FOCUS Gesundheit

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Juli | August 2015
+ Report: So gut sind Bio-Produkte wirklich +
G E SU N D H E IT
Ernährung
GESUNDHEIT
Einfach schlank: Mit Psycho-Strategien dauerhaft abnehmen
Hilfe bei Unverträglichkeiten & Allergie / Ess-Schule für Kinder
Ernährung der Zukunft / Fasten: Reinigung für Leib und Seele
LISTE
ÄRZTE
-
P
DIE TLOISTEN
NG,
SPEZIRA
NÄHRU
Österreich € 8,90
|
Schweiz SFR 14,90
|
Luxemburg € 9,25
|
Italien € 9,95
FÜR E RTRÄGUNVE N UND
ITE
LICHKE -OPs
MAGEN
Gesünder
essen
Wie Sie
Herz & Knochen
stärken,
Krebs & Diabetes
verhindern
EDITORIAL
Volle Gesundheit auf den Tisch
Foto: Dominik Butzmann für FOCUS-Magazin
ESSEN IST GENUSS PUR, Lebenselixier und Lust
sünder zu essen. Wie? Indem man sich selbst
erkennt, sein Verhalten vorausahnt und überzugleich. Täglich verbringt jeder Deutsche rund
listet. Ab Seite 82 verrät Wansink seine wirk100 Minuten damit. Zu viel? Eher ist es so, dass
samsten Psycho-Strategien zum Abnehmen.
oft zu wenig Zeit und Verstand investiert werden. Dabei ist eine gesunde Ernährung ganz
einfach: Es kommt auf die
GEMÜSE VOM FELD, Milch
richtigen Mengen an. Wir
von der Kuh – in Zukunft
zeigen Ihnen ab Seite 36,
wird das wohl die Ausmit welchen Produkten Sie
nahme sein. US-Bio-Hacker tüfteln an Milch aus
Ihre Tafel reichlich decken
Bäckerhefe. In München
können und was nur seleröffnet demnächst eine
ten auf den Teller sollte.
Ab Seite 64 erfahren Sie,
High-Tech-Fabrik für Gewie Gemüse, Milch oder
müse. Mehr zur Zukunft
Fisch vor den schlimmen
unserer Lebensmittel ab
Volkskrankheiten schütSeite 28.
zen – ganz ohne Nebenwirkungen. Wer mehr
KINDERN GUTES Essen
Hilfe braucht, findet die
Wissen aufs Tablet oder den Reader Die
schmackhaft zu machen
E-Book-Reihe liefert Gesundheit kompakt:
Liste mit Top-Ernährungsist eine Herausforderung.
medizinern ab Seite 112.
über AmazonKindle, iBooks und Google play
Wenn wieder einmal der
Brokkoli liegen geblieWEG MIT DEN ÜBERFLÜSSIGEN PFUNDEN. Doch
ben ist, stellen sich Eltern die Frage: Was nun?
Ab Seite 52 geben Experten Rat – und erkläwelche Diät ist die richtige? Auf die verzweiren, warum es gut ist, wenn der Nachwuchs in
felte Frage geben Ernährungsforscher heute
Küche und Garten anpackt.
eine einfache Antwort: Machen Sie, was Sie
wollen! Es gibt nicht die eine Formel zum Abnehmen. Erlaubt und erfolgreich ist, was den
Herzlich
persönlichen Geschmack trifft. Ab Seite 74 lesen Sie, wie Sie Ihre Schlankheitsformel finden.
BEWUSST ESSEN wollen heute fast alle. „Alles
Unsinn!“, behauptet dagegen unser Experte
Brian Wansink im Interview. Der Psychologe
plädiert dafür, „gedankenlos“ weniger und geFOCUS-GESUNDHEIT
Ulrich Reitz, Chefredakteur
3
Inhalt
FOCUS-GESUNDHEIT – Nr. 24 – Die Ernährung
22
Stadtleben
Lieber ein Ei vom
eigenen Huhn.
In Hamburg
pflegt Familie
Kuna-Wagenhuber
das Landleben
Geschmackssachen
6 Mein Essen
Vier Prominente über den Weg zu ihrem
ganz persönlichen Speiseplan
10 Aufgetischt
Meldungen und Mythen – von
Scharfmachern und Geruchskillern
14 Die Explosion im Gehirn
Die FOCUS-GESUNDHEIT-Infografik
erklärt, wie Geschmack entsteht
16 Viele Köche machen den Brei
Was uns schmeckt, bestimmen Gene,
die Sinne und die Familiengeschichte
22 Marke Eigenbau
Bienen, Hühner oder Karotten –
Selbstversorgung liegt im Trend, auch
bei Stadtbewohnern
28 Science-Fiction auf dem Teller
Insekten zum Selberzüchten: Forscher
tüfteln am Essen der Zukunft
35 Besser essen
64
Junges Gemüse
Die richtigen
Nahrungsmittel
schützen Herz,
Gelenke oder Gehirn
4
Pillen-Irrtum
Normalerweise sind
Vitamintabletten
unnötig. Ein paar
Ausnahmen gibt
es aber doch
Viel Pflanze, wenig Tier: So kochen und
essen Sie richtig gesund
44 Der Bio-Report
Ist ökologisches Essen tatsächlich besser?
Sieben Fragen – sieben Antworten
50 Wer isst was?
Tierfrei, Steinzeit, Rohkost und mehr:
Sechs populäre Ernährungsformen
im Porträt und Experten-Check
52 Ein Löffelchen von Mama
Gesundes Essen lernen Kinder neuerdings in der Kita oder in der Schule
58 Gut geplant, nix verschwendet
Schlaue Tipps für Einkaufsliste,
Kühlschrank und Kochtopf
64 Zauberkünstler auf dem Teller
Herz, Knochen, Krebsvorsorge: Welche
Nahrungsmittel uns gesund halten
70 Wasser marsch!
Viel trinken, aber richtig. Diese
Getränke sind die idealen Durstlöscher
FOCUS-GESUNDHEIT
Titel: Heinz Wuchner für FOCUS-Gesundheit; Foodstyling: Mar tin Grünewald
108
36 Eigentlich ganz einfach
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44
Fotos: Valeska Achenbach, Frank Lübke/beide für FOCUS-Gesundheit, TEK IMAGE/SPL/Agentur Focus.
