Ahrens, Sönke Roland Reichenbach: Philosophie der Bildung und Erziehung. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer 2007. 253 S., EUR 18,00 [Rezension] Zeitschrift für Pädagogik 54 (2008) 5, S. 762-765 urn:nbn:de:0111-opus-51325 in Kooperation mit / in cooperation with: http://www.beltz.de Nutzungsbedingungen / conditions of use Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Die Nutzung stellt keine Übertragung des Eigentumsrechts an diesem Dokument dar und gilt vorbehaltlich der folgenden Einschränkungen: Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. 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Kontakt / Contact: peDOCS Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft Informationszentrum (IZ) Bildung Schloßstr. 29, D-60486 Frankfurt am Main E-Mail: [email protected] Internet: www.pedocs.de Jahrgang 54 – Heft 5 September/Oktober 2008 Inhaltsverzeichnis Thementeil: Pädagogische Organisationsforschung Michael Göhlich/Rudolf Tippelt Einleitung in den Thementeil ...................................................................................... 633 Nick Boreham/Jenny Reeves Diagnosing and Supporting a Culture of Organizational Learning in Scottish Schools ............................................................................................................ 637 Detlef Behrmann Organisationsentwicklung durch Qualitätsmanagement. Ergebnisse von Fallstudien in Weiterbildungseinrichtungen ............................................................... 650 Aiga von Hippel/Sandra Fuchs/Rudolf Tippelt Weiterbildungsorganisationen und Nachfrageorientierung – neo-institutionalistische Perspektiven ......................................................................... 663 Michael Göhlich/Ines Sausele Lernbezogene Organisation. Das Mitarbeitergespräch als Link zwischen Personal- und Organisationsentwicklung ................................................................... 679 Kay E. Ehlers/Stephan Wolff Grenzen interorganisationalen Lernens. Beobachtungen aus der Entwicklungszusammenarbeit ........................................................................................................... 691 Allgemeiner Teil Heinz-Elmar Tenorth Wissenschaft autobiographisch: Öffentlichkeit, Reform, Kulturkritik, Konflikte. Eine Sammelbesprechung ............................................................................................ 707 I Boris Schmidt „Ich war vor allem auf mich alleine gestellt.“ Die Einstiegsphase junger Nachwuchswissenschaftler/innen in den „Arbeitsplatz Hochschule“ ....................... 722 Patrick Bühler Negativität und Pädagogik ........................................................................................... 740 Besprechungen Klaus Zierer Ernst Rösner: Hauptschule am Ende – Ein Nachruf Albert Scherr/Marcus Emmerich: „Innere Schulreform“ in der Hauptschule Jana Swiderski Jutta Mägdefrau: Bedürfnisse und Pädagogik ..... 757 ........................................................ 761 Sönke Ahrens Roland Reichenbach: Philosophie der Bildung und Erziehung ............................. 762 Jörg Zirfas Ulrike Grittner: Gegen diese Ecksonne habe ich immer gekämpft Christian Niemeyer Bernd Dollinger: Die Pädagogik der sozialen Frage ....................... 765 ............................................... 767 Dokumentation Pädagogische Neuerscheinungen ............................................................................... 