Erfahrungsbericht ERASMUS in Joensuu/Finnland WS 2011/12

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Erfahrungsbericht ERASMUS in
Joensuu/Finnland WS 2011/12
Frederik Greguletz: [email protected]
Die Vorbereitung
Die Idee, ein Erasmus-Semester irgendwo in Europa einzulegen, schwebte mir seit
Sommer 2010 im Kopf. Nachdem ich im Herbst mich mehr oder weniger grob über
mögliche Erasmus-Studienorte am Institut für Geographie, im Internet und am
Akademischen Auslandsamt informiert habe, stellte ich schnell fest: Eine riesige Zahl an
Erasmus-Plätzen scheinen in der Geographie völlig ungenutzt auf Austausch-Studenten
zu warten! Meine Entscheidung fiel schnell auf Joensuu. Joensuu klang nach "Ende der
Welt", 80km westlich der russischen Grenze in den Tiefen der borealen Nadelwälder, es
klang nach etwas völlig anderem als die üblichen Alternativen in Portugal, Spanien oder
Italien. Die Vorbereitung erwies sich als sehr einfach. Nachdem ich mich beim
internationalen Koordinator der Geographie, Prof. Klüter, in eine Bewerberliste
eingetragen habe, erhielt ich vom Akademischen Auslandsamt die Meldung, dass man
mich an die Itä-suomen yliopisto in Joensuu weitergeleitet hätte. Von dort sendete mir
Prof. Paul Fryer, der dortige internationale Koordinator, einen Link und Passwort für ein
internetbasiertes Bewerbungsportal, in dem ich verschiedenste Angaben über Studium
und Praktikas einreichen musste. Bereits Ende Mai erhielt ich per Mail eine positive
Zusage und ein pdf-Dokument mit den wichtigsten Informationen, später dann ein
Willkommens-Paket auf dem Postweg mit Stadtplan, Infos und einem OrientierungsGuide für internationale Studenten. Alles funktionierte also unbürokratisch, online und
gut organisiert.
Im Vorfeld nahm ich bei einer befreundeten Fennistik-Studentin Finnisch-Unterricht,
buchte ein Fährticket für Anfang August und bewarb mich für eine Wohnung - dazu
mehr unter "Unterkunft".
Unterkunft
Typisch finnisch - auch die Unterkunft musste online organisiert werden. Mit der
erfolgreichen Bewerbung erhielt ich eine Empfehlung, mich an Joensuun Elli zu wenden.
Dabei handelt es sich um eine Art Mischung aus Genossenschaft von Stadt und
Universität, da es in Joensuu keine Studentenwohnheime im eigentlichen Sinne gibt.
Joensuun Elli bietet dir auf der Internetseite eine Bewerbungsmaske an, in der du die
maximale Miete, das Stadtviertel und die Art der Wohung (WG, Einzelzimmer usw.)
angeben kannst. Die internationalen Studenten werden dabei auf drei Viertel verteilt:
Rantakylä im Osten, Noljakka im Westen und Karjamäentie im Süden der Stadt, allesamt
am äußersten Stadtrand gelegen. Ich lebte in einer WG mit einem finnischem
Theologiestudenten und zwei Vietnamesen, die ihren Schulabschluss frisch in der Tasche
hatten und ihr Wirtschaftsstudium in Europa begonnen haben. Eine sehr internationale
Atmosphäre also...im Haus wohnten noch Japaner, Chinesen, Finnen, Griechen,
Franzosen, Amerikaner und eine Montenegrinerin.
Die Zimmer können wahlweise möbliert angemietet werden. Mein Tipp: Besser im
Second-Hand-Shop am Marktplatz Möbel künstig zukaufen. Die monatliche Möbelmiete
beträgt 20 Euro...etwas überteuert. Schwieriger gestaltet sich das Internet. Für manche
Zimmer benötigt man ein spezielles Modem, das es in der gesamten Stadt nur im
Central Kaufhaus am Marktplatz zu erwerben gibt, Kostenpunkt 50 Euro, das Internet
schlägt mit 10 Euro zu Buche. Summa summarum betrug meine Miete für ein
Erdgeschosszimmer von 20 m² 220 Euro. Allerdings wurde Joensuun Elli in den letzten
Jahren mehrfach mit verschiedenen Problemen von seiten der Austauschstudenten
konfrontiert, weswegen die Nachfrage das Angebot überstieg. Unsere Tutoren halfen
den Pechvögeln bei der schwierigen Wohnungssuche im Ausland.
Kleines Extra: Eine Sauna ist in jedem finnischen Mehrfamilienhaus integriert und
mindestens einmal wöchentlich geöffnet.
Studium an der Gasthochschule
Das Studium in Finnland gestaltet sich anders, fordert auch mehr Engagement als in
Deutschland. Englischkenntnisse sind weit verbreitet. Speziell in Joensuu ist der Anteil
internationaler Studenten im finnischen Vergleich mit damals 12% sehr hoch.
Englischsprachige Programme, Kurse etc. sind in einem Katalog zusammengefasst, das
Angebot liegt schwerpunktmäßig in Environmental Science and Ecology.
