M ATURAARBEIT Was sind Fraktale? Eine Einführung in die Geometrie des Irregulären verfasst von Giuliano Basso begleitet durch Kerstin Quatember eingereicht am 5. Dezember 2008 an der wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Abteilung des Gymnasiums Bern-Kirchenfeld Wer besser in Geometrie und Algebra bewandert ist als ich und meine Gedanken umständlich findet, möge bedenken, dass ich nicht für ihn rede [· · ·] den Eingeweihten aber billige ich das Recht zu dem Vorwurf zu, ich hätte mich nicht auszudrücken verstanden [· · ·]. J AKOB N EUHAUS , 1795, (20) Vorwort Was um alles in der Welt sind Fraktale und wie kommt ein Schüler der wirtschaftsund rechtswissenschaftlichen Abteilung dazu ihnen seine Maturaarbeit zu widmen? Mit dieser und ähnlichen Fragen wurde mir innerhalb des letzten halben Jahres immerfort entgegnet, wenn ich über mein Maturaarbeitsthema sprach. Anscheinend sind mathematische Themen auch heute noch in unserer technisierten Welt nicht gerade salonfähig und rufen bei den meisten Leuten im besten Fall Desinteresse oder schlimmer noch Abscheu hervor. Mathematik ist blosse Rechnerei, sagen sie, und erfordert kein kreatives Denken und neue revolutionäre Ideen. Ausserdem ist sie hochgradig langweilig und viel zu trocken. Kein normaler Mensch kann sich an diesen kalten von der Wirklichkeit entfremdeten Konstrukten erfreuen! Das ich solche Reaktionen hervorrief zeigt die Notwendigkeit meiner Arbeit auf. Ich bestreite nicht, dass mancher dieser Vorwürfe zumindest im Kern wahr ist. Es würde mich freuen, wenn ich mit dieser Arbeit, einige Leute für die Mathematik begeistern kann oder zumindest weniger hassen lehre. Fraktale sind dafür ein dankbares Thema, weil es den sinnvollen Einsatz von Bildern ermöglicht und somit auf einer visuellen Ebene anspricht und für das Thema sensibilisiert. Allerdings wählte ich mein Maturaarbeitsthema nicht aus diesem Grund aus. Vielmehr kam ich darauf, weil ich mich im Mathematikunterricht für Folgen und Grenzwerte begeistern konnte und in deren Rahmen mit der Koch’schen Schneeflocke, einem berühmten Fraktal, in Berührung kam. Ich wollte mein Wissen über Folgen und Grenzwerte erweitern und fasste den Entschluss einige Bücher über Fraktale zu lesen. Das hinter diesen obskuren Bildern anspruchsvolle und wichtige Mathematik steckt, hätte ich mir damals nicht gedacht. Wie man sich doch irren kann! Hinter Fraktalen steht Mathematik, die weit über Folgen und ihre Grenzwerte hinausgeht. Während der Lektüre der einschlägigen Literatur für Laien kam ich mit Ähnlichkeitsabbildungen, metrischen Räumen und vielen Dimensionsbegriffen in Berührung. Alles Gebiete, welche die Schulmathematik übersteigen und dementsprechend bedeutend interessanter sind. Ich versuchte möglichst viel von meinem erworbenen Wissen in diese Arbeit zu packen, aus diesem Grund auch der beachtliche Umfang. Der Schwierigkeitsgrad steigt während der Lektüre konstant an, ich gab mir aber Mühe möglichst verständlich zu bleiben. So, nun genug der Worte, stürzen sie sich ins Abenteuer und erweitern Sie ihren Horizont. Giuliano Basso Schlosswil, November 2008. 1 Inhalt Vorwort 1 Übersicht 4 1 Einführung 1.1 Fraktal - Ein moderner Begriff mit tiefgehenden Wurzeln 1.2 Dimension - Mehr als nur die Ausdehnung im Raum . . 1.2.1 Die Dimension unserer Anschauung . . . . . . . . 1.2.2 Die Notwenigkeit einer neuen Dimension . . . . . 1.3 Selbstähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Exakte Selbstähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Statistische Selbstähnlichkeit . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Selbstähnlichkeit am Beispiel der Koch-Kurve . . 1.4 Definitionen und Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 6 7 8 9 9 11 11 15 2 Mathematische Fraktale 2.1 Cantor-Staub - „Je le vois, mais je ne le crois pas“ . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die Konstruktion des Cantor-Staubes . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Länge des Cantor-Staubes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Welche Punkte bilden den Cantor-Staub? . . . . . . . . . . . 2.1.4 Die Selbstähnlichkeit des Cantor-Staubes . . . . . . . . . . . 2.2 Der Sierpiński-Teppich und die Selbstähnlichkeitsdimension . . . . 2.2.1 Die Konstruktion des Sierpiński-Teppichs . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Selbstähnlichkeitsdimension ds des Sierpiński-Teppichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 18 18 19 22 24 25 25 26 3 Natürliche Fraktale 3.1 Küstenlinien - Fraktale Kurven unendlicher Länge . . . . . . . . . . . . . 29 29 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 3.2 Weitere Fraktale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Hausdorff-Besicovitch-Dimension 4.1 Die Idee hinter der Hausdorff-Besicovitch-Dimension . . . . . 4.2 Definitionen und Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Von Hd e (Y) über Hd (Y) zu dhb (Y) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Hausdorff-Besicovitch Dimension des Sierpiński-Teppich 4.5 Sind dhb (G) und ds (G) gleichwertig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 33 33 34 36 38 40 Fazit 44 A Die topologische Dimension 45 Literatur 47 3 Übersicht Das Ziel meiner Arbeit ist es Sie in die fraktale Geometrie soweit einzuführen, dass es ihnen möglich sein wird, die Definition der fraktalen Menge nach M ANDELBROT (siehe S. 8) zu verstehen. Mein Weg führt dabei über die selbstähnlichen Fraktale. Sie unterstützen mich die grundlegenden Begriffe einzuführen und geben eine erste Vorstellung davon was für Objekte unter M ANDELBROTs Definition fallen. Im Gegensatz zu anderen Arbeiten erachte ich es allerdings als unnötig, unzählige Fraktale vorzustellen und an ihnen immerfort das Gleiche zu zeigen. Also beispielsweise die Länge ausrechnen, den Flächeninhalt bestimmen, die Selbstähnlichkeitsdimension ds und (was seltener geschieht) den IFS-Code bestimmen. Ich konzentriere mich vielmehr auf wenige Fraktale und behandle diese eingehender. Das erste Kapitel ist dazu da, eine Vorstellung davon zu geben was Fraktale sind und die für den späteren Verlauf unumgänglichen Definitionen zu liefern. Im zweiten Kapitel werden zwei mathematische Fraktale, sogenannte IFS-Fraktale, eingehend behandelt und an ihnen einige erstaunliche Eigenschaften aufgezeigt, die Fraktalen oftmals innewohnen. Da ich es nicht unterlassen wollte auch Fraktale aus der Natur zu thematisieren, wird im Kapitel drei als Beispiel für natürliche Kurven unendlicher Länge die Küstenlinie behandelt. Das vierte Kapitel ist das technischste und auch schwierigste Kapitel dieser Maturaarbeit. In ihm wird die Hausdorff-BesicovitchDimension, welche für das Verständnis der Definition M ANDELBROTs unumgänglich ist, vorgestellt. Im Anhang wird die topologische Dimension kurz erklärt, weil man auch sie kennen muss um Fraktale zu quantifizieren. Weil die topologische Dimension, bei den meisten Objekten offensichtlich ist, und deren exakte Derfinition zu weit vom Thema wegführen würde, habe ich deren Erklärung möglichst kurz gehalten und in den Anhang verbannt. Diese Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die Beispiele sind nach meinen persönlichen Vorlieben ausgewählt. Das linke Fraktal auf der Titelseite wird Koch Surface genannt und das rechte Menger Schwamm. Alle Abbildungen ausser 2.5 und A.1 erstellte ich selbst. Wenn kein Programm explizit Erwähnung findet, verwendete ich die Freeware GeoGebra. Ich verfasste diese Maturaarbeit zuerst in Microsoft Word, sah mich aber dazu veranlasst auf LATEX umzusteigen, weil die mathematischen Formeln in Word unglaublich mühsam zu erstellen und formatieren sind. Das Buch „Latex. Ein typographischer Einstieg“[3] von T OBIAS B ERNDT half mir mit LATEX nicht zu verzweifeln und meine Maturaarbeit typographisch ansprechend zu setzten. 4 1 Einführung Die klassische Geometrie lieferte erste Näherungen an die Struktur physikalischer Objekte. [· · ·]. Die fraktale Geometrie ist deren Erweiterung: Physikalische Strukturen - von Farnen, Wolken bis hin zu Galaxien - können mit ihrer Hilfe exakt modelliert werden. M ICHEAL F. B ARNSLEY, 1993, (2, S.1) 1.1 Fraktal - Ein moderner Begriff mit tiefgehenden Wurzeln Was sind Fraktale? Vor ungefähr 35 Jahren hätte niemand eine Antwort auf diese Frage geben können. Das Konzept existierte zwar, wurde aber noch nicht mit einem Namen versehen. Im Jahre 1975 führte der polnisch-französische Mathematiker B ENOÎT B. M ANDELBROT (1924∗ ), den Begriff Fraktale ein. Fraktale sind Objekte, die komplexer und irregulärer sind als die Standardobjekte der Schulgeometrie, wie beispielsweise die Linie, das Quadrat und das Dreieck. Aus diesem Grund erstaunt es nicht, dass M ANDELBROT den Begriff aus dem lateinischen Adjektiv fractus, das „in Stücke zerbrochen“und „irregulär“meint, ableitete.[9, S. 16-17]1 Viele sehen in M ANDELBROT den Vater der Fraktalforschung, die allerersten Fraktale wurden allerdings bereits vor seiner Geburt erfunden. Diese mathematischen Fraktale entstanden um 1900 beim Versuch die Grenzen von grundlegenden Begriffen, wie Stetigkeit und Krümmung, aufzuzeigen.[11, S. 81] In mathematischen Kreisen sah man in diesen Gebilden die Abweichung von der Norm und stempelte sie als Kuriositäten ab. Sie waren als „mathematische Monster“, bar jedes Realitätsbezuges, berüchtigt. Aus diesem Grund wurden keine Anstrengungen unternommen sie systematisch einer Klasse zuzuordnen. M ANDELBROTs Verdienst war es sie streng zu definieren und zu erkennen, dass diese „Monster“in einem gewissen Sinne die Regel und nicht die Ausnahme bilden. Der Ansatz M ANDELBROTs wird auch heute noch unter den zahlreichen Definitionen des Begriffs Fraktal bevorzugt.[19, S. 166] Er ist allerdings sehr technischer Natur und erst einleuchtend, wenn man sich schon lange mit der Materie auseinandergesetzt hat. Um jetzt schon eine Vorstellung von Fraktalen geben zu können, zähle ich vier Eigenschaften auf, die meistens nicht bei ein und demselben fraktalen Objekt anzutreffen sind. 1 Eckige Klammern wie diese verweisen auf die Literatur der Seiten 47-48. 5 1 Einführung Ein Fraktal ist: das Ergebnis eines unendlich oft wiederholten rekursiven Erzeugungsprozesses. [13, S. 140] ein Objekt dem als Dimension eine nichtganzzahlige Zahl zugeordnet wird. [4, S. 47] eine Kurve die über keine charakteristische Länge verfügt, d. h. unendlich lang ist. [11, S.241] ein Objekt, das auf jeder Grössenskala aus mehreren gleichgrossen Teilen, die exakte Kopien des Ganzen sind, besteht. [11, S.163] Drei dieser vier Eigenschaften werden im Verlauf der Einführung eingehend behandelt. Ich hoffe, damit dem Leser eine solide Grundausrüstung zu liefern, die das Verständnis der Fraktale in den folgenden Kapiteln erleichtern soll. In Kapitel 3 thematisiere ich am Beispiel natürlicher Fraktale die Tatsache, dass man ihnen keine charakteristische Länge zuordnen kann. 1.2 Dimension - Mehr als nur die Ausdehnung im Raum Über das Konzept unseres Dimensionsbegriffes machen sich die wenigsten Leute Gedanken, es ist intuitiv einleuchtend und wirft gar nicht erst Fragen auf. Auch ich lebte jahrelang problemlos mit dieser Einstellung. Erst während dem recherchieren für meine Maturaarbeit fiel mir auf, dass der Begriff der Dimension einiges mehr an Spielraum für Variationen zulässt, als ich es mir erträumt hätte. Ich stellte fest, dass es nicht eine Universaldimension für alle denkbaren Situationen gibt. Tatsächlich arbeiten Mathematiker ungefähr mit zehn Dimensionsbegriffen, die in ihren Zahlenwerten für ein und dasselbe Objekt voneinander abweichen können.[11, S.245] Diejenigen, die sich eignen um Fraktale sinnvoll zu beschreiben stelle ich in dieser Arbeit vor. Zwei weitere Dimensionen werden im Anhang A behandelt sie fliessen mit ein, weil man sie kennen sollte, um die Andersartigkeit fraktaler Objekte gegenüber Standardobjekten der Schulgeometrie, für deren Beschreibung nichtfraktale Dimensionen ausreichen, zu verstehen. In diesem Unterkapitel werde ich über übliche Dimensionsvorstellungen sprechen, auf denen auch die topologische Dimension2 aufbaut. Anschliessend wird die HausdorffBesicovitch-Dimension als Grundlage der Definition des Fraktals nach M ANDELBROT thematisiert. 