Illustration: Holly Wales für FOCUS-Gesundheit
Bunte Kiste
Ist Bio wirklich
schmackhafter und
gesünder? Sieben
überraschende
Antworten
Evangelisches
Krankenhaus Herne
Prof. Dr. Matthias Kemen
Chefarzt für Allgemeine und
Viszeralchirurgie
73 Einfach schlank
74 Die individuelle Diät-Formel
Ende der strengen Regeln: Dauerhaft abnehmen darf jetzt jeder auf seine Weise
80 Was passt für mich?
Von Glyx bis Trennkost: Fünf beliebte
Diäten im detaillierten Vergleich
82 Psycho-Tricks zum Abnehmen
Ernährungspsychologe Brian Wansink
über die magische Wirkung kleiner
Teller und unsichtbarer Schokolade
86 Die Fett-Detektive
Körperanalyse-Waagen sind gnadenlos.
Sind sie auch gut? 14 Geräte im Test
88 Letzter Ausweg OP
Eine Magenverkleinerung kann nur der
Einstieg in ein leichteres Leben sein
100 Der Feind ist die Nuss
Forscher suchen neue Therapien
gegen Nahrungsmittelallergien
104 Vorsicht, Getreide!?
Die Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit
ist eine ernsthafte Erkrankung, aber
glücklicherweise sehr selten
108 Wunderpillen entzaubert
Antioxidantien sind gesund, aber nur
in Nahrungsmitteln. Immer mehr Ärzte
warnen vor den Anti-Aging-Pillen
112 Ärztelisten
Die führenden Adipositas-Chirurgen und
Ernährungsmediziner
120 Schon gewusst?
Roboter kochen in China, der Seniorenteller kommt jetzt aus dem Drucker –
mit butterweichen Speisen
93 Bewusst ernähren
Rubriken
94 Eine Woche ohne
Fasten ist in und gesund. Unsere Autorin
hungerte sich durch den Selbstversuch
FOCUS-GESUNDHEIT
3 Editorial des Chefredakteurs
122 Vorschau und Impressum
Top-Bauchchirurgie in Herne
Hilfe bei
krankhaftem
Übergewicht
In der Klinik für Viszeralchirurgie
am Evangelischen Krankenhaus
Herne kommen gleich mehrere Expertisen zusammen, wenn es um
Hilfe bei krankhaftem Übergewicht
geht. Das zertifizierte Adipositaszentrum wird geleitet von Chefarzt
Prof. Dr. Matthias Kemen, sowohl
Adipositas-Chirurg als auch Ernährungsmediziner. Ein Team aus
Medizinern, Psychologen und
Physiotherapeuten bettet adipöse
Patienten in ein umfassendes Therapiekonzept ein, das nicht an der
Kliniktür endet. Der Magen-DarmTrakt ist das Spezialgebiet von
Prof. Kemen, der außerdem Leiter
des von der Deutschen Krebsgesellschaft mehrfach zertifizierten
Darmkrebszentrums am EvK
Herne ist.
www.evk-herne.de
Fon 02323 . 498 - 2021
Menschen
Der Mensch ist, was
er isst. Und wer bin
ich dann? Vier
Prominente erzählen,
wie sie zu ihrer ganz
persönlichen Ernährung gefunden haben
Tennisprofi Sabine
Lisicki, 25, ist trotz
Glutenunverträglichkeit
jetzt wieder richtig fit
Abgeschmettert
Seitdem Sabine Lisicki
auf glutenhaltige Nahrungsmittel wie Weizenbrötchen
verzichtet, kann sie auf
dem Tennisplatz wieder
100 Prozent geben
6
*Sabine Lisicki ist Markenbotschafterin der Marke Schär.
FOCUS-GESUNDHEIT
Foto: Marko Priske für FOCUS-Gesundheit
„Vor sechs Jahren habe ich die Diagnose
bekommen, dass ich an einer Glutenunverträglichkeit leide. Für mich war das
eine Erlösung. Denn drei Jahre lang war
ich ständig schlapp und müde, aber mein
Arzt konnte mir nicht sagen, woran es
lag. Für einen Leistungssportler ist es
natürlich eine Katastrophe, wenn man
keine Leistung bringen kann. Damals
habe ich die Biografie eines US-amerikanischen Football-Spielers gelesen, dem
es ähnlich ging wie mir. Der Grund: eine
Glutenunverträglichkeit. Ich habe dann
meinen Arzt darauf angesprochen und
hatte nach dem Test endlich Gewissheit.
Vor sechs Jahren war es noch viel
schwieriger, mit dieser Unverträglichkeit
zu leben als heute. Mittlerweile gibt es
viele glutenfreie Produkte*, die schmecken. Es hat ungefähr ein halbes Jahr
gedauert, bis sich mein Körper an den
neuen Speiseplan gewöhnt hatte. Für
die Ernährungsumstellung braucht man
einfach ein bisschen Geduld.
Aber seitdem ich weiß, was ich nicht
mehr essen darf, geht es mir viel besser.
Ich bin deutlich fitter und brauche eine
Stunde weniger Schlaf pro Nacht. Das
macht für mich als Leistungssportlerin
einen riesigen Unterschied. Denn ein
oder zwei Prozent mehr Leistung entscheiden zwischen Sieg oder Niederlage
auf dem Tennisplatz.“
Weniger ist mehr
Durch regelmäßiges
Fasten hat Schauspieler
Ralf Bauer herausgefunden, was seinem Körper
guttut und was nicht
Foto: Thomas Leidig/Photoselection
Schauspieler Ralf Bauer, 48, fastet regelmäßig, um danach wieder
bewusster zu genießen. Verzicht ist für ihn ein Gewinn
„Wenn es die Arbeit zulässt, faste ich jedes
Jahr. 2015 bin ich allerdings noch nicht dazu
gekommen, weil ich seit Oktober durcharbeite*. Und ich habe die Quittung dafür
bekommen: eine Grippe. Ich glaube schon,
dass das miteinander zusammenhängt.
Mir tut es gut, ab und zu mal zu verzichten.
