Wissenschaftsverbund Um-Welt zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Rostock Klimawandel - Klimafolgen – Naturkatastrophen und deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft Wissenschaftliche Tagung am 20.10.2006 an der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät 2 WVU Wissenschaftsverbund Um-Welt Klimawandel - Klimafolgen – Naturkatastrophen und deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft 20.10.2006 Universität Rostock Wissenschaftsverbund Um-Welt 2006 3 Herausgeber: Universität Rostock Wissenschaftsverbund Um-Welt Redaktionelle Bearbeitung und Herstellung der Druckvorlage: Dr. Stefanie Sixel Dipl.-Ing. Karin Naumann Kurztitel: Wissenschaftsverbund Um-Welt: Tagungsbericht 2006. Rostock: Univ., 2006. – 73 S. ISSN © Universität Rostock, Wissenschaftsverbund Um-Welt Bezugsmöglichkeiten: Universität Rostock Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät c/o Institut für Management ländlicher Räume Wissenschaftsverbund Um-Welt Lehrstuhl für Landschaftsplanung und Landschaftsgestaltung Justus-von-Liebig-Weg 6 18059 Rostock Tel.:0381/498-5645, Fax: 0381/498-3242 Herstellung: Universitätsdruckerei 4 Inhaltsverzeichnis Vorwort ……….. ............................................................................................................6 Grußwort des Umweltministers Prof. Dr. Wolfgang Methling.........................................7 Die langfristigen Wirkungen von Witterungsextremen auf Umwelt und Gesellschaft Prof. Dr. Hans-Rudolf Bork, Stefan Dreibrodt und Andreas Mieth ...............................11 Leben mit der Katastrophe – Möglichkeiten und Grenzen eines reflektierten nachhaltigen Lebensstils angesichts des Klimawandels Prof. Dr. Wolfgang Nieke ........................................................................................23 Biodiversität und Landschaftswandel in den Tropen Prof. Dr. Stefan Porembski .....................................................................................36 Klimafolgen in der Tierwelt Prof. Dr. Ragnar K. Kinzelbach (em.) .......................................................................42 Globale Erwärmung: Wegbereiter für tropische Infektionskrankheiten auch in Deutschland? Prof. Dr. Emil C. Reisinger, Dr. med. Christoph J. Hemmer........................................51 Klimafolgen und deren Auswirkungen auf Mecklenburg-Vorpommern Prof. Dr. Wolfgang Riedel .......................................................................................56 Auswirkungen von Klimaänderungen Odereinzugsgebietes auf die Küstenzone am Beispiel des Holger Janßen, Nardine Löser, Dr. Gerald Schernewski ............................................66 5 Vorwort Witterungsextreme treten auch in Deutschland immer häufiger auf. Extreme Hitzewellen und längere Trockenperioden, Jahrhunderthochwässer im Jahresabstand, heftigere Starkniederschläge und zerstörerische Stürme sind nur einige Anzeichen für einen stetigen Wandel unseres Klimas. Dabei ist es ein Irrtum zu glauben, dieser Wandel und seine Folgen werden erst in einer fernen Zukunft zu dauerhaften und ernst zu nehmenden Konsequenzen für das gesamte Leben führen – Der Klimawandel findet bereits statt - hier, heute, jetzt. Daraus ergeben sich eine Vielzahl von Risiken und Gefahren aber auch Chancen und Möglichkeiten für alle Bereiche des Lebens, wie beispielsweise für Naturhaushalt und Landschaftsbild, die Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, den Tourismus, die menschliche Gesundheit und das gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Leben. Das Ziel der Veranstaltung ist es daher, das breite Spektrum möglicher Auswirkungen des Klimawandels auf die verschiedenen Bereich des Lebens darzustellen, die Risiken und Folgen zu verdeutlichen aber auch die sich ergebenden Chancen für ein Umdenken und Umlenken hervorzuheben. Vertreter aus der Wissenschaft und Forschung, Studierende aller Fachrichtungen, Mitarbeiter aus Verwaltungen und öffentlichem Dienst sowie jeder an der Thematik Interessierte waren herzlich eingeladen an der Veranstaltung Klimawandel – Klimafolgen – Naturkatastrophen und deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft teilzunehmen. Neben einer Vielzahl von interessanten Fachvorträgen war auch Raum für Diskussion und weiterführende Gespräche geboten. Der große Zuspruch und die zahlreichen Anregungen der über 100 Gäste regten uns zur Publikation dieses Tagungsbandes an, mit dem wir die interessante und anregende Veranstaltung reflektieren und nachhaltig verlautbaren möchten. Wissenschaftsverbund Um-Welt Rostock, Dezember 2006 6 Grußwort des Umweltministers Prof. Dr. Wolfgang Methling Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gebe zu, dass ich es viel lieber sehen würde, wenn die heutige Veranstaltung nicht stattfinden müsste. Der Klimawandel ist meiner Ansicht nach eine der größten Bedrohungen für die Menschheit. Die Klimaänderung ist inzwischen schon so weit fortgeschritten, dass sie in allen Bereichen nicht mehr zu übersehen ist. Und auch der allgemeinen Meinung „So etwas hat es früher immer schon gegeben“ kann man die eindeutige Statistik entgegenhalten: So etwas hat es im letzten Jahrhundert bestimmt nicht gegeben. Haben Sie sich auch an der Suche für Anzeichen des Klimawandels in unserem Land beteiligt? Sie werden diese Anzeichen überall finden: • Die deutliche Verschiebung der Vegetationsperioden • Die Insekten, Tiere und Pflanzen, die hier doch eigentlich gar nicht überleben können, • Krankheiten, die hier nichts zu suchen haben, • Heiße Sommer, in denen auch die Nächte nicht für die nötige Abkühlung sorgen, • Trockenperioden, die sich insbesondere im Sommer häufen und die landwirtschaftlichen Erträge bedrohen. Der Klimawandel darf uns aber nicht unvorbereitet treffen und deshalb begrüße ich natürlich den heutigen Kongress und freue mich über die Einladung. Gleichzeitig möchte ich die Gelegenheit nutzen und Herrn Prof. Riedel für sein Engagement auf dem Gebiet des Klimawandels danken. Veranstaltungen wie die heutige sind ein wichtiger Beitrag, um Informationen weiterzugeben und aufzuklären. Welche Informationen liegen nun für unsere Region vor? Das Umweltbundesamt hat regionale Klimaprognosen für Deutschland erstellen lassen. Bislang lagen gesicherte Erkenntnisse nicht in der notwendigen Auflösung vorein Raster von 100x100 km ist nicht geeignet, regionale Strukturen richtig darzustellen. Nunmehr liegen aber Daten mit einer Auflösung von ca. 10x10 km vor. Sie können die verschiedenen Klimavariablen in unterschiedlicher zeitlicher Auflösung abrufen. Es ist davon auszugehen, dass es bis zum Ende des Jahrhunderts in unserer Region ca. 2,0 -2,9 Kelvin wärmer wird. Dabei ist es natürlich kein Trost, dass andere Regionen wie z.B. die Alpen, mit bis zu 5 Kelvin noch deutlich stärker betroffen sein werden. 7 Die Erwärmung wird bei uns jahreszeitlich unterschiedlich ausfallen. Besonders hoch wird sie jedoch im Winter sein. Die Sommer werden ebenfalls deutlich wärmer werden, einhergehend mit einer Abnahme des Niederschlages. Dementsprechend wird in einigen Gebieten die Verdunstung so ansteigen, dass die Grundwasserneubildung abnehmen wird. Dies hat Konsequenzen für alle Bereiche. Und auch das offensichtlich Positive, z.B. warmes, sonniges Wetter für Urlauber, kann bei sinkender Badewasserqualität oder Wassermangel dem gutem Image unserer Region schaden. Die Auswirkungen im landwirtschaftlichen Bereich muss ich an Ihrer Fakultät nicht erläutern- Wassermangel wird alle möglichen positiven Effekte negieren. Es gilt also, diese Klimaprognosen auszuwerten. Vor allem müssen aber Schlussfolgerungen gezogen werden. Begonnen hat diese Arbeit mit einer ad-hoc Arbeitsgruppe des Wissenschaftlichen Beirats Umwelt, die die betroffenen Bereiche im Land ermittelt und bewertet hat: • Wasserwirtschaft • Land- und Forstwirtschaft • Ostsee und Küstenschutz • Biodiversität und Naturschutz • Raumordnung und Tourismus • Energie und Verkehr • Gesundheit. Schon hier hat sich herausgestellt, dass auch Mecklenburg-Vorpommern in sehr vielen Bereichen erheblich betroffen ist und dass sich die Bereiche unterschiedlich stark gegenseitig beeinflussen. Den Mitarbeitern des Wissenschaftlichen Beirates danke ich an dieser Stelle nochmals ganz herzlich für ihre Mithilfe und ihr Engagement, mit dem sie dieses Thema untersucht haben. Um dem interdisziplinären Thema Klimawandel gerecht zu werden, wurde in meinem Hause ein Interessenbekundungsverfahren durchgeführt. Dieses dient der optimalen Nutzung der Potenziale an den wissenschaftlichen Einrichtungen unseres Landes. Zu den vorhin genannten Bereichen haben sich inzwischen Facharbeitsgremien gebildet, die die regionalen Klimaprognosen auswerten. Ziel dieser Arbeiten ist es, Empfehlungen für die Landesregierung zu entwickeln. Diese Empfehlungen sollen darstellen, welche Schritte zur Vorbereitung und möglichen Anpassung an die Klimaänderung notwendig und sinnvoll sind. Parallel zur Auswertung der Klimaprognosen habe ich eine Delphi-Studie in Auftrag gegeben, um die Situation im Land systematisch zu erfassen und Lösungsmöglichkeiten eruieren zu können. Ihre Beteiligung an dieser Studie sichert damit eine 8 objektive Einschätzung dieses neuen Fachgebietes und sensibilisiert die Verantwortlichen. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der Arbeiten. Gleichzeitig möchte ich aber auch darauf hinweisen, dass durch den Klimawandel Chancen für unser Land entwickelt werden können, die es zu nutzen gilt. Die Auswertung der Klimaprognosen soll nicht dazu dienen Panik zu verbreiten, sondern soll zur Sensibilisierung aller Betroffenen beitragen. Ebenso muss ich an dieser Stelle auch vor der einseitigen Nutzung der Daten warnen: Es handelt sich immer um Klimaprognosen – nicht um Wettervorhersagen. Und auch die regionale Auflösung sollte nicht dazu dienen, Städte oder Gemeinden aufgrund der Klimaänderung gegeneinander auszuspielen. Nach wie vor kann das Wetter im Jahre 2020 nicht vorausgesagt werden- daran wird sich auch nichts ändern. An dieser Stelle ist es mir besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass die Maßnahmen zur Verringerung der Freisetzung von Treibhausgasen keinesfalls vernachlässigt werden dürfen. Die Klimaprognosen gehen davon aus, dass die CO2-Emissionen nicht weiterhin ungebremst steigen. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie sich unsere Erde verändern wird, wenn es nicht gelingt, die Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren. Deshalb appelliere ich an alle hier Anwesenden, bei aller Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Klimaänderung, den dringend erforderlichen Klimaschutz nicht außer Betracht zu lassen. Es ist notwendig, beide Bereiche aktiv zu unterstützen. Die Anpassung darf auf gar keinen Fall zu dem Schluss führen, dass die Vorbeugung dann nicht mehr notwendig ist. Lassen Sie mich an einem Beispiel die Verknüpfung beider Bereiche verdeutlichen: Wir sind eine touristisch geprägte Region. Wenn nun die Sommer wärmer werden, wird das Interesse an der Kühlung von Gebäuden steigen. Dabei denke ich an die Hotels und Ferienanlagen, aber genauso an die Bürogebäude und Krankenhäuser. Es wäre nun natürlich nicht zielführend, all diese Gebäude mit Klimaanlagen auszurüsten. Viel sinnvoller ist es doch, bereits bei der Planung schon die Klimaänderung mit zu berücksichtigen. Die Gestaltung der Gebäude und Außenanlagen, die Auswahl der Baumaterialien, der Einsatz von Verschattungselementen, die Einbeziehung von Beund Entlüftungsanlagen – all dies kann dazu beitragen, das Raumklima zu optimieren und gleichzeitig Energie zu sparen. Wenn die erneuerbaren Energien dann noch einen weiter wachsenden Beitrag zur Energieversorgung weltweit leisten, dann kann der Klimawandel hoffentlich begrenzt werden. Eine Umkehrung des in Gang gesetzten Prozesse ist aufgrund der Trägheit des Klimasystems jedoch nicht mehr möglich. 9 Klimaschutz ist in allen gesellschaftlichen Bereichen notwendig: • Die Nutzung der regenerativen Energien spielt eine wesentliche Rolle. • Aber auch die Energieeinsparung ist ein Bereich, in dem jeder Einzelne, jedes Unternehmen, jede öffentliche Einrichtung viel bewirken kann. Gleichzeitig kommt es auch zu einer Minimierung der Energiekosten. Und auch in diesem Bereich kann ich vorhersagen: Ein Absinken der Energiepreise wird es nicht geben. Auch hier spielt der Klimawandel eine Rolle, denn alle herkömmlichen Kraftwerke sind auf Kühlwasser angewiesen. Wo soll dieses Kühlwasser aber in einem trockenen, heißen Sommer hergezaubert werden? • Wie ich ja schon oft erwähnt habe, liegt mir die Sonnenergienutzung ganz besonders am Herzen. Hier sollten alle Haus- und Gebäudetechniker die Chancen der Klimaänderung verstehen und nutzen: Solarthermische Anlagen z.B. schonen die Ressourcen und senken die Betriebskosten. Dies waren nur einige Beispiele. Meine Mitarbeiter sind gern bereit, Sie über andere Möglichkeiten zu informieren. Wir werden heute viele interessante Informationen über den Klimawandel erhalten. Ich wünsche uns bei der Realisierung von Klimaschutzmaßnahmen und bei der Erforschung und Begrenzung des Klimawandels weiterhin viel Erfolg! Prof. Dr. Wolfgang Methling, Umweltminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern 10 Die langfristigen Wirkungen von Witterungsextremen auf Umwelt und Gesellschaft Prof. Dr. Hans-Rudolf Bork, Stefan Dreibrodt und Andreas Mieth Ökologie-Zentrum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Olshausenstr. 75, D-24098 Kiel [email protected] Zusammenfassung Die langfristigen quantitativen Wirkungen des Klimas und der Landnutzung auf die Entwicklung und die Zerstörung von Böden sind weitgehend unbekannt. Dargestellt werden hier von den Verfassern untersuchte und quantifizierte Interaktionen zwischen dem Klima, der Landnutzung, der Landschaftsstruktur, der Bodenentwicklung und der Bodenzerstörung in China, auf der Osterinsel (Chile), auf der Robinson Crusoe Insel (Chile), im Pazifischen Nordwesten der USA, in Deutschland und im nordwestlichen Sibirien (Russland). Vor dem Beginn von Landnutzung trat während des Holozäns in den untersuchten Räumen selbst während extremer Niederschläge keine Bodenerosion auf, da dichte Vegetation die Böden schützte. Erst die Zerstörung der Vegetation durch unterschiedliche Formen der Landnutzung ermöglichte Bodenerosion. Extreme Witterungsereignisse rissen tiefe Schluchtensysteme an genutzten Standorten ein. Das Schluchtenreißen führte in vielen Gebieten zum Wüstfallen. Werden die außerordentlich wirksamen, jedoch sehr seltenen Extremereignisse ausgeschlossen, so zeigt sich in allen landwirtschaftlich genutzten Untersuchungsgebieten ein dramatischer Anstieg der Bodenerosionsraten während des 20. Jahrhunderts infolge der veränderten Landschaftsstruktur, der Einführung neuer Feldfrüchte und neuer Fruchtfolgen, neuer Boden verdichtender Agrartechnik und politischer Entscheidungen. Vergleichbare Veränderungen wurden im Norden des westsibirischen Tieflandes als indirekte Folge der Förderung von Erdöl und Erdgas nachgewiesen. Die Bodenerosion der vergangenen Jahrhunderte und Jahrtausende reduzierte die Bodenfruchtbarkeit an vielen Standorten drastisch. Die heutige Heterogenität der Bodendecke ist ein Resultat der Landnutzung, der Landschaftsstruktur und von seltenen extremen Witterungsereignissen. 1. Einführung Mit der ersten Veränderung der Vegetation durch Menschen, insbesondere mit der Etablierung von Acker- und Gartenbau, Grünlandwirtschaft, Waldnutzung und schließlich der Forstwirtschaft wurden die Energie-, Wasser- und Stoffhaushalte sowie zumindest das lokale Klima und damit die Prozesse der Bodenbildung und Bodenzerstö11 rung wesentlich modifiziert. Vor der Einführung der Mineraldüngung führte die Entnahme von Stoffen mit der Ernte zu einer Abnahme der Gehalte an organischer Substanz, der Gehalte an Mineralstoffen und somit zu einer auf die Landnutzung rückwirkenden Verarmung der Böden sowie häufig zu einer Beschleunigung der Versauerung. Nur wenigen der von den Verfassern in Mitteleuropa, Nord-, Ost- und Vorderasien, Nordost- und Südafrika, Nord- und Südamerika sowie auf ostpazifischen Inseln untersuchten Kulturen gelang vor dem 19. Jahrhundert eine dauerhaft ausreichende Kompensation der erntebedingten Stoffverluste durch die Zufuhr organischen Materials sowie von Mineralstoffen und damit eine nachhaltige acker- oder gartenbauliche Landnutzung. 2. Beispiele für nachhaltige Bodennutzung 2.1 Nachhaltiger Gartenbau der Rapa Nui im Palmwald der Osterinsel (Chile) Polynesische Siedler entwickelten auf der heute chilenischen Osterinsel vor mehr als einem Jahrtausend ein Gartenbausystem, das sie in einem dichten Palmenwald praktizierten (MIETH & BORK 2004). Taro, Yams, Zuckerrohr, Bananen und andere Kulturpflanzen wurden von den Polynesiern erfolgreich zwischen den zahlreichen, vor Bodenerosion und Austrocknung schützenden Palmen angebaut. Für die Bodenbearbeitung wurden Pflanzstöcke eingesetzt; eine Beschädigung der Wurzeln der Palmen wurde so verhindert. Pflanzenreste wurden als organischer Dünger in den Boden eingearbeitet. Ein hoher Humusgehalt resultierte in der mehrere Dezimeter tiefen Pflanzschicht, wie Merkmale der Füllungen von Pflanzlöchern eindrucksvoll belegen. Witterungsextreme blieben unter dem Schutz des Palmenwaldes wirkungslos. Jahrhunderte später beendeten Brandrodungen des Palmenwaldes die nachhaltige Nutzung. Verbrannte Palmstümpfe und durch den Brand fixierte Palmwurzelröhren bezeugen den über mehrere Jahrhunderte praktizierten Rodungsprozess. Witterungsextreme vermochten nunmehr die Bodenfruchtbarkeit zu verändern. 2.2 Früher nachhaltiger Gartenbau im zentralen Lößplateau Nordchinas Im tief zerschnittenen nordchinesischen Lößplateau rodeten die ersten Gartenbauern vor mehr als sieben Tausend Jahren die Vegetation auf den Hängen und auf den Plateauresten. Eine lange Phase intensiven, permanenten Gartenbaus folgte. Die bis zu 1,5 m mächtigen rotbraunen Böden (Cambisole) wurden auf den steilen Hängen flächenhaft abgetragen. Tiefe Schluchten rissen, ausgehend von den schmalen Trockentälern, Hang aufwärts ein. Gartenland ging hier in erheblichem Umfang dauerhaft verloren. Vor etwa 4750 Jahren gelang Bauern nördlich von Yan’an die erfolgreiche Etablierung eines Boden schützenden, nachhaltigen Gartenbausystems. Untersucht wurde der Riedel Zhongzuimao, auf dem am unteren Rand verkleinerter Felder, von etwa 2750 v. Chr. bis zum Jahr 1958 n. Chr. allmählich eine Ackerterrasse aufwuchs. Oberhalb erodiertes Substrat sedimentierte hier. Als die Terrasse eine Höhe von 1,8 12 m und eine Breite von 27 m erreicht hatte, wurde sie von einem Starkniederschlag zerrissen. Die entstandene, 1,5 m tiefe und 2 m breite Schlucht wurde von Bauern rasch mit Material – hauptsächlich kalkhaltigem Löß – aus der näheren Umgebung verfüllt. Bald darauf zerschnitten zwei weitere kleine Schluchten die Ackerterrasse. Beide wurden neuerlich schnell von den Bauern verfüllt. In den folgenden viereinhalb Jahrtausenden verhinderten die Flurstruktur und die Boden schonende Bewirtschaftung linienhafte Bodenerosion auf dem Zhongzuimao vollkommen – ein außergewöhnlich lang anhaltender Erfolg! Schwache flächenhafte Bodenerosion am kurzen Oberhang ließ die Gartenterrasse auf einer Breite von mehr als 80 m maximal 7 m hoch aufwachsen. Selbst seltene extreme Witterungsereignisse wie hundert- oder tausendjährige Niederschläge riefen keine signifikanten Veränderungen der Böden hervor. Erst eine politisch erzwungene Veränderung der Feldfrüchte, der Fruchtfolgen und der Organisationsstrukturen im Rahmen der Kampagne des „Großen Sprungs nach Vorne“ beendete im Jahr 1958 n. Chr. den nachhaltigen Gartenbau. Um mehr als das Dreißigfache stiegen dadurch die Bodenerosionsraten am Zhongzuimao – ohne eine Erhöhung der Frequenzen und Intensitäten extremer Witterungsereignisse (BORK & LI 2002). 