Vikar Martin Brons

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Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Vikar Martin Brons
9. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juli 2008, 18 Uhr
Predigt über 1. Petrus 4,7-11
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen!
Ein kleiner Junge tritt an die Brüstung unserer Orgelempore, holt tief Luft und füllt mit dem Klang
seiner Stimme den ganzen Dom und vieler Menschen Herzen aus.
Jede Menge Talente gibt es unter uns Menschen – liebe Gemeinde!
Ich sage nicht: Jede Menge Zentner, wie der Evangelist Matthäus in dem heutigen Evangelium.
Ich sage auch nicht: Jede Menge Pfunde, wie der Evangelist Lukas, der dieses Gleichnis ebenfalls
überliefert (Lk 19, 12–27);
schon gar nicht rede ich von Kilogramm.
Nein, ich sage Talente.
Denn wo Martin Luther Zentner übersetzt hat, da steht im Griechischen das Wort Talente, die den
Knechten anvertraut sind und mit denen sie begabt werden.
Reich begabt, eigentlich müsste man sagen überreich: selbst der dritte bekommt mit einem Zentner
immerhin 41 Kilogramm Silber.
Gott begabt uns überreich!
Seien es Sprachtalente, musikalische, oder mathematische; der Umgang mit Menschen oder
Gegenständen, z.B. Computertalente und und und.
Und wir – was machen wir daraus? Gehören wir zu denen, die mit ihren Pfunden wuchern, oder eher zu
denen, die ihre Pfunde vergraben?
Was machen wir aus unserer Be-Gabung, die uns Gott anvertraut hat?
Was unterscheidet uns dabei von denen, die nicht Christen, aber offensichtlich auch reich begabt sind?
Dazu steht im 4. Kapitel des 1. Petrusbriefes:
[Verlesung 1. Petr 4,7-11]
Herr segne an uns Dein Wort. Amen!
I.
Wie ein Paukenschlag einer großen Ouvertüre, die in allen weiteren Sätzen die Vorzeichen angibt,
klingt das: Es ist aber nahe gekommen das Ende, das Ziel (Telos) aller Dinge. So seid nun – seid folglich
(müssen wir sagen) – besonnen und nüchtern zum Gebet.
Das Ende, das Ziel aller Dinge – Besonnenheit und Nüchternheit im Gebet.
452 Reden können Sie unter www.20-juli-44.de abrufen – teils von großen Persönlichkeiten, Frauen und
Männern zwischen A wie Adenauer und Z wie Zuckmayer und Zypries und morgen wird auch die von
Bundeskanzler Helmut Schmidt abrufbar sein, die er gerade vor dem Reichstag hält.
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Der Widerstand gegen Hitler ließ sich auch durch den Paukenschlag unseres Textes leiten: In Gesprächen
und teils im Gebet rangen sich die Frauen und Männer zur ihren Taten durch, weil sie wussten: für uns
wird das Ende zum Ziel aller Dinge.
Für manche von uns sind ihre Beweggründe und überhaupt viele Einzelmerkmale der geistigen Welt, in
der sie lebten weit weg. Ganz unmittelbar stehen die Personen und ihre Schicksale aber vor einem, liest
man ihre Briefwechsel und Schriften.
So lehrt Bonhoeffer: Weil wir mit dem „Letzten“ im Reinen sind, können wir im „Vorletzten“, in der
Zeit, die uns anvertraut ist, besonnen und nüchtern handeln, ja sogar das höchste Risiko eingehen, um
zu retten, was noch zu retten wäre.
Besonnen, das klingt nach einer etwas abgekühlten antiken Allerweltstugend, die schön brav die Mitte
abwägt und sich auf keinen Fall zu etwas hinreißen lässt (Aristoteles, Nikomachische Ethik III, 14,
1119a).
Besonnen beschreibt im Neue Testament aber auch die geistige Gesundheit, oder ganz drastisch das
„bei Sinnen Sein von geheilten Besessenen“ (Mk 5,15; Lk 8,35; Bauer s.v., S. 1598): Geistige
Umnachtung löst sich wie ein Krampf in der Wade, plötzlich sieht klar und ist besonnen, wer vorher,
durch was auch immer, beschränkt war.
Vielleicht hat mancher von jenen Widerstandleistenden es ähnlich empfunden: Auch wir sind auf dem
Weg der Heilung von einer kollektiven „Besessenheit“.
II.