Nach den ersten drei, vier Fastentagen habe
ich das Gefühl, alles bewusster wahrzunehmen. Mein Leben bekommt einen neuen,
langsameren Rhythmus, und ich fühle mich
FOCUS-GESUNDHEIT
körperlich gesünder. Ich bin katholisch
erzogen worden und faste regelmäßig zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag. In
diesem Zeitraum verzichte ich auf Fleisch,
Fisch, Kaffee und Alkohol. Zusätzlich habe
ich jedes Jahr ein paar Tage, an denen ich
nur Wasser zu mir nehme – mit ein bisschen
frischem Ingwer, der wie eine innere Heizung
auf den Körper wirkt. Vor allem nach dem
Wasserfasten merke ich sehr bewusst, dass
Nahrung viel mehr als eine Befriedigung un-
seres Gaumens ist. Sie gibt uns die Energie
für unser Leben! Nahrungsmittel, die mich
müde und schlapp machen, meide ich.
Ich versuche, nach dem tibetischen Leitsatz „Gesund versuchen zu erhalten, nicht
Krankheit heilen müssen“ zu leben. Eine
gesunde Ernährung spielt dabei eine große
Rolle – und für mich zählt das gelegentliche
Nichtessen dazu.“
*Vom 27.6. bis zum 6.9.2015 spielt Ralf Bauer „Old Firehand“
bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg.
7
Aufgetischt
Meldungen, Meinungen, Mythen
Gesund gebrüht
Ob Tee oder Kaffee –
ein paar Tassen, über
den Tag verteilt, können
vor Krankheiten
schützen. Hier sind zwei
positive Effekte der
beiden Heißgetränke.
Kaffee
DEF TIGE PLEITE Abstiegskampf kann grausam sein – und sogar dick machen. Nach Niederlagen
ihrer Mannschaft ernähren sich Fußballanhänger ungesünder als nach einem Sieg, so eine Studie aus
den USA. Je knapper und unerwarteter die Pleite, desto häufiger greifen sie zu fettigem und süßem
Essen. Ein Tipp für leidgeplagte Fans mit Gesundheitsbewusstsein: nach Spielverlust aufschreiben,
was einem wirklich wichtig ist im Leben. In der Studie aßen die Fans dann gesünder – trotz Niederlage.
Manche mögen’s scharf
Männer, die gern Chilis essen, haben mehr Testosteron. Das konnten
französische Wissenschaftler in einem Experiment herausfinden. Dafür baten sie 114 Männer aus Grenoble im Alter zwischen 18 und 44
Jahren zu Tisch. Die Forscher servierten ihnen eine Portion Kartoffelpüree und stellten jeweils 50 Dosen
Tabasco-Chili-Soße und 80 Tütchen
Salz dazu. Zuvor entnahmen sie den
Probanden eine Speichelprobe, um
deren Testosteron-Spiegel zu messen. Die Versuchsteilnehmer durften selbst entscheiden, wie stark
10
Scharfmacher:
Chili hebt
den Testosteronspiegel
sie ihr Essen würzten. Anschließend
sollten sie angeben, ob ihnen der
Kartoffelbrei scharf, salzig, mehlig
oder cremig schmeckte. Das Ergebnis: Männer mit einem hohen Testosteronspiegel kippten besonders
viel Tabasco auf ihr Essen und nahmen die Schärfe auch stärker war.
Einen Zusammenhang zwischen
Salz und dem Sexualhormon konnten die Forscher nicht feststellen.
Sie vermuten, dass Chili den Testosteronspiegel anhebt. Die Vorliebe für
scharfes Essen könne auch ein Ausdruck erhöhter Risikobereitschaft
sein, so Laurent Bègue, Sozialpsychologe und Leiter der Studie.
Moderater Kaffeekonsum schützt vor
Typ-2-Diabetes. Wer vier
Tassen am Tag trinkt,
hat ein um die Hälfte geringeres Risiko als Nichttrinker. Der Schutz wirkt
auch ohne Koffein.
Tee
Polyphenole im Tee
sollen die Plaquebildung
in den Blutgefäßen senken. Teetrinker erleiden
wohl deshalb seltener
einen Herzinfarkt. Bei
drei Tassen am Tag
sinkt das Herzinfarktrisiko um elf Prozent.
FOCUS-GESUNDHEIT
Unser tägliches Brot
Mythen-Check
Die deutsche Brotkultur ist wegen ihrer Vielfalt weltweit beliebt.
Über 3000
Brotsorten
und 1200
Kleingebäckvarianten sind
offiziell eingetragen.
Ende des 19. Jahrhunderts aß ein Mensch
fast viermal so viel
Brot wie heute.
Roggen steckt in
36 Prozent der
deutschen Brote.
Er ist so die häufigste Getreideart.
In Baden-Württemberg bestehen knapp
die Hälfte aller
Brote aus Weizen.
Rund 12 600
Bäckereien
existieren noch –
vor 60 Jahren waren
es knapp fünfmal so
viele Betriebe.
1,8 Millionen
Tonnen Brot gehen in Deutschland
pro Jahr über die
Bäckerei-Theke.
Fotos: Getty Images, Fotolia (4), Clip Dealer
Illustration: Daniela Koelbl
Quelle: Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks
13
Stunden in der Woche verbringen
Inder mit Kochen. Die Deutschen
sind Kochmuffel: Nur 5,4 Wochenstunden stehen sie am Herd
Die Antwort lautet „ja“. Doch
bevor nun Apfelesser hastig
die Kerne wieder ausspucken:
Es kommt auf die Dosis an.
Zwar enthalten Apfelkerne die
Substanz Amygdalin, die im
Körper zu giftiger Blausäure
umgewandelt wird. Um daran
ernsthaft zu erkranken,
müsste man aber etwa 18
ganze Äpfel samt Kernen auf
einmal essen, so niedrig ist
die Konzentration. Nächste
Bedingung: Nur wer die Kerne
zerkaut, nimmt das Gift auf.
Andernfalls können die Verdauungsenzyme das Amygdalin nicht zu Blausäure verarbeiten. Britische Forscher
geben auch für Apfelsaft Entwarnung. Obwohl in den Säften meist ganze Äpfel landen,
steckt darin so wenig Amygdalin, dass sie bedenkenlos
getrunken werden können.
