Nadja Lobner Erziehung zur sexuellen Ausbeutung

Werbung
Publiziert in russischer Sprache in:
Лобнер, Надя Марія (2010). Воспитание в целях сексуальной эксплуатации: тема-табу в гендерных
исследованиях. In: Українознавчий Альманах, Випуск 4 (спецвипуск) „Гендерна освіта в Україні:
досвід, проблеми, перспективи“. Київ-Мелітополь 2010, 122 - 126.
Nadja Lobner
Erziehung zur sexuellen Ausbeutung? Von Armut betroffene Jugendliche als
Handelsware.
Vorwort
Die psychische und physische Integrität in der Kindheit ist für eine gesunde Entwicklung der
Sexualität besonders wichtig. Was geschieht aber, wenn aufgrund von Armut,
sozioökonomischen Problemen und einer emotionalen Vernachlässigung der Körper von
Kindern und Jugendlichen zur Ware wird? Inwiefern besteht die Gefahr, dass in ukrainischen
Kinderheimen bei Kindern und Jugendlichen der Grundstein für eine „Karriere“ in der Sexarbeit
gelegt wird? Werden sie schon von klein auf zur sexuellen Ausbeutung erzogen?
1. Einleitung
In den letzten Monaten wurden in der österreichischen Öffentlichkeit verstärkt
Zwangsprostitution, Menschenhandel und das neue Dienstbotenwesen, in dessen Rahmen
ebenso sexuelle Ausbeutung stattfindet, thematisiert. Derzeit berichten die Massenmedien vor
allem über die menschenverachtenden Zustände im Rotlichtmilieu und die gesellschaftliche
Doppelmoral im Umgang damit. Zwei Beispiele dazu:
1. Da für in Österreich arbeitende Prostituierte wöchentliche ärztliche Untersuchungen
verpflichtend sind, und von Zuhältern diese als eine Art „Garantie“ für die Gesundheit der
Prostituierten betrachtet wird, steigt auf Prostituierte der Druck, Geschlechtsverkehr ohne
Kondom anzubieten.
2. Immer häufiger wird in Bordellen Sex zu Flat-Rate-Preisen angeboten. Das bedeutet,
dass Freier gegen die einmalige Bezahlung eines Fixbetrages so viel Sex mit so vielen
Frauen haben können, wie sie wollen.
Diese Art sexueller Dienste leisten vor allem Zwangsprostituierte. Laut Medienberichten, die
sich auf polizeiliche Ermittlungen berufen, stammt ein großer Teil der Zwangsprostituierten
aus Osteuropa. Es sind vor allem junge Frauen, die als Studentinnen, Au-pair,
Künstlerinnen, Saisonniers oder im Rahmen von Zweckehen in den Schengen-Raum
kommen und dann in die Zwangsprostitution schlittern. Kaum berücksichtigt werden in
diesem Zusammenhang die gesetzlichen, politischen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen in Österreich und in den osteuropäischen Staaten, die den Nährboden
für halblegale und illegale Beschäftigungen sowie sexuelle Ausbeutung bieten. [1, 2, 3, 4]
Der vorliegende Artikel nimmt eine Begriffsklärung unterschiedlicher Arten sexueller
Dienstleistungen vor und fasst Ergebnisse aus der Literaturrecherche und der Feldforschung
über Jugendarmut in der Ukraine zusammen. Auf dieser Grundlage werden die Bedingungen,
die die sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen in prekären Lebenssituationen fördern,
verständlicher. Die Autorin ist bemüht, Verhältnisse klar zu benennen und nicht zu moralisieren.
2. Definitionen
Innerhalb der Intimkommunikation werden vier Grundtypen unterschieden, die jeweils eigene
Beziehungsformen hervorbringen: romantische, hedonistische, matrimoniale und prostitutive
Intimsysteme. Prostitutive Intimsysteme ermöglichen einander vollständig Fremden durch das
Geldsystem, kurzfristig sexuell miteinander zu verkehren. Sextourismus und Prostitution sind als
prostitutive Intimsysteme zu verstehen. Der Raum, in dem diese prostitutiven Intimsysteme zu
verorten sind, sind Sub-Kulturen der Gesellschaft mit bestimmten Symbolen und Codes, die –
bewegt man sich nicht in diesen Subkulturen – keine Bedeutung haben und übersehen werden.