2 Mehr Informationen zur topologischen Dimension finden sich im Anhang A. 6 1.2 Dimension - Mehr als nur die Ausdehnung im Raum 1.2.1 Die Dimension unserer Anschauung Das Wort Dimension ist aus dem lateinischen Wort dimetiri, was auf deutsch „nach allen Seiten abmessen“heisst, abgeleitet.Umgangssprachlich meinen wir, wenn wir über die Dimension eines Objektes sprechen, dessen Ausdehnung im Raum.[13, S. 86] Dehnt sich das Objekt in eine Richtung aus, ist das Objekt eindimensional. Die Anzahl der Ausdehnungen bezeichnet die Dimension, die wir dem Objekt zuschreiben. Die Dimension eines Objektes ist somit immer ganzzahlig, ein Objekt kann sich nicht in 1.5 Richtungen ausdehnen. Der uns umgebende Raum dient bei der Feststellung der Ausdehnungen als Masstab, als Bezugsgrösse. Wir bezeichnen ihn gerne als dreidimensional3, im Sinne davon, dass wir den Aufenthaltsort jedes Punktes im Raum anhand dreier Zahlenwerte in einem dreiachsigen rechtwinkligen Koordinatensystem beschreiben können. Von dieser Abstraktion ausgehend sagen wir, dass eine Fläche, ein Objekt ist, dessen Punkte durch einen Satz von zwei Zahlenwerten in einem zweiachsigen rechtwinkligen Koordinatensystem beschrieben werden können. Wir schliessen von unserer abstrahierten Wahrnehmung auf niedrigere Dimensionen. Auch unsere Vorstellungen über höherdimensionale Räume basieren auf verallgemeinerten Vorstellungen über den uns umgebenden Raum.[16, S. 74] Der euklidische Raum E, den ich gerne als den „Raum unserer Anschauung“bezeichne, ist das mathematische Konzept dieser Vorstellungen. Ein Punkt x in E ist definiert durch ein n-Tupel. Befinden wir uns in einem zweidimensionalen euklidischen Raum, wird jeder Punkt x durch ein Paar (2-Tupel), von Zahlen definiert. Es gibt beispielsweise den Punkt x = (2 | 123) oder den Punkt x0 = (123 | 2). Man nennt den zweidimensionalen euklidischen Raum oft einfach die Ebene und bezeichnet ihn formal mit R2 .[24] Für einen beliebigdimensionalen euklidischen Raum E gilt:[11, S. 262] E = Rn = { x | x = (x1 , · · · , xn ), xi ∈ R } wobei n eine natürliche Zahl ist . (1.1) Alle Fraktale die in dieser Maturaarbeit thematisiert werden sind Teilmengen4 [1, S. 10]5 des euklidischen Raumes E. Auf dem Begriff des Raumes, der in 4.2 eingehend behandelt wird, fusst eine weitere Definition des Fraktals. Definition 1.1: Ein Fraktal ist eine hinreichend komplizierte Punktmenge in einem geometrisch einfachen Raum.[19, S. 166] 3 Ungeachtet der Tatsache, dass der uns umgebende Raum nicht dreidimensional ist. Wir leben in einer gekrümmten vierdimensionalen Raumzeit. 4 In 1.4 erfährt man mehr über diesen Begriff. 5 Stehen die eckigen Klammern direkt nach einem Wort, bezieht sich die Quellenangabe nur auf ebendieses Wort. 7 1 Einführung 1.2.2 Die Notwenigkeit einer neuen Dimension Das Beschreiben von Objekten ausgehend von unserer abstrahierten Wahrnehmung kann durchaus effektiv und ausreichend sein. Anfangs des 19. Jahrhunderts stellte man fest, dass sich Objekte konstruieren lassen, die frühen Fraktale, die über Eigenschaften verfügen, die der damaligen Dimensionsvorstellung nicht mehr gerecht wurden. Besonders die Peano-Kurve stellte die bis dahin übliche Definition der Dimension einer Menge6, als die minimalste Anzahl Variablen, die man zu ihrer eindeutigen Beschreibung braucht, in Frage. Die Peano-Kurve ist eine Kurve, die jeden Punkt auf einer vorgegebenen Fläche trifft, sie somit vollständig ausfüllt. Jeder Punkt auf dieser Fläche lässt sich durch seine Lage auf der Kurve, also anhand einer Variablen, eindeutig lokalisieren. Allerdings ist diese Konstruktion nicht selbstmeidend[9, S. 51], es gibt voneinander unterscheidbare Punkte auf der Kurve, die denselben Punkt der Fläche treffen.[11, S. 131] Misst man einer solchen Kurve die Dimension Eins bei, wird man ihrer ebenfüllenden Eigenschaft nicht gerecht. Um die Peano-Kurve effektiv zu Beschreiben ist eine neue Geometrie erforderlich und eine neue Vorstellung von Dimension. „Mehr Dimensionen“ist bei dieser Dimension nicht mehr gleichbedeutend mit „mehr Richtungen“, sondern mit „den Raum besser ausfüllen“.[16, S. 99] Eine solche Dimension stellte F ELIX H AUSDORFF (1868-1942) im Jahre 1919 vor. Für Standardobjekte wie Punkt, Linie etc. stimmt sie mit der Dimension unserer Anschauung, also der Zahl, die wir diesen Objekten gefühlsmässig beimessen, überein.[9, S. 27] A BRAM S AMOILOVITCH B ESICOVITCH (1891-1970) erweiterte die Überlegungen H AUSDORFFs für den Fall, dass man die Dimension von Nichtstandardobjekten berechnen will.[9, S. 377] „Die“ Definition Mit der Hausdorff-Besicovitch-Dimension dhb erhielt M ANDELBROT eine Möglichkeit die „mathematischen Monster“, als eine neue Klasse von Objekten gegenüber den euklidischen Standardobjekten, also denjenigen der Schulgeometrie, abzugrenzen. M ANDEL BROTS einzige Definition des Begriffs Fraktale baut auf der Ungleichheit zwischen dhb und dtop eines fraktalen Objektes auf. Die topologische Dimension und die HausdorffBesicovitch-Dimension eines beliebigen Objektes7 F müssen nicht übereinstimmen, sie genügen aber stets der Ungleichung: dhb (F ) ≥ dtop (F ). Für Fraktale Objekte gilt: F ist ein F raktal ⇔ dhb (F ) > dtop (F ) Definition 1.2:„Ein Fraktal ist nach Definition eine Menge, deren Hausdorff-BesicovitchDimension echt [ist nicht gleichgross] die topologische Dimension übersteigt.“ Liegt ein fraktales Objekt im euklidischen Raum, ist dhb grösser als Null und kleiner als die Dimension von E, also den Exponenten von R.[9, S. 27] 6 Der Schöpfer der Mengenlehre G EORG F ERDINAND L UDWIG P HILIPP C ANTOR (1845-1918) versteht unter einer Menge folgendes: „ Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die Elemente von M genannt werden) zu einem Ganzen. “ [6, S.1] 7 Genaugenommen spräche man in diesem Zusammenhang von Mengen. 8 1.3 Selbstähnlichkeit 1.3 Selbstähnlichkeit - Das Ganze besteht aus verkleinerten Kopien seiner Selbst In diesem Unterkapitel wird primär der für die Beschreibung fraktaler Mengen wichtige Begriff der Selbstähnlichkeit behandelt. Die exakten Definitionen finden sich in 1.4. In 1.3.1 und 1.3.2 nähere ich mich der Selbstähnlichkeit mit Worten und diversen Beispielen. Etwas vertiefter als in den vorangehenden Beispielen werde ich in 1.3.3, mit einigen Abschweifungen, die Selbstähnlichkeit anhand der Koch-Kurve besprechen. 1.3.1 Exakte Selbstähnlichkeit Eine Figur nennt man exakt selbstähnlich, wenn sie sich aus mehreren gleichgrossen Teilen Schachkleineren Masstabs, die exakte Kopien der ganzen Figur sind, zusammensetzten lässt. brett Beim Schachbrett bilden 64 kleine Quadrate ein grosses Quadrat. Streckt man eines dieser Quadrate mit dem Faktor 8 erhält man das ganze Schachbrett. Die Farben sind dabei zu vernachlässigen. Wenn man ein Feld des Schachbrettes wie ein Schachbrett unterteilt, d.h ein Feld des Schachbrettes besteht aus 64 Quadraten, und eines dessen Felder mit dem Faktor 64 = 8 · 8 streckt erhält man wieder das Schachbrett. Dasselbe Spielchen könnte man mit den Feldern der Schachfelder machen und mit deren Feldern usw.. Man versuche sich das mit der Abbildung 1.1 zu veranschaulichen. Das Schachbrett und das Quadrat, was anderes ist das Schachbrett ja nicht, wenn man die Farben vernachlässigt, sind exakt selbstähnlich. Abbildung 1.1: Schematische Darstellung eines Schachbrettes. 9 1 Einführung Abbildung 1.2: Eine idealisierter Zweiästebaum. Vom Endpunkt jedes Astes zweigen Zwei halb solange Zweige in einem Winkel von 60 Grad ab. Diese Abbildung wurde mit der Freeware Fractal Grower erzeugt. Zweiästebaum Ein idealisierter Baum besteht aus einem Stamm, der grosse Äste enthält, die kleinere Äste enthalten, die Zweige enthalten, die wiederum kleinere Zweige enthalten usw..[12, S. 2] Bei einem idealisierten Baum geht diese Folge unendlich lange weiter. Abbildung 1.2 stellt eine Variante eines solchen idealisierten Baumes dar. Ist dieser Baum exakt selbstähnlich? Intuitiv scheint die Sache klar zu sein. Die Anzahl der Verzweigungen beim Baumstamm entspricht der bei einem einzelnen Ast und Zweig. Äste sind eine Miniaturausgabe des ganzen Baumes, da sie sich genau gleich verzweigen wie der Baumstamm. Dasselbe gilt für Zweige jeder Grössenordnung, sie sind also vollwertige Kopien des Baumes, die sich nur durch ihre Grösse vom Original unterscheiden. Es gilt dasselbe wie beim Schachbrett dessen Quadrate verkleinerte Kopien des Ganzen darstellen. Das Schachbrett ist exakt selbstähnlich, folglich ist unser idealisierter Baum auch exakt selbstähnlich. Könnte man meinen! Tatsächlich ist dieser Zweiästebaum aus zwei verkleinerten Kopien seiner selbst und dem Stamm aufgebaut. Die Äste und deren Verzweigungen oberhalb der ersten Gabelung addieren sich nicht zum Ganzen, wenn nicht ein Stamm hinzugefügt wird. Man bezeichnet den Stamm als Residuum.[9, S. 164-165] Den Baum als Ganzes, also Stamm mit inbegriffen, bezeichnet man als selbstaffin.[11, S.174] Kurz Zusammengefasst: Eine Form ist selbstähnlich, wenn sie aus Kopien ihrer selbst aufgebaut ist. Exakt selbstähnliche Figuren, enthalten in jedem Teil, sei er auch noch so klein, ein verkleinertes Ganzes. Im Kleinen wiederholt sich das Grosse, das Kleine ist im Grossen 10 1.3 Selbstähnlichkeit enthalten, das Ganze besteht aus vielen kleinen Kopien seiner selbst.[4, S. 24] Jede dieser Kopien wird zum Ganzen, wenn man sie mit dem richtigen Faktor streckt. Beim Schachbrett handelt es sich trotz seiner exakten Selbstähnlichkeit nicht um ein Fraktal. Warum? Seine Hausdorff-Besicovitch-Dimension stimmt mit dessen topologischen Dimension überein, sie sind beide gleich Zwei. Beim Baum liegt die Sache komplizierter, wenn die Dimension seiner Zweigspitzen, die einen fraktalen Staub bilden, grösser als Eins ist handelt es sich um ein Fraktal, falls sie gleich Eins oder kleiner sind, handelt es sich nicht um ein Fraktal, sondern um ein Subfraktal[9, S.164-165]. Fraktale? 1.3.2 Statistische Selbstähnlichkeit In der Natur wimmelt es geradezu von selbstähnlichen Objekten. Eine Cumulus-Wolke besteht aus Wirbeln, die wiederum aus Wirbeln bestehen. Eine Küstenlinie besteht aus Buchten, die, wenn man genauer hinschaut, wiederum aus Buchten bestehen. Die verzweigte Struktur eines Flussdeltas ähnelt den Verzweigungen eines Baumes oder den Verzweigungen des Blutgefässsystem der menschliche Lunge. Die Selbstähnlichkeit dieser natürlichen Objekte ist allerdings nie exakt, die Miniaturausgaben sehen dem Original zwar sehr ähnlich, es sind aber immer kleine Abweichungen zu erkennen. Ein Baum verzweigt sich nicht immer exakt gleich und die Verzweigungen finden nach ein paar Stufen ihr Ende. Auch trifft man bei einem natürlichen Objekt nicht auf jeder Grössenskala Miniaturausgaben des Ganzen an (spätestens auf atomarer Ebene ist Schluss). Ein Farn verzweigt sich ungefähr 3-4 Mal, danach verwischen sich die Details. Eine solche Struktur nennt man statistisch selbstähnlich.[11, S. 172] Kleine Buchten haben die gleiche Art zufälliger Struktur wie grosse Buchten, sie sehen einander in einem gewissen Sinne ähnlich. Dasselbe gilt für die Art der zufälligen Struktur von kleinen Felsbrocken & Felsen und die Art zufälliger Verteilung kleiner Krater & grosser Krater auf der Mondoberfläche. Anscheinend müssen die Prozesse, welche statistisch selbstähnliche Objekte hervorbringen, auf vielen verschiedenen räumlichen Masstäben in gleicher Weise funktionieren. Die Prozesse verhalten sich auf allen Grössenskalen gleich, sie bringen immer dieselbe Art zufälliger Strukturen hervor. Anders ausgedrückt: sie sind skaleninvariant. Kennzeichnend für die Gleichungen, die solche Prozesse beschreiben, ist, dass sie dies tun, ohne eine Grössenskala festzulegen. Man sagt, dass ihnen ein innerer Masstab fehlt.