Quelle: GfK-Umfrage in 22 Ländern, Sommer 2014
Kalorienzähler im Kopf
Gehirn auf Beutejagd
Der Kauf von Lebensmitteln ist alles andere als
eine reine Bauchentscheidung. Das Gehirn zählt
beim Anblick von Nahrung fleißig Kalorien und
drängt uns deshalb, reichhaltige Lebensmittel
auszuwählen. Das legt eine kanadische Studie
nahe. Anhand von Bildern mussten die Teilnehmer den Energiegehalt von 50 Nahrungsmitteln
schätzen. Auffallend war, dass die Probanden
bei den Kalorienangaben oft danebenlagen.
FOCUS-GESUNDHEIT
Sind Apfelkerne giftig?
2 1 0 kj
Anders ihr Gehirn: Der präfrontale Cortex, der
den Wert von Reizen beurteilt, zeigte bei kalorienreichen Speisen die stärkste Reaktion – selbst
wenn die Personen den Nährwert niedrig einstuften. Anschließend sollten die Teilnehmer wie in
einer Auktion auf das Essen bieten. Es zeigte
sich: Für Speisen mit vielen Kalorien lagen die
Gebote höher. Die Forscher nehmen an, dass
unser Gehirn reichhaltige Kost besonders wertvoll findet und so das Kaufverhalten lenkt. Das
könnte erklären, warum wir oft mit Chips an der
Kasse stehen, obwohl wir Obst kaufen wollten.
11
G E S C H M AC K S S AC H E N
INFOGRAFIK
Die Route zum
Genuss
Ohne Düfte wäre Essen recht fade.
Das Gehirn mixt in einem komplexen
Vorgang einen aromatischen Cocktail
aus Duft- und Geschmackssignalen
olfaktorischer Cortex
Infografik: Br yan Christie Design für FOCUS-Gesundheit
S
14
o schmeckt der Sommer: eine
saftig rote Erdbeere, süß und
fruchtig. Der Anblick lässt das
Wasser im Mund zusammenlaufen. Ein Happen, und winzige Duft- und
Geschmacksmoleküle strömen in die
Nase und auf die Zunge. Diese tastet
die Konsistenz ab und nimmt eine erste
Grobeinschätzung des Geschmacks vor:
süß, salzig, sauer, bitter oder umami, also
herzhaft? Jede Rezeptorzelle ist auf eine
dieser Qualitäten programmiert. Angereichert wird dieser Grundgeschmack
mit dem charakteristisch süßen Erdbeerduft. Tausende feine Aromanuancen
kann die Nase unterscheiden.
Welch verschlungene Wege Genussbotschaften gehen, soll am Beispiel der
Zunge gezeigt werden: Über Nervenbahnen fließen die Signale der Geschmacksrezeptoren zunächst zum Thalamus, der
sie an den gustatorischen Cortex weiterleitet. Das Geschmackszentrum im Insellappen trifft ein erstes Urteil: schlucken
oder ausspucken? Süß oder sauer?
Das volle Geschmackserlebnis entfaltet sich erst in der Großhirnrinde, genauer im orbitofrontalen Cortex hinter
der Stirn. Dort werden die Botschaften
über Geschmack, Geruch, Aussehen und
Mundgefühl kombiniert und mit Erinnerungen abgeglichen. Am Knotenpunkt
dieser Routen kommt es zum Genusshöhepunkt: weiche Konsistenz, erst sauer,
dann schön süß. Erdbeere eben. Lecker!
gustatorischer Cortex
Thalamus
Amygdala
Teamwork
Schmecken, Riechen und Fühlen müssen
beim Essen zusammenpassen. Im Gehirn
gehen diese Sinneswahrnehmungen zunächst getrennte Wege. Über die Nervenbahnen laufen auch Informationen zur
Konsistenz und Temperatur der Speisen.
Erst im orbitofrontalen Cortex kombinieren sie sich zu einem Gesamteindruck.
Riechen
In der Riechschleimhaut ragen
aus jeder Sinneszelle winzige Härchen,
an denen Duftmoleküle andocken.
Die Zellen senden über Nervenbahnen
Signale vom Riechkolben ins Gehirn
(grün). Diese passieren die für Emotionen zuständige Amygdala und das
Riechzentrum im olfaktorischen Cortex.
orbitofrontaler Cortex
Riechne
rv
Riechkolben
Riechschleimhaut
Riechhärchen
Schmecken
Auf der Zunge sitzen
Geschmackspapillen,
in diesen wiederum
insgesamt bis zu
5000 Geschmacksknospen. Wenn dort
Geschmackspartikel
auf Geschmackszellen
treffen, senden die
Rezeptoren elektrische
Signale, die über Nervenfasern ins Gehirn
geleitet werden (gelb).
Nasenschleimhaut
Geschma
Nervenbahnen
cks
el le
z
Ne
rv
en
fas
Papille
er
Geschmacksknospe
FOCUS-GESUNDHEIT
15
G e s c h m ac k s s ac h e n
Wa h r n e h m u n g
Feuerwerk der
Sinne
F
ände Genuss nur auf der Zunge
statt, wäre Essen eine recht
fade Angelegenheit. Auf der
untersten Sinnesebene können
Geschmackszellen lediglich fünf grobe
Richtungen voneinander unterscheiden:
süß, sauer, salzig, bitter und umami.
Der japanische Begriff heißt übersetzt
„herzhaft, köstlich“. Dass sich über Geschmack ganz vortrefflich streiten lässt,
hat damit zu tun, dass er viel mehr bedeutet als nur das Schmecken auf der
Zunge. Genussexplosionen finden nicht
im Mund, sondern im Gehirn statt.
In einem komplexen Zusammenspiel
fügt das Denkorgan die Signale von
Zunge, Nase, Augen und Ohren zusammen und gleicht sie mit früheren Erinnerungen ab. Pfefferminzgeschmack
zum Beispiel besteht aus dem von der
Nase aufgenommenen Minzaroma, einem leicht bitteren Geschmack und einem kühlen Gefühl im Mund. Oder diese
ganz bestimmte Zimtnote: Nichts weckt
Kindheitserinnerungen wie der Gedanke
an Omas Apfelkuchen.
Der Mensch ist ein Schmeck-Wesen.
