tv diskurs 71 DISKURS Patrick Gröner und Frank Schwab Frauen können nicht rückwärts einparken, sind schlecht in Mathe und schauen sowieso nur romantische Liebesfilme mit einem schnulzig schönen „Happy End“. Männer fragen nie nach dem Weg, neigen zu Wutausbrüchen, Prahlerei und sind bei einem Fernsehabend besonders für Actionfilme mit übertriebenen Verfolgungsjagden zu haben. Klischees und Vorurteile über das jeweils andere Geschlecht versüßen uns, begründet oder nicht, Tag für Tag das Leben und bringen uns nicht selten zum Lachen. Manche dieser Stereotype, wie beispielsweise bei den geschlechtstypischen Filmvorlieben, finden jedoch in der medienpsychologischen Forschung empirische Bestätigung. Es wäre allerdings zu kurz gedacht, nur das biologische Geschlecht oder nur die sozialisierte Geschlechtsidentität als alleinige Ursache für unsere Genrepräferenzen heranzuziehen, denn es gibt doch eine Vielzahl möglicher biologischer und soziokultureller Einflussfaktoren, die ihre dezente Wirkung auf unsere Filmvorlieben entfalten. All I wanna see is The Big Bang Theory Ein Überblick zu biologischen und soziokulturellen Einflussfaktoren bei der Auswahl von Spielfilmgenres Der Kampf der Geschlechter um die laden Penny und Leonard all ihre Freunde zu Er will bedingungslos die 4. Staffel von The Vorherrschaft der Fernbedienung einem gemütlichen Filmeabend mit Popcorn Walking Dead genießen. und, nur um Sheldon zu ärgern, Sorbet ein. Die US-amerikanische Sitcom The Big Bang Überraschenderweise bekommen sie dabei Die Frage nach den Ursachen dieser Theory handelt von den beiden genialen auch noch unerwarteten Besuch von Leonards differenziellen Spielfilmpräferenzen Physikern Leonard und Sheldon sowie der at- Mom Beverly. Als hätten unsere Nerds damit traktiven Möchtegernschauspielerin Penny, nicht schon genug Probleme für einen Abend, Aufgrund eines drohenden Streits zwecks ei- welche den beiden eher sonderbaren Nerds können sie sich nicht auf eine passende Film- ner passenden Filmauswahl fragt sich Leonard und deren noch merkwürdigeren Freunden auswahl einigen, mit der jeder, insbesondere lauthals, welche Ursachen für diese differen- Howard und Raj hilft, sich mit ihren teilweise Sheldon, leben kann. Bernadette und Raj wol- ziellen Spielfilmvorlieben verantwortlich sind. befremdlichen Spleens in der „normalen“ len das Drama 28 Tage mit Sandra Bullock se- Als hätten Neurobiologin Amy und Mikrobio- Welt zurechtzufinden. Insbesondere Sheldon hen, wohingegen Howard einen der Actionfil- login Bernadette nur auf Leonards Frage ge- hat mit den simpelsten sozialen Interaktionen me Speed oder Iron Man präferieren würde. wartet, beginnen sie umgehend, sich mit Er- so seine Probleme, weswegen es wie im Fol- Penny bevorzugt die romantische Komödie klärungen zu überschlagen. Für sie sind es genden immer wieder zu Konflikten zwischen Pretty Woman und Leonard die Sci-Fi-Neuauf- natürlich vor allem biologische Einflussfakto- ihm und seiner Umwelt kommt. lage von Captain Kirk in Star Trek: Into Dark- ren, die ihre dezente Wirkung auf die mensch- Da Sheldon aufgrund seiner aggressiven ness oder die Komödie Hangover. Amy und liche Spielfilmauswahl entfalten. Protestbrief-Kampagne anlässlich der mangel- Beverly würden gerne das Liebesdrama Stolz So erklärt Amy, dass das am besten unter- haften Softeisauswahl in allen umliegenden und Vorurteil anschauen, womit sich Sheldon suchte biologische Merkmal auch das offen- Kinos unbefristetes Hausverbot erhalten hat, allerdings in keinster Weise arrangieren kann. sichtlichste ist, das genetische Geschlecht. 