[4, S. 24] 1.3.3 Selbstähnlichkeit am Beispiel der Koch-Kurve K Der Hauptzweck dieses Unterkapitels besteht darin, die Selbstähnlichkeit am Beispiel der Koch-Kurve eingehender zu erklären und dabei, unter anderen, die Begriffe Rückkoppelungsmaschine, Iteration und Attraktor einzuführen. Einige Abschweifungen vom eigentlichen Thema, die Selbstähnlichkeit der Koch-Kurve, waren dabei unerlässlich, sie 11 1 Einführung tragen aber zum besseren Verständnis der Selbstähnlichkeit bei und ermöglichen es, sie im Kontext anderer Begriffe zu behandeln. Die 1904 durch N IELS FABIAN H ELGE H ARTMUT VON K OCH (1870-1924) veröffentlichte Koch-Kurve ist ein Fraktal, das aufgrund seiner einfachen Struktur oft als Beispiel herangezogen wird. Sie ist exakt selbstähnlich, man findet auf jeder Grössenskala kleine Miniatur-Koch-Kurven. Siehe Abbildung 1.4 auf der nächsten Doppelseite. Um sicherzugehen, dass wirklich auf jeder Grössenskala eine solche Miniaturausgabe vorkommt, ist es sinnvoll diese nach und nach einzubauen.[9, S. 46] Die Bildung der Koch-Kurve erfolgt über Konstruktionsschritte, die auf immer kleiner werdenden Skalen Kopien des Ganzen hinzufügen. Jeder Konstruktionsschritt wendet die Konstruktionsvorschrift, auf die wir noch zu sprechen kommen, auf das Gebilde an, das nach dem vorangehenden Kosntruktionsschritt entstand. Das Ergebnis des Konstruktionsschrittes k, dient als Ausgangsform für den Konstruktionsschritt k + 1. Dies wird schematisch folgendermassen dargestellt: Abbildung 1.3: Schematische Darstellung einer Rückkoppelungsmaschine. Das wiederholte Anwenden derselben Konstruktionsvorschrift, bei dem das Ergebnis wieder als Eingabe Verwendung findet, wird als Rückkoppelungsschleife bezeichnet. MVKM Zur anschaulichen Beschreibung der Konstruktion der Koch-Kurve stellt man sich eibzw. ne abstrakte Maschine vor, die in einer Rückkoppelungsschleife läuft.[11, S. 277] Diese Barnsley- Maschine, in der Fachliteratur spricht man von einer MVKM (=Mehrfach-VerkleinerungsMaschine Kopier-Maschine)[11, S. 30] oder je nach Autor von einer Barnsley-Maschine[19, S. 93], dient als Metapher für die Theorie der iterierten Funktionensysteme mit der alle mathematischen Fraktale mit wenigen Zahlenwerten erzeugt werden.[11, S.277] In diesem Unterkapitel nähern wir uns der Koch-Kurve über die MVKM bzw. Barnsley-Maschine. Deterministisch iterierte Funktionensysteme Γ (=IFS) werden im Abschnitt 1.4 behandelt. Jede abstrakte Rückkoppelungsmaschine, mein Synonym für die MVKM bzw. BarnsleyMaschine, verfügt über eine Eingabeeinheit (=Ausgangsform), eine Prozessoreinheit (= Konstruktionsschritt k) in der die Eingabe verarbeitet wird und eine Ausgabeeinheit (=Ergebnis), deren Inhalt wieder in die Eingabeeinheit überführt wird und der ganze 12 1.3 Selbstähnlichkeit Prozess von vorne beginnt, wiederholt wird.[11, S. 24] Die Anzahl Iterationen (lat. Wiederholungen) ist dabei unbegrenzt, geht gegen unendlich. Wäre dem nicht so, würde die Folge der Konstruktionsschritte einmal abbrechen, gäbe es eine Grenze unter der die Koch-Kurve nicht mehr exakt selbstähnlich wäre. Unter dieser Grenze würde man keine verkleinerten Kopien des Ganzen finden, da diese nicht hinzugefügt wurden. Als Hilfsmittel zur Realisation der abstrakten Rückkoppelungsmaschine eignet sich ein Computerprogramm, ein Taschenrechners oder lediglich Papier und Bleistift. [11, S. 25]. Wenn wir über die Koch-Kurve sprechen, ist immer das „Ergebnis“dieses endlos fortge- Grenz setzten Rückkoppelungs-Prozesses gemeint, und nicht irgendein Zwischenschritt. Sprä- objekt chen wir über das letzte Folgeglied einer endlichen Folge von Konstruktionsschritten, wäre die Koch-Kurve nicht exakt selbstähnlich, da man ab einer gewissen Grössenskala keine Miniaturausgaben des Ganzen mehr antrifft, wie wir weiter oben gesehen haben. Die Koch-Kurve ist das Resultat eines unendlichen iterierten Rückkoppelungsprozesses, sie existiert nur als Idealisierung[11, S. 175].Man sagt, dass die Koch-Kurve, das Grenzobjekt ist, welches nach unendlich vielen Konstruktionsschritten übrigbleibt. Essenziell für das Betreiben einer Rückkoppelungsmaschine ist die Konstruktionsvorschrift. Ohne sie „weiss“die Maschine nicht, auf welche Art und Weise sie die Eingabe in der Prozessoreinheit überhaupt verarbeiten soll. Die Konstruktionsvorschrift zur Bildung der Koch-Kurve lautet in Worten: „Ersetzte das mittlere Drittel jedes Streckenabschnittes durch ein gleichseitiges Dreieck und entferne dessen Basis.“. Um die Maschine in Gang zu setzten fehlt uns jetzt nur noch eine einmalige Eingabe eines Startwertes in die Eingabeeinheit, auf die man die Konstruktionsvorschrift ein erstes Mal anwendet (= 1. Konstruktionsschritt). Im Falle der Koch Kurve wählt man eine Linie der Länge 1. Dies ist aber nicht zwingend, man kann, wie wir sehen werden, jede beliebige Form/Figur wählen, das Grenzobjekt wird immer wie die Koch-Kurve aussehen, genauer die Koch-Kurve sein. Wählt man die Koch-Kurve bereits als Startwert, erhält man nach dem ersten Konstruktionsschritt, wiederum die Koch-Kurve und zwar ohne eine kleinste Veränderung. Man bezeichnet K als den Attraktor der Rückkoppelungsmaschine, welche mit weiter oben erwähnter Konstruktionsvorschrift läuft. Jede abstrakte Rückkoppelungsmaschine, die mit distanzkontrahierenden Abbildungen arbeitet, worunter man sich die Konstruktionsvorschrift vorstellen kann, hat genau einen Attraktor8.[19, S. 139] Wenden wir die obige Konstruktionsvorschrift auf eine Linie der Länge Eins an. Nach dem ersten Konstruktionsschritt entstand beim mittleren Drittel ein nach oben gerichtetes Zelt, oder wenn man will ein nach oben orientiertes Dreieck, dessen Basis entfernt wurde. Aus einer Linie wurden vier Linien geschaffen. Lässt man die Maschine weiterlaufen, entstehen nach dem zweiten Konstruktionsschritt Zeltchen in der Mitte von jeder Linie. Aus ehemals vier Linien werden 16 = 4 · 4 Linien. Langsam wird einem bewusst wie die Folge weitergehen muss, nach dem dritten Konstruktionschritt müsste die Koch-Kurve aus 64 = 4 · 4 · 4 Linien bestehen. Zählt man die Linien der dritten Konstruktionsstufe, stellt man fest, dass es tatsächlich 64 sind. Die Anzahl Linien der 8 In 1.4 erfährt man mehr darüber. 13 1 Einführung Konstruktionsstufe k beträgt 4 hoch k, 4k . Wenn man Abbildung 1.4 eingehender betrachtet erkennt man, dass die Figur jeder Konstruktionsstufe viermal mit dem Faktor 1/3 verkleinert wird und dann auf eine jeweils andere von der Abbildung αi vorgeschriebene Weise angeordnet wird. Die Koch-Kurve der Generation k ist die Vereinigung der vier Abbildungen α, angewandt auf die Koch-Kurve der (k-1)-ten Generation.Formal: W (Kk−1 ) = α1 (Kk−1 ) ∪ α2 (Kk−1 ) ∪ α3 (Kk−1 ) ∪ α4 (Kk−1 ) = Kk Abbildung 1.4: Die Konstruktion der Koch-Kurve schematisch dargestellt. Diese Abbildung wurde mit Hilfe des Adobe Illustrators CS3 und mathlab95 erstellt. 14 1.4 Definitionen und Erläuterungen 1.4 Definitionen und Erläuterungen Die folgenden Definitionen können getrost überlesen werden. Ihre profunde Kenntnis wird erst im vierten Kapitel unumgänglich. Distanzkontrahierende Abbildungen α und β Eine Abbildung β : Y → Y wobei Y eine kompakte9 Teilmenge10 des metrischen Raumes (X, d)11 ist, heisst distanzkontrahierend, falls es eine eine Konstante s ∈ R, 0 ≤ s < 1 derart gibt, dass |β(x) − β(x0 )| ≤ s|x − x0 | für alle x, x0 ∈ Y gilt. Ich nenne eine solche Abbildung β im folgenden distanzkontrahierende affine Abbildung. Wenn |β(x) − β(x0 )| = s|x − x0 | für alle x, x0 ∈ Y gilt, bildet s Mengen auf geometrisch ähnliche Mengen ab. In diesem Fall schreibe ich α(Y ) statt β(Y ) und spreche von einer distanzkontrahierenden Ähnlichkeitsabbildung. s wird Skalierungsfaktor genannt.Sinngemäss nach [22] und [19, S. 94]. Exakt Selbstähnliche Menge G Gegeben sei eine kompakte Punktmenge G in einem metrischen Raum (X, d). Sie werde in N > 1, bis auf Randelemente paarweise disjunkte12 , kongruente Teilmengen S Gi , i ∈ {1, 2, · · · , N } zerlegt, so dass G = N i=1 Gi gilt. Existiert für alle i eine Ähnlichkeitsabbildung α mit α(G) = Gi , heisst G nach [19, S. 13] exakt selbstähnlich. Deterministisch iteriertes Funktionensystem Γ Eine endliche Familie von distanzkontrahierenden Abbildungen β also {β1 , β2 , · · · , βi } i ≥ 2, heisst nach [22] deterministisch iteriertes Funktionensystem Γ. Hutchinson Operator W Eine kompakte Punktmenge A0 wird mit distanzkontrahierenden Abbildungen β verS kleinert. Die Vereinigung der erhaltenen Punktmengen führt zu A1 . A1 = N i=1 βi (A0 ) = β1 (A0 ) ∪ β2 (A0 ) · · · ∪ βN (A0 ). Man schreibt oft verkürzt W (A0 ) = A1 . W wird nach [19, S. 94]Hutchinson-Operator genannt und stellt wiederum eine distanzkontrahierende Abbildung dar [11, S. 323]. 9 Für den Moment gilt: Kompaktheit ist eine technische Voraussetzung, die für alle Zeichnungen auf einem Blatt Papier als erfüllt angenommen werden darf. Mehr dazu weiter unten in 4.2 10 Die Formale Bezeichnung Y ⊂ X bedeuted, dass Y eine Teilmenge von X ist. Das heisst dass aus x ∈ Y auch x ∈ X folgt. 11 Mehr dazu in 4.2 12 Zwei Mengen sind zueinander disjunkt, wenn sie kein gemeinsames Element haben, ihr Durchschnitt ein leerer ist. Paarweise bedeuted dass alle Mengen dieses Mengensystems zueinander disjunkt sind. 15 1 Einführung Attraktor eines IFS Eine kompakte Teilmenge F von Y heisst Attraktor eines IFS, falls gilt: S F = N i=1 βi (F ) oder W (F ) = F .[22] Bemerkung Falls ein IFS einzig mit Ähnlichkeitsabbidungen α arbeitet, gilt für den Skalierungsfaktor P d s: N i=1 si = 1, wobei d ≥ 0. Beispiel eines IFS: der Barnsley Farn Das folgende IFS wurde von M ICHAEL B ARNSLEY erfunden. Es zeigt die schier unendliche Formenvielfalt auf, die man mit IFS erzeugen kann. Es gibt noch viele andere Codes, die ebenso ansprechende Farne erzeugen. Der folgende Code wurde [19, S. 124] entnommen. Abbildung β1 β2 β3 β4 a 0 0.85 0.2 -0.15 b 0 0.04 -0.23 0.28 c 0 -0.04 0.23 0.26 d 0.16 0.85 0.2 0.24 e 0.45 0.07 0.36 0.52 f -0.09 0.16 0.04 0.08 Abbildung 1.5: Grafikausgabe mit den Werten aus oberen Tabelle. Die Abbildung wurde mit der Freeware IFS-Lab erstellt und anschliessend um 180° gedreht. 16 2 Mathematische Fraktale I am so in favour of the actual infinite that instead of admitting that Nature abhors it, as is commonly said, I hold that Nature makes frequent use of it everywhere, in order to show more effectively the perfections of its Author. G EORG C ANTOR , (21) Dieses Kapitel ist den mathematischen Fraktalen gewidmet. Die Schöpfer der ersten mathematischen Fraktale lebten im Glauben sich mit ihren „mathematischen Monstern“vollständig von der Natur und den sichtbaren Strukturen entfremdet zu haben. Die Geometrie der Anschauungen, so schien es, hatte ausgedient, um Geometrie richtig zu Betreiben muss man sie als das annehmen was sie ist, eine logische Konstruktion bar jedes Realitätsbezuges. Doch wie so viele Aussagen von grossen Mathematikern, betrachtet mit genügend zeitlichem Abstand, ist auch diese grundlegend falsch. Den Mathematikern des ausgehenden 19. Jahrhunderts fehlte es vielleicht an Vorstellungskraft, der Natur jedenfalls nicht.[9, S. 15] Die „mathematischen Monster“, obschon nicht erfunden, um die Natur zu beschreiben, besitzen Eigenschaften, die auch bei komplexen natürlichen Strukturen, wie einer Küstenlinie, anzutreffen sind. Mathematische Fraktale und natürliche Strukturen sind Beispiele eines einheitlichen Ansatzes. Abstrakte mathematische Objekte, verkörpern oftmals idealisierte natürliche Fraktale, oder werden zumindest als solche interpretiert.[11, S. 275] Die zerklüftete raue Struktur der französischen Côte d’Azur findet ihre Idealisierung in der systematisch aufgebauten Koch-Kurve. Eine streng deterministische Koch-Kurve erinnert allerdings nur andeutungsweise an eine Küstenlinie, dem wird abgeholfen wenn man bei der Bildung die Orientierung des gleichseitigen Dreiecks dem Zufall überlässt. So findet eine Annäherung an die Struktur der Côte d’Azur statt, da die grundlegende Gestalt erhalten bleibt, aber die exakte Selbstähnlichkeit verloren geht.[9, S. 47] Aufgrund der oben erwähnten Sachverhalte erachte ich es als sinnvoll die mathematischen Fraktale vor den Fraktalen aus der Natur eingehender zu untersuchen. Diese Reihenfolge ist mit der Geschichte der Erforschung fraktaler Muster und Formen identisch. Im Folgenden werden der Cantor-Staub und der Sierpiński-Teppich eingehender behandelt und eine neue Dimension eingeführt. 