Die Evolution hat ihn dazu gemacht. Ein
guter Morgen beginnt mit dem Duft und
dem leicht bitteren Aroma einer Tasse
Tee oder Kaffee. An einem nicht so guten Morgen verrät der Geschmackssinn
auch, dass die Milch sauer oder der Käse
verschimmelt ist. „Im Lauf der Evolution
hat sich die Wahrnehmung der Grundgeschmacksrichtungen mit bestimmten
Erwartungen verknüpft“, erklärt Thomas
Hummel, Leiter des Interdisziplinären
16
25
Geschmacksrezeptoren auf
der Zunge reichen
aus, um Tausende
bittere Stoffe zu
erschmecken
Zentrums für Riechen und Schmecken
am Universitätsklinikum Dresden. „Viele
bittere Substanzen sind giftig, und Säure
gilt als Indikator für Verdorbenes.“ Süßes dagegen stehe für wichtige Kohlenhydrate, Salziges für lebensnotwendige
Elektrolyte. Diese Mechanismen scheinen angeboren zu sein.
Schon im Mutterleib schluckt das Ungeborene Fruchtwasser und nimmt die
darin enthaltene Zucker-Süße sowie
Aminosäuren und Fett auf. Fügt man
dem Fruchtwasser durch eine Kanüle
eine sterile Zuckerlösung hinzu, beginnt
der Embryo häufiger zu schlucken. Werden dem Fruchtwasser Bitterstoffe beigemischt, sinkt die Schluckrate.
Kinder, deren Mütter in den letzten
Schwangerschaftswochen regelmäßig
Knoblauch oder Anis zu sich genommen
haben, werden diese Aromen mit einer
hohen Wahrscheinlichkeit auch später
gern mögen. Ähnliches haben Forscher
für Karotten, Vanille und Minze herausgefunden. Kulinarische Früherziehung
per Fruchtwasser und Muttermilch. „Die
Botschaft ist vermutlich: Wenn es meine
Mutter zu sich nimmt, muss es auch für
mich gut sein“, sagt Geschmacksforscher Thomas Hummel.
Babys lieben Süßes und Fettiges. Genau so schmeckt Muttermilch. Bei bitterem Rosenkohl verziehen die meisten Kinder angewidert das Gesicht.
„Geschmackspräferenzen prägen sich
vor allem in der Kindheit und Jugend
aus. Danach sind sie relativ konstant“,
führt Wolfgang Meyerhof aus, Leiter
Foto: Frank Lübke für FOCUS-Gesundheit
Warum schmeckt uns, was uns schmeckt? Der Zünder
für Geschmacksexplosionen steckt nicht nur in der Zunge,
sondern in Gehirn, Genen und der Familiengeschichte
Farbenspiel
Geschmack spielt sich nicht
nur auf der Zunge ab. Alle fünf
Sinne sind am Geschmackserleben beteiligt. Soll etwas gut
schmecken, muss auch das
Bild auf dem Teller stimmen.
Das Auge isst mit
Dem Geschmackssinn lässt
sich leicht etwas vorgaukeln:
Grüne Götterspeise schmeckt
nach Waldmeister, rote nach
Beeren. Klar. Das tut sie auch
dann, wenn der Wackelpudding
völlig geschmacksneutral, aber
rot und grün gefärbt ist. Die
Tester werden den Geschmack
wahrnehmen, wie sie ihn
erwarten: Waldmeister und
Beeren. In einer Studie identifizierten Tester rot gefärbten
Weißwein meist als Rotwein.
Das richtige
Maß halten
Gesunde Ernährung ist ganz einfach: Mit Gemüse,
Obst und Vollkornprodukten darf die tägliche
Tafel reichlich gedeckt sein. Süßes, Salziges
oder das Schnitzel sollten dagegen eher
Solitäre auf dem Tisch bleiben
Bunt und knackig frisch
Etwa 4,5 Kilo Obst und
Gemüse isst jeder Erwachsene
idealerweise pro Woche
36
FOCUS-GESUNDHEIT
BESSER ESSEN
GESUNDE ERNÄHRUNG
Menge
pro Woche
2,8 Kilo Gemüse, 1,7 Kilo
Obst oder
„5 am Tag“
(3 Portionen Gemüse, 2 Obst)
So lieber
nicht
Dosenobst
und süßer
Fruchtsaft sind
kein Ersatz
für frische
Früchte
Tipps und
Besonderheiten
Sekundäre
Pflanzenstoffe
und Vitamine in
Gemüse und
Obst stärken
die Abwehr
Foto: Mike Hofstetter für FOCUS-Gesundheit
Bunt, frisch, kraftvoll: Gemüse und Obst stecken voller
lebenswichtiger Nährstoffe. Sie kommen täglich fünfmal auf den Tisch
Gemüse und Obst sind wahre Kraftpakete. Sie stecken voller Vitamine,
Mineralstoffe und sekundärer Pflanzenstoffe, sind aber fett- und energiearm.
Kohlenhydrate sind als Hauptbausteine
von Obst und Gemüse die Basis unserer
Ernährung. Entscheidend ist ihre Qualität
als Energielieferant: Salat, Bohnen, Spargel, Äpfel, Beeren und weitere Gemüseund Obstsorten sind reich an komplexen
Kohlenhydraten. Diese werden im Darm
FOCUS-GESUNDHEIT
nur langsam in Glukose aufgespalten. Sie
halten den Blutzuckerspiegel in Schach,
sättigen, liefern Ballaststoffe und senken
damit das Risiko für Übergewicht, HerzKreislauf-Krankheiten und Krebs.
Täglich sollten mindestens fünf Portionen auf den Tisch kommen – dreimal
Gemüse, zweimal Obst. Eine Portion Gemüse darf roh geknabbert werden, zwei
weitere gegart. Die Hitze zerstört zwar bis
zu ein Drittel der Vitamine. Kochen sorgt
aber für mehr Abwechslung. Nährstoffe
wie Carotin aus Karotten oder Lycopin
aus Tomaten lassen sich gegart sogar
besser verwerten. Hülsenfrüchte, Kohl
oder Aubergine sind ohnehin nur gekocht
genießbar.
Gegart werden sollte immer so kurz wie
möglich, bei niedrigen Temperaturen und
mit wenig Wasser oder Fett: Das erhält
den natürlichen Geschmack und schont
die enthaltenen Nährstoffe.