770 II 762 Besprechungen Allgemeine, Wesenhafte, Invariante der Bedürfnisse im „Besonderen der milieuspezifischen, geschlechts- und alterspezifischen sowie kulturspezifischen Befriedigungsmitteln und weisen“ wieder (S. 32). Als Referenzautoren dieser Position werden Galtung sowie Deci und Ryan genannt. Sofern psychologische Grundbedürfnisse dauerhaft unbefriedigt blieben, drohten negative Folgen für das Individuum, soziale Desintegration bis hin zu einer gegen die Gesellschaft gerichteten revoltierenden Haltung. Das besondere Interesse der Autorin gilt den Bedürfnissen sozial benachteiligter Jugendlicher. Mägdefrau sieht in Aggression, Gewalt bis hin zur Kriminalität unter Jugendlichen Reaktionen auf Defizite in der Bedürfnisverwirklichung. Da Grundbedürfnisse auf unterschiedliche Weise sowie mit variablen und austauschbaren Mitteln – so genannten Satisfiern – zu befriedigen seien, könne in Kindheit und Jugend eine Form der Artikulation und Befriedigung von Bedürfnissen erlernt werden, welche sich mit den in einer Gesellschaft geltenden Normen vereinbaren ließe. So könne Pädagogik etwa gegenüber einer als defizitär empfundenen Befriedigung materieller Bedürfnisse nichtmaterielle Bedürfnisse betonen, auf diese Weise Frustrationserlebnissen sowie daraus resultierenden Konflikten entgegenwirken und damit einen Beitrag zu einem friedvolleren und harmonischeren Zusammenleben leisten. Schule und Elternhaus seien Sozialisationsinstanzen, die hier kompensatorisch einwirken könnten. Auch wenn Mägdefrau damit durchaus fruchtbare Perspektiven für ein an Bedürfnissen orientiertes pädagogisches Handeln entwickelt, erweist sich ihr Ansatz in gewisser Hinsicht als problematisch. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe. Der erste besteht darin, dass zwar die Frustrationsvermeidung bei Jugendlichen betont, jedoch kein Konzept zur Bewältigung und zum Umgang mit Frustrationen entwickelt wird. Der zweite Grund besteht in der Normkonformität des Grundbedürfnisansatzes. Erlernt werden soll laut Mägdefrau eine an allgemein geltenden Normen orientierte Form der Bedürfnisbefriedigung. Dabei wird jedoch übersehen, dass vielerorts allgemeine, stabile Normen entweder nicht existieren oder in Auflösung begriffen sind. Außerdem bleibt unbeachtet, dass auch Normen der Kritik, Überprüfung und gegebenenfalls der Veränderung bedürfen und daher nicht als a priori legitim vorausgesetzt werden können. Der dritte Grund liegt darin, dass es letztlich die Erziehenden sind, welche darüber befinden, inwieweit bestimmte Weisen und Mittel der Bedürfnisbefriedigung als normkonform und damit als akzeptabel beurteilt werden können. Wie die Jugendlichen selbst an der Hervorbringung allgemein gültiger Normen und damit übereinstimmender Weisen und Mittel der Bedürfnisbefriedigung beteiligt werden können, bleibt offen. Trotz dieser kritischen Punkte gebührt der Untersuchung von Mägdefrau das Verdienst, das Bedürfnis-Geschehen für die Pädagogik aufgeschlossen und für weiterführende Studien zugänglich gemacht zu haben. Dr. des. Jana Swiderski Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Erziehungswissenschaften Abt. Allgemeine Erziehungswissenschaft Unter den Linden 6 10099 Berlin E-Mail: [email protected] Roland Reichenbach: Philosophie der Bildung und Erziehung. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer 2007. 253 S., EUR 18,00. Wie viele verschiedene Buchtitel lassen sich wohl aus den Worten „Einführung“, „Bildung“ und „Philosophie“ basteln? Nicht viele, jedenfalls sehr viel weniger als Varianten denkbar sind, sinnvoll und verständlich in die Bildungsphilosophie einzuführen. Nach Alfred Schäfers „Einführung in die Bildungsphilosophie“ liegt nun Roland Reichenbachs „Philosophie der Bildung und Erziehung. Eine Einführung“ vor. Reichenbach hat Alfred Schäfer an dieser Stelle (Z.f.Päd. 2006, S. 439–442) dafür kritisiert, im weiten Feld der Bildungsphilosophie einen möglichen Aspekt, nämlich den der Autonomie, gegenüber vielen anderen möglichen überbetont zu haben; damit verspricht der Titel einen umfassenderen Über- Besprechungen 763 blick, als das Buch dann tatsächlich hält. Reichenbach hingegen setzt breiter an, so breit, dass vielleicht der Titel „Bildung und Erziehung in der Philosophie. Eine Einführung“ treffender gewesen wäre. Es handelt sich nämlich weniger um eine Einführung in genuin bildungs- und erziehungsphilosophische Fragen als vielmehr um einen Streifzug durch die Philosophiegeschichte unter den Aspekten Bildung und Erziehung. Verfehlt es damit seinen Zweck? Nein. Im Gegenteil. Einführungen scheinen sich zu ihrer Disziplin ungefähr so zu verhalten, wie ein Vorwort