Christus, das Ziel aller Dinge, weist allem im hier und jetzt den ihm gebührenden Platz zu.
Das ist gerade kein Aufruf zur Resignation, sondern die Aufforderung, unsere Begabungen einzubringen,
Mitarbeiter Gottes zu sein, uns in seinen Dienst zu stellen.
Was verstehen Sie unter Gaben – unter Talenten?
Theodor Fontane war misstrauisch gegen die Redeweise der „Pastoren“ von den Gaben: „Es soll
bescheiden und unpersönlich klingen (schreibt er) und sozusagen alles auf Inspiration zurückführen, für
die man ja, wie für alles, was von oben kommt, am Ende nichts kann. Es ist aber gerade dadurch das
Hochmütigste …“ (Der Stechlin, Aufbau 197).
So kann das klingen, wohl wahr. Der Petrusbrief tönt anders: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe,
die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“ (v. 10).
Wenn die Bibel von den „Gaben“ redet, sind kaum „Spitzentalente“ gemeint, denen
„Hochbegabtenförderung“ winkt, sondern ziemlich alltägliche, sozusagen profane Dinge, die keineswegs
auf uns Christen beschränkt, sondern zuweilen sogar bei anderen ausgeprägter zu finden sind (Röm 12–
15): Paulus nennt z.B. die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen; das Talent, andere im besten
Sinne zu belehren, so dass Lernen Freude macht; die Gabe zuzuhören und gut zuzureden; Freigebigkeit,
ein von Herzen großzügiger Mensch zu sein; ein Herz für die „Erniedrigten und Beleidigten“ zu haben
(Dostojewski, 1861); soziale Verantwortung, Gemeinsinn, bis hin zum pünktlichen und korrekten
Steuerzahlen (Römer 13; so ist dieses berühmte Kapitel von den „Obrigkeit“ gemeint).
Aber natürlich gehört auch Anspruchsvolleres dazu, wie all die Dinge, die uns gewöhnlich vorschweben,
wenn wir vom „großen Talent“ reden.
All dies ist die mancherlei Gnade Gottes, die vielfältige, man kann sogar übersetzen: die vielfarbige
Gnade Gottes, die er jedem Menschen reich ausgeteilt hat, ihm anvertraut, ihn be-gabt hat als
Vermögen. Und wir sollen über das Vermögen Haushalter sein und mit ihm einander dienen.
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Nicht wie ein Haushalter, dessen Augen stumpf geworden sind für die klemmende Tür und den
dreckigen Boden; der das ihm anvertraute Gut verkommen lässt, weil es eben gerade nicht sein eigen
ist.
Sondern als die Gotteskinder, die seit der Taufe von der einen Gnade Gottes durchwirkt werden: Sie hat
von uns Besitz ergriffen, sie ergänzt und bereichert, tauft durch den Geist Christi alle Gaben, die der
Schöpfer in uns gelegt hat.
Das ist der tiefere Sinn der Gemeinschaft der Heiligen: Zusammenwirken, einander dienen, aufeinander
angewiesen sein, weil erst in der Symphonie der Gaben jedes Einzelnen, die eine Gnade Gottes zum
Klingen kommt. So sind wir zwar nicht Besitzer der berühmten drei größten Gaben, aber doch in ihren
Dienst gestellt, durchdrungen und verwandelt durch sie: Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die
Liebe ist die größte unter ihnen, wie es Paulus ausdrückt (1. Kor 13, 13 im Zusammenhang von 1. Kor
12–14!).
III.
„Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn ‚die Liebe deckt auch der Sünden Menge’
[Sprüche 10,12]“ (v. 8). Wo Paulus die Liebe in seinem Hohelied als langmütig, freundlich und mit
immer neuen Worten besingt, mahnt der Petrusbrief zur beständigen Liebe mit diesem eigenartigen
Bild aus dem Buch der Sprüche des Alten Testaments.
Soll es so zwischen uns Christen sein: Eine blind machende, vertuschende Liebe, die die Wahrheit lieber
unter den Teppich kehrt?
Der bloße Anschein davon stößt uns wahrheitsbewussten Menschen schnell sauer auf und verursacht
manchem Dogmatiker Magenschmerzen.