17 2 Mathematische Fraktale 2.1 Cantor-Staub - „Je le vois, mais je ne le crois pas“ Der Cantor-Staub, ursprünglich Cantor-Menge genannt, wurde erstmals 1883 veröffentlicht, und ist somit eines der frühesten Beispiele für mathematische Fraktale. Sein Erfinder war G EORG C ANTOR, der Vater der abstrakten Mengenlehre und der transfiniten Mathematik.[11, S . 85] Er gilt als einer der wichtigsten Mathematiker des 19. Jahrhunderts. C ANTOR sagte über seine Erfindung: „Je le vois, mais je ne le crois pas.“.[19, S. 4] Die Bezeichnung Staub anstatt Menge wurde von M ANDELBROT vorgeschlagen, da für unzusammenhängende Punktmengen mit der topologischen Dimension dtop = 0, wie die Cantor-Menge, ein umgangssprachlicher Term fehlte. Der Begriff Staub für unzusammenhängende Mengen ist ein Gegenstück zu den Wörtern „Kurve“und „Fläche“, die zusammenhängende Mengen mit dtop = 1 bzw. dtop = 2 bezeichnen.[9, S. 90] Da der Cantor-Staub neben den anderen mathematischen Fraktalen aufgrund seiner visuellen Erscheinung verblasst und auch eine intuitive bildliche Interpretation wegen seiner Struktur schwierig ist, wird bei Erstkontakt oft angenommen, dass der Cantor-Staub in der Galerie der mathematischen Fraktale ein eher unwichtiges Mitglied darstellt. Diese oberflächliche Betrachtung wird während einer tiefergehenden Untersuchung der Eigenschaften des Cantor-Staubs grundlegend zerstört. Tatsächlich ist man sich in der Fachwelt einig, dass der Cantor-Staub das bei weitem wichtigste Objekt unter den mathematischen Fraktalen darstellt.[11, S. 86] Aus diesen Grund gehe ich auf die Eigenschaften des Cantor-Staubes auch ausführlicher ein als beispielsweise auf den Sierpinki-Teppich. In den nächsten Abschnitten spreche ich über die Konstruktion des Cantor-Staubes, leite die „Staubgrösse“ her, stelle fest, dass zur Beschreibung des Cantor-Staubes ein anders Zahlensystem als das Dezimalsystem vonnöten ist und, dass der Cantor-Staub eine überabzählbare Menge[2, S. 139] und somit gleichmächtig wie das Einheitsintervall ist.[2, S. 51] 2.1.1 Die Konstruktion des Cantor-Staubes C Die Ausgangsform zur Konstruktion des Cantor-Staubes bildet das Einheitsintervall [0, 1]. Auf dieser Ausgangsform, die wir von nun an Initiator[9, S. 47] nennen, wird die Konstruktionsvorschrift: „Entferne das mittlere offene1 Drittel.“angewandt. Dies führt dazu, dass nach dem ersten Konstruktionsschritt, das offene Intervall ]1/3, 2/3[, aus dem Initiator entfernt wird, und die abgeschlossenen Intervalle [0, 1/3] und [2/3, 1] übrigbleiben. Die entstandene Lücke, das entfernte offene Intervall ]1/3, 2/3[ , wird Trema-Generator[9, S. 88] genannt. Beim nächsten Konstruktionsschritt verkleinert man zuerst den Trema-Generator im Verhältnis 1:3, indem man ihn mit dem Skalierungsfaktor 0 < s < 1, s = 1/3, multipliziert, und tauscht anschliessend die mittleren offenen Drittel der Intervalle [0, 1/3] und [2/3, 1] mit ihm aus. Es bleiben die Intervalle 1 Der Begriff „offen “bedeutet, dass die Endpunkte des Intervalls nicht einbezogen sind. Umgekehrte eckige Klammern kennzeichnen ein solches offenes Intervall.[5, Klappe 2] Beispiel: ]a, b[. Genaue Definitionen sind in 4.2 zu finden. 18 2.1 Cantor-Staub - „Je le vois, mais je ne le crois pas“ Abbildung 2.1: Die Konstruktion des Cantor-Staubes [0, 1/9], [2/9, 1/3], [2/3, 7/9] und [8/9, 1] übrig, denen beim nächsten Konstruktionsschritt erneut das mittlere offene Drittel entfernt wird (siehe Abbildung 2.1). Dieser Prozess, Gerinnen[9, S. 88] genannt,wird fortgeführt, bis keine Intervalle mehr übrigbleiben und nur noch eine Menge aus Punkten erhalten bleibt, die nicht miteinander verbunden sind. Ein Kontinuum wird in ein Diskontinuum aufgelöst. 2.1.2 Länge d∞ des Cantor-Staubes C Nach ein paar Konstruktionsstufen fällt auf, dass die Anzahl der Intervalle, bezeichnet mit der Variablen ak , um den Faktor 2 ansteigt. Bei Stufe 0 ist ein einziges Intervall vorhanden, nach dem ersten Konstruktionsschritt sind bei Stufe 1 zwei Intervalle entstanden, bei Stufe 2 zählt man vier Intervalle usw. Die Anzahl der Intervalle pro Konstruktionsstufe ist eine geometrische Folge[13, S. 152] mit dem konstanten Faktor 2. Demnach entspricht die Anzahl der Intervalle bei Konstruktionsstufe k, dem Faktor 2 hoch k. ak = 2k . ak Weil der Trema-Generator vor jedem Konstruktionsschritt im Verhältnis 1:3 verkleinert wird, nimmt die Länge eines einzelnen Intervalls im Vergleich zur vorangehenden Konstruktionsstufe um den konstanten Faktor 1/3 ab. Die Existenz eines konstanten Faktors ermöglicht uns bei der Folge der Intervallslängen jedes Folgeglied explizit zu berechnen. Die Länge ek eines einzelnen Intervalls bei Konstruktionsstufe k ist ein Drittel ek 19 2 Mathematische Fraktale hoch k. ek = 3−k 2 . Man bezeichnet die Länge ek als innere Schranke[9, S. 89]. Die innere Schranke repräsentiert das grösste zusammenhängende Intervall der Stufe k . dk Die innere Schranke ek gibt die Länge eines Intervalls der Konstruktionsstufe k an, während ak die Anzahl der Intervalle der Konstruktionsstufe k angibt. Um die gesamthafte Länge dk der verbleibenden Intervalle bei Stufe k zu berechnen muss man die beiden Grössen multiplizieren. Dies führt zu folgender Formel: dk = ak · ek = „Staubgrösse“ 1 3k k 2 ·2 = 3 k Aufgrund der Tatsache, dass der Cantor-Staub eine unzusammenhängende Punktmenge ist, das Gerinnen solange fortgeführt wurde bis alle Intervalle vollständig aufgelöst waren, ist ek beim Grenzobjekt gleich Null, weil ein Punkt per Definition[18, S. 28] keine Ausdehnung hat. Die gesamthafte Länge der verbleibenden Intervalle d∞ ist folglich beim Grenzobjekt auch gleich Null, da e∞ = 0, es sind keine Intervalle mehr vorhanden, deren gesamthafte Länge man angeben könnte. Diese Erklärung wird dadurch gestützt, dass die Folge hdk i beschränkt monoton fällt. Monoton fallen bedeutet, dass ein neues Folgeglied einer Folge stets gleich gross oder kleiner als das vorhergehende ist, die Folgeglieder genügen der Ungleichung an+1 ≤ an . Eine Folge heisst beschränkt[13, S. 133], wenn es die reelle Zahl O gibt, welche die kleinste obere Schranke (=Supremum) [13, S. 392] verkörpert, so dass für alle Folgeglieder gilt an ≤ O und es die reelle Zahl U gibt, welche die grösste untere Schranke (=Infimum) [13, S. 190] verkörpert, so dass für alle Folgeglieder gilt an ≥ U . Es existiert demnach eine obere Schranke O, die von der Folge nicht überschritten wird, und eine untere Schranke U , die von der Folge nicht unterschritten wird. Eine Folge fällt beschränkt monoton[13, S. 137], wenn sie ihrer unteren Schranke U beliebig nahe kommt, sie jedoch nie unterschreitet. Man sagt sie konvergiert[13, S. 216] gegen U . Wenn k gegen unendlich läuft (k → ∞), konvergiert die Folge hdk i gegen Null. Dies wird formal so ausgedrückt: k 2 =0 lim hdk i = lim k→∞ k→∞ 3 lk (2.1) (2.2) hdk i bezeichnet man als Nullfolge[13, S. 305], da sie gegen Null konvergiert, der Grenzwert der Folge gleich Null ist. Beim Grenzobjekt ist d∞ zwangsläufig gleich Null. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Lückenlänge l∞ ( = Die Lückenlänge des Grenzobjektes) gleich Eins ist. Die Länge der Lücken lk der Konstruktionsstufe k lässt sich mit folgender Formel berechnen: 2 k−1 ! k 1 X 2 i−1 1 2 2 2 lk = · = · 1+ + + ··· + , k ∈ N∗ 3 (2.3) 3 3 3 3 3 3 i=1 Die Länge der neu entstandenen Lücken der Konstruktionstufe k, also diejenigen die bei der vorangehenden Konstruktionsstufe noch nicht vorhanden waren, erhält man, wenn k 1 3 3 Nach DIN 5473. N wird für die nicht-negativen und N∗ für die positiven natürlichen Zahlen, wobei die Null nicht dazuzählt, verwendet.[5, Klappe 2] 2 ek = 3−k ist eine gleichwertige (und platzsparendere) Darstellung für ek = 20 2.1 Cantor-Staub - „Je le vois, mais je ne le crois pas“ Abbildung 2.2: Verdeutlichung der Bildung der neu entstandenen Lückenlänge der Konstruktionsstufe k. die gesamte Länge der verbleibenden Intervalle bei Stufe k − 1, also der vorangehenden Stufe, mit dem Skalierungsfaktor s = 1/3 multipliziert wird. Abbildung 2.2 demonstriert dies. Man berechnet die Länge der neu entstandenen Lücken bei der Konstruktionsstufe 1 1 2 1 2 2 demnach so: d1 · = · = . 3 3 3 9 Die Summe der neu entstandenen Lückenlängen bis und mit Konstruktionsstufe k, 1 2 k−1 1 2 1 2 1 2 1 also die Reihe 1 · + · + · + ··· + · , stellt die gesamthafte 3 3 3 3 3 3 3 Lückenlänge lk der Stufe k dar. Da bei dieser Reihe jedes Glied mit dem Faktor 1/3 multipliziert wird, ist es möglich, wie bei Gleichung (2.3) geschehen, 1/3 auszuklammern, so dass die geometrische Reihe 2 k−1 ! 1 2 2 2 2 · 1+ + + ··· + , k ∈ N∗ mit q = ersichtlich wird. Wie 3 3 3 3 3 α1 vielleicht bekannt wird der Grenzwert der geometrischen Reihe mit der Formel 1−q berechnet, wenn gilt |q| < 1.[5, S. 53] Bei unserer Reihe ist der Startwert α1 = 1. Es zeigt sich, dass l∞ = 1. lim lk = lim k→∞ k→∞ k 1 X 2 i−1 · 3 3 i=1 ! = 1 · 3 1 2 1− 3 = 1 1 1 3 · = · = 1. 3 1 3 1 3 (2.4) 21 2 Mathematische Fraktale Weiter oben behaupte ich, dass d∞ gleich Null ist und dies durch l∞ bestätigt wird. Da wir l∞ hergeleitet haben können wir aufgrund der Tatsache, dass die Summe der beiden Grössen lk und dk bei jeder Konstruktionsstufe k zwangsläufig Eins ergeben muss, weil nur die beiden Zustände Lücke oder Intervall möglich sind, diese Behauptung überprüfen. Formelhaft ausgedrückt, sieht dieser Zusammenhang so aus: lk + dk = 1. Es ist mit dieser Formel kein Problem bei Kenntnis eines Grenzwertes den anderen auch auszurechnen. ! k k 2 1 X 2 i−1 lim lk + lim hdk i = lim + lim =1+0=1 (2.5) · k→∞ k→∞ k→∞ 3 k→∞ 3 3 i=1 Hiermit ist gezeigt, dass der Cantor-Staub tatsächlich keine Ausdehnung hat, und der Initiator das Einheitsintervall, vollständig aufgelöst wird. 2.1.3 Welche Punkte bilden den Cantor-Staub C? Man kann sich nun die Frage stellen welche Punkte des Einheitsintervalls eigentlich vor dem Trema-Generator „verschont“werden und das Grenzobjekt bilden. Es ist intuitiv einleuchtend, dass die Endpunkte der Intervalle, die sogenannten Tremaendpunkte[9, S. 91], den Cantor-Staub bilden. Dieses Unterkapitel wird zeigen, dass diese intuitive Auffassung nur teilweise der Wahrheit entspricht. Man kann sich sogar beinahe sicher sein, dass wenn man einen Punkt aus dem Grenzobjekt herausgreift, dieser kein Tremaendpunkt ist, da diese schon fast Exoten sind.[11, S. 92] Aufgrund dieser Tatsache wird auch ersichtlich, dass C keine abzählbare Menge4 [13, S. 19] sein kann, wenn nur Tremaendpunkte C bilden würden, könnte man ihre Anzahl tk mit der Formel tk = 2(k+1) klar bestimmen. Aber da Tremaendpunkte in C untervertreten sind, wird es wohl nicht so einfach sein alle Elemente von C aufzuzählen. Der Cantor-Staub ist eine überabzählbare Menge [2, S. 139], es ist nicht möglich eine vollständige Aufzählung seiner Elemente zu liefern, da bei jeder vermeintlich vollständigen Aufzählung in Form einer Liste α1 , α2 , α3 · · · mindestens ein Element von C konstruiert werden kann, dass in dieser Liste nicht aufgeführt ist.[1, S. 15] Um die Frage zu beantworten, ob ein Punkt des Einheitsintervalls im Cantor-Staub enthalten ist, erweist sich unser Dezimalsystem als nicht besonders hilfreich. Mit den sogenannten triadischen Zahlen ist es allerdings ein Kinderspiel diese Frage zu beantworten. Triadische Zahlen Unser gebräuchlichstes Zahlensystem, das Dezimalsystem, basiert, wie man aus dem Namen schliessen kann, auf der Basis Zehn. Die triadischen Zahlen basieren auf einem anderen Zahlensystem, dem Ternärsystem[19, S.5]. Dieses System hat die drei als Grundzahl und verfügt deshalb nur über die drei verschiedenen Ziffern 0, 1, 2. Eine 4 Eine Menge ist abzählbar, wenn man ihre Elemente bijektiv (siehe Fussnote 7), d.h 1:1, den natürlichen Zahlen N∗ (= ohne Null) zuordnen kann. Da Tremaenpunkte immer rationale Zahlen sind, und diese abzählbar sind, ist auch die Menge aller Endpunkte ( = C1 ) abzählbar. Eine exaktere Definition findet sich in [6, S. 131]. 