu Fragen nach der Sexualität von den ÄrztInnen [und PsychotherapeutInnen, Anm. d. Verf.] ergriffen werden“ (ibid., S.68). „Darüber in einer angenehmen Atmosphäre reden können“ ist das häufigste positive Feedback von Jugendlichen im sexualpädagogischen Kontext. Ich bin davon überzeugt, dass dies auch für die psychotherapeutische Arbeit zutrifft. Wie mit Sprache umgegangen werden kann, soll anhand einiger Fallbeispiele illustriert werden. Da die Verwendung der Sprache im Wesentlichen für alle gilt, wird auf eine genaue Falldarstellung noch verzichtet. Alle Fälle werden im Kapitel 3.4. näher beschrieben. 3.3.3.1. Fragen nach einer Partnerschaft unter Berücksichtigung möglicher nichtheterosexueller Begehrensformen Üblicherweise sind im psychotherapeutischen Erstgespräch Fragen nach einer Partnerschaft die ersten, die die sexuelle Rolle berühren. Genau genommen berühren sie vor allem den Beziehungs- und den Identitätsaspekt der sexuellen Rolle (vgl. Kap. 2.1.2.). Fragen nach einer Partnerschaft sollten möglichst offen formuliert werden. Dies wäre beispielsweise möglich, indem man sich möglichst neutral nach einer Beziehung erkundigt, in etwa: „Leben Sie derzeit in einer Partnerschaft?“ Das Offenbaren einer nicht-heterosexuellen Partnerschaft ist aber regelmäßig mit Scham oder Angst vor Ablehnung verbunden. Eine Konkretisierung wirkt hier schwellenerniedrigend. Dies bedeutet beispielsweise, so lange aktiv von „Freundin oder Freund“ zu sprechen, bis die 71 Klientin bzw. der Klient dies korrigiert. Ich habe bisher noch nie erlebt, dass heterosexuelle Klientinnen und Klienten irritiert reagiert hätten. Nicht-heterosexuelle wissen aber das aktive Mitbedenken verschiedener Lebensstile zu schätzen. Auch erleichtert dies für Manche, eine Ambivalenz in der sexuellen Partnerorientierung ausdrücken zu können. Fallbeispiel Martina W.: Als ich Frau Martina W. danach frage, ob sie mit einer Frau oder mit einem Mann zusammen ist, ruft sie: „Genau das ist das Problem. Ich lebe zwar schon zwei Jahre mit meinem Freund zusammen, aber ich grüble ständig, ob ich nicht auch an Frauen interessiert sein könnte. (…)“ 3.3.3.2. Unterstützung der Klientinnen und Klienten bei der Entwicklung einer adäquaten sexualitätsbezogenen Sprache durch Konkretisierung Welches Sprachniveau verwendet wird, bestimmen Klientinnen und Klienten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gemeinsam und ist abhängig von individuellen Vorlieben, vom Stand des therapeutischen Prozesses und nicht zuletzt von den auf der Begegnungsbühne mittransportierten Gefühlen. Am Beginn einer Psychotherapie bin ich immer um eine möglichst neutrale Sprache bemüht, die verständlich und angenehm ist. Haben Klientinnen und Klienten Schwierigkeiten, passende Wörter zu finden, biete ich meine Unterstützung an. Fallbeispiel Michael N.: Herr Michael N. kommt wegen Erektionsstörungen in Psychotherapie. Sexualität ist damit bereits beim Erstgespräch Thema. Auf der Begegnungsbühne ist spürbar, dass das offene Ansprechen von sexuellen Inhalten schambesetzt ist. Daher benötigt er meine Hilfe, die ich ihm wie folgt anbiete: CH: „Vielen Menschen fällt es schwer, über Sexualität zu sprechen. Aber das bekommen wir schon hin. Ich werde Sie dabei unterstützen.“ 72 Fehlende Wörter werden von mir zur Verfügung gestellt. Dabei gilt eine Konkretisierung als entlastend (vgl. Clement, 2012). Zum Beispiel meint der Klient: MN: „Wir versuchen etwa drei bis vier Mal pro Woche Sex zu haben, aber es klappt nicht.“ CH: „Meinen Sie damit Vaginalsex, der nicht klappt?“ MN nickt. CH: „Und mit ´Nicht-Klappen´ meinen Sie, dass Sie Ihre Erektion verlieren?“ MN: „Ja.“ Mit der darauffolgenden Frage ziele ich auf die erotischen Fähigkeiten des Klienten ab: CH: „Aber es gibt ja nicht nur Vaginalsex, sondern auch andere sexuelle Spielarten wie Oralsex oder Streicheln von Penis und Scheide14. Klappt es da?“ MN: „Ja, da hab ich gar kein Problem.“ Eine immer konkretere und auch für den Klienten selbstverständlichere Exploration gelingt. 3.3.3.3. Konkretisierungen unter Berücksichtigung von Intimitätsgrenzen Wie konkret nach Sexualität gefragt wird, kann auch abhängig davon sein, in welcher Beziehungsphase die Klientin bzw. der Klient ist. Manchmal bietet sich eher an, auf einer Ebene zu sprechen, die möglichst vage ist und der Klientin bzw. dem Klienten die Möglichkeit einer Grenzziehung erleichtert. Dies soll auch meinen Respektabstand zum Ausdruck bringen. Fallbeispiel Maria F.: Frau Maria F. ist bereits seit einiger Zeit bei mir in Psychotherapie. Derzeit kristallisiert sich ein Arbeitskollege als möglicher Partner heraus, die Klientin ist aber noch ambivalent, ob er für sie ernsthaft passen könnte. Es folgt ein wörtlicher Dialog zwischen der Klientin und mir: 14 Ich wähle bewusst nicht-penetrative sexuelle Praktiken, weil die Relevanz einer Erektion dabei geringer und für die Hypothesenbildung wichtig ist, ob eine Erektion überhaupt stattfindet. 73 MF: „Ich weiß noch nicht, wohin das führt, und ob ich ihn wirklich will.“ CH: „Ja, das weiß ich auch nicht, aber können Sie sich vorstellen, den Mann zum Beispiel zu küssen?“ Ich verwende in solchen Fällen immer „Küssen“, weil dies meistens der nächste mögliche Schritt wäre und weil damit kaum eine Grenzverletzung stattfindet, dennoch aber die erotische Rolle angesprochen wird. MF: „Ja, das schon. Aber ob ich mehr will?“ CH: „Dürfen Sie sich Zeit nehmen, das herauszufinden?“ (…) In der folgenden Sitzung erkundige ich mich nach dem Stand des Kennenlernens und verwende dabei wieder das Wort „Küssen“. MF: „Ich weiß, ich bin jetzt neugierig. Aber darf ich fragen, ob es zum Kuss gekommen ist?“ Mit diesem Satz soll die Zugangsberechtigung zur Intimität ausgehandelt werden. MF grinst: „Ja, mehr als das.“ CH: „Und darf ich fragen, ob es sich gut für Sie angefühlt hat?“ MF: „Ja, sehr sogar.“ Auf der Begegnungsbühne sind die Freude und die Aufregung der Klientin sehr stark zu spüren. Da davon ausgegangen werden kann, dass hier ohnedies eine hohe Spontanitätslage vorhanden ist, ist ein weiteres Nachfragen nach sexuellen Handlungen nicht ratsam und würde eher einem Eindringen in die Intimsphäre der Klientin entsprechen. 3.3.3.4. Die sprachliche Abstimmung in der psychotherapeutischen Beziehung Eine grundsätzliche Frage soll noch aufgeworfen werden: Sollen die sexuellen Ausdrücke der Klienten und Klientinnen übernommen werden oder sollen Psychotherapeutinnen und –therapeuten bei ihren Wörtern bleiben. Aus meiner Sicht gilt es hier zwischen der Arbeit auf der Begegnungsbühne und der Arbeit auf der SpielAktionsbühne zu differenzieren. Auf der Begegnungsbühne dürfen beide Seiten ihre Wörter, die für sie authentisch sind, verwenden, solange beide einander verstehen. Dies 74 kann beispielsweise mit der Arbeit mit Menschen, die in Mundart sprechen, verglichen werden. Ausnahmen mache ich dann, wenn mit einem Wort eine bestimmte Atmosphäre ausgedrückt wird. Dazu folgendes Beispiel: Fallbeispiel David K.: Der Klient konsumiert Pornofilme und ist sich nicht sicher, ob das moralisch in Ordnung ist. Er sagt Folgendes: DK: „Dann schau ich mir Pornos an und dann zupf ich halt ein bisschen an mir rum.“ CH: „Am Rumzupfen ist gar nichts auszusetzen, oder?“ Das Wort „Rumzupfen“ kann als Spielangebot betrachtet werden. Es bagatellisiert die Handlung und macht sie für den Klienten moralisch leichter erträglich. Daher bleibe auch ich bei diesem Wort. Auf der Spiel-Aktionsbühne verwende ich in der Regel die Ausdrücke der Klientinnen und Klienten. Das gilt vor allem für die psychodramatische Technik des Doppelns. 3.4. Erstkontakt und Erstgespräch 3.4.1. Unterschiedliche Medien der Kontaktaufnahme Mehrheitlich kommen Klientinnen und Klienten über Empfehlung in die Praxis, zum Teil auch über meine Homepage. Auf dieser scheint Sexualität als ein Arbeitsschwerpunkt auf. Daraus erklärt sich vermutlich, dass relativ viele Klientinnen und Klienten, die über sexuelle Probleme klagen, den Weg zu mir finden. Der Erstkontakt selbst findet entweder über E-Mail oder ein Telefonat statt. Besonders bei der Kontaktaufnahme über E-Mail hat der vermeintliche Schutz des Mediums eine hohe Bedeutung. Einige sind sofort bereit, sexuelle Probleme ausführlicher anzusprechen. Zusätzlich werden auch Informationen über die Erwartungshaltung an mich auf der Begegnungsbühne geäußert bzw. liefern E-Mails manchmal erste Hinweise für meine Gestaltung der therapeutischen Rolle. 75 Fallbeispiel Michael N.: Neben Name und Alter (26) werden in dieser Anfrage die Problemstellung, der Beziehungsstatus und die ersten Bewältigungsstrategien benannt: „Ich habe seit einiger Zeit Erektionsprobleme, das Thema ist zwischen mir und meiner Freundin keinesfalls ein Tabu. […] Ein Urologe meinte, ich solle es einfach mit Viagra oder Cialis versuchen. […] Die Medikamente hatten bei mir aber eher einen negativen als vereinfachenden Effekt. Ein weiterer Versuch war eine Cranio-Sakral-Therapie, welche ich aber (vielleicht zu schnell) wieder aufgegeben habe.“ Daraus lassen sich folgende Erkenntnisse gewinnen: Ein Urologe wurde bereits aufgesucht. Es ist anzunehmen (und beim Erstgespräch zu erfragen), dass keine organischen Ursachen die Erektionsstörungen (mit)verursachen sowie, dass Therapien, die hauptsächlich den somatischen Anteil der erotischen Rolle in den Fokus nehmen, bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Fallbeispiel David K.: Der Klient stellt in seinem E-Mail in den Vordergrund, dass er unter beruflichem Stress leidet und sich zunehmend durch Phobien „(hier das Stichwort Ihrer Praxis: Aidsphobie)“ beeinträchtigt fühlt. In diesem Fall liegt der Schwerpunkt der Problemschilderung im Bereich Phobie, nicht Sexualität. Der Begriff „AIDS-Phobie“ liefert allerdings den Hinweis, dass das Sexualleben beeinflusst sein könnte.15 15 Diese Hypothese gilt es zu überprüfen. In einem aktuellen Fall zeigt sich die AIDS-Phobie nicht im sexuellen Erleben mit der Partnerin, sondern als Angst vor Ansteckung durch Blut, welches auf Zigaretten, auf Gläsern, auf der Toilette oder sonst irgendwo sein könnte. Der Klient zeigt daher auch völlig andere Vermeidungsstrategien: Beispielsweise muss er darauf achten, dass sein Badetuch nicht die Klobrille neben seiner Dusche berührt, bevor er sich im Intimbereich abtrocknet. Das Glas Wasser, das ich ihm anbiete, blieb bisher unberührt. 76 Fallbeispiel Julian A.: In diesem Fall stellte der Vater des Klienten den Erstkontakt für eine mögliche Psychotherapie her, ohne ein Anliegen des Sohnes zu nennen. Da ich vermutete, dass es sich um ein Kind handelt, fragte ich nach, wie alt der Sohn sei und mit welchem Anliegen er zu mir kommen wolle, worauf der Vater antwortete: „[…] Mein Sohn wird demnächst 18 Jahre alt. Daher möchte ich nicht meine Gedanken zu seinen Problemen äußern. Falls das aber von Bedeutung sein sollte, würde ich dies schon tun.“ Wichtige Informationen sind in diesem E-Mail enthalten. Der Sohn benötigt noch Unterstützung durch einen Erwachsenen. Sein Vater scheint eine wesentliche Vertrauensperson zu sein, der offenbar auch eine Sensibilität für die Privatsphäre des Sohnes hat. Für mich bedeutet das, meine therapeutische Rolle so anzulegen, dass sie unterstützend, aber auch selbstermächtigend ist. Da „die Gewissheit der Autorschaft eigener Handlungen“ (Burmeister, 2004, S.86) für Menschen im Psychodrama eine wesentliche basale Rollenkompetenz darstellt, war es mir ein Anliegen, den Sohn zu ermutigen, sich selbst bei mir zu melden. Dieser schildert etwa zwei Monate später per E-Mail sein Problem folgendermaßen: „Ich habe seit 5 Monaten eine Freundin und am Anfang war im Bett alles in Ordnung. Doch als meine Oma starb, ging es bei mir einfach nicht mehr. Ich habe keine Erektion mehr bekommen. Ich war danach mehrmals beim Urologen und er meint, es ist ein psychisches Problem und er gibt mir 1 Viagra Tablette. Danach war wieder alles gut bis vor 2 Wochen. Es war genau gleich, und mein Papa meint, dass es nicht an meiner Oma gelegen hat, sondern weil meine Freundin sehr sehr reich ist und mir das unangenehm war, weil ich sie als "was Besseres" empfand. Ich bin 18 Jahre und sehr sportlich, trinke nicht oft Alkohol und ernähre mich gut.“ Dieses E-Mail enthält einen weiteren Hinweis auf die Art der Vater-Sohn-Beziehung: Bringt der Sohn seine Erektionsstörungen mit dem Tod der Großmutter in Zusammenhang, so hinterfragt der Vater die Liebesbeziehung des Sohnes. Das 77 bedeutet für mich, eine vermutlich vaterähnliche Position einnehmen zu müssen und den Klienten dabei zu unterstützen, sich ein wenig zu emanzipieren. Im Unterschied zu E-Mails kann bei einem Telefonat nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Privatsphäre der Klientin bzw. des Klienten in ähnlichem Ausmaß geschützt ist. Es ist möglich, dass mein Rückruf zu einem für die Klientinnen und Klienten ungünstigen Zeitpunkt erfolgt. Daher frage ich immer erst nach, ob der Zeitpunkt für ein kurzes Telefonat günstig ist, um danach eine „Überschrift“ für das Anliegen zu erbitten. Mit diesem ersten Auftrag gehen Menschen sehr unterschiedlich um und geben damit erste Hinweise auf die Gestaltung der Begegnungsbühne: Erhalte ich auf Anfrage Sätze wie: „Es geht um Sexualität“ oder noch verschleiernder: „Es geht darum, was auf Ihrer Homepage steht“, liefert dies möglicherweise Hinweise, dass das Thema „Sexualität“ eher tabuisiert ist. Andere Klientinnen und Klienten schütten ihr Herz aus und wollen das Telefonat als erste Entlastung ihrer Problemlage nützen.16 3.4.2. Anliegen rund um Sexualität als Vorstellungsgrund Auf Grundlage des Erstkontakts gestalte ich das Erstgespräch unterschiedlich, je nachdem, ob und wie sexuelle Anliegen bereits beim Erstkontakt zur Sprache kamen. Insbesondere die Frage, ob und wann eine Sexualanamnese sinnvoll ist, ist für mich von Belang. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich die Fallbeispiele entlang der Problemdarstellungen in verschiedene Gruppen einteilen. 