3. Beispiele für nicht nachhaltige Landnutzung und ihre Wirkungen auf die Böden 3.1 Wirkungen von Weidewirtschaft, Garten- und Ackerbau sowie Holzwirtschaft Erosionssensitive, nicht nachhaltig genutzte Standorte erfuhren besonders starke Veränderungen durch die Etablierung nicht angepasster Landnutzungssysteme. 3.1.1 Die Altmoränenlandschaften im Westen Schleswig-Holsteins Aufschlüsse in der Dithmarscher Geest im Westen Schleswig-Holsteins belegen häufige und gravierende, auf Nährstoffmangel zurückzuführende Veränderungen der Landnutzung. Der erste Ackerbau endete südlich von Albersdorf im Neolithikum rasch. Einige Starkniederschläge erodierten und transportierten den nährstoffreichen, humosen Pflughorizont auf die Unterhänge und in die kleinen Talauen. Durch die Entfernung der Feldfrüchte bedingte Stoffverluste, die aufgrund fehlender Kenntnis zum Nährstoffkreislauf nicht kompensiert werden konnten, trugen ebenfalls zur Aufgabe des Ackerbaus bei. Auf den Ackerbau folgte eine Phase intensiver Beweidung. Die tonarmen und sandreichen Substrate versauerten in der niederschlagsreichen Region im Verlauf nur wenige Jahrhunderte währender intensiver Beweidung derart stark, dass ein Podsol unter Heidevegetation entstand. Dieser Nutzungswandel und die resultierende Bodendegradierung wiederholten sich jeweils während Bronze- und Eisenzeit (REIß & BORK 2005, Bork 2006). 13 3.1.2 Die Lößlandschaft des Palouse im Pazifischen Nordwesten der USA Europäischstämmige Einwanderer rodeten – in Unkenntnis der Witterungsextreme (insbesondere der Winterkälte, der Häufigkeit, Intensität und Wirksamkeit von Starkniederschlägen sowie der Wirkungen von Schneeschmelzen) – im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Lößlandschaft des Palouse im Südosten des Staates Washington erstmals Langgrassteppen und Wälder. Trotz der Anspannung zahlreicher Zugtiere vor Pflüge und Erntemaschinen blieb die ackerbauliche Nutzung auf die Auen und die schwach geneigten Unterhänge der fruchtbaren, hügeligen Lößlandschaft beschränkt. Geringe Bodenerosionsraten resultierten auf den Äckern. Die Einführung von Zugmaschinen ermöglichte dann in den 1930-er Jahren die ackerbauliche Nutzung auch sehr steiler Hänge. In einer zweijährigen Fruchtfolge wird seitdem im Wechsel mit einjähriger Schwarzbrache hauptsächlich Sommerweizen angebaut. Reißt ein sommerlicher Starkniederschlag auf den Hängen Erosionsrillen ein, ist der Farmer gezwungen, baldmöglichst zu pflügen oder zu grubbern, um das Einschneiden tiefer Schluchten in den kleinen Rillen während des nächsten Starkniederschlages zu verhindern. So werden nicht nur durch Starkniederschläge Bodenpartikel fortgeführt (auf manchen Hängen werden durch Oberflächenabfluss mehr als 100 Tonnen Boden pro Hektar und Jahr erodiert), auch die Bodenbearbeitung transportiert in erheblichem Umfang Bodenpartikel Hang abwärts. In sieben Jahrzehnten wurden manche Standorte viele Hundert Mal gepflügt. Auf den Kuppen wurden die fruchtbaren degradierten Schwarzerden dadurch nicht selten vollständig fortgepflügt (GELDMACHER 2002, BORK 2006). Kalkhaltiger Löß steht dann dort an. Wassererosion entfernte auf den steilen Mittelhängen den Boden teilweise; auf den Unterhängen liegen Kolluvien. Sieben Jahrzehnte intensiven Ackerbaus haben damit eine homogene fruchtbare Bodendecke in einen heterogenen Flickenteppich aus kalkhaltigem Löß mit geringem Wasserhaltevermögen, aus unterschiedlich mächtigen Relikten degradierter Schwarzerde und aus Kolluvien verwandelt. Der Ackerbau ist erschwert, die Erträge sind reduziert. Einige Standorte haben im Palouse seit den 1930-er Jahren die dort geringmächtige Lößdecke aufgrund der Bodenerosion durch sommerliche Gewitterniederschläge und Schneeschmelzabfluss vollkommen verloren. Basalte stehen jetzt an diesen wüst gefallenen Standorten an. 3.1.3 Im Süden Sichuans (Südwestchina) Das Volk der Yi nutzte Bergwälder im Süden von Sichuan – von wenigen, durch Konflikte mit den Han ausgelöste Ausnahmen im späten 19. Jahrhundert abgesehen – bis in das Jahr 1958 n. Chr. nachhaltig. Starkniederschläge blieben wirkungslos. Im Jahr 1958 bewirkte der Energiebedarf durch den „Großen Sprung nach Vorne“ ausgedehnte Rodungen. Aufforstungsversuche durch das Abwerfen von Kiefernsamen aus Flugzeugen schlugen noch 1958 fehl. Im Untersuchungsgebiet Xixi im Südwesten Sichuans wurden die Rodungsflächen zunächst als Weide- und ab 1965 als Ackerland genutzt. Die Yi legten ohne die notwendigen technischen Kenntnisse Ackerterrassen an. Dadurch wurden Starkniederschläge wirksam und linienhafte Bodenerosion entschei14 dend gefördert. Bodenerosionsraten von mehr als 300 Tonnen pro Hektar und Jahr traten auf. Das Ackerterrassensystem wurde zerschluchtet. Im Jahr 1985 wurde das Gebiet mit Kiefern aufgeforstet. Seitdem ist die Bodenerosion unbedeutend (Bork 2006). 3.1.4 Der Archipel Juan Fernández (Chile) Auf der im östlichen Pazifik im Archipel Juan Fernández gelegenen, heute chilenischen Robinson Crusoe Insel setzten aus Spanien stammende Siedler im Jahr 1591 Ziegen aus, die sich im 16. und 17. Jahrhundert massenhaft vermehrten. Die Entnahme wertvoller Hölzer (z. B. des Sandelholzes Santalum fernandezianum) veränderte die Vegetation der kaum 50 km² kleinen Insel vor allem im 18. und 19. Jahrhundert weiter. Anlässlich der Eröffnung des Nationalparks im Jahr 1936 ausgesetzte Kaninchen vermehrten sich drastisch. Die unkontrollierte Holzentnahme, Brände, die Ziegen- und Kaninchenplagen vernichteten die küstennahen Wälder vollständig. Witterungsextreme begannen zu wirken, Bodenerosion setzte ein. Hauptsächlich im 20. Jahrhundert wurden die Böden flächenhaft auf den Abb.1: Untersuchungsraum Isla Unterhängen erodiert und in den Pazifik gespült. Robinson Crusoe, Chile Eine Wiederbesiedlung der Erosionsflächen mit Vegetation ist aufgrund der geringen Infiltrationskapazität der exponierten Gesteine und der häufigen, Oberflächenabfluss erzeugenden Starkniederschläge nicht absehbar. 3.2 Wirkungen von Erschließungsmaßnahmen 3.2.1 Erdöl- und Erdgasförderregion Ugra im Nordwesten Sibiriens (Russland) Die kleinen Völker der Khanten, Mansen, Yamalen und Nensen nutzten den Norden der Westsibirischen Tiefebene bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts als Jäger, Sammler, Fischer und Rentierhalter nachhaltig. Gelegentliche Brände veränderten die Vegetation der Tundra und der Taiga. Jedoch entstand nur sehr selten und nur an wenigen Standorten Feststoff verlagernder Oberflächenabfluss durch Starkniederschläge. In den 1950-er Jahren wurden Erdöl und Erdgas in Nordwest-Sibirien entdeckt. Die Zahl der Förderstandorte und die Länge von Bahnstrecken und Straßen nehmen seitdem beständig zu. Straßen und Bahnlinien werden über mehrere Meter hohe Sanddämme geführt; Siedlungen und Förderstandorte erhalten mächtige Fundamente aus Sand – um die Bodenbewegungen durch Tau- und Gefrierprozesse zu mindern. Die Gewinnung der riesigen benötigten Sandmengen hat inzwischen begonnen, Tundra und Taiga nachhaltig zu verändern. 15 Östlich Khanty-Mansiysk wird der Sand im Sommer mit Schwimmbaggern am Rand kleiner Flüsse durch Abpumpen gewonnen. Das Fließverhalten der Flüsse ändert sich an den Sandentnahmestandorten und unterhalb; Seiten- und Sohlenerosion wird verstärkt. Der auf verdichteten, betonierten oder asphaltierten Oberflächen während der Schneeschmelzen oder der sommerlichen Starkniederschläge auftretende Oberflächenabfluss spült Sand von den Straßenböschungen in die Auen auf die dortigen Niedermoore. Im Verlauf der erst ein halbes Jahrhundert währenden Phase der Erdölförderung entstanden in den Auen bis zu 5 m hohe Flussterrassen – ein Prozess, der hier an kleinen Flüssen erstmals im Holozän auftritt. In der Tundra mit dem nur wenige Dezimeter auftauenden Dauerfrostboden werden in Straßennähe anstehende Sande durch flaches Abschieben entnommen – gelegentlich auf einzelnen Flächen, die mehrere Quadratkilometer einnehmen. Die Vegetation der Tundra mit ihrer dichten, den Boden (außer an den wenigen stärker geneigten Hangstandorten mit Solifluktion) vor Verlagerung vorzüglich schützenden Decke aus Flechten, Moosen, Kräutern, niedrigen Sträuchern und Bäumen wird zerstört. Starke Winde transportieren im Sommer Sandkörner von den Entnahmeflächen in die Umgebung. Eine Sandschicht überzieht flächenhaft die dortigen Nieder- und Hochmoore. Dünen entstehen und wandern über Tundra und durch die nördliche Taiga. Zwar haben die Förderung von Erdöl und Erdgas sowie der resultierende Bau von Straßen, Bahntrassen und Siedlungen erst einen geringen Teil des Nordens der Westsibirischen Tieflandes direkt verändert. Jedoch wurden erstmals im Holozän Prozesse initiiert, die in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten aktiv und sichtbar bleiben und ausgedehnte Gebiete indirekt über den Transport von Partikeln erfassen werden. Tundra und Taiga erfahren hier eine von den Gas- und Ölverbrauchern in Europa kaum wahrgenommene dramatische Veränderung. 3.2.2 Späte Landnahme auf Floreana (Galápagos, Ekuador) Auf der kleinen Insel Floreana verhinderten geringe Hangneigungen, ein hohes Wasseraufnahmevermögen der Substrate und eine dichte Vegetation bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gravierende Oberflächenabflussbildung und Bodenerosion, obwohl im drei- bis zehnjährigem Rhythmus mit den El Nino-Ereignissen immer wieder extreme Starkniederschläge auftraten. Diese vermochten jedoch auf den durchlässigen Substraten in den vergangenen Jahrhunderten stets vollkommen zu versickern. Auch die Nutzung eines kleinen Areals im Hochland der Insel durch eine 1932 eingewanderte deutsche Familie änderte an dieser Situation zunächst nichts. Erst der Umzug der Siedler vom Hochland an die Westküste in den frühen 1950-er Jahren bewirkte die schneisenartige Zerstörung der Vegetation durch Anlage eines Verbindungsweges und die flächenhafte Zerstörung der Vegetation durch Hausbau und Brände in Küstennähe. Seitdem wirkt der in Gefällsrichtung vom Hochland zur Westküste führende Weg als Abflussbahn. Der Abfluss verlässt den verdichteten Weg und reißt tiefe Rillen in die lockere Tephra. Thor Heyerdahl beobachtete hier im El Niño-Jahr 1953 die lokal 16 starke linienhafte Bodenerosion. Im El Nino-Sommer 1982/3 schnitten sich erneut Rillen ein. Die unsachgemäße Anlage von Weg und Siedlung beendete die jungholozäne geomorphodynamische Stabilitätsphase. (BORK & MIETH 2005) 4. Kombinationswirkungen intensiver Landnutzung und seltener extremer Witterungsereignisse 4.1 Der Norden Zentraloregons im Pazifischen Nordwesten der USA In der Umgebung von Monument, im Norden Zentraloregons, begannen Ackerbau und intensive Beweidung durch europäischstämmige Siedler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die nachhaltige Nutzung der erosionssensitiven Region durch indigene amerikanische Völker endete abrupt. Bis in das frühe 20. Jahrhundert wurden auf einigen ackerbaulich genutzten Hängen die geringmächtigen fruchtbaren, wasserdurchlässigen Böden nahezu vollständig flächenhaft erodiert und als Kolluvien auf den Unterhängen sowie als Auensedimente in kleinen Auen abgelagert. Gesteine mit geringer Wasserdurchlässigkeit gelangten auf den Hängen an die Oberfläche. Seitdem tragen diese Standorte bereits während mäßig starker Niederschläge zur Abflussbildung bei. Häufigkeit und Intensität der Hochwasser in den größeren Vorflutern wuchsen. Wenige Starkniederschläge sorgten in den 1920-er Jahren im Einzugsgebiet des East Fork Cottonwood Creek bei Monument für extrem hohen Oberflächenabfluss auf den vegetations- und bodenfreien Standorten und für das Einreißen bis zu 15 m tiefer Schluchtsysteme zuerst an den Tiefenlinien und bald darauf auf den Unterhängen (GELDMACHER 2002). Gleichzeitig wurden an weiteren Standorten landwirtschaftlich nutzbare und genutzte Böden flächenhaft erodiert. Der Ackerbau endete in dieser kurzen und verheerenden Starkniederschlags- und Bodenerosionsphase. Die Intensität der Beweidung wurde reduziert. Da die häufige Abflussbildung auf den nunmehr exponierten, wenig durchlässigen Substraten bis heute anhält, werden eine Wiederbesieldung durch Pflanzen und die Bildung wieder landwirtschaftlich nutzbarer Böden in den kommenden Jahrhunderten oder Jahrtausenden verhindert. 4.2. Deutschland Das Zusammentreffen von intensiver Landnutzung auf ganzen Hängen und außergewöhnlich extremen Starkniederschlägen hatte auch auf die Böden Deutschlands verheerende Wirkungen. So verursachte der 1000-jährige Niederschlag im Juli des Jahres 1342 vom Rhein bis zur Oder, von der Donau bis zur Eider die bei weitem stärkste Bodenerosion, die ein einzelnes Ereignis während des Holozäns in Mitteleuropa außerhalb der Alpen auslöste. Etwa ein Drittel der kumulierten Bodenerosion der vergangenen eineinhalb Jahrtausende wurde hauptsächlich durch dieses sowie ein weiteres, vorausgegangenes Extremereignis in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts verursacht (BORK ET AL. 1998). Zwar sind in Deutschland nur wenige hügelige, mit 17 lehmig-sandigen Substraten bedeckte Landschaften wie der Kraichgau, das Untereichsfeld oder die Hallertau stark erosionsgefährdet. Dennoch wurden im Juli 1342 auch andere, intensiv landwirtschaftlich genutzte Räume verheert. Ausgedehnte Gebiete fielen für Jahrhunderte (z. B. in den Jungmoränenlandschaften NordostDeutschlands) oder gar dauerhaft wüst. So verschwanden in den Mittelgebirgen an vielen Hängen die geringmächtigen fruchtbaren Böden vollständig. Seitdem sind dort wieder verbreitet nur langsam verwitternde Festgesteine exponiert. Träfe das Tausendjährige Ereignis auf intensiv und einheitlich ackerbaulich oder als Grünland genutzte große Schläge mit starken Hangneigungen in erosionssensitiven Räumen, wie dem nordchinesischen Lößplateau oder dem Palouse im Nordwesten der USA, wären für die Bewohner kaum vorstellbar verheerende Schäden die Folge. Innerhalb weniger Stunden würden tiefe Schluchten einreißen. Flächenhaft würde die fruchtbare Krume viele Zentimeter bis mehrere Dezimeter tief erodiert. Mächtige Kolluvien und Schwemmfächer würden sich auf den Unterhängen entwickeln. In kleinen Auen würde ein mächtiges Schluff reiches Auensediment aufwachsen und die dortigen humosen Böden tief verschütten. Die Boden- und die Reliefheterogenität würden weiter zunehmen, der Gehalt der Substrate an organischer Substanz in Oberflächennähe stark abnehmen. Ausgedehnte Flächen würden dauerhaft aus der agrarischen Landnutzung fallen. Das Extremereignis würde kleine Reservoire vollständig verfüllen und nicht nur deren Nutzphase als Hochwasserrückhaltebecken oder Bewässerungsbecken schlagartig beenden, sondern damit auch neue Gefährdungen durch nachfolgende schwächere Ereignisse für die Unterlieger schaffen. Flüsse würden ihren oftmals von Dämmen übermäßig stark eingeengten Überflutungsraum verlassen und neue Wege suchen, nicht selten auch in Siedlungen und Industriegebieten. Die volkswirtschaftlichen Schäden würden in Anbetracht der in Auen kumulierten, scheinbar geschützten Werte unvorstellbare Ausmaße erreichen. 5. Schlussfolgerungen Die erste gravierende Veränderung der Boden schützenden Vegetation durch Menschen begann in den untersuchten Räumen zu sehr verschiedenen Zeitpunkten (Bork 2006): • im tief zerschnittenen nordchinesischen Lößplateau durch Beweidung, Gartenoder Ackerbau vor mehr als 7000 Jahren, • in Mitteleuropa ebenfalls durch Beweidung, Garten- oder Ackerbau bereits während des Neolithikums (in Süddeutschland in einigen Regionen mit fruchtbaren Böden bereits vor mehr als 7000 Jahren, in Norddeutschland vor über 5500 Jahren), • auf der Osterinsel (Chile) durch Gartenbau vor etwa 1300 Jahren, • auf der Robinson Crusoe Insel im Jahr 1591 durch die Einführung und spätere Massenvermehrung von Ziegen, im 19. Jahrhundert durch Holzentnahme und im 20. Jahrhundert durch die Einführung von Kaninchen, 18 • im Pazifischen Nordwesten der USA durch Ackerbau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, • im Süden von Sichuan (China) durch Weidewirtschaft im Jahr 1958 und Ackerbau von 1965 bis 1985, • auf der Insel Floreana (Galápagos-Archipel) in den 1950-er Jahren durch Vegetationszerstörung aufgrund von Siedlungstätigkeit und der Anlage von Verbindungswegen zwischen dem Hochland und der Westküste und • im nordwestsibirischen Tiefland (Russland) in den 1980-er Jahren durch die Entnahme und Aufschüttung von Sand im Zusammenhang mit der Rohstoffgewinnung und der dazu erforderlichen Landerschließung. Lediglich auf der Osterinsel führten bereits die ersten polynesischen Gartenbauern vor etwa 1300 Jahren sofort ein Boden schonendes, nachhaltiges Landnutzungssystem ein. An den übrigen Untersuchungsstandorten bedingte die erste Landnutzung durch Tierhalter, Garten- oder Ackerbauern andersartige Bodenbildungsprozesse; Bodenerosion durch Wind oder Oberflächenabfluss war die Folge. Vor den ersten gravierenden Veränderungen von Vegetation und Böden waren einige der untersuchten Standorte über viele Jahrhunderte oder Jahrtausende extensiv und nachhaltig von Jägern, Sammlern, Fischern oder Tierhaltern genutzt worden (Pazifischer Nordwesten der USA, Nordwesten Sibiriens, südliches Sichuan im Südwesten Chinas, Mitteleuropa), andere waren davor unbesiedelt (Isla Robinson Crusoe). Mit dem Beginn der dauerhaften Besiedlung von Landschaften veränderten Menschen direkt und indirekt an den von Landnutzung betroffenen Standorten • das lokale Klima, • den Energiekreislauf, • den Wasserkreislauf, • die Stoffkreisläufe, • die Prozesse der Bodenbildung, • Bodeneigenschaften wie die Aggregatstabilität sowie • die Prozesse der Bodenerosion. Witterungsextreme wurden wirksam. Insbesondere die Böden und das Relief entwickelten und entwickeln sich unter dem Einfluss der Landnutzung völlig andersartig als unter von Menschen nicht oder kaum beeinflussten Bedingungen. In einigen Regionen Chinas, Nordamerikas sowie Mittel- und Westeuropas existieren heute keine Standorte mehr, deren Entwicklung ohne bedeutsame anthropogene Einflüsse und Eingriffe ablief. Kulturböden haben natürliche Böden ersetzt, Kulturlandschaften sind an die Stelle von Naturlandschaften getreten. Außerhalb höherer Gebirgslagen ist in Deutschland kein Hangstandort bekannt, der nicht im Verlauf von Urgeschichte, Mittelalter oder Neuzeit genutzt worden wäre. 19 Zahlreiche Standorte besitzen eine hohe Sensitivität für eine landnutzungsbedingte Veränderung der Boden bildenden Prozesse und für eine Initiierung von Boden zerstörenden Prozessen. Besonders erosionssensitiv sind steile, lange, breite und leicht konkave Hangabschnitte mit geringem Wasserspeichervermögen auf der Geländeoberfläche, mit Abfluss konzentrierenden Strukturen und einem geringen Wasseraufnahmevermögen an der Geländeoberfläche und einer geringen Stabilität der oberflächennahen Bodenaggregate. In einem derartigen, stark sensitiven Landschaftsausschnitt können bereits geringfügige Veränderungen der Vegetation und der Bodeneigenschaften durch den wirtschaftenden Menschen zu starken Modifikationen der Boden bildenden Prozesse und zur Bodenzerstörung führen. In wenig sensitiven