Bakterien - Gesundheitsindustrie BW

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Bakterien – eine Schatztruhe für Gentechniker
Um sich vor Virusinfektionen zu schützen, entwickelten Bakterien ein vielfältiges
Abwehrsystem. Eine Variante, das CRISPR/Cas9-System, sorgt gerade für Schlagzeilen, da es
die Gentechnik revolutioniert. Prof. Dr. Rolf Backofen vom Institut für Bioinformatik der
Universität Freiburg ist es nun gelungen, die Abwehrsysteme aller bis heute sequenzierten
Bakterienarten zu klassifizieren – was die Suche nach weiteren, gentechnisch nutzbaren
Methoden erleichtern wird.
Prof. Dr. Rolf Backofen © Rolf Backofen/IIF
Lange Zeit nahmen Wissenschaftler an, dass nur Wirbeltiere über ein Immunsystem verfügen,
mit dem sie Krankheitserreger wie Bakterien und Viren bekämpfen. Erst vor rund zehn Jahren
wurde klar, dass das ein Irrtum war. Auch Prokaryoten, also Bakterien und Archaeen,
entwickelten ein Abwehrsystem, mit dem sie sich gegen Viren verteidigen. Sie nutzen dazu
einen Mechanismus namens CRISPR.
CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Es handelt sich
dabei um einen Erbgutabschnitt, der aus kurzen Palindromen besteht, also Sequenzen, die sich
vorwärts und rückwärts lesen lassen, wie etwa „Ebbe“ oder „Hannah“. „45 Prozent der bislang
sequenzierten Bakterien und 83 Prozent der Archaeen weisen mindestens eine CRISPRStruktur auf“, sagt Rolf Backofen vom Institut für Bioinformatik der Universität Freiburg.
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Bei einer Erstinfektion sind Bakterien ihren Angreifern – sogenannten Bakteriophagen, Viren,
die ausschließlich Bakterien und Archaeen befallen – zunächst schutzlos ausgeliefert. Phagen
sind etwa 1000-fach kleiner als Bakterien und schleusen ihre Erbinformation ins Innere der
Bakterienzelle, um sich dort zu vermehren. Sind sie erfolgreich, vermehren sie sich dort so
stark, dass die Bakterienzelle schließlich platzt.
Bakterien entwickelten ein Antivirus-Programm
Aufbau und Wirkungsweise des CRISPR/Cas-Systems in Bakterien und Archaeen © Backofen/IIF, Sita J. Saunders
und Omer Alkhanbashi/IFF
Überlebt das Bakterium die Infektion, kann es sich aber gegen eine weitere Infektion schützen:
Dazu baut es Teile der Phagen-DNA in sein eigenes Erbgut ein, genauer: in die CRISPR-Struktur
zwischen zwei Palindrome (Spacer). Die auf diese Weise eingerahmte Virus-DNA wirkt von nun
an wie ein molekularer Steckbrief: Infiziert sich das Bakterium erneut mit dem Virus, erkennt
es die Übereinstimmung zwischen dem Steckbrief und der eindringenden DNA und zerstört die
gefährliche Virus-DNA.
An dem Schutzmechanismus sind neben der CRISPR-Struktur auch mehrere Proteine der CasFamilie beteiligt (Cas für CRISPR-associated): Mit ihrer Hilfe wird die Steckbrief-DNA in ein RNAMolekül übersetzt, das sich an den passenden DNA-Abschnitt eines neu eindringenden Virus
anlagert. Dadurch aktiviert es die Nuklease, also die DNA-Schere, des Cas-Proteinkomplexes,
die die Virus-DNA zerschneidet. „Wie das Abwehrsystem im Detail funktioniert, ist allerdings
noch nicht verstanden“, sagt Backofen.
Sicher ist, dass es unter den Bakterien und Archaeen weit verbreitet ist und in etlichen,
verschiedenen Varianten vorkommt: Eine CRISPR-DNA kann zwei bis 250 Palindrome
unterschiedlicher Länge (bis zu 50 Basenpaare) enthalten und mit 6 bis 20 Cas-Proteinen
assoziiert ein. Bakterien können ihre gelernte Immunität, also ihr CRISPR/Cas-System,
außerdem über den sogenannten horizontalen Gentransfer austauschen. Sie „impfen“ sich
sozusagen gegenseitig. Das bedeutet, ein Prokaryot kann auch mehrere unterschiedliche
CRISPR-Strukturen enthalten.