92 1 | 2015 | 19. Jg. tv diskurs 71 DISKURS The Big Bang Theory The Big Bang Theory 1 | 2015 | 19. Jg. 93 tv diskurs 71 DISKURS Hangover Pretty Woman 94 1 | 2015 | 19. Jg. tv diskurs 71 DISKURS Folglich wird schon während des Zeugungs- elementen (Greenwood 2010) – also genau Dieses steuert daraufhin die weitere ge- aktes durch das Erbgut des Vaters festgelegt, das gleiche Szenario wie bei Pennys Pretty schlechtsspezifische Entwicklung (ebd.). ob sich aus der befruchteten Eizelle später Woman und Leonards zweiter Filmauswahl Weil Penny und Stuart schon bei „hormo- einmal ein Mädchen oder ein Junge bzw. eher Hangover. Laut Untersuchungen von Sparks nellem Geschlecht“ geistig ausgestiegen sind, ein Romantik- oder Actionfan entwickelt. So „it (1991) und Redfern (2012) sind es im Gegen- erklärt es Bernadette noch einmal einfach. Da all started with the big bang!“ zug vor allem jüngere, männliche Zuschauer sich die pränatalen hormonellen Entwicklun- – wie Sheldon –, die sich für Horror-Formate gen eines Kindes während der Schwanger- wie The Walking Dead begeistern. schaft nur schwer über indirekte Forschungs- Demnach argumentiert Amy, dass bereits 1987 Richards und Sheridan in ihrer Studie die unterschiedlichen Auswirkungen, welche das Dass die von Amy zusammengetragenen methoden wie die Untersuchung mütterlichen Geschlecht auf die Präferenzen von verschie- Erkenntnisse rund um die geschlechtsspezifi- Blutes (Voracek 2011) bestimmen lassen, sind denen Filmgenres hat, bemerkten. Demzufol- schen Genrepräferenzen auch wirklich Auswir- diese für sozialwissenschaftliche Studien, wie ge stellten sie fest, dass Frauen Liebesge- kungen auf unser Selektionsverhalten neh- beispielsweise über die Vorlieben von Spiel- schichten und historische Filme favorisierten, men, spiegelt sich laut Pennys Erfahrungen filmgenres, kaum zu realisieren. Glücklicher- wohingegen Männer sich mehr von actionhal- aber nicht nur in verstaubten Büchern und weise gibt es aber bestimmte Relikte aus die- tigen Themen wie beispielsweise Verbrechen abgehobenen Studien wider, sondern ist ser Entwicklungsphase, die auch im Erwachse- angezogen fühlten (Richards/Sheridan 1987). ebenso an den Kinokassen zu beobachten. nenalter noch Aufschluss über die hormonel- Neuere Studien beweisen, dass sich vor allem Und die Verkaufszahlen von Kinokarten geben len Prozesse im Mutterleib geben können. Frauen gerne romantische (Greenwood 2010) Penny recht. In einer bevölkerungsrepräsenta- Eine praktische Alternative bietet dabei das und gewaltfreie (Knobloch/Callison/Chen/ tiven Umfrage von Nörenberg und Klüver Verfahren der Digit ratio. Dieser eher unkom- Fritzsche/Zillmann 2005) Genres wie z. B. (2013) zeigt sich für einige der beschriebenen plizierten Erhebungsmethode liegt die Tatsa- Liebesfilme oder romantische Komödien an- Filmgenres eine klare geschlechterspezifische che zugrunde, dass sowohl die Entwicklung sehen (Baum 2003; Harris/Hoekstra/Scott/ Tendenz. Beispielsweise waren 78 % der Kino- der Geschlechtsorgane als auch die der Finger Sanborn/Dodds/Brandenburg 2004). Aber besucher, welche den Ausgang des Liebes- von den gleichen Genen beeinflusst wird (Kon- auch Krankenhaus- und Mystery-Serien (Trepte dramas Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der do/Zákány/Innis/Duboule 1997). Aufgrund 2004) sowie traurige Filme wie Dramen wer- Nacht 2 verfolgten, weiblich. Konträr dazu dieses kausalen Zusammenhangs kann man den häufiger von ihnen ausgewählt (Oliver lockte Bruce Willis mit seinem Actionfilm Stirb über die Relation der einzelnen Finger zuein- 1993; Schwab 2010) und erfreuen sich unter langsam – Ein guter Tag zum Sterben mit 71 % ander Rückschlüsse auf die hormonellen Ver- dem weiblichen Geschlecht größerer Beliebt- vor allem ein männliches Publikum vor die hältnisse im Mutterleib ziehen. Hierfür wird heit. Diese Erkenntnisse erklären somit schon Leinwand (Nörenberg/Klüver 2014). Gleiches lediglich die Länge des Zeigefingers (2D) einmal Amy und Beverlys Präferenz für das gilt mit einem Männeranteil von 72 % für den durch die Länge des Ringfingers (4D) dividiert Liebesdrama