Landschaftsausschnitten führen erst gravierende Veränderungen der Vegetation und der Bodeneigenschaften durch den wirtschaftenden Menschen zu signifikanten Modifikationen der Boden bildenden Prozesse und zur Bodenzerstörung. Extrem seltene, z. B. 500-jährige oder 1000-jährige Starkniederschläge vermögen auch auf wenig sensitiven Standorten verheerend zu wirken – wenn ein ausreichender Schutz der Oberfläche durch Vegetation nicht gegeben ist. Die Prozesse der Wasser- und Winderosion wurden auf vegetationsarmen oder –freien Oberflächen immer durch natürliche Ereignisse ausgelöst: durch Oberflächenabfluss während starker Niederschläge oder plötzlich abschmelzende wasserreiche Schneedecken oder durch hohe Windgeschwindigkeiten. Das Ausmaß der Bodenerosion variierte in den untersuchten, genutzten Gebieten zeitlich und räumlich sehr stark. In den früh besiedelten Regionen Chinas, z. B. am Zhongzuimao im Lößplateau, wurden die Böden bereits in den ersten Jahrhunderten oder ein bis zwei Jahrtausenden des Garten- und Ackerbaus fast vollständig flächenhaft abgetragen und die Unterhänge zerschluchtet. Erst seitdem prägt kalkhaltiger Löß (wieder) die Oberfläche der Landschaften. Der Gartenbau konnte außerhalb der zerrunsten Unterhänge fortgesetzt werden. Auch einige mitteleuropäische Standorte verloren schon im Verlauf von Neolithikum, Bronze- oder Eisenzeit vollständig ihre damals oft humusreichen, fruchtbaren Böden (BORK 1983). Zumeist vorübergehende Extensivierungen oder Nutzungsaufgaben waren die Folge. In den Mittelgebirgen wurden geringmächtige Böden im Verlauf von Mittelalter und Neuzeit, zu einem erheblichen Teil im 14. Jahrhundert, auf den Ober- und Mittelhängen häufig vollständig erodiert. Im Norden und im Nordosten Deutschlands erodierten zumindest die Oberböden auf den Mittelhängen. In Löß verkleideten Becken wurden die holozänen Böden vollständig auf vielen steilen Mittelund Oberhängen abgetragen. Das Schluchtenreißen verheerte Lößlandschaften in Mitteleuropa ebenfalls besonders im 14. und im 18. Jahrhundert. Seltene extreme Witterungsereignisse bedingten den weit überwiegenden Teil dieses Bodenverlustes. Die durch Nutzung ermöglichte holozäne Bodenerosion führte an den meisten untersuch20 ten Standorten zu einer Jahrhunderte oder Jahrtausende währenden Minderung der Bodenfruchtbarkeit. Grundlegende Veränderungen der Landnutzungssysteme und –intensitäten durch Landnahme, Kolonisierung, Expansion, Technisierung und politische Umbrüche führten im 20. Jahrhundert zu einer Vervielfachung der Bodenerosionsraten (Bork 2006): • auf der Poike Halbinsel im Osten der Osterinsel in den 1930-er Jahren durch eine außergewöhnlich hohe Schafdichte (bis zu 10.000 Schafe auf einer Fläche von nur 900 ha) und jährliche Brände, • im Einzugsgebiet von Dwight’s Creek im Palouse (Washington, USA) im Jahr 1935 mit dem Ersatz der Zugtiere durch Zugmaschinen, die eine ackerbauliche Nutzung auch steilster Lößhänge ermöglichte, Abb.2: Rapa Nui (Osterinsel), Chile • im Einzugsgebiet des East Fork Cottonwood Creek (Oregon, USA) im frühen 20. Jahrhundert durch die ackerbauliche Nutzung und die intensive Beweidung erosionssensitiver Standorte mit geringmächtigen Böden, • auf dem Zhongzuimao (Provinz Shaanxi, China) im Jahr 1958 durch veränderte Feldfrüchte, Fruchtfolgen und Eigentumsverhältnisse, • im Westen von Floreana durch unsachgemäßen Wegebau und Brände in den frühen 1950-er Jahren, • bei Xixi (Provinz Sichuan, China) im Jahr 1958 imao, Shaanxi, VR China) durch Waldrodung und im Jahr 1965 durch die unsachgemäße Anlage von Ackerterrassen und den nachfolgenden Ackerbau, • in Deutschland in den 1950-er, 1960-er, and 1970-er Jahren durch Flurbereinigung bzw. Kollektivierung sowie • im Nordwesten Sibiriens in Sandabbau- und Sandverwendungsgebieten vor allem seit den 1980-er Jahren. Abb.3: Pflugexperiment (Zhongzu- Der explosionsartige Anstieg der Bodenerosionsraten in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen Regionen der Erde hat seine Ursache bislang nicht in häufigeren oder intensiveren Starkniederschlägen, Stürmen oder Schneeschmelzen. Alleine von Menschen geschaffene ungünstige Vegetations- und Landschaftsstrukturen, die unsachgemäße Anlage von Infrastruktur, die Intensivierung der Landwirtschaft, technische Entwicklungen, Modifikationen der politischen und sozialen Gegebenheiten sowie das andersartige Verhalten der Bevölkerung im ländlichen Raum bedingten die Veränderungen der Böden. 21 6. Literatur BORK, H.-R. (1983): Die holozäne Relief- und Bodenentwicklung in Lößgebieten -Beispiele aus dem südöstlichen Niedersachsen. In: H.-R. Bork & W. Ricken, Bodenerosion, holozäne und pleistozäne Bodenentwicklung, Catena Suppl. 3: 1-93; Braunschweig. BORK, H.-R. (2006): Landschaften der Erde unter dem Einfluss des Menschen. 207 S. Darmstadt. BORK, H.-R., H. BORK, C. DALCHOW , B. FAUST, H.-P. PIORR & T. SCHATZ (1998): Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa. Klett-Perthes, Gotha. BORK, H.-R. & Y. LI (2002): 3200 Reliefentwicklung im Lössplateau Nordchinas – Das Fallbeispiel Zhongzuimao. Peterm. Geogr. Mitt. 146 (2): 80-85. BORK, H.-R. & A. MIETH (2005): Catastrophe on an enchanted island: Floreana, Galápagos, Ecuador. Rapa Nui Journal 19/1: 25-29. Los Osos (Easter Island Foundation). GELDMACHER, K. (2002): Landschaftsentwicklung und Landnutzungswandel im Pazifischen Nordwesten der USA seit 1850. Dissertation. Mathem.-Naturwiss. Fakultät der Universität Potsdam. 139 S. Potsdam (unveröffentlicht). MIETH, A. & H.-R. BORK (2004): Easter Island - Rapa Nui. Scientific Pathways to Secrets of the Past. Man and Environment 1. 111 S. Kiel (CAU). REIß, S. & H.-R. BORK (2005): Landnutzung, Bodenerosion, Boden- und Reliefentwicklung – Ein Beitrag zur Landschaftsgeschichte in der Umgebung von Albersdorf (Dithmarscher Geest). In: R. Kelm (Hrsg.), Frühe Kulturlandschaften in Europa. Albersdorfer Forschungen zur Archäologie und Umweltgeschichte 3: 68-85. Heide (Boyens). 22 Leben mit der Katastrophe – Möglichkeiten und Grenzen eines reflektierten nachhaltigen Lebensstils angesichts des Klimawandels Prof. Dr. Wolfgang Nieke Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik Institut für Allgemeine Pädagogik und Sozialpädagogik Philosophische Fakultät Universität Rostock 1. Klimawandel als Katastrophe Die gegenwärtig konstatierte Erwärmung des Erdklimas wird von den meisten Autoren auf den anthropogenen Kohlendioxideintrag in die Atmosphäre zurückgeführt, verursacht durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Kohle und Erdgas sowie durch andauernde Kohlenflözbrände (in Indien und China) und Waldbrände, die von Menschen verursacht worden sind. Diese Erwärmung wird für bedrohlich gehalten, weil sie katastrophale Auswirkungen auf die Lebensbedingungen und die Lebensräume auf der Erde haben könnte. Da sie menschengemacht ist, muss es also grundsätzlich möglich sein, sie durch entschiedenes, koordiniertes menschliches Handeln anzuhalten oder sogar rückgängig zu machen, um die befürchtete Katastrophe zu verhindern. Um das zu erreichen, wird der Klimawandel als Katastrophe dargestellt, um die Bereitschaft zu erzeugen, durch entsprechendes Handeln, also eine schnelle Verminderung des anthropogenen Kohlendioxideintrages in die Atmosphäre, das Schlimme zu vermeiden. Diese Argumentationskette soll im Folgenden auf ihre Triftigkeit untersucht werden. 1.1 Einordnung der gegenwärtigen Erwärmung in die Erdgeschichte Das gegenwärtige Klimageschehen befindet sich, eingeordnet in die bisher rekonstruierte Erdgeschichte, in einer kurzen Phase der Zwischeneiszeit, die seit 11 000 Jahren anhält. Das ist eine sehr kurze Zeit, und wenn man die Regelmäßigkeiten der letzten Jahrhunderttausende betrachtet, dann ist zu erwarten, dass das Klima in nicht all zu ferner Zeit wieder in den vorherigen Status der Eiszeit zurückkehren wird. Eine Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur um einige Grad, wie sie gegenwärtig als Maßstab eines Klimawandels mit womöglich katastrophalen Folgen diskutiert wird, ist also erdgeschichtlich minimal und unerheblich, da sie vermutlich in diesen längeren Zeitdimensionen betrachtet schon bald von einem erheblichen Temperaturabschwung abgelöst werden wird. 23 An diese langwelligen Temperaturunterschiede hat sich die Biosphäre jeweils angepasst. Im Blick auf diesen Befund kann es kein sinnvolles Handlungsziel für die Menschheit sein, einen Klimazustand in einem Mikrobereich stabil halten zu wollen, weil die langwelligen Einflüsse viel stärker wirken und unvermeidlich sind. Außerdem dürfte wohl nur ein Drittel der gemessenen Veränderungen auf menschliche Einflüsse zurückkehren; die anderen zwei Drittel sind Effekte periodischer Schwankungen der Intensität der Sonneneinstrahlung. 1.2 Welche Auswirkungen sind zuverlässig zu erwarten? Allerdings werden in den Diskursen über den katastrophisch konnotierten Klimawandel derzeit konkrete Szenarien vorgestellt, was sich in den nächsten Jahrzehnten ändern und einstellen könnte. Grundthese dabei ist, dass durch die anthropogene induzierte Erwärmung des Erdklimas unabsehbare, irreversible Folgen für die Ökosphäre entstehen können, wie die indirekt gewinnbaren Erkenntnisse über die Erdgeschichte mit ihren starken Klimaschwankungen zeigen kann. In einer kurzfristigen Perspektive von einigen Jahrzehnten oder auch Jahrhunderten werden Folgen der Erwärmung prognostiziert wie eine Überflutung einiger Flachküsten und Inseln, ein Vorrücken von Tropenkrankheiten nach Norden, einer verstärkten Bodenerosion. Gravierender wäre ein Versiegen des Golfstroms. Vor allem eine Überflutung der Flachküsten durch ein schnelles Abschmelzen des Polkappeneises und einen dadurch bedingten Anstieg der Meereshöhe um einen Meter könnte den Lebensraum von einigen hundert Millionen Menschen vernichten, die zu den Ärmsten auf dem Planeten gehören (Fair Future...). Dieses Szenario ist es vor allem, das in den Warnungen als faktisch unausweichliche Konsequenz vor Augen gestellt wird. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass dieses KatastrophenSzenario des Klimawandels spekulativ ist, wenn auch durchaus naturwissenschaftlich begründet. Es kann aber nur abstrakte Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten des Prognostizierten abgeben. Genau wie bei einer alltäglich gemachten Wettervorhersage auf Grund meteorologisch erhobenen und interpretierter Daten kann es durchaus auch anders kommen, besser oder schlechter als das als das wahrscheinlichste angenommene und vorausgesagte Szenario. Wegen der vielen unbekannten Zusammenhänge im globalen Klimageschehen ist die Eintreffenswahrscheinlichkeit dieses Szenarios keineswegs so hoch wie eine Wetterprognose, so dass die negativen Folgen einer restriktiven Politik des Kohlendioxideintrags in die Atmosphäre sehr genau mit dieser gar nicht so hohen Wahrscheinlichkeit abgewogen werden müssen. Ein solches Denken in Wahrscheinlichkeiten und Risikoabschätzungen ist durchaus weit entfernt vom Alltagsdenken, das gewohnt ist, in klaren, unilinearen Kausalitäten die Welt aufzuordnen. Dementsprechend schwierig ist die publizistische 24 und politische Vermittlung einer solchen Denkungsart in den öffentlichen Diskurs über eine solcherart angelegte globale Klimapolitik. 1.3 Katastrophenszenarien als Die Grenzen des Wachstums Bestandteil der Umweltkommunikation: Katastrophenszenarien haben den Diskurs über den Schutz der endlichen Ressourcen und den Schutz der Menschheit vor globalen Gefahren von Anfang an bestimmt: einmal über das Szenario des größten anzunehmenden Unfalls (GAU) in einem Atomkraftwerk mit erheblicher, lang andauernder radioaktiver Verstrahlung großer Areale, und zum anderen die Katastrophenwarnungen nach einer Übernutzung der Ökosphäre bei ungehindertem Wachstum durch das MIT mit dem Bestseller über die Grenzen des Wachstums (1979). Dieses Szenario gab konkrete Jahreszahlen für den Eintritt negativer Auswirkungen von übermäßigen Schadstoffeinträgen in die Ökosphäre an, und da diese Wirkungen zu den vorausgesagten Jahren nicht eintraten, geriet diese Form von Katastrophen-Szenario in Misskredit. Jede neuerliche Warnung steht seitdem in der Gefahr, mit Verweis auf diese nicht eingetretene Prognose als von vornherein falsch und unerheblich abgetan zu werden. 2. Das Leben im Angesicht einer kurz bevorstehenden Katastrophe als fester Topos im kollektiven Menschheitsgedächtnis Das kollektive Menschheitsgedächtnis – d .h. das Insgesamt der Kulturen – ist erprobt in Warnungen vor Katastrophen und Ratschlägen für den Umgang damit: Kassandra aus der griechischen Mythologie, Sodom und Gomorrha als Strafandrohung für unsittlichen Lebenswandel im Alten Testament, die Apokalypse des Johannes-Evangeliums die Milleniums-Eschatologie des christlichen Mittelalters, später dann so etwas wie Spenglers Untergang des Abendlandes. Entweder muss man sich danach in ein von außen, den Göttern vorbestimmtes Schicksal in Würde fügen (Stoa), oder die Warner verbinden ihre Warnung mit Hinweisen auf eine Umkehr im Lebensstil, meist spirituell und religiös konnotiert. Dabei kann dann ein gottergebener Lebensstil diese Gottheit besänftigen, so dass die Katastrophe, die als Strafe interpretiert wird, ausbleibt. Das wirkt auch im Einzelfall: alle Unbelehrbaren gehen unter, der einzelne Umgekehrte wird errettet, wie es die Geschichte von Noah und seiner Arche als Rettung in der Sintflut erzählt. 3. Die Erderwärmung und ihre möglichen Folgen sind unvermeidlich Im Folgenden möchte ich eine überraschende und auch unangenehme These vorstellen und begründen, die zwar weiterhin eine Katastrophe als möglich ansieht, nicht aber die des Klimawandels. Die beschriebene, allgemein erwartete Klima-Katastrophe ist zwar menschengemacht, und die Menschheit insgesamt macht sich daran schuldig. Der Beitrag des Einzelnen ist winzig, kaum messbar und isoliert betrachtet irrelevant. Das gilt auch für 25 vorbildliche Lebensstile, die veröffentlicht werden, um zum Nachahmen anzuregen (etwa Leo Hickman: Fast Nackt. Berlin: Pendo 2006). Um das Übel abzuwenden, müssten also alle gleichzeitig und koordiniert in eine bestimmte Richtung handeln. Solche Koordinationen funktionieren in den Sozialverbänden der Gemeinde bis hin zu den Nationalstaaten, wenn diese über eine Autorität und funktionierende Staatsmacht verfügen, die es ermöglichen, Vorgaben auch gegen die Primärinteressen ihrer Bürger im Sinne eines höherrangigen Gemeinwohls durchzusetzen. Das gelingt aber bisher nicht oder nur rudimentär in überstaatlichen Verbänden wie der Europäischen Union und den Vereinten Nationen, weil der Egoismus der nationalstaatlichen Führungen eine Orientierung an einem Gemeinwohl immer dann verhindert, wenn dieses mit nationalstaatlichen Partikularinteressen kollidiert. Diese Konstellation dürfte sich nach allem, was die Politikwissenschaft zu überstaatlichen Institutionen an gesichertem Wissen zusammengetragen hat, in absehbarer Zeit nicht ändern und ändern lassen – es sei denn in der Erfahrung einer weltumspannend wirkenden Katastrophe (Weizsäcker, Wege aus der Gefahr – kann die Menschheit nur aus Katastrophen lernen?). Die Konsequenz dieser Überlegungen ist: Der Klimawandel und die daraus vielleicht resultierenden Katastrophen für die Ökosphäre sind unvermeidbar. Wenn diese Überlegung zutreffend ist, muss das weitreichende Folgen für die Umweltpolitik, für das Nachdenken über eine nachhaltige Entwicklung insgesamt haben. 4. Die vermutlich tatsächlich eintretende Katastrophe: Weltwirtschaftskrise nach plötzlicher Preisexplosion für Erdöl und Erdgas Aber all diese Klimafolgen, deren Eintretenswahrscheinlichkeit nur sehr ungenau abgeschätzt werden kann, werden vermutlich gar nicht eintreten, weil der anthropogene Kohlendioxideintrag bereits in zehn bis dreißig Jahren weitgehend zum Erliegen gekommen sein wird; denn bis dahin werden die Reserven an Öl und Gas aufgebraucht sein. Alle bisher diskutierten Prognosen müssen derzeit stark reduziert korrigiert werden, da China und Indien in ihrer schnell und stark nachholenden Entwicklung einen großen Teil dieser Reserven verbraucht haben werden, und dies wurde in den bisherigen Prognosen noch nicht berücksichtigt. Das eigentliche Problem ist also nicht die anthropogen verursachte Erderwärmung und damit kein ökologisches, sondern ein ökonomisches: Die plötzlich ansteigende Knappheit von Erdöl und Erdgas – noch nicht sofort der Kohle – wird einen schnell sehr stark ansteigenden Preis erzeugen, der keine Steuerungswirkung für einen nur langfristig möglichen Umstieg in eine andere Energietechnologie entfalten kann, so dass ein jäher Absturz der Weltwirtschaft entsprechend katastrophale Folgen für den Wohlstand der Weltbevölkerung haben wird, vor allem für die Armen. Die politische und bildungspolitische Aufgabe besteht also darin, auf diese Situation vorzubereiten und einen sofortigen und entschiedenen Umstieg in eine alterna26 tive Energietechnologie vorzubereiten, auch ohne dass die Preise für die fossilen Energieträger schon alarmierend angestiegen sein müssen; weil dann nicht mehr genug Zeit verbleiben wird. Die Alternative besteht in einer direkten Nutzung der Solarenergie zur Wärmeerzeugung und zur Erzeugung von Elektrizität. Das bisher ungelöste Problem besteht in der Speicherung dieser Energie, vermutlich auf dem Weg der chemischen Energie, aber dafür sind noch keine robusten und handhabbaren Großtechnologien in Sicht: Wasserstoff, Synthesegas, Silikatöl. Die Sonneneinstrahlung ist ungleich über die Tageszeit, die Jahreszeit und die Breitengrade verteilt, so dass die Energieumwandlung nicht dann und dort im erforderlichen Maße möglich ist, wo und wann die Energie jeweils benötigt wird. Eine Zwischenspeicherung ist also unerlässlich. Die Speicherung ist besonders auch für den Energiebedarf von Fahrzeugen erforderlich, da sie nicht direkt mit Sonnenenergie betrieben werden können. Möglicherweise werden Technologie dafür überhaupt nicht in den absehbaren Zeit der nächsten Jahrzehnte zur Verfügung stehen, dann wäre eine sofortige Rationierung von Erdöl für Flugzeuge und Schiffe erforderlich, vielleicht auch für die Petrochemie, weil diese nicht ohne Schwierigkeiten auf Kohle als Prozessrohstoff umgestellt werden kann. Manchmal wird erwogen, als Ersatz für Benzin und Dieselöl Äthanol aus Biomasse einzusetzen. Allerdings dürfte schon jetzt die Anbaufläche für regenerierbare Biomasse weltweit nicht ausreichen, den gegenwärtigen Energieverbrauch aus fossilen Energieträgern zu substituieren. Die Biomasseerzeugung kommt nur in Frage zur Herstellung von Biokraftstoff für Flugzeuge und Schiffe, da diese nicht, wie Landfahrzeuge, elektrisch betrieben werden können, wenn ein dichtes Netz von Aufladestationen installiert wird, auch nicht mit der Wasserstofftechnologie der Brennstoffzellen wegen des zu hohen Volumens für die Wasserstoffspeicherung. Diese Alternative in kurzer Zeit umzusetzen, erfordert weltweit koordinierte Anstrengungen einer Umsteuerung. Dass dies nicht aussichtslos ist, zeigt die Geschichte der Luftreinhaltungsbemühungen in der Vergangenheit, von denen die Einführung des Katalysators für Benzinmotoren gegen den erbitterten, aber dann doch erfolglosen Widerstand der Automobilindustrie –gerade auch der deutschen, die für sich stets in Anspruch nimmt, an der Spitze der technologischen Entwicklung zu stehen - dem Alltagsbewusstsein noch gegenwärtig ist. 5. Die Antwort: Sustainability: nachhaltige Entwicklung Das Thema des anthropogenen Kohlendioxideintrags und der daraus möglicherweise entstehenden Klimaveränderung steht im Zusammenhang mit dem Thema des nachhaltigen Ressourcengebrauchs. Das Konzept der starken Nachhaltigkeit bezeichnet eine Ressourcenentnahme, die nicht größer ist als die natürliche Regeneration. Das impliziert, dass alle Ressourcen, die sich nicht regenerieren, z. B. Metalle, nur noch in ganz geschlossenen Stoffkreisläufen verwertet werden dürfen. 