3.4.1.1. Sexuelle Funktionsstörungen Die erste Gruppe umfasst Klienten – ausschließlich Männer – die über sexuelle Funktionsstörungen klagen. Sie sind nach dem ICD-10 in der Gruppe F52 (sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit) zu diagnostizieren. 16 Aufgrund Erfahrungen in der Telefonberatung rufe ich immer zu einem Zeitpunkt zurück, zu dem ich ungestört telefonieren und ausreichend Zeit zur Verfügung stellen kann. Ein Telefonat bietet bereits die erste Chance für einen Beziehungs- und Vertrauensaufbau. 78 Bei diesen Klienten ist eine Sexualanamnese beim Vorstellungsgespräch sinnvoll und auch einfach durchzuführen, weil dies für sie von vorrangigem Interesse ist. Auf der Begegnungsbühne wird mir in der Regel zuerst die Rolle des Experten zugeschrieben. Diese Rolle hat für beide den Vorteil einer gewissen Distanz. Distanz kann gerade zu Anfang einer psychotherapeutischen Beziehung einen guten Schutz bei sexuellen Themen bieten. Zusätzlich blitzen meist noch andere Beziehungsangebote auf, die ich in den einzelnen Fallbeschreibungen darstellen möchte. Bei der Sexualanamnese gilt es unter anderem zu explorieren, ob die Funktionsstörung primär vorhanden war oder sekundär entstanden ist, sich auf bestimmte Situationen bezieht oder situationsunabhängig besteht, sich nur mit der Partnerin bzw. dem Partner aktualisiert oder partnerunabhängig ist (vgl. Hanel, 2003, S.8). Das wesentliche Kriterium ist aber der Leidensdruck. Es gibt gar nicht wenige Menschen, die Symptome beschreiben, die einer sexuellen Funktionsstörung entsprechen, sich jedoch keineswegs in ihrer sexuellen Zufriedenheit beeinträchtigt fühlen (vgl. Buddeberg, 2005, S.67). Es darf nicht vergessen werden, dass es möglicherweise eine organische (Mit)ursache gibt! Dies gilt es, abklären zu lassen. In den meisten Fällen wurde aber bereits eine körperliche Untersuchung durch eine Ärztin oder einen Arzt durchgeführt. Folgende Fälle habe ich ausgewählt: Fallbeispiel Marco R.: Herr Marco R. (34) kommt mit folgendem Anliegen in meine Praxis: Er leidet darunter, nicht mit einem Partner zum Orgasmus kommen zu können, während dies bei der Selbstbefriedigung leicht möglich ist. Derzeit lebt er als Single und würde dies gerne vor einer eventuellen neuen Beziehung durcharbeiten. Er definiert sich als ausschließlich gleichgeschlechtlich empfindend, grenzt sich aber deutlich von der schwulen Szene ab: „Sie wollen nur Sex. Es ist schwer jemanden für eine Partnerschaft zu finden.“ Besonders auffällig ist die Selbstbeschreibung als guter Liebhaber, der gerne die Wünsche des Gegenübers erfüllt, sowie sein Mangel an Zorn auf den Ex-Partner, dessen Trennungsgrund („die Liebe verfliegt“) für ihn nachvollziehbar war, und er daher mit großem Verständnis reagierte. 79 Auf der Begegnungsbühne erlebe ich den Klienten als sehr überlegt und bemüht, politisch korrekt zu sein sowie niemandem gegenüber Aggressionen zuzulassen. Er erscheint mir sehr kompetent darin, sich in das Gegenüber einzufühlen. Das wirft aber die Frage der Achtsamkeit für eigene Wünsche und Bedürfnisse auf, die er vermutlich bei der Selbstbefriedigung in der Phantasie ausleben kann. Das Vorurteil gegenüber der schwulen Szene lässt zumindest die Idee zu, dass hier eine internalisierte Homophobie eine Rolle spielen könnte. Fallbeispiel Michael N.: Der Klient hat mir bereits per E-Mail von seinen Erektionsproblemen berichtet. Nach Fragen zu seiner derzeitigen beruflichen und privaten Lebenssituation schildert er die Entwicklung seiner Erektionsstörung folgendermaßen: „Zu Beginn des Studiums bin ich häufig mit dem Rad gefahren. Das hat zu einem Taubheitsgefühl meines Penis geführt. Ab da fühlte sich Selbstbefriedigung komisch an.“ Er beschreibt sich Frauen gegenüber als schüchtern, hat vor seiner jetzigen Freundin noch keine Erfahrungen mit Vaginalverkehr gesammelt und meint, „mir fehlt die Erregung von innen“. Trotz der Beteuerung, dass diese Problematik kein Tabu in der Partnerschaft darstellt, erwähnt er einen bemerkenswerten Satz seiner Freundin: „Vielleicht brauchst du eine andere Frau?“ Ich gehe davon aus, dass dies implizit den Erfolgsdruck erhöht. Das könnte ein Grund dafür sein, dass sie etwa vier Mal pro Woche versuchen, Vaginalsex miteinander zu haben. Auf der Begegnungsbühne fällt auf, dass es ihm sichtlich Mühe bereitet, über seine Sexualität zu sprechen. Viel Scham ist spürbar, die mich dazu auffordert, vorsichtig und langsam vorzugehen und ihn bei der Wortfindung zu unterstützen. Außerdem gilt es, die Lust in den Vordergrund zu rücken (bzw. sie zu finden). Wichtig für die Therapieplanung ist der Umstand, dass diese Erektionsstörung eine primäre Störung ist, korrigierende Erfahrungen erstmalige Erfahrungen wären. 80 Fallbeispiel Julian A.: Auch Herr Julian A. spricht von Erektionsstörungen, jedoch schildert er die Problematik völlig anders: Er ist mit seiner Freundin seit fünf Monaten zusammen. Unter dem Einfluss des Todes seiner Großmutter entwickelte er Erektionsschwierigkeiten, die nur kurzfristig von seiner Freundin toleriert wurden. „Sie hat dann bald sauer reagiert.“ Die Problemschilderung kreist bald auch darum, dass er große Angst vor seinem Versagen („Schlappmachen“) hat und formuliert als Therapieziel, mehr Selbstvertrauen zu gewinnen und die Angst, „dass die Beziehung kaputt geht“, zu überwinden. Auf der Begegnungsbühne begegnet mir ein sehr junger Mann, der gerade seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einer Partnerin sammelt, die selbst noch kaum Erfahrungen hat. Daher wird in mir vor allem eine wohlwollend unterstützende Rolle aktiviert, die mich an meine Rolle als großer Bruder erinnert. Beruflich erinnert sie mich an eine vielfach eingenommene: als Sexualberater bei „Herzklopfen“17. Für die Therapieplanung ist außerdem von Bedeutung, dass die Erektionsstörung erst sekundär und nur fallweise auftaucht. Frauen mit sexuellen Funktionsstörungen, beispielsweise einem nicht-organischen Vaginismus, mangelnder Feuchtigkeit der Scheide oder Schmerzen beim Vaginalverkehr, haben bisher den Weg zu mir nicht gefunden. Der Hauptgrund wird wahrscheinlich darin liegen, dass Frauen mit sexuellen Funktionsstörungen eher Psychotherapeutinnen wählen. Nur im Kontext einer Paartherapie konnte ich auch mit einer Frau, die unter einer Luststörung litt, zusammenarbeiten. 3.4.1.2. psychische und körperliche Erkrankungen, die das Sexualleben beeinflussen Die zweite Gruppe von Fallgeschichten umfasst solche, deren Krankheiten und Probleme einen negativen Einfluss auf das Sexualleben haben, nicht aber das 17 Die Online- und Telefonberatungsstelle „Herzklopfen“ bietet Beratungen zu sexuellen Themen für Jugendliche und junge Erwachsene an. 81 Sexualleben primär Störungen aufweist. Eine ähnlich ausführliche Sexualanamnese wie in der ersten Klientengruppe ist daher meist nicht nötig. Psychische und physische Erkrankungen können immer wieder Auswirkungen auf das Sexualleben haben. Häufig sind sexuelle Probleme inklusive sexueller Funktionsstörungen Begleiterscheinungen depressiver Symptomatik (vgl. Fürst & Krall, 2012, S.30). Clement weist darauf hin, dass einer Studie zufolge, bei der USamerikanische Männer beforscht wurden, 42% ein reduziertes, 9% hingegen ein gesteigertes sexuelles Interesse zeigen (vgl. Bancroft et al. zit. nach Clement, 2011, S.49). Für Männer, die unter Angst/ Stress leiden, sind die Ergebnisse noch beeindruckender: „Die entsprechenden Zahlen lagen bei 28% und 21%“ (ibid.). Es scheint so, als ob gelebte Sexualität oft eine Kompensationsfunktion übernimmt (vgl. Kap. 2.1.2.5.). Clement spricht in diesen Fällen vom „Begehren aus der Leere“ (ibid.). Sexuelle Symptome weisen manchmal auch erst auf zugrundeliegende psychische Erkrankungen hin, wie Buddeberg anmerkt (Buddeberg, 2005, S.42). Seiner Meinung nach besonders schwierig zu erkennen „sind Persönlichkeitsstörungen, die sich bei Erwachsenen der Durchschnittsbevölkerung in einer Häufigkeit von 10% (Punktprävalenz in repräsentativen Studien) finden“ (ibid.). An dieser Stelle sei auf den Artikel von Hintermeier verwiesen, der sich mit den sexuellen Besonderheiten und Schwierigkeiten von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen auseinandersetzt (Hintermeier, 2012, S.71ff.). Dass Psychopharmaka sowohl die sexuelle Appetenz als auch die sexuelle Erregungsfähigkeit negativ beeinflussen können, ist hinlänglich bekannt (vgl. Egger zit. nach Fürst & Krall, 2012, S.30). Aber auch andere Medikamente wie Bluthochdruckmittel – oder für diese Arbeit besonders interessant – hormonelle Verhütungsmittel können einen lustmindernden Effekt haben. Dass Schmerzen, (chronische) körperliche Erkrankungen, Operationen im Genitalbereich, etc. sich auf die Sexualität auswirken können, ist einleuchtend und verlangt eine gute Kooperation mit Ärztinnen und Ärzten. 82 In dieser Masterthese wird nur auf eine körperliche Erkrankung eingegangen, nämlich auf die HIV-Infektion. Das Besondere bei HIV-Infizierten liegt darin, dass körperliche Symptome praktisch nicht vorkommen, solange die manifeste Erkrankung AIDS nicht ausgebrochen ist. Auf die gelebte Sexualität hingegen hat diese Infektion immer Auswirkungen, nicht zuletzt durch große Ängste in der Gesellschaft. Fallbeispiel Daniel H.: Herr Daniel H. (31) befindet sich in einer Krisensituation. Vor drei Wochen wurde eine HIV-Infektion bekannt, die verschiedenartige Ängste auslöst: Zukunfts- und Existenzängste, die auf früheren Panikattacken aufsitzen. In Bezug auf Sexualität überschattet diese Diagnose eine Beziehungsanbahnung mit einem jüngeren Mann und wirft Fragen zur Lebbarkeit von Sexualität auf. Die eigene Sexualität ist auch beeinflusst von Schwierigkeiten, zu einem Orgasmus zu kommen, gelegentlichen Erektionsproblemen sowie „selbstzerstörerische Tendenzen, die sich in einer Suche nach Kicks zeigen“. Sexualanamnestisch berichtet er von früher starkem Pornographiekonsum, wobei immer härteres Material zur Lustgewinnung eingesetzt werden musste. Auf der Begegnungsbühne erlebe ich einen stark von Ängsten und Zweifeln geschüttelten Mann, der sich in einer heftigen Krise befindet, die sein gesamtes Leben zu verändern droht. Dies aktiviert in mir eine komplementäre Rolle: Überlegt, ruhig, strukturierend, Halt gebend. Es ist vorerst ein „Krisenmanagement“ angesagt. Daher bin ich in erster Linie dazu aufgefordert, mit ihm stark ressourcenorientiert zu arbeiten und diejenigen Personen aus seinem sozialen Atom zu identifizieren, die ihn momentan am meisten unterstützen können. Wie stark die gesellschaftlichen Ängste das Individuum beeinflussen können, zeigt folgendes Beispiel: Fallbeispiel David K.: Herr David K. (29) entwickelte eine AIDS-Phobie nach einem sexuellen Kontakt mit einer legalen Sexarbeiterin. Obwohl er ein Kondom verwendete, kreisen in ihm Gedanken, sich mit HIV oder anderen sexuell übertragbaren Infektionen angesteckt zu 83 haben. Wiederholte HIV-Virus- und Antikörpertests18 ebenso wie Abstriche aus der Harnröhre ergaben keinerlei Nachweis für Infektionen. Dennoch leidet er unter gelegentlichem Jucken und ähnlicher unspezifischer Symptome im Genitalbereich, die seine Ängste auslösen und ihn veranlassen, regelmäßig Urologen, Dermatologen und andere medizinische Experten aufzusuchen. Eine Trennung von der Partnerin war die Folge seines „Abenteuers“. Mit dieser gibt es nun wieder eine Annäherung, wobei er Sex aus Sorge sie anzustecken, tendenziell meidet und wenig Genuss dabei erlebt. Auf der Begegnungsbühne erlebe ich einen Mann, der trotz der Schwere der Angstsymptome eine humoristische, selbstironische Leichtigkeit in seinen Schilderungen durchblitzen lässt. Humor scheint eine gute Ressource zu sein. Dennoch spüre ich deutlich hinter diesem Humor die Angst, von mir als unmoralisch bewertet und verurteilt zu werden. Die Rolle, die er mir auf der Begegnungsbühne anbietet, ist die Rolle eines Richters. 3.4.1.3. Die sexuelle Identität19 und ihr Einfluss auf die gelebte Sexualität Diese Gruppe von Fallgeschichten bezieht sich vorrangig auf die sexuelle Identität. Im Wesentlichen geht es um die Frage, sich als Frau bzw. Mann begehrt zu fühlen sowie um die Frage, an wen sich das eigene Begehren richtet. Begehren und Begehrtwerden sind wichtige identitätsstiftende Elemente. Sie müssen zumindest in einer grundsätzlichen erotischen Würdigung ihren Ausdruck finden (was in einer Partnerschaft auch unabhängig von sexuellen Handlungen stattfinden kann). 18 Auszuschließen per Gesetz ist eine HIV-Infektion erst durch den Nachweis eines negativen HIVAntikörpertests, welcher drei Monate nach einer fraglichen Exposition als sicher gilt. 19 „Sexuelle Identität“ wird in diesem Abschnitt als ein grundlegendes Selbstverständnis der Menschen begriffen, wie sie sich als geschlechtliche Wesen wahrnehmen und wahrgenommen werden (vgl. Kap. 2.1.1.). Begehren und Begehrtwerden sind dabei zentral und führen zu einer Aufwertung und Bestätigung der eigenen Weiblichkeit bzw. Männlichkeit. Sie können im gleich- und/ oder gegengeschlechtlichen Kontext erfolgen (vgl. Kap. 2.1.2.3.). Diese Masterthese befasst sich nicht mit der Behandlung von Transgender- und Intersex-Personen, obwohl diese Personengruppen wesentliche Fragen im Bereich der sexuellen Identität aufwerfen. 