Von prostitutiven Intimsystemen Erwachsener sind Kinderpornografie und Kinderprostitution
abzugrenzen.
2.1. Sextourismus
Es handelt sich um Sextourismus, wenn Reisende mit der Erwartung, am Urlaubsort sexuelle
Kontakte zu knüpfen und sexuelle Erlebnisse haben zu können, dorthin aufbrechen. Die
entsprechenden Kontakte und Erlebnisse finden dabei nicht unter den Reisenden, sondern mit
den fremden, "einheimischen" Personen statt.
Das Thema Sextourismus erlangte im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit
Kinderprostitution und AIDS Öffentlichkeit. Da in den 1970er und 1980er Jahren vor allem
Frauenorganisationen und kirchliche Organisationen dagegen protestierten, wurde die Debatte
lange Zeit aus feministischer Sichtweise geführt und es entstand eine Fokussierung auf Männer
als Sextouristen. Es besteht diesbezüglich zweifellos ein in der Öffentlichkeit verzerrtes Bild
zuungunsten der Männer, welches aber das Resultat medialer Vermittlung ist. Tatsächlich wird
Sextourismus sowohl von Frauen als auch Männern praktiziert. Kaum öffentlich thematisiert
werden der weibliche Sextourismus aus Nordeuropa nach Österreich in der Wintersaison (wobei
vor allem die österreichischen Schilehrer Objekt der Begierde weiblicher WintersportTouristinnen sind) und der weibliche Sextourismus aus Europa nach Mittelamerika, in
afrikanische Länder und nach Südeuropa. Ryan/Hall [5] erwähnen in diesem Zusammenhang
Studien über die Karibik [6], Gambia [7] und Griechenland [8]. Die Ausprägungen und Formen
des weiblichen Sextourismus sind jedoch unterschiedlich gewichtet. Die Beziehungen werden
eher als Liebesbeziehungen definiert und die Tendenz zur Romantik wird stärker betont als bei
Männern. Ob es sich nun um heterosexuelle Männer, homosexuelle Männer, weibliche
Sextouristen oder pädophile Sextouristen handelt, gemeinsam sind ihnen folgende
Kennzeichen: 1. Es besteht die Erwartung, am Zielort sexuelle Abenteuer zu erleben. 2. Es ist
den Sextouristen meist gleichgültig, welche Nationalität das Objekt der Begierde hat, doch
werden Sexualpartner mit anderer ethnischer Zugehörigkeit präferiert. 3. Es entsteht in jedem
Fall eine Art Leistungsaustausch, der finanzieller, emotionaler oder anderer Art sein kann. [9]
2.2. Prostitution
Als prostitutiv werden ausschließlich solche Intimsysteme verstanden, die eine sexuelle
Interaktion zwischen den Beteiligten durch Geldzahlungen zustande bringt und deren
Aushandlung, Gestaltung und Steuerung sich primär an Geldzahlungen orientiert. Es ist auch
möglich, dass andere Intimsysteme prostitutive Elemente, Sinnkonstruktionen und Handlungen
aufweisen, doch entsprechen sie nicht der prototypischen Form der Prostitution [10]. Prostitution
ist als gefühlsneutraler ökonomischer Austausch definiert. Die Wahl der Freier obliegt in der
Regel nicht der Prostituierten.
2.2.1. Tourismusorientierte Prostitution
Tourismusorientierte Prostitution ist mit dieser Definition jedoch schwer zu fassen, denn es
können hier einige Unterschiede auftauchen. Das beginnt mit der freien Auswahl der Kunden
und Bezahlung in Abhängigkeit der Gunst der Freier. Dadurch nimmt die Entlohnung sexueller
Dienste mehr oder weniger den Charakter eines Geschenks an. Prostituierte verdienen damit
ein Vielfaches des üblichen Preises, täuschen Gefühle vor, um Kundenwünsche zu befriedigen
oder um das von Prostitution abgegrenzte Selbstbild zu sichern. Nicht nur Frauen sind
verhängnisvoll im Sexbusiness der Tourismusdestinationen involviert und die Betroffenen
stehen bei weitem nicht alle unter demselben materiellen Druck, ihr Überleben mit Prostitution
zu sichern. Vor dem Hintergrund des Mangels an guten Erwerbsmöglichkeiten in den
Tourismuszielländern und den Machtverhältnissen in der globalen Wirtschaft sind Sextourismus
und tourismusorientierte Prostitution aber immer Ausdruck struktureller Gewalt und ein Angriff
auf die Menschenwürde. [11]
2.2.2. Zwangsprostitution
Zwangsprostitution ist eine Form des Menschenhandels und verstößt gegen Artikel 23 der
Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte. Das "UN Protocol to Prevent, Suppress and
Punish Trafficking in Persons, Especially Women and Children", das sogenannte "Palermo
Protokoll", das 2000 von den Vereinten Nationen angenommen wurde, ist nur eines von drei
Protokollen zur UN-Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität.