Ungewöhnlich für mich als Deutschen ist jedoch die Studiumsorganisation. Anders als in
Deutschland, wo ich für meinen Bachelor eine präzise definierte Zahl an bestimmten
Kursen absolvieren muss, steht dem Studenten in Finnland die Zahl und Art der Kurse
frei. So konnte ich selbstständig meine Kurse aussuchen, die von GIS über
Psycholinguistics bis zur Russischer Geschichte die volle Bandbreite des Kursangebots
einnahmen. Manche Kurse trugen hochspezielle Bezeichnungen (Theoretical basics for
intergovernmental enviromental education Russia-Finland).
Wöchentliche Vorlesungen oder Seminare finden sich in Finnland kaum. Stattdessen
überwiegen Blockkurse oder es werden den Studenten die variierende Tage und Zeiten
mitgeteilt, wann der Kurs stattfindet. Im Endeffekt schaute mein Wochenplan jedesmal
völlig anders aus, was ein nicht unerhebliches Maß an Organisation erforderte.
Auch die Prüfungsleistungen variieren erheblich. Nur eines ist sicher: Klassische Testate
kommen so gut wie gar nicht vor. Es überwiegen "Student diaries", Essays und
Hausarbeiten, die ein hohes Maß an Schreibleistung erfordern. Auf der anderen Seite
werden Themen nie vorgegeben und Nachfragen nach solchen treffen auf erstaunte
Blicke. Du musst dir dein Thema aussuchen und es ist dir freigestellt. Dafür muss die
Hausarbeit bis nächste Woche vorlegen. Bei einer Uni-Bibliothek, die samstags um 15
Uhr schließt, gestaltet sich das gar nicht so einfach.
Die Dozenten werden in Finnland grundsätzlich mit Vornamen geduzt. Vorlesungen
werden häufig als Diskussionen veranstaltet, in denen eine Frage aufgeworfen wird und
eine aktive Teilnahme verlangt wird. Zusammngefasst fordert das Studium in Finnland
mehr als in Deutschland, aber es fördert und motivitiert dich stärker. So meine
Erfahrung nach 246 Seiten geschriebener Essays, Hausarbeiten, Diaries.
Alltag und Freizeit
Das ESN – Erasmus Student Network – organisiert verschiedene Kennlernpartys, die
man auf keinen Fall verpassen sollte! Schnell sind Kontakte mit anderen Studenten aus
aller Welt geknüpft. Anstatt ausführlich darüber zu schreibe, gebe ich Dir drei Tipps für
deinen Aufenthalt in Joensuu.
1. Da internationale Studenten rund 4-5 km von der Campus-Uni in der Innenstadt
wegwohnen, bist du auf ein Fahrrad angewiesen. Zu Semesterbeginn am 1.
September waren fast alle Fahrräder ausverkauft, dementsprechend wurden sie
zu horrenden Preisen angeboten. Mein Tipp: Nimm dir ein Fahrrad mit der Fähre
und den Zug mit. Klingt stressig, ist aber überraschend problemlos.
2. Sauna ist Pflicht in Finnland. Im Stadtteil Vehkalahti befindet sich der
Eisschwimmclub Jääkarhut Joensuu, der für 12 Euro im Monat eine öffentliche
Sauna direkt am See anbietet. Nach dem Saunagang kannst du deine Bahnen
durch den See ziehen. Die Sauna ist von 10 bis 23 Uhr geöffnet, internationale
Studenten sind sehr herzlich willkommen.
3. Auf zwei Projekte sei hingewiesen: “ERASMUS in Schools” ist ein
Kooperationsprojekt für Austauschstudenten, die an finnischen Schulen etwas
über ihr eigenes Land erzählen. Ein interessanter Einblick in das finnische
Schulsystem. “Finnish Friend Program” bringt dich zu einer finnischen Familie,
mit der du hin- und wieder etwas unternehmen kannst. Wer an finnischer Kultur
und Lebensweise interessiert ist, sollte unbedingt daran teilnehmen.
Fazit
Die internationale Atmosphäre in Joensuu war einmalig. Deswegen kann ich euch einen
Auslandsaufenthalt nur ans Herz legen. Meine schlechtesten Erfahrungen sammelte ich
mit der finnischen Polizei, die äußerst genau die Fahrräder kontrolliert, und dem Winter.
Bedenke, dass in Joensuu der erste Schneefall Mitte Oktober einsetzt und im Dezember
gerne -30°C erreicht werden. Die Fahrt zur Uni kann dann etwas abenteuerlich werden.
Einige internationale Studenten litten unter erheblichen Problemen mit der Dunkelheit.
Ab Mitte November setzt die Abenddämmerung gegen 13:30 Uhr ein. Die phantastische
Weite der Nadelwälder, die kristallklaren Seen, die lange Nacht – ich empfand das als
faszinierend. Aber überlege dir zwei Mal, ob das für Dich was ist oder nicht. Ich habe
selbst erlebt, wie im August sehr lebendige Spanier im November in die Depression
verfielen.
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