zu einem Buch: als im Nachhinein produzierte Darstellung dessen, was kommt, als Kurzfassung einer gegebenen Struktur. Tatsächlich konstituieren sie zumeist erst den Kanon, den sie zu repräsentieren vorgeben. Für eine Einführung in die Bildungsphilosophie gilt dieses ganz besonders. Denn der Bildungsphilosophie fehlt nicht nur eine durch Tradition und Institutionen geformte und eindeutig als eigenständig erkennbare Struktur, es darf sogar bezweifelt werden, ob es die Bildungsphilosophie jenseits solcher Einführungen überhaupt gibt. Reichenbach sieht das Problem und begegnet ihm mit Transparenz, er benennt die Schwierigkeiten der inhaltlichen Auswahl und der Struktur solcher Einführungen und begründet seinen Aufbau ausführlich, anstatt, wie in Lehrbüchern zumeist üblich, solche Entscheidungen durch Schematisierungen zu invisibilsieren. Zunächst führt Reichenbach fünf Gründe an, die gegen den angeblich besonders in den USA gebräuchlichen Aufbau erziehungs- und bildungsphilosophischer Einführungswerke nach „Ismen“ sprechen, also nach Pragmatismus, Idealismus, Realismus etc.: „Ismen“ seien Konstruktionen, sie hätten einen dogmatischen Beigeschmack, kaum jemand finde sich in ihnen wieder, ihre Grenzen seien unscharf und zu schlechter Letzt beförderten sie die Diskussion von Pseudoproblemen. Die Gründe überzeugen, die reflexartige Abgrenzung gegen US-amerikanische Autoren nicht. Neben dem Hinweis darauf, dass ein solcher Aufbau ganz einfach auch praktisch sei, rechtfertigt Reichenbach mit fünf Gegenbegründungen seine Entscheidung, dennoch genau so, nämlich nach „Ismen“ geordnet, vorzugehen. Man kann diese fünf Gründe nur wenig verkürzend auf einen herunterbrechen: Man solle es nicht so eng sehen. Schließlich sei auch ein Denken in „Ismen“ immer noch Denken und ließe sich immer noch auf den Gegenstandsbereich Bildung und Erziehung beziehen. Das überzeugt nicht so richtig, ist aber nicht weiter schlimm; erstens, weil man weiß, dass jede denkbare Form der Einführung mit kritisierbaren Reduktionen arbeiten muss und zweitens, weil die mit verschiedenen Ismen überschrieben Kapitel sich auf höchst angenehme Weise von ihrer Bezeichnung unabhängig zeigen und ganz und gar nicht so schematisch aufgebaut sind, wie man vermuten könnte, wenn man sieht, wie Reichenbach sie überflüssiger Weise in Übersichtstabellen zu pressen versucht. Kurzum: die Gründe, die Reichenbach gegen den von ihm gewählten Aufbau anführt, überzeugen genauso wie die Art, wie er diese dann in den jeweiligen Kapiteln unterläuft. Es fällt auf, dass er sich dieser Strategie – zu zeigen, warum etwas nicht geht oder warum man etwas nicht tun sollte, um genau das dann doch zu tun – öfter bedient. So weist er gleich im ersten Kapitel über den Platonischen Idealismus und die „Frage nach dem Preis des Guten“ zunächst darauf hin, dass das, was wir alltagssprachlich mit „Idealismus“ verbinden, mit dem Platonischen Idealismus nicht viel zu tun hat und man das auch nicht verwechseln sollte, um sogleich recht umstandslos von der Ideenlehre zu den Vorzügen und Schwierigkeiten übermotivierter, nämlich „idealistischer“ Pädagogen in der Gegenwart überzugehen. Das ist aber kein Grund sich zu freuen, Reichenbach bei einer inhaltlichen Inkonsistenz erwischt zu haben. Ohne solche Sprünge kommt in Einführungen nämlich nur aus, wer seine Zielgruppe und seine Aufgabe aus den Augen verloren hat und der Konsistenz opfert, was nur durch inhaltliche Sprünge zu erreichen ist: Nämlich zwischen einer ausdifferenzierten Denktradition und dem alltagsnahen Denken sowie den Fragen derer zu vermitteln, die ein berechtigtes Interesse daran haben, zu erfahren, was der ganze Aufwand, Bildungsphilosophie zu betreiben, eigentlich soll. Gäbe es zwischen diesen beiden Denkformen nicht diesen Bruch, gäbe es auch nichts zu vermitteln. Reichenbach selbst hat in seiner erwähn- 764 Besprechungen ten Rezension darauf hingewiesen, dass die meisten Einführungen keine sind, weil sie nur für diejenigen verständlich sind, die keine brauchen. Über zehn Kapitel wird so etwas wie