84 Fallbeispiel Anna G.: Frau Anna G. (42) erlebt sich mitten in einer Lebenskrise. Sie zeigt ausgeprägte depressive Symptome und berichtet von Suizidgedanken, kann aber wesentliche soziale Rollen, wie die Rolle der Mutter und der Arbeitenden erfüllen. Besonders die Arbeit, sagt sie, gibt ihr Halt und Struktur. Derzeit befindet sie sich in einer Trennungsphase von ihrem Ehemann, mit dem sie 15 Jahre lang zusammen war und ein gemeinsames Kind hat. Grund für die Trennung war die Begegnung mit einem Mann, in den sie sich verliebte und mit dem sie eine Affäre begann. Die Partnerschaft beschreibt sie als „geschwisterlich: Er wollte kaum noch Sex, obwohl ich das Thema Sexualität immer wieder angesprochen habe. Ich habe mich nicht mehr begehrt gefühlt“. Vor drei Monaten ist sie aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, erlebte dies zuerst als Befreiung, fühlt sich aber jetzt einsam. Dass ihr Ehemann nun eine neue Freundin hat, kränkt sie aus zwei Gründen sehr: Er habe nicht um sie gekämpft und sich zu schnell auf eine neue (jüngere) Frau eingelassen. Aus Vernunftgründen, wie sie sagt, hat sie eben die Affäre beendet, um der Partnerschaft noch eine Chance zu geben. Auf der Begegnungsbühne erlebe ich eine hochambivalente Frau mittleren Alters. Das Ringen um ein Begehrtwerden zeigt sich zwischen uns kaum. Allerdings behalte ich im Hinterkopf, dass eine erotische Würdigung ihrer Person unter Umständen nötig sein wird. Wichtig für den Therapieverlauf wird es sein, das eigene Wollen in den Vordergrund zu rücken und weniger das Begehren, begehrt zu werden. Die beiden folgenden Fälle beziehen sich auf Unklarheiten in der sexuellen Partnerorientierung. Fallbeispiel Robert S.: Herr Robert S. (40) ist verunsichert wegen seiner sexuellen Partnerorientierung und meint, dass er immer weniger Lebensqualität spürt. Er sei so eingenommen von der Frage, wer er sei, dass er immer weniger Interesse an beruflichen oder privaten Tätigkeiten zeige. Er berichtet von einem beruflichen Burnout im vergangenen Jahr. Seinen momentanen Zustand erlebt er emotional ähnlich und spricht von einem Gefühl des „inneren Burnouts“. Er lebt seit 10 Jahren in einer gut funktionierenden, liebevollen Partnerschaft mit einer Frau, spürt aber seit einigen Jahren ein deutlich zunehmendes 85 Begehren, das sich auf Männer bezieht. Dies bedroht seine Partnerschaft. Sein Anliegen ist es, seine Identität neu zu definieren und zu einer Eindeutigkeit im sexuellen Begehren zu kommen. Außerdem fragt er sich, ob er seiner Freundin von seinen erotischen Wünschen erzählen soll. Auf der Begegnungsbühne spüre ich deutlich sein Verlangen, ihm zu bestätigen, eindeutig gegengeschlechtlich oder gleichgeschlechtlich zu empfinden. Ich merke sein Bedürfnis nach meiner Verantwortungsübernahme ähnlich eines Vaters oder eines Arztes. Diese Rolle übernehme ich in einer ersten Intervention zum Teil, indem ich versuche, seinen Druck, die homoerotischen Wünsche seiner Freundin gegenüber zu offenbaren, zu reduzieren: „Sie müssen ihrer Freundin nichts beichten. Zuerst ist es sinnvoll herauszufinden, was Sie wollen. Dafür braucht es vermutlich noch Zeit.“ Für die Therapieplanung wird bedeutsam sein, der Mehrdeutigkeit den Vorzug vor der Eindeutigkeit zu geben und dies aushalten zu lernen. Da der Klient nicht nur österreichische, sondern auch persische Wurzeln hat, gilt es, möglicherweise andere kulturelle Normen in Beziehungsangelegenheiten zu berücksichtigen. Fallbeispiel Martina W.: Vorstellig wird eine Klientin (23), die unter einer mittelgradigen Depression mit ausgeprägten Schlafstörungen, Ruhelosigkeit, Ängsten, Gedankenkreisen und Gewichtsverlust leidet. Sie klagt darüber, dass sie kaum aus dem Bett kommt, stundenlang weint und sich kaum zu etwas aufraffen kann. Die Gedanken kreisen um die permanente Frage, ob Frauen für sie auch sexuell interessant sein könnten. Seit zwei Jahren führt sie eine Partnerschaft mit einem Mann, mit dem sie auch zusammen wohnt. Er weiß vom Inhalt ihrer Gedanken, nimmt sie aber ebenso wenig ernst wie ihre Herkunftsfamilie. Auf der Begegnungsbühne sitzt mir eine junge Frau gegenüber, die verschüchtert und aufgewühlt wirkt. Mir drängt sich die Idee auf, sie leide unter Zwangsgedanken, was dazu verführt, den Inhalt ihrer Gedanken zu bagatellisieren. Im Laufe des Erstgesprächs teilt sie mir schließlich mit, dass ihre Psychiaterin eben diese Diagnose stellte. Für den Verlauf der Psychotherapie wird neben einem Aufbau des Selbstwerts und der 86 Reduktion des Gedankenkreisens vor allem wichtig sein, den möglichen Wunsch hinter ihren Gedanken herauszuarbeiten und sie darin ernst zu nehmen. 3.4.3. Wenn sexuelle Probleme kein Vorstellungsgrund sind In nahezu allen Psychotherapien greife ich das Thema Sexualität auf, weil die sexuelle Rolle eine dem Leben immanente Rolle darstellt, die alle betrifft, selbst wenn sie aktuell nicht gelebt wird. Knifflig dabei ist jedoch, dass Menschen üblicherweise eine Erlaubnis dafür suchen. Daher muss meistens das Angebot von der Psychotherapeutin bzw. dem Psychotherapeuten kommen. Hofer schlägt vor, dieses Angebot in der ersten oder zweiten Stunde zu machen (vgl. Hofer, 2013, S.54). Eine Möglichkeit bestünde darin, die Sexualanamnese zu einem fixen Bestandteil des Erstgesprächs zu erheben. Wenn dies überlegt wird, dann müsste man, folgt man Buddeberg, auch überlegen, wann ein geeigneter Zeitpunkt für entsprechende Fragen ist: „Fragen am Anfang der Anamnese können PatientInnen den Eindruck vermitteln, die Sexualität sei in Bezug auf Gesundheitsprobleme von vorrangiger Bedeutung. Fragen am Ende des Gesprächs können den Eindruck erwecken, [der Psychotherapeut bzw. die Psychotherapeutin, Anm. des Verf.] habe keine Zeit mehr, allfällige Fragen zu beantworten“ (Buddeberg, 2005, S.65). Buddeberg, Clement und Hofer sind sich dahingehend einig, dass nicht in erster Linie nach Störungen, sondern nach der sexuellen Zufriedenheit gefragt werden sollte. Hofer schlägt folgende Formulierung vor: „Darf ich Sie fragen, wie Sie ihre Sexualität leben? Sind Sie mit ihr, so wie sie ist, zufrieden oder eher unzufrieden?“ (Hofer, 2013, S.54). Damit verfolgt er ähnliche Ziele wie Clement, dem es außerdem ein Anliegen ist, die Selbstbestimmung der Klientinnen und Klienten zu fördern, indem er die Kontrolle über die Grenzen an diese abgibt. Er formuliert den Einstiegssatz ins Thema Sexualität etwa so: „Wir haben noch nicht über ihre Sexualität gesprochen. Darf ich Sie danach fragen?“ (vgl. Clement, 2012). Ziel dabei ist, erst die Zugangsberechtigung auszuhandeln. Eine Sexualanamnese in jedes Erstgespräch als selbstverständlichen Teil zu integrieren, ist eine Möglichkeit, aus meiner Sicht aber recht programmatisch. 87 Clement und Hofer verstehen sich (auch) als Sexualtherapeuten, Buddeberg leitet die sexualmedizinische Sprechstunde am Universitätsspital Zürich. Das bedeutet, dass der Rahmen der Sexualtherapie bzw. –beratung bereits im Vorhinein feststeht. Dass Fragen zu Sexualität gestellt werden, ist damit vermutlich bereits eine Vorannahme der Klientinnen und Klienten. Diese Rollenerwartung haben wahrscheinlich Wenige an Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, besonders nicht, wenn der Leidensdruck in anderen Lebensrollen zu spüren ist. Um daher an Informationen zu gelangen und zugleich nicht zu irritieren, müssen die Fragen anschlussfähig sein. Dafür gibt es einige Anknüpfungspunkte: beispielsweise eine Unzufriedenheit in der Partnerschaft oder mögliche Nebenwirkungen von Medikamenten. Ergeben sich keine Anknüpfungspunkte, verwende ich manchmal Schlüsselwörter, die Klientinnen und Klienten aufgreifen können oder auch nicht. Fallbeispiel Susanne L: Die Klientin (39) berichtet davon, dass ihr Partner sie verlassen hat und per E-Mail meinte, dass eine Liebesbeziehung für ihn derzeit nicht möglich ist. Sie leidet stark unter Liebeskummer und zieht sich sozial zurück, kann aber ihre Mutterrolle und auch ihre Arbeitsrolle einigermaßen aufrecht erhalten. Im Kontakt wirkt sie wenig affizierbar, ihr Sprachduktus ist für mich verwirrend. Es fällt mir schwer, ihren Erzählungen zu folgen. Eine Depression mit psychotischen Anteilen erscheint mir eine mögliche Hypothese. Auch Suizidalität lässt sich vorerst nicht ausschließen. In meiner Rolle als Psychotherapeut bin ich vor allem besorgt und bemühe mich, eine tragfähige Beziehungsbasis herzustellen. Den Rahmen von 5 Arbeitseinheiten gebe ich aus der Überlegung heraus, Struktur und Halt zu geben, vor. Damit übernehme vorerst ich die Verantwortung für den Beziehungsaufbau. Diese Zeit möchte ich nutzen, um abzuklären, ob psychiatrische Hilfe angezeigt ist oder nicht. Fragen nach Sexualität wären aus meiner Sicht in dieser Krisensituation völlig unangebracht, hat diese Frau doch gerade auch in diesem Bereich einen schweren Schlag erlitten. Die Themen Erotik und Sexualität tauchen aber in der dritten Stunde im Rahmen einer Arbeit am Aufstellungsbrett auf. Die Klientin ist ambivalent nach einem Treffen mit 88 ihrem Exfreund, der ihr zwiespältige Angebote macht. Die zu bearbeitende Frage lautet: Was spricht für, was gegen eine Partnerschaft mit diesem Mann? Für die Erotik wählt sie eine große rote Figur und meint: „Das Sexualleben wäre ohne ihn für mich besser.“ Auf der Begegnungsbühne sind damit die Themen Erotik, Sexualität und Intimität eröffnet, wenn mich der Satz auch überrascht. Bei diesem Satz zeigt sie erstmalig in der Therapie ein süffisantes, fast triumphierendes Lächeln. Fallbeispiel Maria F: Die Klientin (Mitte 20) berichtet von depressiven Phasen, die aus ihrer Sicht mit ihrer Familiengeschichte zusammenhängen. Derzeit fühlt sie sich bisweilen antriebslos, weinerlich, leidet unter Schlafstörungen und nutzt Alkohol, um einschlafen zu können. Sie befindet sich gerade in der Phase zwischen dem Ende des Studiums und dem Beginn des Berufslebens. Mit dem Berufseinstieg sind Ängste verbunden. Die Ferienzeit bedeutet aber auch einen Mangel an Tagesstruktur und einer sinnstiftenden Beschäftigung. Sie beschreibt Schwierigkeiten durch eine Bevormundung der Eltern, die im selben Mietshaus wohnen. Sie nimmt keine Medikamente und lebt als Single. Mir sitzt eine sehr attraktive, sympathische Frau gegenüber. Mir fällt auch auf, dass sie eine erotische Strahlkraft besitzt, und ich mich darüber wundere, dass sie keinen Freund bzw. keine Freundin hat. Auf der Begegnungsbühne merke ich, dass ich sie unterstützen möchte, sich zu emanzipieren und einen selbstbestimmten Weg zu finden. Obwohl der Wunsch sicher legitim ist, merke ich, dass ich aufpassen muss, nicht in die Rolle eines Retters zu kommen. Sexualität ist in dieser ersten Stunde noch kein (ausgesprochenes) Thema. Es bieten sich keine Anknüpfungspunkte für entsprechende Fragen an. In der 3. Therapieeinheit arbeiten die Klientin und ich zur Frage: „Was und wer unterstützt mich, meine Stimmung zu verbessern?“ Dabei ist meine Leitidee, nach und nach den Alkohol durch gesündere Strategien zu ersetzen. Unterstützung durch andere erarbeiten wir anhand des sozialen Atoms. Beim Gespräch über persönliche Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten verwende ich „Selbstbefriedigung“ als Schlüsselwort, ohne eine Frage damit zu 89 verbinden. Damit verfolge ich mehrere Ziele: Erstens eröffne ich damit die Themen Erotik und Sexualität in unserer Zusammenarbeit. Zweitens stelle ich Selbstbefriedigung als selbstverständliche Handlung dar, ohne von ihr zu erwarten, dass sie darüber spricht. Drittens dient ein Schlüsselwort als Annäherung an ein mögliches Tabuthema ohne grenzverletzend zu sein. Die Grenze setzt sie, indem sie selbst bestimmt, ob sie das Thema aufgreift oder nicht. In der darauffolgenden Stunde geht es um ihren Berufseinstieg als Lehrerin für Biologie. Sie ergreift nun das Thema „Sexualität“, indem sie über ihre Diplomarbeit spricht, welche Sexualpädagogik bei Jugendlichen behandelt. Sie wählt also einen Expertenaustausch vorrangig über Haltung und Werte. 3.5. Die Arbeit auf der Spielbühne In diesem Kapitel sollen verschiedene Möglichkeiten gezeigt werden, wie mit der sexuellen Rolle gearbeitet werden kann. Zuerst sollen Techniken beschrieben werden, wie erotische Aspekte externalisiert werden können. Das Darstellen des erotischen Ressourcogramms, der Erregungskurve oder die Arbeit auf dem Aufstellungsbrett verschaffen einerseits einen Überblick, andererseits aber auch die Möglichkeit einer Distanzierung: Sich einen Überblick zu verschaffen bedeutet auch eine innere Distanz zu erotischen Gefühlen zu ermöglichen. Danach folgen Beispiele für die Arbeit auf der psychodramatischen Spiel-Aktionsbühne. Explizite sexuelle Begegnungsszenen – Bettszenen, wie sie zum Beispiel Sabine Kistler (2015, S.24) beschreibt – sind Interventionen aus der Anfangszeit meiner psychotherapeutischen Arbeit und heute ausnahmslos durch die Arbeit auf der inneren Bühne ersetzt. 3.5.1. Das erotische Ressourcogramm Besonders für Klientinnen und Klienten, deren Blick auf das sexuelle Problem eingeengt ist, bietet es sich an, erotische Ressourcen und Fähigkeiten darzustellen. Dabei werden die Fragen stärker entlang des erotischen Genusses und weniger entlang des körperlichen Könnens gestellt. Schon Gelingendes wirkt meist sehr entlastend und reduziert die Angst und die Scham. 90 Fallbeispiel Michael N.: In der zweiten Einheit arbeiten wir mit den erotischen Ressourcen, wofür ich mir folgende Übung überlegt habe: Ich bitte den Klienten, drei konzentrisch angeordnete Ringe auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Im inneren Kreis werden explizite sexuelle Handlungen niedergeschrieben, die angenehm sind; im mittleren diejenigen, die mit Intimität verbunden und erregend sind; im äußeren die intimen Handlungen, die eher eine sinnliche, aber keine erregende Qualität besitzen. Der Klient schreibt folgende Handlungen nieder: Innerer Kreis, Zentrum (Sexuelles): Orale Befriedigung, Petting Mittlerer Kreis (Intimität, Erotik): Streicheln, Küssen, Schlafen Äußerer Kreis (Intimität, Zärtlichkeit): gemeinsames Baden und Duschen, Kopf kraulen, Hände halten, Kuscheln Eine besondere Handlung ist die Massage. Angeordnet im äußeren Kreis kann sie bis zum innersten Kreis führen. Dies stellt der Klient mit einem Pfeil dar. 3.5.2. Die Arbeit mit der Erregungskurve Eine weitere Möglichkeit des Externalisierens besteht darin, die Erregungskurve zu zeichnen und zu markieren, ab wann sexuelle Handlungen einsetzen. Dies hat sich insbesondere bei Männern bewährt, die wenig sexuelle Lust und/ oder wenig Vertrauen in ihr körperliches Können haben. So erzählen Männer manchmal, dass sie sich beim ersten Anzeichen von Erregung sofort selbstbefriedigen, um zu überprüfen, ob die Erektion stark genug ist. Auch im Paarkontext taucht dieses Phänomen auf. Fallbeispiel Michael N.: Herr N. zeichnet in einem Koordinatensystem seine Erregungskurve ein. Die x-Achse stellt dabei die Zeitachse, die y-Achse die Erregungsstärke dar. Im zweiten Schritt bitte ich ihn, einzuzeichnen, zu welchem Zeitpunkt üblicherweise sexuelle Paarhandlungen beginnen und welche dies sind. Er markiert einen Punkt ganz zu Beginn. Die sexuelle Erregung hat sich gerade spürbar gemacht, der Penis wird sogleich mit der Hand manipuliert. In der Reflexion darüber erkläre ich ihm den Begriff „Vorlust“ (vgl. Dorsch, 91 2014). Mit Vorlust ist gemeint, dass das Paar einander in sexuelle Stimmung bringt, indem es einander verführt, reizt, mit der Erregung spielt und körperliche sexuelle Handlungen vorerst nicht einbezieht, sondern dies offen lässt. Im inneren Rollenwechsel mit der Partnerin ist er sich sicher, dass sie das auch sehr vergnüglich fände. Die Arbeit mit der Erregungskurve kann auch zum Aufspüren von hemmenden Gefühlen und Gedanken verwendet werden. Dazu möchte ich folgendes Beispiel anführen: Fallbeispiel Marco R.: Der Klient kann nur bei der Selbstbefriedigung einen Orgasmus erreichen, nicht aber im Paarkontext. Daher lasse ich beide Erregungskurven zeichnen. Dabei zeigt sich, dass der Klient bei der Selbstbefriedigung einen gleichzeitigen Orgasmus phantasiert und dabei den sexuellen Höhepunkt erreicht. In der Erregungskurve im Paarkontext ist ihm wichtig, dass der Andere den Orgasmus erreicht. Sobald dies aber geschieht, taucht folgender Gedanke auf: „Jetzt muss ich auch kommen.