37
XX
B
EX
SX
S E RXEXSXSX
EN
GESUNDE ERNÄHRUNG
Am besten ist
volles Korn: Brot,
Nudeln oder Reis
Brot, Getreideflocken, Reis, Pasta
und Couscous enthalten viele komplexe Kohlenhydrate und wenig Fette
– mit Gemüse und Obst kombiniert,
bilden sie die optimale Basis einer
vollwertigen Ernährung. Wenn möglich, alle Produkte aus vollem Schrot
und Korn genießen: Naturreis, Vollkornnudeln und -brot machen nicht
nur lange satt. Sie liefern zusätzlich
B-Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe und unlösliche
Ballaststoffe wie Zellulose. Wer
viele Vollkornprodukte isst, regt die
Verdauung an und beugt Verstopfung, Hämorrhoiden und Dickdarmkrebs vor. Auch das Risiko für Diabetes Typ 2 sinkt. Vorsicht dagegen
vor industriell verarbeiteten Produkten wie Müsliriegeln, Cerealien oder
belegten Brötchen vom Kiosk: Sie
sind zucker- und fetthaltig.
Vorsicht geboten ist auch bei kohlenhydratarmem Brot. Das Trendprodukt
der Low-Carb-Bewegung, auch Eiweißbrot genannt, enthält zwar wenig
Kohlenhydrate und viel Eiweiß: Der
Fettanteil ist aber drei- bis zehnmal
so hoch wie bei normalem Brot.
38
Ins Volle gegriffen
Kartoffeln sowie Getreide
und Reis sind die Basis
gesunder Ernährung – zumal in der Vollkornvariante
Menge
pro Woche
So lieber
nicht
Tipps und
Besonderheiten
1,7 Kilo Brot;
350 Gramm
Getreideflocken; 1,7 Kilo
Kartoffeln,
Nudeln, Reis
Plunderteilchen, Pommes oder
Reibekuchen
nur ab und zu
genießen!
Getreide enthält Proteine,
die der Körper
mit tierischem
Eiweiß besser
verwertet
FOCUS-GESUNDHEIT
Menge
pro Woche
1,4 Liter
fettarme Milch
und Milchprodukte;
350 Gramm
fettarmer Käse
So lieber
nicht
Platz gelassen
Milch, Käse oder Joghurt
sind wichtig – aber gesund
sind sie nur fettarm und in
Maßen genossen
Hände weg von
speziellen
Kinderjoghurts,
sie liefern
Unmengen
Zucker
Tipps und
Besonderheiten
Durch Wurst
oder Schmelzkäse wird das
Calcium der
Milch wieder
ausgeschieden
Fotos: Mike Hofstetter für FOCUS-Gesundheit
Eiweiß, Calcium und Geschmack: Wer sich gesund ernährt,
wählt bei Milch, Joghurt oder Käse frische und fettarme Produkte
Milchprodukte stecken voller essenzieller Aminosäuren. Diese lebenswichtigen
Eiweiße kann der Körper nicht selbst
bilden – wir müssen sie täglich zuführen.
Aus Eiweißen baut der Körper Nervenzellen, Muskeln, Enzyme, Hormone und
Antikörper für die Körperabwehr. Milch gilt
nicht als Getränk, sondern als Lebensmittel und liefert zahlreiche Nährstoffe,
allen voran Calcium. Das Mineral fördert
FOCUS-GESUNDHEIT
den Aufbau und die Stabilität von Knochen. Kinder und Schwangere sollten
daher nicht auf Milch verzichten. Doch
Vorsicht: Milch und Milchprodukte sind
oft kalorienreich. Vor allem Joghurt und
Käse enthalten viel Fett. Daher lieber die
fettarme Frischmilch, Joghurt mit 1,5 Prozent Fett, Käse bis 30 Prozent Fett in der
Trockenmasse wählen. Sahne und Butter
zählen wegen ihres hohen Fettgehalts zur
Kategorie „Fette und Öle“. Nahezu alle
Milchprodukte sind zudem wärmebehandelt. Während bei der pasteurisierten,
kurzzeitig auf 70 Grad erhitzten Milch
krankmachende Bakterien abgetötet
werden, wird bei der auf 140 Grad („ultra
hoch“) erhitzten H-Milch die Eiweißstruktur verändert. Zwar hat dies keinen Einfluss auf den Calciumgehalt der Milchprodukte. Vitamine gehen so aber verloren.
39
Öko-LebensmitteL
Ist
. . . ohne Zusätze?
Bio...
Über Bio wird viel geredet. trotzdem sind
ökologisch erzeugte Lebensmittel nach wie
vor ein Nischenprodukt. Sind sie wirklich
besser und gesünder? Sieben Antworten
. . . wirklich bio?
Steht auf einem Produkt „aus kontrolliertem Anbau“ oder „ungespritzt“, sagt
dies nichts darüber aus, ob Bio-Anforderungen tatsächlich erfüllt sind. Nur die
Bezeichnungen „bio“ und „öko“ sind
geschützte Begriffe. Dem sechseckigen,
nationalen Öko-Siegel vertrauen 94 Prozent der Deutschen. Es prangt auf der
Verpackung von mehr als 70 000 Produkten. Da nicht jeder Verbraucher den Produzenten persönlich kennen kann, muss
er sich auf die Arbeit der 18 deutschen
Öko-Kontrollstellen verlassen. BadenWürttemberg geht einen Schritt weiter.
Dort untersucht das sogenannte ÖkoMonitoring seit 2002 nicht nur die Produktionsabläufe, sondern in Stichproben
auch die abgepackte Ware.
In den ersten zehn Jahren des ÖkoMonitorings bestanden 95 Prozent der
Produkte den Test. Das heißt aber auch,
dass bei fünf Prozent das Bio-Siegel beanstandet wurde. Diese wiesen Rückstände von Pestiziden auf. Für deutsche
Produkte lag diese Quote bei zwei Prozent, bei Lebensmitteln aus Griechen44
land, Italien oder Ägypten bei rund
neun Prozent. „Höhere Gewinnmargen
können im Öko-Handel zu Betrug und
Etikettenschwindel verleiten“, sagt Birgit Bienzle, stellvertretende Leiterin der
amtlichen Lebensmittelüberwachung in
Baden-Württemberg. „Umso wichtiger
ist ein funktionierendes Kontrollsystem.“
Zwar ist Deutschland mit knapp acht
Milliarden Euro Umsatz der größte BioMarkt in Europa. Dennoch sind aktuell
96 Prozent der verkauften Lebensmittel
nicht ökologisch produziert. Bio ist nach
wie vor ein Nischenmarkt.
