44 8 I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit Polynome Aufgabe: Berechnen Sie alle Lösungen der Gleichung z 3 − 15z − 4 = 0 . 8.1 Definition. a) Ein Polynom P ∈ K[z] über K = Q , R , C ist eine Funktion P : K 7→ K der Form P : z 7→ m P k=0 ak z k = am z m + am−1 z m−1 + · · · + a1 z + a0 (1) mit Koeffizienten ak ∈ K . Im Fall am 6= 0 heißt deg P := m der Grad von P. 8.2 Nullstellen. a) Ein Polynom P (z) = az + b vom Grad 1 hat genau eine Nullstelle z0 = − b/a . b) Ein Polynom P (z) = z 2 + 2pz + q vom Grad 2 hat wegen z 2 + 2pz + q = 0 ⇔ (z + p)2 = p2 − q für p2 = q genau eine Nullstelle z0 = −p , für p2 6= q nach Satz 7.13 genau 2 Nullstellen. Im Fall P ∈ R[z] , also p, q ∈ R , sind diese gegeben durch z± = −p ± q p2 − q , q p2 − q > 0 , z± = −p ± i q − p2 , (2) p2 − q < 0 . c) Nach Satz 7.13 hat ein Polynom P (z) = z n −w für w ∈ C\{0} genau n Nullstellen in C . d) Nach Satz 5.17 hat ein reelles Polynom P ∈ R[z] ungeraden Grades mindestens eine Nullstelle in R . 8.3 Theorem (Fundamentalsatz der Algebra). Jedes Polynom P (z) = m P ak z k k=0 vom Grad m ≥ 1 hat mindestens eine Nullstelle in C . Einen relativ elementaren Beweis unter Verwendung von Satz 7.13 findet man in [K1], 27.16. In HM 3 wird sich der Satz mühelos aus dem funktionentheoretischen Satz von Liouville ergeben. 8.4 Abspaltung von Linearfaktoren. a) Es sei 0 6= P ∈ K[z] mit P (z0 ) = 0 für ein z0 ∈ K . Dann gibt es Q ∈ K[z] mit deg Q = deg P − 1 und P (z) = (z − z0 ) · Q(z) . (3) Zum Beweis schreibt man P (z) = P (z) − P (z0 ) und verwendet Formel (3.7). 8.5 Satz. Ein Polynom P ∈ C[z] vom Grad m hat höchstens m verschiedene Nullstellen und zerfällt in Linearfaktoren, d. h. P (z) = α r Q (z − zj )mj , j=1 α , zj ∈ C , r P j=1 mj = m . (4) 8.6 Vielfachheiten. Die in (4) auftretenden Zahlen mj heißen Vielfachheiten der Nullstellen zj ; dabei wird zj 6= zk für j 6= k angenommen. Im Fall mj = 1 heißt zj einfache Nullstelle von P . 8 Polynome 45 8.7 Kubische Gleichungen. a) Gleichungen z 3 + bz 2 + cz + d = 0 werden durch die Substitution z = w − 3b auf die Form w 3 + pw + q = 0 reduziert. Setzt man p w = v− 3v , so erhält man für v 3 die quadratische Gleichung 27(v 3 )2 +27qv 3 −p3 = 0 und somit explizite Lösungen. b) Es wird die von R. Bombelli im 16. Jahrhundert diskutierte Gleichung z 3 − 15z − 4 = 0 (5) gelöst. Mit z = v + v5 erfüllt dann also u := v 3 die quadratische Gleichung 27u2 − 4 · 27u + 153 = 0 oder u2 − 4u + 53 = 0 . Es folgt √ √ v 3 = u± = 2 ± 4 − 125 = 2 ± i 121 = 2 ± 11i . c) Nach 7.15 ist v+,0 = 2 + i eine Lösung von v 3 = 2 + 11i . Für die entsprechende Lösung von (5) ergibt sich z+,0 = 2 + i + 5 2+i = 2+i+ 5(2−i) 5 = 4, was man durch Einsetzen sofort bestätigt. Gemäß 8.4 erhält man eine Faktorisierung z 3 − 15z − 4 = (z − 4) (z 2 + 4z + 1) , und daraus die weiteren (reellen) Lösungen −2 ± √ 3. d) Ähnlich wie für kubische Gleichungen gibt es auch explizite Lösungsformeln für Gleichungen 4. Ordnung, was aber ab der Ordnung 5 nach einem berühmten Resultat von N.H. Abel (1826) nicht mehr der Fall ist. 8.8 Reelle Polynome. Für P ∈ R[z] folgt aus P (a) = 0 auch P (ā) = P (a) = 0 . Mit (z − a)k enthält das Produkt in (4) auch den Faktor (z − ā)k , insgesamt mit a = b + id also den Faktor ((z − b)2 + d2 )k ∈ R[z] . Somit ist jedes Polynom P ∈ R[z] ein endliches Produkt von Konstanten, Linearfaktoren (z − a) , a ∈ R , und von quadratischen Faktoren (z 2 + 2pz + q) mit p, q ∈ R ohne reelle Nullstellen, d. h. p2 < q . Diese Aussage ist ohne den Umweg über das Komplexe“ nicht ohne ” weiteres ersichtlich. 8.9 Rationale Polynome. Für ein Polynom P ∈ Q[z] über Q möchte man gern Nullstellen raten. Dazu multipliziert man die Gleichung P (z) = 0 mit dem Hauptnenner aller Koeffizienten und benutzt: 8.10 Satz. Es sei P : z 7→ m P k=0 ak z k = am z m + am−1 z m−1 + · · · + a1 z + a0 (6) ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten a0 , a1 , . . . , am ∈ Z . Für jede rationale Nullstelle z0 ∈ Q von P gilt dann z0 = pq , wobei p ∈ Z ein Teiler von a0 und q ∈ N ein Teiler von am ist. Beweis. Man kann z0 = pq ∈ Q als einen gekürzten Bruch mit p ∈ Z und q ∈ N schreiben. Aus P (z0 ) = 0 folgt dann wegen (6) nach Multiplikation mit q m sofort am pm + am−1 pm−1 q + · · · + a1 p q m−1 + a0 q m = 0 . Somit ist p ein Teiler von a0 q m und q ein Teiler von am pm ; da aber p und q teilerfremd sind, folgt daraus die Behauptung. 46 I. Zahlen, Konvergenz und Stetigkeit 8.11 Folgerungen. a) Es sei P : z 7→ z m + am−1 z m−1 + · · · + a1 z + a0 (7) ein Polynom mit dem höchsten Koeffizienten 1 und ganzzahligen Koeffizienten a0 , a1 , . . . , am−1 ∈ Z . Jede rationale Nullstelle z0 ∈ Q von P ist dann ganzzahlig und ein Teiler des konstanten Terms a0 . √ b) Für ∈ N und√a ∈ N ist m a ganz oder irrational. Insbesondere sind Zahlen √ m√ wie 2 , 3 4 oder 17 100 irrational. 8.12 Beispiel. a) In Beispiel 5.5 wurden (reelle) Nullstellen des rationalen Poly1 ∈ Q[z] gesucht. Multiplikation mit dem Hauptnenner noms P (z) = 15 z 3 + 12 z 2 − 10 10 liefert das Polynom Q(z) = 2z 3 + 5z 2 − 1 über Z . Nach Satz 8.10 sind ±1 und ± 21 mögliche rationale Nullstellen. Durch Einsetzen sieht man, daß z0 = − 12 in der Tat eine Nullstelle von Q ist. b) Gemäß Satz 8.4 hat man Q(z) = (z + 21 ) (2z 2 + 4z − 2) . (8) Die Nullstellen des quadratischen Polynoms 2z 2 + 4z − 2 sind √ z± = −1 ± 2 ; √ insbesondere ist also ξ = −1 + 2 die in Beispiel 5.5 näherungsweise gefundene Nullstelle der Polynome Q und P . Quotienten von Polynomen sind i.a. keine Polynome. Wie bei ganzen Zahlen, etwa 25 = 3·7+4 = 3 + 74 , ist jedoch die Division mit Rest möglich. 