“ Schlagartig steigt der Druck, wodurch die Erregung sinkt. 3.5.3. Die Arbeit mit Sinnaspekten Sexualität erfüllt immer einen Sinn. Dabei können unterschiedliche Sinnaspekte differenziert werden (vgl. Bedeutungszuschreibungen Kap. der 2.1.2.). Ich Klientinnen und erarbeite Klienten die gerne subjektiven mit dem Aufstellungsbrett. Folgendes Beispiel soll diese Möglichkeit illustrieren: Fallbeispiel Anna G.: In einer ersten Phase der Therapie geht es viel um die Würdigung der eigenen Person, die Steigerung des Selbstwerts und die Entwicklung von Selbstfürsorge. Die Entscheidung für den Expartner und Vater ihres Kindes oder für den Liebhaber wird immer wieder vertagt. Vor- und Nachteile werden abgewogen, eine dritte Möglichkeit, sich von beiden zu trennen und eine Zeit lang für sich zu sein, schlägt sie aus. Sie ringt um Eindeutigkeit, lebt aber real beide Beziehungen. Dabei pendelt sie in ihren Nähebedürfnissen zwischen beiden Männern. Die Männer jedoch kämpfen nur begrenzt 92 um sie. Der Expartner ist gekränkt und sagt, er könne sich vorerst einen Neuanfang der Partnerschaft nur unter bestimmten Auflagen vorstellen (unter anderem das Beenden der Affäre). Der Liebhaber wirft ihr vor, zu viel Sex zu wollen – etwas, das er in dieser Häufigkeit nicht braucht. Das Ziel, begehrt zu werden, erreicht sie vorerst nicht. Nach einem Urlaub mit ihrem Expartner, mit dem sie dort auch schläft, kommt sie traurig in die Therapie. Das ist die Ausgangslage für die folgende Intervention am Aufstellungsbrett: Ich bitte sie, drei Figuren für sich (gelb), den Expartner (blau) und den Liebhaber (rot) zu wählen. Sie stellt ihre Figur ins Zentrum, die beiden anderen an die oberen beiden Ecken. Die Figuren bilden nun ein nahezu gleichseitiges Dreieck. Im zweiten Schritt soll die vorrangige Qualität, die die jeweilige Beziehung ausmacht, dazu positioniert werden. Sie wählt eine Figur für Leidenschaft und Emotion und positioniert diese zwischen sich und den Liebhaber; eine Figur für Stabilität wird zwischen sich und den Expartner gestellt. Zuletzt folgt je eine Figur für die Bedeutung der Sexualität in diesen Beziehungen: Der Beziehung zum Liebhaber wird eine Figur hinzugefügt, die für gelebte Sexualität steht, wobei sie initiativ sein muss. Zum Exfreund wird eine kleine Figur positioniert, die Trauer über ihr verlorenes Begehren ausdrückt. Auf die Frage hin, was sie mit ihrem Bedürfnis, begehrt zu werden, gemacht hat, fügt sie neue Figuren ins rechte untere Eck diagonal zur Figur ihres Liebhabers hinzu: Diese stehen für ein virtuelles Gegenüber (wobei dieses für keinen bestimmten Mann steht), für Abenteuerlust als die zugehörige emotionale Qualität sowie für das Begehrtwerden: Dabei betont sie, dass sie nur diejenigen Anfragen interessant findet, die ein offensichtliches Begehren ihr gegenüber ausdrücken; ein reales Treffen schließt sie aber aus. Mit dieser vorläufigen Balance stabilisiert sich ihre Lage. Sie wird ruhiger. Im weiteren Verlauf gesteht ihr der Liebhaber seine Liebe und äußert sein Begehren. Damit wird auch sie eindeutig, und sie beginnen eine Partnerschaft. Ihr Umgang mit virtuellen potenziellen Partnern bleibt allerdings vorerst bestehen. Sie vergleicht dies mit seinem Pornographiekonsum. Beide akzeptieren, dass es nicht nur Paarsexualität gibt. Das Ende der Psychotherapie ist erreicht. 93 3.5.4. Das Benennen der sexuellen Rolle Manchmal reicht es aus, im Rahmen einer Szene oder Skulptur die sexuelle Rolle bzw. eine erotische Qualität zu benennen. Dies soll folgendes Fallbeispiel demonstrieren: Fallbeispiel Maria F.: Im Laufe der Psychotherapie freundet sich die Klientin mit einem Arbeitskollegen an, der zunehmend eine wichtige Rolle in ihren Erzählungen spielt. In der Vorbereitung einer Szene auf der Spiel-Aktionsbühne frage ich sie bei der Rolleneinkleidung des Kollegen, ob es denn auch eine erotische Komponente zwischen den beiden gibt. Das verneint sie in seiner Rolle. Anmerkung: Retrospektiv betrachtet war diese Intervention von mir nicht gründlich überlegt. Eigentlich sollte zuerst herausgearbeitet werden, ob die Klientin denn an diesem Kollegen interessiert ist, nicht umgekehrt. Allerdings ist diese Frage einem spontanen Impuls gefolgt. Vier Stunden später greift Frau F. diese Erfahrung wieder auf und sagt: „Ich habe viel über unser letztes Spiel nachgedacht. Und ich weiß nicht recht: Vielleicht ist J. doch an mir interessiert?“ Ich bitte sie um eine Interpretation verschiedener Begegnungsszenen aus letzter Zeit, indem sie zwei verschiedene „Brillen“ aufsetzen soll: eine „Freundschaftsbrille“ und eine „Flirt-Brille“. Ihr scheint die Interpretation als Flirt durchwegs näher zu liegen. Auf der therapeutischen Begegnungsbühne ist ihre Aufregung sehr deutlich zu spüren, und sie beschließt, dem Ganzen weiter nachzugehen und zu überprüfen, was sie selbst fühlt und möchte. 3.5.5. Dialoge mit der Lust und mit Geschlechtsorganen Für die Arbeit mit Geschlechtsorganen oder Gefühlen auf der Spiel-Aktionsbühne finden sich Beispiele bei Hofer (2013, S.51; S.66ff.) und Kistler (2015, S.22ff., S.28ff.). Konkrete Handlungsanweisungen und Zukunftsproben wie der Rollenwechsel in die Hand mit Anleitungen zur Selbstbefriedigung verwende ich im Unterschied zu ihnen nicht. Das erlebe ich zu sehr als Eindringen in die Privatsphäre der Klientinnen und 94 Klienten. Der Schwerpunkt meiner therapeutischen Herangehensweise liegt in der Aufnahme eines Dialoges mit diesen Anteilen, wie folgendes Beispiel zeigen soll. Fallbeispiel Julian A.: Ausgangspunkt ist eine „brenzlige Situation“, die der Klient folgendermaßen beschreibt: Schon öfters hatten seine Freundin und er darüber phantasiert, wie es wohl wäre, wenn sie Reizwäsche anhätte. Zuletzt kam sie mit „dieser Überraschung“. Er „konnte dann aber leider nicht, und sie machte mir daraus Vorwürfe“. Den Klienten ärgerte sehr, dass sein Penis ihm nicht gehorchte. Dies nehmen wir zum Anlass, um herauszufinden, was denn im Penis vorgehen könnte. Auf der Spiel-Aktionsbühne werden ein Sessel für den Klienten und einer für den Penis positioniert. Im Rollenwechsel mit dem Penis beschwert sich dieser, dass der Klient ihn unter Druck setzt, nur weil seine Freundin gerade will. In der eigenen Rolle bringt er seine Angst zum Ausdruck, dass seine Freundin böse auf ihn ist, wenn es keinen Sex gibt – also soll der Penis stehen! Wie stark der Leistungsdruck ist, zeigt sich auch darin, dass er angibt, dass es oft bis zu drei Mal zu Sex kommen soll, wenn sie einander sehen. Das führt zu einem kurzen Wechsel auf die Begegnungsbühne: „Drei Mal“, rufe ich, „das ist ganz schön viel. Und da wunderst du dich, dass der Penis nicht mehr kann?“ Dieser Input von mir ist von entscheidender Bedeutung, denn er vermittelt eine starke Aufwertung der erotischen Potenz des Klienten. Die Dankbarkeit dafür kann ich seiner Mimik ablesen. Schwieriger gestaltet sich das Einfühlen in seine Partnerin. Er bleibt dabei in seiner Position und versucht in einem inneren Rollenwechsel herauszufinden, was in seiner Freundin vorgeht. Einiges an Doppeln ist dabei nötig: Wahrscheinlich fühlt sie sich in ihrer Attraktivität unsicher, wenn der Penis nicht steif wird. Sie zweifelt daran, ob sie begehrenswert ist und ob die beiden zusammenpassen. (Ich möchte hier noch einmal festhalten, dass beide noch sehr jung sind!) Durch diesen inneren Rollenwechsel wird Mitgefühl für seine Freundin aktiviert. 95 3.5.6. Erotische Handlungen auf der Spiel-Aktionsbühne In den ersten psychotherapeutischen Prozessen versuchte ich, erotische Handlungen über Symbolisierungen auf der Spiel-Aktionsbühne darstellen zu lassen. Hintergrund dafür war die Idee, einen Kompromiss zwischen der Unmittelbarkeit erotischer Gefühle und dem Intimitätsschutz zu ermöglichen. Diese Idee schließt unmittelbar an Fürsts und Kralls Vorschlag an, mit Körperteilen als Repräsentantinnen der Geschlechtsorgane (vgl. Fürst & Krall, 2012, S.32) oder mit Inter- bzw. Intramediärobjekten (vgl. ibid., S.34) zu arbeiten. Schon die Vorstellung, beispielsweise Finger und Hände als Repräsentantinnen für sexuelle Handlungen zu verwenden, stieß in meinem Inneren auf Widerstand. Die Arbeit mit Objekten mit teilweise hohem Symbolgehalt habe ich ausprobiert. Hier folgt ein Beispiel. Fallbeispiel Martina W.: In der ersten Phase der Psychotherapie zeigt sich die Klientin über sich ihr aufdrängende Gedanken beunruhigt. Diese haben zum Inhalt, dass eventuell erotische Gefühle für Frauen ihre Beziehung mit einem Mann gefährden könnten. In einer ersten Explorationsphase zeigt sich, dass sich diese Gedanken umso stärker aufdrängen, je weniger das Gefühl von Verliebtheit zu spüren ist – ein schwer zu haltendes Gefühl in depressivem Zustand. Der mögliche erotische Bezug zu Frauen hat aber mehrere Facetten. Bei einer Arbeit am Aufstellungsbrett beispielsweise zeigt sich die begehrte Frau idealtypischer Weise selbstbewusst, schlagfertig, einfühlsam, etc. Das sind Eigenschaften, die sie sich selbst aber nicht zuschreibt. Vor allem jedoch hat diese Phantasie einen grenzziehenden Effekt, der sich in folgender Intervention auf der SpielAktionsbühne deutlich zeigt. Ausgangpunkt ist folgendes Thema: In der Partnerschaft fühlt sie sich wieder wohler, sie traut dem Wohlgefühl aber nicht, denn immerhin muss ja ihre Phantasie eine Bedeutung haben. Daher spielen wir eine Szene mit der Fragestellung, wann zuletzt im Kontakt mit dem Freund diese „blockierenden Gedanken“ aufgetaucht sind. Die Szene findet auf der Couch statt. Sie hat sich gerade etwas zu Essen hergerichtet, er schaut fern. Nach einem kurzen Gespräch kuschelt sie sich zu ihm, was er im Rollenwechsel 96 als erotisches Signal interpretiert. Sie sagt, dass sie zwar Sex möchte, aber die erotischen Gedanken an Frauen blockieren. Für folgende innere Rollen wählt sie Intraintermediärobjekte (vgl. Pruckner, 2004, S.276), die sie sich auf der Couch zuordnet: Eine Eule für die sexuelle Lust, einen rosa Hund für die Gedanken an Frauen sowie ein nicht eindeutig identifizierbares Stofftier für folgenden Gedankengang: „Vielleicht täusche ich dich oder mich.“ Von außen betrachtet zeigt sich deutlich, dass die Lust von den beiden anderen Objekten eingesperrt ist. In der Reflexion darüber sagt sie, dass die erotischen Phantasien Frauen gegenüber erst aufgetaucht sind, als sie immer wieder ohne Lust mit ihrem Partner geschlafen hat, um ihn zufrieden zu stellen und „zum Kuscheln danach“ zu kommen. Die Phantasie bezweckt daher vorrangig, dass ihre Grenze ernst genommen wird. Ein anderes „Nein“ wurde bisher nicht akzeptiert, allerdings auch kaum ausgesprochen. Auf der Begegnungsbühne erlebte ich vor allem den ersten Teil der Szene als eine Gratwanderung. Einer gespielten erotischen Annäherung beizuwohnen empfand ich als grenzwertig, weil sie der Rolle eines Voyeurs nahekommt. Heute würde ich so eine Intervention eher auf der inneren Bühne machen. Die zugehörigen Gefühle und Gedanken aber können ohne Weiteres in Form von Symbolen, Inter- und Intraintermediärobjekten dargestellt werden. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass der erotische Gehalt der Gedanken an Frauen auch einen Lustaspekt enthält. Mit der Zeit kann die Klientin diese Phantasie als Tagträume für sich integrieren und pflegen, ohne sofort die Partnerschaft in Gefahr zu sehen. 3.6. Die Arbeit auf der inneren Bühne Wie Hintermeier vorschlägt, bearbeite ich mittlerweile explizit sexuelle Szenen ausschließlich auf der inneren Bühne (vgl. Hintermeier, 2012, S.87f.). Die innere Bühne kann als Vorstellungswelt betrachtet werden. Die inneren Szenen können als erotische Drehbücher verstanden werden, die sich beispielsweise in Phantasien, Wünsche, Ziele und Handlungsabsichten differenzieren lassen. Für Handlungsbeschreibungen ist charakteristisch, dass sie dem Handeln zwar nahe sind, aber meistens zugleich eine 97 Rollendistanzierung gelingt. Das ist vonnöten, um zum Einen für einen Intimitätsschutz der Klientinnen und Klienten zu sorgen. Zum Anderen trägt es dazu bei, die Begegnungsbühne selbst nicht zu sexualisieren. Diese Erzählungen von sexuellen Szenen lassen sich aus sexualwissenschaftlicher Sicht als sexuelle Skripte identifizieren (vgl. Kap. 2.2.4.). Bezug kann zum rollentheoretischen Begriff der „Lage“ hergestellt werden (vgl. Hochreiter, 2004, S.130, vgl. Hintermeier, 2012, S.88). Insbesondere der systemische Skriptbegriff lässt sich auch mit dem Spontaneitäts- und Kreativitätszyklus des Psychodramas in Einklang bringen (vgl. Kap. 2.2.4.4.). Für die Arbeit mit Klientinnen und Klienten gilt somit, Skripte als veränderlich und dynamisch zu verstehen. Jedoch ist es auch hilfreich, die deskriptiven Kategorien „kulturelle“, „intrapsychische“ und „interpersonelle Skripte“ als Differenzierungsmodell einzubeziehen. Dies bietet die Möglichkeit, sich eher der kollektiven oder der privaten Seite der sexuellen Rolle anzunähern. Die Trennung zwischen den einzelnen Arten der sexuellen Skripte ist nicht scharf. Die Skripte fließen vielmehr mehrdimensional ineinander über. 3.6.1. Umgang mit kulturellen Skripten Kulturelle sexuelle Skripte sind „Anleitungen zum Handeln auf kollektiver Ebene“ (Lautmann, 2002, S.182). Rollentheoretisch können sie als kollektive soziokulturelle Stereotype bezeichnet werden (vgl. Zeintlinger-Hochreiter zit. nach Stadler & Kern, 2010, S.137). Diese Handlungsanleitungen bauen auf den von der Gesellschaft vorgegebenen Werten auf (vgl. Kap. 2.2.2.). Der sexuelle Leistungsdruck, unter dem Julian A. leidet, wäre ein Beispiel für den Einfluss dieser kulturellen Skripte im Sinne eines Stereotyps (vgl. Kap. 3.5.5.). Häufiger jedoch zeigen sich kulturelle Skripte in individualisierter Form als innere Glaubenssätze. 