22 2.1 Cantor-Staub - „Je le vois, mais je ne le crois pas“ Zahl z, die im Einheitsintervall liegt, wird triadisch, also im Bezug auf die Basis drei, folgendermassen dargestellt: [11, S. 90] z = α1 · 3−1 + α2 · 3−2 + · · · + αi · 3−i (2.6) Wobei i ∈ N∗ und α1 , α2 , α3 · · · Zahlen aus {0, 1, 2} sind. Die dezimale Zahl 2/3 stellt man beispielsweise triadisch als 0.23 dar. Im Ternärsystem, wie auch im Dezimalsystem und allen anderen Stellenwertsystemen zur Darstellung von Zahlen, ist die Darstellung einer rationalen Zahl nicht eindeutig.[11, S. 90] Dies rührt daher, dass eine rationale Zahl zwei unterschiedliche Dezimalbruchentwicklungen besitzen kann. Die Zahl 2/5 wird dezimal meistens als 0.4 geschrieben, die Schreibweise 0.3999 für 2/5 ist allerdings auch korrekt. Die Gleichwertigkeit der Dezimalschreibweisen 0.4 und 0.3999 für den Bruch 2/5 leuchtet auf den ersten Blick nicht ein. Sie ergibt sich aus der Definition 2.1. 0.4 = 0.3999 Definition 2.1: Zwei rationale Zahlen a und b sind nur dann verschieden, wenn es eine rationale Zahl z gibt, die zwischen ihnen liegt. Für die also a > z > b oder b > z > a gilt. Diese Zahl z existiert in unserem Fall tatsächlich nicht, da die Folge der Neunen bei 0.3999 endlos weitergeht, und somit kein „Zwischenraum“mehr für z übrigbleibt. Wenn man den Grenzwert der geometrischen Reihe, welche die Neunen beim Ausdruck 0.3999 bilden, berechnet, erhält man eine weitere Bestätigung für die Gleichwertigkeit der Dezimalschreibweisen 0.4 und 0.3999 für 2/5.[11, S. 176] Die triadischen Zahlen ermöglichen nach [11, S. 90] folgende Definition für den Cantor Staub: Definition 2.2: C ist die Menge der Punkte im Intervall [0, 1], für die es eine triadische Darstellung ohne die Ziffer „1 “gibt. C = { x | x = 0.α1 α2 α3 α4 α5 . . . , αi ∈ {0, 2}}. Da bei der Gerinnung immer die mittleren Drittel der verbleibenden Intervalle entfernt werden, leuchtet diese Definition ein. Alle Zahlen im entfernten offenen Intervall ]1/3, 2/3[, besitzen in ihrer triadischen Schreibweise eine „1“, wie alle Zahlen im entfernten offenen Intervall ]1/9, 2/9[ die Ziffer „1“enthalten. Die rechten Tremaendpunkte der Intervalle [0, 1/3] und [0, 1/9], die ja zu C gehören, weisen in ihrer triadischen Darstellung allerdings auch eine „1 “auf, wie alle rechten Endpunkte, des linksten Intervalls jeder Konstruktionsstufe. Diese Tremaendpunkte sind deswegen trotzdem Elemente von C und die obige Definition nicht falsch, da es möglich ist aufgrund der erwähnten Zweideutigkeit in der Darstellung mancher rationaler Zahlen, die Zahl 1/3 triadisch als 0.13 oder aber als 0.02223 zu schreiben. Die erste Darstellung enthält eine „1 “und ist deshalb per Definition nicht Teil des Cantor-Staubes. Weil aber eine zweite gleichwertige Darstellung möglich ist, welche die Bedingung der Definition 2.2 erfüllt, ist 1/3 ein Element von C. Es fällt auf, dass alle Tremaendpunkte über eine periodische Dezimalbruchentwicklung verfügen, ihre triadische Darstellung mit einer unendlichen Folge von „0“oder „2“endet. Man bezeichnet die Menge der Elemente von C, die über eine periodische Dezimalbruchentwicklung verfügen, mit C1 .[19, S. 8] C1 Alle anderen Zahlen die in ihrer triadischen Darstellung eine unendliche nichtperiodische Folge von „0“oder „2“aufweisen, also keine Tremaendpunkte sind, sind per C2 23 2 Mathematische Fraktale Definition auch Elemente von C. Man bezeichnet die Menge dieser Elemente mit C2 . C2 = C1 ∩ C.[19, S. 8] C2 ist überabzählbar, also mächtiger5 als die abzählbare Menge C1 . Man sagt, die Mengen C1 und C2 sind ungleichmächtig, es gilt: |C2 | > |C1 |.6 C besitzt die Mächtigkeit des Kontinuums. |[0, 1]| = |C|.[11, S. 94-95] Die Zahlen des Einheitsintervalls lassen sich bijektiv7 den Elementen von C zuordnen. Das Einheitsintervall wird vollständig aufgelöst, allerdings bleiben in C unendlich gleichviele Punkte übrig wie zu Beginn in [0, 1] erhalten waren. 2.1.4 Die Selbstähnlichkeit des Cantor-Staubes C Der Cantor-Staub ist exakt selbstähnlich.[19, S. 15] Die Vergrösserung des Intervalls [0, 1/3] mit dem Faktor p = s−1 = 3 liefert wieder den Gesamtstaub. In jedem Intervall der Länge 3−k , das während der Konstruktion des Cantor-Staubes entsteht, ist eine verkleinerte Version von C enthalten. Der Cantor-Staub kann als eine Vereinigung von beliebig kleinen Mengen angesehen werden, von denen jede durch eine Vergrösserung mit dem Faktor p > 1 in das Ganze überführt werden kann. Sei γ ∈ C, so lässt sich γ folgendermassen darstellen:[11, S. 95] γ = α1 · 3−1 + α2 · 3−2 + · · · + αi · 3−i , αi ∈ {0, 2} (2.7) Aufgrund der exakten Selbstähnlichkeit finden wir für jeden Punkt der Menge C einen entsprechenden im Intervall [0, 1/3]. Alle Punkte in diesem Intervall haben gemein, dass in ihrer Tenärschreibweise die erste Ziffer nach dem Komma eine Null ist, da keine Zahl grösser als ein Drittel ist. Eine solche Darstellung erreichen wir, indem wir γ durch 3 teilen, mit 0.13 multiplizieren. Das Komma verschiebt sich um eine Stelle nach links. [11, S. 95] γ = 0 · 3−1 + α1 · 3−2 + · · · + αi · 3−(i+1) , αi ∈ {0, 2} 3 Ist γ/3 ein Element von C ? Sei γ = (0.202020202 · · · )3 , somit ist γ/3 = (0.0202020202 · · · )3 . γ/3 ist per Definition immer noch ein Element von C. Nur das Komma hat sich um eine Stelle nach links verschoben. Jeder Punkt des Cantor-Staubes, der im Intervall [0, 1/3] liegt, lässt sich bijektiv einem Element von C, das im Einheitsintervall liegt, zuordnen. Das Intervall [0, 1/3] ist demzufolge gleichmächtig wie das Einheitsintervall und der Cantor-Staub C selbst. Was ziemlich erstaunlich ist. Ein Teil des Ganzen enthält gleichviele überabzählbare Punkte derselben Unendlichkeit wie das Ganze. 5 Es gibt keine Funktion f : C1 → C2 die bijektiv ist (siehe Fussnote 7). 6 Ist ein Mengensymbol zwischen zwei senkrechten Strichen eingeschlossen nehme ich in diesem Unterkapitel stets auf die Mächtigkeit dieser Menge Bezug. Im 4. Kapitel bezeichen die senkrechten Striche den Durchmesser der Menge. 7 Eine Funktion f : A → B ist bijektiv, wenn es für jedes x0 ∈ B genau ein x ∈ A gibt für das f (x) = x0 gilt. Sinngemäss nach [6, S. 57]. 24 2.2 Der Sierpiński-Teppich und die Selbstähnlichkeitsdimension 2.2 Der Sierpiński-Teppich und die Selbstähnlichkeitsdimension Der Sierpiński-Teppich, auch triadischer Sierpinksi-Teppich genannt, wurde 1916 von WACLAW S IERPI ŃSKI ersonnen.[11, S. 98] Es handelt sich, wie beim Cantor-Staub, um ein Trema-Fraktal, da der Generator wiederum eine Lücke ist. Im Gegensatz zum CantorStaub ist die Limesmenge allerdings zusammenhängend, man kann von jedem beliebigen Punkt ausgehend, jeden Punkt der Menge erreichen, ohne diese zu verlassen.[19, S. 18] Die topologische Dimension des Sierpiński-Teppich ist gleich eins. Abbildung 2.3: Schematische Konstruktionsdarstellung der Generationen 0 bis 3 des Sierpiński-Teppichs 2.2.1 Die Konstruktion des Sierpiński-Teppich S Das Einheitsquadrat [0, 1] × [0, 1] bildet den Initiator. Man wendet auf ihn die Konstruktionsvorschrift „Entferne in der Mitte ein Quadrat, dessen Fläche einen Neuntel des Flächeninhalt beträgt“an. Beim ersten Konstruktionsschritt entfernt man das mittlere 25 2 Mathematische Fraktale Quadrat [1/3, 2/3] × [1/3, 2/3]. Beim zweiten Konstruktionsschritt entfernt man bei den übriggebliebenen 8 Quadraten, mit der Fläche eines Neuntels des Initiators, wieder die mittleren Quadrate. Abbildung 2.3 verdeutlicht den Konstruktionsvorgang. Beim Limesobjekt ist die Fläche des Einheitsquadrates verschwunden, und der Gesamtumfang seiner Löcher ist unendlich gross.[11, S. 154] Der Sierpiński-Teppich S bildet das zweidimensionale Analogon des Cantor-Staubes C. Die Diagonalen oder Mittellinien der Seiten des Sierpiński-Teppichs sind Cantor-Stäube.8 Die Punkte welche auf ihnen liegen sind genauso verteilt, also dieselben, wie in C.[11, S. 102] 2.2.2 Die Selbstähnlichkeitsdimension ds des Sierpiński-Teppichs S Standardobjekte Skaliert man ein Quadrat Q mit dem Faktor s, 0 < s < 1, s = 1/2, erhält man ein Quadrat Q’ mit einer Fläche, die einem Viertel der Fläche AQ des ursprünglichen Quadrates Q entspricht. Das neue Quadrat Q’ unterscheidet sich nur durch seine Grösse von Q, Streckenverhältnisse und Winkel sind dieselben. Q’ und Q sind demzufolge zueinander ähnlich. Q0 ∼ Q. Man benötigt vier solche kongruenter Quadrate um wieder die Ausgangsfläche AQ zu erhalten. Diese Anzahl wird mit N, N > 1 bezeichnet. Verkleinert man einen Würfel W im Verhältnis 1:2, skaliert ihn mit dem Faktor s = 1/2, erhält man einen Würfel W’ mit einem Volumen, das einem Achtel des Volumens VW des ursprünglichen Würfels W entspricht. Man benötigt N = 8 solcher kongruenter Würfel, die richtig angeordnet, den Ausgangswürfel W ergeben. Abbildung 2.4 illustriert diesen Vorgang. Es existiert eine Ähnlichkeitsabbildung α, die es ermöglicht W’ in W überzuführen. α (W 0 ) = W . Die Umkehrung dieser Ähnlichkeitsabbildung, also α−1 , ermöglicht es W in W’ überzuführen. Der Würfel W erfüllt demnach unsere Definition der exakten Selbstähnlichkeit (siehe 1.3). Dasselbe gilt auch für das Quadrat. Fraktale sind demzufolge nicht die einzigen exakt selbstähnlichen Objekte. Über die topologische Dimension dtop eines exakt selbstähnlichen Standardobjektes lassen sich die Grössen N und s verknüpfen. Mit dieser Beziehung, verfügen wir über eine einfache Möglichkeit die Dimension eines Standardobjektes zu berechnen. [11, S. 247] N= Selbstähnlichkeitsdimension ds 1 dtop s Die Selbstähnlichkeitsdimension ds ist ein Spezialfall der Hausdorff-Besicovitch-Dimension. Sie ist nur für exakt selbstähnliche Objekte definiert und berechnet sich bedeutend schneller als dhb .[19, S. 165] Hat man es mit einem exakt selbstähnlichen Objekt zu tun und möchte man überprüfen, ob es sich bei besagtem Objekt um ein Fraktal handelt, kann man sich die mühselige Berechnung dhb ’s ersparen und direkt ds ausrechnen. Verkleinert man den Sierpiński-Teppichim Verhältnis 1:3 erhält man einen verkleinerten aber vollwertigen Sierpiński-Teppich, der einen Neuntel der Fläche des Originals abdeckt. Man 8 Die Verwandtschaft des Sierpiński-Teppichs und des Cantor-Staubes kommt nicht von ungefähr. Analog zum Cantor-Staub ermöglichen die triadischen Zahlen folgende Definition: S = { x | x = ( 0.α1 α2 . . . , 0.β1 β2 . . . ) , αi , βi ∈ {0, 2}} . 26 (2.8) 2.2 Der Sierpiński-Teppich und die Selbstähnlichkeitsdimension Abbildung 2.4: Drei Standardobjekte der euklidischen Geometrie werden mit dem Skalierungsfaktor s = 1/2 skaliert und anschliessend mit N skalierten Kopien wieder zusammengesetzt. Es fällt auf dass N genau dem Kehrwert von s in der Potenz mit einem Exponenten, dessen Wert wir intuitiv als Dimension der Standardfigur interpretieren, entspricht. benötigt N = 8 dieser Teppiche, die richtig zusammengefügt wieder den ursprünglichen Teppich ergeben. Es existiert also eine Ähnlichkeitsabbildung, welche es ermöglicht einen Neuntel des Originals, wieder in das Original zu überführen. Dieser Neuntel geht durch die Umkehrung dieser Ähnlichkeitsabbildung hervor. Der Sierpinki-Teppich ist nach unserer Definition exakt selbstähnlich. Wenn man die Formel 2.8 umformt kann man d berechnen: log N d= . (2.9) 1 log s Man erhebt zur Definition, dass jede Punktmenge, die exakt selbstähnlich ist, über eine Dimension ds verfügt, die Selbstähnlichkeitsdimension genannt wird. ds muss nicht ganzzahlig sein. Als einziges gilt ds > 0, da N > 1 und 0 > s > 1. ds lässt sich mit der 27 2 Mathematische Fraktale Formel 2.9 berechnen.[19, S. 15] Da der Sierpiński-Teppich mit N = 8 und s = 1/3 exakt selbstähnlich ist, kann man für ihn eine Selbstähnlichkeitsdimension berechnen: ds = log 8 ≈ 1.8928 . log 3 Oder allgemeiner mit N = 8k und s = (1/3)k , wobei k die Konstruktionsstufe bezeichnet, k · log 8 ds = ≈ 1.8928 . k · log 3 Wendet man diese Formel auf exakt selbstähnliche Figuren wie Quadrat, Rechteck, Würfel etc. an, erhält man immer eine ganzzahlige Selbstähnlichkeitsdimension, welche ihren topologischen Dimensionen entsprechen.