[12]
Zwangsprostitution ist eine moderne Form der Sklaverei. Es wird davon ausgegangen, dass ca.
80 % der Opfer transnationalen Menschenhandels Frauen und Mädchen sind. Die Hälfte davon
ist minderjährig. [13] Laut Europaparlament zählt der Menschenhandel mit Frauen und Kindern
zu den sich am schnellsten ausbreitenden Straftaten im Rahmen des organisierten Verbrechens
in der EU.
2.2.3. Kinderprostitution im Kontext Sextourismus
Die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlich ist illegal, doch wird die touristische
Infrastruktur gezielt für Kinderprostitution und Kinderpornografie genutzt. Da pädophile
Sextouristen die Kinder in den Tourismusdestinationen unter Ausnützung der günstigen Flugund Urlaubsangebote nutzen, fordert mittlerweile auch die Welttourismusorganisation die
Verantwortung der Tourismusbranche im Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern
ein. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich eine Million Kinder Opfer von
Sextourismus und organisierter Prostitution werden. Schon 1998 wurde festgestellt, dass einige
Staaten in Osteuropa damit begonnen haben, Sextouristen anzulocken und Kinderprostituierte
in andere Länder zu exportieren. [11]
3. Erziehung zur sexuellen Ausbeutung? Jugendliche in prekären Lebenssituationen
Bei der Feldforschung in einem nichtstaatlichen ostukrainischen Kinderheim von Anfang
Oktober 2006 bis Ende März 2007 wurden Anzeichen für die Manipulation von Kindern und
Jugendlichen gefunden, die jedoch nicht als Beweise, sondern lediglich als Hinweise für eine
Erziehung zur sexuellen Ausbeutung interpretiert werden können. Die Frage, ob es lediglich die
Rahmenbedingungen sind, die die Entwicklung der Jugendlichen in diese Richtung fördern, oder
ob die Jugendlichen von einzelnen Erzieher/inne/n gezielt darauf vorbereitet werden, kann auf
Grundlage der vorhandenen Daten nicht beantwortet werden.
* Ein Jugendlicher, der in dem besagten nichtstaatlichen Kinderheim aufgewachsen war und in
einer Akrobatik-Gruppe trainierte, war gemeinsam mit anderen Jugendlichen zum Auftritt in ein
Hotel im Libanon eingeladen worden. Er spricht davon, dass er dort Freunde habe (Interview F
Zeilen 699-710 und Eintrag ins Feldtagebuch 12. 3. 2007) Er spricht im Interview davon,
gelegentlich als Tänzer in einem Nachtklub aufzutreten, um zusätzlich Geld zu verdienen.
(Interview F Zeilen 83-104, 269-271 und Protokoll der teilnehmenden Beobachtung vom 31. 12.
2006)
* Beobachtet wurde im Kinderheim das verstärkte Tanztraining (Bauchtanz und Jazz-Dance), zu
dem vor allem die weiblichen Bewohner eines Internates angehalten wurden. Tanzauftritte in
hautengen roten Latexkostümen mit eindeutig erotischer Konnotierung und eine nachgestellte
erotische Tanzszene mit Casino-Flair erfolgten nicht in Gegenwart der Feldforscherin, sondern
eine CD mit den entsprechenden Fotografien vom 28. 12. 2006 wurden der Forscherin von drei
Heimbewohnerinnen gezeigt und von der Forscherin kopiert. (Protokoll der teilnehmenden
Beobachtung vom 9. 1. 2007) Die Räumlichkeiten, in denen die Fotos aufgenommen wurden,
wurden ein Jahr später am 1.1. 2008 durch einen Brand mit unbekannter Ursache zerstört.
* Die Kinder wurden im Beobachtungszeitraum mindestens einmal nach einem Zeichentrickfilm
mit pornografischen Filmszenen konfrontiert. (Protokoll der teilnehmenden Beobachtung vom 3.