Stolz und Vorurteil, Pennys Vor- actionhaltigen Horrorfilm Resident Evil: Retri- und miteinander verglichen (Manning 2002). liebe für die romantische Komödie Pretty Wo- bution. Konform zu Sparks (1991) und Redfern man oder auch Bernadettes Schwäche für das (2012) beobachteten vor allem junge Männer Drama 28 Tage. unter 30 Jahren (60 %), wie sich Hauptdarstel- Konträr zu den weiblichen Selektionsprä- lerin Milla Jovovich leicht bekleidet mit einem ferenzen bevorzugen Männer hingegen ag- gewissen Maß an erotischem Sex-Appeal gressivere (Knobloch u. a. 2005), technologie- durch eine Horde von Untoten rekelt (Nören- zentrierte (Redfern 2012), action- (Bogt/En- berg/Klüver 2013). gels/Bogers/Kloosterman 2010) und gewalt- Die bisherigen Erkenntnisse basieren da- haltige (Krcmar/Kean 2005) Filmformate, bei bei ausschließlich auf der leicht zu erfassenden denen auch gerne erotische Szenen vorkom- Variable des somatischen Geschlechts. Da- men dürfen (Bogt u. a. 2010). Die bevorzugten neben gibt es eine Reihe weiterer biologischer Filmgenres für einen gelungenen Filmeabend Merkmale, die einen Einfluss auf die Genreprä- für Männer sind daher Action, Thriller (Schwab ferenz von Filmen haben können, ausgehend 2010), Science-Fiction-Filme (Baum 2003) und von dieser genetischen Grundlage. Denn mit Crime-Serien (Trepte 2004). Somit wird auch ihr kommt eine Kettenreaktion in Gang, in de- klar, warum Leonard Star Trek: Into Darkness ren Folge es in der Embryonalzeit zur Ausbil- Ist das Verhältnis zwischen Zeige- (2D) und und Howard Speed für den Filmeabend vor- dung des gonadalen Geschlechts kommt, in- Ringfinger (4D) niedrig, korreliert dies mit ei- geschlagen haben. Aber auch Howards Faible dem sich eine indifferente Anlage zu primären ner hohen pränatalen Konzentration des für Iron Man passt in dieses Selektionsmuster. Geschlechtsorganen, wie Hoden oder Eierstö- männlichen Sexualhormons Testosteron und Interessanterweise bevorzugen Frauen da- cke, entwickelt (Rohen/Lütjen-Drecoll 2006). einer geringeren Konzentration des weibli- bei zwar romantische Komödien, allerdings Diese wiederum tragen durch ihre Produktion chen Sexualhormons Östrogen (Schwab 2010). präferieren Männer deutlicher als Frauen das von Sexualhormonen – vornehmlich Östrogen Demnach ist der Quotient aus Zeige- (2D) und Genre der sonstigen Komödien (Schwab bei Frauen bzw. Testosteron bei Männern – zur Ringfinger (4D) bei Männern geringer als bei 2010), gerne auch mit eher schwarzen Humor- Entstehung des hormonellen Geschlechts bei. Frauen (Manning 2002) (vgl. Abb. 1). 1 | 2015 | 19. Jg. Abb. 1 95 tv diskurs 71 DISKURS Im Bereich der Medienpsychologie gelang Soziale und kulturelle Einflussfaktoren es Schwab (2010), mit diesem Messverfahren Mithilfe des Bem Sex-Role Inventory (BSRI) gelang es Oliver, Sargent und Weaver (1998), einen Zusammenhang zwischen der pränata- Nach dieser kurzen Pause meldet sich Psycho- nachzuweisen, dass Personen mit einem mas- len, hormonellen Entwicklung und den Genre- analytikerin Beverly empört zu Wort: „Leo- kulinen Selbstkonzept bei tragischen Filmse- vorlieben von Kinobesuchern nachzuweisen. nard, mein Schatz, ich habe diesen drei selbst quenzen geringere Freude verspüren und Dieses „Flüstern der Gene“ (ebd., S. 35) macht ernannten Menstruitieren jetzt lange genug auch weniger beunruhigt sind als Personen mit sich vor allem bei der Bevorzugung von span- zugehört! Als wären die geschlechterspezi- einem hohen Wert auf der Femininitätsskala. nenden, actionhaltigen Filmen bemerkbar. So fischen Spielfilmpräferenzen ausschließlich Hingegen lösten gewalthaltige Filmausschnit- wurde der Film The Sentinel – Wem kannst du das Produkt menschlicher Evolution. Sind es te bei Menschen mit maskuliner Geschlechts- trauen? überwiegend von Personen mit einer nach gegenwärtiger Forschungslage doch vor