Auf der Spur von Blut und Bakterien

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NEIL LINFORD
r r r H A N D W E R K D E R A R C H Ä O LO G E N
Auf der Spur von Blut
und Bakterien
Das Magnetogramm zeigt in hellen
Farben die Verteilung des Eisens im
Hämoglobin eines vor 1200 Jahren
verstorbenen Menschen. Das Skelett
wurde nachträglich eingezeichnet.
Mit dem Magnetometer lassen sich im irdischen Magnetfeld winzige Unregelmäßigkeiten messen. Sogar Leichen können damit aufgespürt werden.
Von Joachim Schüring
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JÖRG FASSBINDER
Dass Neil Linford vom University College London kürzlich die tief
im Boden liegenden Leichen einiger vor
1200 Jahren verstorbener Angelsachsen
auffinden konnte, hat er allein dem roten
Blutfarbstoff, dem Hämoglobin, zu verdanken. Denn in ihm steckt der größte
Teil des Eisens im menschlichen Körper –
alles in allem etwa so viel wie in einem
Nagel. Während die Körper längst zerfallen waren, überdauerte das Eisen die
Jahrhunderte – und hat seither einen winzigen Einfluss auf das natürliche Magnetfeld der Erde.
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Dieses Feld wird im flüssigen Teil des
Erdkerns erzeugt, in dem Wärmeströme –
angetrieben durch den Zerfall radioaktiver
Substanzen – einen gewaltigen Dynamo
antreiben. Die Magnetfeldlinien treten am
Nordpol aus, laufen um die Erdkugel herum und treten im Südpol wieder ein. Gebirge, Ozeane und der innere Aufbau der
Erde beeinflussen das Feld zwar, im überschaubaren Maßstab archäologischer Untersuchungsgebiete herrscht aber in der
Regel ein homogenes Feld – und zwar in
Europa, je nachdem, wo man sich befindet, mit einer Stärke zwischen 40 und 55
millionstel Tesla.
Die ersten Magnetometer machten sich
den gleichen Effekt zu Nutze wie ein gewöhnlicher Kompass auch, nämlich die
Ablenkung eines Magneten. Bei den Torsionsmagnetometern wurden dessen ablenkende Kräfte mit Federkraft gemessen.
Viel präziser waren dann die Geräte, bei
denen die winzigen Bewegungen mit Hil-
Natürlicher Kompass: Diese Bakterie
hat in ihrem Inneren perlschnurartig angeordnete Magnetitkristalle.
fe von Lichtstrahlen und Spiegeln erfasst
wurden.
Diese Instrumente waren lange Zeit
nur den Geologen vorbehalten, die damit
nach Öl- und Erzlagerstätten suchten. Erst
Ende der 1950er Jahre waren die Magnetometer empfindlich genug, um auch die
schwachen magnetischen Einflüsse archäologischer Relikte zu messen. Moderne
Magnetometer kommen ganz ohne Feinmechanik aus. Sie nutzen die Veränderungen eines elektrischen Felds, die Ablenkung von Elektronen im Magnetfeld oder
andere atomphysikalische Effekte.
Münzgeld ist tabu
Gemessen wird in allen Fällen mit zwei
Sensoren. Der eine registriert das natürliche Erdmagnetfeld der Region, der andere
die magnetischen Anomalien im Untersuchungsgebiet – hervorgerufen durch Objekte mit andersartigen magnetischen Eigenschaften. Ohne einen Spatenstich zu
tun, können Archäologen so an einem Tag
leicht eine hundert Meter große Kreisgrabenanlage kartieren und bis zwei Meter
tief in den Untergrund »schauen«. Münzgeld, Armbanduhr und Manschettenknöp-
ABENTEUER ARCHÄOLOGIE 4/2004
BILD LINKS: JÖRG FASSBINDER; BILD RECHTS: SIGANIM / ABENTEUER ARCHÄOLOGIE
Die Skythen, so steht es in Büchern,
waren eigentlich Nomaden. Doch das
Magnetogramm beweist: Zumindest
teilweise waren sie sesshaft und lebten
in Dörfern.