11. 2006 und Eintrag ins Feldtagebuch am 3. 11. 2006)
* Wie ist der Wunsch einiger im Kinderheim wohnenden Kinder und Jugendlichen, nach
Österreich zu reisen, einzustufen? Nach einem Kurzaufenthalt in Österreich aufgrund einer
Einladung durch die österreichische Hilfsorganisation träumen sie von einer zweiten Reise, die
ihnen regelmäßig versprochen, aber nicht organisiert wurde. (Protokoll der teilnehmenden
Beobachtung vom 11. 12. 2006) Einigen der jugendlichen Heimbewohner/innen erscheint auch
Saisonarbeit in Österreich als attraktiv. So zum Beispiel bittet der 18-Jähriger Bursche die
Forscherin, ihn als Arbeitskraft an ein österreichisches Hotel zu vermitteln. (Protokoll der
teilnehmenden Beobachtung vom 30.12. 2006) Es handelt sich dabei um denselben
Jugendlichen, der im Nachtklub tanzt und im Libanon war. Im Interview sagt er, dass er voll
hinter der Kinderheimleitung steht. (Interview F Zeilen 414 - 430)
* Adoption ist ein Thema, das die Jugendlichen bewegt. Einige ihrer Angehörigen denken, dass
nur durch eine Adoption ins westliche Ausland ihren Kindern und Enkelkindern eine positive
Zukunft bevorstünde und auch die Forscherin wurde von einer Großmutter gebeten, Kinder aus
dem Heim zu adoptieren. Das Vorgehen der ukrainischen Behörden bei Adoptionsverfahren ist
für die meisten Kinder und Jugendlichen jedoch intransparent und unverständlich. [14] Der Leiter
des Trägervereins des Kinderheims spricht im Interview davon, dass er von Unregelmäßigkeiten
bei Auslandsadoptionen im Zusammenhang mit Geldzahlungen an das Adoptionszentrum und
an die zuständigen staatlichen Behörden gehört habe [Interview a Zeilen 676-683] Trotz des von
ihm geäußerten Misstrauens wurde die Adoption der im Heim lebenden Sozialwaisen massiv
beworben. Es wurden auch Videoclips mit den Kindern gedreht, in denen sie sich präsentieren
und um Adoption bitten. Vom Leiter des Trägervereins wurde mit erklärt, dass die Initiative mit
den Werbespots vom zuständigen Ministerium ausgehe. (Protokoll der teilnehmenden
Beobachtung vom 17. 3. 2007)
4. Schlussfolgerungen
Die Mechanismen der Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen lassen sich weder auf die
Sexualität noch auf ein Geschlecht reduzieren. Alle denkbaren Reduktionen von Menschen auf
ausbeutbare Ressourcen – als Arbeitskraft, Organspender/innen, als Lust-, oder Prestigeobjekt,
als erfüllter Kinderwunsch – sind als Ausbeutung zu verstehen. Jede Form der Ausbeutung setzt
voraus, dass Menschen in akute Existenznot gebracht werden und diese Notlage verbunden mit
den von ihnen ausgehenden Ängsten eine Basis für Abhängigkeitsverhältnisse schaffen, die
dann missbraucht werden können. Jene Kinder und Jugendlichen im untersuchten ukrainischen
Internat befinden sich in derlei prekären Lebenssituationen, in Abhängigkeitsverhältnissen und in
Existenznot. Sie sind sozioökonomisch als auch emotional unterversorgt. Die von ihnen erlebte
Vernachlässigung und Verwahrlosung sind Folgen ihrer Armutssituation. Die Unterbringung und
Erziehung in Internaten sind jedoch nur unzureichende Maßnahmen, um Kinder und
Jugendliche vor Ausbeutung zu schützen. Die Sehnsucht der Kinder und Jugendlichen nach
tragfähigen, verlässlichen Beziehungen macht sie empfänglich für Beziehungsangebote von
Menschen, die sie letztendlich ausbeuten und sie zum Einstieg in informelle
Beschäftigungsverhältnisse - wie zum Beispiel Schwarzarbeit oder Jobs als Tänzer/innen ermutigen. Unter der Schlüsselkategorie "affektive Armut" wurde in meiner Dissertation die
Problematik der emotionalen Unterversorgung von Sozialwaisen zusammenfassend dargestellt
[14]
Wie realistisch ist die Einschätzung, dass Kinder und Jugendliche, die in Internaten aufwachsen,
zu sexuellen Dienstleistungen erzogen werden? Ein Beispiel aus der Geschichte zeigt, dass
diese Möglichkeit besteht: Theweleit führt in seinem Buch "Männerphantasien" an, dass es im
Wilhelminischen Deutschland unter dem Deckmantel der Adoption einen beträchtlichen Handel
