Sidra Lech Lecha – 11. Cheschwan 5773 26.10.2012 18.45 Arwit 27.10.2012 10.00 Schacharit „Dies ist mein Bund zwischen mir und euch und deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Es soll sich bei euch beschneiden lassen alles, was männlich ist. Am Fleisch eurer Vorhaut sollt ihr euch beschneiden lassen. Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch.“1 Das im Fleisch der männlichen Hälfte des jüdischen Volkes geschnittene Zeichen hat eine lange Geschichte. Heute sind ca. 40% der Männer in der ganzen Welt beschnitten. Nicht alle sind Nachkommen Awrahams und der Grund ihrer Beschneidung geht bei Weitem nicht bei allen auf den obenstehenden Toratext zurück. Sie sind bestimmt auch nicht alle am 8. Tag nach ihrer Geburt beschnitten worden. Sie liessen sich beschneiden, oder wurden einst von ihren Eltern beschnitten, weil es ein göttlicher Auftrag war, eine Tradition des Volkes, dem sie angehören, wegen ihres kulturellen Hintergrundes, oder wegen medizinischer Notwendigkeit. Vor 2200 Jahren, in der hellenistischen Zeit, gab es innerhalb des jüdischen Volkes Diskussionen über die Beschneidung. Die Griechen sahen den Körper als heilig und die Beschneidung als Verstümmelung an. Die hellenistischen Juden entwickelten daher eine Technik, welche die Beschneidung rückgängig machen konnte2. Die heutige Diskussion über die Knabenbeschneidung entspricht ganz der damaligen. Auch heute stehen sich zwei unvereinbare Weltanschauungen gegenüber. Für die Einen ist die Tradition, ob nun von Gott gegeben oder nicht, Anlass für die Beschneidung ihrer Knaben. Für die Anderen steht die Beschneidung im Widerspruch zum Grundrecht des äusserungsunfähigen Kleinkindes auf einen unversehrten Körper. Die Befürworter der traditionellen Beschneidung beschneiden den Knaben aus zwei Gründen eben gerade schon in jungem Alter: Er ist ja ein jüdisches Kind und mit der Brit Mila ‚stempelt‘ man ihn als jüdisch ab. Auch vom Eingriff her ist es gut, die Brit Mila am 8. Tag zu machen. Die Schmerzen scheinen bei einem so kleinen Kind kaum eine Rolle zu spielen und die Wunde heilt relativ schnell. Für die Befürworter der Integrität des Körpers des Kindes, haben Eltern kein Recht, in den Körper des Kleinkindes aus medizinisch nicht notwendigem Grund zu schneiden. Denn die jüdische Identität können die Eltern mit jüdischer Erziehung vermitteln und sobald der Knabe entscheidungsfähig ist, kann er selber entscheiden, sich beschneiden zu lassen. Wer hat Recht? Die Befürworter der Tradition oder die Befürworter des Schutzes körperlicher Integrität? Beide. Ihre Meinungen basieren auf völlig unterschiedlichen Weltanschauungen. Was ist der halachische Status der Beschneidung? Für einen jüdisch geborenen Jungen ist die Beschneidung ‚nur‘ eine Mizwa, der man nachgeht oder nicht. Bis zu seiner Bar Mizwa ist es die Mizwa der Eltern, ihren Sohn beschneiden zu lassen. Danach ist es seine eigene Mizwa. Die Beschneidung macht den Jungen übrigens nicht mehr oder weniger halachisch jüdisch. Das Liberale (progressive, reform) Judentum sieht die Brit Mila als eine wichtige und relevante Mizwa. Wichtig und relevant für das Bestehen und Weitergeben der Tradition, wichtig und relevant für die jüdische Identität. Das Liberale Judentum und in ihrem Namen die lokalen RabbinerInnen, sind sich aber sehr wohl der heutigen Kontroverse und ihrer Bedeutung für manche mit dem Thema ‚Beschneidung‘ ringenden Eltern bewusst. Die meisten liberalen RabbinerInnen bevorzugen ein Gespräch, in dem man zu einer Lösung betreffend dem Diktat der Beschneidung kommt. Beschnitten oder nicht, später nachgeholt oder nicht: mögen alle unsere Kinder nur gesegnet und gesund sein. Schabat Schalom, Rabbiner Reuven Bar Ephraim 1 Bereschit [1. BM] 17, 10-11. Die Beschneidung war damals nur das Abschneiden eines Teiles der Vorhaut. Man konnte die restliche Vorhaut so dehnen, dass sie sich wieder ganz um die Eichel schliesst. Mittlerweile hat die Halacha bestimmt, dass die Reste der Vorhaut mit dem Penis verwachsen müssen. 2