Ein viertel Jahrhundert später staunten
Forscher um Jörg Faßbinder vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, als
ihr Magnetometer in einer Kreisgrabenanlage immer wieder ausschlug, sie aber
nichts als verrottetes und eigentlich gänzlich unmagnetisches Holz aufspürten.
Und tatsächlich fanden sie in den alten
Pfostenlöchern magnetische Minerale, die
es dort eigentlich gar nicht geben durfte.
Des Rätsels Lösung fanden die Wissenschaftler erst, als sie ihre Proben mit einem Elektronenmikroskop betrachteten –
und merkwürdige Bakterien entdeckten.
Bakterien, die in ihrem einzelligen Körper
winzige Magnetitkristalle produzierten,
um sich mit diesem natürlichen Kompass
zu orientieren und auf möglichst direktem
Wege zu den nährstoffhaltigen Bodenschichten zu gelangen. Als die Bakterien
abgestorben waren, blieben die Kristalle
zurück und verraten den Archäologen bis
heute den Verlauf alter Palisaden und Fundamente, aber auch, wo die Menschen der
Vorzeit ihren Abfall vergruben.
Mittlerweile marschieren Forscher mit
ihren tragbaren Geräten in der ganzen
40 m
ABENTEUER ARCHÄOLOGIE 3/2004
Magnetometer lassen sich leicht herumtragen – wie hier vor der Pyramide von
Saqqara in Ägypten (links). Sie reagieren
auf winzige Anomalien. Die »Störkörper«
haben andere magnetische Eigenschaften
als das Erdmagnetfeld (rechts).
JÖRG FASSBINDER
fe sind dann tabu. Selbst eine Kreditkarte
im Portmonee stört solche Messungen.
Die kleinräumigen Inhomogenitäten
im irdischen Magnetfeld werden in der
Regel durch verschiedene Eisenminerale
verursacht. Sie sind es, die die Böden in
unseren Breiten braun und in den Wüsten
rot färben. Für die Archäologen sind diese
Minerale vor allem dann von großem
Nutzen, wenn sie erhitzt werden. Denn in
gebrannten Ziegeln etwa oder unter einer
Feuerstelle wandeln sie sich um, werden
schwach magnetisch und »stören« das natürliche Magnetfeld. Martin Aitken und
Edward Hall vom Research Laboratory for
Archaeology in Oxford hatten dies bereits
gewusst und 1958 mit einem Magnetometer erstmals einen archäologischen
Fund gemacht: Töpferöfen aus der Römerzeit.
Welt herum. Etwa in der sibirischen Steppe, wo Jörg Faßbinder mit seinen Kollegen vor ein paar Jahren eine sensationelle
Entdeckung machte. Sie hatten die Überreste einer über 2700 Jahre alten skythischen Siedlung gefunden und damit eine
alte Lehrmeinung umgestoßen. Denn bis
dahin war in den Büchern zu lesen, dass
die Skythen als Nomaden durch die eurasischen Steppen zogen und einzig ihre mit
prachtvollem Gold gefüllten Grabstätten
hinterließen. In Wahrheit waren sie aber
zumindest teilweise sesshaft und lebten in
Dörfern, die an moderne Reihenhaussiedlungen erinnern.
Man kann die Geräte auch hinter einem Schiff durchs Meer schleppen. So
wie der französische Unterwasserforscher
Franck Goddio, der mit seinem schwimmenden Magnetometer unter anderem
das versunkene Alexandria mit dessen Königsviertel freilegte. Unweit davon entdeckte Goddio mit seinem schwimmenden Magnetometer bald darauf sogar die
antike Stadt Herakleion und – da sind
sich die Wissenschaftler schon ziemlich sicher – den sagenumwobenen HeraklesTempel. Ihm hatte die antike Stadt ihren
Namen verdankt, hierher waren Paris und
Helena geflohen, bevor ihre Liebe Anlass
für den Troianischen Krieg wurde.
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