27 Ausgangspunkt des Konzepts war die Verantwortung für die nachwachsenden Generationen, denen ein angemessener Anteil der nicht-regenerierbaren Ressourcen überlassen bleiben soll. Auf der UN-Konferenz von Rio 1992 wurde dieses Konzept flankiert durch zwei zusätzliche Maximen, die eine weltweite Akzeptanz vor allem in den Entwicklungsländern und in den Ländern mit aufholender Entwicklung sichern sollten: der angestrebte Ressourcenschutz für die nachfolgenden Generationen soll nicht das aktuelle Wirtschaftswachstum behindern und global sozial gerecht gestaltet werden. Denn anderenfalls hätte die Gefahr bestanden, dass die Länder mit aufholender Entwicklung überproportional belastet worden wären. 5.1 Rio 1992 und die falsche Interpretation des Dreiecks In den Industrieländern wurde dieser Grundgedankengang der Konferenz von Rio verkürzt auf ein eingängiges, aber falsches Bild eines gleichschenkligen Dreiecks aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Das suggerierte eine Gleichwertigkeit dreier konfligierender Zielbereiche, die es in einem Mediationsverfahren, dem dann so genannten Agenda-21-Prozess, auszugleichen gelte. Die Abhängigkeit und der Bezug der Ziele von Wirtschaftswachstum und sozialem Ausgleich zwischen Nord und Süd auf die Länder mit aufholender Entwicklung gerieten ganz aus dem Blick. In der Folge dieses Fehlansatzes erlahmten die Anstrengungen zur Orientierung der gesamten Politik auf eine sich selbst tragende Entwicklung – so die wortnähere Übersetzung von sustainability – in den Industrieländern, und unter Agenda-21 konnte damit alles subsumiert werden, was mit Wirtschaftswachstum und Verringerung sozialer Ungleichheit jedweder Art zu tun hat. Das ursprüngliche Ziel geriet aus den Augen und kommt nur wieder in den Blick, wenn Katastrophenszenarios wie die Folgen der Erderwärmung in die Medienöffentlichkeit getragen werden. Erforderlich ist also eine Neubesinnung auf das Grundanliegen der Konvention von Rio 1992 sowie eine inhaltsbezogene Formulierung des Anliegens, denn „Agenda 21“ ist ein technischer Begriff aus der Plansprache internationaler Organisationen, die sich in Englisch verständigen. Darunter kann sich niemand etwas vorstellen und es leicht mit Agenda 2000 oder Agenda 2010 verwechseln, beides nationale Programme in der Agrar- und Arbeitsmarktpolitik, die überwiegend negativ besetzt sind bei denjenigen, die überhaupt etwas damit anfangen können. 5.2 Um welche Ressourcen geht es? Zunächst ist es erforderlich, sich zu vergegenwärtigen, um welche Ressourcen es geht. Dabei können folgende sieben Gruppen von Ressourcen unterschieden werden: 1. fossile Energieträger: Erdöl, Erdgas, Kohle 2. Biodiversität: das Insgesamt der Arten auf der Erde 3. Metalle 4. Trinkwasser 28 5. Nutzboden, der von Erosion bedroht ist 6. Atmosphäre: Ozonloch, Schadstoffeinträge 7. „Natur“ als Wohlstandsressource: Kultur, Gesundheit In vielen Diskursen über Nachhaltigkeit oder Umweltschutz wird jeweils nur auf eine einzige dieser Ressourcengruppen oder auf einige wenige von ihnen geschaut; selten findet sich eine Gesamtschau auf alle Gruppen. 5. 3 Vom Dreieck zum Viereck In der Folge von Rio wurde ein Dreieck aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem konstruiert, mit dem die Spannung dreier divergenter Interessenrichtungen und die Notwendigkeit einer Balance beschrieben werden sollte. Damit werden aber unzutreffende Akzente gesetzt. Deshalb soll im Blick auf die sieben Ressourcengruppen mit folgendem Viereck die Konfliktkonstellation genauer beschrieben werden: (1) An erster Stelle steht der Ressourcenschutz (also das, was bisher Ökologie genannt worden ist), und dabei geht es um die Einführung geschlossener Kreisläufe bei nicht-nachwachsenden Rohstoffen, um den sofortigen Ausstieg aus dem Verbrauch von nicht-regenerierbaren Stoffen wie den fossilen Energieträgern, um den Schutz und die Erhaltung der Biodiversität und damit faktisch um eine intergenerative Gerechtigkeit. (2) Diesem Primärziel stehen zwei gegenläufige Ziele entgegen: der Freihandel (bisher unscharf als Ökonomie bezeichnet und unzutreffend als Wirtschaftswachstum konkretisiert). Freihandel ist das effektivste Verfahren einer optimalen Versorgung aller mit zu knappen Gütern, erzeugt allerdings spezifische Benachteiligungen, die durch Rahmenregelungen verhindert werden müssen: das wird gemeinhin als soziale Marktwirtschaft bezeichnet, weil die Marktbenachteiligten zumeist sozial deklassiert sind. Der Hauptkonflikt zwischen dem ersten und diesem zweiten Ziel besteht darin, dass viele Produktionsprozesse, die marktwirtschaftlich orientiert sind, noch von kostenfreien Entnahmen und Einträgen von Stoffen in eine als unendlich gedachte Biosphäre ausgehen. Wenn dies grundsätzlich durch Kosten für Gemeinschaftsgüter in die Wirtschaftssphäre einbezogen wird, kann dieser Konflikt dauerhaft stillgestellt werden (Fair future 2005). Eine mögliche Alternative zu dieser Form der Güterversorgung durch Freihandel wäre eine staatliche Reglementierung der Versorgung, konkretisiert etwa in Bezugsscheinen für bestimmte Mengen von bestimmten Gütern. Allerdings hat bisher jede zu starke staatliche Reglementierung der Versorgung erfahrungsgemäß zu unerwarteten Fehlfunktionen geführt, so dass konzediert werden muss, dass ein maximales Maß an Freiheit vermutlich die beste Versorgung garantiert. (3) Beiden Zielen entgegen stehen die Menschenrechte, deren Kernziel die Vermeidung von Ungleichheit ist. Der Freihandel führt unvermeidlich zu großer Ungleichheit, die nur akzeptabel ist, wenn sie leistungsadäquat und damit funk29 tional ist. Ein konsequent für alle gleich eingeführter Ressourcenschutz würde zu einer Fixierung der globalen Ungleichheit führen. Wenn das vermieden werden soll, sind allerdings komplizierte Überlegungen einer die jahrhundelangen Folgen von Kolonialisierung kompensierenden Ungleichheit im Zugang zu den weltweit zur Verfügung stehenden Ressourcen erforderlich, die zu nicht überzeugenden Resultaten führen (zuletzt zusammenfassend Fair Future 2005) (4) In der Konvention von Rio 1992 ist das Existenzrecht der Kulturen im Zusammenhang mit einer gerechten Weltentwicklung angesprochen, bisher in der Rezeption aber so gut wie nicht berücksichtigt worden. Dieser Gedanke kann dahingehend verallgemeinert werden, dass als eigenständiger Bereich Kultur als Oberbegriff für - Lebensqualität, - Glück und - Wohlstand eingeführt werden muss. Das ist im Verständnis der US-amerikanischen Verfassung mit unter Menschenrechten gefasst, weil dort – anders als in den europäischen Verfassungen - ein Glücksrecht impliziert ist, während das europäische Verständnis vor allem Abwehrrechte gegen staatliche Übergriffe in die individuelle Freiheit akzentuiert. Hier muss vor allem das Glück der Gegenwärtigen mit dem der Kommenden im Blick auf endliche Ressourcen abgewogen werden. Ressourcenschutz Freihandel Menschenrechte Kulturen • • • Lebensqualität Glück Wohlstand 30 Der Grundgedanke des Programms Agenda 21 besteht in der Verpflichtung, bei allen Entscheidungen diese drei – oder nun, wie dargelegt: vier – konfligierenden Interessenlagen der gesamten Menschheit einschließlich der noch nicht Geborenen zu berücksichtigen. Das erfordert zum einen ein Umdenken bei der Interessenwahrnehmung, weil diese üblicherweise auf das Wohl des Einzelnen oder seiner zentralen Bezugsgruppe – meist Familie und Verwandtschaft – oder seiner Nation orientiert ist, nicht jedoch auf die Gruppe aller Menschen und schon gar nicht die noch nicht Geborenen einbezieht. Zum anderen ist eine solche Denkungsart kognitiv anspruchsvoll, weil sie viele miteinander verflochtene Interdependenzen berücksichtigen muss und dabei mit Wahrscheinlichkeiten kalkulieren muss. Diese Denkform ist von anderer Art als das Alltagsdenken, das – geprägt von seiner engen Bindung an die Sprache, die Ereignisse und Themen nur hintereinander thematisieren kann – das Weltgeschehen unilinear in einfachen Ursache-Wirkungs-Ketten aufordnet. Schon früh hat ein Autor wie Vester (der Erfinder des Lehrspiels Ökopoly) die Einübung eines von ihm so genannten „vernetzten Denkens“ gefordert. Das ist dann von dem Psychologen Dörner aufgegriffen worden. 5.4 Umlenken oder Umdenken? - in Demokratien ist nur eine Änderung des Lebensstils wirksam Wenn als Bezugspunkt für ethisch begründete Überlegungen die Menschenrechte der entsprechenden UN-Konvention genommen werden, dann muss von gleichen Rechten aller Menschen – einschließlich der noch Ungeborenen – gegeneinander ausgegangen werden. Danach haben alle Menschen das gleiche Recht auf Zugang zu den endlichen Ressourcen und auf Wohlstand. Da dieser Zugang gegenwärtig zwischen Nord und Süd stark ungleichgewichtig ist, hat das zur Folge, dass die Menschen in den Ländern des Nordens wesentlich weniger verbrauchen dürfen, um den Menschen in den Ländern des Südens den gleichen Anteil zu ermöglichen (so etwa die Argumentation in Fair Future 2005). Dabei ist dann das Interesse der Ungeborenen noch gar nicht einbezogen. Dies würde zu noch radikaleren Konsequenzen führen; denn dann dürfte ab sofort gar nichts mehr von den nicht-regenerierbaren Ressourcen verbraucht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden zwei Strategien erörtert: Umlenken oder Umdenken. Die Befürworter der Strategie des Umlenkens gehen davon aus, dass zur Erreichung der zuvor beschriebenen Ziele ein koordiniertes Handeln Aller erforderlich ist, und das sei nur durch staatliche Lenkung möglich. Dagegen wird eingewandt, dass in Demokratien die Regierungen ihren Bevölkerungen keine Restriktionen gegen deren Überzeugung oktroyieren können; denn dann werden sie abgewählt. Darin drückt sich ein Politikverständnis aus, das von grundlegendem Misstrauen der Wähler gegenüber den Politikern geprägt ist, die dementsprechend ein sehr geringes Prestige haben – so wie es derzeit in Deutschland der Fall ist. Bei Unzufriedenheit wird die alternativ zur Verfügung stehende Führungselite in der Hoffnung gewählt, dass sie es besser richten werde. Das drückt sich in dem Phänomen einer stark 31 zunehmenden Wechselwählerschaft aus. Die Alternative zu diesem Politikverständnis besteht in etwas, das autoritatives Politikverständnis genannt werden könnte. Sie bestünde in einem Verhältnis des Vertrauens der Wähler zu den von ihnen Gewählten, wie es idealerweise bestehen sollte und in der Geschichte der Demokratien anfangs wohl auch bestanden hat. Das Prinzip der repräsentativen Demokratie, im Gegensatz zur direkten, basiert auf der Einsicht, dass die Wähler grundsätzlich nicht in der Lage sind und sein können, in allen zu treffenden Entscheidungen sich hinreichend sachkundig zu machen. Sie müssen diese Entscheidungskompetenz also auf Personen ihres Vertrauens delegieren. Das Vertrauen erfordert von den Gewählten dann Fachkompetenz und Korruptionsfreiheit. Wenn der Glaube an das eine oder das andere erschüttert wird, dann verschwindet ein solches Vertrauen, ein solches autoritatives Politikverständnis und macht dem Misstrauensprinzip Platz. Aber die Gewählten sind nur bereit, den vertrauenswürdigen Politikern auch in Entscheidungen zu folgen, die sich nicht nachvollziehen können und die für ihren Eigennutz Nachteile bedeuten, wie es immer unvermeidlich ist, wenn Entscheidungen für das Gemeinwohl getroffen werden. Gäbe es ein solches autoritatives Politikverständnis, das Vertrauen in kompetente und nicht-korrupte Politiker, dann wären diese in der Lage, ihren Wählern auch Beschränkungen ihres Konsumniveaus wirksam zuzumuten. Da dies, aus Gründen, die hier nicht erörtert werden können, derzeit nicht der Fall ist, besteht die einzige wirksame Strategie zur Durchsetzung des Gedankens der nachhaltigen Entwicklung in der Förderung eines freiwilligen Umdenkens durch Öffentlichkeitsarbeit – derzeit als Umweltkommunikation thematisiert – und durch eine entsprechende Allgemeinbildung. 5.5 Die Botschaft erreicht die Menschen nicht - warum? Umweltkommunikation und Umweltbildung werden seit 1992 im Sinne der Konvention von Rio mit Akzentuierung auf eine nachhaltige Entwicklung praktiziert, aber die feststellbare Wirkung ist bemerkenswert schwach. Wie kommt es, dass die meisten Menschen in Europa zwar über die Zusammenhänge des Klimawandels informiert sind, trotzdem nicht bereit sind, ihren Beitrag zu einem nachhaltigen Lebensstil zu leisten? Aus Befragungen lassen sich drei Antwortmuster herausfinden: Die einen sind technikgläubig, erwarten fest, dass er der Technik in den nächsten Jahrzehnten gelingen wird, das Problem so zu lösen, dass dazu eine Änderung des ressourcenintensiven Konsumstils nicht erforderlich ist. Die anderen sind zwar grundsätzlich bereit, ressourcenschonender als bisher zu konsumieren, aber nur dann, wenn es alle anderen gleichzeitig auch tun. Das entspringt einem Gedanken der Gleichheit und Gerechtigkeit im Verzicht; denn ohne einen solchen ist ein ressourcenschonenderer Konsumstil kaum zu realisieren. Eine dritte Gruppe verleugnet die Problematik, weil die Konsequenzen unangenehm sind – ganz ähnlich den Rauchern, die um die Gesundheitsschädigung sehr wohl alle wissen, aber dennoch zu keiner Verhaltensänderung bereit sind. Denn die Konsequenzen einer Kohlendioxidreduktion würden vor allem die Bereiche Mobilität 32 und Wohnkomfort (Heizung) betreffen, die in der Wertehierarchie so weit oben stehen, dass abstrakte Risiken, die ungewiss sind und vielleicht sogar gar nicht eintreffen werden, sie nicht in Frage stellen können. 6. Die Weltformel zum besseren Verständnis der drei Parameter zum Erreichen einer nachhaltigen Entwicklung Die Aufgabe der Ressourcenschonung kann besser verstanden werden, wenn die wesentlichen Parameter in ihren Relationen zueinander betrachtet werden, welche den Ressourcenverbrauch bedingen. Der gesamte Ressourcenverbrauch auf dem Planeten kann mit folgender Formel beschrieben werden: R=PxW W = ER x K R = P x (ER x K) R: Ressourcenverbrauch P: Bevölkerung (Personen) W: Wohlstand ER: Ressourceneffizienz, messbar etwas mit dem ökologischen Fußabdruck in ha, relational zur gesamten festen Erdoberfläche K: Konsum, messbar in einer Währungseinheit für das Marktgeschehen, also etwa in Dollar Hierbei ist zu beachten, dass auch der Ressourcenverbrauch aus der Subsistenzwirtschaft einbezogen werden muss, der sich in keinem Marktgeschehen abzeichnet. Auch Subsistenzwirtschaft hat einen ökologischen Fußabdruck, bei Raubbau etwa sogar einen besonders großen. Die Produktformel bildet ab, dass der Ressourcenverbrauch bis auf Null reduziert werden könnte, wenn es keine Menschen auf dem Planeten gäbe oder diese Menschen nichts konsumieren würden. Die erweiterte Formel zeigt drei Parameter, mit denen der Ressourcenverbrauch wirksam beeinflusst werden kann: 1. die Bevölkerungszahl; 2. der Konsum pro Kopf; 3. die Ressourceneffizienz des Konsumierten. Bisher wird fast ausschließlich über den dritten Parameter diskutiert, aber es ist leicht zu sehen, dass diese Strategie ihre engen Grenzen hat. Der zweite Parameter wird inzwischen kaum mehr angesprochen, weil das auf Verzicht hinauslaufen müsste, und das ist von geringer Akzeptanz. Der dritte Parameter ist tabuisiert, weil sich vor allem die Entwicklungsländer verbeten haben, dass ihnen die Industrieländer in diesem Bereich Vorschläge oder gar Vorschriften machen. Dennoch ist ganz unübersehbar, 33 dass dieser Parameter bei einer wirksamen Strategie in Richtung auf einen nachhaltigen Ressourcenverbrauch nicht ausgeklammert werden darf: Eine nachhaltige Tragekapazität des Planeten dürfte bei etwa 2 Milliarden liegen und keineswegs bei den gegenwärtigen sechs. In dieser Perspektive ist der Bevölkerungsschwund in den Industriestaaten nicht etwa ein Problem, sondern die einzig richtige Entwicklung. 7. Sparen hilft nicht Jedenfalls hilft Sparen überhaupt nicht, weil es den Eintritt der ökonomischen Krise nur um wenige Jahre verzögern könnte. 8. Entschiedener Umstieg in der Energietechnologie als vorrangige Aufgabe s. o. 9. Die Aufgaben von Umweltkommunikation und Umweltbildung Die für Allgemeinbildung wichtigen Einsichten sind: eine nachhaltige Entwicklung kann nur erreicht werden, wenn - entweder die Bevölkerungszahl auf dem Planeten sinkt oder - ein sehr asketischer Lebensstil für alle verpflichtend gemacht wird oder - eine Mischung aus beidem praktiziert wird. Ein Vertrauen und Hoffen auf eine Ressourceneffizienz zur Lösung der Probleme (Technikgläubigkeit) ist falsch, weil diese Strategie die Expansion der beiden Parameter Bevölkerung und Konsum nicht dauerhaft kompensieren kann. Die hier diskutierte Strategie der Askese meint nicht einfachen Verzicht, sondern eine Umorientierung auf einen akonsumalen Wohlstand, also eine Lebensqualität, die sich ohne Ressourcenverbrauch erreichen lässt. Dabei ist aber zu bedenken, dass der oft als Alternative zu einem ressourcenintensiven Konsum, nämlich der sensative Konsum, selbst auch Ressourcen verbraucht, vor allem solche zur Mobilität. Welche Konsequenzen hat das für die Anstrengungen der Kundigen, die Öffentlichkeit zu informieren und zu warnen? Eine mögliche Reaktion wäre die stoische Resignation: Da es nicht zu ändern ist, kann das Unvermeidliche nur abgewartet werden. Eine andere wäre eine verzweifelte Verstärkung der Anstrengung in der winzigen Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch etwas ändern lässt, wenn etwa leitende 34 Industriestaaten umzusteuern begännen und ihnen dann – allein schon aus ökonomischen Gründen – andere zu folgen gezwungen wären. Ein dritter Weg könnte in so etwas wie einem reflektierten Lebensstil der Nachhaltigkeit bestehen, der zwar weiß, dass durch die Entscheidung des Einzelnen objektiv nicht viel bewirkt wird, dass aber diese Entscheidung eine Vorbildwirkung auf andere haben kann. Zudem ist es relevant, sich selbst gegenüber Rechenschaft darüber ablegen zu können, richtig zu handeln – woher auch immer die Maßstäbe für die Richtigkeit individuell jeweils bezogen werden. 