Keine juristische Verfahrensweise beschreibt der Petrusbrief, sondern die Gemeinschaft innerhalb der
Gemeinde, die davon lebt, dass ihre Sünden durch den Einen bedeckt sind und darum weiß, dass sie am
Ende aller Zeiten offenbar werden. Jesu selbst spricht von der „Sünderin“ im Lukasevangelium: „Ihr sind
viele Sünden vergeben, denn sie hat (mich) viel geliebt“ (Lk 7,47, alte Lutherfassung). Das „Zudecken
von der Sünden Menge“ beschreibt den Aspekt der Liebe, der die Sünden des andern nicht vertuscht,
sondern ihm Deckung gibt,
im positiven Sinn: „ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren“, sagt Martin
Luther in seiner Auslegung zum 8. Gebot im Kleinen Katechismus.
Es täte uns gut, diesen Aspekt der Liebe unter uns stark zu machen.
Die Triebfeder zum Entlarven funktioniert bei uns Menschen von selbst, dazu braucht es keine
Ermahnung. Oft steht hinter unbarmherzigem Wahrheitsbewusstsein der bloße Machtwille über andere
Personen – leider auch im Raum der Kirche.
IV.
Wer jemals nach langer Wanderschaft an einer fremden Tür etwas erbat, oder an dessen Tür selbst
geklingelt wurde, versteht den Anspruch, der hinter dem Satz „Seid gastfrei untereinander ohne
Murren“ (v. 9) steht – zumal im Alltagsgeschäft, wenn man zwischen Tür und Angel aufgehalten wird.
In der Gastfreundschaft, die nicht organisiert ist und sich zufrieden gibt mit etwas Essen und Trinken,
wird die Gegenwart durchlässig für eine andere Realität: „Das ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn,
dass einer dem anderen Rast gebe auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause“ – dieser Satz stammt leider
nicht von mir, sondern von Romano Guardini, dem katholischen Theologen, der auch hier nebenan an
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der Universität lehrte: „Das ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn, dass einer dem anderen Rast gebe
auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause“.
Eigenartig genug, dass uns das Gegenteil, die Xenophobia, selbst als Fremdwort selbstverständlich
geläufig ist. Haben Sie jemals von der Philoxenia in den Zeitungen gehört?
„Mein Leben sei ein Wandern“ (EG 481,5) haben wir eingangs gemeinsam gesungen.
Die Christen haben den Sinn der Gastfreundschaft von Anfang an verstanden und immer zeitgemäß
umgesetzt: diakonische und klösterliche Einrichtungen, Krankenhäuser und Hospize; Räume der
Philoxenia – aber auch die Gefahr der professionellen Delegation.
Der Anspruch bleibt: Seid philoxen, im Grundsatz fremdenfreundlich.
V.
Jede Menge Talente gibt es unter uns Menschen, die wir in Liebe und im gegenseitigen Dienst fördern
sollen! „Vom Aufgang der Sonne, bis zu ihrem Niedergang“ war das Thema unserer 4. Kinderbibelwoche,
die heute Vormittag im Gottesdienst abgeschlossen wurde.
All unser Tun, jeder noch so alltägliche Handgriff soll zum Lobe Gottes geschehen.
Eines unserer größten Talente hat das auf seine Weise umgesetzt:
Johann Sebastian Bach schreibt an den Anfang der meisten seiner Kompositionen die zwei Buchstaben:
J. J., Jesu juva! Jesus, hilf! Und statt seines Namens oftmals an das Ende: S.D.G., Soli Deo Gloria, Gott
allein die Ehre!
Von Bach wissen wir: Das war keine hohle fromme Formel.
Ob weltlich oder geistlich, ob eigene Komposition oder Parodie, ob bestellt und bezahlt, Dienstpflicht
oder Bewerbungsnachweis, ob unter höchstem Druck aufs Papier geworfen oder mit energisch-exakter
Handschrift genauestens notiert: ich tue es – um mit dem Zielpunkt unseres Predigttextes zu reden –
aus dem Vermögen, das Gott darreicht (wie es in seiner Lutherbibel stand), auf dass in allen Dingen
Gott gepriesen werde (v. 11b).
Dazu helfe uns Christus Jesus. Amen!
Und „der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus
Jesus“ (Phil 4,4); Amen.
WSpr: Lk 12,48
Eingangslied: EG 481,1.4-5 Nun sich der Tag geendet
Psalm 1, EG 702
EG 497,1-4 Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun (Wochenlied)
Evangelium: Mt 25,14-30 (Frau Margarete v. Uslar-Gleichen)
EG 166,4-6 Tu mir auf die schöne Pforte
Predigt: 1. Petr 4,7-11
Predigtlied: EG 268,1-5 Strahlen brechen viele
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