3.6.1.1. Kulturelle Skripte in Form von inneren Glaubenssätzen Fallbeispiel Maria F.: Die Klientin zeigt sich verunsichert, weil sie wenig Begeisterung für ihren neuen Partner fühlt. Die Gefühlsqualität ist von Vertrautheit, Geborgenheit, Sicherheit und Wohlgefühl 98 getragen. Das Gefühl des „Frisch-Verliebt-Seins“ mit den Hauptaspekten Aufregung und Nervosität stellt sich nicht in dem Maße ein, wie sie es bisher kennt. Dabei spielt ein Glaubenssatz ihrer Mutter eine entscheidende Rolle: „Schon beim zweiten Treffen mit deinem Vater wusste ich: Das ist der Mann fürs Leben!“ Dieses Wissen scheint sie nicht zu haben, was sie irritiert und zur Annahme verleitet, dass ihr Partner vielleicht nicht die richtige Wahl ist. Der Satz der Mutter vermittelt zwei Botschaften. Deutlich wird ein romantisches Liebesideal, das sich die Mutter in der Rückschau erzählt und bestätigt, und die Tochter als inneres kulturelles Skript übernommen hat. In der Auseinandersetzung mit diesem Skript zeigt sich, dass die Rahmenbedingungen des Kennenlernens verschieden waren. Insbesondere die Tatsache, dass der Partner der Klientin mit ihr schon befreundet und damit vertraut war, spielt eine große Rolle. Sicherheit und Nähe können der Sehnsucht entgegen wirken. Sehnsucht nährt aber die Aufregung und Nervosität zu Beginn einer Partnerschaft, was sich als Gefühl von Verliebtheit zeigen kann. Im Laufe der Therapie wird dies immer wieder deutlich: Sobald der Partner beispielsweise eine Woche nicht zur Verfügung steht, „kribbelt es im Bauch“ und die Sehnsucht stellt sich ein (und damit die Bestätigung, dass er der „Richtige“ ist). Die zweite Botschaft lautet: „Wenn die Gefühle stimmen, dann weiß man, dass es fürs Leben ist!“ Diese Botschaft zu dekonstruieren tut weh: Nichts muss von Dauer sein. Die Kündbarkeit von Beziehungen ist heute gesellschaftlich akzeptiert und steht in engem Zusammenhang mit der Verhandlungsmoral (vgl. Kap. 2.2.2.1.). 3.6.1.2. Heteronormativität und monosexuelle Ordnung Eine wesentliche Norm unserer Kultur ist die Heteronormativität (vgl. Kap. 2.2.2.3.). Schmidt postuliert zudem, dass die Macht der monosexuellen Ordnung der Heterosexualität übergeordnet ist (vgl. Schmidt, 2011, S.139). In folgendem Fallbeispiel ist dies ein wesentlicher Aspekt des Leidensdrucks des Klienten. 99 Fallbeispiel Robert S.: Für Herrn S. stellt sich die Frage, an welches Geschlecht sich das Begehren richtet. Heteronorme Vorstellungen sind an diese Frage gekoppelt – dies zeigt sich beispielsweise in der scheinbar besseren Lebbarkeit einer heterosexuellen Identität im ländlichen Bereich, aber auch in einer real leichter zu verwirklichenden Möglichkeit, eine Familie zu gründen. Solange der Klient erotische Erlebnisse mit Männern als Spiel begreifen konnte, stellte sich die Frage der eigenen Identität und der daraus resultierenden Konsequenzen nicht. Vor Beginn der Therapie kam es allerdings zu einer Begegnung mit einem Mann, wo Partnerschaftswünsche auftauchten, welche nun als unmittelbare Konkurrenz zu der etablierten Partnerschaft mit seiner Freundin erlebt werden. Seinen Wunsch nach Eindeutigkeit der sexuellen Orientierung drückt er regelmäßig aus. Der für ihn erleichternde Gedanke wäre: „Wenn ich schon nicht hetero bin, dann lass mich wenigstens schwul sein!“ Dies zeigt sich beispielsweise in folgendem Anfangssatz einer Therapiestunde in einem schon fortgeschrittenen Prozess: „Angenommen, ich wäre schwul…“ Gleichzeitig zeigt sich aber durchgängig: Lässt er sexuelle Erlebnisse mit Männern zu, führt dies auch zu mehr sexuellem Appetit in der Partnerschaft, verweigert er diese Erlebnisse, kappt er die gesamte sexuelle Lust. Das Etablieren einer uneindeutigen, wahrscheinlich bisexuellen Partnerorientierung, ist herausfordernd und schmerzhaft. Von mir verlangt es, die Partnerschaft immer wieder als reale Gegebenheit in Erinnerung zu rufen. Einmal muss ich sogar das Verbot äußern, die Partnerschaft in der Rückschau zu entwerten, nur um die eigene Identität eindeutig definieren zu können. 3.6.1.3. Einflussfaktoren auf kulturelle Skripte Kulturelle Skripte sind unter anderem geschlechts-, generations-, alters- und milieuabhängig. In folgendem Beispiel wird vor allem ein milieubedingter Einfluss deutlich. 100 Fallbeispiel Robert S.: Im Therapieverlauf zeigt sich, dass die persische Abstammung väterlicherseits für den Klienten ein nicht unwesentlicher Einfluss ist. Der Klient meint, die persische Kultur hätte in seiner Familie kaum Bedeutung, sein Vater sei assimiliert und dieser würde sich zwar wahrscheinlich mit einer nicht-heterosexuellen Identität etwas schwerer als die Mutter tun, letztlich damit aber zurechtkommen. Der persische Einfluss zeigt sich jedoch in einer anderen Art: Der Vater verzichtete unter dem Druck seiner Ehefrau, die mit den Familienwerten des Mannes nicht zurechtkam, auf das Aufrechterhalten des Kontakts mit seinen Geschwistern (die alle in Österreich leben). Angesprochen auf eine mögliche Reinszenierung, nämlich einen Teil der eigenen Identität zugunsten der Partnerschaft zu verleugnen, führt dazu, dass er Gespräche mit seinem Vater sucht. Zu dessen nächstem Geburtstag wird die gesamte persische Familie eingeladen. Der Vater weint und bedankt sich bei seinem Sohn. Dieses Erleben der Erfüllung einer Sehnsucht des Vaters hat eine Signalwirkung: Trotz der Loyalität zu seiner Partnerin akzeptiert er nun eine bisexuelle Identität und äußert die Absicht, sich ihr gegenüber zu bekennen. Das ist das Ende der Psychotherapie, jedoch schreibt er etwa ein Jahr später folgendes E-Mail: „(…) Nach ein paar Gesprächen mit K. bin ich in Beziehungspause – ihre Reaktion war sehr „erwachsen“ und für mich in dieser Art total überraschend. So hatte jeder eine Überraschung für den anderen. Ich genieße die Ruhe. (…) Inzwischen dreht sich der Männer- wieder zum Damengedanken im Kopf, komisch – langsam komm ich mir von mir selbst verarscht vor. (Also wenn schwul schwierig sein soll, dann ist bi noch anstrengender.) 3.6.1.4. kulturell vorgegebene sexuelle Abläufe Zu den kulturellen Skripten können auch vorgegebene sexuelle Abläufe gezählt werden. Diese Automatismen können zu einer kompletten Aversion und Verweigerung partnerschaftlicher sexueller Handlungen führen. 101 Fallbeispiel Marco R.: Im Therapieverlauf arbeiten wir vor allem daran, auf eigene Bedürfnisse und Wünsche zu achten. Dies hat zur Konsequenz, dass er keinesfalls mehr Sex dem Anderen zuliebe haben möchte, was dazu führt, dass er dem jetzigen Partner gegenüber allmählich in eine Ablehnungsposition gerät. Sobald der Andere sich ihm erotisch nähert, fühlt er sich bedrängt. Sein Partner hingegen fühlt sich nach und nach abgelehnt. Hintergrund dafür ist ein typisches kulturelles Skript, das den gesamten sexuellen Ablauf umfasst und szenisch im Kopf abgespeichert ist. Folgender Dialog findet statt: CH: „Haben Sie auf gar nichts Lust? Auch nicht auf Küssen?“ MR: „Doch, ich hätte auch nichts gegen Blasen einzuwenden, aber muss es immer das volle Programm sein?“ CH: „Nein, sicher nicht. Haben Sie ihm schon gesagt, was Sie sich vorstellen können oder sagen Sie ihm nur, dass Sie keine Lust haben?“ MR: „Meistens ist es so, dass ich ihn küsse und mich anschmiege und sage, dass ich schon zu müde bin.“ CH: „Können Sie sich vorstellen, ihm zu sagen, was Sie wollen und was nicht?“ Nachdem er dies bejaht, folgt ein Ausverhandlungsdialog auf der Spiel-Aktionsbühne, wo sich im Rollenwechsel mit dem Partner zeigt, dass dieser sich bestimmt darauf einlassen wird. Im Rollenwechsel ist dem Partner wichtig, als erotische Person nicht abgelehnt zu werden. Welche sexuellen Handlungen erfolgen, hat dagegen momentan wenig Bedeutung. 3.6.2. Umgang mit intrapsychischen Skripten Intrapsychische sexuelle Skripte sind innere erotische Drehbücher, die sich aus Phantasien, Wünschen oder Zielen speisen (vgl. Kap. 2.2.4.2.). Das Hauptkriterium ist meist das Kreieren von sexueller Lust. 102 3.6.2.1. Die Differenzierung von Phantasien und Wünschen Einen großen Bereich der intrapsychischen sexuellen Skripte machen Phantasien aus. Angelika Eck arbeitet mit ihnen in der Einzeltherapie. Sie beschreibt dabei einen Mangel an erotischen Phantasien als Minussymptome, die sie „im engen Zusammenhang mit dem Leiden an sexueller Lustlosigkeit, sexueller Aversion oder Ängsten im Zusammenhang mit (…) sexuellen Funktionsstörungen“ (Eck, 2015, S.1, 2016) sieht. Diese unterscheidet sie von Plussymptomen: „Frauen [Menschen, Anm. d. Verf.] mit Plussymptomen leiden unter einem Zuviel, d.h. sie fühlen sich durch die Art oder Ausprägung ihrer Fantasien belastet oder in ihrer Freiheit eingeschränkt“ (ibid.) Phantasien können „in Form von Erinnerungen, Tag- oder Nachtträumen in Erscheinung treten. Pornos und sexuelle Rollenspiele sind ausagierte Fantasien“ (ibid.). Für die psychotherapeutische Situation gilt es, Wünsche und Phantasien zu differenzieren, um deren Verwechslung zu vermeiden. Dazu möchte ich folgendes Beispiel bringen. Fallbeispiel David K.: In einer ersten Phase der Psychotherapie gelingt es dem Klienten zunehmend, die AIDS-Phobie einzudämmen. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er aufhört, Ärztinnen und Ärzte aufzusuchen. Paardynamisch aber lässt ihn die betrogene Partnerin in ihrer Kränkung weiterhin für seinen Fehltritt büßen, indem sie sagt: „Eigentlich finde ich es blöd, dass du so davonkommst.“ Vermutlich verlagern sich deshalb seine Ängste zunehmend auf die partnerschaftliche Sexualität. In einer therapeutischen Einheit berichtet er von seinem Pornokonsum. Inhalt dieser Pornos sind nachgestellte Vergewaltigungsszenen. Auf der Begegnungsbühne ist deutlich zu spüren, dass er mich in eine verurteilende Rolle bringen möchte. Im ersten Schritt frage ich ihn, ob es sich um eine Phantasie oder einen möglichen Wunsch handeln könnte. Er antwortet, dass es sich bloß um eine Phantasie handelt, die er aber bedrohlich erlebt. 103 Was die Bedrohung ausmacht, erarbeiten wir auf der Spiel-Aktionsbühne. Er wechselt in zwei beurteilende Rollen. In der Rolle des Richters kann er die pornographischen Inhalte definitiv als legal beurteilen. In der Rolle des „Moralapostels“ (eine Rolle, die sich schon in früheren Stunden etabliert hat) findet er sein Verhalten frevelhaft. Diese Rolle wird durch die moralischen Ansprüche seiner Partnerin genährt. Denn diese empfindet das Konsumieren von Pornofilmen grundsätzlich als frauenverachtend und verwerflich. Meine therapeutische Intervention erfüllt folgenden Zweck: Das Bewerten einer sexuellen Handlung und besonders sexueller Phantasien obliegt dem Klienten selbst. Damit nehme ich mich auch aus einer potenziell strafenden Instanz heraus. Die nächste therapeutische Intervention findet wieder im Sitzen statt und bleibt auf der inneren Bühne, weil es nun um den Inhalt der Pornographie geht: Diese müssen nicht im Detail offenbart werden und bleiben daher skizzenhaft. Ich betone das sexuelle Selbstbestimmungsrecht und die Verantwortung des Klienten, selbst zu entscheiden, ob und wie er seine Sexualität unabhängig von seiner Partnerin leben möchte, stelle aber die Frage, ob Teile dieser Phantasie in sein Sexualleben mit der Partnerin einfließen. Er teilt mir mit, dass diese sexuelle Phantasie bei seiner Partnerin anschlussfähig ist und als gemeinsames Liebesspiel gelebt werden kann („Gutsherr und Magd“). Damit wirkt sie auf die interpersonellen sexuellen Skripte ein. 3.6.2.2. sexuelle Wünsche Sexuelle Wünsche sind ebenfalls ein wesentlicher Teil der intrapsychischen Skripte und dem sexuellen Handeln nahe. Clement bezeichnet sie als „absichtsvolle Fantasien“ (Clement, 2009, S. 96; vgl. Kap. 2.1.3.2.). Sie bilden manchmal einen interessanten Kontrast zu den realen interpersonellen Skripten. Fallbeispiel Michael N.: Herr N. beschreibt sein intrapsychisches erotisches Skript folgendermaßen: Die sexuelle Szene findet nicht im Bett, sondern in der Küche statt. Seine Freundin verführt ihn und lässt nicht locker. Sie wird aufdringlich trotz seiner Ambivalenz, fasst ihm in die Hose und befriedigt ihn oral, (…). 104 Dieses Skript steht in einem deutlichen Kontrast zur aktuell gelebten Paarsexualität, bei der er üblicherweise der Initiator sexueller Handlungen ist. Er und seine Partnerin leben derzeit in einer Wohngemeinschaft. Die Küche steht ebenso wenig zur Verfügung wie ausreichend Zeit und Raum, um sich auf spontane und außergewöhnlichere Situationen einlassen zu können. Angesprochen auf diese Differenz äußert der Klient mehrere Schwierigkeiten: Seine Freundin lässt ihre optischen Reize zu wenig spielen. Er weiß nicht, wie er ihr gegenüber seinen Wunsch kommunizieren soll. Seine Angst besteht darin, etwas zu wollen, das sie nicht will und abgelehnt zu werden. 3.6.2.3. sexuelle Wünsche im biographischen Zusammenhang Sexuelle Wünsche entstehen auf Grundlage früherer Erfahrungen. Sie drücken verschiedene Bedürfnisse aus, in denen auch nicht-sexuelle Motive bedeutsam sind. Daher sind sie immer wieder erst in einem größeren biographischen Zusammenhang verstehbar. Bei folgendem Fall zeigt sich die Brisanz des intrapsychischen Skripts erst in der Zusammenschau mit Erlebnissen aus der Kindheit. Fallbeispiel Daniel H.: Herr H. spricht von Verlassensängsten, die in Zusammenhang mit seiner frühen Kindheit stehen. Seine Mutter hatte die Familie verlassen, als er drei Jahre alt war. Ab diesem Zeitpunkt war sie nur mehr „eine Stimme am Telefon zu Weihnachten und zum Geburtstag.