[11, S. 249] Man erinnere sich nun an die Definition der fraktalen Menge, die besagt, dass deren Hausdorff-Besicovitch-Dimension deren topologische Dimension übersteigen muss, also gilt: dhb > dtop . Nach dieser Definition sind die Standardobjekte Quadrat, Rechteck und Würfel keine Fraktale! Wenn die Selbstähnlichkeitsdimension eines exakt selbstähnlichen Objektes jedoch nicht ganzzahlig ist und dessen topologische Dimension übersteigt, handelt es sich bei besagtem Objekt um ein Fraktal. Der umgekehrte Schluss, dass jedes Fraktal über eine nichtganzzahlige Dimension verfügt, ist jedoch nicht korrekt. Die Spur der Brownschen Bewegung (siehe Abbildung 2.5) ist ein Fraktal, obwohl ihre Selbstähnlichkeitsdimension ganzzahlig ist. Es gilt ds = 2, aber dtop = 1, da 2 > 1 handelt es sich um ein Fraktal.[9, S. 27] Abbildung 2.5: Man sieht die Spur der Brownschen Bewegung eines Teilchens, dessen Position alle 30 Sekunden markiert und durch Linien verbunden wurde. Die Gesamtlänge der Spur würde unbegrenzt anwachsen, wenn sie zunehmend genau, also in kürzeren Zeitabständen, erfasst würde. Die vergrösserten Teilabschnitte der Spur haben dieselbe komplizierte Form wie die Gesamtspur und sind ihr in einem gewissen Sinne ähnlich. Die Abbildung wurde [9, S. 25] entnommen 28 3 Natürliche Fraktale Alles was zählte spielte sich auf der sich auflösenden Linie zwischen Land und Wasser ab, mit der Folge einer bis an die Grenzen des Fasslichen schwellenden wirklichen Länge. VOLKER E RBES , (15, S.2) 3.1 Küstenlinien - Fraktale Kurven unendlicher Länge In diesem Unterkapitel werden wir die Küstenlinie von Grossbritannien auf einer Karte mit einem Zirkel vermessen und sie somit mittels eines Polygonzuges approximieren. Es werden Messungen mit verschiedenen Zirkeleinstellungen durchgeführt und anschliessend die Längen der ermittelten Polygonzüge verglichen. Die Messwerte zu diesem Beispiel wurden „Fraktale - Bausteine des Chaos“[11, S. 234] entnommen. In 3.2 stelle ich einige weitere Anwendungen der fraktalen Geometrie auf die Natur und auch die Kunst vor. Will man die Länge der Küstenlinie von Grossbritannien bestimmen, bleibt einem nichts Zirkelanderes übrig als sie zu Vermessen. Im Gegensatz zu mathematischen Objekten, wie methobeispielsweise dem Kreis, existieren keine Formeln, die eine exakte Berechnung der de Länge ermöglichen. Es gibt eine Vielfalt alternativer Messmethoden, deren gemessene Längen voneinander abweichen.[9, S. 37] Ich entscheide mich für die Zirkelmethode zur Vermessung. Man wählt eine konstante Zirkellänge λ, die Eichlänge[9, S. 37], und sticht mit ihr die Küstenlinie ab. Der Startpunkt auf der Küstenlinie ist frei, von ihm trägt man die Länge λ ab, und steckt den Zirkel beim Schnittpunkt der Küstenlinie und der abgetragenen Länge wieder ein und fährt mit der Prozedur fort bis der Startpunkt erreicht wird. Bei mehreren Messungen mit verschiedenen Zirkellängen ist zu beachten, dass man immer denselben Startpunkt wählt und immer in derselben Richtung gegen oder mit dem Uhrzeigersinn misst. Die Länge des sich ergebenden Polygonzuges L(λ) entspricht der Anzahl Zirkellängen N multipliziert mit der Zirkellänge λ. L(λ) = λ · N . In Tabelle 3.1 sind die Resultate von vier Messungen mit unterschiedlichen Zirkellängen verzeichnet. 29 3 Natürliche Fraktale Abbildung 3.1: Vier gemmessene Küstenlängen L(λ) in Abhängigkeit der verwendeten Eichlänge λ grafisch dargestellt. Die Linien deuten an wie die Funktion, die L(λ) über λ beschreiben würde, ungefähr aussehen müsste. Eichlänge λ in Kilometern 500 100 54 17 Länge des Polygonzuges L(λ) in Kilometern 2600 3800 5770 8640 Tabelle 3.1: Küstenlänge Grossbritanniens gemessen nach der Zirkelmethode mit vier verschiedenen Zirkellängen. Es fällt auf, dass die gemessene Küstenlinie stark vom verwendeten λ abhängt. Umso kleiner λ wird, desto grössser wir L(λ) und die Zunahme wir immer stärker je näher λ Null kommt. Stellt man die Funktion L(λ) über λ graphisch dar (siehe Abbildung 3.1), erkennt man, dass die Beziehung zwischen λ und L(λ) nicht linear ist. Eine Gesetzmässigkeit zwischen L(λ)und λ auszumachen, erweist sich im ersten Moment mit Abbildung 3.1 als schwierig. Es könnte sich um eine Potenzfunktion handeln. Träfe dies zu gäbe es eine gesetzmässige Verbindung in Form eines Potenzgesetzes.[11, S. 237-239] 30 3.1 Küstenlinien - Fraktale Kurven unendlicher Länge Vermuten Physiker zwischen dem Messergebnis y das in Abhängigkeit von x gemessen wurde eine gesetzmässige Beziehung der Form y = f · xm , Potenzgesetz (3.1) schauen sie sich nicht das Schaubild y über x an, sondern betrachten den Graphen log(y) über log(x).[19, S. 148] Falls sich eine Gerade mit der Steigung m und dem yAchsenabschnitt f ergibt, beschreibt die Gleichung 3.1 die Beziehung zwischen y und x korrekt. Dies ist so, weil sich jede Gerade in einem doppeltlogarithmischen Graphen (log(y) über log(x)) als lineare Gleichung der Form log(y) = log(f ) + m · log(x) (3.2) schreiben lässt. Die Gleichung 3.2 ist nichts anderes als eine auf beiden Seiten logarithmierte Gleichung 3.1. Lässt sich die Funktion log(y) über log(x) als lineare Gleichung 3.2 schreiben, beschreibt die Gleichung 3.1 die Funktion y über x. Man nennt ein solches Gesetz Potenzgesetz, weil sich y wie eine Potenz von x verändert, die mit einem konstanten Faktor f multipliziert wird.[11, S. 237] Um zu erkennen ob es sich bei L(λ) über λ um eine Potenzfunktion handelt, schauen wir uns das Schaubild log(L(λ)) über log(λ) an. Siehe Abbildung 3.2 Die Punkte fallen in etwa auf eine gerade Linie. Aufgrund der Eigenart der Messungen Zirkelkann man jedoch nicht erwarten, dass sie exakt auf einer Geraden zu liegen kommen. dimenMan behilft sich mit einer Ausgleichsgeraden, die optimal zwischen die Punkte gelegt sion wird.[11, S.236] Die Beziehung zwischen log(L(λ)) und log(λ) ist linear. Die Punkte liegen auf einer Geraden, die durch die lineare Gleichung 3.2 beschrieben wird. m beträgt ungefähr -0.36 und log(f ) näherungsweise 4.3666.[11, S. 236] Kehrt man den Logarithmus um, erhält man die Gleichung für die Potenzfunktion, welche L(λ) in Abhängigkeit von λ beschreibt. Die Grösse des Exponenten m hängt von der gewählten Küstenlinie ab, ist jedoch unabhängig von der Methode die zur Bestimmung der Küstenlänge verwendet wurde.[9, S. 42] Bei exakt selbstähnlichen Kurven, wie z.B der Koch-Kurve, deren Länge man mit der „Zirkelmethode“bestimmt, gilt m = 1 − ds .[9, S.45] Dieser Zusammenhang wird auf nichtselbstähnliche, irreguläre Mengen ausgeweitet und als Zirkeldimension dz definiert. Für die nach [19, S. 149] gilt: dz = 1 − m (3.3) wobei m wie bisher die Steigung der Ausgleichsgeraden im doppeltlogarithmischen Diagramm der Gesamtlänge L(λ) über der Eichlänge λ ist und deshalb gilt, m ≤ 0. dz kann als Mass für die Zerknittertheit einer Kurve gedeutet werden. Ist dz nahe bei Eins, handelt es sich um eine fast gerade Kurve, die über keine Knicke verfügt. Umso näher dz Zwei kommt, desto zerknitterter und rauer wird die Kurve, misst man ihr den Wert Zwei bei, handelt es sich um eine ebenfüllende Kurve[9, S.70-71]. 31 3 Natürliche Fraktale Abbildung 3.2: Unsere vier Messergebnisse L(λ) in einem doppeltlogarithmischen Diagramm dargestellt. Die Gerade wurde mit der Methode der kleinsten Quadrate von G AUSS optimal zwischen die Punkte gelegt. Wie immer wird aus Platzgründen nicht darauf eingegangen, da es zu sehr vom Hauptthema wegführen würde. 3.2 Weitere Fraktale Ist man einmal mit dem Konzept der Fraktale vertraut, entdeckt man überall fraktale Muster und Formen. Sogar im Œuvre des abstrakten Expressionisten J ACKSON P OL LOCK lässt sich anhand des Anstiegs der fraktalen Dimension (genauer: der BoxcountingDimension), die man seinen einzelnen Werken zuschreibt, feststellen, dass er im Laufe seines Schaffens seine Maltechnik immerfort verfeinerte und vom Linienhaften ins Ebenfüllende überging. Betrug dbox 1943 zu Beginn seiner Karriere nahezu 1 stieg sie bis zum Jahr 1952 auf 1.72 an.[17] Die Boxcounting-Dimension[11, S. 256-260] wird ähnlich berechnet wie die Zirkeldimension. Man überdeckt ein Objekt mit einem gleichmässigen Raster und zählt die Felder, welche das Objekt enthalten, schreibt deren Anzahl auf, verfeinert das Raster, zählt wiederum die Felder, die vom Objekt getroffen werden, schreibt deren Anzahl auf usw. Schlussendlich überträgt man die Daten in ein doppeltlogarithmisches Diagramm und berechnet, falls sich ein linearer Graph ergibt, dessen Steigung. Doch nicht nur in der Kunst finden sich Fraktale, auch bei der Beschreibung der Durchschlagsfestigkeit (engl. Dielectric Breakdown) von festen, flüssigen und sogar gasförmigen Isolatoren erweisen sich die Methoden der fraktale Geometrie als hilfreich.[10] 32 4 Die Hausdorff-Besicovitch-Dimension To see a world in a grain of sand, and a heaven in a wild flower, hold infinity in the palm of your hand, and Eternity in an hour. W ILLIAM B LAKE , 1917, (26) Manche mögen sich, trotz gelesener Übersicht immernoch fragen: „Ist die HausdorffBesicovitch-Dimension mit einem eigenen Kapitel nicht unverhältnismässig stark gewichtet? Passt sie überhaupt in eine Arbeit dieses Umfangs? Täte der Autor nicht besser daran auf einige Eigenschaften spezifischer Fraktale mehr einzugehen?“ Ich bin fester Überzeugung, dass es sinnvoller ist, wenn ich die Hausdorff-BesicovitchDimension kurz thematisiere, anstatt wie schon hunderte vor mir an dieser Stelle die Länge der Koch-Kurve zu berechnen. Ich versuche in diesem Kapitel eine exakte Definition zu geben, verzichte allerdings aus Platzgründen darauf, jede Einzelheit ausführlich zu thematisieren. Für den geneigten Leser, der das Thema vertiefen möchte, verweise ich auf Kapitel X in H. Z EITLER , D. PAGON: Fraktale Geometrie: Eine Einführung. Zum Aufbau: Zuerst steht eine kurze Zusammenfassung, wie man bei der Berechnung von dhb vorgeht. Sie vereinfacht stark und ist alles andere als mathematisch streng. Ich will damit eine erste Ahnung geben, womit man es zu tun bekommt. Anschliessend werden einige Begriffe eingeführt, und schlussendlich definiere ich die Hausdorff-BesicovitchDimension. Ich empfehle nach erstmaligen Durchlesen, das Beispiel in 4.4 anzuschauen. Wenn man die ganze Sache angewendet sieht wird sicherlich vieles klarer werden. 4.1 Die Idee hinter der Hausdorff-Besicovitch-Dimension dhb basiert auf einer Arbeit F ELIX H AUSDORFFs des Jahres 1919 und einer Erweiterung A BRAM S AMOILOVITCH B ESICOVITCHs. Sie wurde mit der Absicht entwickelt, die Vorkenntnisse (a priori Wissen) über die Dimension einer Standardfigur überflüssig zu machen.[9, S. 377] Man überdeckt eine Standardfigur Y ⊂ Rn unbekannter Dimension mit frei wählbaren Mengen Ui , sodass gilt: Y ⊆ ∪U den Durchmesser |Ui | jeder Pi . Erhebt d Menge in die d-te Potenz und bildet die Summe |Ui | . Da die Mengen frei wählbar sind, gibt es unendlich viele Überdeckungsmöglichkeiten, für die alle gilt: Y ⊆ ∪Ui . P Es existieren also auch unendlich viele Summen |UiP |d . Unter diesen wählt man die kleinste aus. Formal schreibt man nach S. 161]: min { |Ui |d }. Als nächstes berechnet P [19, d man den Grenzwert der Summe |Ui | , wenn der Durchmesser |Ui | gegen Null geht, 33 4 Die Hausdorff-Besicovitch-Dimension P lim|Ui |→0 |Ui |d , mit verschiedenen ganzzahligen d’s. Falls bei d = 3, der Grenzwert gleich Null ist und bei d = 1 der Grenzwert unendlich beträgt, kann es sich nur um eine zweidimensionale Standardfigur handeln. Weil einzig eine zweidimensionale Standardfigur kein Volumen hat und über eine unendliche Länge verfügt. Die auf diese Art berechnete Dimension stimmt mit der topologischen Dimension der Standardfigur überein. A BRAM S AMOILOVITCH B ESICOVITCH erweiterte die Überlegungen H AUSDORFFs für den Fall, dass man keine Standardfigur überdecken will, auf nichtganzzahlige d’s.