mit Proletarierkindern gab, die von Pflegeeltern adoptiert und später in Bordelle vermittelt
wurden. Theweleit versteht die Prostitution von Kindern als patriarchales
Unterdrückungsverhältnis der Männer der herrschenden Klasse gegenüber den Frauen und
Kindern der niederen Klassen. Eingeschrieben in dieses patriarchale Unterdrückungsverhältnis
sind darüber hinaus noch ein gesellschaftlicher Anstandscode und eine – manchmal auch
religiös fundierte – Erziehung zur Keuschheit verantwortlich für Doppelmoral und die Installation
eines ungestillten Verlangens als Dauerzustand. In solchen Systemen werden von Männern
auch Knaben sexualisiert. [15]
Wie ist mit der Tatsache, dass Kindern Szenen eines Pornofilmes gezeigt werden, umzugehen?
Die feministische Theoretikerin MacKinnon, die im Zusammenhang mit Pornographie das
Thema Armut ins Spiel bringt, schreibt, dass jede Pornographie unter Bedingungen der auf
Geschlechtszugehörigkeit basierenden Ungleichheit hergestellt wird, "in überwältigendem
Ausmaß mit armen, verzweifelten, obdachlosen, prostituierten Frauen, die als Kinder sexuell
mißbraucht wurden. Die Gewinne der Industrie beuten diese Bedingungen aus und bieten einen
Anlaß dafür, sie aufrechtzuerhalten." [16]
Die Pornodarstellerin Ona Zee spricht in einem von Drucilla Cornell zitierten Interview davon,
dass in erster Linie Geld den Anreiz darstellt, in die Pornoindustrie einzusteigen. Dieses Geld
stellt eine ökonomische Realität dar, kann aber im Falle von Pornodarstellerinnen, die Opfer von
Kindesmißbrauch waren, auch eine symbolische und psychoanalytische Funktion haben. Es
geht darum, zum Schauplatz zurückzukehren, das Trauma noch einmal zu durchleben. Das
erneute Durchspielen bedeutet eine Wiederholung des ersten Mißbrauchs. Oder aber es kann
eine Art Wiedergutmachung sein, indem das, was dem Kind einst brutal und kostenlos entrissen
wurde, nun in Form von Geld abgegolten wird. Drucilla Cornell, die einen Essay über
Pornographie geschrieben hat, warnt jedoch davor, die in der Sexindustrie Tätigen als Opfer
bourgeoiser Überheblichkeit zu sehen. Pornographie solle "nicht danach beurteilt werden, ob sie
gesellschaftliche Normen verletzt, sondern danach, was sie Frauen antut". Es gehe darum, sich
auf die Befreiung des weiblichen Imaginären zu konzentrieren. Der wahre Inhalt von
Pornographie werde deutlich, wenn wir uns über unsere unbewußten Phantasien über unsere
Geschlechtsrollen klar zu werden versuchen. Problematisch ist laut Cornell nicht das, was
Pornographie bei ihren Konsumenten auslöst, sondern das Unrecht, das Pornographie durch
aufgezwungenen Konsum zufügt. Eine erzwungene Betrachtung von Pornographie stellt einen
Eingriff in die psychische und körperliche Integrität eines Menschen dar. [17]
Für Kinder und Jugendliche besteht durch die regelmäßige Konfrontation mit Pornografie und
der Präsentation des eigenen Körpers die Gefahr, Sexualität als etwas zu erleben, das von
Liebe und Zärtlichkeit abgekoppelt ist und nicht mit Intimität, sondern mit Öffentlichkeit assoziiert
wird. Da auch das Auftreten als Tänzer/in im Heim mit Anerkennung „belohnt“ wird, ist nicht
auszuschließen, dass die Präsentation des eigenen Körpers gegen Entgelt zur Normalität wird,
sobald die Jugendlichen berufstätig sind. Ähnlich wie bei Drucilla Cornell, kann auch hier
zusammenfassend argumentiert werden, dass es nicht darum geht zu beurteilen, ob
gesellschaftliche Normen verletzt werden, sondern darum, was den Kindern und Jugendlichen
angetan wird, indem durch den aufgezwungenen Konsum von Pornografie sowie der
aufgezwungenen oder antrainierte Selbstpräsentation bei Auftritten und als adoptionswilliges
Kind in die psychische und physische Integrität eingegriffen wird. Auch, wenn nicht
Menschenrechtsverletzungen passieren, so ist es doch aus ethischer Sicht eine Verletzung der
Menschenwürde, wenn aufgrund sozioökonomischer Verhältnisse und repressiver
Erziehungsstrukturen Kinder und Jugendliche die Kontrolle über ihren Körper verlieren.