87 %
der Bio-Käufer
ist auch die
regionale Herkunft wichtig
Damit ein Bio-Produkt das EU-Siegel
tragen darf, muss es mehrere Voraussetzungen erfüllen: Ökologisch hergestellte
Lebensmittel dürfen nicht gentechnisch
verändert werden. Ein Verbot gilt auch für
chemisch-synthetische Mittel zur Düngung oder Schädlingsbekämpfung. Das
heißt nicht, dass Bio-Produkte frei von
Pflanzenschutzmitteln sind. Allerdings
dürfen nur natürliche Stoffe verwendet
werden. Bei verarbeiteten Lebensmitteln
müssen 95 Prozent des Produktgewichts
aus ökologischer Erzeugung stammen.
Private Anbauverbände wie Bioland
oder Demeter gehen in einigen Aspekten über die EU-Standards hinaus (siehe
Überblick Seite 48).
Lebensmittelzusätze sind auch bei Bio
erlaubt. Allerdings nur die wichtigsten,
ohne die ein Erzeugnis weder hergestellt
noch haltbar gemacht werden könnte.
Auch Öko-Ware kann bis zu 50 natürliche Stabilisatoren oder Konservierungsmittel enthalten. In konventionellen
Lebensmitteln sind in Europa gut 300
Zusatz- und Hilfsstoffe erlaubt.
Wird ein Tier auf dem Bio-Hof krank,
kann es auch dort mit Antibiotika behandelt werden – allerdings nicht präventiv
wie auf konventionellen Höfen. Benötigt es solche Medikamente ein weiteres
Mal, verliert das Tier den Bio-Status.
. . . gesünder?
Mehr als die Hälfte der Deutschen kauft
zumindest gelegentlich Bio-Produkte ein.
In Umfragen landet ein relativ egoistisches Motiv regelmäßig weit vorn: Viele
Verbraucher erhoffen sich einen positiven Effekt auf ihre Gesundheit. Die Wissenschaft kann diese Hoffnung nicht
eindeutig erfüllen. „Egal, ob ökologisch
oder nicht, Obst und Gemüse haben immer annähernd denselben Gehalt an Vitaminen, sekundären Pflanzenstoffen und
Proteinen“, fasst Bernhard Watzl, Leiter
des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max Rubner-Institut in Karlsruhe, zusammen. Das zeigen
große Übersichtsstudien. Watzl bezweifelt ohnehin, dass das kleine Plus an
FOCUS-GeSUndheit
illustration: holly Wales für FOCUS-Gesundheit
Besser essen
besser essen
Öko-LebensmitteL
sekundären Pflanzenstoffen einen Effekt auf die Gesundheit hat. Sicher ist,
dass die Konzentration von Nitrat oder
Schwermetallen in konventionellen Lebensmitteln im Durchschnitt etwas höher
ist. Dass solche Rückstände im Rahmen
der gesetzlichen Grenzwerte schädlich für
den Menschen sind, sei aber nicht nachgewiesen, erklärt Watzl. Wichtiger ist dem
Ernährungswissenschaftler, dass sich BioKonsumenten bewusster und ausgewogener ernähren. Sie würden mehr Obst
und Gemüse sowie weniger Fleisch essen.
Verbrauchertäuschungen beobachtet
Andreas Winkler, Pressesprecher des
Vereins Foodwatch, auch bei ökologischen Produkten: „Viele Müsliriegel
oder Frühstücksflocken für Kinder sind
völlig überzuckert, werden aber wie gesunde Produkte vermarktet.“ Dann sei es
zweitrangig, ob sie bio sind oder nicht,
meint Winkler. „Auch mit zu viel BioSchokolade kann ich mich krank essen.“
. . . besser für die
Umwelt?
Wenn Bio auf dem Teller schon keine
nachweisbaren Vorteile für die Gesundheit bringt, dann doch zumindest für die
Umwelt. Schließlich ist Nachhaltigkeit das
Ziel, mit dem die Öko-Idee einst angetre-
ten ist. Bio-Bauern bevorzugen alte und
vielfältige Pflanzensorten und Tierrassen,
verzichten auf den Einsatz von Gentechnik und chemischen Düngemitteln sowie
Pestiziden. Öko-Landwirte düngen mit
Tiermist und bauen auf demselben Acker
jährlich wechselnde Pflanzensorten an.
Dadurch kann sich der Boden erholen
und bleibt auf natürliche Weise fruchtbar.
Auch bei der Produktion von Fleisch,
Eiern und Milch gehen Bio-Bauern andere Wege: Statt Hühner, Schweine und
Rinder in großen Ställen auf knappem
Platz zu halten, gönnen sie ihren Tieren
Auslauf in der freien Natur. Jungtiere
dürfen in der Nähe ihrer Mutter bleiben.
Sie werden nicht gemästet, sondern mit
biologisch angebautem Futter ernährt.
Zwar sind auch im ökologischen Landbau umstrittene Mittel wie das Metall
Kupfer erlaubt. Unter dem Strich ist
Bio in puncto Nachhaltigkeit der klare
Gewinner. Ökologische Landwirtschaft
Bio-Idylle:
Bei artgerechter
Haltung haben
Tiere mehr Auslauf
schont Gewässer, erhöht die Artenvielfalt und lässt mehr Leben zu: Auf BioFlächen kommen im Schnitt 50 Prozent
mehr Lebewesen und 30 Prozent mehr
Arten vor als auf konventionellen.
. . . leckerer?