“ Daraus ergeben sich Probleme in der Nähe-Distanz-Regulierung, die sich auch im gegenwärtigen Beziehungsaufbau zeigen. So neigt er dazu, die Treffen rational zu regulieren, um nicht Gefahr zu laufen, „zu sehr zu verschmelzen“. Sein intrapsychisches sexuelles Skript bezieht zwei Männer ein. Die beiden Männer sind als Positionen, nicht als konkrete Personen zu verstehen. Dieses Gruppensexszenario bringt er mit dem Konzept einer offenen Partnerschaft in Verbindung. Er argumentiert dies damit, dass sein möglicher neuer Partner und er vielleicht nicht ausreichend sexuell kompatibel sind. Ich vermute aber, dass dies auch mit der Angst vor zu viel Nähe und Verschmelzung in Verbindung steht. Das Konzept der offenen Partnerschaft stelle ich nicht grundsätzlich in Frage, aber ich biete folgendes 105 kulturelles Skript an: „Ich weiß, dass das Konzept der offenen Partnerschaft in der schwulen Community weit verbreitet ist. Doch häufig ist es so, dass sich dieses erst mit der Zeit entwickelt. Meinen Sie, es würde sich lohnen, erst herausfinden, wie kompatibel Sie und P. tatsächlich sind?“ 3.6.3. Umgang mit interpersonellen Skripten Interpersonelle Skripte sind solche, die auf dem Wechselspiel von Role giver und Role receiver beruhen. Sie dienen in erster Linie als Lagebeschreibung der gegenwärtigen Paarsexualität. Dabei zeigen sich der erotische Rahmen (Zeit, Raum), erotische Marker, die in eine sexuelle Begegnung münden, wer die Initiative ergreift, etc. Beschreibungen dieser Art sind vor allem dann sinnvoll, wenn sie mit einer konkreten Frage verbunden sind. Der Fall Martina W. (Kap. 3.5.4.3.) wäre beispielsweise auch mittels Arbeit auf der inneren Bühne vorstellbar. Die erotische Annäherung wäre als interpersonelles Skript zur Verfügung gestanden. 3.6.3.1. Die Stellung des Kondoms in interpersonellen sexuellen Skripten Für viele sexuelle Interaktionen ist die Verhütung von Schwangerschaften, manchmal auch der Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen ein wesentlicher Aspekt. So können hormonelle Verhütungsmittel beispielsweise die sexuelle Lust von Frauen reduzieren, ein ambivalenter Kinderwunsch zu einem schwierigen Umgang mit der Pille führen, Potenzprobleme mit einer Ablehnung des Kondoms in Zusammenhang stehen. Fragen zu diesem Aspekt der Sexualität und Fruchtbarkeit sind daher aufschlussreich. Das Kondom ist insofern eine besondere Verhütungsmethode, weil es als selbstverständlicher Teil einer sexuellen Interaktion im interpersonellen sexuellen Skript eines Menschen verankert sein muss. Das erklärt, wieso bei Vielen das „Vergessen des Kondoms“ ein häufiger Verhütungsfehler ist, und heterosexuelle Paare regelmäßig auf ein anderes Verhütungsmittel umsteigen. Nicht verzichtbar sind Fragen zum Umgang mit dem Kondom bei HIV-Infizierten. Dabei ist weniger von Bedeutung, wie sich Klientinnen und Klienten angesteckt haben 106 als vielmehr, wie sie in Zukunft mit dem Kondom umgehen werden20. Lautmann verweist auf eine Arbeit von Clement: „Clement untersucht das Coping von HIV-Infizierten, worin das „Kondom-Skript“ wichtig wird. Gemeint ist damit die Stellung, die das Präservativ im szenischen Ablauf der sexuellen Interaktion einnimmt“ (Clement zit. nach Lautmann, 2002, S.187). Fallbeispiel Daniel H.: Herr H. hat sich bei anonymem Sex ohne Kondom mit dem HI-Virus infiziert. Der Hintergrund für folgende Frage ist die Hypothese, dass Nervenkitzel manchmal die Erregung steigert: CH: „Herr H., bei dem Sex damals, haben Sie auf das Kondom verzichtet, weil das ein Kick sein kann?“ DH: „Nein, gar nicht. Ich würde sagen, ich kann auf mich allein nicht so gut aufpassen. Ich kann im Wir-Modus besser mit Verantwortung umgehen. Bei dem Sex damals habe ich leider zu viel getrunken und keiner hat das Kondom eingefordert.“ Es zeigt sich in dieser Sequenz seine Schwierigkeit, Grenzen zu setzen. Relevant wird dieses Thema auch in der neuen Partnerschaft. Folgende sexuelle Interaktion findet statt: Unter massivem Alkoholeinfluss will sein Partner endlich erleben, wie sich passiver Analverkehr anfühlt. Der Klient gibt diesem Wunsch nach, hat aber ein schlechtes Gewissen. Er wollte abwarten, bis der HIV-Virustest negativ ausfällt.21 20 Bei medikamentös behandelten HIV-Infizierten ist derzeit State of the Art, so lange mit Kondomen zu verhüten, bis das Virus mindestens ein halbes Jahr lang nicht mehr nachgewiesen werden kann. Ich betone aber immer, dass das Verwenden von Kondomen auch dem Schutz vor klassischen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis und Gonorrhoe dient. Insbesondere eine Co-Infektion mit chronischer Hepatitis stellt Ärztinnen und Ärzte vor große Herausforderungen bezüglich der medikamentösen Therapie. Co-Infektionen mit Hepatitis C sind fast durchwegs bei iv-Drogenabhängigen zu finden; Hepatitis B ist eine durch sexuelle Handlungen leicht zu übertragende Infektion. Viele Menschen sind aber heute dagegen geimpft. 21 Die medikamentöse Therapie hat schon begonnen. Er wartet noch auf das Testergebnis, dass das HIVirus nicht mehr feststellt. 107 Mitten in der sexuellen Interaktion verliert er die Erektion. Zur Stellung des Kondoms frage ich ihn: CH: „Haben Sie ein Kondom verwendet?“ DH: „Ja, schon, aber ich muss mich sehr anstrengen, daran zu denken. Es ist ein notwendiges Übel. Und ich habe schon öfters deswegen meine Erektion verloren.“ Die Verwendung des Kondoms ist nicht selbstverständlich ins interpersonelle sexuelle Skript eingebaut. Eine emotionale Aufwertung des Kondoms gelingt kaum. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass es in einer der nächsten sexuellen Interaktionen zu ungeschütztem Analverkehr kommt. Die Verantwortung gibt der Klient an den Freund ab. Dieser habe es nicht eingefordert. Wir arbeiten in einem Rollenwechsel an der Frage, ob der Freund das Restrisiko eingehen möchte. Dabei zeigt sich: Der Partner ist anfangs begeistert vom ungeschützten Sex, am nächsten Tag kommen allerdings Ängste vor einer Infektion in ihm hoch. Dieses Einfühlen in den Partner hat zur Konsequenz, dass der Klient zum Einen verstärkt selbst die Kondomverwendung einfordert, zum Anderen mit seinem Partner bespricht, wie sie beide mit dem Kondom umzugehen gedenken. In einer der folgenden Stunden berichtet er darüber, dass beide an der Verwendung des Kondoms festhalten und darin einander unterstützen, bis die HI-Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt. 3.6.3.2. Variationen interpersoneller Skripte Clement spricht davon, dass jede Person „ein Set von mehr oder weniger präferierten Skriptentwürfen zur Verfügung hat“ (Clement, 1994, S.258). Daher kann auf der inneren Bühne auch mit alternativen Szenarien gearbeitet werden. Das folgende Beispiel zeigt eine Intervention, die auf der Spiel-Aktionsbühne stattfindet. Das eigentliche interpersonelle sexuelle Skript wird aber beschrieben, nicht gespielt. Fallbeispiel Michael N.: Trotz des ersten gelungenen Vaginalsex, der für Herrn N. erfüllend war, berichtet er von folgenden Bedenken seiner Partnerin: Sie fürchtet, dass er noch zu wenige Erfahrungen 108 mit anderen Frauen gesammelt haben könnte, und sie vielleicht der Grund für seine Erektionsstörungen sein könnte. Er ist sich nicht sicher, ob sie damit nicht Recht hat. Daher biete ich ihm die Entwicklung eines Alternativszenarios an. Auf der Spiel-Aktionsbühne werden zwei Sessel positioniert. Der eine steht für ihn als Beziehungspartner. Ein Stück entfernt wird ein zweiter Sessel positioniert. Dieser steht für eine alternative Lebensrealität: den Klienten als Single. In der Rolleneinkleidung des Singles ist er 27 Jahre alt, arbeitet viel und ist am Wochenende mit seinen Freunden unterwegs. Er flirtet gern. Der Sessel ist so positioniert, dass er von dort aus die Rolle als Partner nicht sehen kann. In der Singleposition imaginiert er folgende Szene, welche ich mittels Interviewtechnik unterstütze: MN: „Ich begegne einer brünetten Frau im Bikini bei einem Kiosk auf der Donauinsel.“ CH: „Diese Frau, wie alt ist sie?“ MN: „Sie ist ungefähr 23 Jahre alt.“ CH: „Was tun Sie?“ MN: „Ich spreche sie an und wir flirten.“ CH: „Wie fühlt sich das an? Was spüren Sie im Körper?“ MN: „Ja, ich spüre schon ein Kribbeln im Bauch.“ Mit dieser Frage soll der somatische Anteil der sexuellen Rolle hereingeholt werden. Ich leite einen Szenenwechsel ein. CH: „Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach dieser Begegnung nach Hause. Denken Sie an diese Frau?“ MN: „Ja, die hat mir den Kopf verdreht.“ CH: „Befriedigen Sie sich selbst dabei?“ MN: „Ja, das kann schon sein. Auf jeden Fall interessiert mich, wie diese Frau nackt aussieht.“ (…) Einen neuerlichen Szenenwechsel leite ich so ein: CH: „Angenommen sie sind beide darauf aus, miteinander ins Bett zu gehen. Was würde bei einem Wiedertreffen geschehen?“ 109 Das interpersonelle Skript, das nun folgt, beinhaltet Küssen, Streicheln, Ausziehen, Petting und Oralsex. Danach setze ich folgende Intervention: CH: „Ihr sexuelles Skript endet beim Oralsex, wo ist der Vaginalsex?“ MN: „Hm, na wissen Sie, der Vaginalsex ist noch nicht sonderlich etabliert.“ Darauf folgt ein Rollenwechsel in seine Rolle als derzeitiger Partner, und ich stelle folgende Frage: CH: „Was fehlt hier im Unterschied zur Singlerolle? Was ist besser?“ MN: „Es fehlt ´das Ungewisse´, ´die Aufregung´; aber dafür gibt es mehr Sicherheit und Vertrauen. Ich kann mich besser ausprobieren.“ Das bestätige ich, indem ich noch darauf hinweise: „Sie machen mit Ihrer Freundin gerade Ihre ersten Vaginalsexerfahrungen. Und so, wie es sich für mich darstellt, brauchen Sie dafür Sicherheit, die Sie außerhalb einer Partnerschaft derzeit wahrscheinlich nicht finden können.“ 3.6.4. Das ideale sexuelle Szenario und das Worst Case Szenario Eine zentrale Intervention in der systemischen Sexualtherapie ist das ideale sexuelle Szenario (vgl. Clement, 2011, S.188ff., vgl. idem, 2009, S.133ff.). Sie ist eine wichtige Paarintervention. Das ideale sexuelle Szenario ist eine Hausübung, die folgendermaßen angeleitet wird: Dem Paar wird bis zur nächsten Sitzung aufgetragen, die sexuelle Szene aufzuschreiben, die zu maximalem Genuss führt. Wichtig ist dabei, bei möglichst konkreten Handlungen zu bleiben und sie möglichst detailreich zu beschreiben. Diese können, müssen aber den Partner bzw. die Partnerin nicht einbinden. Der Text wird in ein Kuvert gegeben und verschlossen. Darüber wird bis zur nächsten Therapieeinheit nicht gesprochen. Was mit dem Text passiert, entscheiden dort beide für sich. Vor der Psychotherapeutin bzw. dem Psychotherapeuten beginnt die Ausverhandlung: Es wird jede und jeder unabhängig voneinander gefragt, ob sie/ er den Inhalt des/ der Anderen hören will und ob sie/ er den Text preisgeben will. Der Fokus in der therapeutischen Intervention liegt in der Exploration, welche Bedeutung der Text haben und welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten. Ob die Texte ein- oder beidseitig 110 offengelegt werden, bleibt bis zuletzt unklar. Im Einzelsetting habe ich diese Intervention bisher nicht angewendet. Denn sie lebt vom Spannungsaufbau und der Ausverhandlung zwischen dem Paar. Abgeleitet vom idealen sexuellen Szenario habe ich aber ein Worst Case Szenario etabliert, das ich im Monodrama manchmal anwende: Fallbeispiel Susanne L.: Der folgende Dialog findet zu einem Zeitpunkt statt, zu welchem unsere Zusammenarbeit bereits zwei Jahre dauert und damit schon lange etabliert ist. Die Klientin ist inzwischen stabil, wesentliche Lebensrollen meistert sie gut, von der Trennung durch den Expartner hat sie sich erholt und erste Kontakte mit Männern finden statt. Die Klientin thematisiert ein Treffen mit einem Mann, den sie über eine Internetplattform kennengelernt hat. Es war angenehm, aber sie ist ambivalent, ob sie sich auf ihn einlassen soll. CH: „Naja, können Sie sich vorstellen, ihn zu küssen?“ SL: „Geküsst haben wir uns schon, aber das war unbefriedigend. Er war so nervös.“ CH: „Also wenn das Küssen schon unbefriedigend war, ob sich der Sex dann lohnt?“ SL: „Na, so schlecht war es auch wieder nicht.“ CH: „Hm… Wissen Sie eigentlich, dass wir gleich alt sind?“ SL wartet. CH: „Wir sind erwachsen. Und vielleicht haben Sie da schon ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich. Manchmal weiß man nicht so recht, ob es sich auszahlt, sich auf etwas einzulassen. Manchmal wird es dann ganz angenehm und oft ist es so, dass man nachher sagt: Ich habs schon vorher gewusst. Das hab ich jetzt gebraucht, um zu wissen, was ich nicht will.“ SL lacht und nickt. CH: „Daher möchte ich Sie fragen: Was ist das Schlimmste, das Sie sich vorstellen können?“ SL: „Abgesehen von Gewalt?“ 111 CH: „Trauen Sie ihm Gewalt zu?“ SL: „Nein, sicher nicht.“ CH wartet. SL: „Dass er schwitzt.“ CH: „Angenommen er würde schwitzen, was tun Sie da?“ SL: „Na ich kann ihm schlecht sagen, dass er zu viel schwitzt!“ CH: „Ja da haben Sie Recht, das wäre wahrscheinlich ein bisschen unhöflich. (…) Wie wäre es zum Beispiel mit: Es tut mir leid, es passt für mich nicht. Dann trinken Sie noch was gemeinsam und beenden den Abend.“ SL lacht: „Ach so macht man das?“ CH: „Es ist nur ein Vorschlag. Sie müssten das für sich adaptieren. Das Entscheidende ist, bei einer Ich-Botschaft zu bleiben.