35 Biodiversität und Landschaftswandel in den Tropen Prof. Dr. Stefan Porembski Allgemeine und Spezielle Botanik Institut für Biowissenschaften Universität Rostock 1. Einführung Mit dynamischen Prozessen verbundene Veränderungen der Biosphäre sind kennzeichnend für das Leben auf der Erde seit seiner Entstehung. Im Verlauf der Erdgeschichte ist es dabei wiederholt zu massiven Aussterbeereignissen über ein weites Spektrum von Organismengruppen hinweg gekommen, z. B. an der Wende zwischen Kreide und Tertiär, bekannt durch das Aussterben der Dinosaurier. Folgend auf diese Massenaussterbeereignisse erreichten die globalen Artenzahlen nach offenbar relativ ungestörter Entwicklung nicht nur das zuvor erreichte, sondern bemerkenswerterweise ein höheres Niveau als zuvor. Die historisch belegten Massenaussterbeereignisse erstreckten sich über jeweils Tausende von Jahren und waren natürlichen Ursprungs. Es ist inzwischen unstrittig, dass menschlicher Einfluss in den letzten Jahrhunderten zu einem Anstieg der generellen Extinktionsraten geführt hat. Dabei handelt es sich nicht um singuläre Ereignisse sondern um ein durchgehend zu konstatierendes Problem, dass in seiner Dimension keine Parallele in der Erdgeschichte kennt. Die mit dem Stichwort „globaler Wandel“ verbundenen und gegenwärtig bereits deutlich zu beobachtenden Veränderungen zählen zu den massivsten Gefährdungen der zukünftigen ökonomischen Entwicklung des Menschen sowie der Erhaltung der Vielfalt des Lebendigen („Biodiversität“) auf allen betroffenen Ebenen. Es besteht kein Zweifel mehr daran, dass der aktuell zu konstatierende globale Wandel anthropogenen Ursprungs ist. Beispielhaft sei auf den Anstieg der atmosphärischen Konzentration der Treibhausgase (u.a. CO2) seit dem Beginn der industriellen Revolution verwiesen, der in engem Zusammenhang mit der Erderwärmung steht. Das Spektrum der vom globalen Wandel betroffenen Aspekte ist breit und wird vielfach mit einem Fokus auf klimatische Veränderungen („Erderwärmung“) betrachtet. Von vergleichbarer Bedeutung dürften menschliche Eingriffe in Struktur und Dynamik natürlicher Lebensräume sein. Diese haben u.a. bedingt durch veränderte Landnutzungsregime und die Zerschneidung und Fragmentierung ursprünglich zusammenhängender Lebensräume negative Konsequenzen für die Existenz zahlreicher Organismen. So sind bei vielen vom Landschaftswandel betroffenen Arten erhöhte Extinktionsraten zu erwarten, die ihre Ursache in verringerten Populationsgrößen und in einem eingeschränkten genetischen Austausch zwischen räumlich isolierten Populationen haben. Während unterschiedliche Aspekte des Landschaftswandels in den gemäßigten Breiten vielfach do36 kumentiert und modellhaft analysiert wurden, bestehen im Hinblick auf unsere Kenntnisse aus tropischen Regionen massive Defizite. Vorliegender Beitrag versucht den bisherigen Stand der Kenntnisse zu den Auswirkungen des globalen Wandels auf die Biodiversität in den Tropen in knapper Form darzustellen, wobei insbesondere auf die Zusammenhänge zwischen Klima- und Landnutzungswandel eingegangen wird. 2. Räumliche Muster der Biodiversität Biodiversität ist nicht gleichmäßig auf der Erde verteilt. Bereits im 18. Jahrhundert berichteten zahlreiche Forschungsreisende darüber, dass die Tropen einen deutlich höheren Artenreichtum als die gemäßigten Breiten aufweisen. Die „hot spots“ der Biodiversität liegen insbesondere in den Regenwaldgebieten Mittel- und Südamerikas sowie in Südostasien. Das tropische Afrika weist eine im Vergleich dazu geringere Biodiversität auf, wobei jedoch einzelne Regionen (z. B. der Mt. Cameroon) ebenfalls durch hohe Artenzahlen charakterisiert sind. Unser Wissen über die räumliche Verteilung des Artenreichtums kann inzwischen als gut bezeichnet werden, da verschiedene Kartierungsprojekte vor allem auf der Ebene der Phytodiversität (vgl. BARTHLOTT ET AL. 2005) erhebliche Kenntnislücken schließen konnten. Ein spezielles Augenmerk im Hinblick auf die räumlichen Muster der Biodiversität gilt denjenigen Arten, deren Vorkommen geographisch eng begrenzt ist. Diese als Endemiten bezeichneten Arten treten oftmals mit nur wenigen, kleinen Populationen auf, die bedingt durch ihre geringe Größe ein hohes Gefährdungspotential aufweisen. Insbesondere verschiedene tropische Regionen (u.a. Madagaskar, der atlantische Regenwald Brasiliens) sind durch hohe Endemitenzahlen gekennzeichnet. Es ist zu befürchten, dass anthropogene Störungen bedingt durch starkes Bevölkerungswachstum gerade in den extrem arten- und endemitenreichen Tropenregionen zu hohen Aussterberaten führen werden. Das inzwischen umfassend zur Verfügung stehende Wissen über die räumliche Verbreitung der Biodiversität im Hinblick auf Arten- und Endemitenzahlen erlaubt es modellhafte Szenarien zu erstellen, die Aussagen über die Auswirkungen zukünftiger globaler Veränderungen gestatten. Die bisher zu diesem Aspekt vorliegenden Studien können wiederum eine Basis für mögliche Schutzkonzepte bilden. Da jedoch beispielsweise der Klimawandel zu einer nicht an politische Grenzen gebundenen Verschiebung von Vegetationszonen und Artarealen führen wird dürften bei der Umsetzung von Schutzkonzepten große politische Hindernisse zu überwinden sein. 3. Exemplarische Beispiele für Landnutzungsänderungen in den Tropen Verbunden mit einer weiter verstärkten Hinwendung zu einer exportorientierten agroforstlichen Produktion wurden in jüngerer Zeit zahlreiche Beispiele für unnachhaltige Landnutzungsänderungen in den Regenwäldern der Tropen auch in der Tagespresse zu einem Thema (u.a. Sojaanbau in der brasilianischen Amazonasregion, Ausweitung der Ölpalmenplantagen in Südostasien). Im Folgenden wird anhand eigener For37 schungsarbeiten auf die Folgen veränderter Landnutzungspraktiken, die mit einer Zunahme der lokalen Bevölkerung verbunden sind am Beispiel Westafrikas eingegangen. Im Rahmen des BMBF-Programms BIOTA (Biodiversity Monitoring Transect Analysis in Africa) werden grundlegende Fragen der Biodiversitätsforschung, vor allem aber angewandte Themen, die mit dem langfristigen Erhalt und der Nutzung der natürlichen Ressourcen zusammenhängen, in einem interdisziplinären Ansatz in ausgewählten Regionen Afrikas bearbeitet. Der Norden des westafrikanischen Landes Elfenbeinküste liegt in einer Übergangszone zwischen einer feuchten (GuineaSavanne) und einer trockenen (Sudan-Savanne). Die Vegetation dieser Region besteht aus einem Mosaik aus verschiedenen Wald- und Savannentypen, die dem Einfluss jährlich wiederkehrender, anthropogen bedingter Feuer unterliegen. Seit fast vier Jahrzehnten nehmen die jährlichen Niederschläge in dieser Region, wie auch in anderen Teilen Westafrikas signifikant ab (PAETH & HENSE 2004). Ein Teilaspekt der eigenen Arbeiten befasste sich mit der Dynamik des in der Region vorliegenden WaldSavanne-Mosaiks unter dem Einfluss des Klima- und Landnutzungswandels. Hierbei zeigte sich deutlich, dass das in Teilen unter Schutz stehende Wald-Savanne-Mosaik (z.B. im Comoé Nationalpark im Nordosten der Elfenbeinküste) sensibel auf anthropogene Störungen reagiert. Unter Verwendung von Fernerkundungsdaten (Luft- und Satellitenbilder) konnte gezeigt werden, dass das Wald-Savanne-Mosaik in seiner räumlichen Struktur in vor starken menschlichen Einflüssen geschützten Bereichen trotz einer signifikanten Abnahme der Niederschläge über einen Zeitraum von ca. 40 Jahren nahezu unverändert blieb. Im Gegensatz dazu traten in nicht geschützten Regionen stärkere Veränderungen des Landschaftsbildes auf, die in erster Linie die Waldbereiche betrafen (GOETZE ET AL. 2006). Neben der Zunahme der Bevölkerung in den nicht geschützten Bereichen des betrachteten Untersuchungsgebiets kommt dem verstärkten Anbau von „cash crops“ (in diesem Fall Cashew Anacardium occidentale) eine große Bedeutung für die Veränderung der Landnutzungspraxis zu. Die im Wald-Savanne-Mosaik liegenden Wälder sind an ihrer Peripherie durch einen Gürtel aus in der Trockenzeit laubwerfenden Baumarten (vor allem Anogeissus leiocarpus, Combretaceae) gekennzeichnet. Detaillierte ökologische Studien (vgl. u.a. HENNENBERG ET AL. 2006) haben sich in dieser Region mit dem Übergangsbereich zwischen Wald und Savanne und den hier auftretenden strukturierenden Faktoren (u.a. Mikroklima, Feuer) beschäftigt. Mit Hilfe verschiedener vegetationsökologischer Methoden konnte gezeigt werden, dass Wald und Savanne in einem komplexen Beziehungsgefüge stehen, bei dem einzelnen Baumarten eine wichtige Rolle hinsichtlich des dynamischen Antagonismus zwischen beiden Vegetationstypen zukommt. Mit steigender Bevölkerungszahl ist es in weiten Teilen Westafrikas zu einer Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen gekommen, wodurch sich das Verhältnis zwischen Wald und Savanne zugunsten letzterer verschiebt. Die damit einhergehende Veränderung in der Vegetationsbedeckung verläuft parallel mit der während der letzten Jahrzehnte zu beobachtenden Abnahme der Niederschläge in Westafrika. Inwieweit hierbei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem anthropogen bedingten 38 Landschaftswandel (vor allem Verlust an Waldfläche) und dem Rückgang der jährlichen Niederschlagsmenge besteht wird aktuell intensiv diskutiert. Das oben für die Elfenbeinküste beschriebene Wald-Savanne-Mosaik war bis vor relativ kurzer Zeit in weiten Teilen der Guinea- und Sudan-Savanne Westafrikas noch relativ intakt ausgebildet. Innerhalb der letzten Jahrzehnte ist es verstärkt zu Migrationsbewegungen verschiedener ethnischer Gruppen, insbesondere aus der nördlich gelegenen Sahelzone gekommen, die zu einer Übernutzung der natürlichen Ressourcen geführt haben. Eigene Studien im Rahmen des IMPETUS-Projektes (Integratives Management-Projekt für einen Effizienten und Tragfähigen Umgang mit Süßwasser in Westafrika, gefördert durch das BMBF) beschäftigten sich mit den Auswirkungen ausgewählter menschlicher Eingriffe (u.a. Feuer, Beweidung, Holzentnahme) auf die Vegetation eines Wald-Savanne-Mosaiks in Benin. Von großer praktischer Relevanz sind dabei die erhobenen Daten zur Abundanz wichtiger Nutzholz liefernder Baumarten (z. B. Khaya senegalensis, Meliaceae). Hierbei zeigten demographische Erhebungen, dass von den meisten Nutzholzarten nur noch wenige reproduktionsfähige Individuen vorhanden waren und somit ein lokales Verschwinden dieser Arten zu befürchten ist, wenn die bisherige Nutzungsintensität nicht eingeschränkt wird. Um die Zuwachsleistung der in Frage kommenden Baumarten zu quantifizieren, um daraus nachhaltige Formen der forstlichen Nutzung abzuleiten, wurde der jährliche Zuwachs anhand von Jahresringen bestimmt. Die somit gewonnenen Erkenntnisse wurden in Wachstumsmodelle umgesetzt, die den Entscheidungsträgern vor Ort zur Verfügung gestellt werden. Das Vorkommen von Jahresringen bei den untersuchten Baumarten konnte auch für weitergehende dendrochronologische Analysen genutzt werden. Beispielsweise war es möglich eine Korrelation zwischen der Breite der Jahresringe und klimatischen Daten (Niederschlagmenge) herzustellen. Die hier gefundenen dendrochronologischen Daten erlauben Rückschlüsse auf die Niederschlagshöhe in Teilen Westafrikas über einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren (Schöngart et al. 2006). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Flächenanteile der verschiedenen Vegetationstypen offenbar trotz klimatischer Veränderungen relativ konstant blieben und sich erst unter dem verstärkten Einfluss des Menschen signifikante Veränderungen ergeben haben. Im feuchteren Zentrum der Elfenbeinküste grenzt die Guinea-Savanne direkt an die Zone der geschlossenen halb- und immergrünen Wälder. Hier durchgeführte Studien zum Einfluss des Anbaus ausgewählter „cash crops“ (z. B. Kakao) zeigen die Differenzen zwischen verschiedenen Intensitätsstufen der agrarischen Nutzung im Hinblick auf das Regenerationspotential charakteristischer Waldbäume deutlich auf. In extensiv genutzten Plantagen ist das Regenerationspotential von Waldbäumen relativ hoch, während es unter zunehmend intensiver betriebener Landnutzung deutlich zurückgeht (KOULIBALY ET AL. in press). Die hier ermittelten Ergebnisse dürften auf ähnliche Regionen weitgehend übertragbar sein. Als Konsequenz aus der sicher auch in Zukunft zunehmend intensiveren Form der Landnutzung ergibt sich als Zukunftsperspektive eine dramatische Abnahme des Regenerationspotentials der natürlichen Ve39 getationseinheiten. Damit einhergehend ist zu erwarten, dass die Biodiversität in den betroffenen Regionen stark abnehmen wird, was erhebliche Auswirkungen auf die sozioökonomischen Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung haben wird, die hinsichtlich verschiedener Aspekte (u.a. Medizinalpflanzen) auf die natürlichen Ressourcen angewiesen ist. 4. Mögliche Auswirkungen auf Mitteleuropa Die Biosphäre bildet ein komplexes, vernetztes System, in dem zahlreiche Komponenten über Rückkoppelungsprozesse miteinander verbunden sind. Zwar sind wir noch weit davon entfernt die Interaktionen zwischen einzelnen Steuergrößen zu verstehen, jedoch besteht an der Abhängigkeit bestimmter Prozessgrößen (z. B. Pflanzenwachstum) von diversen Steuerfaktoren (u.a Niederschlagsmenge, Temperatur) kein Zweifel. So kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass anthropogen bedingte Veränderungen der Landnutzung in den Tropen auch in den gemäßigten Breiten ihren Widerhall finden werden. Großflächige, anthropogen bedingte Landnutzungsänderungen in den Tropen wirken sich u.a. auf klimatische Prozesse aus, die auch das Klima in den gemäßigten Breiten beeinflussen dürften. Die Folgen der Übernutzung und Zerstörung natürlicher Lebensräume in den Tropen und der damit verbundene Rückgang der Biodiversität sind im Hinblick auf zukünftige Folgen nur schwer prognostizierbar. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, der insbesondere der Verlust der tropischen Biodiversität neben ökologischen auch schwerwiegende ökonomische (z. B. Verlust potentieller Nutzpflanzen) und soziokulturelle Folgen haben wird. 5. Danksagung Mein Dank gilt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das meine Forschungsaktivitäten in Westafrika im Rahmen von BIOTA und IMPETUS unterstützt. Darüber hinaus danke ich zahlreichen Mitarbeitern (vor allem Dethardt Goetze, Bettina Orthmann, Klaus Josef Hennenberg) und Kollegen für anregende Diskussionen zum Thema Landschaftsdynamik. 40 6. Literatur BARTHLOTT, W., MUTKE, J., RAFIQPOOR, M. D. & KREFT, H. (2005): Global centres of vascular plant diversity. Nova Acta Leopoldina 92: 61-83. GOETZE, D., HÖRSCH, B. & POREMBSKI, S. (2006): Dynamics of forest-savanna mosaics in north-eastern Ivory Coast from 1954 to 2002. J. Biogeogr. 33: 653-664. HENNENBERG, K. J., FISCHER, F., KOUADIO, K., GOETZE, D., ORTHMANN, B., LINSENMAIR, K. E., JELTSCH, F. & POREMBSKI, S. (2006): Phytomass and fire occurrence along forest-savanna transects in the Comoé National Park, Ivory Coast. J. Trop. Ecol. 22: 303-311. KOULIBALY, A., GOETZE, D., TRAORÉ, D. & POREMBSKI, S. (in press): Protected versus utilized savanna: characteristics of Sudanian vegetation in Ivory Coast. Candollea. PAETH, H. & HENSE, A. (2004): SST vs. climate change signals in West African rainfall: 20thcentury variations and future projections. Climate Change 69: 179-208. SCHÖNGART, J., ORTHMANN, B., HENNENBERG, K. J., POREMBSKI, S. & W ORBES, M. (2006): Climate-growth relationsships of tropical tree species in West Africa and their potential for climate reconstruction. Global Change Biology 12: 1139-1150. 41 Klimafolgen in der Tierwelt Prof. Dr. Ragnar K. Kinzelbach (em.) c/o Allgemeine und Spezielle Zoologie Institut für Biowissenschaften Universität Rostock 1 Allgemeines und Wirksamkeit von „Klima“ 1.1 Thesen • Das Ökosystem ist kein Zustand, sondern ein Vorgang. • Veränderungen in der Tierwelt sind selbstverständlich und finden anhaltend statt. • Der Wunsch nach Stabilität des Ökosystems entspringt nur der Lebensangst. • Das Tier reagiert und agiert in Bezug auf klimatische Veränderungen. • Tierwelt ist heterogen. Hohe Artenzahl: 6.000 um Rostock, 60.000 in Deutschland, zwei Millionen bisher beschrieben, 20 Millionen seriöse Maximalschätzung. Hohe ökologische Diversität und hohe biologische Komplexität erschweren allgemeine Prognosen. • Tier & Klima: Geringer Forschungsstand, Datenmangel, besonders für die Vergangenheit 1.2 Klima und Folgenkaskade Klima ist die Gesamtheit der meteorologischen Erscheinungen, die den mittleren Zustand der Atmosphäre an irgendeiner Stelle der Erdoberfläche kennzeichnen. Differenzierung: • Wetter: Momentaner Zustand der Atmosphäre (Stunde, Tag). • Witterung: Charakter des Wetters über einige Tage oder eine Jahreszeit. • Klima: Mittlerer Zustand der Atmosphäre über ca. 30-40 Jahre. • Unterschiedlich sind Groß- bzw. Makroklima, Lokal- bzw. Mesoklima, Mikroklima. Klima ist primär durch absolute und relative Temperaturen bestimmt. Hier bestehen einfache physikalische und physiologische Beziehungen zum Tier. Klima wird komplex durch die Folgenkaskade der Temperaturverteilung in Form einzelner Klimakomponenten: Wind, Wasserströmung, Bedeckungsgrad, Verteilung, Menge, Typ und Verteilung von Niederschlägen. Kombinationen gegen unendlich, Ablauf chaotisch. 42 Klimaschwankungen haben natürliche Ursachen, z. B. Intensität, Richtung und Rhythmus der Globalstrahlung; Unregelmäßigkeiten der Planetenbahn; Vulkanismus; Meteoritenschlag; Aktivität lebender Systeme, z. B. Reflektion, Absorption, Speicherung, Aerosole, Stäube, Gase in biogeochemischen Zyklen. Klimaschwankungen können anthropogen verursacht sein, anteilig seit der neolithischen Revolution (z. B. Brandrodungen, Trockenlegung von Mooren), Erwärmung seit 1790 (Ende der Kleinen Eiszeit), erst lokal, dann global, deutlich seit 1980/85. Verursachung durch Treibhausgase wird diskutiert. 1.3 Wirkung von Klima auf Organismen Temperatur ist einer der ökologischen Grundfaktoren. Die ReaktionsgeschwindigkeitTemperatur-Regel (RGT) nach J. H. van t’Hoff besagt, dass ein Temperaturanstieg um 10°C zu 2-3facher Reaktionsgeschwindigkeit bei P oikilo- (Ekto-)thermen führt; dagegen wird bei Homoio- (Endo-)thermen die Körpertemperatur stabil gehalten. Grundfaktoren: Licht, elektromagnetische Strahlung Temperatur Sauerstoff, Kohlendioxid Nahrung (Chemo-/Photo-Autotrophie, Heterotrophie) Dimensionen: Raum (→ Zoogeographie) Zeit (→ Biorhythmik) Substrat, Milieu: Wasser Boden Luft + alle Grenzschichten zwischen diesen Spezielle Faktoren: Schall, Ionen, Gifte, suspendierte Partikel im Milieu, Gerüche, elektrische und magnetische Felder, Radioaktivität, Rauigkeit des Milieus usw. Tab. 1: Ökologische Faktoren (SCHWERDTFEGER 1963) Wirksame Formen von Temperatur sind Jahres-, Monats- Tagesdurchschnitt, TagNacht-Differenz, limitierende Extreme, Verschiebung der Jahreszeiten, Temperatursummen per Monat oder Jahreszeit. - Modifizierende Faktoren sind Wind, Luftfeuchte; Niederschlag usw. Hinzu kommen die übrigen Komponenten von Klima. Tiere zeigen hinsichtlich der Umgebungstemperatur eine erhöhte Vitalität im sog. Präferenzbereich, diese nimmt ab bei steigenden oder verringerten Temperaturen bis zum Hitze- bzw. Kältetod. 43 Abb. 1: Honigbienen in der Temperaturorgel (verändert nach BRAUN 1959) Das Präferendum („Ökologisches Optimum“) zeigt einen Vorzugsbereich für Temperatur an, der durch Einwirken oder Veränderung weiterer, gleichzeitig wirksamer Faktoren (z. B. Luftfeuchtigkeit) verschoben werden kann. 1.4 Wirkung von Organismen auf Klima • Makroskalig (Biogeochemische Abläufe): Bildung der Sauerstoff-Atmosphäre, Methan aus Fäulnis und Darmgasen, Freisetzung von CO2 aus Stoffwechsel. • Mesoskalig: Pufferung von Temperatur, Stabilisierung von Luftfeuchte in der Vegetation, Veränderung der Albedo, Organogene Böden: Wärmeproduktion, Wasserhaushalt. • Mikroskalig (Stoffwechsel, Physiologie): Wärmeabgabe aus Stoffwechsel (dazu Schlaf-, Stockgemeinschaften), Polyphyletische Entwicklung von Homoio(Endo-)thermie mit der Folge von Entwicklung von Strategien zur Bildung eines Eigenklimas, seiner Kontrolle (Emanzipation I) sowie von hochempfindlichen Thermosensoren. Der Mensch geht darüber hinaus. Er nimmt Einfluss über Formen der Landnutzung, die Freisetzung von fossilem C als CO2, die Freisetzung von Methan, durch hohe Wärmeproduktion seiner und von ihm gezogener lebender Biomasse: Aufheizung in Ställen, Kläranlagen, Stadtklima usw. Er ist in der Lage, Regulierung vorzunehmen über Heizung und Kleidung. Er bildet und stabilisiert ein Eigenklima, das er potenziell bis zum Mond exportieren kann (Emanzipation II). 