rollenidentität mehr Freude aus als bei Per- eher männlichen Fingerlängenrelation gese- allem aktuelle, soziokulturelle Lernprozesse, sonen mit einer weiblichen Rollenidentität hen, wohingegen der Horrorfilm Das Omen die den Großteil unseres Handelns bestim- (ebd.). eher von Personen mit einer mehr weiblichen men“ (Eagly/Wood 2013). Passend zu diesen Erkenntnissen präferie- Digit ratio angesehen wurde (ebd.). Der Prä- Anschließend erklärt sie, dass sich im Ver- ren Individuen mit einem weiblichen Selbst- diktor des hormonellen Geschlechts zeigte in lauf der Entwicklung eines Menschen eine konzept romantische Komödien und Dramen, einer weiteren Studie bei dem Genre der ro- konkrete Vorstellung davon ausbildet, ob sich wohingegen bei Menschen mit einem männli- mantischen Komödien einen bedeutsamen eine Person selbst als maskulin oder feminin chen Selbstkonzept eine klare Tendenz zum Einfluss auf die Präferenz dieser Filmkategorie wahrnimmt (Woolfolk 2008). Dieses interne Actiongenre erkennbar ist (Schwab 2010). (ebd.). Selbstbild eines Menschen wird auch als Ebenso geht eine feminine Geschlechtsrollen- Ein weiterer biologischer Einflussfaktor auf psychologisches Geschlecht oder aber Ge- identität mit einem verstärkten Genussempfin- unsere Spielfilmvorlieben betrifft dabei aus- schlechtsrollenidentität bezeichnet. Als Grund- den bei traurigen (Oliver 1993) und romantik- schließlich das vermeintlich „schwache“ Ge- lage für dieses Selbstverständnis dienen Ver- haltigen Filmen einher (Harris u. a. 2004), wes- schlecht. Amy erklärt, dass bereits vor über 30 haltensweisen und assoziierbare Eigenschaf- halb sie sich häufiger und lieber traurige Filme Jahren Meadowcroft und Zillmann (1987) die ten, die dem eigenen Geschlecht zugrunde und „Schnulzen“ anschauen (Oliver u. a. 1998). Auswirkungen des weiblichen Menstruations- liegen (ebd.). Weil beinahe alle Medieninhalte Ein gutes Beispiel für einen Mann mit einem zyklus auf die Selektion bei Medienangeboten geschlechtsspezifische Botschaften vermitteln eher femininen Geschlechtsrollenempfinden untersuchten. Weil Amy ihren beiden Freun- (Trepte/Reinecke 2010), geht man inzwischen ist Raj. Das könnte auch seine Vorliebe für das dinnen Penny und Bernadette schon vor eini- davon aus, dass geschlechtsspezifische Rol- Liebesdrama 28 Tage mit Sandra Bullock per- ger Zeit vorgeschlagen hat, ihre Periode zu lenverhalten auch über das Fernsehen erlernt fekt erklären. Im Gegensatz dazu hat Howard synchronisieren, um sich „die drei Menstruitie- werden (Trepte 2004) und so zur Sozialisation ein eher männliches Selbstkonzept, was zu re“ zu nennen, fährt sie mit einem etwas belei- der Geschlechtsidentität beitragen. Demnach seiner Vorliebe für Actionfilme wie Speed oder digten Unterton fort. Die beiden Wissen- beeinflusst das Geschlecht „die subjektiven Iron Man führt. schaftler stellten dabei fest, dass prämenstru- Medienpräferenzen von Individuen, indem elle und menstruale Frauen eine Präferenz für [Rezipienten] diese Medienangebote als humoristische Programm-Formate haben, ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ identifizieren und wohingegen sie zwischen diesen beiden Pha- sich ihnen gegenüber ‚wie eine Frau‘ oder ‚wie Nach Beverlys verbalem Rundumschlag ver- sen eine Vorliebe für Dramen entwickeln (Zill- ein Mann‘ verhalten“ (Klaus/Röser 1996, S. 38). sucht Leonard, den Abend mit ein paar be- mann/Bryant 1994). Hierbei wird dieser Zu- Neben den biologischen Einflussgrößen spie- schwichtigenden Worten doch noch zu retten sammenhang ebenfalls in Verbindung mit den len demnach die Identität und das Selbstkon- und weist darauf hin, dass in Anbetracht aller hormonellen Veränderungen, die mit dem zept der Rezipienten eine entscheidende Rol- bisher zusammengetragenen Einflussfaktoren Menstruationszyklus einhergehen, gebracht, le bei der