[9, S. 42, S. 377] 4.2 Definitionen und Erläuterungen Im Folgenden werden die Begriffe Metrik, metrischer Raum, beschränkte Punktmenge, Durchmesser |U | und -Überdeckung definiert. All diese Definitionen sind zum Verständnis dhb ’s unerlässlich. Die Definition des Häufungspunktes, der Abgeschlossenheit, der Perfektheit und der Kompaktheit stehen mit dhb nicht in direkten Zusammenhang. Sie wurden dennoch aufgenommen, weil sie weiter oben verwendet wurden ohne definiert zu sein und sie bei den folgenden Beispielen wiederum eine Rolle spielen werden. Metrik Eine Abbildung d : X × X → [0, ∞), die für jedes Paar von Elementen x, x0 ∈ X irgendeiner Menge X eine nichtnegative Zahl d (x, x0 ) berechnet, wird nach [1, S. 90] Metrik genannt, falls sie folgende Bedingungen erfüllt: K Koinzidenz: d (x, x0 ) = 0 ⇔ x = x0 Die Zahl d (x, x0 )ist dann und nur dann gleich Null, wenn x und x0 gleich sind. Mit anderen Worten: sie das gleiche Element der Menge X bezeichnen. Für alle x, x0 ∈ X L Symmetrie: d (x, x0 ) = d (x0 , x) Die Zahl d (x, x0 ) ist gleichgross wie die Zahl d (x0 , x) für alle x, x0 ∈ X. M Dreiecksungleichung: d (x, x0 ) + d (x0 , x00 ) ≥ d (x, x00 ) , für alle x, x0 , x00 ∈ X Metrischer Raum (X, d) Eine Menge X , die aus beliebig gewählten Elementen bestehen kann, zusammen mit einer darauf definierten Metrik d : X × X → [0, ∞), welche den oben genannten Bedingungen genügt, bezeichnet man nach [1, S. 90] als metrischen Raum (X, d). Die Elemente der Menge X werden Punkte genannt. Die nichtnegative Zahl d (x, x0 ) heisst Distanz[19, S. 12] zwischen den Punkten x und x0 . Alle folgenden Definitionen gehen von einem metrischen Raum (X, d) aus. Es gilt U ⊂ X und Y ⊂ X, wobei U immer 34 4.2 Definitionen und Erläuterungen eine beschränkte Menge bezeichnet, die eine Teilmenge der beschränkten Menge Y ist. U ⊂ Y . Der euklidische Raum (E, d) ist wohl der bekannteste metrische Raum. Für dessen Metrik d gilt nach [11, S. 262]: v u n uX d x, x := t (xi − x0i )2 wobei n ∈ N . 0 (4.1) i=1 Beschränkte Punktmenge U Die Menge U heisst nach [19, S. 12] beschränkt, wenn es p ∈ U mit einem 0 < r < ∞ gibt, so dass für alle x ∈ U gilt: d(p, x) < r. U ist in eine Kugel mit Mittelpunkt p und Radius r eingebettet. Durchmesser |U| der beschränkten Menge U Ist die Menge U beschränkt definiert man den Durchmessser |U | als des Maximum je zweier Punkte von U . max { d(x, x0 ) | für alle x, x0 ∈ U } . |U | ist die grösstmögliche Distanz zweier Punkte in U .[19, S. 152] Überdeckung einer Teilmenge Y des Metrischen Raumes (X, d) Gegeben sei eine beschränkte Punktmenge Y in einem metrischen Raum (X, d). Sei {U1 , U2 , · · · , Ui } eine endliche Auswahl von Mengen, deren Durchmesser höchstens ∈ R+ beträgt. Wenn Y von {U1 , U2 , · · · , Ui } überdeckt wird, also gilt: Y ⊆ ∪Ui , wobei |Ui | ≤ , heisst {U1 , U2 , · · · , Ui } -Überdeckung von Y .[19, S. 161]. Falls gilt:|Ui | < spricht man nach [7, S. 52] von einer offenen -Überdeckung. Häufungspunkt von Y Ein Punkt x eines metrischen Raumes heisst nach [19, S. 15] Häufungspunkt einer Menge Y ⊆ X, wenn in jeder noch so kleinen Umgebung des Punktes x ein Punkt x0 ∈ Y mit x0 6= x existiert. Das offene Einheitsintervall (0, 1) hat neben all den Punkten x für die gilt: x ∈ (0, 1), die Punkte 1 und 0 als Häufungspunkte, weil in jeder beliebig kleinen Umgebung von 0 und 1 Punkte des offenen Einheitsintervalls liegen. 35 4 Die Hausdorff-Besicovitch-Dimension Abgeschlossenheit von Y Gehört jeder Häufungspunkt x der Menge Y zu Y , x ∈ Y , wird Y abgeschlossen genannt. Das offene Einheitsintervall (0, 1) ist demzufolge nicht abgeschlosssen, dass Einheitsintervall [0, 1] hingegen schon. [19, S. 15] Perfektheit und Kompaktheit von Y Ist eine Menge Y abgeschlossen, und jeder Punkt x ∈ Y ausserdem noch ein Häufungspunkt von Y , wird Y als perfekt bezeichnet. Das abgeschlossene Einheitsintervall [0, 1] ist folglich eine perfekte Menge. Alle Häufungspunkte gehören dazu und jeder Punkt ∈ [0, 1] ist ein Häufungspunkt . Wenn eine Menge Y perfekt und beschränkt ist verwendet man den Begriff kompakt. [19, S. 15] 4.3 Von Hd (Y ) über Hd (Y ) zu dhb (Y ) Hd (Y ) Sei Y eine beschränkte Menge in einem metrischen Raum (X, d). Diese Menge Y wird mit einer -Überdeckung überdeckt. Die Mengen U können beliebig gewählt werden. Sie müssen nicht denselben Durchmesser |U | haben, auch nicht diesselbe „Form“oder anderweitige Gemeinsamkeiten sind von Nöten.[19, S. 161] Die Abbildung 4.1 zeigt eine mögliche -Überdeckung der Menge Y . Es sind viele andere -Überdeckungen denkbar. Für jede -ÜberdeckungPbetrachtet man die Summe ihrer zur d-ten Potenz erhobenen Durchmesser. Formal: |Ui |d , wobei d eine nichtnegative reele Zahl ist. Eine solche Summe nennt man verallgemeinerte Überdeckungsfläche[19,PS. 161]. Es gibt unendlich viele -Überdeckungen, folglich auch unendlich viele Zahlen |Ui |d . Unter ihnen wählt man die kleinste aus und bezeichnet sie mit Hd (Y ). Also gilt nach [19, S. 161]: Hd (Y ) := min { X |Ui |d | Y ⊆ ∪Ui und |Ui | ≤ }. (4.2) Hd (Y ) ist die minimalste Überdeckungsfläche einer gegebenen Menge Y . Falls es ein 0 gibt das kleiner ist als gilt: Hd0 (Y ) ≥ Hd (Y ). Bei abnehmenden Durchmesser |Ui |, also d auch bei kleinerwerdenden , wird HP (Y ) nicht mehr kleiner, da es schon minimal ist und deshalb keine kleineren Zahlen |Ui |d mehr möglich sind. [19, S. 161] Hd (Y ) Lässt man gegen Null laufen vergrössert sich Hd und konvergiert gegen einen Grenzwert für den gilt: Grenzwert ∈ [0, ∞]1 . [11, S. 262-263] Hd vergössert sich bei kleinerwerdenden , weil früher oder später ein 0 erreicht wird, für das gilt 0 < . Wie wir weiter 1 Wenn ich über einen Grenzwert spreche der ∞ beträgt ist dies eine Konvention dafür, dass kein Grenzwert exisitiert, der Limes über alle Grenzen wächst, also ins unendliche driftet. 36 4.3 Von Hd e (Y) über Hd (Y) zu dhb (Y) Abbildung 4.1: Eine mögliche -Überdeckung der hellblau dargestellten Menge Y . Es ist bei weitem nicht die einzig Mögliche. Viel bizarrere und kompliziertere Konstrukte wären denkbar. oben geshen haben hat ein 0 , welches kleiner ist als das der minimalsten Überdeckungsfläche, zur Folge, dass gilt: Hd0 (Y ) ≥ Hd (Y ). Die Zahl Hd kann bei kleinerwerdenden , also bei abnehmenden Durchmesser |Ui |, nicht kleiner werden, da sie bereits die P mehr d kleinste Zahl unter allen möglichen Zahlen |Ui | ist. Für jedes 00 das kleiner ist als 0 , gilt wiederum: 00 < und folglich Hd00 (Y ) ≥ Hd (Y ). Der Grenzwert gegen den die Zahl Hd (Y ) bei → 0 konvergiert bezeichnet man nach [19, S. 162] mit Hd (Y ). Hd (Y ) := lim Hd (Y ), wobei d eine nichtnegative reele Zahl ist. →0 (4.3) Man nennt Hd (Y ) das d-dimensionale Hausdorff-Mass[11, S. 262] von Y . Was für Werte kann Hd (Y ) annehmen? Die Zahl Hd (Y ) ist vom gewählten d abhängig. Gibt es eine dhb (Y) 0 Zahl d0 die grösser ist als d gilt: Hd (Y ) ≤ Hd (Y ).[19, S. 162] Bei zunehmenden d kann 0 Hd (Y ) nicht wachsen. Wenn d > d0 und Hd (Y ) > 0 gilt weiter: Hd (Y ) = ∞.[19, S. 163] Mit diesen Beziehungn kann man beweisen, dass es ein dhb (Y ) gibt, so dass nach [11, S. 263] gilt: ( ∞ für d < dhb (Y ) Hd (Y ) = (4.4) 0 für d > dhb (Y ) . Satz 4.1: Wenn für einen Wert dhb > 0 gilt Hdhb (Y ) > 0, dann folgt Hd (Y ) = ∞ für d < dhb und Hd (Y ) = 0 für d > dhb . [19, S. 163] 37 4 Die Hausdorff-Besicovitch-Dimension 4.4 Die Hausdorff-Besicovitch Dimension des Sierpiński-Teppich S In diesem Kapitels berechne ich die Hausdorff-Besicovitch-Dimension dhb des SierpińskiTeppichs. S ist eine kompakte Teilmenge des metrischen Raumes (E, d) und exakt selbstähnlich mit s = 1/3 und N = 8. Es ist sinnvoll sich diese exakte Selbstähnlichkeit dienlich zu machen und für die -Überdeckung zueinander kongruente Teilmengen von S zu benutzen. Diese Teilmengen entstehen wenn man S mit dem Skalierungsfaktor s in der k-ten Potenz multipliziert. Wobei k die Konstruktionsstufe bezeichnet. Man benötigt N k solcher Teilmengen um, wenn richtig angeordnet, wieder den Sierpiński-Teppich zu erhalten. Es gilt im ersten Schritt, wenn k = 1: S= N [ (4.5) Ui i=1 Überdeckung Ich wähle zur Überdeckung von S Quadrate mit der Seitenlänge a · 3−k . a ist die Seitenlänge des Initiators und es gilt a > 0. Der Durchmesser |Ui | eines solchen Quadrates, √ also max { d(x, x0 ) | für alle x, x0 ∈ U }, berechnet sich mit a · 3−k · f , wobei f = 2. √ d P P Die Summe |Ui |d , lässt sich in der Form 3−(k·d) · 2 a schreiben, und da alle Ui zueinander kongruent sind, folglich die Durchmesser |Ui | der √ k-ten Stufe alle dieselbe Grösse haben, kann man den Ausdruck weiter in 8k · 3−(k·d) · ( 2 a)d umformen. 8k ist nichts Weiteres als N k , die Anzahl der zur vollständigen Überdeckung erforderlichen Quadrate. Die Überdeckung ist wegen Gleichung (4.5) minimal, die k-te Potenz ändert daran nichts. Folglich gilt: Hd (S) = 8k · 1 3 k·d √ · ( 2 a)d . (4.6) Übergang zum Hausdorff d-Mass: Hd (S) = lim Hd (S) = lim →0 Drei Fälle k→∞ 8 3d ! k √ d 2a . · (4.7) √ → 0 kommt zustande, wenn k → ∞. Der Ausdruck 3−(k·d) · ( 2 a)d , der für den Durchmesser |Ui | der k-ten Stufe steht, wird bei grösser werdenden k immer kleiner. 8 d Das Verhalten von H (S) hängt von der Grösse des Ausdrucks ab. Es gibt folgende 3d drei Möglichkeiten: ^ Kleiner als Eins: Ist er kleiner als Eins geht er bei k → ∞ gegen Null und zieht den gesamten Limes mit, so dass dieser gegen Null konvergiert. 38 4.4 Die Hausdorff-Besicovitch Dimension des Sierpiński-Teppich Abbildung 4.2: Die Funktion Hd (S) über d für den Sierpiński-Teppich. dhb liegt genau bei dem d, an dem der Sprung des y-Wertes ∞ zu 0 stattfindet. _ Gleich Eins: Bei einer Gleichheit mit Eins nimmt der Limes den Wert √ d 2 a an. ` Grösser als Eins: Wenn er grösser als Eins ist strebt der Ausdruck bei k → ∞ gegen unendlich. Der Limes wird mitgezogen und wächst über alle Grenzen. Welcher der obigen Fälle eintritt wird von der Grösse d’s bestimmt: 8 log 8 , d> ^ 1> ⇒ Hd (S) = 0 , d log 3 3 √ d 8 log 8 2a , _ 1= , d= ⇒ Hd (S) = d log 3 3 8 log 8 ` 1< , d< ⇒ Hd (S) = ∞ . d log 3 3 Die Funktion Hd (S) über d hat an der Stelle d = log 8 eine Unstetigkeitsstelle[8, S. 316-317]. log 3 log 8 beiderseitig unstetig[23]. Sowohl direkt links von d als auch log 3 direkt rechts von d liegt ein Sprung. Siehe Abbildung 4.2 . Die Hausdorff-BesicovitchGenauer ist die Stelle d = dhb 39 4 Die Hausdorff-Besicovitch-Dimension Dimension lässt sich mit den Begriffen der grössten unteren Schranke (=Infimum) und der kleinsten oberen Schranke(=Supremum) nach [14] folgendermassen definieren:2 dhb (Y ) := inf { d ≥ 0 | Hd (Y ) = 0 } = sup { d ≥ 0 | Hd (Y ) = ∞ } Anhand des Schaubildes Hd (S) über dhb sieht man, dass nur d = (4.8) log 8 der Gleichung log 3 4.8 genügt. Folglich gilt: dhb (S) = ds = dhb ? log 8 ≈ 1.8928 . log 3 Wenn man nach 2.2.2 zurückblättert sieht man dort, dass für den Sierpiński-Teppich bereits einmal eine Dimension ausgerechnet wurde. Wir berechneten in bedeutend kürzerer Zeit die Selbstähnlichkeitsdimension ds . Wie man sieht, stimmen die Zahlenwerte von ds (S) und dhb (S) exakt überein. Diese Gleichheit führt zu folgender Frage: „Stimmen die Zahlenwerte der Hausdorff-Besicovitch-Dimension und der Selbstähnlichkeitsdimension bei allen exakt selbstähnlichen Punktmengen überein?“ Erfreulicherweise ist dem tatsächlich so. Im nächsten Unterkapitel gebe ich den Beweis dafür. 4.5 Sind dhb (G) und ds (G) gleichwertig? In diesem Unterkapitel beweise ich den Satz 4.2. Satz 4.2: Für alle Punktmengen G die per Definition 1.4 exakt selbstähnlich sind, gilt ds (G) = dhb (G). Einführende Worte Die Idee zum Beweis des Satzes 4.2 kam mir während der Lektüre des Kapitels X des Buches „Fraktale Geometrie: Eine Einführung“. Dort steht die Beziehung ds (G) = dhb (G), für exakt selbstähnliche Punktmengen G, als Satz ohne Beweis. Der Leser wird im Buch dazu aufgefordert diesen Satz selbst zu beweisen. Man findet im ganzen Buch den Beweis nicht, auch keine konkreten Tipps werden gegeben. Stattdessen wird auf die einschlägige Literatur verwiesen. Den folgenden Beweis fand ich ohne fremde Hilfe, auch las ich ihn nicht zuvor in der einschlägigen Literatur nach, deren Beschaffung ohnehin mit gewissen Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre. 3 2 Die Gleichung (4.8) definiert dhb genau gleich wie der Satz 4.1 und Gleichung (4.4). Wenn Sie mit den Begriffen nicht vertraut sind ist dies nicht weiter tragisch, da man anhand des Schaubildes 4.2 eine gute Vorstellung von der kleinsten oberen (= Supremum) und grössten unteren (= Infimum) Schranke bekommt. Gleichung (4.8) zeigt nichts anderes als, dass dhb von zwei Seiten her anngehnähert wird und das Supremum von Hd (Y ) = ∞ und gleichzeitig das Infimum von Hd (Y ) = 0 verkörpert. 