44 2 Historische Klimaentwicklung und Tierwelt 2.1 Langfristige Entwicklung Durchgehend bestimmend für alle Tiere Mitteleuropa ist die postglaziale (holozäne) Wieder-Erwärmung. In ihrem Verlauf erfolgte eine Akkumulation der Aren bis zum heutigen Zustand der Tierwelt. Von ihr hängen direkt oder indirekt ab: • Die Remigration bzw. Immigration von Flora und Fauna aus den mittelmeerischen Refugialgebieten. • Die agrarische Landnutzung seit dem Neolithicum mit erheblichen episodischen Veränderungen. • Das Bevölkerungswachstum. Atlantikum I, II Abb. 2: Klima-Entwicklung im Holozän. Abweichungen von 15°C Mitteltemperatur. 2.2 Kurzfristige Klimaveränderungen und Folgen Klimawandel kann kurzfristig erfolgen. Für zwei Dekaden deutlicher Veränderung seit 1980/85, sind wir Zeitzeugen. Die Tier-Arten und ihre Zustände sind Indikatoren für den Klimawandel. Für historische Zeit deutet z. B. Lauterborns Theorie Arealschwankungen von Wärme liebenden Vogelarten als Folge der Kleinen Eiszeit (KINZELBACH 1995, KINZELBACH & HÖLZINGER 2000). Ein Beispiel für sensibles Reagieren auf Sommerwärme ist der Girlitz (Serinus serinus), der spät nach Mitteleuropa eingewandert ist (MAYR 1926, 1926a). Bei seiner postglazialen Immigration stand er am Ende des mittelalterlichen Klimaoptimums in Südfrankreich und Norditalien, hatte die Alpen im Westen über das Rhônetal bis zum Schweizer Jura umgangen, im Osten gab es Vorkommen in Kärnten und im Wiener Becken. Alle anderen Nennungen aus dem zentralen Frankreich oder aus dem Süden und Westen Deutschlands im 15. und 16. Jahrhundert beziehen sich auf Käfigvögel, 45 die Objekte des Fernhandels waren. Erst um 1790, genau zum Ende der Kleinen Eiszeit, kam der Girlitz wieder in Bewegung und besiedelte innerhalb von 150 Jahren ganz Mittel- und das südliche Nordeuropa (KINZELBACH 2004). Diesen „Kölner-DomEffekt“ (Baubeginn im Mittelalter, Unterbrechung, Wiederaufnahme im 19. Jahrhundert) gibt es auch bei anderen Arten (KINZELBACH 2007). Bei Vögeln wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine unidirektionale Verschiebung der Arealgrenze nach Norden beobachtet in Mitteleuropa (Tab. 2) Finnland, Karelien und Sibirien; für Insekten (z. B. Heuschrecken, Zikaden) in SW-Deutschland. Ein extremer Wärmefolger ist z. B. die Feuerlibelle (Crocothemis erythraea), eine Wanderlibelle aus Nordafrika mit fluktuierendem Vorkommen im Mittelmeergebiet, früher nur Vermehrungsgast in Mitteleuropa, jetzt etabliert in Süddeutschland. Purpurreiher – Ardea purpurea Nordgrenze, Bestand und Grenze fluktuierend. Nachtreiher – Nycticorax nycticorax Nordgrenze, fluktuierend. Kolbenente – Netta rufina Nordgrenze, unregelmäßig, z. T. Parkflüchtling. Schlangenadler – Circaetus gallicus Nordgrenze, Brut bis Anfang 20. Jh., Gast. Rothuhn – Alectoris rufa Nordgrenze, in Mitteleuropa erloschen, auch Wiederbesatz ohne Erfolg. Mittelmeersilbermöwe – Larus michahellis Nordgrenze. Steinrötel – Monticola solitarius im 19. Jh. Wieder-Ausbreitung ins Rheinland, erloschen. Schwarzstirnwürger – Lanius minor Nordgrenze fluktuierend, derzeit erloschen. Rotkopfwürger – Lanius senator Nordgrenze, schwankend. Orpheusspötter – Hippolais polyglotta von SW, seit 1986 Bruten in Mitteleuropa. Seidensänger – Cettia cetti von SW, Gast. Cistensänger – Cisticola juncidis von SW, Gast. Bienenfresser – Merops apiaster von S, oszillierende Brutvorkommen. Steinsperling – Petronia petronia von SW, wieder verschwunden. Zaunammer – Emberiza cirlus Anfang bis Mitte 20. Jh. nach N bis Bonn, jetzt nur Pfalz. Zippammer – Emberiza cia Nordgrenze, fast erloschen. Ortolan – Emberiza hortulana stark rückläufig nach S. Alpenbirkenzeisig – Carduelis flammea cabaret von W, Bruten, z. B. Westerwald. Girlitz – Serinus serinus (A) seit 1790 von Südwest. Tab. 2: Wärmefolger: Erst- oder Wiederausbreitung in Deutschland, z. B. Vögel von Süden nach Norden (Auswahl). Auch Arten der borealen Waldzone folgen der Westverschiebung des kontinentalen Klimatyps mit heißen Sommern mit hohen Wärmesummen (Tab. 3). 46 Silberreiher – Casmerodius albus (O) Westgrenze, Gast. Schwarzstorch – Ciconia nigra (O) Westgrenze, Wieder-Einwanderung seit 1986. Reiherente – Aythya fuligula (A) Westgrenze. Tafelente – Aythya ferina (A) Westgrenze, derzeit stagnierend. Sturmmöwe – Larus canus (O) unregelmäßig Brut im Binnenland, an der Küste rückläufig. Lachmöwe – Larus ridibundus (O) kurzfristig Ausbreitung, inzwischen Rückgang. Steppenmöwe – Larus cachinnans (A) Westgrenze verschiebt sich. Türkentaube – Streptopelia decaocto (A) seit Mitte 20. Jh. von Südosten, Massenvermehrung. Zitronenstelze – Motacilla citreola (A) von Osten, einzelne Bruten. Sperbergrasmücke – Sylvia nisoria (O) Westgrenze. Grüner Laubsänger – Phylloscopus viridis (A) Westgrenze. Beutelmeise – Remiz pendulinus (O) von E, Ausbreitung Bruten nach Westen. Wacholderdrossel – Turdus pilaris (A) von E. inzwischen Grenze weit im W. Karmingimpel – Carpodacus erythrinus (O) Westgrenze. Weidenammer – Emberiza aureola (A) von E, vor der Tür. Tab. 3: Wärmefolger: Erst- oder Wiederausbreitung in Deutschland, z.B. Vögel von Ost nach West. Die Veränderungen am Arealrand folgen vielfach Oszillationen des Klimas, wie sie u. a. für Bienenfresser, Beutelmeise, Karmingimpel, Sperbergrasmücke nachgewiesen sind (KINZELBACH 1998, 1999, 2002). Weitere Darstellungen z. B. bei KALELA 1950, NIETHAMMER 1951, BLONDEL (1991), BURTON (1995). Oszillationen im 11-Jahres-Zyklus sind auch im früheren Auftreten der Pest nachzuweisen, einem klimakorrelierten Biosystem aus dem Bakterium Yersinia pestis, dem Floh Xenopsylla cheopis, der Hausratte Rattus rattus und dem Menschen (Homo sapiens). Das gleiche, möglicherweise vom Rhythmus der Sonnenflecken beeinflusste 11-Jahres-Muster zeigen Störe am Rhein und am Kaspischen Meer (KINZELBACH 1987). Noch aus den postglazialen Warmzeiten (Atlantikum I, II, Abb. 2) stammen Reliktstandorte xerothermophiler Arten. Von ihnen breiten sich die jeweils begünstigten Arten aus, ihre Areale können allerdings auch wieder schrumpfen. Dazu zählen z. B. Spinnenassel, Wespenspinne, Dornfinger, Ameisenfischchen, KammFischchen, Gottesanbeterin, Fanghaft, Streifenwanze, Holzbiene, Oleanderschwärmer, Wiener Nachtpfauenauge, Äskulapnatter, Würfelnatter, Aspisviper, die beiden Smaragdeidechsen, Mauereidechse, Sumpfschildkröte. Im südwestlich angrenzenden Bereich Zornnatter und Ginsterkatze. Es gibt eine Diskussion um die Einwanderung „thermophiler“ Fische und anderer Wassertiere in Nord- und Ostsee, z. B. Meeräsche, Mondfisch, Schwertfisch (OLENIN & LEPPÄKOSKI 1999, REISE 1999). Vereinzelters Vorkommen dieser Arten ist allerdings schon seit über 100 Jahren belegt. Neues Auftreten von Arten (Kalmar, Schwarzmundgrundel, Mittelmeergarnele) ist durch Verschleppung oder durch Salz- 47 wasser-Einbrüche in die Ostsee zu erklären. Hier ist jeweils eine Einzelfallprüfung erforderlich, die meist zugunsten vorschneller Aussagen unterbleibt. Vom Klima beeinflusst sind Veränderungen in der Phänologie. Bei Zugvögeln kommt es zu früherer Rückkehr aus dem Winterquartier oder zu späterem Abzug. bzw. Überwinterungsversuchen, z. B. Mönchsgrasmücke, Zilpzalp, Hausrotschwanz, Braunelle, Mauersegler, Kranich, Rotmilan, Fischadler. Verlagerung von Winterquartieren und verlängerte Zugstecken über die sich ausdehnende Sahara wurden beobachtet. Es kommt zum Verlust von Rastplätzen und Winterhabitaten, dies allerdings meist unter Einfluss des Menschen. Früheres, vermehrtes und weiteres Wandern von Wanderfaltern wird erwartet, doch hat sich nicht einmal beim Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum) eine eindeutige Korrelation mit Klimadaten ergeben. In der Reproduktionsbiologie wird früherer Beginn der Fortpflanzung beobachtet, was bei Vögeln und Amphibien zu ungünstige Verschiebung der Zeitfenster hinsichtlich des Nahrungsangebots führen kann. Neozoen sind, entgegen weit verbreiteter Meinung, überwiegend keine Wärmefolger (KINZELBACH 2001). Auch die „exotischen“ Papageien, Flamingos, Kängurus usw. sind in ihren Herkunftsgebieten an kalte Winter angepasst. Es gibt jedoch Ausnahmen, z. B. die Malaiische Turmschnecke (Melanoides tuberculata), die im Warmwasser der Erft und in verschiedenen Stadtparks zu finden ist. Sie wird sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich, wie schon im südlichen Nordamerika, stark ausbreiten, begünstigt durch ihre parthenogenetische Vermehrung. Wärmefolger sind wohl auch Bienenmilbe (Varroa destructor) und Kleiner Beutenkäfer (Aethina tumida), gefürchtete Feinde des Imkers. 3 Nicht-klimatische Einwirkungen Es gibt entsprechend der vorstehend ausgeführten Bedeutung der Temperatur als ökologischer Grundfaktor ein wetter-, witterungs- und klimaabhängiges Grundrauschen, aus dem einzelne Tier-Klima-Abhängigkeiten herausragen. Bei sehr vielen eigentlich Wärme liebenden Arten ist keine Bestandsvermehrung oder Ausbreitung erfolgt. Störende andere Umweltfaktoren oder zu rascher Wechsel der Selektionsrichtung behindern die Wahrnehmung der neuen Begünstigung, auffallend bei Smaragd- und Zauneidechse sowie den zugehörigen Prädatoren Glattnatter oder Schlangenadler. Keine Wieder-Zunahme von Rotkopfwürger, Schwarzstirnwürger, Ortolan, Zaunammer. Auch die Abnahme z. B. der Tagschmetterlinge, der Hasen und Rebhühner hält an durch Defizite bei den Futterpflanzen (Eutrophierung, Monokulturen), Pestizide, Landschafts-Zerschneidung usw.). Die Habitatschäden überlagern die Klimakomponente. 48 • • • • • • • • • • Verwilderte Haustiere: Karpfen, Stadttaube, Dingo, Pariahunde In „Halb“-Domestikation entstandene Taxa: Parkschwan („immutabilis“), Damhirsch, Mufflon, Hausmaus Mit Haustieren vermischte Auswilderungen: Graugans, Stockente, Forelle Künstliche Subspecies-Mischungen: Forelle, Jagdfasan, Kanadagans Genetische Kanalisierung unter Extrembedingungen: Unio crassus, Ancylus fluviatilis im Rhein unterscheiden sich von subfossilen und von solchen in Zuflüssen Resistenzzucht: Stubenfliege, Blattläuse, Kaninchen Akkulturation, Verstädterung: Fuchs, Wildschwein, Stockente, Haubentaucher, Teichhuhn, Blässhuhn, Amsel, Singdrossel, Kohlmeise, Storch > genetische und tradierte Anpassungen machen sie im städtischen Milieu erfolgreich Zuchtwahl durch „Trophäen“-Bewertung: Rothirsch, Damhirsch, Reh Ausbringung genetisch „wertvoller“ Zuchttiere: Reh, Rothirsch Unbewusste Zuchtwahl durch Landschafts- (Habitat-)veränderungen: Fast alle Arten > CoEvolution Tab. 4: Gendrift unter dem Einfluss des Menschen Zweifellos sind die Kern-Aussagen zur Klimaerwärmung und ihren Folgen richtig. In Teilen handelt es sich jedoch um ein als politisch korrekt erklärtes Medienprodukt. Jede positive oder negative Veränderung, nicht nur der Fauna wird unbedenklich dem Klima zugeschrieben. Dies verstellt den Blick auf andere dringende Probleme des Managements unseres Naturhaushalts. Die meisten der in Medien und Wissenschaft genannten Veränderungen in Fauna, Flora, Habitaten werden in Deutschland derzeit durch andere, anthropogene Faktoren verursacht oder sind der Unkenntnis der Fauna bzw. der Literatur zuzuschreiben. Zur Erklärung der dramatischen Veränderungen in der Tierwelt in Deutschland innerhalb der letzten 50 Jahre bedarf es keines Klimawandels in Anbetracht der Flächennutzung: • Siedlungs- und Verkehrsflächen 12% • Land- und Forstwirtschaft • Naturschutz (Ziel) 85% 3% Das größte Problem nach dem allgemeinen Flächenverbrauch ist, dass auf 85% der Fläche rücksichtslos gewirtschaftet wird, auch unter dem hoch subventionierten Vorwand einer Verringerung der Klimaerwärmung, wobei neben Pestiziden vor allem die Eutrophierung von Wasser, Boden und Luft das Ende vieler Pflanzen- und Tierarten bedeutet. Mit der Vernichtung von Biodiversität schaden wir uns selbst und vernichten eine Ressource, die gerade bei Veränderung der großklimatischen Situation das Reservoir ist für Arten, die den neuen Bedingungen gewachsen sind und helfen, Probleme zu lösen (TÜRKAY, BACHMANN, KINZELBACH, STACKEBRANDT 2001) 49 Literatur BLONDEL, J. (1991): Invasions and range modifications of birds in the Mediterranean Basin. p. 311-326. In: Groves & Di Castri, 485 p., Pasris. BRAUN, R. (1959): Tierbiologisches Experimentierbuch. Stuttgart. BURTON, J. F. (1995): Birds and climate change. – 376 pp., London (A & C Black). KALELA, O. (1950): Zur säkularen Rhythmik der Arealveränderungen europäischer Vögel und Säugetiere, mit besonderer Berücksichtigung der Überwinterungsverhältnisse als Kausalfaktor. - Orn. Fenn. 27: 1-30, Helsinki. KINZELBACH, R. (1987): Das ehemalige Vorkommen des Störs, Acipenser sturio (Linnaeus, 1758), im Einzugsgebiet des Rheins (Chondrostei: Acipenseridae). - Z. Angew. Zool. 74 (2): 167-200, Berlin. KINZELBACH, R. (1995): Vogelwelt und Klimaveränderung im 16. Jahrhundert. Neue Quellen und Ergebnisse der Historischen Ornithologie. - Die Naturwissenschaften 82: 499-508, Heidelberg. KINZELBACH, R. (1998): Biodiversität und Klima. - S. 298-302. - In: LOZÁN, J. L., H. GRAßL, P. HUPFER (Hg.), Warnsignal Klima. Wissenschaftliche Fakten. 463 S., Hamburg (Wissenschaftliche Auswertungen). - - (2001): Interaction of Climate and Biodiversity. - p. 296-300. - In: LOZÁN, J. L., H. GRAßL, P. HUPFER (Eds), Climate of the 21st Century: Changes and Risks. 448 p., Hamburg. KINZELBACH, R. (1999): Historische Ornithologie – eine keineswegs verstaubte Wissenschaft: Vogelwelt und Klima im 16. und 17. Jahrhundert. – Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin N.F. 38: 37-54, Berlin. KINZELBACH, R. (2001): Das Jahr 1492: Zeitenwende für Flora und Fauna? - Rundgespräche der Kommission für Ökologie, 22: 15-12, Gebietsfremde Arten, die Ökologie und der Naturschutz, München (Bayerische Akademie der Wissenschaften). KINZELBACH, R. (2002): Areal und Ausbreitung der Beutelmeise Remiz pendulinus (L., 1758) vor dem 19. Jahrhundert. - Ökol. Vögel (Ecol. Birds) 24: 65-95. KINZELBACH, R. (2004): The distribution of the Serin Serinus serinus (L., 1766) in the 16th century. J. Orn. 145: 177-187. KINZELBACH, R. (2007): Veränderungen der Tierwelt Mitteleuropas im letzten Jahrtausend. Rundgespräche der Kommission für Ökologie (in Druck) (Bayerische Akademie der Wissenschaften). NIETHAMMER, G. (1951): Arealveränderungen und Bestandsschwankungen mitteleuropäischer Vögel. – Bonner Zool. Beitr. 2: 17-54. MAYR, E. (1926): Die Ausbreitung des Girlitz (Serinus canaria serinus L.). - J. Orn. 74: 571671, Berlin. OLENIN, S. & E. LEPPÄKOSKI (1999). Non-native animals in the Baltic Sea: alteration of benthic habitats in coastal inlets and lagoons. - Hydrobiologia 393: 233-243. REISE, K. (1999): Exoten in der Nordsee. – Biologie in unserer Zeit 29: 286-290. TÜRKAY, M., K. BACHMANN, R. KINZELBACH, E. STACKEBRANDT (2001): Erforschen, nutzen, schützen: Biodiversität – die Vielfalt, in der wir leben. - S. 72-83, Buch zum Jahr der Lebenswissenschaften. 50 Globale Erwärmung: Wegbereiter für tropische Infektionskrankheiten auch in Deutschland? Prof. Dr. Emil C. Reisinger, Dr. med. Christoph J. Hemmer Abteilung für Tropenmedizin und Infektionskrankheiten Klinik und Poliklinik für Innere Medizin Universität Rostock Seit etwa 200 bis 300 Jahren wird eine langsame Erwärmung auf der Erde beobachtet [1]. Während der letzten 100 Jahre betrug sie in Afrika etwa 0,39°C, und in Europa, wo sie bisher überwiegend die Wintermonate betrifft, etwa 0,8°C. Sie wird auf den Konzentrationsanstieg von Kohlendioxid und anderer Treibhausgase in der Atmosphäre aber auch auf menschenunabhängige klimatische Veränderungen zurückgeführt. Da viele Infektionskrankheiten durch Insekten oder Zecken übertragen werden, deren Entwicklung von der Außentemperatur abhängt, wirken sich Temperaturschwankungen auf die Übertragung dieser Infektionskrankheiten aus. Das gilt besonders für tropische Infektionskrankheiten, deren Überträger (Vektoren) eine bestimmte Mindesttemperatur für ihre Entwicklung benötigen. Anhand von vier Beispielen wird erläutert, wie die globale Erderwärmung zur Ausbreitungen von Krankheiten führen kann. 1. Malaria: Die Malaria ist die wichtigste parasitäre Tropenerkrankung. Jährlich gibt es weltweit zwischen 200 und 500 Millionen Neuerkrankungen und – vor allem in Afrika – mehrere Millionen Todesfälle, meist Kinder unter fünf Jahren. In Deutschland erkranken jährlich etwa 1000 Tropenrückkehrer an Malaria, zwischen 10 und 20 versterben an der Erkrankung. Abb. 1: Plasmodium falciparum, Erreger der Malaria tropica, in roten Blutköperchen Die Malaria wird durch Anopheles-Mücken übertragen [2]. Diese entwickeln sich bei Temperaturen zwischen 16 und 33 °C und benötigen Brutstätten in stehenden oder langsam fließenden Gewässern. Anopheles-Mücken nehmen Malariaparasiten beim Stechen mit einer Blutmahlzeit auf. Diese Parasiten müssen in der Mücke einen Vermehrungszyklus durchlaufen, bevor sie bei der nächsten Blut51 mahlzeit auf das nächste Stichopfer übertragen werden können. Das Parasitenwachstum in der Mücke hängt davon ab, dass die o.g. Mindesttemperatur wenigstens zwei bis drei Wochen lang eingehalten wird. Selbst eine geringe Temperaturerhöhung kann das Parasitenwachstum in der Mücke deutlich begünstigen. Daher wirken sich Temperaturschwankungen besonders in Gegenden aus, wo Malaria bisher nur unregelmäßig oder selten übertragen wird. Abb. 2: Anopheles-Mücke, Überträger der Malaria Wahrscheinlich steht der Anstieg der Malaria-Fallzahlen in NordPakistan während der 80‘er Jahre und im Hochland von Uganda Ende der 90‘er Jahre des 20. Jahrhunderts mit Temperaturerhöhungen der El-Niño-Klimaschwankung im Zusammenhang [3]. Ein Faktor, der in den Tropen einen stärkeren Einfluss auf die Malariaübertragung als die Temperatur ausübt, ist die sozioökonomische Entwicklung. In Singapur beispielsweise, einem verhältnismäßig reichen Stadtstaat, wo klimatisierte Räume vor Mückenstichen Schutz bieten und Mückeneradikationsprogramme finanziert werden können, wird die Malaria trotz der geographischen Lage in den Tropen relativ selten übertragen. Trotzdem hat es in den letzten Jahren in mehreren europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland, vereinzelte Fälle von Malariaübertragung gegeben. Zwar waren hierfür oft Mücken verantwortlich, die als „blinde Passagiere“ in Flugzeugen aus tropischen Ländern nach Europa gelangt waren. Jedoch wurde in wenigstens zwei Malariafällen des Jahres 2001 gezeigt, dass die Erkrankung in Deutschland durch einheimische Anopheles-Mücken übertragen worden war [4]. Die Malaria war bis Ende des 2. Weltkrieges in einzelnen Herden in Deutschland endemisch. Das bedeutet, dass die Übertragung von Malaria innerhalb von Deutschland auch heute prinzipiell möglich ist. 2. Dengue-Fieber und Gelbfieber: Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation erkranken jährlich mindestens 50 Millionen Menschen an Dengue-Fieber. Etwa 500.000 erleiden schwere Komplikationen und mindestens 12000 versterben an der Erkrankung. Besonders betroffen sind Kinder und Bewohner von Großstädten in Entwicklungsländern. Dengue-Fieber ist eine Viruserkrankung, die in tropischen Gebieten durch Moskitos der Gattung Aedes übertragen wird. Die Dengue-Viren, von denen es vier Typen gibt, gehören zur Gruppe der Flaviviren. Die Virusvermehrung im Überträger-Insekt ist stark von der Umgebungstemperatur abhängig. Nach Modellrechnungen führt der weltweite Temperaturanstieg der bis 2050 wahrscheinlich 1,6°C betragen wird, in zahlreichen Regionen zu 52 einem Anstieg der Dengue-Fallzahlen um 31 bis 47% [5]. Auch vorübergehende Erhöhungen von Lufttemperatur und Niederschlagsmenge, wie sie oft im Rahmen des El-Niño-Phänomens beobachtet werden, haben in den letzten Jahren zu Dengue-Epidemien geführt [3]. Abb. 3: Aedes aegypti, Überträger von Dengue- und Gelbfieberviren Aedes-Mücken übertragen nicht nur Dengue-Viren, sondern auch Gelbfieber-Viren, die ebenfalls zu den Flavi-Viren gehören. Gelbfieber ist eine potentiell tödliche Erkrankung, für die es keine spezifische Therapie, sondern nur eine Impfung gibt. Bei einer Außentemperatur von 18 Grad dauert es 18 Tage, bis die Aedes-Mücke GelbfieberViren beim Stechen weitergeben kann. Bei einer Außentemperatur von 37°C sind die Aedes-Mücken bereits vier Tage nach Aufnahme des Virus infektiös. Daher ist es bei einer klimatischen Erwärmung durchaus möglich, dass sich Gelbfieber, das bisher auf tropische Regionen Südamerikas und Afrikas begrenzt ist, weiter ausbreitet. 