7 7 8.13 Satz (Euklidischer Algorithmus). Zu Polynomen P, Q ∈ K[z] gibt es eindeutig bestimmte Polynome T, R ∈ K[z] mit P = T ·Q+R und deg R < deg Q . (9) 8.14 Beispiele und Bemerkungen. a) Der Beweis von Satz 8.13 ist konstruktiv: Zuerst erhält man durch Division der höchsten Terme von P und Q das Polynom T1 (z) := abmn z m−n . Natürlich kann man nun nicht P − T1 Q = 0 erwarten, aber für den Rest R1 = P − T1 Q gilt deg R1 < m . Ist noch deg R1 ≥ n , so wendet man das gleiche Verfahren auf R1 an: Durch Division der höchsten Terme von R1 und Q entsteht ein Polynom T2 , so daß für den Rest R2 = R1 − T2 Q gilt deg R2 < deg R1 , also deg R2 < m − 1 . Man hat dann P = T1 Q + R1 = (T1 + T2 )Q + R2 . Dieser Algorithmus (Rechenverfahren) kann nun so lange fortgesetzt werden, bis der Grad des Restes kleiner als n = deg Q wird. b) Die Durchführung des Euklidischen Algorithmus wird anhand des Beispiels P (z) = 4z 4 + 3z 3 − z − 1 und Q(z) = 2z 2 + 2 in [K1], 10.4 erläutert. 47 8 Polynome 8.15 Horner-Schema. a) Ein Polynom P (z) = m P k=0 folgendermaßen geschrieben werden: ak z k ∈ K[z] vom Grad m kann P (z) = a0 + z(a1 + z(a2 + z(· · · + z(am−1 + zam ) · · ·))) . Bei der numerischen Auswertung von P (z1 ) an einer Stelle z1 ∈ K arbeitet man die Klammern von innen nach außen ab und schreibt die Ergebnisse in schematischer Form auf: am am−1 am−2 . . . a1 a0 bm z1 bm−1 z1 . . . b2 z1 b1 z1 bm bm−1 bm−2 . . . b1 b0 z1 Mit bm := am wird bm−1 = am−1 + bm z1 , dann bm−2 = am−2 + bm−1 z1 , usw. Allgemein gilt also bm := am , bk−1 = ak−1 + bk z1 ; k = m, . . . , 1 . (10) Nach m Schritten erhält man b0 = P (z1 ) . b) Für P (z) = z 4 − 2z 2 + 3z − 7 etwa hat man P (−2) = −5 . c) Die Bedeutung der Zahlen bk , k = 1, . . . , m, ergibt sich folgendermaßen: Nach 8.4 oder 8.13 hat man P (z) = c0 + (z − z1 )Q(z) , deg Q = m − 1 , c0 = P (z1 ) = b0 . Nun setzt man Q(z) = c1 + c2 z + · · · + cm z m−1 an und vergleicht Koeffizienten: P (z) = c0 + c1 (z − z1 ) + c2 (z − z1 )z + · · · + cm (z − z1 )z m−1 = cm z m + (cm−1 − cm z1 )z m−1 + (cm−2 − cm−1 z1 )z m−2 + · · · + (c1 − c2 z1 )z + (c0 − c1 z1 ) ! = am z m + am−1 z m−1 + · · · + a1 z + a0 . Daraus ergibt sich cm = am , ck−1 − ck z1 = ak−1 , und wegen (10) folgt ck = bk für k = 0, . . . , m mit den bk aus dem Horner-Schema. Folglich gilt P (z) = b0 + (z − z1 ) (b1 + b2 z + · · · + bm z m−1 ) . (11) d) Diese Formel läßt sich iterieren. Man erhält dann Zahlen dk (mit d0 = b0 ) und Polynome Qk vom Grad k mit P (z) = d0 + (z − z1 ) Qm−1 (z) = d0 + (z − z1 ) [d1 + (z − z1 ) Qm−2 (z)] = ··· = d0 + (z − z1 ) [d1 + (z − z1 ) {d2 + · · · + (dm−1 + (z − z1 ) Q0 ) · · ·}] . Wegen deg Q0 = 0 ist Q0 (z) = dm eine Konstante. Man hat also eine Entwicklung von P nach Potenzen von (z − z1 ) : P (z) = m P k=0 dk (z − z1 )k . e) Für das Polynom aus b) ergibt sich P (z) = z 4 − 2z 2 + 3z − 7 = (z + 2)4 − 8 (z + 2)3 + 22 (z + 2)2 − 21 (z + 2) − 5 . (12)