Bio ist nicht per se schmackhafter als
konventionell. Die Stiftung Warentest
konnte im Jahr 2010 nach Tests an Hunderten verschiedenen Produkten keine
Hinweise darauf finden. Auf beiden Seiten gebe es sehr gute wie mangelhafte
Produkte. Bei weiterverarbeiteten Lebensmitteln wie Ketchup oder Joghurt
schneiden Öko-Lebensmittel teilweise
sogar schlechter ab. „Viele Bio-Produkte
entsprechen nicht den Geschmacksvorstellungen der Discounter-Kundschaft,
die sich an den Geschmack von industriell hergestellten, stark gewürzten und
aromatisierten Lebensmitteln gewöhnt
hat“, sagt Peter Röhrig, Geschäftsführer
des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). „Bio schmeckt nicht
unbedingt besser, sondern anders. Auf
jeden Fall authentischer.“
Viel entscheidender als das Label „Bio“
sei für ein gutes Produkt die Frage nach
Sorte, Standort, klimatischen Bedingungen und Reife, meint Ernährungswissenschaftler Bernhard Watzl. „Ein konventioneller Apfel, der unter günstigen
Bedingungen gewachsen ist, kann einem Bio-Apfel, der nur wenig Sonne und
Feuchtigkeit abbekommen hat, deutlich
überlegen sein.“
Dass ein Produkt aus der Region kommt,
ist für 87 Prozent der Bio-Käufer wichtig.
Die Bezeichnung „regional“ ist aber nicht
geschützt und recht dehnbar. Ohnehin
kommen viele Bio-Produkte längst aus
dem Ausland. Zitrusfrüchte oder Bananen müssen selbstredend importiert werden. Aber auch jede dritte Bio-Kartoffel
stammt inzwischen nicht mehr von deutschen Äckern, sondern zum Beispiel aus
Ägypten. Dort wird wertvolles Trinkwasser zum Anbau benutzt. Lange Transportwege werfen die Frage nach dem öko46
FOCUS-GeSUndheit
illustration: holly Wales für FOCUS-Gesundheit
. . . regional?
Der Bio-Globus
Wie viel mehr
würden Sie für
Bio bezahlen?
1,22 €
0,31 €
6
4
7
pro Jahr
Steaks
200 g
%
,2
,9
%
%
Mehl
1 kg
4
106 €
94 €
Schweiz
Dänemark
Schweden
Deutschland
,6
,0
%
k. A.
,3
%
163 €
%
206 €
%
Wie viel
geben Bürger
für Bio aus?
Butter
250 g
%
Äpfel
1 kg
*Bio-Anteile am jeweiligen Markt
,3
Was
verkauft sich
am besten?
Bio-Marktanteil
bei Lebensmitteln
0,97 €
76 €
67 €
33 €
2€
0€
USA
Frankreich
Italien
China
Türkei
2
2
0
4
Quelle: Universität Kassel
Mehl
(5,8 %*)
,3
Frischgemüse
(5,8 %*)
Eier
(9,7 %*)
2,46 €
10 %
Intensivkäufer
(mind. einmal pro Woche)
Bio-Käufertyp
en
41 %
kein Bio-/
Zufallskäufer
7%
21 %
Häufig-Käufer
(alle zwei Wochen)
13 %
Umsatz
BioProdukte
51 %
28%
Wer sind die
Bio-Käufer,
und welchen
Anteil haben
sie am Umsatz?
27 %
Ab-und-zu-Käufer
Wie viele Bio-Produkte
gibt es in Deutschland?
62 T
66 T
69 T
1,8 %
51 T
24 T
33 T
2004 2006 2008 2010 2012 2014
FOCUS-GESUNDHEIT
1995
2005
2014
4,7 %
6,5 %
Welchen Anteil an der
Ackerfläche haben Bio-Höfe?
logischen Sinn solcher Bio-Importe auf.
„Bio-Tomaten aus Spanien oder -Kartoffeln aus Ägypten können eine schlechtere Öko-Bilanz haben als konventionelle
Früchte aus Deutschland“, mahnt Foodwatch-Sprecher Andreas Winkler. „Aber
bei verarbeiteten Lebensmitteln können
Konsumenten oft nicht nachvollziehen,
woher die Ware kommt.“
Auch die regionale Herkunft ist nicht
automatisch klimafreundlich: Deutsche
Äpfel müssen das ganze Jahr über in
Kühlhäusern unter sauerstoffarmer Atmosphäre gelagert werden, damit sie
frisch bleiben. Bis zum Frühjahr des
folgenden Jahres verbrauchen sie ähnlich viel Energie wie der Transport frischer Äpfel von der Südhalbkugel. Ein
Anhaltspunkt für die Herkunft ist die
Codenummer auf der Verpackung, z. B.
DE-ÖKO-001: Der Code beginnt mit dem
Kürzel des EU-Herstellerlandes. Hinter
dem Wort „bio“ oder „öko“ steht die Referenznummer der Kontrollstelle.
. . . zu Recht teurer?
Quelle: BMEL
Quelle: Bundesministerium für Ernährung und
Landwir tschaft (BMEL)
Quelle: Gesellschaft für Konsumforschung (GfK)
Quelle: Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL)
Quelle: Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI)
Der Markt wächst, doch der Anteil ökologisch produzierter Lebensmittel ist
gering und beträgt in Deutschland nur knapp über vier Prozent
Bio hat seinen Preis – und muss ihn haben. Bauern erhalten zwar 13 Cent mehr
für einen Liter Bio-Milch als für konventionelle. Die Produktion ist aber auch
wesentlich aufwendiger und teurer. Laut
Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung erlösten Bio-Landwirte im
Jahr 2013 pro Hektar 1482 Euro, bei konventionellem Anbau waren es mit 2684
Euro fast doppelt so viel. Indirekte Folgekosten für die Umwelt durch Pestizide
und Monokulturen spiegeln sich im Preis
auf dem Etikett ohnehin nicht wider.
„Dabei müsste eine gesunde, ökologische Ernährungsweise nicht viel teurer
sein als die aktuell sehr fleischbetonte
Durchschnittskost“, sagt Peter Röhrig
vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Die Deutsche Gesellschaft
für Ernährung (DGE) empfiehlt, wenig
Fleisch, dafür viel Obst und Gemüse zu
sich zu nehmen. Wer dem nachkommt
und ausschließlich Bio-Produkte einkauft, würde für seinen Speiseplan lediglich 80 Euro pro Jahr mehr ausgeben
als der Durchschnittsdeutsche, hat das
private Öko-Institut berechnet.
�
STEFAN SCHWEIGER
47
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