3 Schlussendlich habe ich das Buch „Measure, Topology and Fractal Geometry“trotzdem organisiert. Jeder der das Buch kennt wird aber weiterhin nicht bestreiten, dass mein „Beweis“zu jener Zeit entstand, als sich das Buch noch nicht in meinem Bücherregal befand. 40 4.5 Sind dhb (G) und ds (G) gleichwertig? Zum Beweis des Satzes 4.2 sind einige Vorbereitungen von Nöten. Lesen Sie als erstes die Definition in 1.4, 4.2 und 4.3, wie auch die Punkte ¶ – ¹ genau durch. Vorbereitungen ¶ Da G als Voraussetzung exakt selbstähnlich (siehe 1.4) sein soll, handelt es sich bei G um eine kompakte Menge. Eine Menge heisst kompakt wenn sie perfekt und beschränkt ist. Also ist G auch beschränkt und liegt ausserdem nach Definition in einem metrischen Raum (X, d). Somit lässt sich Hd (G) nach Satz 4.1 berechnen. · G lässt sich in N > 1, bis auf die Randelemente paarweise disjunkte, kongruente Teilmengen Gi , i ∈ {1, 2, · · · , N }, zerlegen. Es gilt folglich im ersten Schritt, wenn k = 1: N [ G= Gi . i=1 ¸ Weil alle Gi zueinander kongruent sind, haben alle Durchmesser |Gi | dieselbe Grösse. Deren Summe lässt sich als Produkt mit den Faktoren |Gi |d und N schreiben. N bezeichnet die Anzahl, der in der ersten Konstruktionsstufe (k = 1) zur d-ten Potenz erhobenen zueinander kongruenten Teilmengen Gi , deren Vereinigung G bildet. X |Gi |d = |G1 |d + |G2 |d + · · · + |Gi |d = N · |Gi |d . Man kennt N bereits, weil G exakt selbstähnlich ist. Die Anzahl der Durchmesser der k-ten Generation ist gleich N k . ¹ Der Durchmesser |Gi | bezeichnet den grössten Abstand zweier Punkte in einer beschränkten Punktmenge Gi . Es gilt: |Gi | = max { d(x, y) | für alle x, y ∈ Gi } . Ein |Gi | der ersten Stufe lässt sich als Produkt mit den Faktoren 1 > s > 0, a > 0, und f > 0 schreiben, |Gi | = s · a · f . Den Skalierungsfaktor s kennen wir, weil G exakt selbstähnlich ist. a ermöglicht eine beliebige Länge zu wählen, die wir mit s verkleinern und da wir die geometrische Form unserer beschränkten zueinander kongruenten Punktmengen Gi , z.B gleichseitiges Dreieck oder Quadrat, kennen, können wir mit f den grösstmöglichen Abstand zweier Punkte innerhalb einer √ solchen Menge berechnen. berechnen. Wie beispielsweise in 4.4 mit f = 2 . Jetzt erheben wir s in die k-te Potenz und können somit den Durchmesser jeder Punktmenge Gi in der k-ten Generation berechnen.4 |Gi | = sk · a · f . Nun haben wir alles, was wir für den Beweis ds (G) = dhb (G) brauchen werden. 4 Ich verzichte darauf bei |Gi | mittels eines Indexes die Konstruktionsstufe k zu vermerken. Es ist aus dem Text immer ersichtlich ob ich über ein |Gi | der ersten Stufe oder ein |Gi | der k-ten Stufe spreche. 41 4 Die Hausdorff-Besicovitch-Dimension Beweis ¶ erlaubt es Hd (G) zu berechnen. Aus · folgt, dass die Überdeckung von G minimal ist, weil die Vereinigung der zueinander kongruenten Teilmengen Gi der Stufe k = 1 gleich der Menge G ist. Man findet keine feinere Überdeckung von G, da jaP∪Gi schon gleich G ist. Das gesuchte Minimum nach Gleichung (4.2) ist folglich gleich |Gi |d und es gilt vereinfacht mit ¸: X Hd (G) = |Gi |d = N · |Gi |d , wobei |Gi | ≤ . (4.9) N · |Gi |d lässt sich als N · (s · a · f )d schreiben. Wenn der Durchmesser |Gi | kleiner wird, benötigt man mehr kongruente Teilmengen um G zu überdecken. Folglich nimmt deren Anzahl N mit sinkenden Durchmessern |Gi | zu und berechnet sich bei Konstruktionsstufe k mit N k . Nach ¹ gilt nun für die k-te Stufe: d Hd (G) = N k · sk · a · f = N k · sk·d · (a · f )d . Übergang zum Hausdorff d-Mass: Hd (G) = lim Hd (G) = lim →0 k→∞ N · sd k · (a · f )d . (4.10) d → 0 kommt zustande, wenn k → ∞. Weil somit der Ausdruck sk · a · f , der für den Durchmessser |Gi | der k-ten Generation steht, immer kleiner wird, da 0 < s < 1 gilt. Um dhb zu bestimmen müssen wir jetzt nur noch die Funktion Hd (G) über d betrachten. Zur Erinnerung: Die Funktion Hd (G) über d verfügt an der Stelle d = dhb ≥ 0 über ein positives Hausdorff d-Mass, also Hdhb (G) > 0 . Wie wir dem Funktionsgraphen der Abbildung 4.3 entnehmen können, nimmt die Funktion Hd (G) über d nur drei voneinander verschiedene Werte an. Nämlich ∞ bei d < dhb , (a · f )d bei d = dhb und 0 bei d > dhb . Weil Hd (G) = (a · f )d > 0 , wegen a > 0, f > 0, gilt für dieses d, d = dhb . Damit Hd (G) = (a · f )d , muss gelten N · sd = 1. Umgeformt nach d ergibt sich: N · sd = 1 N log N = = d · log d = 42 1 sd 1 s log N . 1 log s 4.5 Sind dhb (G) und ds (G) gleichwertig? Abbildung 4.3: Die Funktion Hd (G) über d für selbstähnliche Punktmengen G. Wir erinnern uns, dass für dieses d gilt, d = dhb , weil für jedes grössere d gilt, H>dhb (G) = 0 und für jedes kleinere d gilt, H<dhb (G) = ∞ .Es ergibt sich die Beziehung: dhb = d = log N = ds . 1 log s (4.11) Die Hausdorff-Besicovitch-Dimension dhb einer exakt selbstähnlichen Punktmenge stimmt mit der uns wohlvertrauten Selbstähnlichkeitsdimension ds überein. Dieser Satz bildet den Höhepunkt dieser Maturaarbeit. Mit ihm können Sie bei allen weiter oben vorgestellten Objekten, überprüfen ob es sich um Fraktale nach M ANDELBROTs Definition handelt oder nicht. Sie müssen einzig ihre exakte Selbstähnlichkeit nachweisen und anschliessend die Selbstähnlichkeitsdimension ds berechnen. Da Sie nun über die Gleichheit von dhb und ds bei exakt selbstähnlichen Punktmengen Bescheid wissen, können Sie ds getrost mit dtop vergleichen. Um dtop streng festzustellen und sich nicht wie bisher mehr oder weniger auf die Intuition zu verlassen wäre noch eine ganze Menge schwieriger Mathematik und eine Reihe weiterer Erklärungen notwendig. Da ich die topologische Dimension doch nicht ganz aussen vor lassen wollte, steht im Anhang eine kurze Erklärung, die aber vollständig mit Worten auskommnt und auf Formeln verzichtet. Sinn? 43 Fazit A mathematician is a blind man in a dark room looking for a black cat which isn’t there. C HARLES DARWIN , (26) Und, stimmen Sie mit D ARWIN überein? Ist Mathematik so ein aussichtsloses Unterfangen? Falls ja, wäre die fraktale Geometrie tatsächlich nicht die sinnvollste Beschäftigung und wir täten besser daran unsere Zeit mit Fussball oder falls Sie kein Sportfan sind vor dem Fernseher zu verbringen. Ich denke aber, dass Sie nach der Lektüre dieser Maturaarbeit nicht mit D ARWIN übereinstimmen. Genausowenig tue ich das. Das Recherchieren und das Nachdenken über Fraktale und Mathematik im weiteren Sinne hat mir viele schöne Stunden bereitet. Den Text dieser Maturaarbeit verfasste ich meist mit lockerer Hand. Ich hoffe, dass sich diese Leichtigkeit auf den Text übertrug. Schlussendlich hat mir diese Arbeit geholfen zu verstehen, dass die Mathematik viele Bereiche des Lebens abdeckt und eine Welt ohne die Mathematik eine vollkommen andere wäre. Ich lernte die Mathematik als brilliante Leistung des menschlichen Geistes schätzen und erkannte aber auch, dass sie nur eine unter vielen möglichen Interpretation der Wirklichkeit darstellt. Wer die Mathematik auf einen goldenen Sockel stellt und sie von der Wirklichkeit losgelöst sieht, betreibt eine andere Mathematik als ich. Meiner Meinung nach ist die Mathematik mit der Geschichte und den jeweiligen Weltanschauungen gewachsen und tief mit ihnen verflochten. Die Fraktalforschung ist ein relativ junges Gebiet der Mathematik und verkörpert deshalb manche unserer modernen Weltanschauungen. Dies ist einer der Gründe wieso ich mich nach wie vor für Fraktale, eigentlich für Geometrie im Allgemeinen, interessiere. Natürlich ist mit dieser Maturaarbeit des Feld der Fraktale bei Weitem nicht ausgeschöpft: Raumfüllende Kurven, Flächenfraktale, Julia-Mengen, selbstinverse Fraktale, „zufällige Fraktale“, das Chaos-Spiel, die Box-Dimension und auch die Anwendungen der fraktalen Geometrie habe ich Ihnen vorenthalten. Falls Sie sich weiter mit der fraktalen Geometrie beschäftigen wollen empfehle ich ihnen die Lektüre der Bücher „Fraktale: Bausteine des Chaos“, „Fraktale Geometrie - Eine Einführung“und „Die fraktale Geometrie der Natur“und zwar in dieser Reihenfolge. 44 A Die topologische Dimension Der Mathematiker H ENRI P OINCARÉ (1854-1912) verallgemeinerte anfangs des 20. Jahrhunderts den Dimensionsbegriff E UKLIDs ( CA . 365 V. C HR - CA . 300 V. C HR ) auf beliebige topologische Räume.[11, S. 130] P OINCARÉ definiert für eine Leere Menge die Dimension -1. Müsste man diese Dimension zeichnen, wäre ein leeres weisses Blatt das Resultat.[16, S. 98-99] Alle folgenden Dimensionen lassen sich nun aus dieser Dimension ableiten, dies bietet eine neue Möglichkeit über höherdimensionale Räume Rn , n > 3, zu sprechen. Die Dimension eines topologischen Objektes ist invariant, es ist nicht möglich ein eindimensionales Objekt, z.B eine Linie, durch eine stetige bijektive Abbildung, einen Homöomorphismus1 [11, S. 129], in ein zweidimensionales Objekt, z.B eine Fläche, zu transformieren. Man sagt Linie und Fläche sind nicht homöomorph. Die Menge aller Punkte, die von einem gegebenen Punkt denselben Abstand haben, bezeichnet man als eine (n-1)-dimensionale Hypersphäre. Die Oberfläche einer Kugel, also eine zweidimensionale Fläche, besteht aus der Menge aller Punkte, die einen festen Abstand (den Radius) vom Mittelpunkt der dreidimensionalen Kugel haben. Einen n-dimensionalen Raum kann man durch (n-1)-dimensionale Schnitte unterteilen.[16, S. 75] Geht man nun davon aus, dass ein Punkt nicht durch Schnitte zerteilt werden kann, er kein Kontinuum ist, der Schnitt ein leerer, also ein Schnitt der (-1)-Dimension ist, verfügt der Punkt über die Dimension 0. Eine Kurve lässt sich durch einen Punkt, ein Schnitt der Dimension 0, teilen. Die Dimension der Kurve beträgt 1, da der Schnitt in der (n-1)-Dimension erfolgte. Wenn ein Schnitt in Form einer Linie notwendig ist, handelt es sich um ein zweidimensionales Objekt. Ein dreidimensionales Objekt ist folglich dadurch definiert, dass man es mit einem zweidimensionalen Schnitt teilen kann. Ein vierdimensionales Objekts kann durch einen dreidimensionalen Schnitt unterteilt werden. Das dreidimensionale Objekt bildet die Begrenzung des vierdimensionalen Objektes, genauso wie Linien eine Fläche begrenzen (E UKLIDs 6. Definition nach [18, S. 39]). Der Würfel wird durch 6 Quadrate begrenzt, das Quadrat durch 4 Linien, die Linie hat 2 Enden und der Punkt, nach Definition ein Objekt ohne jede Ausdehnung, ist nicht begrenzt. Der Tesserakt, das vierdimensionale Analogon zum Würfel, wird folglich durch 8 würfelförmige Zellen begrenzt. Siehe Abbildung A.1 1 Zwei Objekte A und B (topologiche Räume) sind homöomorph wenn eine Abbildung f : A → B existiert, die bijektiv und stetig ist und eine stetige Umkehrfunktion f −1 hat. A Die topologische Dimension Abbildung A.1: Schlegeldiagramm eines vierdimensionalen Würfels, dem sogenannten Tesserakt. Ein Schlegeldiagramm zeigt das Gefüge der Ecken, Kanten und Seitenflächen eines Objektes vollständig. Also nicht perspektivisch, wie eine oberflächliche Betrachtung der Abbildung vermuten lässt. Der Tesserakt hat 16 Ecken, 32 Kanten, 24 Quadrate, und wird durch 8 würfelförmige Zellen begrenzt. Diese Abbildung ist [25] entnommen. 46 Literatur [1] P. S. A LEXANDROFF (2001, 1977 1 ): Lehrbuch der Mengenlehre. Frankfurt am Main: Verlag Harri Deutsch. ISBN 3-8171-1657-8 [2] M. F. B ARNSLEY (1995, 1988 1 ): Fraktale. Theorie und Praxis der Deterministischen Geometrie. Heidelberg [u.a]: Spektrum Akademischer Verlag. (Spektrum Lehrbuch) ISBN 3-86025-010-8 [3] T. B ERNDT (2008 1 ): Latex. Der typographische Einstieg. München: AddisonWesley. ISBN 978-3-8273-2659-1 [4] K. B RÄUER (2001 1 ): Chaos, Attraktoren und Fraktale. Mathematische und physikalische Grundlagen nichtlinearer Phänomene mit Anwendungen in Physik, Biologie und Medizin. Berlin: Logos-Verlag. ISBN 3-89722-852-1 [5] DMK D EUTSCHSCHWEIZERISCHE M ATHEMATIKKOMMISSION , DPK D EUTSCHSCHWEIZERISCHE P HYSIKKOMMISSION (2004, 2001 1 ): Fundamentum Mathematik und Physik. Formeln, Begriffe, Tabellen für die Sekundarstufe I und II. 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