3. West-Nil-Fieber: West-Nil-Fieber ist eine Viruserkrankung, die meist milde verläuft, jedoch in einigen Fällen eine schwere Hirnhautentzündung verursacht. Hiervon sind vor allem Ältere betroffen. Das West-NilVirus kommt normalerweise in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten vor. Es wird durch Stechmücken der Gattung Culex übertragen, die auch in Nordamerika und Europa verbreitet sind. Abb. 4: Culex pipiens, Überträger des West-Nil-Virus Wie im Falle verschiedener anderer Viren, die durch Mücken übertragen werden, konnte auch für das West-Nil-Virus gezeigt werden, dass die Virusvermehrung in den Überträger-Mücken stark von der Umgebungstemperatur abhängt. Daher ist es nicht überraschend, dass die Epidemie im Nordosten der USA im Jahre 1999 während eines heißen Sommers auftrat. Ein relativ warmer Winter hatte zuvor dafür gesorgt, dass zahlreiche Culex-Mücken bis zum Frühjahr überlebt hatten. Bei dieser West-NilFieber-Epidemie gab es im Nordosten der USA über 2000 Erkrankte und über 100 Tote. 4. Durch Zecken übertragene Erkrankungen Lyme-Borreliose wird durch den Stich von Zecken der Gattung Ixodes übertragen. Besonders häufig betroffen sind Waldarbeiter. In den USA wurden 1998 fast 16000 Fälle von Lyme-Borreliose gemeldet [6]. In Deutschland, wo keine bundesweite Meldepflicht existiert, wird ebenfalls eine fünfstellige Zahl von Infektionen jährlich vermutet. 53 Warme Winter begünstigen das Überleben und die Vermehrung der Überträger-Zecken. Die globale Erwärmung betrifft in Europa besonders die Wintermonate. Es ist also zu vermuten, dass Klimaveränderungen auch zu einer Zunahme der durch Zecken übertragenen Erkrankungen, wie Lyme-Borreliose und Frühsommermeningoenzephalitis (FSME) führen [7]. Abb. 5: Ixodes Ricinus (Schildzecke), Überträger der LymeBorreliose Fazit: Die genannten Beispiele zeigen, wie stark selbst verhältnismäßig kleine Klimaveränderungen die Übertragung von wichtigen Infektionskrankheiten beeinflussen. Dies gilt nicht nur für die Tropen, sondern auch für Regionen mit gemäßigtem Klima, einschließlich Deutschland. Aufgrund der globalen Erwärmung ist konkret damit zu rechnen, dass Krankheitserreger in Gebiete vordringen können, in denen sie ausgerottet waren oder bisher nicht vorgekommen sind. Für potentiell betroffene Gesellschaften bedeutet dies, dass das Gesundheitswesen auf bisher ungewöhnliche Erkrankungen vorbereitet sein muss, und dass Ärzte solide infektiologische Kenntnisse benötigen. Von besonderer Bedeutung ist ferner, dass ausreichend Kapazitäten nicht nur für die Diagnostik und Therapie, sondern auch für die Erforschung von Krankheitsmechanismen und Therapiemöglichkeiten für Infektions- und Tropenkrankheiten geschaffen werden müssen. 54 Literatur A.K. GITHEKO, S.W. LINDSAY, U.E. CONFALONIERI, J.A. PATZ: Climate change and vector-borne diseases: a regional analysis. WHO Bulletin 2000, 78, 1136-1147 N.J. W HITE: Malaria. In: Manson’s Tropical Diseases, 21. Auflage, 2003, S. 1205-1295. Herausgeber: G.C. Cook und A. Zumla. Elsevier, London R.S. KOVATS: El Niño and human health. WHO Bulletin 2000, 78, 1127-1135 A. KRÜGER, A. RECH, X.Z. SU, E. TANNICH: Two cases of autochthonous Plasmodium falciparum malaria in Germany with evidence for local transmission by indigenous Anopheles plumbeus. Trop Med Int Health. 2001, 6: 983-5. J.A. PATZ, W.J. MARTENS, D.A. FOCKS, T.H. JETTEN: Dengue Fever epidemic potential as projected by general circulation models of global climate change. Environ Health Perspect 1998, 106: 147-153 D.J. GUBLER, P. REITER, K.L. EBI, W. YAP, R. NASCI, J.A. PATZ: Climate variability and change in the United States. Potential impacts on vector- and rodent-borne diseases. Environ Health Perspect 2001, 109 (suppl 2): 223-23 C.J. HEMMER, M. LITTMANN, M. LÖBERMANN, M. LAFRENZ, T. BÖTTCHER, E. C. REISINGER: Tickborne meningoencephalitis, first case after 19 years in northeastern Germany. Emerging Infectious Diseases 2005 Apr;11(4):633-4. 55 Klimafolgen und deren Auswirkungen auf Mecklenburg-Vorpommern Prof. Dr. Wolfgang Riedel Professur für Landschaftsplanung und –gestaltung Institut für Management ländlicher Räume Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät Universität Rostock Nach den inhaltsreichen Ausführungen des Vormittags, die aus den verschiedensten Fachkulturen versuchten, das Thema „Klimawandel - Klimafolgen - Naturkatastrophen und deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft“ darzustellen, erwartet niemand, dass mein Vortrag „Klimafolgen und deren Auswirkungen auf MecklenburgVorpommern“ in der Kürze der Zeit erschöpfend sein kann. Vieles ist bereits dargestellt, vieles ist überhaupt noch nicht darstellbar und Gegenstand von Szenarien und Simulationen. Darstellen möchte ich - mit Mut zur Lücke - einige Aktivitäten in diesem Bundesland, die zeigen, dass das Problem erkannt worden ist. Angesichts des weit fortgeschrittenen Klimawandels natürlich viel zu spät, wird deutlich, dass die unterschiedlichen Bemühungen zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit in Richtung Minderung, Vorsorge und Anpassung mit aller Konsequenz zu unterstützen sowie unverzichtbar sind. Der Umweltminister hat in seinem wegweisenden Beitrag die Richtung gewiesen. Die bislang erreichten Standards dürfen bei allen politischen Veränderungen keinesfalls aufgegeben werden, die Arbeit muss konsequent fortgesetzt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein neuer Umweltminister auf einen wissenschaftlichen Beirat verzichtet. Dieser vor allem aus Mitgliedern der Hochschulen unseres Landes zusammengesetzte große Beirat hat den Sachverstand multi- und interdisziplinär gebündelt und die Umweltpolitik des Landes MecklenburgVorpommern acht Jahre lang begleitet. Eine wichtige ad hoc-Arbeitsgruppe der letzten zwei Jahre war die Arbeitsgemeinschaft Klimafolgen mit mehreren Wissenschaftlern aus Mecklenburg-Vorpommern unter der Leitung von Herrn Prof. Moeck vom IBZ in Hohen Luckow und der fachlichen Begleitung durch das LUNG. Auf einige Ergebnisse dieser ad hoc-AG Klimafolgen des WBU werde ich zu einem späteren Zeitpunkt hinweisen, diese Arbeit muss konsequent fortgesetzt werden zum Wohle des Landes, seiner Natur und seiner Bürgerinnen und Bürger. Mecklenburg-Vorpommern hat vergleichsweise früh umweltpolitisch gehandelt, ich nenne nur die Klimaschutzpolitik, das Klimaschutzprogramm des Landes und die bisherigen drei Klimaschutzkongresse in Güstrow, deren Ergebnisse vorliegen und die die entsprechende Beachtung erfahren haben. Am Dienstag fand in Berlin der 2. Nationale Workshop „Anpassung an Klimaänderungen in Deutschland - Regionale Szenarien und nationale Aufgaben“ statt, die Medien überschlugen sich in Presseinformationen der Herren Gabriel und Troge, grundsätzlich richtig und erfreulich, für manche Menschen fiel das Problem scheinbar urplötzlich vom Himmel. Bei aller Ungewissheit 56 gesicherter Prognosen für die Zukunft kann die grundsätzliche Klimaerwärmung niemand mehr zurückweisen. Ich fühle mich dennoch manchmal bei abwiegelnden Haltungen zurückversetzt in die 80er Jahre, als ich erleben musste, wie gestandene bundesdeutsche Forstdirektoren im Staatsdienst das Phänomen des Waldsterbens schlichtweg als ökologischen Blödsinn ablehnten. Diese Herren sind heute in Rente, haben aber wichtige Entwicklungen damals verhindert. Wie sehr das Thema in der Gesellschaft angekommen ist, möge ein weiteres Beispiel verdeutlichen: Die Kirchen in Norddeutschland, und zwar die nordelbische Kirche, die mecklenburgische Landeskirche, die pommersche und das Erzbistum Hamburg haben sich zu einer „Ökumenischen Stiftung für Schöpfungsbewahrung und Nachhaltigkeit“ zusammengetan und haben u.a. in einer Ratzeburger Sommeruniversität vor wenigen Wochen den Schutz der Ostsee und die Problematik der Klimafolgen auf internationaler Ebene eindringlich behandelt. Der Beitrag des Landes M-V für die weitere Arbeit besteht u.a. darin, dass Hochschullehrer aus Greifswald und Rostock im Kuratorium und Vorstand der Stiftung sitzen. BezeichLand- und Forstwirtschaft nend ist auch, dass der Geschäftsführer nicht nur Pastor, Prof. Dr. Tack sondern auch Klimaschutzbeauftragter ist. Dieses Beispiel möge nur „pars pro toto“ stehen. Ich verweise auf viele PaEnergie/Verkehr piere von Kirchenleitungen und Bischofskonferenzen, SyProf. Dr. Moeck noden und Kirchentagen, soeben gibt es ein Papier zum Klimawandel der deutschen Bischofskonferenz, das im InOstsee/Küste ternet unter www.dbk.de nachzuschlagen ist. Prof. Dr. v. Bodungen Ich darf noch einmal als ein Beispiel der Aktivitäten im Blick auf Klimafolgenforschung und Klimafolgenminderung die Arbeit der ad hoc-Arbeitsgruppe des Wissenschaftlichen Beirats des Umweltministers kurz beleuchten. Die ad hoc-Arbeitsgruppe widmete sich verschiedenen Teilbereichen, welche größtenteils von Hochschullehrern vertreten wurden. Die Arbeitsgruppen lehnen sich teilweise an die in der Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung betrachteten klimasensitiven Bereiche an. Entsprechend der Spezifik von M-V wurden einige Ergänzungen vorgenommen. Hilfreich für alle Arbeitsgruppen waren die langjährigen Untersuchungen zur Klimaentwicklung z.B. - Umweltministerium M-V: CO2-Bericht 1997 - 2002 - Wirtschaftsministerium M-V: Energiebilanz und energie- Regionalentwicklung/ Tourismus Prof. Dr. Riedel Gesundheit Biodiversität/ Naturschutz Prof. Dr. Riedel Wasserwirtschaft Prof. Dr. Miegel Abb. 1: Ansprechpartner in den Teilbereichen der Adhoc-Arbeitsgruppe „Klimafolgen“ des Wissenschaftlichen Beirates bedingte CO2-Bericht - Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei: Bilanzierung des Treibhausgases CH4 in der Landwirtschaft 57 Die Auswirkungen der vom Klimawandel betroffenen Bereiche wurden unter der Leitung von Prof. Moeck vom IBZ Hohen Luckow in einer Studie „Auswirkungen der Klimaänderungen für das Land Mecklenburg-Vorpommern - systematische Betrachtungen der betroffenen Schwerpunkte“ zusammengefasst. Aus den vorliegenden Zuarbeiten wurden Vorschläge zur Struktur der einzelnen Module und ihrer Vernetzung mit den anderen Teilbereichen entwickelt. Ich stelle davon nur einmal kurz die Auswirkungen des Klimawandels auf Mecklenburg-Vorpommern vor: Wasserwirtschaft Klimafolgen Steigende Hochwassergefahr an Flüssen und Küste Einzelaussagen/ Beispiele • höhere Wahrscheinlichkeit winterlicher Hochwasser durch Zunahme der Winter- und Frühjahrsniederschläge • zunehmende Häufigkeit von Starkniederschlagsereignissen (regional und lokal) und ungünstiger Wetterlagen • Überlagerung mit nichtklimabedingten Einflüssen (Flussbegradigungen, Verlust von Auen und Feuchtgebieten, Versiegelung) • gegenläufige Tendenzen: temperaturbedingtes geringeres Zufrieren der Flüsse, dadurch verringerte Eisstauhochwasser (Elbe) Steigende Gefahr von Niedrigwasser • Verringerung der Sommerniederschläge • Behinderung der Binnenschifffahrt • Gefahr für Feuchtgebiete und aquatische Ökosysteme Zunehmende Extremsituation (Hochwasser, Niedrigwasser, Dürren, Starkniederschläge) • Zunahme Schäden der Infrastruktur, Gefährdung Menschenleben, Ernteausfälle, Waldbrandgefahr • Qualitätsminderung des Erntegutes • höhere Gesundheitsrisiken • zunehmende Aufwendungen für Versicherung gegen Schäden, Rücklagen und Schadenausgleichszahlungen • erhöhte Erosionsgefahr Sinkende Wasserverfügbarkeit durch geringeren Abfluss (Differenz Niederschlag – Verdunstung) • In verschiedenen Regionen geringere Niederschläge im Jahresmittel möglich, aber steigende Verdunstung durch Temperaturerhöhung • bei geringeren mittleren Niederschlägen Gefahr der verringerten Grundwasserneubildung (Abnahme Grundwasservorräte) • bei Zunahme der Winterniederschläge auch Zunahme der Grundwasserneubildung; gegenläufig: Zunahme abflussintensiver Starkniederschläge, weniger häufige und niedrigere Schneedecke 58 Klimafolgen Starke Schwankung des saisonalen Wasserdargebots (regionale und saisonale Verteilung der Niederschläge) Einzelaussagen/ Beispiele • Verringerung der klimatischen Wasserbilanz (insbesondere im Sommer) durch erhöhte Verdunstung • Verschiebung der Niederschläge in den Winter, dadurch Gefahr der Zunahme trockener Perioden und Dürren • Verschiebung der Bilanz zwischen Wasserverfügbarkeit (Winter?, Sommer?) und Wasserbedarf (Sommer?), damit steigende Anforderungen an Wassermanagement (Verweildauer des Wassers in der Landschaft, Anpassung Versorgung über Wasserspeicher, -transport und Sparmaßnahmen, Bewässerung) • Änderung der Wasserstände und Wasserqualitäten in Seen und Kanälen • Artenverluste oder Änderungen der Lebensgemeinschaften Veränderung des absoluten Wasserbedarfes & Verlängerung der Vegetationszeit • Erhöhter Wasserbedarf im Tourismus • Zunahme der Flussfrachten im Winter durch erhöhte Abflüsse • Zunahme der Nährstofffreisetzung aus Sedimenten (tiefe Seen und Küstengewässer) durch langanhaltend warme und ruhige Wetterlagen im Sommer Landwirtschaft • im Zusammenhang mit der Erwärmung vermehrtes Wachstum von Zoo- und Phytoplankton Kulturen mit hohem Wärmebedarf (höhere Ertragsleistungen wenn andere Faktoren wie z.B. Niederschlag gesichert sind • Maiserträge • Elbe Nordelbe Brandenburg +8%UBA +15% +10 bis +30% +14 % Getreide: differenziert; generell Qualität und Ertrag negativ • Brandenburg +8% • Elbe -10% Biomassebereitstellung größer • regionale Verteilung geändert • Struktur verändert Notwendigkeit von Gewässerschutz und Wasserregulierung • höhere Investitionen Aufwendungen für Konservierung größer • z.B. Trocknung mit höherem Energieaufwand Schaderreger und Unkräuter • u.U. Umschichtung (keine gesicherten Aussagen) neue Kulturpflanzen • noch keine gesicherten Aussagen Änderung der Gehalte von Inhaltsstoffe • Stärke, Zucker, Öl Änderung der Erträge Ölfrüchte, • offen • höherer Energiebedarf 59 Klimafolgen Einzelaussagen/ Beispiele Forstwirtschaft Kartoffeln, Zuckerrüben Zunahme der CO2 – Konzentration und mit steigender Temperatur sinkt die Speicherfähigkeit von CO2 • Reduzierung der CO2 – Senke Veränderte Aufwendungen an Gestaltung von Bauten, Ausrüstungen und Betrieb • Klimatisierung von Ställen Umschichtung der Bestände • Fichte Eiche Buche Linde • Leichtbau, Nutzungsdauer & andere • Konzeption Alleen • Ausgleichsflächen • noch wenig gesichert Änderung des Waldökosystems Zunahme der Küstenbereich Region • wissenschaftlich noch unklar Belastung im Anforderungen an die Planungsinstrumente werden wachsen • Klima existiert z.Z. nur als Schutzgut • Notwendigkeit gesundheitlich nachhaltiger Planung • Klimaszenarien müssen Eingang in Raumordnung finden • Notwendigkeit ressortübergreifender Aktivitäten • Einfluss auf das Alleenentwicklungsprogramm M-V Tourismus • Fakten von konkreten Umsetzungsstrategien; z.Z. keine entspr. Wiss. Untersuch bekannt Attraktivitätssteigerung für Touristen • Temperaturzunahme Luft und Wasser • größere Sonnenscheindauer • geringeres Niederschlagsaufkommen im Sommer • Verdrängung aus klassischen Urlaubsgebieten am Mittelmeer (Hitzewellen) • größere Wirtschaftskraft in Tourismusgebieten zunehmende regionale Belastungen • steigender Energie- und Wasserverbrauch • u.U. Veränderung des Verkehraufkommens • wachsender Druck auf Natur und Landschaft • Wirkung der Erwärmung auf Arten und Biotope (Artenverluste bei +1° bis 2° in Europa 15-40%) • Zunahme von Krankheitserregern • Wirkung auf das Besucherverhalten Quelle: IBZ-Studie, Juli 2006 60 Nach dieser rein ehrenamtlichen Phase kommt es in der Folge zu einer Vergabe von Forschungsaufträgen in der entsprechenden üblichen Form, die jeder Kritik standhält. Nach den Interessenbekundungsverfahren wurden Facharbeitsgruppen ab September 2006 gebildet. Abb. 2: Schematische Darstellung der Facharbeitsgruppen (Quelle: UM M-V, 2006) Ich freue mich, dass einige Akteure hier vertreten sind, darf aber auch anmerken, dass die zur Verfügung stehenden Mittel nicht die Dimension haben, die sich mancher so vorstellt (nehmen Sie eine Null weg). Es ist leider immer noch nicht in dieser Gesellschaft konsensfähig, dass Klimavorsorge nicht nur eine freiwillige Aufgabe verantwortungsbewusster Wissenschaftler und Bürger ist, sondern eine staatliche Aufgabe - eine Erkenntnis, die Rechnungshöfen noch nicht immer so recht klar ist. Zeigleich zu dieser Vorgehensweise der Forschungspartner mit einem Koordinator läuft eine Delphi-Studie. Die Ergebnisse werden in einem Bericht im Juni 2007 insgesamt vorliegen, werden dann in der interministeriellen Arbeitsgemeinschaft Klimaschutz diskutiert und sollen einmünden in eine Kabinettvorlage im Rahmen des Aktionsplans Klimaschutz im September 2007, so die Verantwortlichen wollen. Von Seiten der Wissenschaft werden wir dieses bei der Politik einfordern. Durch Datenbanken u.a. beim Umweltbundesamt und beim Max-Planck-Institut für Klimaforschung in Hamburg gibt es eine, wenn auch z.Z. noch mit einigen Softwareproblemen behaftete Datenverfügbarkeit (WETTREG, REMO). Studierende der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät mit Diplomarbeiten auf diesem Sektor können ein Lied davon singen, wie verfügbar die Daten im Letzten wirklich sind, beispielsweise von Niederschlag, Sonnenscheindauer, Luftdruck, Temperatur und Windgeschwindigkeit sowie die Datenverfügbarkeit regionaler Klimaprognosen bis zum Jahr 2100. Basis sind die IPCC-Szenarien zur Entwicklung der Weltwirtschaft und der Treibhausgase, die REMO-Daten arbeiten mit einem 10x10 km-Raster. Diese Daten werden den Ländern grundsätzlich kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Abbildung 2 zeigt an einem einzigen Beispiel die Auswirkungen des Jahresniederschlages nach REMO mit der Änderung des Sommerniederschlags im Zeitraum 2071 bis 2100 im Verhältnis zum Zeitraum 1961 - 1990. Für MecklenburgVorpommern bedeutet dieses eine leichte Erhöhung, aber stärkere jahreszeitliche 61 Schwankungen, im Frühling einen Anstieg um 10 - 18 %, im Sommer eine Abnahme um 10 - 20 %, was die bisherige Landwirtschaft vor große Probleme stellen dürfte. Abb. 3: Relative Niederschlagsänderung im Sommer (%); A1B (2071-2100) – CTRL (1951-1990) Sie können verstehen, dass ich gern zu den von mir vertretenen Kompartimenten „Die Bedeutung der Klimaänderung in Mecklenburg-Vorpommern - Erhalt, Entwicklung und Monitoring der biologischen Vielfalt auf Naturschutzflächen in MecklenburgVorpommern“ etwas sagen würde, nicht zuletzt als Vorstandsmitglied der Stiftung Umwelt und Natur des Landes. Macht es in Zukunft überhaupt noch Sinn, Flächen für den Naturschutz zu kaufen, wenn wir die Biotope in der heutigen Qualität überhaupt nicht mehr schützen und pflegen können, oder ist es geradezu notwendig auf dem Hintergrund der bevorstehenden Veränderungen über Flächen verfügen zu können, auf denen sich Natur dynamisch frei entfalten