eine imaginäre Landkarte des philosophischen Denkens von Bildung und Erziehung gezeichnet, wobei Reichenbach sich in jedem dieser Kapitel (zumeist) vier Aspekten des von ihm (zumeist) als ein Ismus bezeichneten Markpunktes widmet: So wird (zumeist) ein prominenter Autor mit einer biographischen Skizze und der einen oder anderen Anekdote vorgestellt, dann wird ein Bezug zwischen Werk sowie Bildungs- bzw. Erziehungsfragen hergestellt (soweit diese nicht bereits explizit vorliegen) und schließlich werden über die Abstraktion auf jeweils eine als leitend angesehene Metapher (das Licht, die goldene Mitte, Ganzheit etc.) die gewissermaßen vertikal aus der Geschichte entnommenen philosophischen Beiträge zu Bildung und Erziehung horizontal auf eine Landkarte gegenwärtigen und alltagsnahens Denkens projiziert. Dass das nicht ohne Verzerrungen abgehen kann, versteht sich von selbst und sollte nicht mit dem Versuch verwechselt werden, Wirkungsgeschichte zu schreiben. Der Aufbau orientiert sich im Großen und Ganzen an der klassischchronologischen Philosophiegeschichtsschreibung von Platon bis zur Postmoderne. Je näher er der Gegenwart kommt, desto öfter verzichtet er auf den Umweg über eine Metapher und versucht den Leser direkt von der Bedeutung eines „Ismus“ für das Denken von Bildung und Erziehung zu überzeugen. Von Platons Höhlengleichnis gelangt Reichenbach über die Metapher des Lichts zu den Chancen und Gefahren zeitgenössischer Pädagogen, sich an Erziehungsidealen zu orientieren (Kap. 1). Von Aristoteles’ Nikomachischer Ethik gelangt er über die Metapher der goldenen Mitte zu Lob und Kritik des gesunden Menschverstandes in der Pädagogik (Kap. 2). Von der Diskussion von Rousseaus Emile gelangt er über die Metapher des Kerns zu naturalistischen Vorstellungen und Authentizitätsbestrebungen in der zeitgenössischen Pädagogik (Kap. 3). Bei der Diskussion von Kant dient die Fortschrittsmetapher der Aufklärung und das berühmte krumme Holz, aus dem der Mensch geschnitzt sei, dazu, einen Bogen von dem Kant des kategorischen Imperativs zum Kant der Pädagogik-Vorlesungen zu schlagen (Kap. 4). Beim Deutschen Idealismus ist es die Metapher der Ganzheit, die zur Beschreibung und Erklärung des deutschen Sonderwegs in Bildungsfragen dient (Kap. 5). Bei Dewey erwähnt er zwar die Metapher des Instruments, verwendet sie aber nicht weiter, sondern geht direkt auf den Zusammenhang von Demokratie und Erziehung bei Dewey ein (Kap. 6). Heidegger, Jaspers und Fink sind die Autoren, mit denen Reichenbach sich vom Wechsel der Theoriemoden unbeeindruckt zeigt, indem er den Existentialismus als Markstein einer Landkarte der Philosophie von Bildung und Erziehung mitberücksichtigt. Auch dabei geht er nicht mehr den Umweg über eine Metapher, sondern bezieht sich direkt auf Fink als bildungsphilosophischen Interpreten Heideggers (Kap. 7). Seine angenehme Unabhängigkeit von Theoriemoden beweist er fast noch mehr im nächsten Kapitel, in dem er sich (bzw. Bruce Maxwell, der hier als federführend angegeben wird) der analytischen Erziehungsphilosophie widmet. Zu sagen, dass diese nicht gerade in Mode ist, wäre noch untertrieben; manch einen dürfte überraschen, dass es so etwas überhaupt gibt (Jürgen Oelkers sprach 1982 immerhin von einer „Erfolgsgeschichte“; aber wahrscheinlich als einziger) (Kap. 8). Die beiden letzten Kapitel sind deutlicher an der Gegenwart sowie an genuin erziehungs- und bildungsphilosophischen Diskussionen orientiert. In einem Dreischritt von Sokrates als Skeptiker über den transzendental-skeptischen Ansatz, dem viel Raum gegeben wird, gelangt Reichenbach zum späten Foucault (Kap. 9). In diesem Kapitel ist Reichenbach gegenwärtigen Fragen der Erziehungs- und Bildungsphilosophie näher als im letzten Kapitel über die Postmoderne, in dem sich Lyotard und der späte Wittgenstein gegen eine Darstellung der Postmoderne behaupten müssen, die vielleicht ein wenig zu sehr an vergangene FeuilletonDebatten erinnert. Reichenbachs Einführung ist im besten Sinne zielgruppenorientiert: Ihm gelingt es in knapper Form, ein weites Feld des philosophischen Denkens von Bildung und Erziehung abzustecken. Für eine Einführung in die Er- Besprechungen 765 ziehungs- und Bildungsphilosophie selbst kommen aktuelle Fragen der Erziehungs- und Bildungsphilosophie allerdings zu kurz. Aber, wie gesagt, vielleicht wäre es treffender gewesen, das Buch einfach „Bildung und Erziehung in der Philosophie. Eine Einführung“ zu nennen. Dipl.