Medienwahl. auf die Filmpräferenzen der Rezipient meist als Fazit welche wiederum zu Stimmungsschwankun- Allerdings bleibt es bei der bisher be- einzelnes und unabhängiges Individuum be- gen bei Frauen führen. Da sich sowohl Amy, schriebenen Medienselektionsforschung oft- trachtet wird. Dabei wird oft außer Acht gelas- Bernadette als auch Beverly eher dramatische mals nur bei der Untersuchung des somati- sen, dass der Mensch ein sozial agierendes Spielfilme ausgesucht haben und Penny mit schen Geschlechts (Sex) als Einflussfaktor, Wesen ist, weshalb er bei der Entscheidungs- der romantischen Komödie Pretty Woman als welches durch eine einfache Frage erfasst findung eines passenden Filmformats häufig Einzige aus der Reihe tanzt, fragt Amy sie ganz wird. „Die mit dem Geschlecht assoziierten gewissen Gruppenprozessen ausgesetzt ist unverhohlen, ob sie denn gerade empfängnis- Verhaltenseigenschaften, Werte, Sozialisati- und unter Umständen Kompromisse bei der bereit sei. Weil Penny auf die Frage hin ihren onsaspekte oder andere korrespondierende Filmauswahl eingeht (Schwab 2010). hochroten Kopf verschämt senkt und Amy ver- Variablen für Geschlechtsunterschiede“ (Trep- Um alle Erkenntnisse unter einen Hut zu kündet, dass der alte Zillmann also doch recht te 2004, S. 233) wie beispielsweise das sozial bringen, kann man zusammenfassend sagen, behalten habe, stellt sich ein kurzes beschäm- erlernte Geschlecht (Gender) werden selten dass es neben diesen situativen Gegeben- tes Schweigen in der Runde ein. explizit erhoben (Trepte/Reinecke 2010). Auf heiten sowohl biologische als auch soziokultu- dieser Grundlage ist es schwierig, Rückschlüs- relle Faktoren gibt, die einen Einfluss auf un- se über die Rolle der Geschlechtsidentität zu sere Genrevorlieben bei Spielfilmen haben. ziehen (Trepte 2004). 96 1 | 2015 | 19. Jg. tv diskurs 71 Vor allem bei den klischeebehafteten Frauenformaten der schnulzigen Liebesfilme oder den traurigen Dramen gibt es auf den unterschiedlichen Ebenen des genetischen, hormonellen und psychischen Geschlechts empirisch nachgewiesene Zusammenhänge bei den Filmvorlieben. Aber auch bei den typischen Männergenres, wie beispielsweise den knallharten Actionfilmen und den gruseligen Horrorfilmen, kann ein Einfluss der unterschiedlichen Geschlechterebenen nachgewiesen werden. Folglich sind unsere geschlechtstypischen Spielfilmpräferenzen nicht vollständig das Produkt aktueller soziokultureller Lernprozesse. Konform zur evolutionären Medienpsychologie stellt diese spezifische Medienauswahl ebenso das Ergebnis menschlicher Evolution dar (Schwab 2010). In diesem Sinne appelliert Leonard sowohl an seine Mutter, das psychologische Kriegsbeil zu begraben, als auch an seine Freunde, insbesondere Sheldon, bei der Filmauswahl auf einen Kompromiss einzugehen. Und weil Sheldon schon allein aus Prinzip immer das letzte Wort haben muss, pflichtet er Leonard bei einem Kompromiss unter einer Bedingung bei: „But it all starts with The Walking Dead. Bazinga!“ Literatur: Baum, H.: Entscheidungsparameter bei der Filmauswahl von Kinogängern in Deutschland. Berlin 2003. Abrufbar unter: http://www. diss.fu-berlin.de/2003/258/ (letzter Zugriff: 29.07.2014) Bogt, T./Engels, R./ Bogers, S./Kloosterman, M.: „Shake It Baby, Shake It”: Media Preferences, Sexual Attitudes and Gender Stereotypes Among Adolescents. In: Sex Roles, 63/2010, S. 844 – 859 Eagly, A. H./Wood, W.: The Nature-Nurture Debates: 25 Years of Challenges in Understanding the Psychology of Gender. 2013. Abrufbar unter: http://pps. sagepub.com/content/8/3/340.short (letzter Zugriff: 29.07.2014) Greenwood, D.: Of Sad Men and Dark Comedies: Mood and Gender Effects on Entertainment Media Preferences. In: Mass Communication and Society, 13/2010, S. 232 – 249 Harris, R. J./ Hoekstra, S. 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