“ Das eigentlich Entscheidende aber ist die Erhöhung des Selbstbestimmungsgrades, indem ich ihre erwachsene Seite anspreche sowie die Selbstverständlichkeit, jederzeit eine sexuelle Handlung beenden zu dürfen. Das Worst Case Szenario dient vor allem dazu, mögliche Befürchtungen zu thematisieren. Hätte die Klientin die Angst vor Gewalt in den Vordergrund gerückt, hätte ich anders reagiert und wir hätten an inneren Schutzrollen gearbeitet. In der folgenden Stunde meint sie, dass der Sex in Ordnung war, aber dass sie ihn nicht wiederholen muss. 3.7. Erotik auf der Begegnungsbühne „pur“ Dieses Schlusskapitel legt den Fokus auf die Erotik, die sich zwischen Klientinnen und Klienten auf der einen Seite und Psychotherapeutinnen und –therapeuten auf der anderen Seite zeigen kann. Ich möchte dies als Erotik auf der Begegnungsbühne „pur“ (vgl. Pruckner, 2012, S.250) bezeichnen. Grundlegend sind folgende Aspekte in Erinnerung zu rufen: Sexuelle Handlungen sind aus berufsrechtlichen und ethischen Gründen in der psychotherapeutischen Beziehung verboten, weil sie immer einem Machtmissbrauch entsprechen würden. Dennoch werden sowohl Klientinnen und Klienten als auch Psychotherapeutinnen und –therapeuten nicht nur in ihren 112 professionellen, sondern auch in ihren privaten Rollen und bestimmt auch immer wieder als erotische Wesen wahrgenommen. Befragt man Erwachsene, was wichtige Faktoren für eine Liebesbeziehung sind, so nennen sie häufig Vertrauen, Respekt, Stabilität und Sicherheit – Faktoren, die auch in der psychotherapeutischen Beziehung wünschenswert sind. Daher sind Liebes- und Verliebtheitsgefühle, Partnerschafts- und auch erotische Wünsche in der psychotherapeutischen Beziehung nicht auszuschließen. Da dieses Kapitel mich selbst – als Teil der Begegnungsbühne „pur“ – einbezieht, entspricht der Umgang mit erotischen Impulsen, Gefühlen, etc. auch meinem persönlichen Bedürfnis nach Intimitätsschutz und Intimitätsgrenzen. Das Kapitel ist daher als Skizzierung und als Anregung für Kolleginnen und Kollegen zu verstehen. 3.7.1. Setting Um mit sexuellen Themen zu arbeiten, braucht es nicht nur Offenheit, Klarheit sowie eine passende Sprache. Das Arbeiten mit der sexuellen Rolle verlangt auch Schutz und Grenzen. Eine Grenze markiert in meiner Praxis ein kleiner Tisch, der sich zwischen der Klientin/ dem Klienten und mir befindet. Die Sitzordnung ist so gewählt, dass wir einander gegenüber sitzen, aber die Sessel schräg versetzt zueinander stehen. Damit ist es sowohl der Klientin/ dem Klienten als auch mir möglich, den Blickkontakt gut aufnehmen und halten zu können, aber auch ohne Weiteres aneinander vorbei zu sehen. Das halte ich für förderlich, um eine „Innenschau“, wie sie für die Arbeit auf der inneren Bühne wichtig ist, zu ermöglichen. Ein direkter Blickkontakt würde vielleicht zu konfrontativ, ein Blick von der Seite als unangenehm beobachtend erlebt werden. Auf der Spiel-Aktionsbühne halte ich mich an eine Konvention, ein kulturelles Skript. Die maximale Körpernähe zwischen der Klientin/ dem Klienten und mir entspricht in etwa dem Abstand, den man bei der Begrüßung mit einer/ einem Bekannten einhält. Dies wäre in etwa der Abstand von einer Armlänge. Trete ich näher, wie dies manchmal beim Doppeln nötig wird, frage ich erst um Erlaubnis. Körperliche Berührungen finden außer zur Begrüßung und beim Abschied nicht statt. Das ist aus meiner Sicht nicht nur bei erotischen Szenen wichtig, sondern auch bei anderen Szenen; beispielsweise solchen, bei denen es um Trost geht. Spüre ich zum Beispiel den Impuls, eine Klientin 113 oder einen Klienten zu umarmen und damit zu beruhigen, biete ich als Intermediärobjekt ein Taschentuch an. Eine andere Möglichkeit besteht darin, der Klientin/ dem Klienten einen Polster anzubieten, selbst einen Polster zu nehmen und zu zeigen, wie man sich trösten kann. 3.7.2. Sharing Als Sharing wird eine Technik bezeichnet, die eigene Erfahrungen Klientinnen und Klienten zur Verfügung stellt. „Sharing entlastet durch die Erfahrung, mit den eigenen Gefühlen, Gedanken, Impulsen und Erfahrungen nicht allein zu sein“ (Stadler & Kern, 2010, S.132). Dabei gilt, eigene Erfahrungen nur dann einzubringen, wenn sie der Klientin bzw. dem Klienten dienen. Bei erotischen und sexuellen Themen überlege ich mir nicht nur, was ich erzähle, sondern auch in welcher Form ich persönliche Erfahrungen mitteile. Ein für mich typisches Sharing findet sich im Fallbeispiel von Susanne L. im Kapitel 3.6.4. Intrapsychische und interpersonelle sexuelle Skripte offenbare ich praktisch nie, kulturelle Skripte in Maßen. Eine Form einer sexualitätsbezogenen Mitteilung, die dem Sharing ähnlich ist, habe ich mir in vielen Stunden Sexualpädagogik erarbeitet. Dabei werden persönliche Informationen zugunsten einer allgemeineren Ebene verändert. „Vielen Menschen geht es so wie ihnen derzeit…“. Voraussetzung dafür ist freilich, dass diese Informationen auch richtig sind sowie, dass es sich nicht um Plattitüden handelt. 3.7.3. Umgang mit eigenen erotischen Impulsen Menschen sind nicht nur beispielsweise durch Freude oder Trauer affizierbar, sondern selbstverständlich auch durch sexuelle Lust. Dabei können eigene erotische Impulse als Reaktion auf verschiedene Signale entstehen. Sehr wahrscheinlich nehmen Psychotherapeutinnen und –therapeuten erotische Impulse, Gefühle und auch körperliche Reaktionen wahr, wenn Klientinnen oder Klienten innere sexuelle Drehbücher offenbaren. Vor allem dann, wenn diese Erzählungen beim eigenen erotischen Profil anschlussfähig sind, also eigenen sexuellen Phantasien, Wünschen 114 oder Vorlieben entsprechen. Die Fähigkeit zu einer professionellen Rollendistanz zu den eigenen Impulsen ist daher für die Arbeit mit Klientinnen und Klienten unabdingbar. Sexuelle Impulse können aber auch aufgrund von (körperlicher) Attraktivität des Gegenübers entstehen. Der Unterschied zur Reaktion auf die Offenbarung von sexuellen Skripten liegt darin, dass sich diese Impulse direkt auf die Klientin bzw. den Klienten beziehen. In solchen Fällen ist eine regelmäßige Reflexion nötig. Für mich beispielsweise verwende ich den Satz: „Wenn ich sie/ ihn in einem anderen Kontext kennengelernt hätte, würde ich mit ihr/ ihm auf einen Kaffee gehen?“ Fällt die Antwort für mich positiv aus, muss mir bewusst sein, dass gegenseitige Sympathie und Attraktivität hilfreich für die psychotherapeutische Arbeit sein können, aber auch die Gefahr lauert, die Beziehung für meine Bedürfnisse zu missbrauchen. Sinnvoll ist zudem, Supervision für die Erarbeitung folgender Fragen zu nutzen: Was finde ich an dieser Person anziehend? Was mache ich, wenn ich mich verliebt habe? Kann ich noch eine professionelle Distanz wahren? Bin ich noch hilfreich für die Klientin/ den Klienten? Kann ich die beiden letzten Fragen nicht mehr eindeutig bejahen, muss ich die Klientin bzw. den Klienten an eine Kollegin oder einen Kollegen weiter verweisen. 3.7.4. Sexualisierungen auf der psychotherapeutischen Begegnungsbühne Grenzverletzungen Trotz allen Bemühens um den Schutz der psychotherapeutischen Beziehung kann nicht immer garantiert werden, dass es keinesfalls zu Grenzverletzungen kommt. Sie sollten aber zumindest nicht von therapeutischer Seite her stattfinden22. Dies soll folgendes Fallbeispiel illustrieren. 22 Wobei nicht immer ausgeschlossen werden kann, dass Grenzüberschreitungen unbeabsichtigt und unbemerkt von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten stattfinden. Aber das betrifft nicht nur den Bereich „Erotik und Sexualität“! 115 Fallbeispiel Karl T.: Für den Klienten, Anfang 50, rief ein Arzt mit der Bitte um eine Krisenintervention bei mir an. Das war auffällig, weil sich in der Regel Klientinnen und Klienten selbst bei mir melden. Der Klient nahm etwa drei Tage später mit mir Kontakt auf. Den vereinbarten Termin verschob er noch einmal um eine Woche. Als er schließlich zu mir kommt – 5 Minuten nach der vereinbarten Zeit – ist er noch mitten in ein Telefonat verwickelt, das er vor mir noch zu Ende führt. Nach dem Telefonat berichtet er mir von einem Überfall während seines Urlaubs im Ausland, bei dem er schwer verletzt wurde. Daher kann er nun längere Zeit seiner Arbeit nicht nachgehen. Die Täter kannte er aus dem illegalen Sexarbeitermilieu und vermutet als Motiv einen homophoben Anschlag auf ihn. (…). Auf der Begegnungsbühne bin ich hin- und hergerissen zwischen Ärger, Neugierde, Überforderung und Faszination ob seiner Inszenierung. Es fällt mir schwer, eine Grundstruktur meines Erstgesprächs zu halten und durchzusetzen. Am Ende des Gesprächs habe ich sehr viel von seiner Lebensgeschichte inklusive seiner Sexualität erfahren, aber weder wurde ein Therapieziel festgelegt noch die Rahmenbedingungen geklärt. Aber ich spüre folgenden Auftrag ganz deutlich: Es geht ihm um Kontakt, um Beziehung per se. Dabei reinszeniert er mit mir ein für ihn scheinbar typisches Beziehungsmuster: für (intime) Kontakte zu zahlen. Die Ausgangslage ist daher etwas schwierig, denn einerseits bin ich bereit, ihm in seiner Not als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, andererseits besteht die Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Auch merke ich sehr wohl, dass er erotisch an mir interessiert ist. Ich vermute allerdings, dass das mit mir als Person sehr wenig zu tun hat, und ich für ihn völlig auswechselbar bin. Die therapeutische Leitlinie lautet daher für mich: Grenzen setzen und sehr achtsam im Spannungsfeld von Nähe und Distanz zu arbeiten. Struktur und Zeitrahmen zu wahren ist ein vorrangiges Ziel. Dies zeigt sich sofort zum Abschluss des Erstgesprächs, das wir um ca. 5 Minuten überzogen haben. Er meint, er findet den österreichischen Umgang mit Zeit kleinlich, woraufhin ich entgegne: „Wenn Sie zu spät kommen, haben Sie weniger Zeit für die Psychotherapie zur Verfügung; das ist Ihre Verantwortung. Ich werde nicht überziehen und für heute ist die Zeit schon um.“ Dennoch muss ich ihn sehr deutlich aus meiner Praxis hinauskomplimentieren. 116 Im Verlauf des relativ kurzen psychotherapeutischen Prozesses ist es für ihn hilfreich, den Überfall im Ausland zu besprechen. Allerdings zeigt sich bald, dass er sich sehr häufig in Risikosituationen bringt: Diese zeigen sich in Form seines Drogenkonsums, seiner wahllosen sexuellen Kontakte, die ihm regelmäßig sexuell übertragbare Infektionen bescheren, seines Hanges, sich auf Menschen einzulassen, die ihn bestehlen oder ihn ausbeuten, etc. In mir wird eine komplementäre Rolle aktiviert, die immer wieder zu Vernunft und zur Vorsicht mahnt. Diese Rolle mag angemessen und verständlich sein, aber hilfreich ist sie nicht. Vorsicht ist auch das leitende Motiv in der Nähe-Distanz-Regulierung. Die Sexualisierungstendenz auf der Begegnungsbühne fordert mich ständig auf, „auf der Hut zu sein“ und gipfelt letztlich in der letzten gemeinsamen Therapieeinheit. Es gilt Abschied zu nehmen. Er thematisiert unsere Beziehung und meint, dass er es interessant findet, dass wir immer per Sie geblieben sind. Ich antworte, dass ich das DuWort für unsere Art der Arbeitsbeziehung als nicht-passend erlebe und das nicht will. Er drückt sein Bedauern aus, berichtet aber sogleich von einem Physiotherapeuten, den er ab dem 3. Mal geduzt hat. Ein sexuelles Abenteuer mit ihm war das Ergebnis. Mein strenger Blick lässt ihn kleinlaut werden und er sagt, dass er verstehen kann, dass wir einander nie geduzt haben. Bei der Verabschiedung an der Praxistür bemerke ich ein echtes Bedauern seinerseits, er bedankt sich sichtlich traurig, aber zuletzt drückt er mir zu meiner Überraschung doch noch einen Kuss auf die Wange und geht. 117 4. Diskussion Begriffe unterliegen häufig einem Bedeutungswandel. Bei einem derart vielschichtigen und komplexen Begriff wie „Sexualität“ trifft dies umso mehr zu. Tatsächlich verzichten einige Autorinnen und Autoren auf eine Definition des Begriffes „Sexualität“ und setzen auf ein intuitives Verstehen (vgl. Lautmann, 2002, S.19ff.). Der Begriff „Sexualität“ ist erst ungefähr 200 Jahre alt. Er entstand „im Zusammenhang mit einer Neubestimmung der Kategorie Geschlecht, insbesondere der Bilder von Frau und Mann“ (ibid., S.19). Seit damals gab es eine Unzahl an Versuchen, den Begriff zu präzisieren. Eine genaue Definition scheitert aber an ihrer Vielschichtigkeit. Daher muss eine Abstraktion erfolgen, die einen Bedeutungskern definiert (vgl. Sielert, 2005, S.37f.). Dies waren die erste Herausforderung und auch Ausgangspunkt für diese Masterthese. Grob vereinfacht lassen sich heute zwei verschiedene Gedankenkonstrukte zu „Sexualität“, „sexuellem Sinn“ und Sexualverhalten ausmachen. Das ältere Konstrukt geht von einem biologischen Sinn aus. Dabei gilt das Sexualverhalten über Hormone gesteuert und dient dem Zweck der Arterhaltung. Das aus der Psychoanalyse stammende „Triebmodell“ ist das zugehörige Erklärungsmodell (vgl. Kap. 2.1.2.). Dieser Glaube an eine „natürliche“ Sexualität wurde durch die Forschungen von Masters und Johnson in den 1960er-Jahren noch verstärkt. Das Modell des sexuellen Reaktionszyklus (vgl. Hofer, 2013, S.11f.), das auf empirischen Daten beruht, führte zu einer Grundposition in der klassischen Sexualtherapie, die einen „normalen“, „ungestörten“ und „gesunden“ sexuellen Ablauf postuliert und vor allem „von feministischer und sozialwissenschaftlicher Seite kritisiert und relativiert“ (Clement, 2011, S.20) wird: „Die Kritik kreist um zwei Kernpunkte: (1) der HSRC [= Human Sexual Response Cycle, Anm. d. Verf.] nehme ein soziales Geschehen (Geschlechtsverkehr) aus dem interaktiven Kontext heraus, in dem es entsteht, und mache damit unzulässigerweise kulturelle zu natürlichen Abläufen. (2) Der HSRC bagatellisiere den Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sexualität und stelle ein 118 scheinbar geschlechtsneutrales Muster dar, das faktisch aber von einer männlichen Sicht dominiert sei.