lässt bzw. auch gezielt pflegen lässt, um manche Ökosysteme überhaupt zu erhalten. Hier gibt es sehr viel Forschungsbedarf und angesichts der Unattraktivität solcher Themen, angesichts heutiger forschungspolitischer Setzungen fühlt man sich hier als Natur- und Planungswissenschaftler manches Mal allein gelassen. Dabei geht es beim Naturschutz nicht nur um die ethische Frage und die ökologische Vielfalt, gerade in M-V ist Naturschutz in der Vergangenheit ein starker Motor für wirtschaftliche Entwicklungen gewesen, wie man anschaulich an der auch ökonomischen Bedeutung der Natur- bzw. Nationalparke, oder am Landeskulturdenkmal der tausenden Kilometer Alleen darstellen kann. Auf der einen Seite zeigen uns USStudien die ökonomische Bedeutung der globalen Ökosysteme auf, deren technischer Ersatz nicht möglich ist, oder unbezahlbar, auf der anderen Seite geht es aber auch um „Eigenart, Vielfalt und Schönheit“ der Natur, Dinge, die im nichtmonetären Bereich liegen. Aus anderen Bundesländern liegen Einschätzungen zu möglichen und nachweisbaren Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die Biodiversität vor, z.B. die PAMPUS-Untersuchung für Hessen 2004. Ein ähnlicher Statusbericht ist für das Land M-V noch zu erstellen, wobei es natürlich hervorragende Vorarbeiten der Universitäten oder des LUNG bereits gibt. Für Politikberatungen und Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie muss deutlich herausgearbeitet werden, dass die Bedrohung der Biodiversität als gesellschaftliches Problem verstanden werden muss, 62 ich verweise hier z.B. auf die Vilmer Thesen zur Biodiversität. Die Vorträge meiner Vorredner haben auch gezeigt, dass die Sensibilisierung der Bevölkerung angesichts von unmittelbar im Lebensumfeld erlebten Veränderungen steigt. Angesichts der Entwicklungsszenarien sind die vielleicht manchmal lästigen Standards europäischer Richtlinien, z.B. FFH-Richtlinie, Vogelschutzrichtlinie, Wasserrahmenrichtlinie, entscheidende Schritte zur Erhaltung der biologischen Vielfalt Europa, in ihrem Standard zu erhalten und auszubauen und in nationales Recht zu überführen. Der Landschaftsplanung kommt hier eine sehr wichtige Schlüsselrolle zu und es ist ein erfreuliches Zeichen, dass angesichts der Spar- und Streichungsdiskussionen zumindest diese Professur perspektivisch gesehen zur Disposition steht. Welche Strategien gibt es z.B. für die früher einmal 90.000, heute aber immer noch etwa 30.000 - 50.000 Sölle im Lande, deren Bedeutung im Biotopverbund, in der Vernetzung der Lebensräume und als Trittsteinbiotope unbestritten ist. Sie spielen in der Naturschutzstrategie des Landes weiterhin eine große Rolle und zwar als ganzheitlich vernetztes System, denn mit „Restflächen“ ist kein wirkungsvoller Arten- und Biotopschutz möglich. Ein weiteres Thema, was meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mich herausfordert, ist die Bedeutung der Klimaänderungen in Mecklenburg-Vorpommern als Herausforderung an Regionalentwicklung und Tourismus. Als Mediator eines Regionalentwicklungsprozesses, der ein bedeutendes Flusseinzugsgebiet umfasst, ist mir die derzeitige schwierige Situation unserer ländlichen Räume unmittelbar und grundsätzlich vertraut. Ich nenne nur den demographischen Wandel, das Verschwinden von Bevölkerung und das Verschwinden der Dörfer. Die katastrophalen Haushalte von Kommunen, die sozialen Schieflagen und die sozialen schwierigen Umstände mancher Bevölkerungsschichten, die plötzlich die Republik auf der Basis eines Gutachtens der Friedrich-Ebert-Stiftung erregen. Wenn diese bislang ungelösten Entwicklungsprobleme peripherer Räume, die wir, das sage ich nachdrücklich hier, nicht aufgeben wollen, nicht gelöst werden, und es kommt dann noch die Konsequenz eines Klimawandels als Erschwernis für Regionalentwicklung und Tourismus dazu, dann werden die Verhältnisse kaum noch steuerbar, auf Beispiele muss ich hier verzichten. Aber es gibt europäische Hoffnungsschimmer: Am 30.10.2005 konnte in Bukarest die Teilnahme an einem internationalen INTERREG III b CADSES-Projekt (ACCRETe - Agriculture and Climate Changes: how to Reduce human Effects and Threats) Leadpartner Provinz Parma, unterzeichnet 63 werden, welches sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Landwirtschaft und ländliche Räume befasst. Es fokussiert die Interdependenzen auch hinsichtlich zu erwartender Klimafolgen, bemüht sich vor allem um ein höheres Bewusstsein im Blick auf Bevölkerung und Operateure, Partner sind z.B. die Provinz Parma mit seinem Landwirtschaftsdepartment, das Hydrologische Meteorologische Institut der Tschechischen Republik, zwei Kommunen in Griechenland, die Universität von Thessaloniki, Landwirtschaftsinstitute in Italien, die Nationale Meteorologische Verwaltung in Rumänien, das Agriculture Institute in Slowenien und die Universität Rostock. Abb. 4: Partner des ACCRETe-Projektes Ziele von ACCRETe: Bewusstmachen der Kopplung von Landwirtschaft und Klimawandel; Sensibilisierung für das Thema, Diskussion unterschiedlicher Einschätzungen/ Haltungen zu Folgen, zu Anbaumethoden, Konsumverhalten etc. Sensibilisierung von öffentlichen und privaten Akteuren für die möglichen künftigen Auswirkungen der Wechselbeziehung Landwirtschaft/ Klimawandel auf die Produktion (Qualität und Quantität) Einrichtung von Vorhersage- und Vorsorgesystemen hinsichtlich „Naturrisiken“ für die Landwirtschaft, dies in Verbindung mit der Bewusstseinsbildung bei Politikern, Technikern, Landwirten, Bürgern überhaupt Einrichtung wirksamer Monitoring-Instrumente Erneuerbare Energien am Beispiel der Gemeinde Ivenack: Sanierung und Wiedernutzbarmachung bestehender Gebäudesubstanz (z.T. denkmalgeschützt) Nutzung von Dachflächen für Photovoltaik Bereitstellungslagers für Rohstoffe (Biomasse) Fermentationsanlage (Gülle, nachw. Rohst.) Heizzentrale auf Basis Strohbrennstoff und Biogas (Nahwärmeerzeugung) Nahwärmeversorgungsnetz Kompetenzzentrum Alternative Energien Einbeziehung des Gewerbes und der Landwirte vor Ort Geplanter Ausbau des ehemaligen Speichers zu Sozialversorgungszentrum 64 Geplanter Ausbau des ehemaligen Gutshauses als Markthalle Förderung des (Ausflugs-) Tourismus Abschließend möchte ich in diesem Rahmen auf die wichtige Agenda 21-Arbeit der Universität Rostock mit einer Koordinationsstelle und einer Arbeitsgruppe hinweisen, die auf der Unterzeichnung der COPERNICUS-Charta der europäischen Rektorenkonferenz am 01.10.1993 durch den damaligen Rektor beruht. Die Universität Rostock hat sich damit verpflichtet, das Konzept der Nachhaltigkeit in den Bereichen Lehre, Forschung, Weiterbildung und Ressourcenmanagement umzusetzen. Das Thema Klimaschutz spielt in all diesen Bereichen eine wichtige Rolle. Hinsichtlich Ressourcenmanagement ist u.a. das Bestreben der AG Agenda 21 zu nennen, ein Umweltmanagement für die Universität zu erarbeiten bzw. einzuführen und damit einen aktiven Beitrag auch zum Klimaschutz zu leisten. 65 Auswirkungen von Klimaänderungen auf die Küstenzone am Beispiel des Odereinzugsgebietes Holger Janßen, Nardine Löser, Dr. Gerald Schernewski Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) 1. Einleitung Klimawandel ist ein globales Phänomen, das Auswirkungen nicht nur, aber doch gerade auch auf Küstenzonen hat. Küstenzonen sind bedeutende Lebensräume für Vegetation und Biodiversität und reagieren als solche sensibel auf Veränderungen der klimatischen Bedingungen. Dabei sind die Auswirkungen des Klimawandels in Küstenzonen nicht allein auf einen steigenden Meeresspiegel beschränkt, sondern können sehr viel zahlreicher sein, wie im Folgenden gezeigt werden soll. 2. Die Region Mit einer Länge von 854 km und einem Einzugsgebiet von 118.000 km² ist die Oder (polnisch: Odra) einer der bedeutendsten Flüsse im Ostseeraum. Ihr Einzugsgebiet teilt sich zu annähernd 90% auf polnisches Gebiet und zu je etwa 5% auf deutsches und tschechisches Gebiet auf. Damit kommt dem bergigen Ursprung, den die Oder im mährischen Gebirge nimmt, nur ein sehr kleiner Teil zu. Vielmehr liegt das Einzugsgebiet der Oder in weitgehend flachem Gebiet. Innerhalb dieses Einzugsgebietes lebt eine Bevölkerung von mehr als 15 Millionen Einwohnern. Das wirtschaftliche Leben in dieser Region ist vor allem von einer intensiven Landwirtschaft, aber auch von vielfältiger Industrie geprägt, die entsprechende Schadstofffrachten in den Fluss einleiten. Abbildung 1: Oder- (Odra-) Mündungsregion und Einzugsgebiet (www.ikzm-oder.de) 66 In der Odermündungsregion existieren zugleich vielfältige Naturlebensräume. Unter anderem durch die Überschneidung von marinem und limnischem System hat sich eine Vielzahl von artenreichen Habitaten herausgebildet. Nieder- und Hochmoore, Heidelandschaften, Binnendünen, waldfreie Talhänge, steinreiche Kuppen, Feuchtwiesen, Salzgraslandschaften, eutrophe wasservogelreiche Flachwasserseen und großflächige Waldgebiete sind einige Beispiele hierfür. Sie formen eine Landschaft in der der Schutz von Arten und Lebensräumen von höchster Bedeutung ist. So ist die Odermündungsregion beispielsweise zusammen mit den angrenzenden Boddengebieten die wichtigste Überwinterungsstätte für Wasservögel in der Ostseeregion (LÖSER ET AL., 2005). 3. Wechselwirkungen Fluss-Küste Im Fall der Oder und der Odermündungsregion bestehen zwischen Fluss und Küste zahlreiche und intensive Wechselwirkungen. Diese Interdependenzen werden anhand von unterschiedlichen Sektoren deutlich. So bezieht sich die eingangs erwähnte ökologische Qualität der Oder nicht nur auf die Odermündung, sondern auch auf den Fluss selbst. Die Oder und ihr Ästuar formen zahlreiche wertvolle Ökosysteme, die weitgehend unter Schutz stehen oder unter Schutz gestellt werden sollen. Nicht nur das Stettiner Haff ist als Natura 2000-Gebiet ausgewiesen, auch entlang der Oder sind von der Mündung der Neiße an flussabwärts 14 weitere Gebiete entsprechend klassifiziert worden. Weitere 31 Gebiete sind entlang der Oder zur Ausweisung als Natura 2000-Gebiet vorgeschlagen. Auf die ökologische Bedeutung der Oderregion weist auch die Zahl von insgesamt 335 Naturschutzgebieten entlang der deutschpolnischen Grenzregion hin. Damit bildet die Oder nicht nur einen wertvollen Lebensraum, sondern auch eine zentrale Achse für die Wanderung von Arten sowie für ihre Verbreitung. Das Wechselsystem Fluss-Küste hat damit sowohl für heimische Arten wie auch für die Verbreitung von Neozonen, die infolge anthropogener Veränderungen oder des Klimawandels in die Region wandern, eine große Bedeutung. Für die Verbreitung von Neozonen sind auch die Schiffsverkehre auf der Oder von Bedeutung. Während sie einerseits zur Einschleppung von Arten beitragen können, behindern zugleich die zahlreichen für die Schiffbarkeit der Oder eingerichteten, Schleusen sowie weitere technische Bauwerke wie Dämme und Deiche die Artenwanderung. Anhand der Schiffsverkehre und der Güterumschläge in den Häfen entlang der Oder drückt sich auch die wirtschaftliche Verflechtung von Fluss und Küste aus. Die Küstenzone ist das Tor für Handel, Transport und Tourismus insbesondere mit Berlin und Polen. Der Umschlag küstennaher Häfen wie Swinoujscie und Szczecin liegt bei aktuell 10 Millionen Tonnen pro Jahr. Zahlreiche kleinere Häfen entlang der Oder und ihrer Zuflüsse weisen Jahrestonnagen von einigen hunderttausend Tonnen auf, die zumeist über die Küstenzone eingeschifft werden. Die Küstenzone wiederum wird durch den Abfluss der Oder in das Stettiner Haff entscheidend geprägt. Mit einem Abfluss von 17 km³/a bzw. 530 m³/s trägt die Oder zu 94% zum Wasserhaushalt des Haffs bei. Über das Haff strahlt sie auch in die 67 Pommersche Bucht aus und trägt mit 4% zum Gesamteinfluss in die Ostsee bei. Dies ist insofern von entscheidender Bedeutung, als dass sich die hohen Nährstoff- und Schadstofffrachten der Oder im Haff und in den Küstengewässern niederschlagen und dort eine erhebliche Eutrophierung verursachen – mit weit reichenden ökonomischen und ökologischen Konsequenzen. 4. Auswirkungen auf die Küstenzone Die oben angesprochenen Nähr- und Schadstoffgehalte sind im Zusammenhang mit Änderungen von Temperatur und Niederschlag aufgrund eines Klimawandels von zentraler Bedeutung. Klimaänderungen können entscheidende Auswirkungen auf die Folgen der Stoffeinträge in die Küstengewässer haben. So können sich die Schadstoffeinträge in das Oderhaff in nassen Jahren beispielsweise verdoppeln (Schernewski et al., 2001). Entscheidender aber ist, dass warme Sommer, wie sie als Folge einer Klimaänderung angenommen werden, aufgrund ebenfalls warmer Haffgewässer zu einer plötzlichen und intensiven Freisetzung von im Sediment gespeicherten Phosphoreinträgen führen („Interne Eutrophierung“). Da die Primärproduktion in Küstengewässern häufig durch die Verfügbarkeit von Phosphor limitiert ist, kann die plötzliche Freisetzung von Phosphor an warmen und windstillen Tagen zu einem Anstieg dieser führen. Solche Freisetzungen erreichen Volumen von 400t Phosphor innerhalb kurzer Zeit. Mit einer Verzögerung von wenigen Tagen erreichen diese Freisetzungen die Küstengewässer und tragen dort zu einer Algenblüte bei. Gerade im Sommer wirken solche Algenblüten, auch wenn sie nicht zwangsläufig von giftigen Blaualgen ausgehen müssen, nicht als Sinnbild ungetrübter Badefreuden und können daher Auswirkungen auf den Wirtschaftszweig Tourismus haben. Mit einem Klimawandel steigt die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse und schränkt zugleich die Bemühungen um eine gute Wasserqualität im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie massiv ein. Das Stettiner Haff ist jedoch mehr als nur eine Quelle für Frachten, die von hier aus in die Ostsee eingetragen werden. Vielmehr dient es als Transformator und Senke für Nähr- und Schadstofffrachten. Insbesondere durch Sedimentation und Ausbaggerungen, aber auch in Form von Abgaben an die Atmosphäre als Folge von Denitrifikation, werden 10 – 20 % der Stickstoff- und Phosphorfrachten, bzw. 15 % der Stickstofffrachten, ausgesondert. Das Auftreten dieser für die Wasserqualität positiven Effekte wird vor allem dadurch ermöglicht, dass das Wasser durch die Abschirmung der Haffgewässer von der Ostsee durch die Inseln Usedom und Wollin mit durchschnittlich 35-75 Tagen eine vergleichsweise lange Aufenthaltszeit im Haff hat, während es in der Pommerschen Bucht bereits nach 8 bis 10 Tagen ausgetauscht wird. Die jährlichen Niederschläge im Odereinzugsgebiet sollen nach aktuellen Projektionen des Max-Plank-Institutes für Meteorologie (UBA, 2006) in etwa konstant bleiben während sich ihre Verteilung hin zu mehr Niederschlägen im Winterquartal verschiebt (+15 – 20 %). Mit einer Verschiebung der Niederschlagsverteilung könnte sich auch der Eintrag von Nährstoffen verschieben. Für die Gewässerqualität im Haff 68 hätte dies jedoch nur einen sehr begrenzten Effekt, da es ohnehin hocheutroph und aktuell zumeist lichtlimitiert ist. Zwar sind die Nährstoffeinträge durch die Oder derzeit rückläufig, jedoch ist das Niveau weiterhin so hoch, dass eine Limitierung durch Stoffeinträge nicht in Sicht ist. In der Pommerschen Bucht ist die Primärproduktion jedoch durch Phosphor und auch durch Stickstoff limitiert, weshalb hier verminderte Einträge als Folge einer Niederschlagsverschiebung einen positiven Effekt auf die Gewässerqualität und damit auch auf den Badetourismus haben könnten. Dem gegenüber steht jedoch ein Trend in der Entwicklung des Phytoplankton. Die Vielfalt des Phytoplankton nimmt ab, während Diatomeen und Cyanobakterien (Blaualgen) dominierende Anteile übernehmen. Cyanobakterien sind in der Lage Stickstoff über die Atmosphäre aufzunehmen, weshalb sie möglicherweise einen Rückgang der Stickstofffrachten kompensieren könnten. Hier sind jedoch noch weitere Untersuchungen nötig um klare Aussagen treffen zu können. Entwicklungen wie veränderte Abflüsse, verringerte Nährstoffeinträge oder interne Eutrophierungsprozesse haben Auswirkungen auf die Wechselwirkungen der Kette Fluss – Haff – Bucht. Phosphoreinträge aufgrund interner Eutrophierung und zugleich verringerte Nährstoffeinträge durch den Fluss könnten die Limitierung des Phytoplankton von Phosphor zu Stickstoff umschlagen lassen. Damit erhöht sich das prinzipielle Risiko auf Blaualgen. Insbesondere Cyanobakterien könnten aufgrund ihrer Fähigkeit Stickstoff aus der Atmosphäre aufzunehmen von diesem Trend profitieren. Dabei können die in der Ostsee auftretenden Arten giftig sein (Nodularia spumigena, Aphanizomenon flos-aquae, Anabaena sp.), müssen es aber nicht zwangsläufig sein. Vorkommen wie im Sommer 2001, als Teile der deutschen Ostseeküsten wegen des Auftretens von Cyanobakterien gesperrt wurden, könnten sich jedoch häufen. Abbildung 2: Nährstofftransport im Fluss-Küste-System der Oder (RÖDIGER, 2006; Quellen dort: BEHRENDT & DANNOWSKI, 2005, HUMBORG ET AL., 2000) 69 5. Konklusion Klimawandel kann eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Küstenzone haben. Nicht nur direkte Einflüsse wie veränderte Niederschläge und steigende Temperaturen, sondern auch indirekte Auswirkungen wie die Wanderung von Arten oder Veränderungen von Wechselwirkungen in Fluss-Ästuar-Küste-Systemen. Wasser unterliegen dabei zahlreichen Auswirkungen des Klimawandels. So steigern höhere Temperaturen die Evatransporation mit weitreichenden Folgen für den Wasserhaushalt. Weitere zentrale Auswirkungen des Klimawandels, ebenfalls mit Bezug zu Wasser, sind der Anstieg des Meeresspiegels und Veränderungen des Niederschlags. Klimaänderungen haben jedoch auch Folgen für die Wasserqualität. Verringerte Niederschläge im Sommer können zu verringerten Schadstoff- und Nährstofffrachten der Oder während dieser Zeit führen, während zugleich interne Eutrophierungsprozesse (schlagartige und intensive Phosphorfreisetzungen aus dem Sediment unter anoxischen Bedingungen) diesen Steigerungen der Wasserqualität im Settiner Haff und der Pommerschen Bucht entgegenstehen können. Es scheint sich abzuzeichnen, dass sich mit fortschreitendem Klimawandel die für eine interne Eutrophierung notwendige Bedingung warmer und windstiller Tage häuft, weshalb die Wahrscheinlichkeit solcher Prozesse steigt. Mit einer Verzögerung von einigen Tagen werden die freigesetzten Frachten in Küstengewässer eingetragen, wo sich die Limitierung der Primärproduktion von Phosphor auf Stickstoff ändern kann. Hierdurch kann es zu einem verstärkten Auftreten von Phytoplankton, insbesondere von Diatomeen und Cyanobakterien, kommen. Da Cyanobakterien giftig sein können, kann dies Auswirkungen insbesondere auf den Badetourismus haben. Bereits im Sommer 2001 mussten in Deutschland Ostseestrände aufgrund von Cyanobakterien gesperrt werden. Literatur ALHEIT, J., HAGEN E. (2000): The effect of Climate Variation on Fish and Fisheries. In: Jones P.D., Davies T.D., Ogilvie A.E.J., Briffa K.R. (eds): Climate and Climatic Impacts through the Last 1000 Years, New York. ARNELL N.W. (1999): A simple water balance model for the simulation of streamflow over a large geographic domain. Journal of Hydrology, 217, 314-335. ARNELL N.W. (2003): Effects of IPCC SRES emissions scenarios on river runoff: a global perspective. Hydrology and Earth System Sciences, 7, 619-641. BANGEL H., SCHERNEWSKI G., BACHOR A., LANDSBERG-UCZCIWEK M. (2004): Spatial pattern and long-term development of water quality in the Oder estuary, in: SCHERNEWSKI & DOLCH (eds.): The Oder Lagoon – against the background of the European Water Framework Directive. 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