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Strukturierung der vielfältigen Virus-Abwehr
Klassifikation aller bekannten CRISPR/Cas-Systeme. Klasse 1 verwendet mehrere Proteine in einem Komplex für
den Abwehrmechanismus, während die Systeme in der Klasse 2 hier mit einem einzigen Protein auskommen. Die
Klassifikation basiert daher auf der Sequenzähnlichkeit von Gruppen von Proteinen. © Backofen/IIF
Diese Variabilität erschwerte die Klassifikation des CRISPR/Cas-Systems zunächst. Doch
Backofen und sein Team entwickelten eine Software, die den modularen Aufbau des
Abwehrsystems berücksichtigt und dazu in kurzer Zeit riesige Datenmengen analysiert: Mehr
als 20.000 Proteinsequenzen in fünf Minuten.
Das Ergebnis der Freiburger Bioinformatiker : Das Abwehrsystem der heute bekannten
Prokaryoten lässt sich in zwei Klassen, fünf Untertypen und 16 Subtypen einteilen – abhängig
von der Ähnlichkeit der CRISPR-Strukturen und den Ähnlichkeiten der beteiligten Proteine der
Cas-Familie. „Basierend auf maschinellem Lernen ist unser Programm imstande, jedes neue
Abwehrsystem automatisch einzuordnen“, sagt Backofen, der nicht ausschließen möchte, dass
noch weitere, bislang unentdeckte Varianten existieren.
Die Klassifikation hat mehrere Vorteile. Es können beispielsweise metagenomische Daten
analysiert werden: „Man kann Bakteriengemeinschaften aus dem Magen oder auf der Haut als
Ganzes sequenzieren und die vorhandenen Bakteriophagen-Immunitäten, also CRISPRSysteme, ermitteln“, sagt Backofen.
Anwendungen in Forschung, Industrie und Medizin
Solche Informationen, so hoffen Forscher, könnten langfristig bei der Bekämpfung von
Krankheitserregern oder anderen schädlichen Bakterien, etwa in der Lebensmittelindustrie,
helfen: Hat man die Immunabwehr der Bakterien erst einmal richtig verstanden, könnte man
diese auch gezielt manipulieren. Etwa indem man das CRISPR-System bei Krankheitserregern
ausschaltet und Bakterien wieder anfällig macht für ihre natürlichen Feinde. Oder aber
wertvolle Bakterien, etwa in der Milch verarbeitenden Industrie, impft, um sie auf diese Weise
vor bestimmten Viren zu schützen.
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Zum anderen erleichtert die Klassifizierung die Suche nach neuen, biotechnologisch nutzbaren
Methoden. So sorgt das CRISPR/Cas9-System derzeit für Schlagzeilen – die renommierte
Fachzeitschrift Science erklärte die Methode zum Durchbruch des Jahres 2015. CRISPR/Cas9
lässt sich leicht zu einer hochpräzisen DNA-Schere umprogrammieren, mit der jede beliebige
DNA-Sequenz geschnitten werden kann. So können DNA-Abschnitte herausgeschnitten oder
DNA-Abschnitte neu eingefügt werden. Auf diese Weise ließen sich zumindest theoretisch
Krankheiten heilen, für die es bislang keine Behandlungsmöglichkeiten gibt.
Fachbeitrag
15.02.2016
Juliette Irmer
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Prof. Dr. Rolf Backofen
Tel.: +49 (0)761 203-7461
E-Mail: backofen(at)informatik.uni-freiburg.de
Lehrstuhl für Bioinformatik
Freiburg
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Evolutionsforschung - Von der klassischen Biologie zur molekularen Phylogenie
CRISPR/Cas – das Genome Editing ist en vogue
Sequenzierung
Applikationsformen
Virus
Mikrobiologie
Abwehrmechanismen
Bakterium
Gentechnik
Immunsystem
CRISPR/Cas
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