“ (vgl. ibid.) Das zweite Gedankenkonstrukt versucht sich daher an der Vielfalt an verschiedenen Lebens- und Liebeskonzepten zu orientieren. Damit wird sexuelles Handeln aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive betrachtet. Dieses recht moderne Konzept, das sich in vielfacher Weise in aktueller Literatur namhafter deutscher Autorinnen und Autoren widerspiegelt (z.B. Clement, 2011, Schmidt & Sielert, 2008, Schmidt, 2011, Sigusch, 2005, etc.), rückt die biologischen Motive in den Hintergrund und betont kulturelle, individuelle und interpersonelle Faktoren. Auch nicht-sexuelle Motive werden berücksichtigt: beispielsweise Bedürfnisse nach Nähe, nach Intimität, nach Spaß, nach Kommunikation. Fruchtbarkeit und insbesondere der Fortpflanzungsaspekt spielen eine Rolle, sind aber den anderen Sinnaspekten nicht übergeordnet (vgl. Kap. 2.1.2.). Mit diesem Konzept lassen sich die sexuelle Motivation und die Pluralität der sexuellen Ausdrucksmöglichkeiten gut erklären. Ich habe diese Sichtweise von Sexualität als Grundlage meiner Arbeit gewählt. Auch deshalb, weil sie mit dem humanistischen Menschenbild gut vereinbar ist. Ich habe in dieser Masterthese versucht, dieses breite Sexualitätsverständnis für Psychodramatikerinnen und Psychodramatiker über die Rollentheorie aufzubereiten. Ich beschreibe Sexualität als sexuelle Rolle, die einen kollektiven (z.B. das romantische Liebesideal, die Heteronormativität, die aktuelle sexuelle Leistungsorientierung oder die Pro-Sex-Norm, vgl. Kap. 2.2.2.) und einen individuellen Anteil (Sexualität zwischen Rollengestaltung und Rollenkonserve, vgl. Kap. 2.2.3.) enthält. Die sexuelle Rolle entwickelt sich entlang der persönlichen Rollenentwicklung ein Leben lang. Typische Stufen dieser Entwicklung sind: Auf der psychosomatischen Rollenebene die Entwicklung der sexuellen Lust (vgl. Kap. 2.2.5.2.), auf der psychodramatischen Rollenebene die Entwicklung von sexuellen Skripten sowie das Erlernen der Fähigkeit, Wünsche und Phantasien soziodramatischen entwickelnde zu Rollenebene Fähigkeit zur unterscheiden schließlich eine (vgl. Kap. über Perspektivenübernahme 2.2.5.3.), mehrere (vgl. Kap. auf der Niveaus sich 2.2.5.4.). Sie beeinflussen auch die „sexuellen Kompetenzen“ im Erwachsenenalter (vgl. Kap. 119 2.2.5.5.). Für das Rollenverständnis als Handlungsprinzip lassen sich gut die sexuellen Skripte, verstanden als Drehbücher sexueller Handlungen, verwenden (vgl. Kap. 2.2.4.). Sie bieten sich als eine weitere wesentliche Grundlage der psychodramatherapeutischen Arbeit mit sexuellen Themen an: nämlich einen gewissen Intimitätsschutz in der psychotherapeutischen Arbeit zu ermöglichen. Insbesondere der systemische Skriptbegriff kann mit dem Spontaneitäts- und Kreativitätszyklus in Einklang gebracht werden (vgl. Kap. 2.2.4.4.). Ich beschränke meine Überlegungen in dieser Masterthese ausschließlich auf das Setting des Monodramas und lege hierbei zusätzlich den Schwerpunkt auf die Arbeit auf der sogenannten „Begegnungsbühne“. Der Begriff „Begegnungsbühne“ hat eine Doppelbedeutung (vgl. z.B. Pruckner, 2001, S.81). So meint er ursprünglich sowohl einen realen Ort, an dem sich die Arbeit zwischen Klientinnen und Klienten mit ihren Psychotherapeutinnen und –therapeuten entfaltet, als auch die Arbeit an der psychotherapeutischen Beziehung. Pruckner merkt an, dass nicht jede Arbeit im Sitzen auch Arbeit auf der Begegnungsbühne bedeutet (vgl. idem, 2012, S.243). Sie markiert deutlich die Arbeit an der psychotherapeutischen Beziehung, indem sie von „Begegnungsbühne pur“ spricht (vgl. ibid., S.250). In einer brandaktuellen Kursunterlage (nicht veröffentlicht) scheint der Begriff „Begegnungsbühne“ ausschließlich die Rollenkonfigurationen, die Inszenierungen und Reinszenierungen in der psychotherapeutischen Beziehung zu beschreiben. Ich differenziere analog zu Pruckner Begegnungsbühne und Begegnungsbühne „pur“. Wie ich in Kap. 3.3. dargelegt Begegnungsbühne folgende Faktoren habe, sind für die relevant: Die Gestaltung der Haltung der Psychodramatherapeutinnen und -therapeuten zu Sexualität/sexuellen Themen, die therapeutische Konstellation in Bezug auf Geschlechts- bzw. Genderzugehörigkeit und das Etablieren einer geeigneten Sprache im Rahmen der therapeutischen Begegnung. Die Werte, die meine psychotherapeutische Haltung in der Arbeit mit sexuellen Themen begründen, sind im Kapitel 3.3.1. genauer ausgeführt. Diese sind: die sexuellen und reproduktiven Menschenrechte, der Diversity-Ansatz, das Neutralitäts-Prinzip und die Ressourcenorientierung. 120 Zur Frage der geschlechtsspezifischen Konstellation in der therapeutischen Dyade zeigt sich, dass psychotherapeutische Interventionen, die sehr körpernah sind und damit die psychosomatische Rollenebene fokussieren, in der gegengeschlechtlichen Konstellation schwieriger als in der gleichgeschlechtlichen durchzuführen sind. Sexuelle Themen, die sich aber auf die psycho- und soziodramatische Rollenebene beziehen, z.B. erotische Wünsche, sexuelle Motive, Identitäts- und Beziehungsaspekte, sind auch in der gegengeschlechtlichen therapeutischen Konstellation gut bearbeitbar (vgl. Kap. 3.3.2.). Wesentlich für sexualitätsbezogenen passenden das Gelingen Fragestellungen/ sexualitätsbezogenen psychotherapeutischer Problemlagen Sprache. Im ist Kapitel Prozesse das Entwickeln 3.3.3. werden zu einer sowohl verschiedene Sprachniveaus thematisiert als auch anhand von Beispielen der situationsbezogene Einsatz der Sprache vorgestellt: Dabei gilt eine Konkretisierung als hilfreich, die Lage der Klientinnen und Klienten muss aber immer berücksichtigt werden. Die Begegnungsbühne ist implizit in der psychotherapeutischen Arbeit immer enthalten. Rollenerwartungen der Klientinnen und Klienten zeigen sich häufig schon im Erstkontakt oder im Erstgespräch. In Kapitel 3.4. wird darauf eingegangen, welche Medien zur Kontaktaufnahme genutzt werden (können) und welche Anliegen rund um Sexualität Anlass der Kontaktaufnahme für therapeutische Begleitung/ Behandlung im Einzelsetting sein können. Hier habe ich aufgezeigt, dass nur ein Teil der Klientinnen und Klienten wegen sexueller Funktionsstörungen in der psychotherapeutischen Praxis vorstellig wird. Das Sexualleben kann vielfach negativ beeinflusst werden: von verschiedenen psychischen und physischen Erkrankungen, Unzufriedenheit in der Partnerschaft und Unklarheiten in der sexuellen Orientierung. Wichtig erschien mir, mich damit zu beschäftigen, wie Fragen nach Sexualität in psychotherapeutischen Prozessen auch dann Platz finden können, wenn Klientinnen und Klienten wegen anderer Problemlagen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Das ist deshalb von Bedeutung, weil das Sprechen über Sexualität oft tabuisiert ist, Unsicherheiten und Schwierigkeiten im Sexualleben aber häufig sind. Im Kapitel 3.4.2. zeige ich anhand von Fallbeispielen, dass entsprechende Fragen anschlussfähig sein müssen, um nicht zu irritieren. 121 Kapitel 3.5. beschreibt Möglichkeiten, wie mit sexualitätsbezogenen Themen auch auf der Spiel-Aktionsbühne gearbeitet werden kann, ohne den Intimitätsschutz zu gefährden. Die Arbeit auf der Begegnungsbühne spielt hierbei eine besondere Rolle, weil sie ermöglicht, den Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Intimitätsschutz und nach Offenheit zu berücksichtigen. Hier wird deutlich, dass das Externalisieren von erotischen Ressourcen, die Arbeit mit Sinnaspekten, das Benennen der sexuellen Rolle und auch Dialoge mit der Lust sowie mit Geschlechtsorganen möglich sind, das Darstellen erotischer Handlungen auf der Spiel-Aktionsbühne aber den Intimitätsschutz der Klientinnen und Klienten gefährdet. In Kapitel 3.6. wird dargestellt, wie die Arbeit mit sexuellen Handlungen auf der „inneren Bühne“ erfolgen kann. Das Beschreiben sexueller Szenen in Form von kulturellen, intrapsychischen und interpersonellen Skripten ermöglicht mehr Distanz als das psychodramatische Spiel sexueller Szenen und trägt daher dem Bedürfnis nach Intimitätsschutz in besonderem Maße Rechnung. Das Kapitel 3.7. beschäftigt sich mit der Erotik, die sich zwischen Klientinnen bzw. Klienten und Psychotherapeutinnen bzw. –therapeuten zeigen kann sowie, welche Strategien ich einsetze, um möglichst einer Sexualisierung der psychotherapeutischen Beziehung vorzubeugen. Da es hier um die psychotherapeutische Beziehung per se geht, spreche ich analog zu Pruckner von der Erotik auf der Begegnungsbühne „pur“. Theoretischer Erkenntnisgewinn dieser Masterthese ist also die Entwicklung psychodramatheoretischer Überlegungen zu „Sexualität als Rolle“, zur Entwicklung dieser „sexuellen Rolle“ und der mit ihr verbundenen (sexuellen) Kompetenzen. Der praxisbezogene Erkenntnisgewinn dieser Masterthese ist die Darstellung, wie die Arbeit auf der Begegnungsbühne („pur“ ebenso wie begleitend zur Arbeit auf innerer oder äußerer Bühne) gestaltet werden kann, um eine weitgehende Offenheit zu ermöglichen und zugleich die Intimität des Klienten bzw. der Klientin zu schützen. Diese Überlegungen zur Gestaltung der therapeutischen Beziehung ist die Basis für jegliche Intervention. Daher ist es wichtig, sich der psychotherapeutischen Haltung zu widmen (vgl. Kap. 3.3.1.). Diese ähnelt dem Ansatz aus der systemischen Sexualtherapie insofern, als sie als ressourcenorientiert und ergebnisoffen bezeichnet werden kann. 122 Um für einen Intimitätsschutz der Klientinnen und Klienten zu sorgen, arbeite ich auf der inneren Bühne mit Drehbüchern für erotische Szenen. Diese entsprechen den sexuellen Skripten aus der systemischen Sexualtherapie, werden jedoch um die ursprünglichen Begriffe „intrapsychische, interpersonelle und kulturelle Skripte“ von Gagnon und Simon ergänzt (vgl. Kap. 2.2.4. und Kap. 3.6.). Mit dieser Differenzierung wird es möglich, eher den kollektiven oder den privaten Anteil der sexuellen Rolle zu fokussieren. Die Berücksichtigung auch der kollektiven, kulturellen Seite einer Rolle zeichnet für mich in besonderem Maße das Psychodrama aus. Deutlich unterscheidet sich mein therapeutisches Vorgehen von dem der systemischen Sexualtherapie insbesondere durch die Arbeit auf der Spiel-Aktionsbühne (vgl. Kap. 3.5.). Auf dieser finden beispielsweise Dialoge mit Gefühlen oder Körperteilen statt, Verhandlungsprozesse mit der Partnerin oder dem Partner werden probiert, bewertende und beurteilende Rollen werden eingenommen, etc. Auch die Arbeit mit dem Aufstellungsbrett, auf der Anteile der sexuellen Rolle, Motive und Bedeutungen externalisiert werden können, findet sich in der Literatur Clements nicht. Diese typischen psychodramatischen Interventionen zeigen deutliche Parallelen mit der von Hofer vorgestellten Psychodrama-Sexualtherapie (Hofer, 2013), unterscheiden sich aber auch in einigen Punkten wesentlich. Dies betrifft vor allem die aus dem Hamburger Modell stammenden Streichelübungen (vgl. ibid., S.25ff.), die aus meiner Sicht die psychosomatische Rollenebene im Paarkontext betonen. Ich wende diese Übungen nicht nur deshalb nicht an, weil sie im Monodrama nicht durchführbar sind. (Es fehlt das Einverständnis der Partnerin bzw. des Partners.) Vor allem liegt dies daran, weil ein wesentliches Kernelement der therapeutischen Herangehensweise in dieser klassischen Therapieform zu wenig berücksichtigt wird, nämlich die Veränderungsneutralität. Das wird insofern deutlich, als die Übungen einen linearen, aufeinander aufbauenden Charakter haben und sich an einem „natürlichen“ sexuellen Reaktionszyklus orientieren: Nach Streicheln 1 folgt Streicheln 2 – das Ziel ist gelingender Vaginalverkehr. 123 5. Resümee und Ausblick Mein Hauptanliegen für diese Masterthese war, eine Möglichkeit zu finden, einen Sexualitätsbegriff in die Psychodramatheorie einbetten zu können. Dafür habe ich mich auf die Rollentheorie konzentriert. Auch das therapeutische Vorgehen sollte psychodramatisch erklärbar und anschlussfähig sein, mit der Auflage, für einen ausreichenden Intimitätsschutz von Klientinnen und Klienten zu sorgen. Damit war mir von Anfang an bewusst, dass das Spielen sexueller Szenen nicht möglich ist. In Hinblick auf die Bedürfnisse von Klientinnen und Klienten erscheint mir vor allem wichtig, Möglichkeiten anzubieten, wie mit der sexuellen Rolle in der „psychodramatischen Allgemeinpraxis“ im weit verbreiteten Einzelsetting gearbeitet werden kann. Das hat für mich deshalb diese hohe Bedeutung, weil das Angebot von Psychotherapie für Klientinnen und Klienten niederschwelliger ist als eine sexualtherapeutische Praxis aufzusuchen. Daher finden sich in dieser Masterthese nur wenige Fallbeispiele, die Klientinnen und Klienten mit sexuellen Funktionsstörungen behandeln; ein typisches Betätigungsfeld von Sexualtherapeutinnen und -therapeuten. Ich lege in dieser Masterthese den Schwerpunkt auf die psychotherapeutische Beziehungsgestaltung in Bezug auf Anliegen rund um Sexualität. Die therapeutische Beziehung ist immer die Basis für das Gelingen eines Prozesses. Davon ausgehend wären noch viele weitere Forschungsarbeiten sinnvoll. Beispielsweise wäre interessant, welche Rollenerwartungen Klientinnen an Psychotherapeutinnen in Bezug auf sexuelle Themen haben. Was bei der Gestaltung der Begegnungsbühne mit Paaren zu beachten ist, in welcher Weise bei der Arbeit mit heterosexuellen Paaren das Geschlechterverhältnis eine Rolle spielt (z.B. eine weibliche Psychotherapeutin und ein verschiedengeschlechtliches Paar – wie sieht es mit Geschlechterloyalität oder mit Konkurrenz aus?). Auch wäre für mich interessant, wie eine Öffnung einer Einzel- zu einer Paartherapie gelingen und mit der Triangulierung umgegangen werden kann. Zuletzt stellt sich die Frage, ob und wie sexuelle Themen in einem Gruppensetting Platz finden könnten, vor allem in Hinblick darauf, wie für die Balance zwischen Offenheit und Intimitätsschutz für alle Beteiligten gesorgt werden kann. 124 6. Literaturverzeichnis Bartholomäus, Wolfgang. (2008). Moral und Ethos der Sexualität in der katholischen Kirche. In R. Schmidt &, U. Sielert (Hrsg.), (S.177 – 185). Bartholomäus, Wolfgang. (2008). Sexualität und Religiosität – Dimension einer Verstrickung. In R. Schmidt &, U. Sielert (Hrsg.), (S.157 – 165). Brem, Jonni. (2004). Psychodrama mit Sexualtätern. In J. Fürst, K. Ottomeyer & H. Pruckner (Hrsg.), (S.363 – 378). Buddeberg, Claus. (2005, 4. Auflage). Sexualberatung. Eine Einführung für Ärzte, Psychotherapeuten und Familienberater. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG. Buer, Ferdinand. (2004). Morenos therapeutische Philosophie und die psychodramatische Ethik. In J. Fürst, K. Ottomeyer & H. Pruckner (Hrsg.), (S.30 – 58). Burmeister, Jörg. 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