-Päd. Sönke Ahrens Universität Hamburg Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft Von-Melle-Park 8 20146 Hamburg E-Mail: [email protected] Ulrike Grittner: Gegen diese Ecksonne habe ich immer gekämpft. Kinderbilder in den Augen der Großen. Marburg: Tectum Verlag 2007, 396 S., ISBN 978-3-8288-9445-7, EUR 29.90. Wie Bilder von Kindern zunächst und zumeist Bilder der Erwachsenen von Kindern sind, so werden auch Kinderbilder zunächst und zumeist von Erwachsenen eingeschätzt und beurteilt. Wie also betrachten Erwachsene Kinderbilder? Aufgrund welcher Kriterien bewerten sie die Qualität von Kinderzeichnungen? Wie stellen sie einen Zusammenhang zwischen den gezeichneten Bildern und den Entwicklungsverläufen von Kindern her? Ulrike Grittner wählt in ihrem Buch – das 2006 als Dissertation an der Humboldt Universität zu Berlin eingereicht wurde – für diese Fragestellungen drei Zugänge: Der erste Zugang enthält einen Überblick über psychologische und kulturwissenschaftliche, künstlerische und pädagogische Einschätzungen von Kinderzeichnungen. Im Mittelpunkt stehen zunächst die Psychologie und die Kulturwissenschaften mit je unterschiedlichen Akzentuierungen. So wird der Zusammenhang von künstlerischer Qualität und (kognitiver) Entwicklung mit Piaget, der ontogenetisch-ganzheitlich Ansatz der Bewertung mit MerleauPonty, der Schematismus mit John-Winde und die Realitätsnähe von Kinderbildern mit Goodman in den Blick genommen; die Diskussion des Ein-Mann-Zeichentests von Ziller, die Entwicklungsverläufe von Menschen- und Raumdarstellungen nach Lange-Küttner und die Debatte um Kinderbilder in verschiedenen Kulturen (Richter) vervollständigen diesen Teil. Zusammenfassend erfahren die entwicklungspsychologischen Konzeptionen ob ihrer impliziten und expliziten Normativität eine kritische Einschätzung, und es wird vor allem darauf verwiesen, dass der Ausgang von einer universellen transkulturellen Entwicklungsvorstellung, „in der unterschiedliche kulturelle Ausprägungen nur als zeitliche Verschiebungen gedeutet werden, untrennbar mit einer Kulturstufentheorie zusammenhängt“ (S. 98), die letztlich darauf hinausläuft, qualitative künstlerische Differenzen und damit kindlichere oder erwachsenere Kulturen definieren zu können. Die Künstler wiederum, die sich intensiv mit Kinderbildern beschäftigen (Kandinsky, Münter), suchen vor allem die Verbindung zu einer unverfälschten Natürlichkeit und filtern diejenigen interessanten Details der Formen und Formerfindungen aus den Bildern heraus, die sie für ihre eigene Arbeit verwenden können. Sie schätzen die Authentizität von Kinderzeichnungen und verwenden diese, noch nicht von Kultur und Normen verzerrt erscheinenden, kindlichen Bildelemente für ihre eigenen Formsprachen – wie etwas Klee, Dubuffet, Picasso u.a. In der Darstellung des Kunstunterrichts wird schließlich das alte Dilemma um die Selbstzweckhaftigkeit der Kunst oder die Zweckgebundenheit des Unterrichts zunächst historisch durchdekliniert. Die Diskussion, ob nun Zeichnen zu etwas nutzen solle, oder ob die Kinderzeichnung wesentlich frei zu sein habe, wird an Positionen der Aufklärung (Basedow) und der Reformpädagogik (Götze) verdeutlicht. Ist das Kind ein künstlerisches Genie (Hartlaub), soll sich der Kunstunterricht an der modernen Kunst orientieren (Pfennig), oder soll man den Kunstunterricht rationalisieren (Otto), Massenmedien und Werbung einbeziehen und sich an den Bedürfnissen von Kindern orientieren? Mit der Rekonstruktion der theoretisch-empirischen Forschung von Mollenhauer und seinen Mitarbeitern, die die ästhetischen Erfahrungsdimension hinsichtlich der Produktion und Re-