5. Literatur
1. Enigl, Marianne/Meinhart, Edith/Zöchling, Christa (2010). Schlampige Verhältnisse. profilReport über Prostitution in Österreich. In: profil, 12. 6. 2010
http://www.profil.at/articles/1023/560/270720/schlampige-verhaeltnisse-prostitution-oesterreich
2. dpa (2010). Polizei zerschlägt Menschenhändler-Ring. In: Zeit online, 7. 3. 2010.
http://www.zeit.de/gesellschaft/2010-03/menschenhaendler-ring-rumaenien-festgenommen
3. dpa (2010). Immer mehr Verfahren wegen Zwangsprostitution. In: Zeit online, 21. 5. 2010.
http://www.zeit.de/newsticker/2010/5/21/iptc-hfk-20100521-58-24914374xml
4. Schlieben, Michael (2009). Moderne Sklaven in Deutschland. In: Zeit online, 14. 7. 2009.
http://www.zeit.de/online/2009/29/menschenhandel-sklaven
5. Ryan, Chris/Hall, Michael C. (2001). Sex Tourism. Marginal people and liminalities. London:
Routledge.
6. Albuquerque, de, K. (1998). Sex, beach boys and female tourists in the Caribbean. Sexuality
and Culture 2: 87 - 111.
7. Yamba, B. (1988). Swedish women and the Gambia, in T. Selwyn (ed.), Conference on the
Anthropology of Tourism. London: Froebel College.
8. Wickens, E. (1994). Consumption of the authentic: the hedonistic tourist in Greece, in A.V.
Seaton, C.L. Jenkins, R.C. Wood, P.U.C. Dieke, M.M. Bennett, L.R. MacLellan and R. Smith
(eds). Tourism: The State of the Art, Chichester: Wiley, pp. 818 - 825.
9. Pokorny, Ursula/Worseg, Angelika (2003). Fremdenverkehr: Verkehren sie fremd?
Sextourismus in Europa. Unveröffentlichte Seminararbeit, Salzburg.
10. Ahlemeyer, Heinrich W. (2002). Geldgesteuerte Intimkommunikation. Zur Mikrosoziologie
heterosexueller Prostitution. Gießen: Psychosozial Verlag.
11. Suchanek, Norbert (2001). Die dunklen Seiten des globalisierten Tourismus. In: Aus Politik
und Zeitgeschichte. B. 47/2001. Berlin: Bundeszentrale für politische Bildung.
12. UN Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons, Especially Women and
Children, supplementing the United Nationas Convention Against Transnationale Organized
Crime. http://www.unodc.org/unodc/en/crime_cicp_convention.html)
13. Kostanyan, Arpine/Kostanyan Ani (2009). The Problem of Trafficking and Unemployment. In:
Hamilton, Christopher et al. (Hg.), Facing Tragedies. Perspectives on Social Ethics, Vol. 2.
Wien-Berlin: LIT Verlag. 233 - 244.
14. Lobner, Nadja (2008). Wirklich arm sind die anderen. Partizipative Armutsforschung mit
Jugendlichen. Eine interdisziplinäre, empirische Studie auf politikwissenschaftlicher Basis.
Dissertation, Salzburg. 151 und 270 ff.
15. Theweleit, Klaus (2000). Männerphantasien 1 + 2. München-Zürich: Pieper. 172 und 389.
16. MacKinnon, Catharine (1994). Nur Worte. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 22 f.
17. Cornell, Drucilla (1995). Die Versuchung der Pornographie. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 32,
43 und 61 f.
Herunterladen